Dialect Cultures

Datenbank bairisch-österreichischer Mundartkunst vor 1800

Gattung: Lyrik
Genre:
Autoren:
Komponisten:
Zeitraum Entstehung: 1775-1780
Hauptvariante (Text):
Musikvarianten:
Textvarianten:
Kommentar:

Hänts Baurn, wer hets glaubt vor fufzg Jahrn ist die späteste Bauernklage Lindemayrs, steht aber mit seinen früheren Arbeiten aus den 1750er Jahren in einem engen Zusammenhang. Denn offenbar war ursprünglich keine eigene Melodie für das Lied vorgesehen, sondern es sollte kontrafaktorisch „im Ton“ des äußerst populären "I kann mäs unmiglä nöt denkä" gesungen werden, mit dem es sich folgerichtig auch die (recht simple) metrische Form teilt. Vermutlich erst nach dem Tod des Autors fand es zumindest zwei selbstständige musikalische Gestaltungen, eine davon dürfte vom St. Florianer Chorherren Franz Joseph Aumann stammen.

Durch die kontrafaktorische Wiederverwendung der bekannten Melodie kam es für den zeitgenössischen Zuhörer unweigerlich zu einer inhaltlichen Gegenüberstellung der beiden Klagen. Mehr als zwei Jahrzehnte waren inzwischen vergangen, die Verhältnisse hatten sich deutlich gewandelt, doch nicht unbedingt zum Besseren. Zwar hatten die merkantilistischen Reformen des absolutistischen Staats in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Ausbeutung der Bauern durch die Grundherrschaft gemindert und ihnen bessere soziale Bedingungen verschafft. Dafür aber fand sich der Bauernstand dem landesfürstlichen Zugriff immer direkter ausgesetzt. Die neue Flut an Verordnungen und die verbesserten Erfassungsmethoden ließen die von staatlicher Seite oft beschworene Freiheit und Eigenständigkeit des Bauern vorerst weiterhin Fiktion bleiben.
Die Schwierigkeiten hatten sich im Vergleich zur Jahrhundertmitte allerdings qualitativ verändert. Beklagt in I kann mäs unmiglä nöt denkä ein vom Ruin bedrohter Kleinbauer die eigene existentielle Notlage, in der sich der allgemeine schlechte Zustand der Gesellschaft spiegelt, hat sich die Wirtschaftslage am Ende der Regierungszeit Maria Theresias doch erheblich verbessert. Dies war allerdings nicht unbedingt zum Vorteil der Bauern, die noch immer einen Großteil der Steuerlast tragen mussten, nun aber eine ungünstige Marktsituation vorfanden. In den Hungerjahren zu Beginn des Jahrzehnts war zwar mit Getreide kurzfristig erheblicher Gewinn zu erzielen gewesen und die besseren Produktionsbedingungen der Folgejahre schienen den Bauern noch zugute zu kommen. Doch führten die Wärmeperiode ab 1771, die intensivierte Agrarwirtschaft in den Friedenszeiten und die endlich auch wirksamen Verordnungen gegen Wildschäden schließlich zu einem Überangebot an landwirtschaftlichen Produkten und einem daraus resultierenden dramatischen Preisverfall. Getreide trug ebenso wenig ein wie Vieh und Futter und Zuverdienstmöglichkeiten über den Holzverkauf wurden durch staatliche Verfügungen erschwert. Dazu kamen noch die überzogenen Forderungen und Betrügereien der Mitbürger, die in ihrem Handwerk den jeweiligen Vorurteilen gerecht werden: Müller und Bäcker prellen den Bauern um sein Korn, die Störarbeiter um Tuch, Leder und Arbeitszeit und die Gastwirte lassen sich ihre Dienste viel zu hoch bezahlen. In den letzten Strophen wird der Blick schließlich wieder auf die Auswirkungen staatlicher Eingriffe gelenkt. Durch die Seelenbeschreibung des Jahres 1771 und die laufenden Aktualisierungen war der Personenstand eines bäuerlichen Haushalts nun transparent, was sich nicht nur steuerrechtlich (Berechnung der Kopfsteuer) auswirkte. Die erwachsenen Söhne waren nun für den Militärdienst verfügbar, die Dienstbotenkinder konnten zum Schulbesuch verpflichtet werden. Das zukunftspessimistische Fazit des Lieds in der letzten Strophe stimmte zumindest in Bezug auf die Feiertage (die ja immer auch Ruhetage für die ländliche Bevölkerung waren). Hatte Papst Clemens XIV. die Feiertage in den österreichischen Diözesangebieten auf Ersuchen Maria Theresias mit seinem Breve vom 22. Juli 1771 ohnedies schon erheblich dezimiert, sollte die Zahl unter Joseph II. noch weiter abnehmen.

Schon die Herausgeber der ersten Gesamtausgabe hatten den Entstehungszeitpunkt des Lieds korrekt in die „letzten Siebzigerjahre“ des 18. Jahrhunderts gesetzt. Da der Bayerische Erbfolgekrieg offenbar noch nicht begonnen hat (vgl. Strophe 11), kann man diesen als terminus ante quem festlegen. Allerdings könnten die Soldateneinquartierungen auf Heeresbewegungen im Zuge des Einmarschs der österreichischen Armee in Niederbayern und die Oberpfalz ab Jänner 1778 hindeuten.

3 Melodien

Literatur:
Permalink: http://hdl.handle.net/11471/510.15.303
Zuletzt geändert: am: 5.9.2016 um: 20:02:45 Uhr