Lajos Katona an Hugo Schuchardt (135-05377)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Budapest

19. 10. 1889

language Deutsch

Schlagwörter: Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (135-05377). Budapest, 19. 10. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10322, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10322.


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Budapest, I. Országház-u. 19
19/X.89.

Hochgeehrter Herr Professor!

Herr Szarvas, dem ich Ihren Wunsch bezügl. der Separatabzüge sofort nach Entgegennahme Ihres letzten längeren Schreibens mitgeteilt habe, wird die entsprechende Verfügung seitdem gewiß getroffen haben, wenn es nur betreffs des ersten Teiles nicht schon zu spät war.* (* Ein Druckfehlerverzeichnis über den ganzen Aufsatz wird dem 3. Artikel folgen. Die Korrektur des letzteren werde ich selbst besorgen). Ich werde mir heute, oder spätestens morgen, darüber Gewißheit verschaffen und Ihnen dann referiren. – Herr Szily,1 dem ich die materielle Unterlage meines Doctordiploms verdanke (der geistige Urheber und zugleich Fürsprecher für die erstere sind Sie gewesen!), – ist zu meiner größten |2| Freude, die ich seit meinem Hierweilen erlebt habe, zum Generalsekretär der Akademie gewählt worden. Das ist in diesem Jahr die zweite akademische Wahl,2 die mir Anlaß zu voller Zufriedenheit gibt und ich bin unbescheiden genug aus demselben ein gutes Omen auf mein Fortkommen bezüglich herauszulesen. Die Wahl Szily’s hat übrigens alle, denen es um ein ernstes Arbeiten auf dem nachlässig bestellten Felde unsrer heimischen Kultur zu thun ist, ungemein befriedigt und man gibt sich der Hoffnung hin, daß mit ihm ein neuer Geist in die bisher von einem unwürdigen Cliquenwesen entweihten Hallen unseres ersten wissenschaftl. Institutes einziehen wird.3 Ich weiß nicht, wie es kommt, aber |3| obwohl ich sozusagen zur philologischen Sippschaft gehöre, so bin ich doch immer im Stillen froh, wenn die Naturwissenschaftler über die zwei ersten Klassen einen Sitz davontragen. Im gegenw. Falle waren übrigens die besten Elemente der I. Klasse im Bunde mit der III. Die besten Kortese4 der Szily-Partei waren eben Szarvas & Cie, doch hat sich zu meiner Überraschung auch Gyulai5 sehr für die gute Sache exponirt. Denn obwohl ich den vorzüglichen Eigenschaften Béothys6 alle Ehre zu erweisen geneigt bin, so kann ich doch nicht umhin der Meinung zu sein, daß er auf dem Posten, den er so nachdrücklich angestrebt hatte, ein Unglück gewesen wäre. Das hat man am Besten aus dem zuversichtlichen Frohlocken gewisser Leute |4| gesehn, die bis zum letzten Augenblicke an einen Sieg ihres Mannes geglaubt haben.

