Lajos Katona an Hugo Schuchardt (83-05361)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Graz

16. 03. 1888

language Deutsch

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (83-05361). Graz, 16. 03. 1888. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10270, abgerufen am 09. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10270.


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Fünfkirchen, Malom-u. 22.
16/III.88.

Hochgeehrter Herr Professor!

Es sind mir in letzter Zeit durch Herrn A. Dietrich1 wiederholt berunruhigende Nachrichten über Ihr dauerndes Unwohlsein eingekommen, welche mir bereits den Gedanken nahegelegt haben – sogar auf die Gefahr hin, daß ich mit meiner Erkundigung lästig fallen könnte – Ihr werthes Befinden bei Ihnen selbst zu erfragen. Leider – ich sage dies nur bezüglich der Stelle Ihres schätzbaren Schreibens, welche von Ihrer angegriffenen Gesundheit spricht – leider kommt Ihre liebenswürdige Zuschrift die obenerwähnten schlimmen Gerüchte zu bestätigen.

Für die übrigen, auf mich Bezug nehmenden |2| Zeilen Ihrer Karte bin ich Ihnen zu innigstem Danke verpflichtet, weil solche mir ein erneuter Beweis dessen sind, daß Sie, hochgeehrter Herr Professor, trotz der immer zunehmenden Entfernung die zwischen uns liegt, sich meiner mit unwandelbarem Wohlwollen freundlichst erinnern. Wenn ich von einem stetig wachsenden Abstand sprach, so meinte ich damit nur so viel, daß ich in meinem gegenwärtigen Stande, der alles eher denn mein Beruf ist, ebenso gezwungen wie unausweichlich einer geistigen Versumpfung entgegen gehe, in welcher die spärlichen Keime besseren Strebens, zu deren Entwicklung Sie nicht wenig beigetragen haben, ein kümmerliches Dasein nur so lange fristen dürften, bis ich den tröstenden Glauben an eine irgendwie vielleicht noch mögliche Erlösung aus diesem Schlamme nicht gänzlich verloren habe. |3| Sie werden mich mit um so grösseren Rechte des lächerlichsten Größenwahns beschuldigen als ich bisher nicht das Geringste zu leisten vermocht habe, was diese Unzufriedenheit mit meinen gegenwärtigen Verhältnissen nur halbwegs begründen könnte. – Es ist eben die ewige Jeremiade aller schwachen und missrathenen Geschöpfe, die ohnmächtig gegen ihre Geschicke belfernd, sich Wahngebilde eines Schaffens und Wirkens vorgaukeln, zu denen sie etwa ein günstigeres Loos befähigt und angespornt hätte.

Sie haben mich bereits vor 2 Jahren mit meinem unreifen und eben darum etwas possierlichen Pessimismus aufgezogen. Die wohlthuende Sehweise, aus der mir gewisse Dinge eine Zeit lang in beinahe leidlichem Lichte erschienen sind, hätte mich schon beinahe kuriert; ich musste aber leider allzu früh heimkehren und bin infolge dessen in höherem |4| Grade recidiv geworden.

Wäre denn wirklich gar keine Aussicht für mich, in Oesterreich oder noch lieber in Dland. ein Stück Schwarzbrodes zu finden, das ich mir – sagen wir z. B. – im Bibliotheks- oder sonstigem halbwissensch. Bureau-Dienst verdienen könnte? Denn daß ich zum Lehrberuf überhaupt nicht recht tauge und in Ungarn, wenn ich auch taugen würde, auf diesem Felde nichts Erspriessliches leisten könnte, das wird mir von Tag zu Tag klarer und damit mein Horizont immer finsterer.

