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VERFOLGUNG UND WIDERSTAND
IM NATIONALSOZIALISMUS
DOKUMENTIEREN UND VERMITTELN

Digitale Erinnerungslandschaft



Geisteswissenschaftliches Asset Management System



Annenstraße 34, 8020 Graz
Beschreibung: Die SchülerInnen setzen sich vertieft mit der Biografie eines im Nationalsozialismus Verfolgten auseinander und erarbeiten sich dadurch eine weitere Perspektive auf den Kontext der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung.
Ort: Graz (8020)
Zeitbedarf: 30–45 Minuten, eignet sich für Supplierstunde
Alter: 13–18 Jahre
Vermittlungsort: Klassenraum


Verbundene Orte:




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In Erinnerung an die Familie Spielmann, die in der Annenstraße ein Kleidergeschäft betrieb, wurden im Jahr 2013 Stolpersteine für die Familienmitglieder Amalia , Ernst , Grete , Hans , Helmut, Paula , Rudolf und Wilhelm verlegt. Bis auf Ernst Spielmann, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde, konnte alle weiteren Familienmitglieder flüchten und überlebten den Holocaust . Helmut Spielmann, damals ein Kind, floh mit seinen Eltern Rudolf und Paula nach Shanghai. Eine wohlbehütete Kindheit in Graz Helmut Spielmann wurde am 22. Mai 1930 in Graz als einziges Kind von Rudolf und Paula Spielmann geboren. Er wuchs im Umfeld der Grazer jüdischen Gemeinde auf, und besuchte 1938 die zweite Klasse der jüdischen Volksschule. Die Geschichte seiner Familie reicht in Graz zurück bis in die Anfangstage der jüdischen Gemeinde in den 1860er Jahren. Sein Großvater wanderte zunächst als Hausierer nach Graz zu und eröffnete später ein Kleidermachergewerbe. Sein Vater Rudolf wurde 1889 in Graz geboren und trat nach Abschluss seiner Ausbildung als Angestellter in das Kleiderhaus „Spielmann und Co“ seines um 13 Jahre älteren Bruders Wilhelm in der Annenstraße ein, wo er später auch Geschäftsleiter wurde. 1938 – Verfolgung und Vertreibung Im März 1938 lebte die Familie von Helmut Spielmann in der Sparbersbachgasse 17 in Graz. Im August 1938 wurde Helmuts Vater Rudolf vom „kommissarischen Verwalter“ der Firma seines Bruders entlassen, zudem wurde ihm der Zugriff auf sein Bankkonto entzogen. Wenige Wochen später wurde er im Zuge der Pogromnacht von der die Gestapo verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Von dort kam er am 20. Dezember 1938 wieder frei. Körperlich und seelisch schwer gezeichnet kam er nach Graz zurück und es blieben ihm nur wenige Wochen, um seine Heimat endgültig zu verlassen. Da viele Länder die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen verweigerten blieb der Familie von Helmut Spielmann letztlich nur noch die Flucht nach Shanghai, das für die Einreise weder ein Visum noch einen Kapitalnachweis verlangte. Am 20. Februar 1939 verließ die Familie Spielmann Graz in Richtung Genua, wo sie am 22. Februar das Linienschiff „Victoria“ des Lloyd Triestino bestieg. Mit dabei hatte sie ein wenig Geld, ein paar Wertgegenstände und etwas Umzugsgut. Das meiste ihres Besitzes musste die Familie zurücklassen. Shanghai – letzter Zufluchtsort Helmut Spielmann und seine Eltern erreichten nach vier Wochen Reise über Neapel, Port Said, Suez, Aden, Bombay, Colombo, Singapur, Manila und Hongkong endlich Shanghai. Die Reise selbst beschrieb Helmut als Abenteuer und gleichsam als die Ruhe vor dem Sturm. Denn die fremde Kultur, das ungewohnte Klima und die unwirtlichen Lebensbedingungen Shanghais erlebte die Familie nach ihrer Ankunft geradezu als Schock. Zwar konnte sie mit dem wenigen mitgebrachten Geld eine billige Wohnung im Zuwanderer- und Flüchtlingsviertel Hongkou erwerben. Doch die mangelnden Sprachkenntnisse und sein immer schlechter werdender Gesundheitszustand machten es dem Vater unmöglich, eine Arbeit zu finden. So musste die Familie vom Verkauf der wenigen mitgebrachten