Lajos Katona an Hugo Schuchardt (87-05362)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
20. 09. 1888
Deutsch
Schlagwörter: Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn Föherezeg, József (1888) Katona, Lajos (1888) Schuchardt, Hugo (1888)
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (87-05362). Fünfkirchen, 20. 09. 1888. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10274, abgerufen am 09. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10274.
Fünfkirchen,
Malom-uteza 22.
20.IX.88.
Hochgeehrter Herr Professor!
Herr Dr. Munthe1 in Upsala hat sich meines besten Dankes verdient gemacht, indem er Ihnen, mein teurer Herr Professor, Gelegenheit bot, nach langem Schweigen wieder einmal ein freudevoll begrüßtes Lebenszeichen von sich zu geben. Den Wunsch des genannten Herrn habe ich nach Möglichkeit erfüllt, glaube aber, daß ihm mit dem bisher veröffentlichten Fragment meiner Diss. kaum erheblich gedient werden dürfte.
|2| Herr Dietrich aus Graz2 hat mir erwähnt, Sie hätten gegen Ende des verg. Schuljahres die Absicht gehabt, nach Siebenbürgen zu reisen. Haben Sie dieselbe verwirklicht? Entschuldigen Sie gütigst meine Indiskretion; aber ich hoffe, Sie sind davon überzeugt, daß herzliche Anteilnahme an Allem, was Sie betrifft, dahinter steckt.
Ich war auch während der Ferien ziemlich stark in Anspruch genommen. Was dabei am meisten zu beklagen, ist das vergebliche Bemühen, eingespannt wie ich bin, mir einige freie Stunden zum Weiterführen der mit so viel Eifer begonnenen folkloristischen Studien zu verschaffen. Das neue Schuljahr hat mir einen Zuwachs von 7 wöchentl. Stunden und dafür ein dürftiges Extrahonorar von 300 fl. beschert. Ich bin nämlich zum a. o. Lehrer der lat. Sprache an unserer Schule ernannt worden. Bis zum ordentlichen Prof. habe ich es unter den obwaltenden |3| Verhältnissen, bei allem Wohlwollen meiner Vorgesetzten, noch ziemlich weit. So muß ich denn meine Subsistenz noch neben den nunmehr 25 Schulstunden mit einigen Privatlektionen sichern, wobei es mir begreiflicherweise nicht nur an Zeit, sondern auch an der nötigen Spannkraft und geistigen Frische zu literarischer Thätigkeit gänzlich ermangeln muß. Eine ganze Reihe von Kleinigkeiten liegt halbfertig auf meinem Tische, so u. a. die Besprechung einer ungemein int. Sammlung von Aino-Märchen,3 nebst der Rec. des Baissac-schen Büchleins4 und einer trefflichen Arbeit meines Freundes K. Krohn zu Helsingfors,5 der Herrn Prof. Meyer gewiss nicht unbekannt sein wird. Prof. Koch’s noch immer vegetierende Zschr. wird in den nächsten Tagen endlich meinen noch im Winter gelieferten Beitrag bringen.6 Außer den eur. folkloristischen Splittern und Spänchen sollte ich noch eine größere Arbeit in Angriff nehmen, d. i. die frzösische Übers. der Zigeunergrammatik des Erzh. Josef.7 Ich habe aber keine rechte Lust |4| zu diesem undankbaren Geschäft, das mir schon durch die ärgerlichen Plackereien mit dem widerhaarigen Verleger (Maisonneuve) verleidet wird. Mein herzliebster Kollege Herrmann8 von den Ethnol. Mitt. soll die Verdeutschung des Ungetüms auf sich nehmen und es zugleich mit seinen zigeunerischen Kenntnissen einer Art orthopaedischen Heilverfahrens unterziehen. Erst nachher würde ich mich an die frz. Übers. machen. Auch H. Szarvas9 in Bpest. hat mir einen Auftrag gegeben, zu dessen Ausführung ich weder die richtige Lust noch das erforderliche Können in mir fühle. Ich meine die Revision und Ergänzung der italienischen Lehnwörter im Ungarischen, welche seinerzeit Körösi10 im Nyelvör gegeben hat. Wo soll ich auch dazu hier in Fk. die unentbehrlichsten Bücher hernehmen? Ich kann mir doch nicht Alles und Jegliches aus der Grazer Bibliothek verschreiben. – Herr Dietrich11 wird Ihnen meine Bespr. Ihrer Volapükschrift,12 nebst dem mit bestem Dank zurückgesandten Körting I. II., übergeben. À propos! Ihre Volapük- und noch mehr Ihre antiklassische Ketzerei hat Herrn Szarvas13 wirklich sehr betrübt. – Sie dürften demnächst einen talentierten jungen Mann aus des Erwähnten nächster Umgebung kennen lernen. Mit ehrerbietigen Handküssen an Ihre gn. Frau Mama und besten Grüßen an Sie, hochgeehrter Herr Prof.,
Ihr ganz ergebener
KL.
1 Åke W. von Munthe (1859-1933), schwed. Romanist; vgl. HSA 07602-07603; vgl. hier Ms 5067/250.
2 Adolphe Dietrich (1867-?); vgl. HSA 02307.
3 D. Brauns, „ Religion, Sagen und Märchen der Aino “, Veckenstedts Zeitschrift für Volkskunde 1, 1888.
4 Charles Baissac, Le folk-lore de l'Ile-Maurice; (texte créole et traduction française) , Paris: Maisonneuve et Leclerc, 1888.
5 Kaarle Krohn (1863-1933), finnischer Märchenforscher; nicht klar, um welches Werk es sich handelt; vermutlich Tutkimuksia Suomalaisten Kansansatujen Alalta , Helsingissä, 1887.
6 Vermutlich Katona, „ Ein altdeutscher Schwank in Ungarn “, Zeitschrift für vergl. Litt. N.F. II, 1889, 40-48.
7 (Erzherzog Johann), Czigány nyelvtan. Románo csibákero sziklaribe irta József Föherczeg, Budapest: Akademia, 1888, XXIV & 377 S.
8 Anton Herrmann (1851-1926), österr. Ethnologe aus dem siebenbürgischen Kronstadt; vgl. HSA 1851-1926. Er gab die Ethnologischen Mitteilungen aus Ungarn Zeitschrift für die Volkskunde heraus.
9 Gabor Szarvas (1832-1895), ungar. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 22478-11488.
10 Nicht identifiziert; ist gibt mehrere Personen dieses Namens.
11 Adolf / Adolphe Dietrich, ehemaliger Grazer Kommilitone Katonas.
12 Lajos Katona, „ Schuchardt legûjabb füzete“ [Rez. von Schuchardt, Auf Anlass des Volapüks, Berlin 1888], Budapesti Szemle 139-141, 1888, 130-138.
13 Gabor Szarvas (1832-1895), ungar. Sprachwissenschaftler; vgl. HSA 11478-11488.