<quote>Der Zweifel Cézannes</quote> <date>1964</date> Merleau-Ponty, Maurice o:reko.merl.1964b Maurice Merleau-Ponty: "Der Zweifel Cézannes", in: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Auf der Grundlage der Übers. von Hans Werner Arndt, neu bearb., kommentiert und mit einer Einl. hrsg. von Christain Bermes. Hamburg: Felix Meiner 2003. (= Philosophische Bibliothek. Bd. 530.), S. 3-21. "Le doute de Cézanne", in: Fontaine 8, Nr. 47, (1945). Genre Essay Media Malerei

[…] Wir leben in einer von Menschen geschaffenen Welt, zwischen Gebrauchsgegenständen, in Häusern, auf Straßen, in Städten – und die meiste Zeit sehen wir all diese Dinge nur unter dem Blickwinkel der menschlichen Tätigkeiten, die in, mit oder an ihnen vorgenommen werden können. Wir gewöhnen uns an den Gedanken, daß all dies notwendig existiert und unerschütterlich ist. Cézannes Malerei bricht mit dieser Gewohnheit und enthüllt den Boden einer unmenschlichen Natur, auf dem der Mensch sich einrichtet. Deshalb wirken seine Personen so fremdartig, gleichsam als betrachtete sie ein Wesen aus einer anderen Welt. Und auch der Natur selbst fehlen alle Attribute, die animistische Verschmelzungen möglich machen würden: Kein Wind weht durch die Landschaft, das Wasser des Sees von Annecy liegt regungslos da, ringsum erstarrte, zögernde Gegenstände, wie zu Beginn der Welt. Es ist eine Welt ohne Vertraulichkeit, in der man sich unwohl fühlt, und die sich gegen alle menschlichen Gefühlsäußerungen sperrt. Hat man eine Zeitlang Bilder von Cézanne betrachtet und wendet sich nun anderen Malern zu, stellt sich sogleich eine Entspannung ein, wie nach einem Begräbnis, sobald die wiedereinsetzenden Gespräche das absolut Neue des Todes verdecken und es den Lebenden erlauben, sich wieder ihrer selbst zu vergewissern. Und doch ist eben nur ein Mensch zu diesem Sehen imstande, das bis an die Wurzeln reicht, hinter die konstituierte Menschheit zurück. Ganz offensichtlich können die Tiere nicht betrachten, sich nicht in die Dinge versenken, ohne etwas anderes als die Wahrheit von ihnen zu erwarten. Wenn Émile Bernard also sagt, daß der Maler der Wirklichkeit ein Nachäffer, ein Affe sei, sagt er genau das Gegenteil von dem, was wahr ist, und man begreift, weshalb Cézanne Bacons Definition der Kunst als homo additus naturae für sich in Anspruch nehmen konnte.

Seine Malerei leugnet weder die Wissenschaft noch die Tradition. Wenn er in Paris war, besuchte Cézanne täglich den Louvre. Er war der Ansicht, daß man Malen lernen könne, daßdas geometrische Studium der Flächen und Formen notwendig sei. Er informierte sich über die geologische Struktur der Landschaften. Diese abstrakten Verhältnisse sollten sich im Tun des Malers auswirken, aber stets nach Maßgabe der sichtbaren Welt . Wenn er einen Pinselstrich macht, sind die Anatomie und die Zeichnung darin so gegenwärtig, wie es die Spielregeln in einer Partie Tennis sind. Motiviert werden die einzelnen Striche des Malers nie allein von der Perspektive, der Geometrie, den Gesetzen der Farbzerlegung oder von welchen Kenntnissen auch immer. Für all die Pinselstriche, die nach und nach ein Bild hervorbringen, gibt es nur ein einziges Motiv, die Landschaft in ihrer Totalität und absoluten Fülle – und genau das nannte Cézanne ein „Motiv“. Zunächst versuchte er, sich Klarheit über die geologischen