Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
Genre:
Autoren:
Zeitraum Entstehung: 1771
Hauptvariante (Text):
Kommentar:

Dieses Lied Lindemayrs, das nur in der Handschrift Fellners überliefert ist (allerdings wohl aufgrund von Selbstzensur durch den Herausgeber nicht in die Ausgabe von 1822 aufgenommen wurde), hat eine der aufwändigsten und nachhaltigsten bürokratischen Unternehmungen während der Regierungszeit Maria Theresias zum Inhalt: die Volkszählung (allgemeine Seelenkonskription) und erstmalige Hausnummerierung in den österreichischen und böhmischen Ländern der Monarchie während der Jahre 1770-1772. Es war dies eine konzertierte Aktion von Hofkriegsrat und Hofkanzlei, die fiskalische, demoskopische und militärische Interessen miteinander verband. Die weit unter den Erwartungen gebliebenen und unregelmäßigen Einkünfte aus der 1763 eingeführten Schuldensteuer, einer Kopfsteuer (vgl. Strophe 4), hatten die Dringlichkeit einer genaueren Erfassung der Bevölkerung vor Augen geführt, die nun gezählt, beschrieben und territorialisiert werden sollte. Dies deckte sich mit den Wünschen des Militärs, das sich nach den Erfahrungen aus dem Siebenjährigen Krieg ein neues Rekrutierungssystem auf Basis genauer Zahlen wünschte und deshalb bereit war, Soldaten für die Seelenkonskription und Hausnummerierung abzustellen.

Nach Kundmachung des von der Kaiserin persönlich unterzeichneten Patents am 10. März 1770 wurden auf Landesebene neun Konskriptionskommissionen eingerichtet, die für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich waren und u.a. Personal und Aufgabenbereich der 47 Kreiskommissionen festlegten. Diese erstellten auf Grundlage der Kirchenbücher Häuser- und Einwohnerlisten und organisierten die Konskriptionstermine für die jeweiligen Ortschaften. Eine fünfköpfige Lokalkommission führte dabei zunächst die Hausnummerierung durch und verzeichnete anschließend die (christlichen) männlichen Hausbewohner und das vorhandene Zugvieh, in einer weiteren Liste auch Frauen und Andersgläubige. Nach Beendigung der Konskription 1772 waren schließlich allein in Oberösterreich 75.227 Häuser und 401.550 Menschen erfasst worden. Bei der Bevölkerung wurde diese genaue Beschreibung verständlicherweise zumeist mit Misstrauen aufgenommen, doch blieb der Widerstand gegen diese Maßnahmen aufgrund der angedrohten Strafen und der militärischen Präsenz eher auf Einzelfälle beschränkt. Anton Tantner führt in seiner Studie u.a. einige Beispiele für aktenkundig gewordene „renitente Adlige und maulende Mönche“ an, die gegen das Vorhaben offen aufbegehrten. Subtiler zeigt sich die kritische Haltung Maurus Lindemayrs, der hier ein weiteres Mal mit tendenzieller Dichtung nicht nur die Stimmung der Landbevölkerung wiedergab, sondern diese – sollte das Lied tatsächlich im Volk kursiert sein – gezielt auch beeinflusste.

Das wieder dem bäuerlichen Bereich zuordenbare Ich des wohl Anfang 1771 entstandenen Gedichts drückt sein Missfallen an den Neuerungen deutlich aus. Angesprochen werden reale Probleme der Umsetzung ebenso wie die (nicht unberechtigten) Sorgen, die mit dieser bevölkerungspolitischen Erfassung verbunden waren. So war es tatsächlich eine nicht unbedeutende Schwierigkeit mit weitreichenden Konsequenzen, was unter einem Haus zu verstehen war (vgl. Strophe 2). Immerhin wurden auch größere unbewohnte Arbeitsgebäude mit Nummern versehen und so ist die Angst durchaus verständlich, dass sich auf diese Weise Abgabe-, v.a. aber Rekrutierungsquoten erhöhten. Dass die Seelenkonskription nicht zuletzt auf militärische Aspekte abzielte, konnte der Bevölkerung bei der gesonderten Auflistung wehrfähiger Männer (vgl. Strophe 5) ohnedies nicht verborgen bleiben. Einer der Initiatoren und treibenden Kräfte des Konskriptionssystems war immerhin Hofkriegspräsident Moritz Graf von Lacy, der sich ein noch nie ausgeschöpftes Reservoir an rekrutierbaren Männern und Subsidien versprach, mit dem ein potentieller Feind nicht rechnen würde. Lacys Wunsch, die Männer schon bei der Konskription zu vermessen, wurde zwar aus Sorge, dass damit das militärische Interesse zu offensichtlich würde, nicht stattgegeben. Die Beamten trugen jedoch nach Augenmaß die Rekrutierfähigkeit in ihren Tabellen ein (vgl. Strophe 6).

