Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (221-s.n.)
von Hugo Schuchardt
09. 03. 1912
Deutsch
Schlagwörter: Revue internationale des études basques Baskisch Karras, Ehrhardt Lacombe, Georges Schuchardt, Hugo (1893) Schuchardt, Hugo (1911) Schuchardt, Hugo (1885) Schuchardt, Hugo (1922)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Julio de Urquijo Ybarra (221-s.n.). Graz, 09. 03. 1912. Hrsg. von Bernhard Hurch und Maria José Kerejeta (2007). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1019, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1019.
Graz, 9. März 1912
Sehr geehrter Freund!
Ich bewundere Sie daß Sie sich so in meine Bask. Stud. I hineingearbeitet haben. Es ist das in Folge des Stoffes eine so schwierige Lektüre daß wenn ich, selbst in meiner Muttersprache, eine ähnliche zu erledigen hätte, dies als eine sehr mühselige Arbeit empfinden würde.
Daher kann ich mich nicht darüber beschweren daß bisher niemand diese meine Studien studiert hat. Höchstens darüber daß man ohne meine Ergebnisse zu würdigen, ja ohne sie zu kennen, diese oder jene Ansichten über die baskische Konjugation vorträgt. Ich denke dabei nicht an den armen Blinden der eine wohl unhaltbare Erklärung des -ki- gibt. Nur wundert es mich daß er sich über die Erfordernisse einer derartigen Untersuchung nicht klar ist. Allerdings geschieht es gar zu oft daß man glaubt sprachwissenschaftliche Probleme mit eindringendem Scharfsinn oder genialer Intuition lösen zu können. Diese sind jedenfalls erwünscht, vielleicht unentbehrlich, zu allererst aber |2| handelt es sich um Kenntnisnahme und Prüfung des gesammten zugänglichen Materials. Man kann die baskische Konjugation nicht erklären wollen indem man sich nur auf die Hauptmundarten beschränkt.
Bei meiner Deutung des pluralischen zki kommt es nicht auf den Linguisten, sondern auf den unbewußt und unbefangen die eigene Sprache Redenden an, den ignorante. Nur kann man eben nicht bei ihm von Irrtum reden; er analysiert nicht, er kann es nicht und will es auch nicht — wenn er eine neue Form bildet, so geschieht es auf dem Wege der Analogie.*) Bei allen unseren sprachgeschichtlichen Untersuchungen spielt die Analogie die wichtigste Rolle. Ich will den Fall von -zki- noch an einem Beispiel erläutern.
derra - ki - t, er wird mir gesagt (von ihm)
derra - z - ki - t, sie werden mir gesagt (von ihm)
Z für ( tzi) ist Pluralzeichen; ki Dativzeichen. Es bleibt im zweiten Fall, durch das z gestützt, es schwindet im ersten Fall, zunächst aus rein lautlichem Grunde: das intervokalische k wird zu y: *derrayit, * derrait; diese Form könnte bleiben (vgl. zait er ist mir für * za-ki-t), hier machen sich analogische Einflüsse geltend, auf die ich nicht weiter eingehe:
*) Vergleichen Sie was ich RB (gauntza usw.) p. 459 l. 13ss.1 gesagt habe.
|3|derra - t
derra - z - ki - t wird aufgefaßt als derra- z - ki - t;
weil -t im ersten Falle = "mir" ist, nahm man es auch im zweiten in gleichem Sinne. Schließlich ergab sich die Proportion:
derra-t : | derra-zki-t | = derra : | (derra-zki) |
es wird mir gesagt (von ihm) | sie werden mir gesagt (von ihm) | er wird gesagt (von ihm) | sie werden gesagt (von ihm) |
Es wird gleichsam das t des ersten Verhältnisses in beiden Formen gestrichen.— Ich habe die passivische Grundauffassung durchgeführt weil so die Übereinstimmung mit dem Intransitivum deutlich hervortritt: derrazki wie dato(r)zki.
Meine Auffassung von eduki haben Sie ganz richtig verstanden.
Im Anschluß an das über meine Bask. St. I Gesagte, bemerke ich noch daß auch Trombetti über sie hinweggegangen ist. Obwohl ich zu seinen Verteidigern, ja mit gewissen Einschränkungen zu seinen Bewunderern gehöre (er verdankt den vor Jahren erlangten Königspreis zum Teil mir), möchte ich das doch einmal in der RB u.d.T.: Trombetti und das Baskische zur Sprache bringen.2
|4|Vor allem muß natürlich an den beschleunigten Fortgang der RB gedacht werden.
Wenn Sie in Unterhandlungen mit Karras oder einer andern deutschen Druckerei treten wollen, biete ich Ihnen meine guten Dienste an.
Was unter Elzevir von Ihnen (und Jaurgain) verstanden wird, ist mir nicht klar. Elzevirformat? Die Elzevirtypen unterscheiden sich, wie ich aus dem N. Larousse ersehe, nicht wesentlich von der sonstigen Antiqua (romains).
Bei der Wahl neuer Typen muß vor allem auf das wissenschaftliche Bedürfnis Rücksicht genommen werden, insbesondere auf die Gestalt und Größe der Zeichen ñ, s̃ usw.— Meine Einwendungen gegen Manches der jetzigen Druckerei kennen Sie schon, insbesondere gegen die ?,?, welche leicht mit f, ƒ verwechselt werden können.
Wenn Ihnen Lacombe etwa wegen der Separata geschrieben haben sollte, so liegt dem durchaus kein persönliches Drängen meinerseits zugrunde. Ich meinte nur, und zwar im allgemeinen, daß man die Ausgabe der Separata nicht um einer schönen Ausstattung willen verzögern sollte. Man kann ja Umschläge herstellen lassen die für jeden Sonderabdruck aus der RB passen+). Wie man das immer einrichten möge, die Hauptsache ist daß die Separata gleichzeitig (oder nicht viel später) mit dem betreffenden Hefte selbst ans Licht treten.
Mit herzlichem Gruß
Ihr ergebener
H.Schuchardt
+)(ähnlich wie die der Zeitschr. f. rom. Phil.)
1 H. S. (1911b). Para el concepto de analogía de H. S. v. en especialÜber die Lautgesetze. Gegen die Junggrammatiker. Berlin 1885.
2 Este trabajo no llega a realizarse con este título, sin embargo gran parte de H. S. (1922b)está dedicado a comentar las ideas de Trombetti sobre el vascuence.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Koldo Mitxelena Kulturunea - Liburutegia (Fondo Urquijo). (Sig. s.n.)