Hugo Schuchardt an Lajos Katona (04-05067_215)
von Hugo Schuchardt
an Lajos Katona
21. 03. 1885
Deutsch
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Lajos Katona (04-05067_215). Graz, 21. 03. 1885. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10190, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10190.
G. 21.3.85
Sehr geehrter Herr
Die Bambous1 begleitete ich mit keinem Schreiben, weil ich leidend war; ich bin es noch, aber die schöne monumentale Danksagung die ich gestern empfing, veranlasst mich nun doch seit 8 Tagen wieder zum ersten Mal die Feder in die Hand zu nehmen. Die alte lateinische Tradition lebt wie Ihre Sendung zeigt,2 noch glänzend in Ungarn fort; aber wie konnten Sie so elegantes Latein an den verschwenden welcher es nur bis zur Kennt- |2| nis des Vulgärlateins gebracht hat. Für den wäre etwas huszárdiákság3 gut genug gewesen.
Schreiben Sie mir doch, in welchem Sinn Sie sich für das Kreolische vornehmlich interessiren (linguistisch, litterarisch, bibliographisch) und ob bloss – diese Frage wiederhole ich – für das französische Kreolisch. Ich kann Ihnen dann besser dienen. Ducoeurjoly’s haïtisches Glossar4 kann ich augenblicklich nicht wegschicken; sobald ich nämlich, was jeden Augenblick sein kann (mein Leiden ist nervöses Frühlingswehen), wieder arbeitsfähig |3| bin, brauche ich ihn. Was Anderes anlangt, so denke ich Solches bei einem Besuche mitzubringen, den ich in allernächster Zeit – wenn es mir meine Gesundheit erlaubt – Budapest abzustatten gedenke. Ich folge hierbei einestheils einem schon alten Zuge meines Herzens im Allgemeinen, insbesondere aber denke ich auch Ihrer Gelehrten, vor Allem Hunfalvy5 und Budenz6, persönlich meine Aufwartung zu bezeigen und womöglich wissenschaftliche Anregungen und Anknüpfungen dort zu finden. Auch von Ihren schönwissenschaftlichen Schriftstellern würde ich sehr gern ein und |4| den andern kennen lernen, wenn sich die mit einem solchen magyarischen A-B-C=schützen wie ich bin (vor einem Monate wusste ich noch nicht wie ich auf ungarisch heisst) einlassen wollen; ich könnte Sie nur darauf vertrösten dass ich Sie später einmal lesen würde. Herrn Ágai7 Redacteur des Borsszem Janko8 lernte ich 1880 in Radegund9 kennen; man sagt mir, seine Frau sei gestorben. Das thäte mir ungemein leid; sie war eine sehr nette gute Frau. Ist es wahr?
Mit mattem Kopf und matter Hand, aber warmem Herzen
Ihr ganz ergebener
HSchuchardt
1 François Marbot, Les Bambous. Fables de La Fontaine travesties en patois créole par un vieux commandeur, Fort de France: Thomas, 1869; 22002.
2 Schuchardt nimmt Bezug auf den lateinischen Schluss von Brief 05328 (Bl. 5-7), der jedoch auf den 15. März 1885 zu datieren ist und hier die Briefnummer 05329A zugewiesen bekommt.
3 „Küchenlatein“.
4 S. J. Ducoeurjoly, Manuel des habitans de Saint-Domingue , Paris: Lenoir, 1803.
5 Pál Hunfalvy (1810-1891), ungar. Sprachwissenschaftler und Ethnograph; vgl. HSA 04915-04919.
6 Joseph Budenz (1836-1892), ungar. Finnougrist; vgl. HSA 01439.
7 Adolf Agái (1836-1916), ungar. Schriftsteller und Mediziner; vgl. HSA 00022-00024.
8 „ A humor publication founded and in its early years edited by Adolf Ágai. (General Research Division, The New York Public Library, Astor, Lenox and Tilden Foundations).“
9 St. Radegund bei Graz.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Bibliothek und Informationszentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, Abteilung für Handschriften und Alte Bücher. (Sig. 05067_215)