Lajos Katona an Hugo Schuchardt (89-05363)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
29. 09. 1888
Deutsch
Schlagwörter: Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn Sachs, Karl (1882) Föherezeg, József (1888)
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (89-05363). Fünfkirchen, 29. 09. 1888. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10276, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10276.
Fünfkirchen, Ungarn
29.IX.88
Hochgeehrter Herr Professor,
Diesmal schon aus eigenem Antriebe von jeder Rhetorik Umgang nehmend, – innigsten Dank für die mir so unaussprechlich wohltuenden Beweise der unausgesetzten väterlichen Sorgfalt, womit Sie mein geistiges und mat. Fortkommen zu ebnen und födern bestrebt sind.
Szarvas hat seine Kommission schon bei mir soeben urgiert. Ich muß leider gründlich absagen, wobei die betr. Stelle Ihrer werten Zuschrift sehr gute Dienste leisten wird. Ich meine die gänzliche Unmöglich- |2| keit die nötigen Bücher zu verschaffen. Auf Sachs1 bitte ich ergebenst nur noch so lange (ca. 4 Wochen) zu warten, bis ich für ein Ersatzexemplar gesorgt haben werde.
Der Folklore-Katechismus, wie wir das Ding kurzweg nennen wollen, ist bereits seit längerem das Steckenpferd, auf dem ich in meinen nur allzu häufigen schlaflosen Nächten herumreite. Könnte mir – um einmal recht sanguinisch zu sein – Herr Br. Andrian2 für die nächsten Sommerferien einen 2-monatlichen Aufenthalt in Weimar durch einen großmürigen Vorschuß von 200-300 fl. nicht garantieren? Dies nur als ballon d’essai, den Sie sofort |3| platzen machen können, wenn er gar zu aufgebläht wäre.
Die Stelle an der Leipziger Bibliothek wäre für mich, gesetzt den Fall, daß ich solche noch vor meiner Ernennung zum ordentl. Lehrer erlangen könnte, – eine große Beförderung, wenn ich daselbst auch nicht mehr als 800-900 Gulden Gehalt bekäme. Solle ich inzwischen, wie nicht ausgeschlossen, für meine Schwester eine definitive Versorung im Ehehafen finden, so könnte ich sammt Mütterchen auch mit weniger haushalten als wir hier brauchen. Und dann ließe sich dort auf literarischem Wege ein Nebeneinkommen sichern, das hier nahezu unmöglich ist.
Das Journal of American Folklore, welches uns als Tauschexemplar für die |4| Ethn. Mitt. regelmäßig zugeht, hat auch mein Interesse captiviert. Eine sehr anerkennenswerte Leistung sind die „Studies on the Legend of the Holy Grail with especial ref. to the hypoth. of ist celtic origin“ – von Alfred Nutt. (Neueste Publ. der Folklore Society von London).3 Das 3. Heft unserer Mitt. ist in Arbeit. Hettler,4 der mit Max Koch’s Zschr. seinerzeit Banqueroute gemacht hat, kündigt für demnächst den Stapellauf einer Zeitschrift für Volkskunde „unter der Leitung“ Veckenstedt’s5 an. Der unternehmungslustige Leichtfuß hat mich vor einem Jahre mit aller Gewalt zu diesem Geschäft überreden wollen. Ulrich Jahn,6 der mit einer Anzahl wohlklingender Namen ausgerüstet sich vor einigen Monaten an Herrmann und mich gewendet hat, wird zu diesem Kon- |5| kurrenzunternehmen nicht das allerbeste Gesicht machen. Leider ist auch der Sache selbst mit zwei Organen nicht so gut gedient wie mit einem. Ich halte mich einstweilen dem neueren Plane gegenüber reserviert.
Die Zigeuner-Grammatik7 ist noch alles eher denn ein rentables Geschäft. Maisonneuve ist ein gar zu filziger Jude, wenn auch nicht der Konfession (?), so doch gewiß der Gesinnung nach.8 Ich soll mich hier bei uns für ihn nach einem Buchdrucker umsehen, da er fürchtet, nicht genug bei der Sache zu gewinnen, wenn er das Werk in Frankr. anfertigen ließe! Wenn sich der Herausgeber der deutschen Auflage9 (Hornyánsky in Pest, bei dem auch die Mitt. Herrmann’s10 gedr. werden) hiezu versteht, dann in Gottes Namen. -----
|6| Schließlich noch eine schüchterne Bitte. Sollte Ihnen das beigefügte Konterfei11 nicht als eine gar zu aufdringliche Indiskretion erscheinen, so bitte ich Sie, hochgeehrter und geliebter Herr Professor, – bei Gelegenheit die wohlwollende Aufnahme desselben durch ein Gegenexemplar zu bestätigen –, wenn dieses Ersuchen nicht um ein Bedeutendes kühner als die Übersendung meines Bildnisses selbst ist.