Schichten zu verschaffen. Dann bewegte er sich nicht mehr von der Stelle und schaute nur noch, bis ihm die Augen, wie Madame Cézanne sagte, aus dem Kopf heraustraten. Er ließ die Landschaft in sich „aufkeimen“. Alle Wissenschaft mußte vergessen werden, damit die Landschaft mit Hilfe dieser Wissenschaft wieder als entstehender Organismus wahrgenommen werden konnte. Die Teilansichten, die in den Blick aufgenommen wurden, mußten verbunden werden, um das, was durch die Unstetigkeit der Augen zerstreut wird, wieder zu sammeln, um, wie Gasquet sagt, „die herumirrenden Hände der Natur zu verschränken“. „Es gibt eine Weltminute, die vorüberzieht, man muß sie in ihrer Wirklichkeit malen.“ Die meditative Betrachtung hörte plötzlich auf. „Ich habe mein Motiv“, sagte Cézanne, und er erklärte, daß er weder zu hoch noch zu niedrig greifen dürfe, denn die Landschaft müsse lebend in ein Netz gehen, das nichts hindurchlasse. Jetzt machte er sich von allen Seiten gleichzeitig an sein Bild, umgab die erste Kohlezeichnung, das geologische Skelett, mit Farbflecken. Das Bild gewann an Fülle, Bezügen, Konturen und Harmonie, alles reifte gleichzeitig heran. Die Landschaft, sagte er, denkt sich in mir, ich bin ihr Bewußtsein. Nichts ist weiter vom Naturalismus entfernt als diese intuitive Wissenschaft. Die Kunst ist nicht Nachahmung, sie ist aber ebensowenig ein bloßes Fabrizieren, das den Wün schen des Instinkts oder des guten Geschmacks gehorcht. Sie ist eine Ausdruckshandlung. So wie das Wort beim Namen nennt, d.h. das, was uns unklar vorschwebte, in seinem Wesen erfaßt und als erkennbares Objekt vor uns hinstellt, so, sagt Gasquet, „objektiviert“, „projiziert“ und „fixiert“ auch der Maler. Und sowenig das Wort dem, was es bezeichnet, ähnlich ist, sowenig ist auch die Malerei ein Trompe-l‘œil; Cézanne „malt“, seinen eigenen Worten zufolge, „was noch nicht gemalt ist und verwandelt es absolut in Malerei“. Wir vergessen ständig die flüssigen und mehrdeutigen Erscheinungen und begeben uns durch sie hindurch unmittelbar zu den Dingen, die von ihnen präsentiert werden. Der Maler kümmert sich gerade um das, macht gerade das zu einem sichtbaren Gegenstand, was ohne ihn im je einzelnen Bewußtseinsleben eingeschlossen bliebe: die Vibration der Erscheinungen, die die Wiege der Dinge ist. Dieser Maler ist nur von einem ergriffen: von der Fremdartigkeit der Dinge, kennt nur ein einziges Gefühl: das der stets neu beginnenden Existenz.

Leonardo da Vinci hatte sich die unnachgiebige Strenge zur Devise gemacht, und in jeder klassischen Ars poetica wird die Schwierigkeit des Werks betont. Die Schwierigkeiten Cézannes jedoch – wie die Balzacs oder Mallarmés – sind anderer Natur. Balzac, sicherlich inspiriert von Delacroix, erfindet einen Maler, der das Leben allein durch die Farben ausdrücken will und sein Meisterwerk verborgen hält. Als Frenhofer stirbt, finden seine Freunde nur ein Chaos von Farben und eine Vielzahl verworrener Linien vor, eine Wand aus Malerei. Cézanne war zu Tränen gerührt, als er Le chef-d'œuvre inconnu las, und sagte, er selbst wäre Frenhofer. Das Ringen Balzacs, der ebenfalls von der „Realisation“ besessen war, wirft Licht auf dasjenige Cézannes. In La peau de chagrin spricht er von einem „Denken, das ausgedrückt“, von einem „System, das errichtet“, von einer „Wissenschaft, die dargelegt werden muß“. Louis Lambert, einem der gescheiterten Genies der Comédie humaine, legt er die Worte in den Mund: „Ich stehe kurz vor einer Entdeckung...; doch irgendeine Macht bindet mir die Hände, verschließt mir die Lippen und läßt mich wieder vom Weg meiner Berufung abweichen.