Hugo Schuchardt an Julien Vinson (30-HSJV12)

von Hugo Schuchardt

an Julien Vinson

Graz

04. 12. 1897

language Deutsch

Schlagwörter: Bibliothèque Nationale de France Universität Graz Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien)language Baskischlanguage Armenisch Linschmann, Th. Leizarraga, Joanes Dodgson, Edward Spencer Bonaparte, Louis Lucien Linschmann, Theodor/Schuchardt, Hugo (1900) Bonaparte, Louis-Lucien (1869)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Julien Vinson (30-HSJV12). Graz, 04. 12. 1897. Hrsg. von Bernhard Hurch (2022). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.10108, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.10108.


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Graz 4 Dez 97.1

Hochgeehrter Herr Kollege

Ich habe ein Exemplar des ersten Bogens2 abwarten wollen, ehe ich Ihnen für Ihren freundlichen Brief dankte. Dasselbe geht Ihnen unter Kreuzband zu; ich bitte Sie um Ihr aufrichtiges Urtheil – wenngleich nun in der Einrichtung nichts mehr zu ändern ist. Ich sehe wie schwer es ist Druckfehler zu vermeiden, besonders wenn man die des |2| Originals wiedergeben will. Linschmann liest die erste Korrektur, ich revidire, indem ich zweimal durchlese. Und so Manches (z.B. ein çe für ce) habe ich erst bei der zweiten Lesung gefunden! Die Marginalien machen besondere Mühe, die Punkte haben eine grosse Neigung zu verschwinden – wir lassen auch die Punkte mit dem Original weg. In Bezug auf Buchstabentrennung bin ich eher zu Koncessionen geneigt, als L.; aber ich folge ih[m] und lasse |3| z.B. b il für bil, obwohl ich dann consequenter Weise noch einige andre Trennungen vornehmen möchte. Die Grenze ist gar zu schwer zu ziehen. Dazu kommen noch einige in unsern Exemplaren (L. hat das Stuttgarter, ich das Leipziger) sich darbietende Ungleichheiten. z.B

S. 8r (zu V, 31) marc. 10.4 bei mir kein Punkt, im Stuttg. Spur eines solchen.

S. 12r (zu VII, 19) Lehẽ. 3.10 bei mir Spur eines Punktes, im Stuttg. fehlt er.

S. 23r (zu XII, 42) 1. chro. 9.1 bei mir kein Punkt, im Stuttg. wohl

Wie verhält es sich damit in Ihrem Exemplar?

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Ein Exemplar ist Ihnen auf jeden Fall schon von mir aus zugedacht. Möglicherweise helfen Sie uns aber bei der Arbeit. Bei der geringen Anzahl der Ausg. des Katechismus wird es schwer sein, eine in unsere Hände zu bekommen – die Bibl. des Arsénal3 leiht, glaub’ ich, gar nichts aus. Wir wollen nämlich Alles von Liç. bringen. Doch davon später eingehender – heute schreibe ich Ihnen in grösster Eile. Dodgson langweilt mich fortwährend; ich möchte ihn ein für alle Mal los sein. Würden Sie sich wohl dazu entschliessen ihm die beiden Blätter als Theile meines Briefes an Sie zu schicken? Vielleicht kurirt ihn das etwas.4

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Dodgson fährt merkwürdigerweise fort mir zu schreiben. Ich habe mit ihm gebrochen und werde ihm nicht antworten. Da er sich aber sicherlich bei Ihnen und bei Andern über mich beklagen wird, so will ich wenigstens Ihnen gegenüber eine klare Darstellung meines Verhältnisses zu D. geben und ich bitte Sie, wenn Sie ihn gelegentlich sehen oder ihm schreiben sollten, davon mitzutheilen was Ihnen gut dünkt.

