Hugo Schuchardt an Julien Vinson (39-HSJV16)

von Hugo Schuchardt

an Julien Vinson

Baden-Baden

24. 08. 1898

language Deutsch

Schlagwörter: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie Kritischer Jahresbericht über die Fortschritte der romanischen Philologie Universitätsbibliothek Grazlanguage Spanischlanguage Georgischlanguage Französischlanguage Baskisch Farinelli, Arturo Vollmöller, Karl Gustav Linschmann, Th. Graz Paris Schuchardt, Hugo (1898) Vinson, Julien (1898) Vinson, Julien (1891–1898) Soroa Lasa, Marcelino (1885) Azkue Aberastur, Resurrección María de (1896) Azkue, Resurrección María de (1896) Lande, Lucien-Louis (1878) Costa, Joaquín (1891–1895) Voltoire, (1642) Schuchardt, Hugo (1895) Imnaišwili, Wahtang (1977) Imnaischwili, Wachtang (2004)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Julien Vinson (39-HSJV16). Baden-Baden, 24. 08. 1898. Hrsg. von Bernhard Hurch (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10118, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10118.


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Baden-Baden
Villa Adolfa 24
Aug. 98. 1

Verehrter Kollege!

Sie haben ganz Recht mit meiner Anzeige des Suppl. in dem Ltbl. nicht ganz zufrieden zu sein2; ich hatte Anlass der Arbeit Farinellis zu gedenken, wollte ihr keinen besondern Artikel widmen und habe einen etwas ungeschickten Uebergang zu ihr gemacht. Ich hoffe sehr dass Sie uns mit einem Ueberblick über die baskische Philologie beschenken werden; wenn ich nicht irre, haben Sie ja Vollmöller für den Jahresbericht der rom. Ph. eine Zusage gemacht,3 und so werden Sie wenigstens über die neuesten Arbeiten Gelegenheit haben sich im Zusammenhang zu äussern.

Anbei schicke ich Ihnen eine kleine Liste von Anmerkungen zu ihrer Bibl. und Suppl.; vielleicht habe ich Manches davon schon früher erwähnt, anderseits habe ich eine Menge von gar zu Unwesentlichem (wie die Akzente im Spanischen) übergangen. Die Fragezeichen bitte ich Sie mir gelegentlich zu beantworten.

Ich habe eine Reihe von Büchern und Artikeln nicht bei Ihnen gefunden, aber allerdings auch nicht jedes an allen den Orten wo es genannt sein könnte, aufgesucht; wie ich in meiner ersten Anzeige schon hervorgehoben habe, ist auch die chronologische Reihenfolge nicht immer ganz strenge eingehalten worden, oder es kommen Irrthümer vor (ist z.B. Soroa’s Alkate-berriya, bei Ihnen 653-70 von 1888 und nicht von 1885?).4 Um von den religiösen Schriften neuesten Datums abzusehen die bei Ihnen nicht alle verzeichnet zu sein scheinen, so vermisse ich z.B. Azkue, Proyecto de Ortografía 18965 und Azkue, Parnasoko bidea 18966. Von älteren Veröffentlichungen: |2|Louis Lande, Basques et Navarrais 1878. The Peninsular Magazine June 1840 p. 165-171: The Basque Literature and Language. Haben Sie grundsätzlich alles aufs Iberische Bezügliche berücksichtigt? J. Costa, Estudios ibéricos 1891-1894 sehe ich nicht.

Die Titelfacsimiles erfüllen zwar ihren Zweck durchaus; aber wäre die Photolithographie nicht dem Motterozschen Verfahren7 vorzuziehen gewesen? Die Buchstaben sind doch öfters etwas unrein herausgekommen, wie ich beim N.T. von 1571 konstatire. Und warum haben Sie denn ein Exemplar gewählt, welches liniirt ist? der, welcher das Original nie gesehen hat, könnte auf den Gedanken kommen dass die Linien nicht von der Feder herrühren, sondern gedruckt sind. Durch eine dieser Linien sind die beiden Punkte von çaquizquiote ganz verdeckt.