Habseligkeiten und den Unterstützungen von jüdischen Hilfsorganisationen leben. Als Rudolf Spielmann, der sich mit der fremden Lebenssituation nicht zurechtfinden konnte, einen Ausweg im Glückspiel suchte, trennte sich seine Ehefrau von ihm und der 10jährige Helmut blieb bei seiner Mutter. Rudolf Spielmann starb am 11. April 1941 an den Folgen der Verfolgung im Emigrantenspital in Shanghai. Die Mutter Paula, die vor ihrer Ehe vom Christentum zum Judentum konvertiert war, trat nach der Trennung von ihrem Mann wieder zum katholischen Glauben über. Sie nahm Helmut aus der jüdischen Schule und meldete ihn in einer katholischen Ordensschule an. Obwohl er innerhalb weniger Monate seinen Vater und seine jüdischen Spielkameraden verloren hatte, fand sich der mittlerweile 11-jährige Helmut im neuen Umfeld rasch zurecht. Er gewann neue Freunde und wurde begeistertes Mitglied der Pfadfinder. Doch an ein normales Leben war trotzdem nicht zu denken, da Shanghai seit 1937 massiv vom japanisch-chinesischen Krieg betroffen war und mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 von japanischen Truppen besetzt wurde. Ab Februar 1943 zwangen die japanischen Besatzungstruppen die staatenlosen Flüchtlinge aus Europa dazu, in einem eigenen Bezirk, der „restricted area“, zu wohnen, der nur mit besonderer Genehmigung verlassen werden durfte. In diesem Ghetto herrschte Lebensmittelknappheit, die hygienischen Zustände warten katastrophal, sodass Unterernährung und Seuchen zu massenhaften Erkrankungen und vielen Todesfällen führten. Gegen Ende des Krieges litt die vier Millionen Metropole Shanghai zunehmend auch unter den Bombardierungen durch die amerikanischen Luftstreitkräfte. Befreiung und Rückkehr nach Österreich Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 beendeten den Zweiten Weltkrieg auch im Pazifik und brachten die Befreiung Shanghais von den japanischen Besatzern. An eine Ausreise war für die rund 17.000 noch in der Stadt lebenden Flüchtlinge zunächst nicht zu denken. Die Nothilfe der Vereinten Nationen, die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) versorgte die Flüchtlinge fortan mit dem Nötigsten und übernahm die weitere Planung der Repatriierung oder Weiterreise der Flüchtlinge. Helmut Spielmann war in dieser Zeit für die amerikanischen Truppen als Übersetzer tätig und überlegte eine Auswanderung in die USA. Doch auf Wunsch seiner Mutter entschloss er sich zu einer Rückkehr nach Österreich. Gemeinsam bestiegen sie am 17. Jänner 1947 den US-Truppentransporter „SS. Marine Falcon“, der mit 952 europäischen Flüchtlingen an Bord nach Europa fuhr. Nach acht Jahren in der Emigration kamen Helmut und Paula Spielmann am 22. Februar 1947 in Österreich an. Den ersten Unterschlupf fanden sie bei ihren Verwandten in Knittelfeld. Die mittlerweile 47-jährige Paula Spielmann bemühte sich mit Hilfe einer Hinterbliebenenrente sowie öffentlichen Unterstützungen als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung ihr weiteres Leben zu meistern. Helmut wurde zunächst Übersetzer für die britischen Besatzungstruppen, ehe er im Dezember 1948 in Graz eine Ausbildung als Fachlehrer für Englisch und Deutsch begann. Seine Matura an der englischsprachigen Schule in Shanghai wurde ihm in Österreich nicht anerkannt. Helmut schloss schließlich das Sprachlehrerseminar der Privatlehr- und Erziehungsanstalt „Institut Anderl-Rogge“ in Graz erfolgreich ab und trat mit dem Schuljahr 1949/50 in der Hauptschule von Arnfels, im steirisch-slowenischen Grenzgebiet, die Stelle eines Vertragslehrers für Englisch an. Er gründete eine eigene Familie und ging 1991 nach 41 Berufsjahren als „Hauptschuloberlehrer“ in Pension. Seine Mutter Paula lebte zunächst in Knittelfeld und dann immer wieder bei ihrem Sohn in Arnfels. Sie starb am 1. März 1979. Helmut Spielmann starb am 14. Dezember 2012 in Feldbach.



