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VERFOLGUNG UND WIDERSTAND
IM NATIONALSOZIALISMUS
DOKUMENTIEREN UND VERMITTELN

Digitale Erinnerungslandschaft



Geisteswissenschaftliches Asset Management System



Schröttergasse 7, 8010 Graz
Beschreibung: Die SchülerInnen setzen sich vertieft mit der Biografie einer im Nationalsozialismus Verfolgten auseinander und erarbeiten sich dadurch eine weitere Perspektive auf den Kontext Verfolgung und Widerstand.
Ort: Stadt Graz (8010)
Zeitbedarf: 30–45 Minuten, eignet sich für Supplierstunde
Alter: 13–18 Jahre
Vermittlungsort: Klassenraum


Verbundene Orte:




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Im Jahr 2014 wurden vom Verein für Gedenkkultur in Graz, in der Schröttergasse 7, dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Kurzweil, in Erinnerung an Adele und ihre Eltern Bruno und Gisela Kurzweil Stolpersteine verlegt. Die Familie Kurzweil, von den Nationalsozialisten als Juden verfolgt, floh 1938 aus Graz nach Frankreich, war allerdings nach dem Überfall der Wehrmacht auf Frankreich im Frühjahr 1940 erneut zur Flucht gezwungen. Letztlich wurden Sie verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet. Eine glückliche Kindheit Die Familie Kurzweil kam vor dem Ersten Weltkrieg aus Wien nach Graz. Der 1891 geborene Bruno, Sohn eines k.u.k. Stabsarztes, maturierte 1809 am heutigen Akademischen Gymnasium und studierte anschließend bis 1914 in Graz Jus. Bereits während seines Studiums schloss er sich den Sozialdemokraten an. Auch wenn er selbst nie politische Funktionen innegehabt hatte, so zählten die Sozialdemokratische Partei und viele ihrer Mitglieder ebenso wie die Freie Gewerkschaft, die Mietervereinigung und die Stadtgemeinde Graz zu seinen Klienten als Rechtsanwalt. Wiederholt verteidigte Bruno Kurzweil Sozialdemokraten vor Gericht und er führte spektakuläre Prozesse gegen Nationalsozialisten. Auch sein ganzes privates Umfeld bestand aus sozialdemokratischen FreundInnen. Im Jahr 1922 heiratete Bruno Kurzweil Gisela und am 31. Jänner 1925 kam ihr einziges Kind Adele zur Welt. Adele besuchte zunächst die Mädchenvolksschule am Graben und anschließend das Franz Ferdinand Oberlyzeum in der Sackstraße. Zur jüdischen Gemeinde hatte sie keinen Kontakt, da ihr Vater bereits 1912 aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten war. Sie selbst folgte ihm mit ihrer Mutter im Jahr 1926, womit die Familie konfessionslos war. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten 1938 und der Einführung der „Nürnberger Rassengesetze“ wurden Adele, Bruno und Gisela jedoch wieder zu „Juden“ gemacht und verfolgt. Flucht aus Graz nach Paris Während Adele das Schuljahr 1937/38 noch beendete, waren ihre Eltern bereits auf der Suche nach Fluchtmöglichkeiten. Ihrem Vater war bewusst, dass er wegen seiner jüdischen Abstammung und seiner politischen Einstellung keine Zukunft im Deutschen Reich mehr hatte. So wurde er Anfang Juni 1938 aus der Rechtsanwaltskammer ausgeschlossen und mit Berufsverbot belegt. Im Sommer 1938 boten sich mit Australien und Frankreich zwei Staaten für eine Auswanderung an. Die Entscheidung fiel jedoch auf Frankreich, da sich die gesamte Führung der österreichischen Sozialdemokratie im Pariser Exil befand und Bruno Kurzweil sich ihr anschließen wollte. Am 24. August 1938 erhielt die Familie ihre Reisepässe und am 17. Oktober erreichte die Familie Paris. Bruno Kurzweil arbeitete für die „Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten“ und schrieb juristische Texte für die Zeitschrift „Sozialistischer Kampf“. Seine Frau Gisela ließ sich zur Masseurin ausbilden, Tochter Adele besuchte in Paris die Schule. Sie war nicht das einzige Flüchtlingskind und schloss sich der von ExilantInnen in Paris gegründeten Gruppe „Freundschaft“, der „Roten Falken“ an. Mit ihren neuen FreundInnen unternahm sie gemeinsame Wanderungen, machte Ausflüge, diskutierte und erfreute sich an der Gemeinschaft. Der Weltkrieg: Paris – Montmorency – Montauban – Auschwitz Mit Kriegsausbruch wurde Bruno Kurzweil als deutscher Staatsbürger zum „feindlichen Ausländer“ und im Lager Meslay-du-Maine interniert. Auch Adele konnte nicht mehr zu ihrer Mutter zurück und kam mit ihren FreundInnen in ein Heim für Flüchtlingskinder in Montmorency nahe Paris. Nur die Mutter Gisela konnte in Paris bleiben. Im Heim, das von einer privaten jüdischen Hilfsorganisation (Organisation de Secours aux Enfants, OSE) mit reformpädagogischen Ansätzen geführt wurde, konnte die Gruppe der „Roten Falken“ zusammenbleiben. Adele ging weiter zur Schule, litt aber sehr unter der Trennung von ihrer Familie, mit der sie nur über Briefe und Postkarten in Kontakt sein konnte. Nach dem Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Belgien, die Niederlande, Luxemburg und Frankreich im Mai 1940, mussten die Flüchtlinge Paris und jene Teile Frankreichs, die von der Wehrmacht eingenommen wurden, fluchtartig verlassen. Sie versuchten sich nach Südfrankreich zu retten, auch die Familie Kurzweil. Adele verließ Anfang Juni 1940 das Kinderheim und fuhr wie viele andere Bekannte nach Montauban. In der kleinen Stadt nördlich von Toulouse hatte sich auch die Auslandsvertretung der österreichischen Sozialisten zurückgezogen. Hier im freien Frankreich, dessen Regierung ihren Sitz in der Stadt Vichy hatte, versuchten die Flüchtlinge Ausreisepapiere in sichere Länder, vor allem in Übersee, zu organisieren. Auch Bruno Kurzweil, der im Februar 1940 aus der Internierung entlassen worden war, setzte sich für Flüchtlinge ein und versuchte zugleich, auch für seine eigene Familie gültige Papiere zu erhalten. Zwar ergaben sich immer wieder Möglichkeiten, doch nie für die ganze Familie. Eine Trennung der Familie kam für ihn jedoch nicht in Frage, doch die Zeit wurde immer knapper und das Leben gefährlicher. Denn die Regierung in Vichy kollaborierte mit den Nationalsozialisten und so mussten sich im Juli 1941 alle Jüdinnen und Juden registrieren lassen. Während viele dieser Anordnung nicht Folge leisteten und in den Untergrund abtauchten, ließ Bruno Kurzweil, wahrscheinlich im Vertrauen auf den „Rechtsstaat“, seine Familie registrieren: ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte. Denn auf Drängen der deutschen Regierung begann man Mitte Juli 1942 in Vichy-Frankreich Razzien durchzuführen. Am 26. August 1942 wurde die Familie Kurzweil in ihrer Wohnung verhaftet, in das Arbeitslager Camp de Septfonds gebracht und am 1. und 2. September in das Sammel- und Durchgangslager Drancy , rund 20 Kilometer nordöstlich von Paris verfrachtet. Von hier aus erfolgten die Deportationen der Jüdinnen und Juden in die Vernichtungslager. Im Transport Nr. 30 vom 9. September 1942 saßen viele Erwachsene, rund 100 Kinder und auch die Familie Kurzweil. Das Ziel war Auschwitz, Endstation einer vier Jahre andauernden Flucht. Unmittelbar nach der Ankunft wurde der Großteil der Deportierten sofort in den Gaskammern ermordet, so auch Bruno, Gisela und Adele Kurzweil.