Für mich ist alle Bibliophilie nur Mittel zur wissenschaftlichen Forschung. Durch ein Uebermass jener kann diese leicht beeinträchtigt werden. Ich habe Ihnen schon gesagt dass der Vorstand der Wiener Hofbibliothek sich nur ungern entschloss, mir den Voltoire von 1642 nach Graz auf die Universitätsbibliothek zu schicken, ihn mit 1000 fl.! bewerthend. Einige Zeit früher hatte er mir ebendahin die werthvollsten georgischen Hdss., und dazu sehr umfangreiche (jetzt sind sie in meine[m] Besitz; und weder London, noch Paris, noch Petersburg haben etwas Ähnliches aufzuweisen)8 geschickt – diese schätzte er nur auf einige hundert Gulden. Es ist mir wirklich ganz unverständlich wie neuere Bücher bloss weil sie nur in einem oder in wenigen Exemplaren vorhanden sind, im Vergleich zu Hdss., die ebenfalls Unica sind, einen so ausserordentlichen Werth haben. Alles in Allem gerechnet, würde der |3| Wiener Voltoire doch mit 50 fl. hinreichend bezahlt sein.

Wie verdriesslich mir die Angabe bezüglich des Leipziger Exemplars vom N.T. von 1571: S. 523: „très frais, très propre“ ist, habe ich ebenfalls schon erwähnt. Dergleichen Angaben sollten mit der grössten Sorgfalt, nach genauester Prüfung gemacht werden. S. 814, wo es heisst dass das Buch „a été relié deux fois“ wäre der Sachverhalt zu berichtigen gewesen. Das Buch ist vielfach gebraucht worden, hat Schmutz-, Tinten-, Kleisterflecken aller Grösse und Intensität; aber als es neu gebunden wurde, bekam es für die oberflächliche Betrachtung einen leidlich saubern Anschein, etwa wie die gebrauchten Servietten in den Wirthschaften zweiten Ranges, welche nur gepresst anstatt gewaschen werden. Als das Exemplar in Linschmanns Hände gelangte, klebten die Blätter grossentheils zusammen. Die Bibliothekare halten sich aber an die Angaben der Bibliographieen, und lassen sich selten von der Unrichtigkeit derselben überzeugen.

Haben Sie Nachsicht mit diesen Querelen; sie entspringen der Möglichkeit dass meine Interessen gefährdet werden.

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Wegen unseres Druckes werde ich Sie wohl noch um Rath zu bitten haben. Ich denke, wir müssen zwei Bände geben; das N.T. allein wird schon sehr stark werden, da unser Papier viel dicker ist als das Original. Über den Titel sind wir noch nicht im Reinen: Ich hatte daran gedacht, da die Seite klein ist und mancherlei darauf zu kommen hat; zu oberst zu setzen: Leiçarragas Baskische Texte (1571). Dann: Mit Unterst. der kais. Ak. d. W. neu herausgegeben von Th. L. u. H. Sch. Weiter: Band II. Neues Testament Band I. Einleitungen, Katechismus, Kalender. Schliesslich annus et locus.

Mit verbindlichstem Grusse

Ihr ergebenster

HSchuchardt

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S. 7,2. Nicht 67mm 78mm!

7 Lies: bnedicatua

S. 15u „Il est plein de marques, de signes“ u.s.w. Ist darunter Nichts was für den Baskologen interessant wäre. 9

S. 30u Der Titel des obereng. N.T. enthält ein oder zwei Fehler: prais om. Ich besitze selbst ein Exemplar davon. 10

S. 37,6. „Les caractères sont en effet les mêmes que ceux du livre basque de 1571.“ Das kann ich nicht finden (ich habe das N.T. von La Rochelle 1577 bei mir) – wenigstens nicht soweit es sich um den Haupttext handelt; die franz. Typen sind bedeutend kleiner als die baskischen. Die Kursivschrift des Vorworts von 1577 stimmt auch nicht ganz zu der welche in den Marginalien und anderswo von 1571 verwendet worden ist; dort z.B. z, hier, z, z, Z.11 Im franz. J. Jean, im bask. Jaunean u.s.w. neben Iaunean (kursiv). Ein ganz gleiches J finde ich in meinem Katechismus von 1731. Ob man schon im 16. Jhrh. i consonans von i vocalis unterscheiden wollte? Oder ob Liç. auch Jsrael wie Jauna, Jesus, Joseph (105r) geschrieben haben würde? 12

S. 41 3 g. scheint mir nicht hierherzugehören. Das N.T. von 1828 weicht doch gar zu stark von dem von 1571 ab; es ist als eine eigene Uebersetzung zu betrachten. [S. 41]u. πασχ; lies πασα [ en las dos, la primera α con ͂ ].

