Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
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Zeitraum Entstehung: 1757 +/-2
Hauptvariante (Text):
Musikvarianten:
Textvarianten:
Kommentar:

Dieses Spottlied für ein ‚Ansingen’, das Lindemayr wohl vom Stiftsbassisten Joseph Langthaller vertonen und zu einer unbekannten Gelegenheit vortragen ließ, richtet sich gegen den Verwalter des Stiftsmeierhofs in Neukirchen, Joseph Stainer. Dieser, ein gelernter Schmied, hatte den 1681 vom Stift erworbenen, bis dahin recht einträglichen Betrieb um 1749/50 übernommen und in beispielloser Weise abgewirtschaftet. In einem umfassenden, 1763 verfassten Inspektionsbericht des Stiftsschaffners und ehemaligen Vikars von Neukirchen, P. Bernhard Heindl, werden die Versäumnisse und Nachlässigkeiten aufgezählt, die zu Lasten des Stiftsmeiers gingen und ein denkbar schlechtes Licht auf dessen Lebenswandel, Arbeitsmoral, Gehorsam und Rechtsverständnis werfen. Die stiftseigenen Wiesen – so Heindl – waren verödet und versumpft, da die Wassergräben jahrelang ungereinigt geblieben waren, die Äcker verwaldet und ungedüngt, die Obstbäume nicht ausgeschnitten, Neupflanzungen waren unterblieben und Einfriedungen nicht erneuert worden, auch der Viehertrag war weit unter den Erwartungen. Zusammenfassend zieht der Schaffner sein vernichtendes Urteil:

So viel erkenne ich überhaupt, das der mayrhof Neukirchen weit ein anders aussehen haben wurde, wann nur ein mittelmässiger fleiß, ia nur ein gescheides anschaffen, und ein obsichtiges aug auf die arbeiten, und arbeiter wäre getragen worden. [...] Ja wirklich giebt diese saubere bisherige wirthschaft unseren bauern öfters genug zu lachen. Eß ist klärer als das sonnenlicht, das, wenn der mayr der selbstige eigenthümer über diesen mayrhof wäre, ein eigenthümer, der die taglöhne für die tagwerker, die jahrlöhne für sich und die dienstbothen, kost, holtz und licht, sammt allen übrigen nothwendigkeiten nicht von dem stift abzuholen hätte, ein eigenthümer, der die herrenforderungen und ausgaben von den erzeugnissen des grunds und bodens, mithin aus seinem beutel nehmen müste, ein eigenthümer endlich, welchem die sarta tecta zur last fielen, das sprich ich, der Mayr in dieser supposition schon längst müste auf diesem Mayrhof verhauset haben, wann er nicht besser für sich selbst gehauset hätte, alß er gehauset hat für das stift. Ich habe den guten mann iederzeit gelibt, mithin rede ich aus keiner abneigung, sondern aus einer gäntzlichen innerlichen überzeugung: und zwar nichts anderes, als was alle menschen mit augen sehen, und mit händen greiffen.
Aus etwa derselben Zeit hat sich eine undatierte Ausgabenzusammenstellung des Meierhofs erhalten, mit „Anmörckungs-Puncten“ zur Bewirtschaftungssituation, die die Fahrlässigkeit und Mutwilligkeit des Verwalters noch weiter herausstreichen und dessen Sündenregister ergänzen. Moniert werden u.a. Unregelmäßigkeiten bei der Bestellung und Entlöhnung des Arbeitspersonals, Unterlassungen in der Schädlings- und Unkrautbekämpfung, Nachlässigkeiten in der Aufsichtspflicht, bei Zehenteinfuhr, Brennholzverbrauch, Getreidefütterung, Wartung der Arbeitsgeräte sowie der Eigennutz bei der Ausschöpfung von Sonderrechten. Trotz dieser offensichtlichen Verfehlungen aber konnte das Dienstverhältnis (der Meier erhielt neben Kost und Logis 20 Gulden Jahreslohn sowie Naturalien und diverse Nutzungsrechte, seine Frau immerhin 10 Gulden) offenbar nicht so leicht gelöst werden. Stainer blieb weiterhin im Amt und erst am 4. Februar 1771 konnte P. Bernhard Heindl mit spürbarer Erleichterung in seinem Iurnal den Pensionsantritt Joseph Stainers vermerken, „welcher 22 Jahr Mayr zu Neukirchen ware, sein ambt aber nit ohne grossen schaden und abnamb der Mayrschafft verrichtete.“ 30 Gulden und 10 Metzen Korn werden ihm gnadenhalber jährlich zugestanden. Wenig später dürfte der Schmied-Sepperl gestorben sein, denn 1772 ist nur mehr seine Ehefrau als Pensionistin in den Provisionslisten erfasst.
    
Da der Neukirchener Vikar im ersten Stock des Meierhofs seine Unterkunft hatte, war Lindemayr ab 1759 vermutlich täglich mit den direkten Folgen dieser Misswirtschaft konfrontiert und wird sie oft genug zur Sprache gebracht haben. Stainer aber ließen, wie auch dem Bericht Heindls zu entnehmen ist, Vorhaltungen und Befehle seiner Vorgesetzten unbeeindruckt. So sind die drei erhaltenen Spottlieder Lindemayrs wohl auch als Disziplinierungsmaßnahme für einen Unbelehrbaren zu verstehen. Indem er dem allgemeinen Verlachen preisgegeben wurde, sollte erzieherisch auf ihn eingewirkt bzw. sein unbotmäßiges Verhalten auf unterhaltsame Weise bestraft werden. Ziel des Spotts sind in diesem wohl frühesten Lied der Liedfolge, die in der zweiten Hälfte der 1750er Jahre entstanden ist, zunächst Stainers Trinkfreudigkeit und Genusssucht, die ihn die Pflichten seinen weltlichen Herrn und Gott gegenüber vergessen lassen. Dann folgen Anekdoten, die seine lächerliche Unbeholfenheit, Naivität und Geldgier herausstreichen. Kritik finden schließlich auch sein freundschaftlicher Umgang mit den mindergeachteten Handlangern der Gerichtsbarkeit und – vermutlich auch hier schon – sein Engagement im sozial tief stehenden Schinderhandwerk.

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.379
Zuletzt geändert: am: 6.9.2016 um: 11:44:00 Uhr