Phaedr. 1,10 Phaedrus Förderreihe Sparkling Science, BMBWF Ursula Gärtner Herausgeberin Lukas Spielhofer Korrektur fachwissenschaftlich Encoding Alexander Praxmarer Korrektur fachdidaktisch Christopher Poms Korrektur Ulrike Kaliwoda Korrektur Nora Kohlhofer Erarbeitung Grundlage Korrektur Simone Feinig Korrektur Clemens Wurzinger Korrektur Institut für Antike, FB Klassische Philologie, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 Zentrum für Informationsmodellierung, Karl-Franzens-Universität Graz Graz Austria 2017-2019 o:graf.5317 Grazer Repositorium antiker Fabeln (GRaF) Ursula Gärtner Projektleitung Herausgeberin 1st century AD Classical Antiquity Roman Empire Mediterranean Born Digital-Aufarbeitung antiker Textquellen für den Schulunterricht, deren Endprodukt eine wissenschaftliche Schul-Ausgabe, also sozusagen ein wissenschaftlich fundiertes und produziertes, 'digitales Schulbuch' ist. Die Primärtexte sind aus den zitierten Quellen bezogen. Phaedrus Phaedri Augusti Liberti Liber Fabularum. Recensuit A. Guaglianone A. Guaglianone Torino 1969 Phaedri Augusti Liberti Liber Fabularum. Recensuit A. Guaglianone, Torino 1969 Phaedrus The Fabulous Champlin,E. JRS Stuttgart 2005 95 97-123 Champlin, E.: Phaedrus The Fabulous, JRS 95, 2005, 97–123 palam muttire plebeio piaculum est. Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der frühen Kaiserzeit Gärtner, U. Römische Werte und römische Literatur im frühen Prinzipat A. Haltenhoff A. Heil F.-H. Mutschler Berlin New York 2011 (BzA 275) 253-77 Gärtner, U.: palam muttire plebeio piaculum est. Die Fabeln des Phaedrus als literarische Kommunikationsform in der frühen Kaiserzeit, in: Römi¬sche Werte und römische Literatur im frühen Prinzipat, hrsg. v. A. Haltenhoff, A. Heil, F.-H. Mutschler, Berlin/New York 2011 (BzA 275), 253–277 Gärtner, U. Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln München 2015 (Zetemata 149) Gärtner, U.: Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln, München 2015 (Zetemata 149) Aisop. 210 P. Cic. div. 2,146 Diog.Laert. 5,17 Diog.Laert. 6,54 Hier. epist. 6,1 Phaedr. 1,1 Phaedr. 1,13 Iust. Inst. 4,17,1 Dig. 6,1,63 La Fontaine 2,3 Lateinvierjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 5. Semester – Kompetenzmodul 5 Heiteres und Hintergründiges Lateinsechsjährig 6. Klasse (10. Schulstufe), 4. Semester – Kompetenzmodul 4 Witz, Spott, Ironie Lateinsechsjährig 6. Klasse (11. Schulstufe), 4. Semester – Kompetenzmodul 4 Rhetorik, Propaganda, Manipulation Lateinsechsjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 5. Semester – Kompetenzmodul 5 Politik und Gesellschaft Tier-Tier-Fabel Recht/Gerechtigkeit Prozess Anklage Richter Urteil Vertrauen Wahrheit/Lüge Verbrechen Diebstahl Schuld Betrug Gerichtsverhandlung

Das Sparkling-Science-Projekt 'Grazer Repositorium antiker Fabeln' setzt sich zum Ziel, in direkter Einbindung von Partnerschulen, ein wissenschaftlich fundiertes und fachdidaktisch aufbereitetes Textportal zu antiken Fabeln zur Verfügung zu stellen.

longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura Fabel-Text
Graz, Austria German Latin Ancient Greek

