1.
Der
Schloßberg.
Sonst nichts erhob sich einst am Murgestade
Bey Grätz, als nur ein grauer Steinkoloß,
Kahl, unwirthbar und bloß; –
Und steil hinab am engen Felsen-Pfade
Trieb sich der Strom in schwarzer Tiefe fort.
An dieses Felsenthurmes Rücken
Zeigt sich uns'ren erstaunten Blicken
Ein dichter Hain, von stäter Nacht umflort!
Die Stadt Grätz besaß unlängst noch an ihrem Schloßberge ihre meisten Sehenswürdigkeiten.
Nach dem verhängnißvollen Jahre 1809 wandelt man auf demselben zwischen gräßlichen Trümmern
einher, aber man genießet noch da der entzückenden Aus-sicht in die mahlerischen Umgebungen,
womit die Natur gegen die Gegend von Grätz so freigebig sich bewies. Ein Strom, den unsere
Vorfahren den natürlich tönenden Nahmen der Mur hinterlassen haben, theilt dieselbe in die Morgen-und Abend-seite entzwey.
Ein wilder Strom! Aber indessen er seine laute, brausende Stimme
erhebt, führt er auch reinere Luft oder labende Kühlung mit sich, und schwimmen von
schäumenden Wellen getragen, freundliche Flösse seinen Rücken hinab. Drey seiner Arme, (die
Mühlgänge) und verschiedene Bäche, der Thal-Andritz-Grätzbach u., die still und
heim-lich hinter Sträuchen und Gebüschen sich mit ihm vereinigen, bewässern diese Gegend. –
Doch wer könnte die Lage von Grätz zeichnen? In ihrem gan-zen Umfange folgt das
außerordentlichste Gemählde den Blicken des Wanderers. Jede ihrer Seiten ge-währt ein
eigenes Tableau, das man Tagelang stu-dieren könnte. Auf der östlichen und südöstlichen
Seite entrollen sich unübersehbare Hügeln dem Blick, ihre Fluthen von Grün scheinen sich
entfernend, in unmerklicher Abstufung mit der Bläue des Him-mels zu verschmelzen, in dem sie
verschwinden. Mitten im Walde steht die Kirche
Maria Trost, wie auf den Wipfeln der Bäume, als hätte sie sich dort
aufgerichtet, dem Schloßberge, der
sonst donnernd hinüber zu sprechen drohte, eine Antwort des Friedens und der Sanftmuth zu
geben. – Auch die Riegersburg ist da, deren Thürme und Zinnen so
stolz über das Meer niedriger Berge hervorra-gen. – Gegen Süden ziehen sich Ebenen hin, in
denen eine arkadische Ruhe von Zephyren gewiegt, zwischen Blumen und grasreichen Auen
schlummert, und dem sinnenden Wanderer süße Gefühle einflößt.
Der Mure
schlängelnde Silberwogen führen hier das Auge zum Wildonerberg als
einem will-kommenen Ruhepunct hin. – Plötzlich verändert sich die Scene bey einem Blick
gegen Norden. Her-überhängend über den Lauf des Gewässers streben kahle Gebirge zu Höhen
hinan, wo alle menschliche Spur gleichsam verwehet scheint. Die prächtigen Wildnisse der
oberen Steyermark entfalten sich da den erstaunten Blicken. Die gigantischen Schnee-rücken
der Drachentauern und Stub-und Biber-Al-pen beschließen mit ihren zackichten grottesken
Gipfeln den Gesichtskreis. Das Auge schwelgt in der Mannig-faltigkeit der Formen und Umrisse
dieser Zinnen des Himmels, die eine Mauer von mehr als zwanzig Meilen bilden. Der hohen
Waldburg Gösting um-büschte
Trümmer, über welche die Schatten der be-nachbarten Bergwälder eine magische Dämmerung
verbreiten, ziehen hier die Aufmerksamkeit des Se-hers auf sich, und ebnen sein Gemüth zur
milden Wehmuth und zum stillen Andenken vergangener Zeiten. – Der westliche Horizont ist von
wallen-den Bergen begränzt, die, der eine hinter den an-deren fliehend und sich in die
Wolken erhebend, aufgestockte Forste von Tannen und Fichten tragen. Immer weiter ziehen sich
diese hinab, bis sie die Schatten der Schwanberger-Alpen in Dunkel hül-len und das Auge in
bleicher Ferne die Umrisse der Gegenstände nicht mehr zu sondern vermag.
