Phaedr. 1,02 Phaedrus Förderreihe Sparkling Science, BMBWF Ursula Gärtner Herausgeberin Lukas Spielhofer wissenschaftliche Auf-/Nachbereitung Encoding Sarah Lang Encoding Lukas Werzer fachdidaktische Auf-/Nachbereitung Nora Kohlhofer Arbeitsgrundlage Ersterarbeitung Ulrike Kaliwoda-Bauer Korrektur Akademisches Gymnasium Erarbeiten der Aufbereitung der Textstelle Institut für Antike, FB Klassische Philologie, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 Zentrum für Informationsmodellierung, Karl-Franzens-Universität Graz Graz Austria 2017-2019 o:graf.2788 Grazer Repositorium antiker Fabeln (GRaF) Ursula Gärtner Projektleitung Herausgeberin 1st century AD Classical Antiquity Roman Empire Mediterranean Born Digital-Aufarbeitung antiker Textquellen für den Schulunterricht, deren Endprodukt eine wissenschaftliche Schul-Ausgabe, also sozusagen ein wissenschaftlich fundiertes und produziertes, 'digitales Schulbuch' ist. Die Primärtexte sind aus den zitierten Quellen bezogen. Phaedrus Phaedri Augusti liberti liber fabularum. Recensuit A. Guaglianone A. Guaglianone Torino 1969 Phaedri Augusti Liberti Liber Fabularum. Recensuit A. Guaglianone, Torino 1969 Las ranas pidiendo rey. Origen y evolución de una fábula política Adrados, F.R. Emerita 52 1984 25-32 Adrados, F.R.: „Las ranas pidiendo rey“. Origen y evolución de una fábula política, Emerita 52, 1984, 25–32 Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln Gärtner, U. München 2015 (Zetemata 149) Gärtner, U.: Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln, München 2015 (Zetemata 149) Die antike Fabel. Eine Einführung Holzberg, N. Darmstadt 2012 Holzberg, N.: Die antike Fabel. Eine Einführung, Darmstadt 2012 Art. Peisistratos [4] Kinzl, K. DNP Stuttgart/Weimar 2000 483-484 Kinzl, K.: Art. Peisistratos [4], in: DNP, Bd. 9, Stuttgart/Weimar 2000, 483–484 Fedro. Un poeta tra favola e realtà. Antologia a cura di M.J. Luzzatto. Con un saggio di L. Mondo Luzzatto, M.J. Torino 1976 Luzzatto, M.J.: Fedro. Un poeta tra favola e realtà. Antologia a cura di M.J. Luzzatto. Con un saggio di L. Mondo, Torino 1976 (Civilità letteraria di Grecia e di Roma. Autori. Serie latina 37) Phaedrus-Kommentar. Mit 18 Abbildungen Oberg, E. Stuttgart 2000 Oberg, E.: Phaedrus-Kommentar. Mit 18 Abbildungen, Stuttgart 2000 Jupiter und die Frösche Zwierlein, O. Hermes 117 1989 182-191 Zwierlein, O.: Jupiter und die Frösche, Hermes 117, 1989, 182–191 Aisop. 179 P. Aisop. 44 P. Val.Max. 6,2(ext),2 Lateinvierjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 5. Semester – Kompetenzmodul 5 Heiteres und Hintergründiges Lateinvierjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 6. Semester – Kompetenzmodul 6 Der Mensch in seinem Alltag Lateinvierjährig 8. Klasse (12. Schulstufe), 7. Semester – Kompetenzmodul 7 Formen der Lebensbewältigung Lateinsechsjährig 6. Klasse (10. Schulstufe), 4. Semester – Kompetenzmodul 4 Witz, Spott, Ironie Lateinsechsjährig 6. Klasse (10. Schulstufe), 4. Semester – Kompetenzmodul 4 Rhetorik, Propaganda, Manipulation Lateinsechsjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 5. Semester – Kompetenzmodul 5 Politik und Gesellschaft Lateinsechsjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 6. Semester – Kompetenzmodul 6 Der Mensch in seinem Alltag Lateinsechsjährig 8. Klasse (12. Schulstufe), 7. Semester – Kompetenzmodul 7 Suche nach Sinn und Glück Tier-Gott-Fabel Staat/Politik Herrschaft Götter Machtverhältnis