Sie werden es gewiß für selbstverständlich halten daß wir von Szily’s Wirksamkeit an der Akademie auch für die Ethnologie und ihre Pioniere etwas bessere Zeiten erwarten. Unsere Gesellschaft wird also ihre erste constituirende Generalversammlung den 27. d. M. mit Jókai7 als Joculator u. Vorträger,) unter den besten Auspicien abhalten.8 Auch die ungarische Fachzeitschrift9 soll recht bald vom Stapel gelassen werden und zwar unter der nominellen Red. von Lad. Réthy’s,10 womit Herrmann einen sehr schlau angelegten Schachzug gethan zu haben meint. Ich denke mir, er will sich, oder eventuell mich, für die voraussichtlichen Bêtisen und Naivithäten nicht verantwortlich machen, die |5| in einer solchen, doch notwendigerweise im schlechtesten Sinne populär zu redigirenden Zeitschrift kaum zu vermeiden sein werden. Ich habe populär so gemeint, daß man bei dgl. Unternehmungen überall, speciell aber bei uns sehr auf der Hut sein muß, um nur ja Niemanden vor den Kopf zu stoßen, der es einem übel vergelten könnte. Wir zwei würden uns mit Herrmann dann ganz auf die internationale, oder eigentlich nur der Vertretung der osteuropäischen (magy.-slaw.-rumän.-alban.-türkischen, ich möchte beinahe sagen: levantinischen) Folklore gewidmeten Zeitschrift verlegen, deren ursprüngliches Programm seitdem in den Pourparler’s mit Herrmann bedeutende Modifikationen erfahren. Ich gedenke ihm auch eine heilsame Reduktion der |6| babylonischen Vielsprachigkeit seines ersten Planes aufzuoctroyiren. Sie haben die Güte gehabt, Herr Professor, uns praktische Winke in Aussicht zu stellen. Dann schrieben Sie aber ein nächstes Mal, früher auf meine Replik warten zu wollen, der Sie dann Ihre Bemerkungen als Duplik nachfolgen lassen wollten. Nun habe ich aber auf Ihre ersten paar Einwürfe insofern nichts zu entgegnen, als ich mit denselben ganz einverstanden und der ungeheueren Schwierigkeiten nicht nur, sondern auch der völligen Aussichtslosigkeit eines donquijotehaft entworfenen Unternehmens bewußt bin, wie Herrmann es ursprünglich angelegt hatte. Ich wäre zwar und |7| bin auch eigentlich noch immer geneigt, mit ihm über Dick und Dünn zu gehen und könnte mit diesem Manne im Einvernehmen auch die größten materiellen Opfer für jede Sache bringen, die er im Auge hat, weil mir sein durch und durch edler Charakter eine hinreichende Bürgschaft dafür bietet, daß die Sache selbst die denkbar beste, obwohl eine praktisch unausführbare ist. Materielle Opfer zu bringen verwehrt mir der Umstand, daß ich jeden Pfennig den unentbehrlichen Bedürfnissen meiner Angehörigen und meinem eigenen aufs bescheidenste Maß reducierten Bedarf entziehn müßte, ohne ihm damit einen merklichen Beistand geleistet zu haben, wenn ich es auch gethan hätte. Es muß dem Manne also auf seinem Wege geholfen werden. |8| Denn daß er es verdient wie kein zweiter, das ist meine ehrlichste Überzeugung, so wie ich auch ganz zuversichtlich hoffe, daß der Mensch mit seinen Talenten und einstweilen noch nicht ganz ausgegorenen Gedanken, wenn er nur einmal auf der richtigen Bahn mit der gehörigen Schwungkraft ausgerüstet wäre, viel Schönes und Gutes wirken könnte.

Wenn Sie aber glauben, hochgeehrter Herr Professor, daß Sie uns einen Wink erteilen könnten, der uns in was immer für einer Richtung nützen dürfte, so bitte ich Sie recht sehr, uns denselben nicht vorenthalten zu wollen.

