Das Sparkling-Science-Projekt 'Grazer Repositorium antiker Fabeln' setzt sich zum Ziel, in direkter Einbindung von Partnerschulen, ein wissenschaftlich fundiertes und fachdidaktisch aufbereitetes Textportal zu antiken Fabeln zur Verfügung zu stellen.
Frosch
Aesop
Iuppiter
Merkur
Als Athen aufgrund gerechter Gesetze in Blüte stand, brachte die unverschämte Freiheit die Bürgerschaft durcheinander und die Willkür löste den früheren Zügel. Nachdem sich die Parteigruppen verschworen hatten, besetzte Peisistratos die Burg. Als die Athener die traurige Knechtschaft beweinten (nicht weil jener grausam war, sondern da er für sie, die ihn überhaupt nicht gewohnt waren, schwer zu ertragen war) und begonnen hatten, die Last zu beklagen, da erzählte Aesop eine solche kleine Fabel:
Die Frösche, die in freien Sümpfen herumschweiften, forderten mit großem Lärm von Iuppiter einen König, der die ausgelassenen Sitten mit Gewalt bändigen sollte.
Der Vater der Götter lachte und gab jenen einen ganz kleinen Balken, der plötzlich [vom Himmel] gesandt durch eine Erschütterung des Tümpels und ein Geräusch die furchtsame Sippe erschreckte. Als dieser versunken im Schlamm länger dalag, streckte zufällig einer stumm seinen Kopf aus dem Sumpf und rief, nachdem er den König erforscht hatte, alle hervor. Jene schwammen um die Wette herbei, da sie ihre Furcht abgelegt hatten, und die freche Schar sprang oben auf das Holz.
Nachdem sie dieses mit aller Schande besudelt hatten, schickten sie [Boten] zu Iuppiter, die einen anderen König erbitten sollten, weil der, der [ihnen] gegeben worden war, ja unnütz sei.
Da schickte dieser jenen eine Wasserschlange, die die einzelnen mit scharfem Zahn zu packen begann. Vergebens flohen die Wehrlosen vor dem Tod. Die Furcht hemmte ihre Stimme.
Also gaben sie heimlich Mercur Aufträge an Iuppiter, dass er den Bedrängten zu Hilfe eile. Darauf entgegnete der Gott:
Darauf entgegnete der Gott: „Weil ihr euer Wohl nicht ertragen wolltet", sprach er, „ertragt nun euer Übel." „Auch ihr, o Bürger,“ sagte er,
„ertragt dieses Übel, auf dass kein größeres komme."
Als sich in Athen die Demokratie aufgrund der Willkür der Bürger auflöst, ergreift Peisistratos die Alleinherrschaft. Die Athener, die eine solche Herrschaft nicht gewohnt sind, beginnen zu klagen; da tritt Aesop vor die Bürgerschaft und erzählt eine Fabel, die von Fröschen in Freiheit handelt, die sich von Iuppiter einen König wünschen, der ihre Verwahrlosung bändigen soll. Als er ihnen einen kleinen Holzbalken vom Himmel sendet, werden sie bald unzufrieden, weil der König unnütz sei. Schließlich schickt Jupiter eine Wasserschlange, die die Frösche aufzufressen beginnt. Eine erneute Bitte um Hilfe in der Not weist der Göttervater schroff zurück: Da sie zuvor unzufrieden gewesen seien, wo es ihnen doch gut gegangen sei, sollten sie nun das Übel ertragen. Aesop schärft den Athenern ein, dass sie das kleinere Übel ertragen sollen, um ein größeres Übel zu verhindern.
Rahmen: 1–9
Actio 1: 10–12
Reactio 1: 13–20
Actio 2: 21–23
Reactio 2: 24-26
Actio 3: 27-28a
Reactio 3: 28b-30a
Rahmen/Epimythion: 30b-31
Besonders auffällig ist die Einbettung der Fabel in eine historische Rahmenerzählung, was als untypisch für den Aufbau einer Fabel angesehen werden darf. Kunstvoll ist die dreimalige Abfolge von Actio und Reactio in der von Aesop erzählten Fabel. Ferner fehlen Pro- und Epimythion in der Fabel; erst im Rahmen folgt ein Epimythion aus dem Munde Aesops als Mahnung an die Athener. Somit übernimmt Aesops Schlusswort die Funktion des Epimythions: Der Rahmen zeigt uns, welche Funktion sonst ein Epimythion übernehmen kann; da die vorliegende Fabel in einen Kontext gebettet ist, ist ein Epimythion nicht notwendig, da eine Figur in der Erzählung die Deutung übernimmt.