Das Sparkling-Science-Projekt 'Grazer Repositorium antiker Fabeln' setzt sich zum Ziel, in direkter Einbindung von Partnerschulen, ein wissenschaftlich fundiertes und fachdidaktisch aufbereitetes Textportal zu antiken Fabeln zur Verfügung zu stellen.

longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura Fabel-Text
Graz, Austria German Latin Ancient Greek

Frosch

Aesop

Iuppiter

Merkur

Phaedr. 1,2
Ranae rana,-ae f.: Frosch. regem petierunt petierunt: Kurzform von petiverunt. .
Rahmen Athenae cum florerent florere 2, florui: blühen, in Blüte stehen. aequis aequus 3: gleich; hier: gerecht. legibus, procax procax,-cis: frech, unverschämt. libertas civitatem miscuit miscere 2, miscui, mixtum: durcheinanderbringen. frenumque frenum,-i n.: Zügel, Band. solvit pristinum pristinus 3: alt, früher. licentia licentia,-ae f.: Zügellosigkeit, Willkür. . hic conspiratis conspirari 1, conspiratus sum: sich verschwören. factionum factio,-onis f.: Parteiung. partibus pars,-tis f.: Teil; hier: Partei, Gruppierung. arcem arx,-cis f.: Burg; gemeint ist die Akropolis (Kinzl 2000, 483–484). tyrannus occupat Pisistratus Pisistratus,-i m.: Peisistratos, ein Athener von höchstem Adel, geb. um 600 v.Chr., gest. Anfang 527 v.Chr.; er besetzte ca. 561 v.Chr. die Akropolis in Athen. Nach einigem Hin und Her ging Peisistratos 10 Jahre ins Exil und konnte schließlich 546 v.Chr. mit Gewalt eine Tyrannis etablieren. Die letzten zwei Jahrzehnte seiner Regierung gelten als Blütezeit Athens (Kinzl 2000, 483–484). . cum tristem servitutem flerent flere 2, flevi, fletum (+ Akk.): beweinen. Attici Attici,-orum m.: Bewohner Attikas; hier: Athener. , (non quia crudelis ille, sed quoniam gravis gravis,-e: schwer; hier: schwer zu ertragen. omnino omnino (Adv.): gänzlich. insuetis), onus et coepissent queri, Aesopus talem tum fabellam rettulit.
Actio 1 ranae vagantes liberis paludibus palus,-dis f.: Sumpf. clamore magno regem petiere ab Iove, qui dissolutos mores vi compesceret compescere 3, compescui: einschränken, bändigen. .
Reactio 1 pater deorum risit atque illis dedit parvum tigillum tigillum,-i n.: kleiner Balken. , missum quod subito vadi vadum,-i n.: Tümpel. motu sonoque terruit pavidum pavidus 3: furchtsam. genus. hoc mersum mergere 3, mersi, mersum: sinken. limo limus,-i m.: Schlamm. cum iaceret iacere 2, iacui: daliegen. diutius, forte una una: ergänze: rana. tacite tacite (Adv.): stumm. profert e stagno stagnum,-i n.: Sumpf. caput et explorato explorare 1, -avi,-atum: betrachten, erforschen. rege cunctas evocat. illae timore posito certatim certatim (Adv.): um die Wette. annatant lignumque supera supera +Akk.: oben auf. turba petulans petulans,-ntis: frech. insilit insilire 4, insilui: hinaufspringen. .
Actio 2 quod cum inquinassent inquinassent: Kurzform von inquinavissent. inquinare 1, -avi,-atum: besudeln. omni contumelia contumelia,-ae f.: Schande. , alium rogantes rogantes: Akkusativobjekt zu misere; Partizip mit finalem Sinn (im Deutschen mit „die bitten sollten“ zu übersetzen). regem misere misere: Kurzform von miserunt. ad Iovem, inutilis quoniam esset qui fuerat datus.
Reactio 2 tum misit illis hydrum hydrus,-i m.: Wasserschlange. , qui dente aspero corripere corripere M, corripui, correptum: fassen, packen. coepit singulas. frustra necem fugitant inertes iners,-ertis: träge, wehrlos. , vocem praecludit praecludere 3, praeclusi, praeclusum: verschließen, versperren; hier: hemmen, verstummen lassen. metus.
Actio 3 furtim furtim (Adv.): heimlich. igitur dant Mercurio mandata ad Iovem, afflictis affligere 3, afflixi, afflictum: heimsuchen, bedrängen. ut succurrat succurrere 3, succurri, succursum: zu Hilfe eilen. . tunc contra deus
Reactio 3 "quia noluistis vestrum ferre", inquit "bonum, malum perferte." "vos quoque o cives", ait
Rahmen/Epimythion malum perferte." "vos quoque o cives", ait "hoc sustinete sustinere 2, sustinui: ertragen. , maius ne veniat, malum."
Die Frösche verlangten einen König