D. hat die Korrespondenz mit mir gesucht und, trotz meines Widerstrebens, aufrecht erhalten[.] Er hat noch neuerdings an den Rektor unserer Universität geschrieben und sich darüber beschwert dass ich ihm nicht antworte. In einer seiner letzten Zuschriften beschuldigt er mich, ich sei willens gewesen „to use him as a cats paw or to get any advantage out of him that might be possible to me”. Nun, by Jove das ist ein hübscher Sommernachtstraum. Er hat mir seine Sachen geschickt und ich ihm die meinigen. Dann hat er mir dann und wann eine kleine baskische Broschüre modernen Datums geschickt, dafür habe ich ihm gedankt, aber einen wesentlichen Dienst hat er meinen Studien damit nicht geleistet. Glaubt er nun in seiner Korrespondenz mir mehr Belehrung haben zu theil werden lassen als ich ihm? Ich gebe zu dass ich seine Karten und Briefe zum grossen Theil nicht gelesen habe, aus dem einfachen Grunde, weil die Lektüre eines solchen bunten Wirrwarrs aller möglichen Notizen meine Kräfte überstieg. Ich habe ihn dringend |6| gebeten mir doch etwas geordnete und übersichtliche Briefe zu schreiben; er ist nicht darauf eingegangen. Was mich anlangt, so habe ich mich Jahre hindurch bemüht ihn von den Phantastereien zu heilen, mit denen er mir immer wieder gekommen ist, diesen Vergleichungen baskischer Wörter mit armenischen, estnischen u.s.w., diesem Missverstehen eines italienischer oder eines bem portugiesischer Bauern als eines baskischen bai, und sofort [sic] – ich könnte eine sehr lange Liste solcher Notizen geben. Beständig habe ich ihm zugeredet sein unstätes Leben aufzugeben und die Art und Weise seiner Veröffentlichungen zu ändern; nicht immer sich über Andere zu beklagen, sondern auch „den Basken im eigenen Auge zu sehen“. Kurz ich habe ihm, und zwar nur weil er selbst darauf drang, meine Ansicht über ihn und seine Thätigkeit unumwunden ausgesprochen; ich habe, ihm ebenso wie Andern gegenüber, seine grosse praktische Vertrautheit mit dem Baskischen voll und neidlos anerkannt, aber nicht minder seine Fehler ihm vorgehalten, mag es sich nun um seine wissenschaftliche Betrachtungsweise, sei es um sein Verhalten gegen Andere gehandelt haben. Wenn er daraus entnehmen will, dass ich nicht sein Freund gewesen bin, so mag er es. Er spricht so viel von seinen Feinden; frägt er sich wohl ob er sich nicht selbst diese Feinde gemacht hat? Ich bin auch jetzt nicht sein Feind, aber nach dem Streich den er mir gespielt hat, will ich persönlich Nichts mehr mit ihm zu |7| thun haben weil mir das mein eigenes Interesse verbietet. Wenn ich mit L. einen Neudruck von Liç. veranstalte und mir von der Wiener Akademie eine materielle Beihilfe dazu erwirke, so ist das eine Angelegenheit, in die sich kein Andrer einzumengen hat. Ich habe betreffs der Einrichtung der Ausgabe keine Verpflichtung übernommen und kein öffentliches Programm gegeben. Wenn ich auf D.’s Anfrage, ob ich die Druckfehler L.’s reproduziren wolle, bejahend antwortete, so war das eine private Mittheilung, von der ich doch, auch ohne ihn erst um Geheimhaltung zu bitten, nicht erwarten konnte dass er den Gebrauch davon machen würde, den er gemacht hat. Ich will dabei gar nicht untersuchen ob er Recht hat oder nicht (da er nur über den einen Punkt unterrichtet war, nicht über die Anlage des Neudrucks im Allgemeinen, so durfte er sich ja im Grunde ein so allgemeines Urtheil gar nicht erlauben); aber nun auf einer Postkarte! mit einem unglaublichen Pathos seine Ansicht, als ob sie eine unmassgebliche wäre, einer Körperschaft vorzutragen die von Herrn Dodgson nicht das Geringste weiss, und sie zu beschwören den unseligen Plan zu hindern, das ist einerseits der Gipfel der Lächerlichkeit, und anderseits durchaus ungentlemanlike. Er schreibt mir: I am a free man, Sir, and will express my opinions u.s.w. Ja, Sir, Sie |8| sind ein Mann frei von jeder Rücksicht auf Andre! Ich möchte wissen was D. dazu gesagt haben würde wenn er mir ein Manuskript vorgelegt hätte, das er einer Zeitschrift zusenden wollte und ich hätte flugs an die Redaktion geschrieben: Um Gottes willen, drucken Sie das nicht ab, das ist ja lauter Unsinn! Ja, dann hätte er ein Recht gehabt von Feindseligkeit zu sprechen.

