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Europa in der atlantischen Welt der Neuzeit

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Europa

Europa stellt keine überhistorische, ein für allemal feststehende Grösse dar, sondern Europa ist ein „gedachtes Land“, so schon die Formulierung im 8. Band des Zedlerschen Universal-Lexicons (1734), das in der Neuzeit weitreichendem historischen Wandel unterliegt. Erstmals taucht der Begriff „Europa“ im 8. Jahrhundert als Raumbezeichnung für den Raum auf, den man heute als den europäischen Kontinent bezeichnet, dessen Süd-, Nord- und Westgrenze geographisch eindeutig bestimmbar sind, dessen Ostgrenze aber unspezifisch bleibt.

Erst in der Auseinandersetzung mit der forcierten Expansion des Osmanischen Reiches zu Wasser (seit Beginn des 16. Jahrhunderts Kontrolle über den östlichen Mittelmeerraum) und zu Lande (1453 Fall Konstantinopels), finden sich erste Ansätze eines Europabewusstseins, beginnt das Nachdenken darüber, was denn die zu verteidigende Eigenart Europas resp., so der zeitgenössische Terminus, der lateinischen Christenheit ausmacht. Lateinische Christenheit als Synonym für Europa verdeutlicht, dass um 1500 die Zusammengehörigkeit Europas auf der Grundlage der gemeinsamen kirchlichen Organisation unter dem päpstlichen Oberhaupt konstruiert wurde. Und so ist es kein Zufall, dass es der Humanist und spätere Papst Pius II. Enea Silvio Piccolomini (1405-1464) war, der der in seiner „Cosmographia“ (Druck: 1501) jenes Werk verfasste, das lange Zeit die Europadiskurse prägen sollte. Die lateinische Christenheit, organisiert in Erzbistümern und Bistümern, reichte von Portugal im Westen bis zur Weichsel im Osten, von Sizilien bis Skandinavien.

Seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts tritt der kirchlich konnotierte Europabegriff in den Hintergrund, wird die Rede von der europäischen Staats- und Völkerfamilie zu einem politischen Leitbegriff, um als Chiffre für eine bestimmte Form des sozialen und politischen Miteinanders seit dem 18. Jahrhundert ständig an Bedeutung zu gewinnen. Das neue Europaverständnis bahnte seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert endgültig auch derjenigen Macht den Weg nach Europa, deren Zugehörigkeit zu Europa bis dahin offen gewesen war – dem Zarenreich Russland, das seit seiner im 10. Jahrhundert erfolgenden Missionierung durch die Ostkirche dem griechisch-orthodoxen Kulturkreis angehörte. Russland trat in das Mächteeuropa des 18. Jahrhunderts auf demselben Weg ein, der das europäische Miteinander auch der anderen Mächte geprägt hatte – durch seine Beteiligung an kriegerischen Konflikten.

Datieren die Anfänge von Bemühungen, das europäische Mit-, Neben- und Gegeneinander normativen, nämlich: juristischen, Regeln zu unterwerfen, schon auf das 17. Jahrhundert (Entstehen des Ius publicum Europaeum; H. Grotius), so wurde erstmals 1815 der Versuch unternommen, einen Gedanken zu realisieren, den die Europapublizistik schon im 18. Jahrhundert verfochten hatte – Europa als eine „Staatenfamilie“ zu betrachten, die das Ziel verfolgt, zu gewährleisten, was Europa bis dahin nicht gekannt hatte: die friedliche Koexistenz der Familienmitglieder. Und auch, wenn dieser Versuch rasch scheiterte und sich die europäischen Staaten erst nach den verheerenden Erfahrungen der beiden Weltkriegen des 20. Jahrhunderts bereit fanden, auf einen Teil ihrer Souveränität zu verzichten und sich zur Europäischen Union zusammenzuschliessen, so stellt er doch einen ersten wichtigen Baustein, auf dem langen, bis heute nicht abgeschlossenen Weg nach Europa dar.

Linkhinweis: http://mdzx.bib-bvb.de/francia/Blatt_bsb00016346,00069.html = Olaf Asbach, Die Erfindung des modernen Europa in der französischen Aufklärung, in: Francia 31/2 (2004), 55-94.

