Lajos Katona an Hugo Schuchardt (56-05348)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
07. 06. 1887
Deutsch
Schlagwörter: Zeitungen Schuchardt, Hugo (1884) Vinson, Julien (1883) Broca, Paul (1875) Schuchardt, Hugo (1876) Dietrich, Adolphe (1891)
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (56-05348). Graz, 07. 06. 1887. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10242, abgerufen am 09. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10242.
Graz, Heinrichstr. 13.II.
7. Juni 1887.
Hochgeehrter Herr Professor!
Sie haben nun doch alle meine Briefe erhalten, unter anderen auch jenen tätowierten, der in Folge eines postalischen Missgriffes die Reise nach Bayonne zweimal (den 19. und dann am 26. oder 27. Mai) antreten musste. – Am Eingange meiner Antwort auf Ihre lieben Zeilen, seien Sie meines innigsten Dankes für die warme Kundgebung Ihrer herzlichen Anteilnahme an meinen Geschicken versichert. Ich müsste mich fürwahr nicht nur gegen meine Ihnen schuldige Clientenpflicht, sondern auch gegen mein eigenes Interesse gröblich versündigen, wenn ich auch das Geringste ohne Ihr Wissen oder gar im Widerspruch mit Ihrem Willen unternehmen würde. – Ob ich nun für den schönen Beruf eines Pädagogen „nicht gut genug“ |2| - oder wie Sie es mit einem wohlwollenden Euphemismus sagen – „zu gut“ bin: das bleibt sich der traurigen Thatsache gegenüber, dass ich das Zeug dazu entschieden nicht habe, so ziemlich gleich. Schlimmer ist es und wird angesichts eines solchen Bewusstseins nahezu ehrenrührig, dass ich einstweilen trotzdem auf diesen Erwerb als den einzig möglichen angewiesen bin und es solange bleiben muss, bis sich eine sonstige dauernde Verwendung für mich auf irgendeinem Gebiete finden lässt. (Wie wäre es, wenn ich das Glück hätte, in einer öffentl. Bibliothek oder sonstwo in einer ähnlichen Branche eine fixe Anstellung zu bekommen? Das unter Anderem hiezu erforderliche oesterreichische Staatsbürgerrecht wird sich doch nicht allzu schwer erwerben lassen? Wie denken Sie darüber?) Fürs Allernächste bin ich insofern geborgen, als ich für die Ferien wieder zu Pickers nach Bares gehe, [*) einen Teil der von Ihnen mir gütigst zum Gebrauche überlassenen Bücher nehme ich mit Ihrer Erlaubnis mit, der andere soll unter der Obhut meiner Mutter bleiben. Die Ferien beginnen am 15 Juli und dauern bis zum 15 September], wo ich bei |3| freier Station Nichts benötigen werde und demnach mit meiner kleinen Besoldung den bescheidenen Bedürfnissen meiner in Graz verbleibenden Mutter so ziemlich genügen zu können glaube, da diese löbliche Fabrik der öffentlichen Meinung unsrer lieben Murstadt1 unter der Linie sich zumeist mit dem befugten Abdruck mehr oder weniger alten Kohls zu begnügen |4| und höchstens in jeder heiligen Zeit einmal ein Original-Feuilleton gewöhnlich von eminent lokalem Interesse zu bringen pflegt. Damit ist es in meiner Lage auch ziemlich schwer, Novitäten – zumal belletristischen oder solchen, die überhaupt einem grösseren Publikum anzuzeigen wären, habhaft zu werden. Sie eigens zu kaufen, dürfte sich (experto crede Ruperto!)2 kaum als ein rentables Geschäft empfehlen. Immerhin will ich auch hier einen Versuch machen und zwar zunächst, wenn endlich die schrecklich saumselige Gnade des allerhöchsten HERRN meine sonst nichts weniger als ruhmsüchtige Wenigkeit um einen Zoll erhöht – und zum beneidenswerten Gegenstand einer Tagesneuigkeit gemacht haben wird. (Herr Kónyi3 brennt bereits vor Ungeduld bei dieser Gelegenheit die bewährte Feder Józsi‘s4 oder gar seine eigne, für „Egyetértés“, „Nemzet“ und das „Neue Pester Journal“5 in Bewegung zu setzen. Für Reklame wäre also hinreichend gesorgt.) |5| Herr Prof. Meyer dürfte Ihnen zwar die nächsten Tage einmal schreiben; bis dahin lässt er Ihnen durch mich sagen, dass Lubensky dem von ihm seinerzeit betreffs des Slavod. und Slavoit. übermittelten Auftrage unverzüglich nachgekommen ist;6 auch hat derselbe Ihnen die verlangte Volapük-Baskische Grammatik zugehen lassen.7 Bei gleicher Gelegenheit lässt der Herr Prof. Sie bitten ihm das Verzeichnis Ihrer Vorlesungen im nächsten Wintersemester zu schicken.