Nun hat D. die Naivetät seine Briefschaften von mir zurückzuverlangen; er hat wahrscheinlich in Romanen gelesen, dass bei der Auflösung einer Liaison die Briefe zurückgegeben zu werden pflegen. Ich würde an und für sich darauf eingehen; aber da D. mit meinen Briefen ganz nach Willkür geschaltet, sie z.B. – was doch der allgemeinen Sitte widerspricht – ohne mich um Erlaubnis zu fragen, abgedruckt hat, so will auch ich mich meines Rechtes auf seine Briefe nicht entäussern, in dem Moment da er mir Rache schwört. Ich muss die Mittel in den Händen behalten um falschen Behauptungen seinerseits entgegenzutreten. Er hat die Manie, für sich bei allen möglichen Dingen die Priorität in Anspruch zu nehmen, und er hat mich schon einige Male des Plagiats an seinen mir aufgedrängten Mittheilungen beschuldigt – fälschlich wie ich ihm nachgewiesen habe; während er die Etymologie acheter = archiater, die ich ihm gedruckt zugesendet hatte, später als auf seinem eigenen Mist gewachsen veröffentlichte. Und unglaublich, von meinem Plan, Lic. neu herauszugeben, sagt er: „My scheme has borne fruit in your brain.“ Ich habe schon lange vor 1889 – in diesem Jahre hatte D. die originelle Idee – daran gedacht dass Lic. neu zu drucken wäre, nämlich als mir Bonaparte sein Verbe basque schenkte. Übrigens täuscht sich D. auch in Bezug auf seinen Antheil an der Sache; er hat mir 1893, zwei Jahre später als ich Mitglied der W. Akad. geworden war, geschrieben „Will your Academy do nothing for the publishing of old Basque texts with translation and notes?“ Wenn ich irgend etwas Gutes bei D. finde, so werde ich es citiren, und wenn etwas Unsinniges, gelegentlich darauf aufmerksam machen, ganz so später wie früher; er aber will Alle bitten, meinen Namen in seinen Schriften auszulöschen, as false to me and to Basque (also Dodgson und Baskisch sind identisch!)

Mit besten Grüssen Ihr ganz ergebener
H. Schuchardt.


1 Handschriftlicher Zusatz von Vinson: “rép.”

2 Wie man sieht war der Aufwand der Herstellung des Leiçarraga-Bandes von Linschmann & Schuchardt (1900) so aufwendig, dass bereits Ende 1897 der erste Druckbogen zur Korrektur vorlag. Interessant ist, das Schuchardt auch Vinson in diesen Prozess einbezogen hat.

3 Die Bibliothèque de l'Arsénal ist heute eigenständiger Teil der Bibliothèque nationale de France.

4 Die folgenden Seiten scheinen formal nicht, inhaltlich aber sehr wohl an die ersten 4 Seiten anzuschließen. Unter anderem sind sie jeweils am rechten oberen Eck mit den Zahlen 5 bis 8 nummeriert.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung von: Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia) (Sig. HSJV12)