Wolf

Fuchs

Affe

Lupus et vulpes vulpis,-is (= vulpes,-is) f.: Fuchs. iudice iudex,-icis m.: Richter. simio simius,-i m.: Affe.
Promythion Quicumque turpi turpis,-e: schändlich, hässlich. fraude fraus, fraudis f.: Betrug. semel semel (Adv.): einmal. innotuit, innotescere 3, innotui: bekannt werden (durch etwas). etiam si verum dicit, amittit fidem. hoc attestatur attestari 1: beweisen. brevis Aesopi fabula.
Exposition lupus arguebat arguere 3, argui (+ Gen. oder Abl.): beweisen, behaupten; hier: verklagen. vulpem furti crimine; negabat negare 1,-avi,-atum: verneinen, leugen. illa se esse culpae proximam. culpae proximus: wörtl.: der Schuld am nächsten; übertragen: schuldig sein. tunc iudex inter illos sedit simius.
Actio uterque uterque, utraque, utrumque: beide. causam cum perorassent perorassent: Kurzform von peroravissent. suam,
Reactio dixisse fertur fertur: NcI, ordne: fertur simius sententiam dixisse. simius sententiam: sententia,-ae f.: Meinung, Urteil, Sinnspruch. „tu non videris perdidisse quod petis; te credo subripuisse surripere 3,-ripui,-reptum: wegnehmen, rauben, stehlen, heimlich entwenden. quod pulchre pulchre (Adv.): schön. negas.“
Der Wolf und der Fuchs mit dem Affen als Richter

Wer auch immer auch nur ein einziges Mal durch einen schimpflichen Betrug bekannt wurde, verliert das Vertrauen, auch wenn er Wahres spricht. Eine kurze Fabel des Aesop beweist dies.

Der Wolf verklagte den Fuchs mit dem Vorwurf des Diebstahls; [5] jener verneinte, dass er schuldig sei. Daraufhin saß der Affe als Richter zwischen jenen.

Als jeder von beiden seine Sichtweise vorgetragen hatte, habe der Affe, wie man sagt, <folgendes> Urteil gesprochen: „Du scheinst nicht das verloren zu haben, was du forderst; [10] und ich glaube, dass du gestohlen hast, was du <so> schön verneinst.“

Paraphrasieren Sie den Ausgangstext!

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Ein Wolf beschuldigt einen Fuchs, er habe ihm etwas entwendet. Der Fuchs leugnet dies. Deshalb sitzt schlussendlich ein Affe als Richter zwischen den beiden, der über den Fall entscheiden soll. Beide halten ihr Plädoyer. Im Anschluss daran spricht der Affe sein Urteil. Er glaubt, der Wolf habe den Gegenstand nicht verloren und der Fuchs habe ihn gestohlen.

Gliedern Sie den Ausgangstext nach dem (typischen) Aufbau einer Fabel! Nennen Sie Gemeinsamkeiten und auffällige Unterschiede!

Promythion: 1-3

Exposition: 4-6

Actio: 7

Reactio: 8-10

Auffällig für den Aufbau dieser Fabel ist das vergleichsweise lange Promythion. Während das Promythion 3 Verse umfasst, besteht die eigentliche Erzählung aus 7 Versen. Ein Epimythion an sich gibt es nicht, vielmehr bildet eine Rede, hier der Urteilsspruch des Affen, den Abschluss, was bei Phaedrus nicht unüblich ist.

Erläutern Sie das Verhältnis zwischen Promythion und der Fabelhandlung! Gehen Sie bei der näheren Beschreibung auch auf den Tempusgebrauch ein!

Wie in Frage 2 festgestellt, ist das Promythion im Vergleich zur restlichen Fabel überdurchschnittlich lang. Im Zentrum des ersten Verses steht der Betrug (fraude), der durch turpi sogar noch verstärkt wird. Der zweite Vers endet mit amittit fidem. Es geht also um Betrüger und ihre Glaubwürdigkeit. Die Aussage, dass der, der auch nur einmal einen Betrug begangen hat, keinen Glauben findet, wird in der Fabel an sich aufgegriffen, denn der Affe glaubt keinem der beiden Kontrahenten. Dort fehlt allerdings gerade der Hinweis auf einen vorausgegangenen Betrug von Wolf und Fuchs. Phaedrus hat wohl darauf verzichtet, da Wolf und Fuchs aus den Fabeln als Betrüger bekannt sind. Spannend an der Erwähnung des Aesop im Promythion ist, dass sein Name erst spät genannt wird. Die Fabel an sich ist auch nicht in den unter Aesops Namen überlieferten Fabeln zu finden. Der Stoff selbst ist aber alt; es ist möglich, dass Phaedrus selbst aus diesem eine Fabel formulierte und sie, um mehr Glaubwürdigkeit zu bewirken, Aesop in den Mund legte. Der Tempusgebrauch in dieser Fabel ist bemerkenswert. Während im Promythion Perfekt/Präsens zur Veranschaulichung der Allgemeingültigkeit der Aussage steht, tritt in der Fabelerzählung während des Prozesses das Imperfekt an die Stelle des Perfekts, was die wiederholte Auseinandersetzung der beiden Parteien beleuchtet. Beim Urteilsspruch des Affen wird wiederum das Perfekt im Infinitiv verwendet, die Einmaligkeit des Urteilsspruchs und der Situation beleuchtet.

