Phaedr. 3,01 [Zurück zur Übersicht.]
Zitiervorschlag: Phaedrus, Phaedr. 3,01, in: Grazer Repositorium antiker Fabeln, hrsg. v. Ursula Gärtner, Graz 2020.
Permalink: http://gams.uni-graz.at/o:graf.2388.
Zitiervorschlag: Phaedrus, Phaedr. 3,01, in: Grazer Repositorium antiker Fabeln, hrsg. v. Ursula Gärtner, Graz 2020.
Permalink: http://gams.uni-graz.at/o:graf.2388.
Eine alte Frau findet einen Krug, in dem gut riechende Reste eines Weines sind. Gierig saugt sie diese ein und schließt aufgrund des verströmten Duftes, was für ein edler Tropfen das gewesen sein muss. Deuten kann die Fabel nur der, der Phaedrus kennt.
Gliederung:
Exposition: 1–3
Actio/Reactio: 4–6
Epimythion: 7
Wir haben es hier nicht mit einer Fabelstruktur im klassischen Sinne zu tun. Zwar beginnt die Fabel mit einer Exposition, jedoch lässt sich der Hauptteil nicht in Actio und Reactio gliedern. Die Verse 4–6 und somit das gierige Einsaugen des Weingeruchs und die darauffolgende Anrede der Frau an den Wein könnte am ehesten eine Kombination aus Actio und Reactio darstellen. Die Fabel weist auch keinen Schluss im eigentlichen Sinne auf, sie endet mit einem Epimythion. Dieses entspricht aber keinem klassischen Epimythion, bleibt doch die Aussage der Fabel verborgen.
Im Epimythion fasst hoc den Inhalt der Fabel zusammen. Von einer belehrenden Aussage kann hier jedoch nicht gesprochen werden, da das Epimythion keine solche bietet und man die Bedeutung angeblich nur dann versteht, wenn man den Autor kennt. Man könnte folglich annehmen, dass der historische Dichter Phaedrus sein Werk für ein gewisses Publikum geschrieben habe; so wie auch Oberg davon ausgehen, dass nur diejenigen, die ein bestimmtes Vorwissen besitzen, die Geschichte verstehen. Da der Dichter aber in den anderen Fabeln nichts über sein Leben preisgibt (s. Phaedrus), könnte er auch hier mit den Erwartungen der Leser ein Spiel treiben und sie nur neugierig machen, was die Fabel bedeuten könnte, aber dies absichtlich offenlassen. Die Leser merken dadurch, dass sich Fabeln auf sehr viele Dinge beziehen lassen.
Hyperbaton: v.3, odorem […] iucundum: durch dieses Hyperbaton verbreitet sich der Duft nicht nur buchstäblich, sondern auch syntaktisch.
Hyperbaton: v.4, totis […] naribus: das Hyperbaton bildet einen Rahmen um das gierige Einsaugen (avida traxit) der wohlriechenden Weinreste; insgesamt wird dadurch der Prozess des tiefen Einatmens sehr stark hervorgehoben. Dank der genauen Beschreibung kann sich das Publikum diese Situation bildhaft vorstellen.
Antithese: v.6, antehac […] reliquiae: die Antithese dient zur Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart und unterstreicht die Überlegung, wie vorzüglich der Wein früher gewesen sein muss, wenn das, was von ihm übriggeblieben ist, schon einen derartigen Geruch verströmt. Des Weiteren bildet diese Antithese einen Rahmen um den sechsten Vers, der den Gegensatz ‚damals‘ vs. ‚heute‘ noch stärker hervorhebt.
Im Grunde genommen würde auch die handschriftliche Überlieferung in P und R avita (‚uralt‘) einen Sinn ergeben, da die Protagonistin der Fabel eine alte Frau ist und ihr Alter dadurch noch verstärkt werden würde. Der vierte Vers müsste dann folgendermaßen übersetzt werden: ,Nachdem die Alte diesen mit der ganzen Nase eingesogen hatte‘. Die Konjektur passt aber metrisch nicht (avida; avīta). Der Abschreiber hat sich wohl wegen des Inhalts zum Fehler verleiten lassen. Dieser wurde dann in der Handschrift R korrigiert und die korrigierte Form in der ersten Ausgabe von Pithou übernommen.
Gemeinsamkeiten | formal: beide Texte in Versen (1. Plautustext ebenfalls iambische Senare) | inhaltlich: Auftritt einer alten Frau | inhaltlich: Verhältnis alte Frau – Wein | |||
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Unterschiede | formal: Plautus: Komödie, Phaedrus: Fabel | formal: Plautus: Geruch selbstständig in Nase, Phaedrus: Einsaugen des Geruchs durch die Frau | inhaltlich: Plautus: Chierwein, Phaedrus: Falernerwein | inhaltlich: Plautus: zusätzlich zwei Männer, Phaedrus: Frau als einzige Figur | inhaltlich: Plautus: Beruf der Frau Wächterin/Pförtnerin, Phaedrus: Beruf unbekannt | inhaltlich: Plautus: Name der Frau Leaena, Phaedrus: Name unbekannt |
Sowohl im Ausgangstext als auch bei Plautus tritt eine alte Frau auf. In beiden Texten geht es außerdem um das Verhältnis zwischen ihr und dem Wein. Beide Male wird betont, dass die Alte durch den Geruch des Weines angelockt wird. Während die alte Frau bei Plautus sagt, dass der Duft des Weines in ihre Nasenlöcher gelangt sei, ist es bei Phaedrus noch gesteigert, da die Alte den Weinduft sogar gierig einsaugt. Im Gegensatz zu Plautus, bei dem es sich um den Chierwein handelt, erwähnt Phaedrus den Falernerwein, der noch wertvoller war. Des Weiteren sind bei Plautus zwei Männer im Spiel, die alte Frau ist nur eine komische Nebenrolle, während die alte Frau bei Phaedrus die einzig vorkommende Person ist und ganz im Zentrum steht. Bei Plautus werden außerdem der Name und der Beruf der Frau genannt; beides bleibt in der Fabel des Phaedrus unbekannt, da er die Szene ganz auf die Reaktion der Alten zuspitzt. Auch in anderen antiken Texten taucht das Motiv der trunkenen Alten auf, ja sogar in bildlichen Darstellungen. Daraus lässt sich schließen, dass den Lesern der Phaedrusfabel die Figur vertraut war und man die Fabel besonders durch die Verweise auf die Komödie als komisch empfand.
Individuelle Antworten. Insgesamt zeigt die Anzahl der sich widersprechenden Deutungen, dass das Epimythion (s.o. Frage 3) auch die Forscher dazu angeregt hat, nach einem speziellen Bezug aus dem Leben des Phaedrus zu suchen. Gleichzeitig wird klar, dass eine solche Suche nicht sinnvoll ist. Vielleicht war gerade dies die eigentliche Aussage der Fabel, nämlich dass es oft der Leser ist, der sich für die Deutung der Fabel eine eigene Interpretation sucht, die in der Fabel selbst aber nicht angelegt ist.