Literatur

  • <p>In Erinnerung an die Familie Spielmann, die in der Annenstraße ein Kleidergeschäft betrieb, wurden im Jahr 2013 <ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss198">Stolpersteine</ref> für die Familienmitglieder<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty426">Amalia</ref>,<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty427">Ernst</ref>,<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty428">Grete</ref>,<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty429">Hans</ref>,Helmut,<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty431">Paula</ref>,<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty432">Rudolf</ref> und<ref target="http://gams.uni-graz.at/o:derla.sty433">Wilhelm</ref> verlegt. Bis auf Ernst Spielmann, der von den Nationalsozialisten ermordet wurde, konnten alle weiteren Familienmitglieder flüchten und überlebten den <ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss81">Holocaust</ref>. Helmut Spielmann, damals ein Kind, floh mit seinen Eltern Rudolf und Paula nach Shanghai. <lb></lb><lb></lb><emph style="bold">Eine wohlbehütete Kindheit in Graz</emph><lb></lb>Helmut Spielmann wurde am 22. Mai 1930 in Graz als einziges Kind von Rudolf und Paula Spielmann geboren. Er wuchs im Umfeld der Grazer jüdischen Gemeinde auf, und besuchte 1938 die zweite Klasse der jüdischen Volksschule.<lb></lb>Die Geschichte seiner Familie reicht in Graz zurück bis in die Anfangstage der jüdischen Gemeinde in den 1860er-Jahren. Sein Großvater wanderte zunächst als Hausierer nach Graz zu und eröffnete später ein Kleidermachergewerbe. Sein Vater Rudolf wurde 1889 in Graz geboren und trat nach Abschluss seiner Ausbildung als Angestellter in das Kleiderhaus „Spielmann und Co“ seines um 13 Jahre älteren Bruders Wilhelm in der Annenstraße ein, wo er später auch Geschäftsleiter wurde. <lb></lb><lb></lb><emph style="bold">1938 – Verfolgung und Vertreibung</emph><lb></lb>Im März 1938 lebte die Familie von Helmut Spielmann in der Sparbersbachgasse 17 in Graz. Im August 1938 wurde Helmuts Vater Rudolf vom <ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss232"> „kommissarischen Verwalter“</ref> der Firma seines Bruders entlassen, zudem wurde ihm der Zugriff auf sein Bankkonto entzogen. Wenige Wochen später wurde er im Zuge der <ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss9">Pogromnacht</ref> von der<ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss62">Gestapo</ref> verhaftet und ins <ref target="https://gams.uni-graz.at/o:derla.didgloss#gloss41">KZ Dachau</ref> gebracht. Von dort kam er am 20. Dezember 1938 wieder frei. Körperlich und seelisch schwer gezeichnet kam er nach Graz zurück und es blieben ihm nur wenige Wochen, um seine Heimat endgültig zu verlassen.<lb></lb>Da viele Länder die Aufnahme von jüdischen Flüchtlingen verweigerten blieb der Familie von Helmut Spielmann letztlich nur noch die Flucht nach Shanghai, das für die Einreise weder ein Visum noch einen Kapitalnachweis verlangte. Am 20. Februar 1939 verließ die Familie Spielmann Graz in Richtung Genua, wo sie am 22. Februar das Linienschiff „Victoria“ des Lloyd Triestino bestieg. Mit dabei hatte sie ein wenig Geld, ein paar Wertgegenstände und etwas Umzugsgut. Das meiste ihres Besitzes musste die Familie zurücklassen. <lb></lb><lb></lb><emph style="bold">Shanghai – letzter Zufluchtsort</emph><lb></lb>Helmut Spielmann und seine Eltern erreichten nach vier Wochen Reise über Neapel, Port Said, Suez, Aden, Bombay, Colombo, Singapur, Manila und Hongkong endlich Shanghai. Die Reise selbst beschrieb Helmut als Abenteuer und gleichsam als die Ruhe vor dem Sturm. Denn die fremde Kultur, das ungewohnte Klima und die unwirtlichen Lebensbedingungen Shanghais erlebte die Familie nach ihrer Ankunft geradezu als Schock.