Hugo Schuchardt an Lajos Katona (116-05067_267)
von Hugo Schuchardt
an Lajos Katona
15. 07. 1889
Deutsch
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (116-05067_267). Graz, 15. 07. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10303, abgerufen am 17. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10303.
Graz 15 Juli ’89.
Lieber Freund.
Sie haben ganz recht gehabt zu vermuthen dass die Armande Béjart resp. ihre Geburt nur der Haken sein sollte, daran eine Erwähnung Ihres Vortrags anzuhängen; in dessen muss ich vorderhand von einer Aufwärmung der Angelegenheit abstehen, da ich nicht die nöthige Molière-Litteratur zur Verfügung habe. Auch will ich die Sache von der ärztlichen Seite zu ergründen versuchen.
Heute habe ich Ihnen die zweite Hälfte meiner Abhandlung geschickt,1 nachdem ich von Szarvas die |2| Ermächtigung dazu empfangen hatte. Hoffentlich wird Ihnen die Sache nicht zu viel Mühe machen. Sie werden auf manchen lapsus calami stossen; denn es ist mir nie gegeben gewesen, ein Manuskript wirklich „druckfertig“ zu machen, ich muss selbst orthographische Fehler noch im Druck verbessern. Desshalb hege ich immer den Wunsch, dass meine Arbeiten möglichst bald in die Hände des Setzers kommen (wann sie erscheinen, ist mir verhältnismässig gleichgültig); nach einiger Zeit muthen mich meine Handschriften ganz fremd an und ich kann nur mit |3| grösster Mühe mich darin zurechtfinden. Daher liegt mir auch nicht viel daran dass Szarvas die Arbeit in der ersten Sitzung der Akademie (Oktober) verlesen haben will. Mir scheint dies einen unnöthigen Aufschub zu veranlassen; und dann ich meinerseits würde nicht gut auf denjenigen zu sprechen sein, von dem mir ein solches Pot pourri vorgelesen würde. Ich habe das Szarvas schon geschrieben, aber er kommt wieder auf seine Bitte zurück, ohne sie weiter zu begründen. Was er nur davon haben mag?
Ich wünschte von Ihnen zu hören, ob der |4| Eindruck, den meine Hds. auf Sie macht nicht (im schlechtesten Sinn) ein überwältigender ist. Vielleicht kann ich dann durch manche Andeutungen Ihnen die Sache erleichtern. Ich weiss auch nicht ob die Typen des Nyelvör für alles ausreichend sind; so habe ich z. B. nach der Sitte deutscher Romanisten ọ ẹ für die geschlossenen, ǫ ę für die offenen Vokale geschrieben. – „Kirchenslawisch“ sage ich weil mich weder „altbulgarisch“ noch „altslowenisch“ befriedigen, sie leicht Anlass zu Confusionen à la Adolf = Ásboth geben und jedenfalls ein „neuslowenisch“ oder „neubulgarisch“ nöthig machen. Usw.
|5| Ich freue mich dass Sie Hoffnung haben nach Budapest zu kommen. Geniessen Sie Ihre Ferien nur nach Kräften – es thut mir wirklich leid dass ich Ihnen nun indirekt so manche Stunde raube.
Angenehme Mittage (im Elephanten) habe ich jetzt mit dem berühmten Reisenden Sir Burton (Generalconsul in Triest)2 und seiner Frau (aus dem Geschlecht der Arundels)3 verlebt. |6| Ich glaube wirklich dass keiner unter den Lebenden so viel von der Welt gesehen hat wie er und so viel veröffentlicht. Ich wollte wir hätten seiner Übersetzung von 1001 Nacht (mit Anmerkungen) in 16 Bänden; sie soll die einzige ganz treue und nicht kastrirte sein.4
Mit herzlichem Gruss Ihr ergebenster
HSchuchardt
Mein Manuskript schaut ein Brocken wie ein Rhizopode5 aus, ein makroskopischer natürlich; bitte lassen Sie diese Fangarme nicht in Verlust gerathen; ich brauche das Mscr. auch desshalb noch, weil ich später die Abhandlung in Gröber’s Ztschr. veröffentlichen will.6
1 Schuchardt, „A magyar nyelv román elemeihez“ [= Zu den romanische Elementen des Ungarischen], Magyar Nyelvőr 18. 385-396: 433-442 [der ungar. Übers. ist demnach Katona].
2 Richard Francis Burton (1821-1890), britischer Afrikaforscher, Offizier, Konsul, Übersetzer, Orientalist und Mitglied der Royal Geographical Society; vgl. HSA 01471-01474.
3 Isabel Burton geb. Arundell of Wardour (1831-1896), britische Reiseschriftstellerin; vgl. HSA 01469-01470.
4 A plain and literal translation of the Arabian night's entertainments [Texte imprimé]: now entituled The Book of the thousand nights and a night : with introduction, explanatory notes on the manners and customs of Moslem men and a terminal essay upon the history of the nights / by Richard F. Burton, Benares: the Kamashastra Society, 1885, 10 vol.; gr. in-8 (es gibt zahlreiche Ausgaben, z. T. ohne Datum- und Verlagsangabe).
5 Wurzelfüßler“, heterotrophe Protozoen, deren Protoplasma zum Zwecke der Nahrungsaufnahme, Fortbewegung und Verankerung im Substrat formveränderliche Ausstülpungen bilden kann, die sogenannten Scheinfüßchen (Wikipedia).
6 Kein Nachweis.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_267)