Hyperbaton: v.31,
Es scheint naheliegend, dass das
Hyperbaton die Klimax
Parallelismus: vv.25-26
Dem Leser wird das Grauen der Szene kurz und knapp dargestellt. Beide Sätze sind parallel gebaut.
Enjambement: vv.25-26
Der erste der beiden parallel gebauten Sätze erfährt durch das Enjambement einen Einschnitt, durch den wahrscheinlich das Chaos der Situation und der ungeordneten Flucht der Frösche verdeutlich werden soll: Dadurch wird klar, dass es kein Entrinnen gibt.
Alliteration (2x): vv.25-26,
Das Grauen der Szene wird durch die Alliterationen noch verstärkt.
Codex Pithoeanus (P)
bezeugt. Da der
Codex Remensis (R)
verbrannt ist, kann man ihn lediglich aus Zusammenstellungen rekonstruieren. Doch für
diese Stelle finden sich dort zwei Lesarten:
Dionysius Roche
(Ro)
und
Gudius (Gu)
finden.
P
und
Ro
belegte Lesart die bessere.
Die Fabel in der collectio Augustana
weist formal wenig Gemeinsamkeiten mit der Fabel bei Phaedrus auf: Sie besitzt keinen
Rahmen, sondern nur eine knappe Exposition. Das Epimythion in der collectio Augustana
ist eine recht simple Feststellung und besagt, dass es besser sei, einen trägen
Herrscher zu ertragen als einen grausamen. Anders ist es dagegen bei Phaedrus: Hier
wird vermittelt, dass es besser sei, das
Bei der Fabel 179 P. (=190 Hsr.) fällt der ähnliche Aufbau mit einer dreimaligen Abfolge von Actio und Reactio auf. Inhaltlich ähneln sich die beiden Fabeln, da sowohl die Frösche als auch der Esel aus Unzufriedenheit über ihre Situation zu Iuppiter/Zeus beten, ihre Situation aber dadurch verschlechtern. Die Fabel der collectio Augustana besitzt jedoch keine Rahmenerzählung. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Fabeln durch die Akteure; allein Iuppiter/Zeus kommt beide Male vor. Ferner wird im Epimythion von 179 P. (=190 Hsr.) erklärt, dass der Esel, der sein Schicksal durch sein eigenes Tun verschlechtert hat, die Situation von Dienern abbildet, die wieder zu ihren früheren Herrn zurück wollen, wenn es ihnen bei ihren neuen schlechter geht.
Eine vergleichbare Anekdote begegnet dem Leser auch bei Valerius Maximus. Die Gemeinsamkeiten mit der Phaedrusfabel beschränken sich nicht nur auf wörtliche Anklänge, sondern auch die dreiteilige Klimax, die bei Valerius aufscheint, findet sich bei Phaedrus. Außerdem stellt die Abfolge von Herrschern, von denen jeder eine Verschlechterung der Situation der Untertanen mit sich bringt, eine inhaltliche Parallele dar. Ansonsten sind die Unterschiede offensichtlich: Bei Valerius Maximus ist dem Leser eine anekdotenhafte Erzählung überliefert, keine Fabel. Dementsprechend sind die Akteure bei Valerius Menschen. Iuppiter wird zwar angerufen, handelt aber nicht.
Man darf festhalten, dass allein Phaedrus eine Rahmenerzählung, die sich historisch gibt, mit einer Fabel zusammenführt. Diese ist nicht nur sehr kunstvoll gebaut, sondern beinhaltet auch eine sehr raffiniert ausgeführte Darstellung des Geschehens, die über die Vergleichsstellen in vielen Details und in der Anschaulichkeit hinausgeht. Die Parallelen dieser historischen Rahmenerzählung mit der Anekdote bei Valerius lassen erkennen, dass das Bild einer Abfolge von immer schlechteren Herrschern dem Publikum des Phaedrus wohl vertraut war. Durch den Vergleich mit den beiden Fabeln aus der collectio Augustana wird deutlich, dass Phaedrus durch die Kombination eines historischen Rahmens mit wohl bekanntem Fabelstoff, den er originell gestaltet, etwas Neues schafft.
