Lajos Katona an Hugo Schuchardt (81-05360)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Fünfkirchen

14. 01. 1888

language Deutsch

Schlagwörter: Magazin für die Literatur des Auslandes Ethnologische Mittheilungen aus Ungarn Kreolistik

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (81-05360). Fünfkirchen, 14. 01. 1888. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10268, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10268.


|1|

Fünfkirchen, Malom-u. 22.
14/I.88.

Hochgeehrter Herr Professor,

Vom Herzen gerne werde ich die gewünschte Recension über den Nachlaß des weil. Frl. Harden so bald als möglich und mit der ganzen Sympathie meines innigsten Mitgefühls schreiben.1 Auch hoffe ich dieselbe beim Magazin (seit vorigem Jahre in Dresden von Kirchbach2 herausgegeben) unterbringen zu können.

Wenn ich Ihnen, sehr geehrter und mit kindlicher Pietät geliebter Herr Professor, seit einigen Monaten kein Lebenszeichen mehr von mir zu geben wagte, so waren daran nur die schlimmen Nachrichten schuld, |2| die mir über Ihr Unwohlsein von Herrn Dietrich3 zugekommen waren und die, leider, auch durch Ihre soeben eingetroffenen Zeilen bestätigt werden.

Auch ich habe während der jüngstvergangenen Zeit viel gelitten und noch mehr gearbeitet, was freilich nur momentane Erleichterung, im Gefolge derselben aber eine um so größere Anspannung hervorzubringen pflegt. Nun scheinen wir aber Beide in dieser Beziehung wenigstens einander zu gleichen und unheilbar zu sein. Mich mag nun dabei der Teufel holen, an mir ist doch nichts verloren; aber Sie, mein teurer und einziger Meister, in dem ich |3| den unvergleichlichen Menschen kennen lernen durfte, der mir sowohl mit seinem Wissen und Können als auch mit seinem Seelenadel wie kein Zweiter imponiert, – Sie müßten Alles aufbieten, um den bösen Tyrann, der Ihre Lebens- und Schaffenslust zeitweilig raubt, loszuwerden. Ein längerer Urlaub und gänzliche Enthaltung von jedweder geistigen Arbeit mit möglichst an-, aber ja nicht aufregender Zerstreuung und allem, was Ihre Nerven stählen könnte, – würde Ihnen vielleicht den erwünschten Heilerfolg doch bringen.

Mich haben in den allerletzten Tagen Hoffnungen diverser Art aus meiner Lethargie etwas aufgerüttelt. Einerseits gaukelt man |4| mir aus Pest vor, mich bald in die Hauptstadt und zwar ins Unterrichts-Ministerium zu berufen. Wollen sehn was daraus wird. Ich hätte ja, so unter uns gesagt, einige Ideen, die gar nicht so übel wären, wenn ihnen nur der nötige Sonnenschein das Aufkeimen etwas erleichtern möchte. Dann ist auch mein Freund Herrmann4 gewöhnlich zur allerrechtesten Zeit bei der Hand, um mir die Hypochondrie und auch die wirklichen Leiden aus dem Kopfe zu schwatzen. Jetzt hat er endlich nach unsäglichem Rennen und Predigen die Sache des Folklore bei uns soweit gebracht, daß am 27. l. M. bereits die Constituirende Vesammlung einer ethnol. Gesellschaft abgehalten werden soll, die mit den schönsten Auspicien ins Leben |5| zu treten verspricht, wie Sie es aus dem anliegenden Aufruf,5 d. h. aus den Unterschriften desselben ersehen werden, wenn Sie sich die Mühe zumuten dürfen, dieselben durchzufliegen. (Ich habe einige Namen darin angestrichen, um Ihnen das Pêle-mêle deutlich vor Augen zu führen, das dieser Teufelskerl zusammenzuharangiren wußte.) Wir haben begründete Hoffnung, den Kronprinzen6 als Protektor unserer Gesellschaft zu gewinnen. Ein nicht unbeträchtlicher Einfluß auf die Akademie ist bereits gesichert, so daß wir nur einiger Jahre mit solchen Fortschritten wie die bisherigen bedürfen, um mit klingendem Spiele dort einzuziehen, wo man uns vor 13 Monaten noch mit verhöhnender Geringschätzung behandelt hatte. |6| Es kann übrigens auch anders kommen und schließlich werden wir auch dann nicht verzagen und weiter schüren, solange man uns nicht geknebelt oder ins Tollhaus gesperrt hat. Manchmal will es mir beinahe so vorkommen, als wenn wir das Letzterwähnte bereits verdient hätten, denn es gehört in der That eine ordentliche Portion „süßen Wahns“ dazu, sein Bischen Leben auf dergleichen Dummheiten zu setzen, wenn man es füglich mit viel Rentablerem, wie Heiraten, Kindererzeugen und spießbürgerlichem Wohlbehagen verbringen könnte. Mir ist wenigstens hier die Versuchung mich nach dieser annehmlichen Seite hin nicht erspart worden.