Es freut mich und mit mir Alle, die Sie hier schwer entbehren, dass Sie in den Pyrenäen eine in jeder Beziehung so günstige Station gefunden haben. Ist Ihr liebenswürdiger Engländer mit der haarsträubenden französischen Aussprache nicht jener Revd W. Webster, dem Vinson sein Folklore du Pays Basque gewidmet hat?8 Wenn so, dann rufen Sie ihm auf meine Bitte ein magyarisches folklore-Heil! zu. Was aber Ihren Hans Sachs betrifft,9 der als Pensionierter oder Emeritierter eigentlich nach Graz ziehen sollte,) – |6| so wünsche ich nur, dass Sie in ihm einen besseren Führer in den Urwald des Baskischen gefunden haben mögen als jener war, der im vorigen Jahre über seine eigene Muttersprache von Ihnen mehr gelernt hat als Sie von ihm lernen konnten. – Wie ist nur die unüberwindliche Abneigung der steinharten Baskenschädel gegen die Anthropologie zu verstehen? Dass Broca’s10 Folgerungen wie alle anderen, die sich zu ausschliesslich auf Schädelmessungen stützen, mancher Korrektur bedürftig sind und einer keineswegs frivolen Skepsis manche angreifbare Stelle weisen, das erlaubte ich mir schon H. Ujfalvy11 gegenüber zu wiederholten Malen zu bemerken. Er ist aber ein zu treuer Diener seines Herrn als dass er selbst durch die beredtesten Thatsachen zu einer anderen Ansicht zu bringen wäre. (Letzthin hat er einen exotischen Roman vom Stapel gelassen; Parsis et Brahmine ist, glaub ich, der Titel desselben und er ist bei Plon erschienen.)12 Um wieder auf das Baskische zurückzukommen, sollten Sie uns |7| noch vor der eigentlichen streng-wissenschaftlichen Ausbeute Ihrer Studien-Reise mit einigen „Baskischen Briefen“ beschenken! (Von den „Keltischen“ sind mir noch keine Korrekturen zugeschickt worden.)13
Ich schreibe heute so recht pêle-mêle und will Ihnen noch getreulich melden, dass ich neulich mit Prof. Pogatscher,14 (er lässt Sie bestens grüssen,) einen sehr angenehmen Abend verbracht habe, wobei es auch nicht ohne eine – allerdings sehr bescheidene, weil meinerseits unter der strengen Controle eines nur zu leicht aufrührerischen Herzens stehende – Libation herging. So ist, wie Sie sehen, auch für meine geringen Erholungs- und Geselligkeitsbedürfnisse hinreichend gesorgt und alles danach ausgethan, mir das Weilen und Wirken in Graz recht angenehm zu machen und auch fürs Weitere nur wünschenswert erscheinen zu lassen. Möchte es mir nur gestattet sein, diesen Wunsch erfüllt zu sehen! |8| Über die Gründe, die den armen lieben Janotta in den Tod getrieben haben, verlautet nichts Bestimmtes. Die Einen sagen, die Langeweile einer gezwungenen Musse; - die Anderen raten auf unbefriedigte Ambition; cherchez la femme, lautet die Weisheit der Meisten –, doch kommen Sie alle nicht über ganz vage Andeutungen hinaus. Die volle Wahrheit wird er wohl mit sich ins Grab genommen haben.