Finden und kennzeichnen Sie folgende Stilmittel: Hyperbaton, Alliteration, Chiasmus! Welche Bedeutung haben sie für die Interpretation der Fabel?

Hyperbaton: v.6, iudex […] simius: Die Sperrung deutet an, dass der Affe als Richter auftritt und die beiden Parteien (inter illos, v.6) von ihm sozusagen eingeschlossen werden.

Alliteration: v.8, simius sententiam: Die Zischlaute simulieren wahrscheinlich die Sprache des Affen, was an ein scharfen Urteil denken lässt.

Chiasmus: vv.1–2, fraude […] innotuit […] amittit fidem: Die Verse 1 und 2 sind chiastisch gestellt. In Vers 1 steht zunächst der Betrug (fraude, 1) und darauffolgend das Verb innotuit (v.1). In Vers 2 ist diese Stellung umgekehrt worden: Das Nomen fidem (v.2) folgt auf das Verb amittit (v.2). Durch diesen Chiasmus ist ein enger Zusammenhang zwischen der einstigen Lüge (innotuit, 1, Verb im Perfekt) und dem Fehlen von Glaubwürdigkeit in der jetzigen Situation (amittit, 2, Verb Präsens) spürbar.

Nehmen Sie Stellung zu dem textkritischen Problem in v.4: forti ist in der wichtigen Handschrift P überliefert, furti wurde von einem modernen Herausgeber (Pithou) verbessert. Inwiefern ist die Entscheidung hier bedeutungstragend? Welche Änderung ergibt sich?

Die überlieferte Lesart ist zwar möglich, der Sinn ist jedoch merkwürdig: Der Wolf klagt den Fuchs ‚mit einem tapferen Vorwurf‘ an. Die Verbesserung von Pithou zu furti liefert den für die Fabel wichtigen Anklagepunkt: ‚mit dem Vorwurf des Diebstahls‘. Es ist wahrscheinlich, dass ein Abschreiber statt furti aus Versehen forti schrieb. Es ist daher der Konjektur Pithous zu folgen.

Vergleichen Sie den Ausgangstext mit den Vergleichstexten (Diog. Laert. 5,17; Diog. Laert. 6,54; Cic. div. 2,146; Hier. epist. 6,1)! Wie stehen Diogenes Laertios, Cicero und Hieronymus zur Lüge? Könnten die antiken Vorstellungen zur Lüge das Urteil erklären?

Aus allen Vergleichstexten geht hervor, dass die Lüge generell negativ aufgefasst wird und eine schlechte Charaktereigenschaft des Menschen sei. Spannend ist aber eine zweite Ebene, die besonders in den Texten von Diogenes eröffnet wird, nämlich dass Lügen an sich dem Lügner keinen Vorteil bringt. Lügen drückt der Person selbst den Stempel des Lügens auf, welchen man auch in Folge nicht mehr abwenden kann. Ebenso kann aus den Texten eine bereits allgemeine Redensweise erkannt werden hinsichtlich des Themas „Lügen“: ‚Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“. Diese zwei Bereiche zeigen, dass die Fabel 1,10 vielschichtig zu verstehen ist: So steht die Fabel zum einen als ein Beispiel für die Negativität der Lüge, sie zeigt zum anderen aber auch, dass Lügen keinen Vorteil bringt, denn keine der beiden vor Gericht stehenden Parteien kann schlussendlich ihr Anliegen durchsetzen. Schließlich zeigt die Fabel starke Ironie in der Behandlung dieses Themas: Wäre es eben nicht wichtig, in einem Gericht die Wahrheit herauszufinden und nicht nur beiden nicht zu glauben? Das Urteil hebt sich durch sich selbst auf: Wenn keiner der beiden Recht hat, hat wiederum jeder der beiden Recht.

