Lajos Katona an Hugo Schuchardt (21-05334)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Budapest

01. 07. 1885

language Deutsch

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (21-05334). Budapest, 01. 07. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10207, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10207.


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B[uda]pest, den 1. Juli 85.

Hochgeehrter Herr Professor!

Krank und verstimmt –, wie ich die nächsten Tage war –, konnte ich Ihr gütiges Schreiben nicht sofort nach Empfang desselben beantworten, was meine schweren Sorgen nur mit einer neuen Befürchtung vermehrte; ich konnte mich des peinlichen Gedankens kaum erwehren, daß mein Schweigen etwa mißverstanden –, den gehässigen Schein undankbarer Gleichgültigkeit auf mein Benehmen werfen wird.

Und auch jetzt, – wo ich mich – körperlich wenigstens etwas leichter fühle, – auch jetzt ist es mir nur mit harter Mühe möglich, die gehörige Ruhe und Fassung zu gewinnen, die mich, auch angesichts meiner traurigen Lage, viel besser als Flennen und Klagen empfehlen könnten.

Mit dem heutigen Tage bin ich auch meines spärlichen Erwerbes bei der Akademie verlustig geworden, weil man mich in den Ferien nicht brauchen kann. |2| Und an Fraknói1 sollte ich mich wenden? Wenn irgendjemand, so muß eben er von meinen kaum erträglichen Verhältnissen die klarste Kenntniß haben; er sah mich ja während 7 Monaten mit der darbenden Noth den hartesten Kampf geduldig und immer hoffend ausfechten, und tröstete mich auch zuweilen mit der Zusage seiner besten Empfehlungen, – sobald sich nur eine Gelegenheit zu selben treffen würde! Wer kann nun dafür, daß sich diese Gelegenheit, trotz seiner ausgebreiteten Beziehungen und einflußreichen Bekanntschaften, auf eine beinahe unbegreifliche Weise bis zum heutigen Tage noch immer nicht zeigen wollte?!

Sie werden mir, hochgeehrter Herr Professor, den herben und ganz trivialen Ausdruck verzeihen, – aber ich muß entschieden ein ganz auserlesener Pechvogel sein, daß ich gerade jetzt, wo doch bei uns alles im besten Schwunge und frischem Aufblühen ist –, gerade in diesen günstigen Tagen |3| allgemein erwachenden Intelligenz-bedürfnisses in meiner Heimat, unter angeborenen und angewöhnten Verhältnissen kein Fortkommen finden kann, ein solches aber auf fremdem Boden suchen muß, wo man mit heimischen Kräften gewiß so wohl versehen ist, daß man meine kaum concurrenzfähigen Kräfte unbeschadet entbehren könnte.

Ihre Güte muß gegen mich wirklich unbegrenzt sein, lieber Herr Professor, daß Sie zur Erklärung meiner Lage nicht zu jener ganz nahe liegenden – und von so manchen meiner hierortigen Gönner als bequem und ausreichend erachteten Supposition greifen wollen, ich selbst wäre an meinem Unglück am meisten schuldig.2 Zuweilen kommt’s mir selber beinahe so vor, als wenn es nicht anders wäre. Ich hab’s ja in fünf Jahren noch zu keinem fertigen Doctorat, noch zu keiner Staatsprüfung gebracht. Sollte ich auch vielleicht einige Kenntnisse haben, – verwerthen kann ich dieselben gewiß nicht; denn das wäre wirklich unbegreiflich, wenn man heutzutage mit Kenntnissen, die |4| doch häufiger Nachfrage gewürdigt werden, nicht einmal sein tägliches Brod (im strengsten Sinne des bescheidenen Wortes) erwerben könnte!

Ich will und darf aber in diesem bitteren Tone nicht fortfahren. Das wäre der schlechteste Dank für Ihre unvergleichlich liebenswürdige Theilnahme und für jenes rastlose Bestreben, womit Sie, hochgeehrter Herr Professor, meiner verzweifelten Unbehülflichkeit sich erbarmend, mir eine Lage verschaffen wollen, die, wenn sie einmal erreicht, – vielleicht doch eine andere Antwort auf die obige Frage noch näher legen wird, als jene, die meine bisherigen erfolglosen Kämpfe ausschließlich meinem eigenen Unvermögen oder meiner Fahrlässigkeit zuschreiben wollte.

Sie haben die Güte zu meinen, ich könnte mich litterarisch verwenden lassen? Und das in deutschen Organen! Aber wie und wo? Wenn mir auch Ihre gewichtige Empfehlung irgendwo einen Eingang erwirken sollte –, wie könnte ich so vermessen sein, der kühnen Hoffnung zu leben, daß ich mich dann Ihrer Empfehlung auch werth erweisen vermöchte! |5| Sie sehen, mein hochgeehrter, unendlich guter Herr, daß ich ganz confus werde, und mir wirklich keinen wenn noch so schwachen Begriff davon machen kann, wie ich vor einem deutschen Publikum mit meinen mangelhaften, von Barbarismen wimmelnden Stil, mit meinen spärlichen und vielleicht nur gar zu einseitigen Kenntnissen debutiren könnte, da ich nicht einmal hier zu Hause, wo wir doch nicht an einem allzu großen embarras de richesse gediegener journalistischer – oder in Zeitschriften solider Art verwendbarer Kräfte leiden, – wenn ich, wie ich sage, nicht einmal hier, wo ich mich doch meiner Muttersprache bedienen könnte, – keinen wenn noch so bescheidenen Raum zur Betätigung finden vermag!