Und nun zu einer anderen Sache. Sie werden vielleicht vom Ableben Rákosys11 seinerzeit erfahren haben. Wenn nicht, |9| so bitte ich Sie, dasselbe gefälligst zur Kenntnis zu nehmen und zugleich beachten zu wollen, daß damit die Frage des Katheder’s für romanische Philologie an unserer Universität auf die Tagesordnung gebracht worden ist. Der Senat der Fakultät soll, wie ich in Erfahrung gebracht, dem Ministerium ein Referat in dem Sinne unterbreiten, daß fürs Erste ein ordentl. (oder einstweilen erst außerord.) Lehrstuhl für romanische Phil. und daneben eine Lectorenstelle für neufranzösische Sprache und Lit. systematisirt werde. Es ist begründete Aussicht vorhanden, daß das Min. auf diesen Vorschlag eingehn wird. Nun rückt aber dann die Frage heran, mit wem der Lehrstuhl zu besetzen. Einen Lector aus Frankreich zu verschreiben ist das Geringste und wird dies ohne jede Schwierigkeit gehn. |10| Wo aber den Romanisten hernehmen? Die sämmtlichen Kandidaten, die von einer oder der anderen einflussreichen Persönlichkeit colportiert werden, unter Ihnen, Gott sei’s geklagt, auch meine Wenigkeit, leiden an dem Hauptfehler, daß sie als Romanisten eine sozusagen makellose Vergangenheit haben. (Meine Molière-Vorlesung kann mir hoffentlich nicht einmal vom ärgsten Feinde zur Sünde gemacht werden!) Es sind das zumeist mittelmäßige Realschulprofessoren, deren einer eine unbrauchbare französische Schulgrammatik, der andere ein noch weniger verwendbares Lesebuch und der dritte (beiläufig gesagt seit neuester Zeit nicht mehr Realschul- sondern Gymnasialprofessor) noch überhaupt gar nichts geschrieben hat, was ihn in den Geruch eines Romanisten hätte bringen können. |11| Nun hat aber gerade dieser Letzterwähnte und sonderbarerweise nur dieser einzige ein Doctordiplom (Dr Herzl12 ist zu seinem Malheur als Millionär auf die Welt gekommen und hat sich somit aus der Concurrenz ausgeschlossen) und zwar eines, wo unter anderem zu lesen: (Schuchardti misericordia et Dei gratia) Egregiam in Philologia Romanica … Doctrinam Probavit … Dr. Mayr,13 der einstweilen mit der Suppletur des Lehrstuhls befasst ist, meint in Anbetracht dieser Misère die Sache am leichtesten so zu arrangieren, daß er als Indogermanist (als welchen er doch den Romanisten mit allen anderen –isten incorporirt hat) definitiv mit der Agenda des romanischen Philologen überhäuft bliebe und dafür endlich einmal zum Ordinarius befördert werde, was gar keine unbillige Forderung ist und |12| und beim herrschenden Sparsystem vom Cultusminister in ernste Erwägung gezogen werden dürfte. Budenz,14 der von der Fakultät mit dem Referat beauftragt ist, verhält sich ziemlich passiv der ganzen Angelegenheit gegenüber, ist aber mehr für den ersterwähnten Plan, ohne persönliche Engagements zu haben, wie es scheint Heinrich (der Dekan!)15 ist für Niemanden eingenommen und würde seinen Einfluß nur dann in die Waagschale werfen, dann aber Alles aufbieten und den ersten Besten (?) unterstützen, wenn meine Kandidatur mehr als ein schlechter Spaß werden sollte. Was mich anbelangt, so würde ich unter der Bedingung, daß man mir für zwei Jahre Urlaub mit vollem Gehalt eines ordentl. Gymnasialprofessors (in der Hauptstadt 1800 fl) gewähren wollte, diese Begünstigung zum |13| Erwerben jener Qualifikation benützen, die mir heute noch zum Romanisten fehlt, die ich aber mir vielleicht schon verschafft hätte, wenn man seinerzeit hier zulande auf Ihre Empfehlung hin mir die dazu gehörigen Hilfsmittel zur Verfügung gestellt hätte. Sie werden sich doch meines Stipendiumgesuches vor vier Jahren erinnern?16 Doch zum Schlusse kommt noch das Beste. Nach der neuesten Version soll Heinrich dafür eingetreten sein, man möchte sich einen berühmten Romanisten des Auslandes hierher verschreiben. Und „wozu in die Ferne schweifen?“17 Graz mit einem der jüngsten ausw. Mitglieder der ung. Akademie in seinen Mauern liegt ja so nah! Warum sollte man Prof. Schuchardt nicht gewinnen können? Es ist das ein Gedanke, der seinem Urheber |14| mehr Ehre macht als ich ihm zu erweisen geneigt war. Es ist selbstverständlich, daß vor diesem einzigen gefährlichen Concurrenten auch ich die Segel streichen würde, und sollte ich auch meine Kandidatur noch so ernst genommen sehn.