Leben Sie recht wohl, Herr Professor, und seien Sie immer hübsch gesund, bei frohem Sinn und ausdauernder Arbeitslust. Die letztere ist doch die beste Grillenvertreiberei und das echte Universalmittel gegen all die vielen Übel dieses Jammerthales.
Mir aber seien Sie auch ferner gewogen, – mit dieser Bitte zeichne ich
in dankbarer Hochachtung und Ergebenheit als Ihr
treuer
LKatona
Mein Vetter im Kreolischen, Dietrich,15 scheint sich mit seinem enthusiastisch aufgegriffenen Gegenstand bereits brouilliert zu haben. Er hat so viel Anderes zu thun und ist im Übrigen ein kreuzbraver Bursch.
1 Nach dem Fluß „Mur“, der durch Graz fließt.
2 Mittelalterliche Verballhornung des Ovidianischen „crede experto“ („vertrau dem Fachmann“).
3 Manó Kónyi (1842-1917), ungar. Publizist; bekannter Parlamentsstenograph (Landtag); vgl. HSA 05755.
4 Jószef Vészi (1858-1940), bekannter ungar. Journalist.
5 Drei damals angesehene Tageszeitungen.
6 Schuchardt, Dem Herrn Franz von Miklosich zum 20. November 1883. Slawo-deutsches und Slawo-italienisches, Graz: Leuschner & Lubensky, 1884. - Vermutlich geht es um eine Versendung von Exemplaren im Auftrag Schuchardts.
7 Kein Bibliotheksnachweis.
8 Jules Vinson, Le Folk-lore du Pays Basque, Paris 1883 (Littératures, Les Littératures populaires de toutes les nations, Tome 15). Die Widmung lautet: „To the Revd W. Webster, M. A. Oxford, Corr. de la Academia de la Historia, etc.“ und beginnt: „To whom should I present this little work, my dear friend, if not to you, who may rightly claim to be called the creator of basque folk-lore?“ etc.
9 Gemeint ist der Schuster, den Schuchardt in Brief Ms 5067/231 erwähnt: Auguste Etcheverry. Hans Sachs knittelte über sich selbst den Vers: „Der Hans Sachs, der war ein Schuh- / macher und Poet dazu“.
10 Paul Broca (1824-1880), französischer Mediziner und Anthropologe; Verf. von Sur l’origine et la répartition de la langue basque: Basques français et Basques espagnols, Paris 1875.
11 Karl Eugen von Ujfalvy (1842-1904), ungar. Orientalist u. Anthropologe; vgl. HSA B 11999-12001.
12 Das Werk ist 1887 bei Plon unter dem Verfassernamen Carla Maria erschienen. Es handelt sich um eine Zusammensetzung des eigenen und des Vornamens seiner Frau Ujfalvy litt seit 1884 an einer Augenkrankheit und widmete sich seitdem kunsthistorischen Studien und belletristischen Arbeiten.
13 Sollte eine neue Ausg. gemeint sein? „ Keltische Briefe I. II“ erschien 1876 in der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (Augsburg, München), Nr. 185, 250-252.
14 Alois Pogatscher (1852-1935), Grazer Anglist; Kollege Schuchardts.
15 Adolphe Dietrich (1867-?); vgl. HSA 02307. Vgl. seine Diss. Les parlers créoles des Mascaraignes, Paris: Mâcon, 1891 (abgdr. in Romania 20, 217-277. Dazu Doktoratsakt Graz, UA DA 353).