Lajos Katona an Hugo Schuchardt (07-05330)

von Lajos Katona

an Hugo Schuchardt

Budapest

28. 03. 1885

language Deutsch

Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (07-05330). Budapest, 28. 03. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10193, abgerufen am 04. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10193.


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Budapest, den 28. März, 85.

Hochgeehrter Herr Professor!

Um meinem Versprechen – sobald als nur möglich – nach zu kommen beeile ich mich, im Anschlusse an meinen vorgestrigen Brief, eines und das andere, was dort vor meinen überströmenden Gefühlen in den Hintergrund gedrängt wurde, – ausführlicher nach zu tragen, vor Allem aber Ihre schätzbare Frage – die Richtung, das Hauptaugenmerk und die geplante Ausdehnung meiner kreolischen Studien alzu beantworten.

Offen und ehrlich eingestanden, bin ich heute noch so ganz in den ersten Anfangsgründen dieser – in ihrer mannigfaltigen Anwendung unversiegbare Quellen des edelsten Genusses verheißenden Disziplin befangen, dass ich mir kaum einen in’s fernere Gebiet schweifenden Blick zu erlauben wagte; so viel will ich aber - durch Ihre herzliche Zuneigung und warme Aneiferung aufgemuntert – unverhohlen eingestehen, dass der erste Implus, der mich zur näheren Betrachtung dieser eigenartigen Erscheinungen führte, eher ein litterarischer war, indem ich in denselben so wohl – wie in allen Offenbarungen der naïven Völkerseele, (So speciell in den einer gefrorenen Litteratursprache so lebensfrisch entgegentretenden Dialekten) stets den psychologisch-pragmatischen Kern suche, den sie einer oft harten, sich schwer erschliessenden Schale gleich – verbergen. Hiebei möchte ich mich nun keineswegs bloss auf das Franz.-Kreolische einschränken, sondern mich successive auch auf die übrigen |2| Hybriden einlassen, sofern dieselben, aus dem eben erwähnten Leitmotiv meiner Untersuchungen betrachtet, etwas bemerkenswertes darbieten sollten. Nur darum machte ich den Anfang gerade mit dem Französischen-Kr., weil ich erstens von allen, den verschiedenen Colonial-Idiomen unterliegenden Grundsprachen, noch der französischen am leidlichsten mächtig bin, und dann meines Erachtens auch hier die reichste Ausbeute zu hoffen steht. Im Weiteren dann, sobald ich nämlich im Spanischen und Portugiesischen die nöthige Fertigkeit besitze (die ich zu erlangen eben eifrig bemüht bin), hoffe ich an der gütig und sicher leitenden Hand Ihrer bahnbrechenden Vorarbeiten auch fernere Striche der negro- und malayo-romanischen Sprachenwelt auf zu suchen, oder auch Ihrem in der Miklosich gewidmeten Festschrift so glänzend vorgeführten Beispiele folgend –, die etwaigen analogen Erscheinungen der nächsten Umgebung in Betracht zu ziehen.

Was nun meinen nächsten Zweck, die ausführliche Kenntniß des franz.-kreolischen Sprachen- und Litteraturschatzes anlangt, so ist freilich die erste und dritte Alternative Ihrer werthen Frage, neben der zweiten, die ich mir wählte, kaum zu beseitigen. So wäre mir vor Allem eine möglichst vollständige Bibliographie des bereits linguistisch oder litterarisch verwertheten Materials unum- |3| gänglich nöthig; eben hier habe ich aber mit den grössten Schwierigkeiten zu ringen. Ich schäme mich wirklich bis „in den grawen Grund“ hinein, aber ich muß es eingestehen, daß mir die wohlbewußte Bibliographie, die Sie, Herr Professor, in der Revue critique (16. avril 1883)1 und H. Gaidoz in der selben Zeitschrift (wann?)2 gaben, noch immer nicht vor Augen kam, da die erwähnte Revue in keiner heimischen Bibliothek auf zu finden ist.

Indem ich nun meinen tiefgefühlten Dank für alle die schönen Sachen, die Sie mir bei wiederholter Gelegenheit zu schicken die außerordentliche Güte hatten, in schlichten aber wahren Worten Ausdruck verleihe, – will ich zugleich auch den sehnlichsten Wunsch meines Herzens diesem innigen Danke beigesellen, der mich den schönen Tag so unglaublich erwarten läßt, an dem es mir vor allem gegönnt sein wird, Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, meine ganze Erkenntlichkeit – vom spröden Zwange einer mir leider noch sehr ungeläufigen Schrift befreit – in unmittelbarer Wärme darzubringen.

