Das Sparkling-Science-Projekt 'Grazer Repositorium antiker Fabeln' setzt sich zum Ziel, in direkter Einbindung von Partnerschulen, ein wissenschaftlich fundiertes und fachdidaktisch aufbereitetes Textportal zu antiken Fabeln zur Verfügung zu stellen.
Wolf
Fuchs
Affe
Wer auch immer auch nur ein einziges Mal durch einen schimpflichen Betrug bekannt wurde, verliert das Vertrauen, auch wenn er Wahres spricht. Eine kurze Fabel des Aesop beweist dies.
Der Wolf verklagte den Fuchs mit dem Vorwurf des Diebstahls; [5] jener verneinte, dass er schuldig sei. Daraufhin saß der Affe als Richter zwischen jenen.
Als jeder von beiden seine Sichtweise vorgetragen hatte, habe der Affe, wie man sagt, <folgendes> Urteil gesprochen: „Du scheinst nicht das verloren zu haben, was du forderst; [10] und ich glaube, dass du gestohlen hast, was du <so> schön verneinst.“
Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht. Ein Wolf beschuldigt einen Fuchs, er habe ihm etwas entwendet. Der Fuchs leugnet dies. Deshalb sitzt schlussendlich ein Affe als Richter zwischen den beiden, der über den Fall entscheiden soll. Beide halten ihr Plädoyer. Im Anschluss daran spricht der Affe sein Urteil. Er glaubt, der Wolf habe den Gegenstand nicht verloren und der Fuchs habe ihn gestohlen.
Promythion: 1-3
Exposition: 4-6
Actio: 7
Reactio: 8-10
Auffällig für den Aufbau dieser Fabel ist das vergleichsweise lange Promythion. Während das Promythion 3 Verse umfasst, besteht die eigentliche Erzählung aus 7 Versen. Ein Epimythion an sich gibt es nicht, vielmehr bildet eine Rede, hier der Urteilsspruch des Affen, den Abschluss, was bei Phaedrus nicht unüblich ist.
Wie in Frage 2 festgestellt, ist
das Promythion im Vergleich zur restlichen Fabel überdurchschnittlich lang. Im
Zentrum des ersten Verses steht der Betrug (
Hyperbaton: v.6,
Alliteration: v.8,
Chiasmus: vv.1–2,
Die überlieferte Lesart ist zwar
möglich, der Sinn ist jedoch merkwürdig: Der Wolf klagt den Fuchs ‚mit einem
tapferen Vorwurf‘ an. Die Verbesserung von Pithou zu
Aus allen Vergleichstexten geht hervor, dass die Lüge generell negativ aufgefasst wird und eine schlechte Charaktereigenschaft des Menschen sei. Spannend ist aber eine zweite Ebene, die besonders in den Texten von Diogenes eröffnet wird, nämlich dass Lügen an sich dem Lügner keinen Vorteil bringt. Lügen drückt der Person selbst den Stempel des Lügens auf, welchen man auch in Folge nicht mehr abwenden kann. Ebenso kann aus den Texten eine bereits allgemeine Redensweise erkannt werden hinsichtlich des Themas „Lügen“: ‚Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“. Diese zwei Bereiche zeigen, dass die Fabel 1,10 vielschichtig zu verstehen ist: So steht die Fabel zum einen als ein Beispiel für die Negativität der Lüge, sie zeigt zum anderen aber auch, dass Lügen keinen Vorteil bringt, denn keine der beiden vor Gericht stehenden Parteien kann schlussendlich ihr Anliegen durchsetzen. Schließlich zeigt die Fabel starke Ironie in der Behandlung dieses Themas: Wäre es eben nicht wichtig, in einem Gericht die Wahrheit herauszufinden und nicht nur beiden nicht zu glauben? Das Urteil hebt sich durch sich selbst auf: Wenn keiner der beiden Recht hat, hat wiederum jeder der beiden Recht.