Als Athen aufgrund gerechter Gesetze in Blüte stand, brachte die unverschämte Freiheit die Bürgerschaft durcheinander und die Willkür löste den früheren Zügel. Nachdem sich die Parteigruppen verschworen hatten, besetzte Peisistratos die Burg. Als die Athener die traurige Knechtschaft beweinten (nicht weil jener grausam war, sondern da er für sie, die ihn überhaupt nicht gewohnt waren, schwer zu ertragen war) und begonnen hatten, die Last zu beklagen, da erzählte Aesop eine solche kleine Fabel:

Die Frösche, die in freien Sümpfen herumschweiften, forderten mit großem Lärm von Iuppiter einen König, der die ausgelassenen Sitten mit Gewalt bändigen sollte.

Der Vater der Götter lachte und gab jenen einen ganz kleinen Balken, der plötzlich [vom Himmel] gesandt durch eine Erschütterung des Tümpels und ein Geräusch die furchtsame Sippe erschreckte. Als dieser versunken im Schlamm länger dalag, streckte zufällig einer stumm seinen Kopf aus dem Sumpf und rief, nachdem er den König erforscht hatte, alle hervor. Jene schwammen um die Wette herbei, da sie ihre Furcht abgelegt hatten, und die freche Schar sprang oben auf das Holz.

Nachdem sie dieses mit aller Schande besudelt hatten, schickten sie [Boten] zu Iuppiter, die einen anderen König erbitten sollten, weil der, der [ihnen] gegeben worden war, ja unnütz sei.

Da schickte dieser jenen eine Wasserschlange, die die einzelnen mit scharfem Zahn zu packen begann. Vergebens flohen die Wehrlosen vor dem Tod. Die Furcht hemmte ihre Stimme.

Also gaben sie heimlich Mercur Aufträge an Iuppiter, dass er den Bedrängten zu Hilfe eile. Darauf entgegnete der Gott:

Darauf entgegnete der Gott: „Weil ihr euer Wohl nicht ertragen wolltet", sprach er, „ertragt nun euer Übel." „Auch ihr, o Bürger,“ sagte er,

„ertragt dieses Übel, auf dass kein größeres komme."

Paraphrasieren Sie den Ausgangstext!

Als sich in Athen die Demokratie aufgrund der Willkür der Bürger auflöst, ergreift Peisistratos die Alleinherrschaft. Die Athener, die eine solche Herrschaft nicht gewohnt sind, beginnen zu klagen; da tritt Aesop vor die Bürgerschaft und erzählt eine Fabel, die von Fröschen in Freiheit handelt, die sich von Iuppiter einen König wünschen, der ihre Verwahrlosung bändigen soll. Als er ihnen einen kleinen Holzbalken vom Himmel sendet, werden sie bald unzufrieden, weil der König unnütz sei. Schließlich schickt Jupiter eine Wasserschlange, die die Frösche aufzufressen beginnt. Eine erneute Bitte um Hilfe in der Not weist der Göttervater schroff zurück: Da sie zuvor unzufrieden gewesen seien, wo es ihnen doch gut gegangen sei, sollten sie nun das Übel ertragen. Aesop schärft den Athenern ein, dass sie das kleinere Übel ertragen sollen, um ein größeres Übel zu verhindern.