Gehen Sie nicht allzu streng ins |7| Gericht mit meinem albernen Geschwätz, es war mir aber ein bereits seit lange gefühltes Bedürfnis, Ihnen einige Worte mitzuteilen, weshalb ich Ihnen nicht genug danken kann, daß Sie mit Ihrer freundlichen Zuschrift mich wieder etwas aufgerichtet haben. Möchte doch die allernächste eine erfreuliche Besserung Ihrer mir über Alles teueren Gesundheit bringen!

Dies aus ganzem treuergebenem Herzen wünschend und die besten Empfehlungen meiner durch Ihre freundl. Erinnerung sehr ausgezeichneten Mutter den meinigen hinzufügend,

Ihr dankbarer

Katona

Ich arbeite recht fleißig an dem mir von Ihnen suggerirten Elementar-Buch des Folklore, das zunächst ungarisch erscheinen soll.7

|8|8 Coelho, Os dialectos rom … na Afr., As., Am. (womöglich das Ganze, obwohl mich eigtl. nur der 3. Teil angeht, doch müßte ich in der Einl. auch die ersten zwei berücksichtigen).

Héry-Cerisier, Esq. afr. (wenn nicht etwa von H. Dietrich benötigt!)

Tarinault, Études s. l. l. cr. de Mart.

Audain, Recueil de prov. cr.

Thomas, The th. a. pr. of Cr. gr.

Saint-Quentin, Introd. et Etude …

Hearn (Lafcadio) Gombo Z hèbes

Alcée Fortier, Bits of Louisiana Folklore -----

Wie lautet der volle Titel von Larousse, wo XIV, 652 (nach Gaidoz-Sébillot) über das Kreolische der Seychellen Angaben zu finden? Zu diesem Dial. sollen Sie, Herr Prof., wie meine Notizen besagen, Handschriftliches besitzen. Bitte auch |9| das Werk Ihrer Freunde auf Réunion (glaube ich), das Ihnen zuerst hsr.-lich und dann auch gedruckt zugeschickt worden und dessen Titel mir entfallen.


1 Nicht identifiziert.

2 Wolfgang Kirchbach (1857-1906), deutscher Schriftsteller, Journalist und Illustrator; er gab seit 1888 in Dresden das Magazin für Litteratur des In- und Auslandes heraus.

3 Adolphe Dietrich (1867-?); vgl. HSA 02307.

4 Anton Herrmann (1851-1926), ungar. Ethnologe, lange Zeit Lehrer, 1898 in Klausenburg für Volkskunde habilitiert; gründete 1887 gemeinsam mit Katona und Heinrich Wlislocki die „Ethnologischen Mitteilungen aus Ungarn“, die sich die Erforschung aller Nationalitäten (Volksgruppen) Ungarns zum Ziele gesetzt hatte; vgl. auch HSA 04667-04669.

5 Leider nicht erhalten.

6 Kronprinz Rudolf von Österreich Ungarn (1858-1889).

7 Kein Nachweis.

8 Das diesem Brief hinzugefügte Blatt listet Buchtitel auf, die in den Bereich der Kreolistik fallen. Es gehört vermutlich zu einem anderen Schreiben. Da z. B. das erwähnte Buch von Forier 1888 in Baltimore erschien, dürfte das Blatt aus diesem oder einem späteren Jahre stammen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05360)