Eckenberg, das prächtige, St.
Martin, Straß-gang, und die kleinen Kirchelchen auf den
Berg-spitzen, dienen diesem schönen Tableau zu Staffagen.
Die Bildung des Kessels, worin die Stadt Grätz liegt, die Gebirgsarten der
diesen Kessel for-mirenden Gebirge, die zwey isoliert da stehenden Felsenmassen des
Schloßberges und Calvarienberges, endlich die Beschaffenheit
des Bodens vom Grätzer-und Fernitzerfelde, Fast überall auf dem Grätzer-und
Fernitzerfelde findet man unter der Dammerde mehrere Klafter tiefen Grus oder Schotter,
der aus unzähligen stumpfeckigen oder ganz ab-gerundeten Theilen von Kalkgestein, Kalk
oder Mergel-schiefer besteht. Unter ihm liegt in horizontalen Schichten grünlich grauer
Töpferthon, dann abermahls Schotter. geben die sehr wahrscheinli-che Vermuthung,
daß diesen Kessel einst, in den Tagen der nicht historischen Vorzeit, ein großer See
ausfüllte. Dieser See mag durch irgend ein Ereigniß, das man sich besonders bei Betrachtung
der Gegend um Wildon leicht erklären kann, seinen natürlichen Damm
durchgebrochen haben, – denn nicht auf dem Boden deiner Erde wandelst du ar-mer Mensch!
sondern auf einem Dache deines Hau-ses, das durch viele Überschwemmungen erst zu dem werden
konnte, was es dir jetzt ist.
Später muß man sich diese Gegend lange Zeit als eine waldigte Steppe denken,
weil der Mur-fluß, der den gedachten See gebildet haben
mußte, lange vor Gründung von Grätz schon längst den westlichen
Gebirgen feinen Rinnsal hatte, Der westliche Theil des Grätzerfeldes zeigt die
deutlichsten Spuren des von Westen nach Osten in ein tieferes Bett zurückgesunkenen
Flußes, und die abgerundeten Steinar-ten sind daselbst die nähmlichen, wie in jetzigen
Rinnsale, Murkgestein mit verwitterten Granaten, Hornblende, Rö-thelsteiner Marmor,
unächter Serpentin, körnigter Gra-nit mit rothlichten Feldspat, weißer mit Eisentheilen
ver-mengter Quarz, glimmerigter Schieferstein, und hier und da karmesinrother
Jaspis. bey Gründung dieser Stadt aber sich bereits da befand, wo man ihn noch
heute findet.
Das Thal und die Umgebungen von Grätz mögen einst wohl die alten Bayern
mächtig gefes- selt haben, als sie von Carl dem Großen in die verödeten Gegenden Norikums
geschickt, sich so zahl-reich da niederließen. Daher der Umstand, daß Grätz
schon von seinem ersten deutschen Ursprung an, eine beträchtliche Stadt gewesen ist, daß
es schon 1164 aus Stadt, Schlössern und Vor-städten bestanden hat. Dip, Ottoc. V.
