Hugo Schuchardt an Lajos Katona (92-05067_254)
von Hugo Schuchardt
an Lajos Katona
06. 04. 1889
Deutsch
Schlagwörter: Magyar Tudományos Akadémia (Budapest)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (92-05067_254). Graz, 06. 04. 1889. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10279, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10279.
Graz, 6 April 89.
Mein lieber Freund!
Ich schicke Ihnen also das posthume Büchlein.1 Machen Sie es aber ganz wie es Ihnen passt; ich habe Sie ja selbst davor gewarnt, sich von Andern überbürden zu lassen, und würde auch gar nicht mit solcher Bitte an Sie herangetreten sein wenn ich nicht Hasdeu2 gegenüber |2|eine tiefe Verpflichtung gefühlt hätte Etwas für dies Andenken seiner Tochter3 zu thun. Sonst schüttle ich Recensionsanmuthungen jetzt rücksichtslos ab. Vielleicht dass Sie durch die Einführung seitens des Ehrenromanen (??) (und auch ein wenig Ehrenmagyaren) und durch die Schlussnummer Le génie des peuples romans sich etwas angeregt fühlen. Ich bin durchaus nicht in der Stimmung und der Fähigkeit, über die Julie Hasdeu zu schreiben, wie gern ich es auch thäte Es war |3| ein liebes, nicht nur sehr gescheites, sondern auch sehr lustiges Mädchen. Ich denke sie hatte auch Herz, viel Herz, wenn sie es auch nicht allzu sehr verrieth. Z. B. den armen Fraţila4 mit zwei unglaublichen weissen Schosshunden an der Leine durch die Herrengasse spazieren zu lassen! Das hat ihm fast eben soviel Mühe verursacht wie die rumänischen Präpositionen.
Mit Erstaunen hatte ich den Passus von „Katona Lajos nem egíszen címszevü dolgoratá5 gelesen. Sie haben das |4| so geschickt gemacht dass ich mich nicht allzusehr der Dummheit anklage, den Katona in dem wirksamen (??) kriegerischen Gewande des Kardos nicht erkannt zu haben.
Von meiner Kandidatur6 wusste ich Nichts; und meine Bescheidenheit verbot mir aus einem Briefe Thewrawks, in welchem Nachrichten über mich verlangt wurden, Vermutungen zu ziehen. Der alte Hunfalvy7 hat mir in diesen Tagen auch auf einen Brief |5| den ich ihm vor zwei Jahren geschrieben hatte, geantwortet; was allerdings mein Befremden erregte. Nun müsste ich wohl, nach drübiger Seite, eine Rundreise machen und den Wein aus allen Schläuchen fliessen lassen. Ich habe übrigens in Wahlen, welcher Art sie auch sein mögen, kein Vertrauen. Meine Freunde in Wien kandidirten mich schon seit längerer |6| als wirkliches Mitglied. Vor zwei Jahren hatte ich die besten Aussichten; ein Anderer wurde mir vorgezogen, ich wunderte mich deswegen einigermassen, aber noch mehr als ich hörte, dass ich als „geistiges Patenkind Miklosich’s“* [* der dort sehr heftige Gegner hat] (!) durchgefallen war. In der phil.-hist. Kl. selbst war ich durchgedrungen; es ist ein eigenthümliches Wahlverfahren, nach dem die Naturwissenschaftler den Ausschlag geben |7| können.
Ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen dass Sie dazu kommen in diesem Sommer den Thurm Eiffel oder Babel – es kommt auf dasselbe hinaus – sehen mögen. Nur nicht in zu vorgerückter Jahreszeit; ich möchte Ihnen gerne beste Empfehlungen an die dortigen Besten geben. Sébillot,8 trotz aller Liebenswürdigkeit, wird dort nicht genügen. |8| Was mich anlangt, so gefällt sich meine Neurasthenie darin verschiedene Formen anzunehmen. Variatio delectat. Ob ich nun vom Sturzbach herabgeschwemmt werde oder in einer stillen Seitenbucht – z. B. der des Baskischen – mich im Kreise herumdrehe, das ist im Grunde einerlei; ein welkes Blatt bleibe ich immer.
Herzlichst
Ihr
ganz ergebener
H Schuchardt
Heute ist Scirocco. Daher kann ich gerade nur noch rasch einige Zeilen schmieren.
1 Œuvres posthumes de Julie B. P. Hasdeu. Bourgeons d’Avril. Fantaisies et rêves. Avec une introduction par le Cte. A. de Gubernatis, Paris-Bucarest, 1889-90, 3 Bde. – Angelo de Gubernatis (1840-1913), ital. Orientalist und Literaturhistoriker; vgl. HSA 04194.
2 Bogdan Petriceicu Hasdeu (1838-1907), rumän. Literaturkritiker; vgl. HSA 04428-04465.
3 Julie Hasdeu (14.11.1869-29.9.1888), rumän. Schriftstellerin, Tochter von Bogdan Petriceicu Hasdeu; vgl. HSA 04466. – Eine Rez. Katonas konnte nicht nachgewiesen werden.
4 Florin Frăţilă scheint ihr Privatlehrer gewesen zu sein.
5 „eine beachtliche Dissertation“.
6 Für die Magyar Tudományos Akadémia (Ungarische Akademie der Wissenschaft).
7 Pál Hunfalvy (1810-1896), ungar. Sprachwissenschaftler und Ethnograph; vgl. HSA 04920.
8 Paul Sébillot (1846-1918), franz. Folklorist; vgl. HSA 10458-10467; u. a. Hrsg. der Zeitschrift Les littératures populaires de toutes les nations .
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_254)