Gliedern Sie den Ausgangstext nach dem (typischen) Aufbau einer Fabel! Nennen Sie auffällige Unterschiede!

Rahmen: 1–9

Actio 1: 10–12

Reactio 1: 13–20

Actio 2: 21–23

Reactio 2: 24-26

Actio 3: 27-28a

Reactio 3: 28b-30a

Rahmen/Epimythion: 30b-31

Besonders auffällig ist die Einbettung der Fabel in eine historische Rahmenerzählung, was als untypisch für den Aufbau einer Fabel angesehen werden darf. Kunstvoll ist die dreimalige Abfolge von Actio und Reactio in der von Aesop erzählten Fabel. Ferner fehlen Pro- und Epimythion in der Fabel; erst im Rahmen folgt ein Epimythion aus dem Munde Aesops als Mahnung an die Athener. Somit übernimmt Aesops Schlusswort die Funktion des Epimythions: Der Rahmen zeigt uns, welche Funktion sonst ein Epimythion übernehmen kann; da die vorliegende Fabel in einen Kontext gebettet ist, ist ein Epimythion nicht notwendig, da eine Figur in der Erzählung die Deutung übernimmt.

Finden und kennzeichnen Sie im Abschnitt vv.25–31 folgende Stilmittel: Hyperbaton, Parallelismus, Enjambement, 2x Alliteration! Welche Bedeutung haben sie für die Interpretation der Fabel?

Hyperbaton: v.31, hoc...malum:

Es scheint naheliegend, dass das Hyperbaton die Klimax bonum, malum, maius malum noch hervorheben soll.

Parallelismus: vv.25-26

Dem Leser wird das Grauen der Szene kurz und knapp dargestellt. Beide Sätze sind parallel gebaut.

Enjambement: vv.25-26

Der erste der beiden parallel gebauten Sätze erfährt durch das Enjambement einen Einschnitt, durch den wahrscheinlich das Chaos der Situation und der ungeordneten Flucht der Frösche verdeutlich werden soll: Dadurch wird klar, dass es kein Entrinnen gibt.

Alliteration (2x): vv.25-26, corripere coepit, frustra...furtim

Das Grauen der Szene wird durch die Alliterationen noch verstärkt.

Nehmen Sie zu folgendem textkritischen Problem in v.8 Stellung: insuetis onus P Ro : insueti sonus Gu ! Inwiefern ist die Entscheidung bedeutungstragend?

insuetis onus ist im einzigen erhaltenen Codex Pithoeanus (P) bezeugt. Da der Codex Remensis (R) verbrannt ist, kann man ihn lediglich aus Zusammenstellungen rekonstruieren. Doch für diese Stelle finden sich dort zwei Lesarten: insuetis onus bei Dionysius Roche (Ro) und insueti sonus bei Gudius (Gu) finden. sonus (das Geräusch) ergibt in diesem Zusammenhang inhaltlich und grammatikalisch keinen Sinn. Der Nominativ oder Genitiv insueti passt grammatikalisch nicht in den Text, denn gravis erfordert einen Dativ. Da in der Antike die Texte ohne Worttrennung geschrieben wurde, hat ein späterer Abschreiber wohl die Folge insuetisonus in zwei an sich korrekte, aber an dieser Stelle unpassende lateinische Wörter aufgeteilt. Daher ist die in P und Ro belegte Lesart die bessere.

Vergleichen Sie den Ausgangstext mit der Fabel aus der Collectio Augustana (Aisop. 44 P.) und nennen Sie hierbei formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede! Vergleich Gemeinsamkeiten gleiche Handlung Unterschiede collectio Augustana - keine dritte Bitte, Phaedrus - dritte Bitte collectio Augustana - Epimythion, Phaedrus - Schlussrede (als Epimythion) collectio Augustana - keine Rahmenhandlung (Athener), Phaedrus – Rahmenhandlung