Sollten Sie doch einer anderen Meinung und der wohlwollenden Ansicht sein, daß ich denn doch etwas leisten könnte, so bitte ich Sie, hoch geehrter Herr Professor, mir einen gütigen Wink geben zu wollen, wohin und womit ich meinen bescheidenen Antrag zu stellen hätte, wenn mir Ihre hochherzige Verwendung bereits ein freundliches Entgegenkommen gesichert. - |6| Sie werden aber meiner Faselei nachgerade satt sein, wenn Sie mir auch selbe, in Anbetracht meines angegriffenen Körper und Seelenzustandes, vielleicht verzeihen werden. Die gleiche Nachsicht bitte ich aus dem nämlichen Milderungsgrunde auch auf die abscheuliche Schrift gnädigst ausdehnen zu wollen. Was ich aber vor allem zu erledigen verpflichtet war, das blieb zu allerletzt. Erst heute konnte ich seit Tagen wieder ausgehen, und so ward Ihr werther Auftrag an einen hiesigen Buchhändler erst heute übermittelt.3 Ich wendete mich nach mehrseitiger Nachfrage bei unseren Bücherkäufern, auf ihre einstimmige Empfehlung, an den Universitätsbuchhändler: Friedrich Kilian,4 den ich selbst als den verläßlichsten von unseren nachlässigen Leuten dieser Branche kenne. Die gewünschten Werke sollten – seinem Versprechen gemäß – ungefähr gleichzeitig mit diesen Zeilen an Ihre werthe Adresse gelangen.

Daß ich von Hunfalvy5 in der erwähnten Angelegenheit etwas gesagt haben sollte, ist mir nicht erinnerlich; wenn ich es aber wirklich gesagt, was ich gar nicht bestreiten will |7| so muß entschieden ein Irrthum oder falsches Gerücht dabei mitgespielt haben, denn ich selbst habe nach einer Spur von einer Besprechung Ihres werthvollen Werkes in der U. Revue6 vergebens gefahndet. Ich bitte Sie, Herr Professor, Sie möchten die Güte haben, die ganz unschuldig verbrochene und mir erst jetzt bewußt gewordene Ungenauigkeit gnädigst nach zu sehen.

Mit innigstem Dank für Ihren wohlmeinenden Rath nahm ich den gütigen Wink – betreffend ein Schreiben an den hochwürdigen Gymnasialdirector Maurer7 – entgegen. Sobald mir Herz und Kopf wieder in erwünschter Ruhe – und die Hand etwas sicherer, zum Schreiben eines ersten Briefes und zum Hervorrufen günstigen Eindruckes geeigneter sein wird, sofort will ich mich an den genannten Herrn wenden. Ein sicheres Stück Brodes wäre mir für die nächsten zwei Monate wirklich so dringend nothwendig, daß ich ohne Schrecken und Angst nicht einmal auf den morgenden Tag denken vermag. Und ich bettele doch unablässig um Arbeit. Aber die Thränen versagen mir das weitere zu schreiben. Es ist ein Elend. Nur ein Menschenfreund von Ihrer edlen Herzensgüte wird solch‘ unablässiger Wehklagen nicht überdrüssig.

Ihr hochachtungsvoll ergebenster und dankbarer:

L. Katona.


1 Vilmos Fraknói (1843-1924), ungar. Historiker, seit 1870 Mitgl. der Ungar. Akademie, seit 1872 deren Sekretär, 1879 Titularbischof von Rab; vgl. HSA 03110.

2 Katona war von 1882 bis 1883 im Priesterseminar in Vać gewesen und dann ausgetreten, was seiner „weltlichen“ Karriere vermutlich nicht förderlich war.

3 Möglicherweise Ms. 5067/482: Magyar népköltéry. Sz. és kadják Arany Lásslo és Gyulai Pát. I-III (oder wieviel davon erschienen ist) Pest 1872ff.

4 Friedrich Kilian (1832-1907), Buchhändler in Budapest.

5 Pál Hunfalvy (1810-1896), ungar. Sprachwissenschaftler und Ethnograph; vgl. HSA 04920.

6 Vgl. Brief Ms 5067/219 (26.6.1885).

7 Dr. Ferdinand Maurer, Capitular des Cistercienserstifes Hohenfurt in Böhmen, k.k. Landesschul-Inspector in Niederösterreich.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05334)