Mit dankbarer Hochachtung und besten Grüßen von uns Allen
Ihr ganz ergebener
Katona
Entschuldigen Sie gütigst mein elendes Gekritzel; aber ich schreibe in fliegender Eile, um den 3. Okt.12 ja nicht zu versäumen.
1 Karl Sachs, Encyclopädisches französisch-deutsches und deutsch-französisches Wörterbuch. 1. Französisch-deutsch, Berlin 1882 (Grosse Ausg. 4., nach der 7. Aufl. der Académie durchges. und verb. Stereotyp-Aufl.).
2 Ferdinand L. von Andrian-Werburg (1835-1914), österr. Anthropologe und Geologe; vgl. HSA 00108-001117. – Katona war ihm früh positiv aufgefallen. A.-W. schreibt Schuchardt am 5.10.1889 (HSA 01-00108) u.a.: „Ich habe soeben die erste Nummer der ,Ethnologischen Mittheilungen aus Ungarn‘ von Dr. Hermann bekommen, bei denen Hr. Dr. L. Katona ein hervorragender Mitarbeiter ist – So erfreulich es ist, daß sich drüben auch das Interesse für Ethnologie und Folkloristik regt, so bedaure ich doch, daß uns dadurch gewissermassen der Rang abgelaufen wird. Vielleicht wird es Hrn. Katona durch dieses Unternehmen gelingen, festen Fuß in Ungarn zu fassen – Jedenfalls wäre es mir recht lieb, wenn er auch bald eine Arbeit (oder Besprechungen folkloristischer Erscheinungen) in den Mittheilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien (Redaction: F. Heger, k. k. Custos im Naturhistorischen Hofmuseum) senden könnte – diese würde ich dann als Ausgangspunct meiner Action zu seinen Gunsten nehmen, wenn er eine solche noch wünscht – Vielleicht komme ich im Spätherbst für ein paar Tage nach Gratz und werde trachten durch Ihre freundliche Vermittelung seine Bekanntschaft zu machen.“
3 Ersch. London: Nutt, 1888, XV, 281 S. Alfred Trübner Nutt war ein britischer Verleger, der über Folklore und Keltenkunde publizierte. Den zweiten Vornamen „Trübner“ erhielt er zur Erinnerung an die Geschäftspartnerschaft seines Vaters David Nutt mit dem aus Deutschland stammenden Londoner Verleger Nikolaus (Nicholas) Trübner (1817-1884).
4 Über den Verlag August Hettler in Berlin und Leipzig konnten keine genauen Informationen gefunden werden; 1900/01 wurde gegen den Verleger wegen Majestätsbeleidigung ermittelt.
5 Edmund Veckenstedt [Ps. Heinrich Veltheim] (1840-1903) begründete 1889 in Leipzig die Zeitschrift für Volkskunde , die sich durch ein europäisches Profil auszeichnete und einen großen internationalen Mitarbeiterstab hatte. Probleme mit dem nationalistischen Umfeld veranlassten V. jedoch, sie bereits nach vier Jahrgängen (1892) wieder einzustellen. Den letzten Band beschloss er mit einem mutigen Credo für eine unabhängige wissenschaftliche Forschung (Sächsische Biografie).
6 Ulrich Jahn (1861-1900), deutscher Germanist, Volkskundler und Erzählforscher, Mithrsg. der Pommerschen Studien , einer Zeitschrift zur pommerschen Geschichte, Kunst und Volkskunde.
7 Es geht um eine französische Übersetzung der Grammatik (1888) der Zigeunersprache (Czigány nyelvtan) des Erzherzogs Joseph (Josef).
8 Die Maisonneuve sind eine französische Verleger-Familie. Zu diesem Zeitpunkt führt Jean-Victor Maisonneuve (1860-1926) die Geschäfte.
9 Erzherzog Josef, Zigeunergrammatik , Budapest: Hornyánsky, 1902 (keine frühere Aufl. ermittelt).
10 Ethnologische Mitteilungen aus Ungarn.
11 Nicht überliefert, auch nicht in der Foto-Sammlung im NL.
12 Bedeutung unklar.