“ Esreicht nicht zu sagen, daß Balzac die Gesellschaft seiner Zeit begreifen wollte. Den Typus des Handlungsreisenden beschreiben, eine „Anatomie des Lehrkörpers“ vornehmen oder sogar eine Soziologie begründen – all das war keine übermenschliche Aufgabe. Nachdem er aber einmal die sichtbaren Kräfte wie Geld und Leidenschaft benannt und ihren manifesten Mechanismus beschrieben hat, fragt sich Balzac, worauf das alles hinausläuft, wo die raison d'être dafür liegt, was zum Beispiel dieses Europa zu bedeuten hat, „dessen Anstrengungen doch alle irgendeinem Mysterium der Zivilisation dienen“, d.h. er fragt sich, was das Gewimmel der sichtbaren Formen innerlich zusammenhält. Für Frenhofer hat die Malerei genau denselben Sinn: „Eine Hand gehört nicht nur zum Körper, sie ist Ausdruck und Fortsetzung eines Gedankens, den man erfassen und wiedergeben muß... Und hier findet der wahre Kampf statt! Viele Maler sind dabei nur aus Instinkt erfolgreich, ohne je dieses eigentliche Thema der Kunst erkannt zu haben. Ihr zeichnet eine Frau, aber ihr seht sie nicht.“ Der Künstler fixiert für die „menschlichsten“ der Menschen das Schauspiel, an dem sie teilnehmen, ohne es zu sehen, macht es ihnen zugänglich.

Es gibt also keine gesellig-unterhaltsame Kunst. Man kann angenehme Gegenstände fabrizieren, die das Herz erfreuen, indem man schon fertige Ideen anders zusammenstellt und schon gesehene Formen präsentiert. Diese sekundäre Malerei oder Rede ist das, was man allgemein unter Kultur versteht. Der Künstler im Sinne Balzacs oder Cézannes begnügt sich aber nicht mit der Rolle eines kultivierten Tieres, er ergreift die Kultur in ihrem Anfang und begründet sie neu, er spricht, wie der erste Mensch gesprochen hat, und malt, als hätte man noch nie gemalt. Der Ausdruck darf also nicht die bloße Wiedergabe eines schon klaren Gedankens sein, denn klar sind nur die Gedanken, die schon von uns oder anderen ausgesprochen wurden. Die ‚Konzeption‘ darf der ‚Ausführung‘ nicht vorangehen. Vor dem Ausdruck gibt es nur ein unbestimmtes Fieber und erst das fertige und verstandene Werk wird zeigen, daß dort etwas war und nicht nichts. Weil er, um darüber Klarheit zu gewinnen, zudem Boden der stummen und einsamen Erfahrung zurückgekehrt ist, in dem die Kultur und der Austausch von Ideen wurzeln, stößt der Künstler sein Werk gleichsam hervor wie einst ein Mensch das erste Wort hervorstieß, ohne zu wissen, ob es mehr sein wird als ein Schrei, ohne zu wissen, ob es sich vom Fluß des individuellen Lebens, in dem es sich bildete, loszulösen vermag, um die unabhängige Existenz eines identifizierbaren Sinns zu erlangen – sei es für dieses Leben selbst in seiner Zukunft, für die Monaden, die mit ihm koexistieren, oder für die offene Gemeinschaft künftiger Monaden. Der Sinn dessen, was der Künstler sagen wird, ist nirgendwo, weder in den Dingen, die noch keinen Sinn haben, noch in ihm selbst, in seinem unausgesprochenen Leben. Von der bereits konstituierten Vernunft aus, in die sich die „kultivierten Menschen“ einschließen, appelliert er an eine Vernunft, die ihre eigenen Ursprünge in sich enthalten soll. Als ihn Bernard auf den menschlichen Verstand verpflichten will, antwortet Cézanne: „Ich beziehe mich auf den Verstand des Pater Omnipotens.