Die Fabel in der collectio Augustana weist formal wenig Gemeinsamkeiten mit der Fabel bei Phaedrus auf: Sie besitzt keinen Rahmen, sondern nur eine knappe Exposition. Das Epimythion in der collectio Augustana ist eine recht simple Feststellung und besagt, dass es besser sei, einen trägen Herrscher zu ertragen als einen grausamen. Anders ist es dagegen bei Phaedrus: Hier wird vermittelt, dass es besser sei, das malum zu ertragen als das darauffolgende maius malum. In den Grundzügen entsprechen sich beide Erzählungen inhaltlich; nur die dritte Bitte findet sich allein bei Phaedrus. Auffallend ist, dass die Schilderung bei Phaedrus detailreicher und dramatischer gestaltet ist; z.B. wird nur in der Phaedrusfabel erwähnt, dass die Frösche das kleine Holzstück omni contumelia besudeln (v.21). Auch die Schilderung, wie die Wasserschlange unter den Fröschen wütet (vv.24–26), fehlt in der collectio Augustana.

Vergleichen Sie den Ausgangstext mit der Fabel aus der Collectio Augustana (Aisop. 179 P.) und nennen Sie hierbei formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede! Vergleich Gemeinsamkeiten dreiteiliges Schema Verschlechterung der Situation durch eigene Unzufriedenheit, Bitten an Iuppiter Unterschiede collectio Augustana - kein Rahmen, Phaedrus - Rahmen collectio Augustana - Esel, Phaedrus - Frösche collectio Augustana - keine Athener, Phaedrus - Athener

Bei der Fabel 179 P. (=190 Hsr.) fällt der ähnliche Aufbau mit einer dreimaligen Abfolge von Actio und Reactio auf. Inhaltlich ähneln sich die beiden Fabeln, da sowohl die Frösche als auch der Esel aus Unzufriedenheit über ihre Situation zu Iuppiter/Zeus beten, ihre Situation aber dadurch verschlechtern. Die Fabel der collectio Augustana besitzt jedoch keine Rahmenerzählung. Inhaltlich unterscheiden sich die beiden Fabeln durch die Akteure; allein Iuppiter/Zeus kommt beide Male vor. Ferner wird im Epimythion von 179 P. (=190 Hsr.) erklärt, dass der Esel, der sein Schicksal durch sein eigenes Tun verschlechtert hat, die Situation von Dienern abbildet, die wieder zu ihren früheren Herrn zurück wollen, wenn es ihnen bei ihren neuen schlechter geht.

Vergleichen Sie den Ausgangstext mit der Anekdote bei Valerius Maximus (Val. Max. 6,2 [ext)] 2)! Welche inhaltlichen Parallelen weisen die beiden Texte auf? Vergleich Gemeinsamkeiten dreiteiliges Schema (Tyrannen) Abfolge von Herrschern, Verschlechterung durch Veränderung Unterschiede Val.Max. - anekdotenhafte Erzählung, Phaedrus - Fabel Val.Max. - Menschen, Phaedrus - Tiere Val.Max. - Iuppiter handelt nicht, Phaedrus - Iuppiter greift aktiv ein Val.Max. - Bitte für Wohl des Tyrannen, Phaedrus - Bitte um neuen Herrscher

Eine vergleichbare Anekdote begegnet dem Leser auch bei Valerius Maximus. Die Gemeinsamkeiten mit der Phaedrusfabel beschränken sich nicht nur auf wörtliche Anklänge, sondern auch die dreiteilige Klimax, die bei Valerius aufscheint, findet sich bei Phaedrus. Außerdem stellt die Abfolge von Herrschern, von denen jeder eine Verschlechterung der Situation der Untertanen mit sich bringt, eine inhaltliche Parallele dar. Ansonsten sind die Unterschiede offensichtlich: Bei Valerius Maximus ist dem Leser eine anekdotenhafte Erzählung überliefert, keine Fabel. Dementsprechend sind die Akteure bei Valerius Menschen. Iuppiter wird zwar angerufen, handelt aber nicht.

Was lässt sich durch diesen Vergleich mit den Vergleichsstellen für die Aussageabsicht der Texte/der Fabel bei Phaedrus gewinnen? Nehmen Sie Stellung!