Charakterisieren Sie die Akteure der Fabel mit Hilfe der Vergleichsstellen (Phaedr. 1,1 und Phaedr. 1,13)! Wie werden die beiden Akteure dargestellt? Welcher Mehrwert lässt sich durch den Vergleich für die Interpretation von 1,10 gewinnen?

Der Wolf wird in 1,1 als hinterlistig dargestellt, der lediglich nach einem Grund sucht, das Lamm verspeisen zu können. Er ist auf seinen Vorteil bedacht, und auch wenn er nach einem Grund sucht, sucht er diesen nur, um seine Absicht, das Lamm zu verspeisen, zu rechtfertigen. Der Fuchs wird als listig und schlau dargestellt, sowohl in 1,10 als auch in 1,13. Es gelingt ihm, obwohl er den Raben an sich nicht erreichen kann, den Käse schlussendlich durch eine geschickte Rede zu bekommen. Die Charakterisierung der Tiere fällt sehr ähnlich zur Charakterisierung in Phaedr. 1,10 aus. Der Wolf war dem Publikum, wenn wir eine Reihung des Buches durch Phaedrus annehmen, bereits durch mehrere Fabeln bekannt, der Fuchs kommt jedoch vor 1,10 in keiner Fabel vor. Trotzdem kann die Listigkeit und Intelligenz als ein allgemeines Charakteristikum des Fuchses in den Fabeln des Phaedrus und Aesop gesehen werden. Durch die Charakterisierung der Akteure könnte das antike Publikum das ‚Urteil‘ des Affen bereits vorausgesehen haben: Beide könnten lügen, und eine Urteilfindung ist daher unmöglich.

Vergleichen Sie den Ausgangstext mit dem Vergleichstext aus der collectio Augustana (Aisop. 210 P. [=226 Hsr.]). Listen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede auf! Welcher Mehrwert lässt sich durch den Vergleich für die Interpretation von 1,10 gewinnen? Gemeinsamkeiten beides Fabeln Wolf als einer der Protagonisten Lügen haben negative Folgen; Lügner verlieren ihre Glaubwürdigkeit Unterschiede Aisop. 210 P.: Prosa, Phaedrus: Versfabel Aisop. 210 P.: Epimythion, Phaedrus: Promythion Aisop. 210. P.: Menschen und Tiere als Akteure, Phaedrus: nur Tiere als Akteure Aisop. 210. P.: -, Phaedrus: Gerichtsprozess Aisop. 210. P.: Fokus auf Lüge, Phaedrus: Fokus auf Betrug

Mehrere Punkte sind hier interessant: Erstens steht bei Aesop die Welt der Menschen direkt im Vordergrund, der Hauptfokus liegt auf dem lügenden Hirtenknaben und den Dorfbewohnern, der Wolf ist sozusagen nur der ‚Auslöser‘. Bei Phaedrus sind der Wolf und der Fuchs neben dem Affen die Protagonisten, die menschliche Ebene wird nicht vorgestellt. Zweitens wird zwar ein ähnlicher Stoff bearbeitet, die negativen Folgen von Lügen, jedoch in gänzlich anderen Fabeln; Phaedrus bringt hier einen Tierprozess, während man in der collectio Augustana eine klassisch-erzählende Fabel vorfindet. Wenn auch die Fabeln der collectio Augustana aus einer späteren Zeit als die Fabeln des Phaedrus stammen, kann vermutet werden, dass Phaedrus einen solchen Stoff vor Augen hatte, während er 1,10 dichtete. Er behielt die Grundaussage, brachte jedoch komische und ironische Elemente in die Fabel mit ein. Drittens sollen die Elemente erwähnt sein, die bei Phaedrus im Vordergrund stehen, bei in der collectio Augustana jedoch nicht vorhanden sind. Während es bei Aesop um die Lüge direkt geht, spielt bei Phaedrus der Betrug (fraude, 1) eine entscheidende Rolle. Es soll wohl der römische Rechtsbereich durch die Verbindung von fraus und dem (Tier-)Prozess aufgerufen werden. Die Erweiterung eines bekannten Fabelthemas durch einen speziellen Bereich aus dem römischen Leben ist für die Fabeln des Phaedrus typisch.