Demnächst soll von mir in Max Koch’s Zs. f. vgl. Lg. wieder ein kleiner Beitrag zur sonnenhell nachweisbaren Ubiquität sog. Magyarischer Folklore-Elemente erscheinen,2 was den guten H. in Budapest3 wieder dazu veranlassen dürfte, sein besonderes Wohlwollen mir gegenüber zu bekunden. – Meinen kleinen Aufsatz über |5| Ihre erfreuliche Volapükschrift hat der Red. der Bp. Szende noch immer nicht abdrucken lassen, aber auch nicht zurückgewiesen.4 Es wird eben bei uns Alles auf die endlose Bank hinausgeschoben, was über ein engherziges Cliquen-Interesse hinausgeht. – Thewrewk5 hat Ihres Namens in einer Aufzählung bedeutender Sprachforscher, die sich über die Wichtigkeit des Zigeunerischen aussprechen, Erwähnung gethan. Möglich, daß er Ihnen das betr. Heft der Phil. Közt.,6 in welchem seine Eröffnungsrede mit dem soeben herangezogenen Passus mitgetheilt ist, aus dieser Höflichkeitsrücksicht zugesandt hat. Den Ethnol. Mitt. scheint auch Th. nicht sehr gewogen zu sein, sonst hätte er Wlislocky’s,7 der diesem Unternehmen so nahe steht, verdientermassen gedacht. Was den Herausgeber dieser Sisyphos-Arbeit anlangt, so ist derselbe – wie mir immer klarer wird – ein Narr von meiner Taille, aber von theilweise anderen |6| Grillen geplagt. Während ich nämlich zur Species lacrymando blasphemans gehöre, vertritt er die immer seltener werdende Abart der Sturmböcke, die vor keinem, noch so hohem und dickem Wall der Borniertheit zurückschrecken, weil sie mit der gehörigen Quanität naivster Selbsttäuschung neben einiger Eitelkeit ausgestattet sind. Ob er übrigens ein Ankämpfer gegen die ewige Gleichgiltigkeit aller Faktoren, die ihn unterstützen könnten, noch lange auszuharren vermag, – das wird sich in Anbetracht dessen, daß er ein armer Teufel ist, in allernächster Zeit entscheiden. Ich muss nämlich annehmen, daß er einen amerikanischen Onkel hat, der in den letzten Zügen ist und einzig vom Wunsche beseelt wird, daß sein fabelhaftes Vermögen nach seinem baldigen Ableben den Ethn. Mitt. zugewendet werde.

|7| Die Kreol. Bibliogr. habe ich zu einem allgem.-folkoristischen Repertorium benöthigt, das ich vorläufig nur zu meinem eigenen Gebrauch anlegen möchte. Ich danke Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, für die freundliche Bereitwilligkeit, mit welcher Sie mir Ihr eigenes Exemplar zur Verfügung stellen wollten, und würde nur sehr bedauern, wenn das Abverlangen der Revue de Linguistique Sie denn doch belästigt oder auch nur im Geringsten gestört hätte.

Die Tage sind mir von beiden Magazinen – Sie haben doch von ihrer Spaltung gehört? – Aufforderungen zur Mitarbeiterschaft zugekommen. Schön; doch wo die Zeit dazu bei 18 wöchentl. Schul- und ebensovielen Privatstunden hernehmen? Und dazu keine Bücher, die den von mir nahezu gänzlich gemiedenen Umgang mit Menschen ersetzen – und keine Menschen, die für den Mangel an Büchern nur einigermassen entschädigen könnten!

|8| Lassen Sie sich aber, theuerer Herr Professor, durch mein unzeitiges Wehklagen nicht stören und reisen Sie glücklich mit dem besten Erfolg für Ihre geschwächte Gesundheit, die Sie aus den Osterferien hoffentlich dauerbar hergestellt zurückbringen werden.

Seien Sie auch von den Meinigen mit dankbarer Hochachtung gegrüsst und bleiben Sie mir auch ferner gewogen. Heute ist es ein Jahr, daß Sie mich mit väterlicher Milde zum Doktor schufen, wenn Schaffen = aus Nichts Etwas machen ist.

Mit kindlicher Pietät und Ergebenheit
Ihr

LKatona

Melden Sie, bitte, Herrn Prof. Meyer meine ergebenste Hochachtung. Ich höre, daß er im Sommersemester nach Albanien zu reisen gedenkt. Viel Glück und heile Glieder!


1 Adolphe Dietrich (1867-?), Grazer Doktorand; vgl. HSA 02307.

2 Katona, „ Ein altdeutscher Schwank in Ungarn “, Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte 2, 1889, 40-46.

3 Gustav Heinrich (1845-1922), österr.-ungar. Germanist und Literaturhistoriker; vgl. HSA 04534-04540.

4 Lajos Katona, „Schuchardt legûjabb füzete“ [Rez. von Schuchardt, Auf Anlass des Volapüks, Berlin 1888], Budapesti Szemle 139-141, 1888, 130-138.

5 Emil von Thewrewk (1838-1917), österr.-ungar. Altphilologe, Sprachwissenschaftler und Übersetzer; vgl. HSA 11646-11654.

6 Egyetemes Philologiai Közlöny 1888, 231: „Ha így áll a dolog, akkor nines mit csodálkozni rajta, hogy annyi nagynevü tudóst látunk a czigány nyelvvel foglalkozni. Potton kívül elég említenem Miklosichot, Ascolit, Müller Frigyest, Buggét, Schuchardot, Bopp, Curtius és más összehasonlíto nyelvészek munkáiban szinten találunk a czigány nyelvre való hivatkozásokat“.

7 Heinrich von Wlislocki (1856-1907), siebenbürgischer Sprachforscher, führender Tsiganologe, zeitweise mit einer "Zigeunerin" verheiratet, Verf. mehrere einschlägiger Publikationen insbesondere zur Sprache und Kultur der transsilvanischen Zigeuner.

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