Herr Dr. A. Mayr3 läßt für den Civilisadó4 seinen besten Dank sagen, und bittet zugleich um gütigen |4| Aufschluß darüber, ob aus „Cuvente den bătrîni d. i. III. der Istoria limbeĭ române von Hasdeu5 nur die 1. fasciora erschien, die da „linguistica in genere“ enthält und doch schon 1881 herausgegeben wurde. Unserer Universitätsbibliothek sind aber noch keine weiteren fasc. zugekommen, wenn solche – was doch wahrscheinlich ist – seit 81. erschienen sind.

Frau Agai6 lebt also ganz sicher und erfreut sich der besten Gesundheit (wie ich mich davon ipsissimis oculis (um auch ein wenig huszárdiákság7 ein zu streuen) überzeugt habe.

Kommen Sie, hochverehrter und – wenn ich so kühn sprechen darf – vielgeliebter Herr Professor, je eher, damit Sie sich davon überzeugen, daß Ihnen in Ungarn unter vielen Verehrern Ihrer wissenschaftlichen Erfolge auch ein treues Herz entgegenschlägt, das in der günstigen Lage ist, außer dem Glanze Ihres Ruhmes auch die wohlthuende Wärme Ihrer edlen Seele so hoch zu schätzen, als nur ein Armer die Spenden des Reichen zu schätzen vermag.

In dankbarer Hochachtung:
Ihr treu ergebener:

LKatona

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Doctissimo Domino Illustrissimo Hybridologiae Linguisticae Propagatore optimeque de egregia hac disciplina merito

H. Schuchardt

pro libello pretioso qui „Les Bambous“ inscribitur sibi ami- cissime misso, non secus ac pro dedicatione vernaculam suam linguam non minus quam se tali favore haud dignum, honorante

gratias

exiguae quidem virtutis, si acceptorum valore pensentur ast candore non omnino reprobandas agit –

|6| et intimum animi sensum elatis Rabelaesi verbis ad Bernardum Salignacum quondam scri- ptis – nun autem sibi suaeque devotione ad- aptatis fundit8

Budapestini, Anno MDCCCLXXXV. Idibus Mart.

Ludovicus Katona.

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Egregie Domine!

Nil magis mihi in votis est, quam ut ansam arripiam, et occasionem tibi pater mi humanissime, grato aliquo officio indicandi, quo te animo, qua te pietate colerem. Patrem te dixi, …..

te, qui me tibi de facie ignotum, nomine etiam ignobilem sic honorasti, sic castissimis divinae tuae doctrinae uberibus usque aluisti, ut quidquid in ordine valebo commilitonum (quorum tu certe primus es, cum ego nec novissimi loco merear), tibi id uni acceptum ni feram, hominum omnium qui sunt, aut aliis erunt in annis, ingratissimus sim.9


1 Schuchardt, „Bibliographie créole“, Revue critique d’histoire et de littérature 17, 1883, 314-318.

2 Gaidoz, „Note bibliographique sur le créole français“, Revue critique d’histoire et de littérature 12, 1881, 167-170 (Note additionnelle 353-354) u. „Bibliographie créole, note supplémentaire“, ebd. 13, 1882, 453-454.

3 Aurel Mayr (1845-1914), Lehrstuhlinhaber für Indoeuropäische Sprachen in Budapest.

4 Älteste Zeitschrift in Papiamento, ersch. Curaçao: Imprenta di Pueblo, 1871-1875.

5 Bogdan P. Hasdeu, Din istoria limbeĭ române, Bucuresci , Tipografia Academiei Române (Laboratori Români), 1883.

6 Frau von Adolf Ágai (1836-1916), ungar. Arzt und Schriftsteller.

7 „Küchenlatein“.

8 Katona bezieht sich hier auf einen Brief des französischen Renaissance-Autors François Rabelais, den dieser angeblich an den Bordelaiser Gelehrten Bernard Salignac, vermutlich jedoch an Desiderius Erasmus gerichtet hat, in welchem er den Adressaten seinen „geistigen Vater“ nennt (Patrem te dixi, matrem etiam dicerem, si per indulgentiam mihi id tuam liceret). Katona überträgt dies jetzt auf Schuchardt.

9 Freie Übersetzung (FRH) dieses komplexen Satzgefüges: „Ich habe mir nichts anderes gelobt, mein freundlicher Gönner, als Dir zu sagen, wie sehr und mit welch‘ frommen Gesinnung ich dich verehre. Ich nannte Dich Vater, da Du mich Dir völlig Unbekannten und Namenlosen dennoch anerkannt und wie einen Säugling mit Deinem Wissen genährt hast. Ich wäre der undankbarste aller Menschen, wenn ich unter meinen Mitstreitern (deren Anführer Du bist, und unter denen ich noch nicht einmal als der Allerjüngste bezeichnet zu werden verdiene) diese meine Dankesschuld nicht zum Ausdruck brächte“.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05330)