Lajos Katona an Hugo Schuchardt (112-05373)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Fünfkirchen

03. 07. 1889

language Deutsch

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (112-05373). Fünfkirchen, 03. 07. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10299, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10299.


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Fünfkirchen, 3/VII.89.

Hochgeehrter Herr Professor!

Es ist selbstverständlich, daß ich in meiner ganz populär gehaltenen und auf ein sehr gemischtes Publikum berechneten Vorlesung über Molière mir bereits von anderen zusammengetragene Daten – mit einger Selbständigkeit höchstens in der Beurtheilung und Gruppierung derselben – in den engen Rahmen eines einstündigen Vortrages hineinpressen konnte.1 Freilich hätte ich auch diese – bescheidene – Aufgabe viel besser lösen können, wenn mir von der Molière-Literatur außer Larroumet’s Studien in der Rd2M,2 1886, Mahrenholtz,3 Lotheissen,4 dem Molière-Museum5 und einigen Mol.-Ausgaben, ferner den landläufigen Biographien noch etwas Anderes, besonders aber der Moliériste* (* Die allerwichtigsten Mittheilungen der ersten Hefte sind zwar im Mol.-Mus. registriert) zugänglich gewesen wäre. So aber und bei der Eile in der ich meinen Vortrag zusammenstoppeln mußte, wäre es mir wirklich als kein geringes Verdienst anzurechnen, wenn ich auf die noch schwebenden Fragen der Molière-Forschung ein neues Licht |2| geworfen hätte. Da dies nur an der Hand neuer Funde zu bewerkstelligen gewesen wäre, so habe ich es vorgezogen, die noch nicht hinlänglich klargelegten Punkte ganz zu übergehen. Zu diesen aber gehört nach meinem Erachten die verwandtschaftliche Stellung der Armande zur Madeleine Béjart nicht, da für mich die hierauf bezügliche Ausführung von Mahrenholtz 1881,6 die übrigens ihrem wichtigsten Inhalte nach schon um ein Jahr früher bei Lotheissen 1880: S. 139ff. zu finden) hinlänglich überzeugend war. Lindau7 wird, wenigstens auf diesen Punkt bezüglich, auch von Lotheissen als Gewährsmann angeführt.* (* In meiner inculpierten Anm. ist übrigens das Hauptgewicht auf Loiseleur gelegt und Lindau nur dem ungarischen Leser zuliebe erwähnt, da seine Biogr. die bei uns seit Jahren am leichtesten zugängliche [in Olesó Könyvtar erschienen] ist).8 Den von Ihnen mir gütigst in Erinnerung gebrachten Artikel in der Allg. Zeit. 1873, 29/V.9 konnte ich leider nicht einsehen; davon aber, daß Sie an Madeleine’s und Armande’s Schwesternschaft noch immer festhalten, habe ich als seinerzeit Hörer Ihres Molière-Collegiums Kenntnis gehabt, nur konnte |3| ich wegen der großen Lücken in meinen damaligen Notizen Ihre Polemik gegen die gegnerische Annahme nicht nach Gebühr berücksichtigen. Es wäre mir daher sehr erwünscht, wenn Sie, Herr Professor, mich wenigstens in ganz lakonischen paar Worten mit den Hauptbedenken bekannt machen würden, die Sie dieser Annahme abgeneigt sein – und für die Schwesternschaft der beiden Frauen stimmen lassen. Für mich wenigstens ist der Umstand, daß Marie Hervé, die angebliche Mutter der Armande mit 53 Jahren ein Kind haben mußte, wenn der von Beffara10 gefundene Taufakt der Frau Molière’s echt, (d. h. in allen seinen Angaben der Wahrheit entsprechend) sein soll. Mit andern Worten, daß eine Frau die nahezu um ein Jahrzehnt über die unterste und um 5 Jahre über die höchste Stufe des klimakterischen Alters (44-48 Jahre) hinaus ist, nach einer Pause von zwanzig einigen |4| Jahren ein Kind haben soll, eine ans Wunderbare grenzende Unwahrscheinlichkeit, die schon allein genügen würde, mich an der Echtheit jenes Taufaktes zweifeln zu lassen. Ob Molière selbst um die Fälschung gewußt hat oder nicht, das lasse ich ganz dahingestellt, obwohl ich meinerseits mehr nach der ersten Annahme hinneige. Den anderen Theil der ganzen leidigen Frage habe ich aus paedagogischen Rücksichten (ich habe auch viele meiner kleineren Schüler und unerwachsenen Mädchen unter meinen Zuhörern gehabt) ganz ohne Erwähnung gelassen. So kommt es, daß in meinem Vortrage nichts von dem gehässigen und abscheulichen Verdachte zu lesen, den Molières Feinde auf den Dichter gewälzt und demzufolge er seine eigene Tochter geheiratet haben soll; obwohl die Thatsache allein, daß Louis XIV. das erste Kind aus dieser Ehe aus der Taufe gehoben, in meinen Augen zur Entkräftung dieser Anklage keineswegs genügen würde.

Indem ich Ihnen für Ihre wohlwollende Beachtung meiner Schrift wiederholt aus ganzem Herzen innigen Dank sage, bitte ich für diese in aller Eile hingeworfenen Bemerkungen um gütige Entschuldigung, und verbleibe mit hochachtungsvoller Ergebenheit

Ihr dankbarer Schüler

Katona.


1 Katona, Molière otthon és társaságban , Pécs: Lyceumi Könyvny, 1889 [etwa: Der private und der öffentliche Molière].

2 Gustave Larroumet, „ Les biographes de Molière “, Revue des deux Mondes, 1er nov. 1886.

3 Richard Mahrenholtz, Molière - Einführung in das Leben und die Werke des Dichters , Heilbronn: Henninger, 1883.

4 Ferdinand Lotheißen, Molière: Sein Leben und seine Werke , Frankfurt a. M.: Rütten & Loening, 1880.

5 Heinrich Schweitzer (Hrsg.), Molière und seine Bühne: Molière Museum, Sammelwerk zur Förderung des Studiums des Dichters in Deutschland, Wiesbaden: Selbstverlag-Leipzig: Thomas, 1879ff.

6 Richard Mahrenholtz, Molière - Einführung in das Leben und die Werke des Dichters , Heilbronn: Henninger, 1883.

7 Paul Lindau, Molière; eine Ergänzung der Biographie des Dichters aus seinen Werken, Leipzig: Johann Ambrosius Barth, 1872.

8 Pal Lindau, „ Molière. Fordította Bánfi Zsigmond “, Olesó könyvtár 74, 1879, 8-119.

9 Schuchardt, „Zu Lindau’s Molière“, Beilage zur Allgemeinen Zeitung (Augsburg, München) 1873.

10 Louis-François Beffara, L'Esprit de Molière ou Choix de Maximes, Penees, Charactères ... Et des Anecdotes relatives à ces Pieces , Londres: Lacombe, 1877.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05373)