Mit hochachtungsvollen Grüßen und in dankbarer Ergebenheit
Ihr treuer

Katona

Wie ist Ihnen die Nordseeluft bekommen? Hoffentlich ist nun, wenn auch nicht „all right“, doch um ein Beträchtliches besser! Haben Sie die Güte, mir auch nach dieser Seite hin Nachricht zu geben. Und wann besuchen Sie uns schon einmal? Kónyi18 läßt Sie bestens grüßen. Er ist noch immer der Alte mit seinem fürcherlichen Einhängen!

Haben Sie Virchow’s neuestes Urteil über die Ethnol. Mitteil. gelesen?20 Das ist die größte Genugthuung, die Hermann’s edlem Streben werden konnte.


1 Koloman / Kalmán Szily (1838-1924), Physiker, Sprachwissenschaftler, erster Generalsekretär der Ungarischen Akademie der Wissenschaften; vgl. HSA 11497-11523.

2 Die erste war Schuchardts Wahl zum auswärtigen Miglied der Akademie Anfang Mai 1889.

3 Katona wurde selber 1900 zum Akademiemitglied gewählt.

4 Nicht klar, um welches Wort es sich handelt; gem. sind vermutlich „Unterstützer“.

5 Pál Gyulái (1826-1909), ungar. Dichter und Literaturkritiker, seit 1858 Akademie-Mitglied, ab 1870 Sekretär der ersten (sprach- und schönwissenschaftlichen) Klasse.

6 Zoltán von Beöthy (1848-1922), Prof. der Ästhetik in Budapest.

7 Mór (Maurus, Mauritius) Jókai / Jókay Móritz (1825-1904), ungar. Schriftsteller und Journalist, Akademie-Mitglied, vgl. Anzeiger der Gesellschaft für die Völkerkunde Ungarns I, 1, 1890, 1-2: „Die Gesellschaft für die Völkerkunde Ungarns ist aus den Bestrebungen hervorgegangen, zu denen die unmittelbare Anregung die im Jahre 1887 gegründete Zeitschrift ,Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn‘ gegeben hat. Die statutenmässige Aufgabe der Gesellschaft ist: das Erforschen der jetzigen und einstigen Völker des ungarischen Staates und des historischen Ungarns, ferner auf Grund gegenseitigen Kennenlernens die Pflege der geschwisterlichen Eintracht und des Gefühles der Zusammengehörigkeit unter den im Vaterland lebenden Völkern.- Die Gesellschaft, die ihre Tätigkeit im Herbst 1889 mit etwa 500 Mitgliedern begonnen hat, hält monatliche Vortragssitzungen ab und gibt als Amtsorgan […] die Monatsschrift ,Ethnographia‘ heraus“.

8 Anton Herrmann und Pál Hunfalvy gründten 1889 die Ungarische ethnographische Gesellschaft (Magyar Néprajzi Társaság).

9 Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn: Illustrierte Zeitschrift für die Völkerkunde Ungarns und der darmit in ethnographischen Beziehungen stehenden Länder (Ethnologiai Közlemények). Vgl. insbes. HSA 01-00108 (Ferdinand Leopold von Andrian-Werbung an Schuchardt, Altaussee 5.10.1889).

10 László Réthy (1851-1914), ungar. Archäologe und Ethnograph, Spezialist für antikes Münzwesen.

11 Alexander (Sandor) Rákosy (?-1889), Prof. an der Vereinigten Mittelschlullehrer-Präparandie Budapest.

12 M. Herzl (keine weiteren Angaben); vgl. jedoch HSA 04674-04675.

13 Aurel Mayr (1845-1914), ungar. Indogermanist und Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 06900-06902.

14 Joseph Budenz (1836-1892), österr. Finnougrist, Prof. in Budapest; vgl. HSA 01439.

15 Gustav Heinrich (1845-1922), österr.-ungar. Germanist und Literaturhistoriker; vgl. HSA 04534-04540.

16 Vgl. Ms 5076/221 (23.8.1885).

17 Goethes berühmter Vierzeiler beginnt. „Warum in die Ferne schweifen …“!

18 Manó Kónyi (1842-1917), ungar. Publizist; bekannter Parlamentsstenograph (Landtag); vgl. HSA 05755.

20 Ethnologische Miteilungen aus Ungarn (EMaU) 1888, 227.

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