Literatur

  • Heimo Halbrainer, Graz-Pais-Montauban-Auschwitz. Stationen eines kurzen Lebens. Biographische Skizzen zur Familie Bruno, Gisela und Adele Kurzweil, in: ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus/Christian Ehetreiber/Heimo Halbrainer/Bettina Ramp (Hg.), Der Koffer der Adele Kurzweil. Auf den Spuren einer Grazer jüdischen Familie in der Emigration, Graz 2001, 21–40,
  • Heimo Halbrainer, Die gescheiterte Flucht der Adele Kurzweil und ihrer Familie, in: Christian Ehetreiber/Bettina Ramp/Sarah Ulrych (Hg.), … und Adele Kurzweil und … Fluchtgeschichte(n) 1938 bis 2008, Graz 2009, 17–62.
  • Hanna Papanek, Die unentbehrliche, unerträgliche Forschung, in: ARGE Jugend gegen Gewalt und Rassismus/Christian Ehetreiber/Heimo Halbrainer/Bettina Ramp (Hg.), Der Koffer der Adele Kurzweil. Auf den Spuren einer Grazer jüdischen Familie in der Emigration, Graz 2001, 41–54.
  • Heimo Halbrainer/Gerald Lamprecht, Nationalsozialismus in der Steiermark. Opfer – Täter – Gegner. Innsbruck-Wien-Bozen 2015.