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Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
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Autoren:
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Zeitraum Entstehung: 1755 +/- 5
Hauptvariante (Text):
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Textvarianten:
Kommentar:

Dieses Anlasslied ist eine der populärsten Arbeiten Lindemayrs und – wie sich an den (handschriftlich wie auch in mehreren anonymen Drucken) erhaltenen Umarbeitungen und Umgestaltungen des 19. Jahrhunderts zeigt – tatsächlich zum Volkslied geworden. Aus der Perspektive eines bäuerlichen naiven Ich wird hier humorvoll eine Taufe von den Vorbereitungen der Zeremonie bis zur Bezahlung der Stolgebühr nach Abschluss der Feierlichkeiten geschildert. Der Taufritus selbst war zu dieser Zeit selbstverständlich vorwiegend in Latein gehalten und auf diese Weise für die ländliche Bevölkerung weitgehend unverständlich. Der Sinn der umfangreichen rituellen und exorzistischen Handlungen im Verlauf der Zeremonie musste ihnen deshalb weitgehend verschlossen bleiben.

In der katholischen Kirche empfängt nach altem Ritus der Priester den Täufling mit Rochett und violetter Stola an der Kirchentür, lässt sich den Namen nennen und nimmt als ersten Teil der exorzistischen Handlungen, mit denen der Täufling aus der Macht des Bösen befreit werden soll, Exsufflatio (Aushauchen des unsauberen Geistes) und Insufflatio (Einhauchen des Hl. Geistes) vor. Dann folgt das Bekreuzigen des Kinds auf Stirn und Brust. Nach kurzem Gebet legt der Pfarrer dem Kind die Hand auf, segnet das bereitgestellte Salz und gibt etwas davon in den Mund des Täuflings als Symbol der Weisheit. Nach einer weiteren Beschwörung und Handauflegung legt der Taufende das Ende der Stola auf das Kind und betet das Glaubensbekenntnis und das Vaterunser, dann berührt er Ohren und Nase des Kinds mit Speichel und spricht ‚effata’ (‚öffne dich’), um deutlich zu machen, dass es offen sein soll für das Wort Gottes. Die Paten schwören nun im Namen des Täuflings dem Satan ab und der Priester salbt ihn mit dem Katechumenenöl Brust und Nacken. Nach den Glaubensfragen, die die Paten stellvertretend beantworten, gießt der Priester gesegnetes Wasser dreimal in Kreuzform auf das Haupt des Kinds und spricht die Taufformel. Dann salbt er betend seinen Scheitel mit Chrisam, legt ihm ein weißes Leinen als Zeichen der wiederhergestellten Unschuld um und reicht dem Täufling eine Kerze mit dem Auftrag, das Licht des Glaubens stets leuchten zu lassen.

Einige dieser zeremoniellen Punkte werden in der als Textgrundlage gewählten Fassung recht genau dargestellt, doch im Blick des Bauern komisierend umgedeutet. Nicht den Symbolwert, sondern allein den praktischen Nutzen des Lichtspendens sieht er in der Taufkerze, noch weniger kann er sich die apotropäischen Handlungen der Teufelsabwendung erklären. Das Salz wird mit Schnupftabak verwechselt und die Salbung mit Katuchemenenöl als ebenso sinnlos eingeschätzt wie die vielen vorgetragenen Gebete und Segenssprüche. Dem eigentlichen Akt der Taufe mit Weihwasser wird eine eigene Strophe gewidmet, doch zuvor bleibt das ‚Effata’ unerwähnt, später auch (vermutlich) die Chrisamsalbung. Überarbeitungen von (mit hoher Wahrscheinlichkeit) anderer Hand akzentuieren das Unverständnis des Bauern angesichts der rituellen Handlungen noch etwas stärker, wenn er etwa vorschlägt, Zucker anstelle des Salzes zu nehmen, damit das Kind mehr Freude hat.

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.307
Zuletzt geändert: am: 5.9.2016 um: 20:25:58 Uhr