S. 42ff. Ich glaube nicht dass wenn Majuskelschrift in Minuskelschr. umgesetzt wird, das V als v zu erscheinen hat, vielmehr als u: also ADVERTIMENDVA ( aduertimendua wenn nämlich der betreffende Text das u in der Minuskelschr. so verwendet.

S. 45,12 exercititioa; so?

S. 47u. Was ist mit den Büchern von Zabalburu geworden? Und dabei fällt mir ein, wie steht es mit der Bibliothek des Prinzen L.-L. Bonaparte? Hat sich der 3te Theil von dessen Verbe basque nicht vorgefunden? 13

S. 53ff. Für mein Studium der Sprache Liçarragues ist es ein grosser Mangel dass ich die franz.-bask. Texte, die zwischen ihm und Axular liegen, nicht einsehen kann; bietet nicht z.B. die Sprache Materres noch manches Alter|6|thümliche dar?

S. 53,6 v.u. Euſcal-Herrian; nicht Euʃcal-H.?

S. 56f. S. 59½Ich habe das Wiener Exemplar von 1642 an diesen beiden Stellen verglichen; es sind sehr viel Varianten vorhanden, aber Alle von gar keiner Bedeutung für die Wissenschaft, wie denn diese Voltoires in Schreib- oder Druckfehlern das Unglaubliche leisten.

S. 59. „p. 41-121 vocabulairo“; auf S. 122 steht noch ein Wort des vocabularie: vieux saharra.

S. 65,2 v.u. „vous ait“; lies : „vous donne“.

S. 66mDent.; so, nicht Deut.?

S. 77oTurʃce; so, nicht Turſco?

S. 80u Lies Navarrae Reguminʃignium

S. 81oArchytipographum; so?

S. 83.o Das von mir benutzte, einer öffentlichen Bibliothek gehörige Exemplar hat

f. 37-38 nicht kartonnirt (Basconicá, was ich aber verifiziren müsste)

f. 113-114 kartonnirt

f. 303-304 nicht kart.

f. 407-408 kart. (syncerissimè)

S. 108. Was soll das c in 27.c?

S. 125 Wie kommen die Obſèques de Philippe V hierher?

S. 165 Lies

Chourio Donibaneco

Erretorac,

Capi | pitulu

Baccoitcharen

akhabançan,

Jaun

Plaçan

S. 190.67. Lies: Luárca. - Arzobispo

S. 191.69a. Lies Cristiñau

S. 207 89b Lies: exerçiçio, kongregaçioneko

S. 207.90aJeʃuſen; so?

S. 275 192. — 185 Seiten.

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S. 277 195. laburra; lies: liburua.

S. 281 198 Lies: por F.A. y B.

S. 294 235 Lies: guztíetaraco

S. 305 268. Es wäre interessant zu wissen, wie sehr die Uebersetzung Haraneders durch die beiden lab. Geistlichen bearbeitet worden ist; könnten Sie nicht irgend ein Kapitel aus dem Original veröffentlichen?