Der Wolf wird in 1,1 als hinterlistig dargestellt, der lediglich nach einem Grund sucht, das Lamm verspeisen zu können. Er ist auf seinen Vorteil bedacht, und auch wenn er nach einem Grund sucht, sucht er diesen nur, um seine Absicht, das Lamm zu verspeisen, zu rechtfertigen. Der Fuchs wird als listig und schlau dargestellt, sowohl in 1,10 als auch in 1,13. Es gelingt ihm, obwohl er den Raben an sich nicht erreichen kann, den Käse schlussendlich durch eine geschickte Rede zu bekommen. Die Charakterisierung der Tiere fällt sehr ähnlich zur Charakterisierung in Phaedr. 1,10 aus. Der Wolf war dem Publikum, wenn wir eine Reihung des Buches durch Phaedrus annehmen, bereits durch mehrere Fabeln bekannt, der Fuchs kommt jedoch vor 1,10 in keiner Fabel vor. Trotzdem kann die Listigkeit und Intelligenz als ein allgemeines Charakteristikum des Fuchses in den Fabeln des Phaedrus und Aesop gesehen werden. Durch die Charakterisierung der Akteure könnte das antike Publikum das ‚Urteil‘ des Affen bereits vorausgesehen haben: Beide könnten lügen, und eine Urteilfindung ist daher unmöglich.
Mehrere Punkte sind hier
interessant: Erstens steht bei Aesop die Welt der Menschen direkt im Vordergrund,
der Hauptfokus liegt auf dem lügenden Hirtenknaben und den Dorfbewohnern, der Wolf
ist sozusagen nur der ‚Auslöser‘. Bei Phaedrus sind der Wolf und der Fuchs neben dem
Affen die Protagonisten, die menschliche Ebene wird nicht vorgestellt. Zweitens wird
zwar ein ähnlicher Stoff bearbeitet, die negativen Folgen von Lügen, jedoch in
gänzlich anderen Fabeln; Phaedrus bringt hier einen Tierprozess, während man in der
collectio Augustana eine klassisch-erzählende Fabel
vorfindet. Wenn auch die Fabeln der collectio Augustana aus
einer späteren Zeit als die Fabeln des Phaedrus stammen, kann vermutet werden, dass
Phaedrus einen solchen Stoff vor Augen hatte, während er 1,10 dichtete. Er behielt
die Grundaussage, brachte jedoch komische und ironische Elemente in die Fabel mit
ein. Drittens sollen die Elemente erwähnt sein, die bei Phaedrus im Vordergrund
stehen, bei in der collectio Augustana jedoch nicht vorhanden
sind. Während es bei Aesop um die Lüge direkt geht, spielt bei Phaedrus der Betrug
(
Die Rolle des Affen als Richter
wirkt zunächst lächerlich; er geht vom Hören-Sagen aus. Es gibt keine
Tatbestandsermittlung und sein ‚Urteil‘ fällt er innerhalb eines Satzes. Dies steht
im starken Gegensatz zu den Texten aus dem Corpus Iuris Civilis. Hier werden dem
Richter genaue Vorgaben vorgeschrieben, vor allem das genaue Betrachten der
Tatsachen und der Angeklagten steht im Fokus. Der Affe tut jedoch nichts von beidem
wirklich. Allerdings zeigt
Grundlegend ähneln sich die Fabel des Phaedrus und die von La Fontaine sehr: Der Affe ist Richter und der Wolf klagt den Fuchs an. Auch der Spruch des Richters trifft am Ende beide. Doch geht La Fontaine viel genauer auf die Entscheidungsfindung des Affen und den Affen als Richter an sich ein, die Schwierigkeit des Falles wird ironisch aufgenommen und genau beleuchtet. Hier versucht La Fontaine auch eine Antwort auf die Frage zu geben, warum der Affe denn so entscheidet, während dies bei Phaedrus offenbleibt bzw. nicht genau darauf eingegangen wird. Eine Entsprechung von v.2 bei Phaedrus kann bei La Fontaine nicht gefunden werden, vielmehr wird betont, dass ein Urteil niemals falsch ist, das den Bösewicht verurteilt, und in diesem Fall sind beide die Bösewichte. Ein Unterschied hinsichtlich des Rechtsspruchs ist das direkte Anklagen und Strafen des Wolfs und des Fuchses durch den Affen.