“ Auf jeden Fall bezieht er sich damit auf die Idee oder den Entwurf eines unendlichen Logos. Die Ungewißheit und die Einsamkeit Cézannes erklären sich im wesentlichen nicht aus seiner psychischen Konstitution, sondern aus der Intention seines Werks. Die Erbanlagen haben ihm vielleicht ein feineres Empfinden geschenkt, das sich bis zur Ergriffenheit steigern konnte, sowie ein vages Gefühl der Angst oder des Geheimnisses, das seinen Willen verunsicherte und ihn von den anderen Menschen absonderte; aber diese Gaben bringen nur durch den Ausdrucksakt ein Werk hervor, und für die eigentümlichen Schwierigkeiten und Kräfte dieses Akts sind sie letztlich bedeutungslos. Die Schwierigkeiten Cézannes sind die des ersten Wortes. Er hielt sich für unvermögend, weil er nicht allmächtig war, weil er nicht Gott war und doch die Welt malen, sie gänzlich in einen Anblick verwandeln wollte, sichtbar machen wollte, wie sie uns unmittelbar berührt. Eine neue physikalische Theorie läßt sich beweisen, weil ihr Gedanke oder Sinn, vermittelt über den Kalkül, an Messungen in einem Bereich anknüpfen kann, der bereits allen Menschen zugänglich und vertraut ist.Ein Maler wie Cézanne, ein Künstler oder ein Philosoph müssen nicht bloß einen Gedanken fassen und ausdrücken, sie müssen auch noch die Erfahrungen wachrufen, die ihn in anderen Bewußtseinen Wurzeln schlagen lassen. Wenn das Werk gelungen ist, besitzt es die merkwürdige Kraft, über sich selbst zu belehren. Indem der Leser oder Betrachter den Hinweisen des Buches oder Bildes nachgeht, neue Bezüge herstellt und es abwägend von verschiedenen Seiten angeht, stößt er am Ende – geleitet von der dunklen Klarheit eines Stils – auf das, was man ihm mitteilen wollte. Der Maler konnte nicht mehr tun, als das Bild malen. Jetzt muß er warten, bis dieses Bild für die anderen lebendig wird. Alsdann wird das Kunstwerk die Trennung zwischen den Lebenden überwunden haben, wird nicht mehr nur in einem von ihnen als ein hartnäckiger Traum oder anhaltender Fieberwahn bzw. im Raum als farbige Leinwand existieren, sondern gemeinschaftlich in mehreren Geistern, hypothetisch in jedem möglichen Geist, als ein Erwerb für immer.

So sind die ‚Erbanlagen‘, die ‚Einflüsse‘ – die zufälligen Eigenschaften Cézannes – der Text, den die Natur und die Geschichte ihm zu entziffern aufgegeben haben. Sie liefern bloß den Wortsinn seines Werks. Die Schöpfungen des Künstlers, wie überhaupt die freien Entscheidungen des Menschen, geben diesem Text einen allegorischen Sinn, der zuvor nicht existierte. Wenn es uns so vorkommt, als sei Cézannes Werk keimhaft in seinem Leben enthalten, so weil wir sein Werk bereits kennen und nachträglich einen Sinn in seine Lebensumstände hineinlesen, den wir allein dem Werk verdanken. Die Anlagen Cézannes, die wir aufzählen und als Triebkräfte verzeichnen, figurierten in dem Gewebe von Entwürfen, das er war, nur insofern, als sie zwar die Möglichkeiten seines Lebens umreißen, dessen Wirklichkeit aber nicht determinierten. Als anfängliches Pflichtthema sind sie im Kontext der sie übergreifenden Existenz nur das Monogramm und Emblem eines Lebens, das sich frei aus sich selbst heraus interpretiert.