S. 306 269. Lies Zaldivia- aco.

S. 309. 281. Lies: 19 p. prél.

S. 311 290 Lies: 392 p.

S. 312 296. Das Angebundene von 1886 zu berücksichtigen!

S. 318 319c. Auf dem Titel des gebundenen Buchs steht 1877.

321. Lies: 5 tabl.

S. 319. 325 Lies: BaztanEchenique

S. 326 346.b Lies. Ebanyelio

S. 331. 368 Lies: 12 p.

S. 341 378 Lies Franzizco

S. 347 402 Lies Franck

S. 358 455 Lies aphezpicuec1875 296 p.

S. 369 496 Lies basque-espagnole

S. 377u Lies 530. 531 statt 529. 530

S. 383. 560 Lies: J. Subirana

S. 389. 589. Lies statt (V) IV, 87 p: 46 p. (Progamm von Ratibor)

S. 401 630 Lies ̒As Fr.

S. 531o Statt anda muss der Text anders lauten, ich weiss augenblicklich nicht wie. – buſcar. – ençinduçe

S. 531mnavarraiss

S. 550. Warum hat Herr Stempf seine Ausgabe der Sprichw. von Oihenart nicht vollenden können? 14

S. 553. ff. In den beiden Gedichten sind eine Menge von f statt ʃ: feculacotz, humiltafunera u.s.w.

S. 571. Warum verschweigen Sie so oft den Namen des gegenwärtigen Besitzers? Dass der Katechismus einst Mahn (und vorher wohl Humboldt) gehörte, habe ich glaub’ ich nur als Vermuthung ausgesprochen.

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S. 599# Lies: Lafontenenetaric

S. 602m Lies: Jaïncozco hautan

S. 609. 358bis Lies. Sebastian

S. 608 Lies: 339 statt 239

S. 612uLe nom rançais

S. 629# Lies: der Kaiserlichen

S. 640 – 653-10o. Lies. laphurdiko

S 641 – 663bis Lies: Tolosa

S. 651 – 702 Lies: biurturiko

S. 654 – 714 Lies: isqabideabatza. – 8 (statt VIII)

S. 657, Z. 11. Lies Larrieu

S. 659, Z. 4. Lies: 107-128

– 741 Lies: animan

S. 660 – 745 Lies: Topolovšek

746.a. Lies: Ó berzas y

747 Lies: des B.Gabelentz Schulenburg (286 II).

S. 663. – 759. Lies (II) p.

S. 666 – 771 Lies 15 p.

S. 669 – 776. Lies Goiri-taŕbizkaino


1 Zusatz von Vinson’s Hand: “rép.”

2 Es geht um Schuchardts (1898) Besprechung des Supplementbandes von Vinson’s (1898) Bibliographie im Literaturblatt für germanische und romanische Philologie.

3 Vollmöller gab ab 1890 das Periodikum Kritischer Jahresbericht über die Fortschritte der romanischen Philologie heraus, eine Sammlung wichtiger Entwicklungen in dem schnell wachsenden Fach.

4 Wohl 1885, so auch das Exemplar in Schuchardts Besitz.

5 R. M. de Azkue (1896).

6 E. M. D. de Azkue (1896); recte: Parnasorako bidea.

7 Chemographisches Verfahren zur Reproduktion von Abbildungen, benannt nach dem frz. Drucker und Verleger Motteroz, der dazu auch ein Werk verfasst hat.

8 In der Tat war Schuchardt im Besitz von welchen der ältesten Handschriften zum Georgischen überhaupt, die älteste davon aus dem 7. Jahrhundert. Wahrscheinlich wurden sie im Katharinenkloster entwendet, denn dort wurden sie noch von Tsagareli ( Schuchardt 1895b) beschrieben. Schuchardt hat sie zu Lebzeiten der Grazer Universitätsbibliothek geschenkt. Diese wurden mehrmals bearbeitet, siehe z.B. Imnaischwili (1977, 2004). Zu ihrem Weg nach Graz vgl. den Briefwechsel Schuchardts mit dem Wiener Bibliotheksdirektor Heinrich Zeissberg HSA 13036-13039 und die zugehörigen Gegenbriefe, auf den hier angespielt wird.

9 Am linken Rand Fragezeichen mit Bleistift, ev. von Vinson.

10 Der Bezug hier ist zu einem rätoromanischen Neuen Testament.

11 Es geht hier wohl um unterschiedliche Schriftarten.

12 Am linken Rand Fragezeichen mit Bleistift, ev. von Vinson.

13 Am linken Rand wiederum ein Fragezeichen mit Bleistift, ev. von Vinson.

14 Am rechten Rand ein Fragezeichen, vermutlich von Vinsons Hand.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia) (Sig. HSJV16)