Phaedr. app. 17 [Zurück zur Übersicht.]
Zitiervorschlag: Phaedrus, Phaedr. app. 17, in: Grazer Repositorium antiker Fabeln, hrsg. v. Ursula Gärtner, Graz 2020.
Permalink: http://gams.uni-graz.at/o:graf.5529.
Zitiervorschlag: Phaedrus, Phaedr. app. 17, in: Grazer Repositorium antiker Fabeln, hrsg. v. Ursula Gärtner, Graz 2020.
Permalink: http://gams.uni-graz.at/o:graf.5529.
Aesop rät seiner Herrin, dass sie auf ihren Schmuck verzichten solle, um einen Mann zu bekommen. Sie denkt, sie solle den Schmuck ablegen; Aesop präzisiert seine Aussage, sie solle damit einen Mann bezahlen. Für die unerwünschte Wahrheit wird er geschlagen. Als die Herrin später ausgeraubt wird, verlangt sie von allen unter Androhung von Peitschenhieben, die Wahrheit zu sagen. Aesop antwortet, dass er bereits Schläge bekommen habe, als er die Wahrheit gesagt hat.
Exposition: 1–4
Szene 1: 5–10
Exposition Szene 2: 11
Actio Szene 2: 12–14
Reactio Szene 2: 15–16
Die Fabel lässt sich nur zum Teil nach dem typischen Fabelschema untergliedern. Die Exposition ist recht ausführlich und anschaulich. Es folgen, eher fabeluntytpisch, zwei Szenen, die zu unterschiedlicher Zeit spielen. Die erste Szene stellt einen dreiteiligen Dialog und dessen Folge dar; die zweite beginnt mit einer eigenen kleinen Exposition, es folgen Actio und Reactio.
Aesop zeigt sich im Sklavendienst als kluger (aliis minare; me non falles, 15) und kritischer (censeo, quidvis efficies, cultum si deposueris, 5–6) Gesprächspartner. Er ist mutig, fürchtet sich nicht, die Wahrheit zu sagen (immo, ni dederis, sponda cessabit tua, 8; flagris sum caesus, verum quia dixi modo, 16) und wird dafür bestraft (obiurgari iussit servum garrulum, 10). Die Herrin wird als turpis femina (v.1) beschrieben, die sich durch Schönheitsmittel (expingendo, 2) um Körperkontakt bemüht (inveniret […] tangeret, 4). Sie ist aufbrausend (at non cessabunt […] latera tua, 9) und bereit, Schläge auszuteilen (obiurgari iussit servum garrulum, 10; et verbera / proponit gravia, verum si non dixerint, 13−14). Die anderen Sklaven werden verdächtigt, eine silberne Armspange gestohlen zu haben (furore plena vocat omnes, 13). Über ihr Verhalten wird nichts gesagt.
turpis kann sowohl hässlich in Bezug auf das äußere Erscheinungsbild bedeuten als auch schändlich im moralischen Sinn. Da es in diesem Text zunächst um das Aussehen der Herrin geht, ist hässlich bei der Übersetzung zu bevorzugen. Dadurch kommt der Witz, dass die Herrin für ein Liebeslager bezahlen müsse, noch besser zur Geltung. Schändlich im moralischen Sinn darf dennoch nicht als falsch gewertet werden, da die Herrin die Wahrheit nicht ertragen kann einen offensichtlich aggressiven Umgang mit ihren Sklaven pflegt.
Mit cultum si deposueris spielt Phaedrus ein zweites Mal mit der Doppeldeutigkeit von Wörtern. Die Herrin versteht unter deponere ‚ablegen‘ und fühlt sich geschmeichelt, weil sie glaubt, dass sie in Aesops Augen ungeschminkt hübscher aussehe. Aesop aber meint ‚abgeben‘ im Sinne von ‚bezahlen‘, was er gleich darauf präzisiert durch dederis (v.8). Sie könne bzw. müsse mit ihrem Schmuck für ein Liebeslager bezahlen. Anhand doppeldeutiger Wörter lässt sich die Wahrheit verschleiern bzw. kann man Menschen absichtlich Dinge missverstehen lassen. In dieser Fabel wirkt Aesop sehr geistreich, da er in gewitzten Sätzen spricht.