Neuzeit

1. Allgemeines

Der Unterteilung der historischen Zeit liegt stets ein, oftmals nicht ausdrücklich benanntes Vorverständnis dessen zugrunde, was Geschichte ausmacht, was wichtig ist und was nicht. Dass dieser Sachverhalt in Hinblick auf die Kategorie „Neuzeit“ meist nicht reflektiert wird, sondern die Unterteilung der geschichtlichen Zeit in Antike, Mittelalter und Neuzeit als etwas Gegebenes erscheint, das nicht des weiteren Nachdenkens bedarf, lässt sich wiederum nur historisch erklären.

Die Beharrungskraft dieses Periodisierungskonzept gegenüber anderen, von der Geschichtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorgeschlagenen und mit guten Argumenten begründeten Epochenkonzepten, wie etwa dem eines von der Zeit um 1300 bis in die Zeit um 1800 reichenden „alteuropäischen Zeitalters“ (Erich Hassinger; Dietrich Gerhard), wurzelt in seiner bis ins 16. Jahrhundert zurückreichenden historischen Verankerung. Die Vorstellung in einer „neuen Zeit“ zu leben, postulierte in der Zeit um 1500, auch und gerade um ihre eigene gesellschaftliche Bedeutung zu unterstreichen, erstmals eine Gruppe von Gelehrten, die sog. Humanisten. Dem – nach Petraraca - „finsteren“ Mittelalter stellten sie ihre eigene, an antike, durch das Christentum gefilterte Wissensbestände anknüpfende „Neuzeit“ gegenüber.

An diese Vorstellungswelten knüpfte der an der Universität Halle lehrende Christoph Cellarius (1638-1707) an, als er in seiner 1702 in Jena publizierten und vielfach neu aufgelegten „Historia universalis breviter ac perspicue exposita, in antiquam, et medii aevi ac novam divisa …“ das Unterteilungsprinzip der historischen Zeit in die gelehrte Beschäftigung mit der Vergangenheit einführte, das bis heute, wenn auch zunehmend kritischer hinterfragt, unser Geschichtsverständnis prägt und zu weiten Teilen auch die institutionellen Grundlagen geschichtswissenschaftlichen Forschens darstellt. Mit dem Werk von Cellarius wurden endgültig ältere, biblisch begründete Deutungen des geschichtlichen Verlaufs, wie etwa die historisch lange Zeit sehr wirkmächtige Vier-Reiche-Lehre, verabschiedet. Bis „Neuzeit“ als historische Epochenbezeichnung nicht allein in der Gelehrtensprache, sondern auch im allgemeinen Sprachgebrauch nachweisbar ist, sollte es allerdings noch bis ins ausgehende 19. Jahrhundert dauern.

2. Neuzeit und Neuere Geschichte

Ein Grund – neben vielen anderen -, warum die Popularisierung des Begriffs „gelang“, ist in der endgültigen Ausformung des Faches Geschichte zu einer eigenständigen Wissenschaftsdisziplin in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu suchen. Wiewohl es für Historiker des 19. Jahrhunderts noch lange selbstverständlich war, sich zeitlich umfassend mit Geschichte zu befassen und, wie etwa Johann Gustav Droysen (1808-1884), der Begründer der historischen Methode, sowohl Arbeiten zur „Geschichte Alexanders des Großen“ (1833) wie eine 14bändige „Geschichte der preußischen Politik“ (1855-1886) vorzulegen, waren es ihre Arbeiten, die das Epochenkonzept endgültig zum Gegenstand des Allgemeinwissens machten. Hand in Hand mit der Etablierung der Neuzeit als eigenständiger Epoche ging die Einrichtung von Lehrstühlen, die auf die Neuere Geschichte spezialisiert waren. So wurde etwa in Graz erstmals 1899 ein besoldetes Extraordinariat für „Allgemeine Geschichte der neueren und neuesten Zeit“ eingerichtet, das in den 1920er Jahren in ein Ordinariat umgewandelt wurde, das sich dezidiert auch der Wirtschaftsgeschichte anzunehmen hatte. Seit den ausgehenden 1960er Jahren schritt in Graz wie anderswo die institutionelle Ausdifferenzierung des Faches „Neuere Geschichte“ forciert voran, neben Professuren, die sich der sog. Frühen Neuzeit/Vormoderne zuwenden (um 1500 – um 1800), treten solche, die auf die Erforschung der späten Neuzeit/Moderne (um 1800 – 1918) und schliesslich auch der Zeitgeschichte (1918ff.) spezialisiert sind. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird die institutionelle Ausformung geschichtswissenschaftlicher Forschung kritisch hinterfragt, auch und gerade deswegen, weil Neuzeit als Epochenkonzept nur für die europäische Geschichte tragfähig ist, und Diskussionen darüber geführt, ob die Neuzeit als eine einheitliche historische Epoche überhaupt existiert.