Diese These ist deshalb problematisch, da weder die Athener noch die Frösche prinzipiell dagegen sind, beherrscht zu werden. Die Frösche fordern sogar ausdrücklich lautstark einen König (vv.11–12) und die Athener sind Peisistratos nur nicht gewohnt (vv.7–8). Allein die Art und Weise erregt ihr Missfallen. Außerdem predigt Aesop nicht bloß Anpassung, sondern appelliert an die Bürger, dass sie ihre Situation nicht durch eigenes Handeln verschlechtern sollen (vv.30b–31).
Die Athener fordern keinen König, Peisistratos besetzt einfach die Burg (v.5); die Frösche tun dies sogar lautstark (v.11). Die Athener beginnen zu klagen, weil die Herrschaft des Peisistratos für sie beschwerlich ist (vv.7–8), die Frösche werden unverschämt und entwürdigen den Holzbalken (vv.20–21). Der Holzbalken ist kein Übel an sich; erst kann er die Frösche im Zaum halten, da sie das Aufklatschen erschrickt (vv.14–15), dann aber erfüllt er seine Funktion nicht mehr, da die Angst nachlässt (v.19). Die Beobachtungen von Gärtner und Zwierlein legen nahe, dass die Diskrepanz zwischen Fabelteil und Rahmen dem Dichter keineswegs ‚passiert‘ ist, sondern ganz bewusst so gestaltet wurde. Man sollte sich also davor hüten, literarische Texte als ‚misslungen‘ o.ä. zu beurteilen, nur weil manches den Leser irritiert. Wie am Beispiel dieser Fabel deutlich wird, kann die Erklärung solcher ‚Unstimmigkeiten‘ wesentlich für die Interpretation sein. Wenn man sie aber als bloße ‚Fehlleistungen‘ des Dichters abtut, besteht die Gefahr, dass eine Bedeutungsebene des Textes keine Beachtung findet.
Aesop tritt vor die klagende Bürgerschaft Athens und erzählt eine Fabel über Frösche, die einen König fordern. Am Ende steht sein Appell, dass die Athener ihre Situation nicht durch ihr eigenes Zutun verschlechtern und Peisistratos ertragen lernen sollen. Diese These kann überzeugen, da der Dichter Aesop als den Fabelerzähler schlechthin darstellt. Er tut dies beispielsweise im Prolog zum ersten Buch (vgl. Phaedr. prol. 1,1–2). Wenn er dann Aesop in seinen Gedichten auftreten lässt, erwartet der Leser bereits, dass er dies in seiner üblichen Funktion tun wird – als Fabelerzähler, der durch eine auf die Situation abgestimmte Fabel Rat erteilt. In 1,2 entsprechen Rahmen und Fabel einander aber nicht zu hundert Prozent. Deshalb ist es gerechtfertigt, zu sagen, dass mit der Erwartung des Lesers gespielt wird.
Der Dichter könnte dadurch einen möglichen Anwendungsbereich für die Fabel darstellen: die Politik. Dann wäre die Fabel ein Überzeugungsmittel. Bei 1,2 liegt aber eine Fabel in einer Fabel vor. Weil von Aesop eine Fabel erzählt wird, die einen konkreten politischen Zustand aufgreift, kann man sich als Leser fragen, welchen zeitgenössischen politischen Zustand Phaedrus in seinem Gedicht thematisiert. Diese Frage ist aber auf Basis des Textes nicht zu beantworten und bleibt offen.
In der zweiten und in der vorletzten Fabel des ersten Buches geht es um Frösche. Daher scheint es naheliegend, dass 1,2 mit 1,30 einen Rahmen bildet. Diese Art der Gesamtkomposition eines Buches kennen wir etwa von Horazens Oden und man kann davon ausgehen, dass sie auch dem antiken Publikum vertraut war. Da offenbleibt, worauf im römischen Kontext nun bonum, malum und maius malum zu beziehen sind, könnte der Dichter den Leser darauf vorbereiten, dass auch die folgenden Fabeln nur dann nützlichen Rat für sein Leben beinhalten, wenn er bereit ist, den in der Fabel dargestellten Sachverhalt zu verallgemeinern und auf eine konkrete Situation in seinem Leben anzuwenden. Die beiden Thesen können somit erklären, warum diese Fabel innerhalb des ersten Buches an eben dieser Stelle steht. Es muss allerdings beachtet werden, dass die Reihenfolge der Fabeln wegen der schlechten Überlieferung nicht sicher ist.