Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Drama
Genre:
Autoren:
Komponisten:
Zeitraum Entstehung: 1796
Hauptvariante (Text):
Textvarianten:
Kommentar:

Inhalt: Herr von Tiefsinn bekommt Besuch von seinem Bruder Wastel aus Tirol und dessen Frau. Seine Tochter, Louise, hat sich in den jungen Bäckermeister und Hausbesitzer Joseph - einen Bürgerlichen - verliebt, der um ihre Hand angehalten hat. Die Stiefmutter, Frau von Tiefsinn, ist über diese nicht standesgemäße Verbindung entsetzt, während der Vater nichts dagegen hat. Bei einem gemeinsamen Ausflug in den Prater eskaliert die Situation, alle trennen sich im Streit. Frau von Tiefsinn hat nun vor, Louise zwangsweise mit einem alten Buchhalter zu verheiraten, während ihr Mann, der sich von ihr tief gedemütigt fühlt, verschwunden bleibt. Erst das Eingreifen des unerschrockenen Tirolers löst die Situation: Er lässt kurzerhand einen Advokaten rufen, um die Verbindung zwischen Louise und Joseph zu schließen. Währenddessen stellt sich auch heraus, dass Wastels Frau, die über Nacht fortgeblieben ist, den Selbstmord von Herrn von Tiefsinn verhindert hat. Am Ende versöhnen sich (recht plötzlich) sogar Herr und Frau von Tiefsinn wieder.

Das Stück lebt stark vom Kontrast zwischen den zwei 'natürlichen', kräftig zupackenden Tirolern und der Wiener (hohen) Gesellschaft, deren Überempfindlichkeit, künstliche Höflichkeit, vor allem aber auch deren Hochmütigkeit und Standesdünkel kritisiert werden (in unterschiedlichem Ausmaß, je nachdem, ob die Figuren positiv oder negativ besetzt sind).
Der Kontrast schlägt sich ganz deutlich auch in der Sprache nieder: Der Tiroler Wastel und seine Frau sprechen starken Dialekt, die Wiener verwenden Standardsprache. Die Sprache des Tirolers soll dabei vor allem direkt und ungekünstelt sein. So fragt ihn schon in seinem ersten Auftritt der Bruder: „Das ist also deine zweite Frau?“ - worauf Wastel antwortet: „Bei uns in Tyrol wissen wir nichts von Frauen, wir haben nur Weiber. Schau, bist selbst ein geborner Tyroler und redst so dappisch.“ (S. 37)
Gleichzeitig dient Dialekt im Stück aber auch der Markierung des sozialen Standes - und hat hier einerseits durchaus abwertenden Charakter, andererseits dient er auch zur Komisierung der Figuren: So spricht etwa Jodel, ein Bediensteter von Joseph, der explizit als "dumm" dargstellt wird, Wiener Dialekt; und Dialekt spricht auch der zwielichtige Wirt im Prater. (Positiv besetzte 'niedere' Figuren wie die Köchin Mariane dagegen sprechen eigentlich wiederum Standardsprache.)

Insgesamt kann man insbesondere zur Figur des Tiroler Wastel sagen, dass es keineswegs um die Lächerlichmachung eines weltfremden Tölpels geht - das Publikum soll vielmehr am Anderssein des Protagonisten, das die bewahrte natürliche Identität ausdrückt, „die eigene Verformung durch konventionellen, großstädtischen, von der Natur isolierten Zwang kennen[lernen]“ (Aust/Haida/Hein 1989, S. 105)

Das Stück kann schließlich als Prototyp des Volksstückes bezeichnet werden, da es um bürgerlich-familiäre Verhältnisse des publikumsnahen Wiener Alltags geht (vgl. ebd., S. 104), auch wenn es sich nicht um einen wirklich neuen Stücktypus handelt - als Muster kann Hafners "Die bürgerliche Dame" angesehen werden (vgl. ebd., S. 105). In diesem Zusammenhang meinen Aust/Haida/Hein, dass vor allem von den Figuren Mariane und Jodel "die Aura des ‚Hier-bei-uns‘ aus, in der sich das Publikum eingeschlossen fühlt", ausgeht (ebd., S. 106).

Neben dem Text sind hier als Varianten auch Drucke von einzelnen Liedern in Flugschriften abgelegt, die die Rezeption aber keineswegs vollständig abbilden. Zur vollständigen Dokumentation der Drucke sowie der weiteren Rezeption siehe Brandner-Kapfer (2011). Als eigenständiges Lied wurde v.a. die Arie "Die Tyroler sand often so lustig so froh" verbreitet, aber auch etwa das Lied "Vier solche Buebna aufipackt" oder "Bei uns in Tyrol und im Landel" .

Nach dem großen Erfolg des Stücks kam es zu einer (als Patriotenstück uraufgeführten) Fortsetzung, in der Wastel wieder zurück in Tirol von seinen Erlebnissen in Wien berichtet.
Von diesem Stück konnte bislang kein Text gefunden werden; den Inhalt in Umrissen kennen wir aus den Eipeldauerbriefen, vgl. Briefe eines Eipeldauers [...] Ein und dreyßigstes Heft, S. 8 [Online-Version auf GoogleBooks] .

Patriotisch wurde das Stück vielfach ausgeschlachtet; eingeschaltete Elogen und als Flugschriften zirkulierende zusätzliche Lieder belege die Funktionalisierung des 'aufrichtigen Tirolers' für Propagandazwecke.

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.521
Zuletzt geändert: am: 24.8.2016 um: 11:00:41 Uhr