Obwohl von den Handschriften einheitlich überliefert, kann cessavit nicht der Originalwortlaut sein. Das Perfekt würde keinen Sinn ergeben. Das Futur cessabit hingegen ist die korrekte Entsprechung zum Parallelfutur im Nebensatz. Deshalb ist der Konjektur Burmans zu folgen. Vermutlich hat ein Abschreiber sich verschrieben.
Hyperbaton: v.1, turpi […] feminae: turpi steht gleich nach Aesop in dem ersten Vers, erst zwei Wörter später kommt feminae. turpi ist in diesem Fall die wichtige Eigenschaft der Frau.
Hyperbaton: v.2, totum […] diem: Die Frau schminkte sich den ganzen Tag, die Betonung liegt hierbei auf der Länge. Sie schminkte sich nicht nur für ein paar Stunden, sondern den ganzen Tag lang.
Hyperbaton: v.8, sponda […] tua: tua steht am Ende des gesamten Verses und bekommt so sehr viel Bedeutung. Dadurch, dass sponda tua gesperrt stehen, wird mehr Aufmerksamkeit erregt.
Hyperbaton: v.9, latera […] tua: tua steht wieder am Ende des gesamten Verses und bekommt so sehr viel Bedeutung. Dadurch, dass latera tua gesperrt stehen, wird mehr Aufmerksamkeit erregt.
Hyperbaton: v.11, armillam […] argenteam: argenteam steht am Ende des Verses und beschreibt die armilla näher. Es war nicht nur irgendein Armreif, es war einer aus Silber!
Alliteration: v.11, post paulo: Die Alliteration post paulo betont, dass es kurz darauf zu dem Diebstahl kam. Es ist sozusagen nicht viel Zeit vergangen, in der sich die Frau beruhigen hätte können bzw. den Vorfall hätte vergessen können. Die Alliteration kann hier als dramatisches Element gesehen werden, da sich die Handlung zuzuspitzen droht.
Parallelismus: vv.8−9, sponda cessabit tua / [...] cessabunt latera […] tua: Hier liegt ein Parallelismus mit gleichzeitigem Chiasmus vor. Das verstärkt den Witz: Ihr Bett ist vielleicht leer, aber seine Seiten werden nicht leer sein!
Assonanz: v. 11, armillam […] argenteam: untermalt den Schmuck und Wert der silbernen Armspange.
Der Witz der Fabel liegt darin, dass Wahrheit und Schläge unterschiedlich in Verbindung gebracht werden. Im ersten Teil wird Aesop durch Schlägen bestraft, weil er die Wahrheit sagte. Im zweiten Teil werden Schläge angedroht, wenn man nicht die Wahrheit sagt. Gleichzeitig geht es dabei um unerwünschte (1. Teil) und erwünschte (2. Teil) Wahrheit. Die Prosaüberschrift erfasst diesen Witz nicht und liefert eine sehr allgemeine Aussage, die auch zu anderen Gedichten passen würde.
Diese Fabel enthält viele komische Elemente, z.B. wenn Aesop der Herrin sagt, dass sie bezahlen müsse, wenn sie gern Gesellschaft hätte (immo, nisi dederis, sponda cessabit tua, 8), oder wenn die Herrin gelungen kontert (at non cessabunt latera tua, 9). Vor allem die doppeldeutigen Wörter turpis (v.1) und deposueris (v.6) erzeugen Komik. Eine Mahnung wird nicht formuliert; man kann sie nur aus der Fabel erschließen: Unerwünschte Wahrheit wird bisweilen bestraft, erwünschte Wahrheit wird bisweilen mit Strafe erpresst.