Die elenden Hütten der Winden, an römische Trümmer gelehnt, konnten das nicht bewirket
haben, aber der Gegend Zau-berreiz, die fruchtbaren Fluren, der freundliche Kranz von
Bergen, der diesen Thalgrund um-schließt. – Es unterliegt zwar keinem Zweifel, daß der so
sonderbare, isolierte Schloßberg,
schon zur Zeit der Römerherrschaft bewohnt gewesen ist, wenn auch nicht die erst in unseren
Tagen unter-gegangene Kirche St. Thomas ein sprechender Be-weis davon
gewesen wäre, denn man sieht noch jetzt in der Burg zu Grätz den Grabstein des Rö-mers Candidus
Quintus Morsus sammt seinem, seiner Gattinn Suria, und seines kleinen Sohnes Bildnissen, der
1577 bey Erbauung der neuen Fe- stung hier gefunden wurde; man hat nebst ande-ren
Denkmählern auch einen Stein ausgegraben, der um das Jahr der Welt 3690, mithin lange vor
Christus gesetzt worden war. Aber nach allen Stürmen der Völkerwanderung behaupteten gegen
Ende des achten Jahrhunderts ausschließend die Bayern sich im Besitz dieses Berges,
befestigten ihn als ein Gränzschloß und legten Gränizer oder Gränzsoldaten hinein.
Erinnern uns denn nicht die alten Gränzgra-fen, (Confini comites) die meta
bavarica und die alte Benennung der Stadt Grätz, „Bay-erischgrätz” (Græcium bavaricum) daß
hierum die Gränze der alten Bayern gewesen, und daß Grätz daher einen Nahmen hat? Durch diese historischen Thatsachen, sagt Rohrer, (Ver-such über die deutschen
Bewohner der österreich. Monarchie I. Thl. S. 2o.) erklärt sich manches Räthsel, z. B.,
das frohe gleich sinniche Leben in Grätz und München; eine ungemeine Ähnlichkeit in der
Gesichtsbildung und dem Kör-perbaue zwischen den Grätzerinnen und Münchnerinnen, welche
schon mehreren Reisenden auffiel; die gleiche, wei-che Sprache, eben derselbe
gesellschaftliche Ton, ja selbst manche unverkennbare Unarten. -Diese so auffallende
Ähnlichkeit zwischen den Bayern und Steyermärkern zeigt sich aber nicht bloß bey den
Bewohnern der Hauptstädte, sondern noch deutlicher bei den Landvolke beyder Nationen.
Sey es übri-gens auch, daß die nahen Winden Grätz: Gratz, (Grad, Gradez) nannten,
womit sie in ihrer Sprache doch nur das Schloß, nicht auch die
Stadt, überhaupt aber nicht bloß das Schloß von Grätz allein, sondern jedes Schloß
bezeichneten.
Den Nahmen Bayerischgrätz hatte Grätz bis zum fünfzehnten Jahrhundert, denn
noch Arneas Sylvius, ein Höfling Kaiser Friedrichs des Fried-samen und nachheriger Papst,
nannte in seinen Briefen (Nureberge 1481 impensis An-tonii Koburger) diese Stadt so. Hanns
Thurn- mayers und Hieronymus Megisers und mehrere an-dere Chroniken sagen sogar, es werde
noch zu ihrer Zeit (im sechzehnten Jahrhundert) Grätz, „Bay-erischgrätz” genannt. Und wenn
man auch früher schon das Wort „Bayerisch” hinwegließ, so geschah solches mehr des Reimes
und der Kürze wegen, als per excellentiam.
Nachdem später Bayern zerstückt worden war, und Grätz unter der
Bothmäßigkeit der Hunnen einige Zeit geschmachtet hatte, belehnte Kaiser Hein-rich der
Vierte den Grafen Walter von Ruen mit dem Gebiethe von Grätz. Aber dieser übergab das-selbe
mit Einwilligung seiner Gattinn Irmgarde und seiner hoffnungslosen Brüder Eckbert und
Adalbert, dem Markgrafen von Steyer, Ottokar, dem IV., und Ottokarn war Grätz eine
erwünschte Gelegen-heit, die armen Söhne Durings, von einer Neben-linie seines Hauses, damit
zu belehnen.