Man darf festhalten, dass allein Phaedrus eine Rahmenerzählung, die sich historisch gibt, mit einer Fabel zusammenführt. Diese ist nicht nur sehr kunstvoll gebaut, sondern beinhaltet auch eine sehr raffiniert ausgeführte Darstellung des Geschehens, die über die Vergleichsstellen in vielen Details und in der Anschaulichkeit hinausgeht. Die Parallelen dieser historischen Rahmenerzählung mit der Anekdote bei Valerius lassen erkennen, dass das Bild einer Abfolge von immer schlechteren Herrschern dem Publikum des Phaedrus wohl vertraut war. Durch den Vergleich mit den beiden Fabeln aus der collectio Augustana wird deutlich, dass Phaedrus durch die Kombination eines historischen Rahmens mit wohl bekanntem Fabelstoff, den er originell gestaltet, etwas Neues schafft.

Nehmen Sie Stellung zu der These von Adrados, der meint, in 1,2 werde eine Mentalität der Anpassung vermittelt (vgl. Adrados 1984, 24)!

Diese These ist deshalb problematisch, da weder die Athener noch die Frösche prinzipiell dagegen sind, beherrscht zu werden. Die Frösche fordern sogar ausdrücklich lautstark einen König (vv.11–12) und die Athener sind Peisistratos nur nicht gewohnt (vv.7–8). Allein die Art und Weise erregt ihr Missfallen. Außerdem predigt Aesop nicht bloß Anpassung, sondern appelliert an die Bürger, dass sie ihre Situation nicht durch eigenes Handeln verschlechtern sollen (vv.30b–31).

Nennen Sie drei Punkte durch die klar wird, dass die Fabel, die Aesop bei Phaedrus erzählt, der Situation der Athener nicht zu hundert Prozent entspricht! In der Sekundärliteratur wurde diese Diskrepanz ausführlich behandelt: Für Zwierlein ist der kleine Balken ein bonum, das von den Fröschen gefordert die lockeren Sitten wenigstens kurz im Zaum halten könne, Peisistratos werde aber negativ dargestellt. So würden vestrum bonum und malum in der Fabel den Begriffen hoc malum und maius malum im Rahmen gegenüber gestellt (vgl. Zwierlein 1989, 185). Für Gärtner lassen sich im Rahmen die libertas mit bonum, Peisistratos mit malum und sein möglicher Nachfolger mit maius malum gleichsetzen; im Fabelteil entsprechen dann die libertas dem bonum, der kleine Balken dem malum und die Wasserschlange dem maius malum. Doch sind die Entsprechungen nicht hundertprozentig: Peisistratos ist nicht gewalttätig, sondern seine Herrschaft nur beschwerlich, und das tigillum wirkt zunächst als bonum (vgl. Gärtner 2015, 92). Es scheint also, als würde Phaedrus die Unabbildbarkeit der Realität in einer Fabel gleichsam problematisieren, indem er den eigentlichen Fabelteil und die Rahmenerzählung nicht hundertprozentig übereinstimmen lässt (vgl. Gärtner 2015, 94 –95). Überlegen Sie, welchen Gewinn diese Beobachtungen für die Interpretation von 1,2 sowie für den Umgang mit literarischen Texten allgemein bringen können!

Die Athener fordern keinen König, Peisistratos besetzt einfach die Burg (v.5); die Frösche tun dies sogar lautstark (v.11). Die Athener beginnen zu klagen, weil die Herrschaft des Peisistratos für sie beschwerlich ist (vv.7–8), die Frösche werden unverschämt und entwürdigen den Holzbalken (vv.20–21). Der Holzbalken ist kein Übel an sich; erst kann er die Frösche im Zaum halten, da sie das Aufklatschen erschrickt (vv.14–15), dann aber erfüllt er seine Funktion nicht mehr, da die Angst nachlässt (v.19). Die Beobachtungen von Gärtner und Zwierlein legen nahe, dass die Diskrepanz zwischen Fabelteil und Rahmen dem Dichter keineswegs ‚passiert‘ ist, sondern ganz bewusst so gestaltet wurde. Man sollte sich also davor hüten, literarische Texte als ‚misslungen‘ o.ä. zu beurteilen, nur weil manches den Leser irritiert. Wie am Beispiel dieser Fabel deutlich wird, kann die Erklärung solcher ‚Unstimmigkeiten‘ wesentlich für die Interpretation sein. Wenn man sie aber als bloße ‚Fehlleistungen‘ des Dichters abtut, besteht die Gefahr, dass eine Bedeutungsebene des Textes keine Beachtung findet.