3. Das dem Lernportal zugrunde liegende Verständnis von Neuzeit

Das Lernportal operiert ganz bewusst nicht mit einem Neuzeit-Begriff, der der im Forschungs- und Lehrbetrieb gängigen Dreiteilung der Neuzeit in Frühe Neuzeit/Vormoderne, Späte Neuzeit/Moderne, Zeitgeschichte, entspricht, sondern nimmt den Zeitraum zwischen der Mitte des 15. und der Mitte des 19. Jahrhunderts in den Blick. Damit wird zugleich postuliert, dass diese 400 Jahre durch Entwicklungen langer Dauer gekennzeichnet sind, die eine innere Einheit erkennen lassen. Das Portal trägt dergestalt der Erkenntnis Rechnung, dass in der Zeit um 1450 gemeineuropäisch Ereignisse und Prozesse in Gang kommen, die für die historischen Entwicklungen der Neuzeit prägend wurden. Beispielhaft genannt seien: die im Vorzeichen der militärischen Konfrontation mit dem Osmanischen Reich in Gang kommenden politischen Verdichtungsprozesse, verstanden als intensivierte Kommunikations- und Austauschprozesse in und zwischen den einzelnen europäischen Gemeinwesen, die Ausbildung von Funktionseliten, die Erfindung des Buchdrucks, die Expansion der europäischen Mächte (siehe: Atlantische Welt) und neue Formen gewerblichen Produzierens.

Für das Ende des Zeitraums knüpft das Portal an das Kosellecksche Konzept einer „Sattelzeit“ (1750 – 1850) an. D. h. die Herausgeber waren von der Überzeugung geleitet, dass eine Zäsur um 1800 nur in Hinblick auf die politische Geschichte (Französische Revolution) begründet werden kann, nicht jedoch in Hinblick auf die soziale, ökonomische und kulturelle Entwicklung. Im einzelnen seien an solchen Prozessen, für die die Zeit um 1800 keinen Einschnitt bedeutet, wiederum nur beispielhaft, genannt: die ökonomischen Transformationsprozesse im Übergang von der Dominanz der agrarischen zur Dominanz gewerblichen Produktion, die damit einhergehende Auflösung altüberkommener Lebenswelten und Lebensformen – von der zunehmenden Verstädterung bis zur Entstehung des Privaten und der Neudefinition der Geschlechterverhältnisse -, die Ablösung des Staatlichen von der Person des Monarchen und der Nationalismus, und schließlich auch ein neues Verständnis dessen, was denn Europa ausmacht (siehe: Europa). All diese Entwicklungen datieren in ihren Anfängen auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, gewinnen aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine solche Dynamik, dass ein fundamentaler Umbruch zu konstatieren ist, der es erlaubt, eine Zäsur zu setzen. Nach 1850 hatte sich die industrialisierte, von sozialen und ökonomischen Gegensätzen gekennzeichnete, kommunikativ dicht vernetzte, nationalstaatliche und vom europäischen Imperialismus gekennzeichnete Welt ausgeformt, die ganz anderen Logiken gehorchte als den für die Zeit zwischen 1450 und 1850 charakteristischen und auch, beschleunigt seit den vergangenen beiden Jahrzehnten, denjenigen, die unsere eigene Gegenwart zu Beginn des 21. Jahrhunderts prägen.

Ebenso quer zu gängigen Periodisierungsmodellen der Neuzeit wie der zeitliche Zuschnitt des Portals insgesamt liegt dessen Unterteilung in vier Jahrhunderte. Da Epochen keine objektiven Gegebenheiten des geschichtlichen Verlaufs sind, sondern immer davon abhängig sind, welcher Teilbereich vergangener Wirklichkeiten in den Blick genommen wird, kann die gängige, immer noch weitgehend an Wendepunkten der politischen Geschichte orientierte Periodisierung nicht übernommen werden. Durch diese Art der zeitlichen Untergliederung die BenutzerInnen zur Reflexion über ihr eigenes Verständnis der temporalen Ordnung von Geschichte anzuregen, ist ein erwünschter und intendierter „Nebeneffekt“. Die Einleitungstexte geben dabei Hilfestellung.

Druckversion Gesamtbibliografie Europa