<lb></lb>Zwar konnte sie mit dem wenigen mitgebrachten Geld eine billige Wohnung im Zuwanderer- und Flüchtlingsviertel Hongkou erwerben. Doch die mangelnden Sprachkenntnisse und sein immer schlechter werdender Gesundheitszustand machten es dem Vater unmöglich, eine Arbeit zu finden. So musste die Familie vom Verkauf der wenigen mitgebrachten Habseligkeiten und den Unterstützungen von jüdischen Hilfsorganisationen leben. Als Rudolf Spielmann, der sich mit der fremden Lebenssituation nicht zurechtfinden konnte, einen Ausweg im Glückspiel suchte, trennte sich seine Ehefrau von ihm und der 10jährige Helmut blieb bei seiner Mutter. Rudolf Spielmann starb am 11. April 1941 an den Folgen der Verfolgung im Emigrantenspital in Shanghai.<lb></lb>Die Mutter Paula, die vor ihrer Ehe vom Christentum zum Judentum konvertiert war, trat nach der Trennung von ihrem Mann wieder zum katholischen Glauben über. Sie nahm Helmut aus der jüdischen Schule und meldete ihn in einer katholischen Ordensschule an. Obwohl er innerhalb weniger Monate seinen Vater und seine jüdischen Spielkameraden verloren hatte, fand sich der mittlerweile 11-jährige Helmut im neuen Umfeld rasch zurecht. Er gewann neue Freunde und wurde begeistertes Mitglied der Pfadfinder.<lb></lb>Doch an ein normales Leben war trotzdem nicht zu denken, da Shanghai seit 1937 massiv vom japanisch-chinesischen Krieg betroffen war und mit dem Kriegseintritt der USA im Dezember 1941 von japanischen Truppen besetzt wurde. Ab Februar 1943 zwangen die japanischen Besatzungstruppen die staatenlosen Flüchtlinge aus Europa dazu, in einem eigenen Bezirk, der „restricted area“, zu wohnen, der nur mit besonderer Genehmigung verlassen werden durfte. In diesem Ghetto herrschte Lebensmittelknappheit, die hygienischen Zustände warten katastrophal, sodass Unterernährung und Seuchen zu massenhaften Erkrankungen und vielen Todesfällen führten. Gegen Ende des Krieges litt die vier Millionen Metropole Shanghai zunehmend auch unter den Bombardierungen durch die amerikanischen Luftstreitkräfte. <lb></lb><lb></lb><emph style="bold">Befreiung und Rückkehr nach Österreich</emph><lb></lb>Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am 6. und 9. August 1945 beendeten den Zweiten Weltkrieg auch im Pazifik und brachten die Befreiung Shanghais von den japanischen Besatzern. An eine Ausreise war für die rund 17.000 noch in der Stadt lebenden Flüchtlinge zunächst nicht zu denken. Die Nothilfe der Vereinten Nationen, die UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) versorgte die Flüchtlinge fortan mit dem Nötigsten und übernahm die weitere Planung der Repatriierung oder Weiterreise der Flüchtlinge. Helmut Spielmann war in dieser Zeit für die amerikanischen Truppen als Übersetzer tätig und überlegte eine Auswanderung in die USA. Doch auf Wunsch seiner Mutter entschloss er sich zu einer Rückkehr nach Österreich. Gemeinsam bestiegen sie am 17. Jänner 1947 den US-Truppentransporter „SS. Marine Falcon“, der mit 952 europäischen Flüchtlingen an Bord nach Europa fuhr. Nach acht Jahren in der Emigration kamen Helmut und Paula Spielmann am 22. Februar 1947 in Österreich an. Den ersten Unterschlupf fanden sie bei ihren Verwandten in Knittelfeld.<lb></lb>Die mittlerweile 47-jährige Paula Spielmann bemühte sich mit Hilfe einer Hinterbliebenenrente sowie öffentlichen Unterstützungen als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung ihr weiteres Leben zu meistern. Helmut wurde zunächst Übersetzer für die britischen Besatzungstruppen, ehe er im Dezember 1948 in Graz eine Ausbildung als Fachlehrer für Englisch und Deutsch begann. Seine Matura an der englischsprachigen Schule in Shanghai wurde ihm in Österreich nicht anerkannt. Helmut schloss schließlich das Sprachlehrerseminar der Privatlehr- und Erziehungsanstalt „Institut Anderl-Rogge“ in Graz erfolgreich ab und trat mit dem Schuljahr 1949/50 in der Hauptschule von Arnfels, im steirisch-slowenischen Grenzgebiet, die Stelle eines Vertragslehrers für Englisch an.<lb></lb>Er gründete eine eigene Familie und ging 1991 nach 41 Berufsjahren als „Hauptschuloberlehrer“ in Pension. Seine Mutter Paula lebte zunächst in Knittelfeld und dann immer wieder bei ihrem Sohn in Arnfels. Sie starb am 1. März 1979. Helmut Spielmann starb am 14. Dezember 2012 in Feldbach.</p>