Skizzieren Sie die Rolle Aesops in dieser Fabel! Nehmen Sie zur These Gärtners Stellung, die der Auffassung ist, dass durch den Auftritt Aesops beim Leser die Erwartung geweckt wird, dass dieser Rat durch eine perfekt auf den Sachverhalt passende Fabel erteilt und mit dieser Erwartung gespielt wird (vgl. Gärtner 2015, 93).

Aesop tritt vor die klagende Bürgerschaft Athens und erzählt eine Fabel über Frösche, die einen König fordern. Am Ende steht sein Appell, dass die Athener ihre Situation nicht durch ihr eigenes Zutun verschlechtern und Peisistratos ertragen lernen sollen. Diese These kann überzeugen, da der Dichter Aesop als den Fabelerzähler schlechthin darstellt. Er tut dies beispielsweise im Prolog zum ersten Buch (vgl. Phaedr. prol. 1,1–2). Wenn er dann Aesop in seinen Gedichten auftreten lässt, erwartet der Leser bereits, dass er dies in seiner üblichen Funktion tun wird – als Fabelerzähler, der durch eine auf die Situation abgestimmte Fabel Rat erteilt. In 1,2 entsprechen Rahmen und Fabel einander aber nicht zu hundert Prozent. Deshalb ist es gerechtfertigt, zu sagen, dass mit der Erwartung des Lesers gespielt wird.

Überlegen Sie, was der Dichter dadurch erreicht, dass er dem Rahmenteil bewusst einen historischen Charakter gibt! Wird eine historische Entsprechung für bonum, malum und maius malum in der Lebenswelt des Publikums nahegelegt?

Der Dichter könnte dadurch einen möglichen Anwendungsbereich für die Fabel darstellen: die Politik. Dann wäre die Fabel ein Überzeugungsmittel. Bei 1,2 liegt aber eine Fabel in einer Fabel vor. Weil von Aesop eine Fabel erzählt wird, die einen konkreten politischen Zustand aufgreift, kann man sich als Leser fragen, welchen zeitgenössischen politischen Zustand Phaedrus in seinem Gedicht thematisiert. Diese Frage ist aber auf Basis des Textes nicht zu beantworten und bleibt offen.

Überlegen Sie, was dafür spricht, dass der Dichter 1,2 bewusst an die zweite Stelle des ersten Buches setzt! Holzberg meint, 1,2 und 1,30 würden eine Art Ringkomposition bilden (vgl. Holzberg 2012, 44–45). Gärtner ist der Auffassung, dass in 1,2 der Dichter dem Leser eine Art Gebrauchsanweisung für das Folgende biete. Der Dichter zeige, dass der Leser selbst die Fabel auf eine Situation übertragen muss, wenn er einen Rat fürs Leben aus ihr ableiten möchte (vgl. Gärtner 2015, 94–96). Argumentieren Sie, inwiefern diese Thesen überzeugen können!

In der zweiten und in der vorletzten Fabel des ersten Buches geht es um Frösche. Daher scheint es naheliegend, dass 1,2 mit 1,30 einen Rahmen bildet. Diese Art der Gesamtkomposition eines Buches kennen wir etwa von Horazens Oden und man kann davon ausgehen, dass sie auch dem antiken Publikum vertraut war. Da offenbleibt, worauf im römischen Kontext nun bonum, malum und maius malum zu beziehen sind, könnte der Dichter den Leser darauf vorbereiten, dass auch die folgenden Fabeln nur dann nützlichen Rat für sein Leben beinhalten, wenn er bereit ist, den in der Fabel dargestellten Sachverhalt zu verallgemeinern und auf eine konkrete Situation in seinem Leben anzuwenden. Die beiden Thesen können somit erklären, warum diese Fabel innerhalb des ersten Buches an eben dieser Stelle steht. Es muss allerdings beachtet werden, dass die Reihenfolge der Fabeln wegen der schlechten Überlieferung nicht sicher ist.