Lajos Katona an Hugo Schuchardt (01-05327)
von Lajos Katona
an Hugo Schuchardt
1885-02
Deutsch
Zitiervorschlag: Lajos Katona an Hugo Schuchardt (01-05327). Budapest, 1885-02. Hrsg. von Frank-Rutger Hausmann (2023). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10187, abgerufen am 04. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10187.
[Budapest, Februar 1885]
Sr. Hochwohlgeboren Herrn Professor Hugo Schuchardt in Graz.
Hochgeehrter Herr Professor!
Obwohl nur ein bescheidener Anfänger auf jenem Gebiete der Sprachwissenschaft, wo ein jeder Meilenzeiger der neu gebrochenen Wege Ihren Namen trägt: So verdanke ich bereits Ihren lichtvollen Darstellungen viel mehr der trefflichen Nachweisungen und fördernden Winke in Fragen, so sich auf das specielle Studium der linguistischen Hybridologie beziehen, als daß ich den hohen Werth – wenn auch nur eines Fingerzeiges – von Ihrer Güte erhalten seiner ganzen Bedeutung nach nicht ermessen könnte.
Eine andere, und keineswegs müßige Frage bleibt aber die, ob Sie, hochverehrter Herr Professor, vom hohen Piedestal Ihrer auserlesenen wissenschaftlichen Stellung um Ihres wohlbegründeten Rufes, dem bisher noch nichts weiter als strebsamen Schüler, der Ihnen mit einer vielleicht etwas gewagten Bitte naht, erwünschtes Gehör leisten können, - vom „wollen“ nicht zu reden, denn daran wird es gewiß nicht scheitern, wenn mein Ersuchen Ihrem scharfen, doch gerechten Urtheil des ernsteren Erwägens überhaupt würdig erscheint.
|2| In N° 9. des Literaturblattes für germ. u. rom. Philol. verflossenen Jahrgangs1 erinnere ich mich aus Ihrer Feder eine Recension der Héry’schen „Esquisses africaines“ (neue Ausg. durch Cerisier, 1883) gelesen zu haben,2 wo Sie, Herr Professor, neben anderen werthvollen, die Creolen-Literatur betreffenden Nachweisungen, eines reichen Materials echter (im Gegensatze zur sog. weissen Creole-Dichtung: ursprünglichen), meines Erachtens also dem Begriffe des folk-lore angehörenden Creolen-Lit. gedenken, das Ihnen zu Diensten stand.
Gerade diese urwüchsige Creolen-Lit. fließt mir in allzu kargen Strahlen entgegen, obwohl eben sie mir zu meinen – auf diesem Felde gepflogenen Studien unvermeidlich nöthig wäre, wenn ich überhaupt etwas ersprießliches zu Stande bringen soll.
Was von der Theorie der Sache nur lesenswerthes und irgendwie erreichbares auf zu treiben war, das hätte ich so ziemlich zusammengebracht, und das wäre mir auch – theilweise in den hiesigen Bibliotheken, theilweise durch die Güte des Herrn Prof. Dr. Aurel Mayr, 3 zu einem Theile aber auf meine eigenen Kosten – zugänglich. Texte aber in erwünschtem Maße konnte ich bisher nicht eruiren, |3| obwohl ich manchen, gewiß sehr ausgiebigen Fundgruben auf der Spur bin, so um nur einer zu gedenken, der vor Jahren erschienenen creolischen Wochenzeitung „Le Carillon“, die in drei Viertheilen ihres Umfanges creolischer Sprache und Literatur gewidmet war. Dann lese ich in „Harper’s Weekly“ vom 10. u. 17. Januar des l. Jahrganges das folgende: „… In Trinidad fine collections of creole legends and proverbs have been made, and an excellent grammar of the dialect published; in Martinique hÿmnbooks, paroissiens, and other works are printed in creole; … while several remarkable pamphlets upon the history and construction of the W.-Indian dialects are cited in Parisian catalogues of linguistic publications.“ Einiges soll auch in der Zeitschrift: „L’Abeille de la Nouvelle-Orléans“4 erschienen sein. – Da ich nun außer den Grammatiken von Saint Quentin, Thomas, Baissac und dem kurzen Abriß Lucien Adam’s (Les idiomes négro-aryen et maléo-ar.) und allerdings noch Ihren Kreolischen Studien, Herr Professor, nichts, als einige Aufsätze in Sprachwiss. Zeitschriften (zumeist angeführt bei L. Adam, a. a. O.) kenne, was von Kreolischer Grammatik bisher erschienen ist, so möchte ich zuerst wissen, ob die oben flüchtig erwähnte Grammatik („excellent grammar“) von Trinidad außer |4| den mir bekannten Werken zu suchen ist, oder ob darunter nur „The theory and practice of Creole grammar by J.-J. Thomas. Port-of-Spain, 1869“ zu verstehen, in welchem allerdings das Creolische von Trinidad dargestellt ist.
Meine zweite Bitte richtet sich aber dahin, daß Sie, hochverehrter Herr Professor die Güte haben mögen, darüber Aufschluß zu geben, welche Pariser Cataloge wohl mein eben angeführter Gewährsmann von der new-yorker Harper’schen Wochenzeitung meinen mag, ferner aber, ob in pariser Bibliotheken, und wenn ja, so in welchen am leichtesten creolische Sprachenschätze zu finden wären? Im günstigsten Falle würde ich auch um einige Winke betreffs näherer Bezeichnung derselben ergebenst bitten, damit ich auf dem Wege der ungarischen Akademie mir dieselben zukommen lassen könnte.
Wollen Sie aber Ihre Güte noch weiter ausdehnen, so würden Sie mich, Herr Professor, zum glücklichsten aber auch zum dankbarsten der Menschen machen, wenn Sie mir einige Brosamen jener – Ihnen zu Diensten stehenden – creolischen Specimina (zur größeren Sicherheit des werthvollen wissensch. Materials, vielleicht auf dem Wege der ung. Akademie der Wiss.) zukommen ließen.
Wie immer Ihr werthes Urtheil über das Beachtenswerthe meines Ersuchens lauten wird, – einer Antwort werden Sie wohl den Bittsteller doch nicht ganz unwerth erachten. In dieser Hoffnung bitte ich um gütige Nachricht für die gewagte, ich fürchte sogar zudringliche Offenheit meines Schreibens.5
Mit tiefer Hochachtung Ihr ergebenster:
Ludwig Katona, Official im Sekretariat der Ung. Akad. Budapest
1 Dies liefert für die Abfassung des vorliegenden Briefs die Jahreszahl 1885.
2 Schuchardt, „[Rez. von:] Esquisses africaines. Fables créoles et explorations dans l’intérieur de l'île Bourbon par M. L. Héry, professeur au Lycée. Nouvelle édition“, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 5, 1884, 369-371.
3 Aurel Mayr (1845-1914), Budapester Lehrstuhlinhaber für Indoeurpäische Sprachwissenschaften; vgl. HSA 06900-06902.
4 L’Abeille de la Nouvelle-Orléans / New Orleans Bee , 1827-1923.
5 Schuchardt antwortet freundlich (Ms 5067/214 [2.3.1885]), was auch eine Datierung von Katonas Anschreiben ermöglicht.