Erörtern Sie, welche Wirkung der Ausgangstext auf ein antikes Publikum gehabt haben könnte. Nehmen Sie dabei auf die Vergleichsstellen (Iust. Inst. 4,17,1 bzw. Dig. 6,1,63) Bezug!

Die Rolle des Affen als Richter wirkt zunächst lächerlich; er geht vom Hören-Sagen aus. Es gibt keine Tatbestandsermittlung und sein ‚Urteil‘ fällt er innerhalb eines Satzes. Dies steht im starken Gegensatz zu den Texten aus dem Corpus Iuris Civilis. Hier werden dem Richter genaue Vorgaben vorgeschrieben, vor allem das genaue Betrachten der Tatsachen und der Angeklagten steht im Fokus. Der Affe tut jedoch nichts von beidem wirklich. Allerdings zeigt perorassent (v.7), dass beide Kontrahenten lange Reden führten. Der Affe lässt also zumindest die beiden Seiten ihre Anliegen ausführlich vortragen. Da beide aber als Betrüger bekannt sind, kann er keiner Seite Glauben schenken. Sein Urteil erweist sich somit einerseits als weise, andererseits als absurd, da beide Seiten somit Unrecht wie Recht haben. Es könnte sein, dass Phaedrus Ereignisse widerspiegeln wollte, die vielleicht an den Gerichtshöfen seiner Zeit passiert sind: Obwohl es bereits ein sehr gutes Rechtssystem gab und ausgebildete, tätige Juristen, sah die Praxis unerfreulich aus; bekannt ist, dass in der Zeit eine regelrechte Prozesswut herrschte, indem sich Kontrahenten mit haltlosen Anschuldigungen überzogen. Phaedrus prangert womöglich diese Tatsachen an. Des Weiteren könnte die Fabel Phaedr. 1,10 als Warnung gelesen werden: Die Menschen sollen es nicht ein einziges Mal wagen zu lügen, ansonsten wird ihnen niemals mehr geglaubt.

Die vorliegende Fabel wurde häufig neu bearbeitet. Vergleichen sie 1,10 mit der Fabel von La Fontaine (2,3) anhand folgender Leitfragen: Sind formale Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Fabel von Phaedrus und La Fontaine zu erkennen? Sind inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Fabel von Phaedrus und La Fontaine zu erkennen? Welchen der Akteure fokussiert La Fontaine besonders? Ist ein Unterschied bei dem Urteilsspruch zu erkennen? Gemeinsamkeiten beide Versfabeln gleiche Akteure in den gleichen Rollen: Affe als Richter, Wolf als Kläger, Fuchs als Angeklagter Unterschiede La Fontaine: -, Phaedrus: Promythion La Fontaine: Genaues Eingehen auf die Entscheidungsfindung des Affen , Phaedrus: Entscheidungsfindung des Affen nicht näher beschrieben

Grundlegend ähneln sich die Fabel des Phaedrus und die von La Fontaine sehr: Der Affe ist Richter und der Wolf klagt den Fuchs an. Auch der Spruch des Richters trifft am Ende beide. Doch geht La Fontaine viel genauer auf die Entscheidungsfindung des Affen und den Affen als Richter an sich ein, die Schwierigkeit des Falles wird ironisch aufgenommen und genau beleuchtet. Hier versucht La Fontaine auch eine Antwort auf die Frage zu geben, warum der Affe denn so entscheidet, während dies bei Phaedrus offenbleibt bzw. nicht genau darauf eingegangen wird. Eine Entsprechung von v.2 bei Phaedrus kann bei La Fontaine nicht gefunden werden, vielmehr wird betont, dass ein Urteil niemals falsch ist, das den Bösewicht verurteilt, und in diesem Fall sind beide die Bösewichte. Ein Unterschied hinsichtlich des Rechtsspruchs ist das direkte Anklagen und Strafen des Wolfs und des Fuchses durch den Affen.