Wie aktuell und wirklichkeitsnah, wie unmittelbar aus dem Leben eines bäuerlichen Untertanen gegriffen die Klage formuliert ist, zeigt sich in den Details. So stimmt etwa das angeführte Pönale für den Fall, dass die Hausnummer im Inneren nicht angebracht wurde, mit den Angaben im betreffenden Hofdekret vom 15. Dezember 1770 überein (vgl. Strophe 3). Und auch die vierteljährige Meldung aller Veränderungen des Personenstands an das Kreisamt war eine der Bestimmungen des Konskriptionspatents (vgl. Strophe 10). Ängste, die aus Fehlinformation und Übertreibung der ohnedies rigiden Anordnungen resultierten, werden in Strophe 4 angesprochen. Freilich konnten nicht immer alle Hausbewohner anwesend sein, doch musste der Hausvorstand alle Abwesenden angeben. Wer sich am angekündigten Termin mit Absicht der Kommission entzog, konnte immerhin zu zweijährigem Festungsbau verurteilt werden; doch wurde diese Strafe kaum einmal exekutiert. Auch die Schreckensbilder mannloser Dorfgemeinschaften, wie sie in Strophe 9 entworfen werden, wurden zum Glück nie Realität. Der uneingeschränkte und willkürliche Zugriff auf alle wehrfähigen Männer war freilich auch nicht Ziel der Erfassung. Im Gegenteil, das von Lacy entworfene Patent spricht sich ausdrücklich gegen die im Siebenjährigen Krieg vorgenommenen Zwangsrekrutierungen aus und verspricht einen geregelten, ausgeglichenen Stellungsvorgang durch die Daten, die mit der Konskription gewonnen werden. Nicht vorgesehen im Fragekatalog war auch die Eruierung der Getreideproduktion, wie es den Beamten in Strophe 11 unterstellt wird. Insofern ist das Klagelied auch als gezielte Agitation zu verstehen, als Stimmungsmache gegen die behördlichen Maßnahmen, die schließlich in der anarchischen Drohung der beiden letzten Verse gipfelt. Interessanterweise war den obersten Behörden diese aufständische Gesinnung des Landvolks gar nicht einmal so unrecht, richtete sie sich doch gegen die unmittelbaren Herren, die Grundherrschaften, deren regionale Autorität und Macht zu unterwandern durchaus im Sinne der Regierung war. Ein „mäßiger Aufstand der Bauern“ werde – so räsoniert der spätere Kaiser Leopold II. 1778 – „dem Staate nützlich seyn, um die Grossen zu demüthigen, das zu thun, was Recht und billig ist gegen ihre Bauern, deren Klasse ebensogut ein Teil der Monarchie ist, als jene der Großen, die alle durch die Regirung müssen beschützt und unterstützt werden.“

Eine ähnliche Anteilnahme an den Nöten der Bauern ist auch dem Lied zu entnehmen, das wohl zur Unterhaltung der Geistlichkeit in den Faschingstagen 1771 erstmals vorgetragen wurde, durchaus aber auch in der ländlichen Bevölkerung in diesen Jahren Verbreitung gefunden haben mag. Belege dafür konnten bislang noch nicht gefunden werden. Die Thematik freilich war zu situationsgebunden, als dass es tatsächlich nachhaltig volksläufig werden hätte können.

Die hier angesprochene Problematik ist auch in einem anderen Lied eines unbekannten Verfassers behandelt, das auch im Ton Ähnlickeit aufweist: 'Grüß dö Gott mei liebä Nachbä' .

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.354
Zuletzt geändert: am: 6.9.2016 um: 11:38:03 Uhr