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VERFOLGUNG UND WIDERSTAND
IM NATIONALSOZIALISMUS
DOKUMENTIEREN UND VERMITTELN

Digitale Erinnerungslandschaft



Geisteswissenschaftliches Asset Management System



Parkring 4, 8010 Graz
Beschreibung: Die SchülerInnen setzen sich vertieft mit einer der zentralen Institutionen des NS-Regimes auseinander und erarbeiten sich dadurch eine weitere Perspektive auf den Kontext Verfolgung und Massenmord.
Ort: Stadt Graz (8010)
Zeitbedarf: 30–45 Minuten, eignet sich für Supplierstunde
Alter: 13–18 Jahre
Vermittlungsort: Klassenraum


Verbundene Orte:




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1995 wurde durch den damaligen Innenminister Caspar Einem in Erinnerung daran, dass im Gebäudekomplex Polizeidirektion Paulustorgasse zwischen 1938 und 1945 auch der Sitz der Gestapo war, im Innenhof ein Kirschbaum gepflanzt und eine Gedenktafel angebracht. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ 1938 wurde mit dem Runderlass des Chefs der Deutschen Polizei, Reichsführer SS Heinrich Himmler, über die „Organisation der Geheimen Staatspolizei“ die ehemalige Sicherheitsdirektion für Steiermark zur Staatspolizeistelle. Verdienstvolle ehemalige illegale Nationalsozialisten und anpassungsfähige Polizeibeamte bildeten in der Folge in Graz den über 100 Personen umfassenden Gestapoapparat, der beim Paulustor, im Haus Parkring 4, seinen Sitz hatte. Die Gestapo in Graz gliederte sich in verschiedene Referate, wobei diese wieder Unterabteilungen hatten. So gab es ein sogenanntes Nachrichtenreferat, in dem die Informationen der V-Leute bearbeitet wurden, sowie Referate, die zuständig waren für die Linksopposition, Verstöße gegen das Rundfunk- und Heimtückegesetz, die Rechtsopposition, Religions- und Judenangelegenheiten, Schutzhaft- und KZ-Angelegenheiten sowie für Spionage und Grenzangelegenheiten. Ein eigenes Referat gab es für „Ausländerangelegenheiten“, da diese in Strafsachen einer „Sonderbehandlung“ durch das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin unterlagen. Dabei kam es zu einer Arbeitsteilung zwischen der Gestapo Graz und dem RSHA in Berlin. Demnach war die Gestapo für Verhaftung, Einvernahme und Strafanträge zuständig, während das RSHA in Berlin den Vollzug der in den meisten Fällen beantragten Todesstrafe anordnete. Die Hinrichtungen fanden letztlich wieder vor Ort, in den Gemeinden, wo die AusländerInnen „straffällig“ geworden waren, oder im hinteren Hof des Polizeipräsidiums statt. . Die Gestapostelle Graz war – trotz ihrer über 100 Mitarbeitern – personell nicht sehr gut ausgestattet. Dennoch gelange es ihr in der Steiermark nicht nur tausende RegimegegnerInnen auszuforschen, sondern auch einen Großteil des organisierten Widerstands zu zerschlagen. Neben Misshandlungen und Folter konnte sie zur Gewinnung von Informationen auch auf den systematischen Einsatz von Konfidenten (V-Leuten) zurückgreifen. Dazu wurden verhaftete politische GegnerInnen um den Preis der Nichtabschiebung in ein Konzentrationslager wieder freigelassen, damit diese in den Widerstandsorganisationen wieder tätig sein und das Nachrichtenreferat der Gestapo mit Informationen beliefern konnten. Außerdem konnte die Gestapo sich auf die Zuträgerdienste von „Partei- und Volksgenossen und -genossinnen“ verlassen, die jede Form abweichenden Verhaltens – von „wehrkraftzersetzenden“ Reden über das verbotene Hören von „Feindsendern“ bis hin zu verbotenen Kontakten mit ZwangsarbeiterInnen oder Kriegsgefangenen – denunzierten. Zigtausende solche „kleine Widersätzlichkeiten“ landeten so bei der Gestapo in Graz, wo die jeweiligen Referate die unterschiedlichen Delikte bearbeiteten. Diese entschieden in der Folge, was mit den angezeigten bzw. ihr überstellten Personen geschehen sollte. Dabei hatte die Gestapo unterschiedliche Möglichkeiten. Sie reichten von einer Geldstrafe, dem so genannten Sicherungsgeld, über Redeverbot und Gauverweis – dies betraf vielfach Priester – bis hin zur sogenannten „Schutzhaft“ , in welche die meisten politisch Verdächtigen genommen wurden. Im „Schutzhafterlass“ aus dem Jahr 1939 hieß es: „Die Schutzhaft kann als Zwangsmaßnahme der Geheimen Staatspolizei zur Abwehr aller volks- und staatsfeindlichen Bestrebungen gegen Personen angeordnet werden, die durch ihr Verhalten den Bestand und die Sicherheit des Volkes und Staates gefährden.“ Die „Schutzhaft“ ist „grundsätzlich in staatlichen Konzentrationslagern zu vollstrecken.“ Zwischen 12. März 1938 und dem Kriegsende waren in der Steiermark von der Gestapo sowie anderen Dienststellen insgesamt 46.730 Personen beim Paulustor eingeliefert worden. Rund die Hälfte wurde nach erfolgter Einvernahme wieder auf freien Fuß gesetzt. Die anderen wurden den Gerichten übergeben, in ein Konzentrations- bzw. ein Arbeitslager eingeliefert oder an andere Sicherheitsdienststellen und Gefangenenhäuser überstellt. . Im Zuge der Räumung der Haftanstalten in der Endphase der NS-Herrschaft wurden Häftlinge der Grazer Gestapo einer sogenannten „Sonderbehandlung“ unterzogen. Angehörige der Grazer Gestapo überstellten zwischen 2. April und 2. Mai 1945 49 Gestapo-Häftlinge in die SS-Kaserne nach Wetzelsdorf, wo diese erschossen wurden.



Literatur

  • Heimo Halbrainer: NS-Terror in der Steiermark, in: Heimo Halbrainer/ Gerald Lamprecht / Ursula Mindler (Hg.): NS-Herrschaft in der Steiermark. Positionen und Diskurse, Wien-Köln-Weimar 2012, S. 243–266.
  • Heimo Halbrainer: Palais Wildenstein: Die Polizeidirektion während der NS-Zeit, in: herbst. Theorie zur Praxis. Magazin des Steirischen Herbst 2014, S. 106–109.
  • Heimo Halbrainer: Widerstand und Verrat – Die Unterwanderung des steirischen Widerstands durch V-Leute der Gestapo, in: Margit Franz / Heimo Halbrainer / Gerald Lamprecht u.a. (Hg.): Mapping contemporary history. Zeitgeschichten im Diskurs, Wien-Köln-Weimar 2008, S. 321–349.