[…][…]Zwar steht fest, daß das Leben das Werk nicht erklärt, fest steht aber auch, daß beide kommunizieren. Die Wahrheit ist, daß dieses zu schaffende Werk gerade dieses Leben erforderte. Von Anfang an fand Cézannes Leben sein Gleichgewicht nur dadurch, daß es sich auf das künftige Werk stützte, es war dessen Entwurf, und das Werk kündigte sich in ihm durch Vorzeichen an, die wir aber nicht als Ursachen mißverstehen dürfen, die vielmehr aus Werk und Leben ein einziges gemeinsames Abenteuer machen. Es gibt hier keine Ursachen und Wirkungen mehr, beide werden eins in der Gleichzeitigkeit eines ewigen Cézanne, der sowohl die Formel für das ist, was er sein wollte, als auch für das, was er schaffen wollte. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der schizoiden Disposition und dem Werk Cézannes, weil das Werk einen metaphysischen Sinn der Krankheit enthüllt – Schizophrenie als Reduktion der Welt auf die Totalität der erstarrten Erscheinungen und als Ausschaltung aller expressiven Werte –, weil die Krankheit folglich nicht mehr ein absurdes Faktum oder Schicksal ist, sondern statt dessen zu einer allgemeinen Möglichkeit der menschlichen Existenz wird, sobald diese sich konsequent mit einem ihrer Paradoxa auseinandersetzt – dem Ausdrucksphänomen –, weil, so besehen, Cézanne-sein und schizophren-sein am Ende auf dasselbe hinausläuft. Man kann die schöpferische Freiheit also nicht von völlig unüberlegten Verhaltensweisen trennen, die sich bereits in den ersten Lebensäußerungen des Kindes Cézanne bemerkbar machten und in der Art und Weise, wie ihn die Dinge unmittelbar berührten. Der Sinn, den Cézanne in seinen Bildern den Dingen und Gesichtern geben wird, bot sich ihm dar in der Welt, wie sie ihm erschien, Cézanne hat ihn nur freigelegt, und es sind die Dinge und Gesichter selbst, genauso wie er sie sah, die so gemalt zu werden verlangten, d.h. Cézanne hat nur gesagt, was sie sagen wollten. Wo ist dann aber die Freiheit? Zwar können Existenzbedingungen ein Bewußtsein nur auf dem Umweg über die Motive und Rechtfertigungen determinieren, die es sich gibt; wir können, was wir selbst sind, nur vor unsund in Gestalt von Zielen sehen, so daß unser Leben immer die Form des Entwurfs oder der Wahl hat und uns daher spontan zu sein scheint. Aber wenn man sagt, daß wir von Anfang an auf ein künftiges Ziel zusteuern, heißt das, daß unser Entwurf bereits mit unserer anfänglichen Wesensart festgelegt ist, daß die Wahl schon mit unserem ersten Atemzug getroffen wurde. Wenn uns also nichts von außen zwingt, so weil wir unser ganzes Außen selbst sind. Dieser ewige Cézanne, der zuerst vor unseren Augen auftaucht, der den Menschen Cézanne mit all den Ereignissen und Einflüssen konfrontiert hat, von denen man meint, sie seien ihm äußerlich, und der alles, was ihm widerfuhr, vorzeichnete – dieses Verhalten den Menschen und der Welt gegenüber, das nicht auf Überlegung beruhte, frei ist im Hinblick auf äußere Ursachen, ist es auch frei im Hinblick auf sich selbst? Sieht sich die Wahl nicht zurückverlegt in ein Diesseits des Lebens, und gibt es dort überhaupt Wahl, wo es noch kein Feld klar unterschiedener Möglichkeiten gibt, sondern gleichsam nur eine einzige Versuchung, die alles andere unwahrscheinlich macht? Wenn ich von Geburt an Entwurf bin, läßt sich unmöglich unterscheiden, was in mir Gegebenes und was Geschaffenes ist, von keiner einzigen Geste läßt sich sagen, sie sei ausschließlich vererbt oder angeboren, bar jeglicher Spontaneität, von keiner aber auch, sie sei etwas völlig Neues für dieses Sein-zur-Welt, das ich von Anfang an bin. Zu behaupten, unser Leben sei vollständig konstruiert oder es sei vollständig gegeben, läuft auf dasselbe hinaus. Wenn es eine wirkliche Freiheit gibt, dann nur im Laufe des Lebens, durch die Überwindung unserer Ausgangssituation, ohne daß wir jedoch aufhörten, derselbe zu sein – das ist das Problem. Zwei Dinge stehen fest, was die Freiheit betrifft: daß wir nie determiniert sind und daß wir uns nie ändern, daß wir, wenn wir zurückblicken, in unserer Vergangenheit immer die Ankündigung dessen werden entdecken können, was wir geworden sind. Uns obliegt es, beides zugleich zu begreifen, d.h. zu begreifen, wie sich die Freiheit in uns Bahn bricht, ohne unsere Verbindungen zur Welt zu kappen.