Lajos Katona an Hugo Schuchardt (77-05359)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
19. 12. 1887
Deutsch
Schlagwörter: Universitätsbibliothek Graz
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (77-05359). Fünfkirchen, 19. 12. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10264, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10264.
Fünfkirchen, Malom-uteza 22.
19/XII.87.
Hochgeehrter Herr Professor!
Das Teuerste was ich – neben der dankbaren Erinnerung an Ihre grossen Wohlthaten – aus dem lieben Graz mitnahm, war die freundliche und mich über so manches Unerfreuliche hinwegtröstende Zusage Ihrer ferneren Gewogenheit. Wenn ich nun, auf diese mir so ungemein wertvolle Zusicherung bauend, Sie wieder mit einer grossen und sehr gewagten Bitte behellige, so hoffe ich, dass Sie, hochgeehrter Herr Professor, auch für den |2| Fall einer abschlägigen Antwort die Güte haben werden, mich wenigstens dessen zu versichern, dass Sie in meinem grenzenlosen Vertrauen nichts Unstatthaftes erblicken und dass nach so vielen harten Proben auf die ich Ihre nachsichtsvolle Geduld zu stellen genötigt war, ein klein-winziges Restchen derselben mir noch gut-geschrieben bleibt.
Sie haben seinerzeit brieflich und später einmal auch mündlich einer eventuellen Geneigtheit des Herrn Baron v. Andrian1 Erwähnung gethan, die mir bei einer bereits seit Längerem contemplierten und nunmehr allen Ernstes in Angriff genommenen litt. Arbeit sehr zu Statten kommen würde. Ich möchte – bei womöglich |3| auch einige (wenn auch noch so geringe) materielle Entschädigung versprechenden Constellationen – eine lehrreiche und auch für einen weiteren Lesekreis nicht uninteressante Auswahl typischer und charakteristischer ung. Märchen und Schwänke in deutscher Übersetzung, mit einer einleitenden Abhandlung und mit vergleichenden Exkursen, zu Tage fördern,2 die nach meiner Ansicht am besten geeignet wäre die seichten Einwendungen von Leuten wie Dr. G. H.3 & C¬ie auf die objektivste und friedfertigste Weise zu widerlegen. Zu einer unnützen und alles eher denn erbaulichen Balgerei würde ich mich nämlich nicht einmal dann herbeilassen, wenn meine |4| Aktionsfreiheit dem Genannten gegenüber durch keinerlei leidige Nebenumstände beeinträchtigt wäre. Dabei ist mir aber die verketzerte Wahrheit doch zu teuer und meine ehrliche Überzeugung doch zu gut, als dass sie (aus Rücksichten auf Dinge die mit meiner persönlichen Misère wol, mit der Wissenschaft aber glücklicherweise ebenso wenig wie mein ritterlicher Angreifer zu thun haben) – im gegenwärtigen Stadium einer Versumpfung der von mir aufgeworfenen Frage bleiben dürften.
Sollten Sie nun, hochgeehrtester Herr Professor, so gütig sein, dass Sie auf dieses mein Vornehmen in einigen Zeilen ratend und wegweisend reflektieren wollten, – so würden Sie mich |6| mit dem schönsten und wertvollsten Christ- und Neujahrsgeschenke beglücken, das ich mir zu wünschen vermag.
Meinen herzinnigsten Grüsse zum herannahenden Jahreswechsel die meiner Mutter zugesellend, verbleibe ich in unwandelbarer Ergebenheit und tiefster Hochachtung
Ihr dankbarer
LKatona
Seien Sie so gütig, Herrn Prof. Meyer und Herrn Bibliothekar Müller4 meine ehrerbietigen Grüsse und besten Wünsche z. n. J. zu übermitteln. Denken Sie sich das beseligende Hoch- |5| gefühl meines Herzens! Soeben habe ich, kraft meiner hohen Macht und Würde, die erste Klassifikation zusammengestellt und 20% der Gesammtzahl meiner Schüler mit PHARES5 notiert. Hier in Ungarn gibt man nämlich drei Fortgangs-Censuren im Jahre. Ich habe mich übrigens ins Schulmeistern gar nicht so übel und ziemlich rasch hineingefunden und bin einstweilen im Kreise meiner Kollegen weit über meinen Wert geschätzt. Wenn wir nur einigermassen brauchbare Schulbücher hätten! Mit der Zeit werde ich mich vielleicht auf’s Grammatikschmieren verlegen. Entschuldigung für die lange Nachschrift.
LKatona.
1 Ferdinand L. von Andrian-Werburg (1835-1914), österr. Anthropologe; vgl. HSA 001080-00117.
2 Vgl. Katona, „ Ethnographia, ethnologia, folklore “, Ethnographia 1, 1890, 69-87. Die geplante Sammlung ist bibliographisch nicht nachweisbar.Vgl. aber Janos Berze-Nagy, Népmesék Heves-és Jász-Nagykun-Szolnok-megyéből. Jegyzetekkel kisérte Katona Lajos , Budapest: Athenaeum, 1907 [=Volksmärchen aus d. Komitaten Heves und Jazygien-Großkumanien-Szolnok. Mit Anmerkungen von Lajos Katona].
3 Zu Gustav Heinrich vgl. Brief HSA 05358.
4 Alois Müller (1835-1911), Orientalist; Bibliothekar in Graz, seit 1880 Direktor der Universitätsbibliothek Graz; vgl. HSA 07556-075557.
5 Eigentlich: „Leuchttürme“, Bezeichnung für sehr gute Schüler.