Der Zweifel Cézannes
betrachten, sich nicht in die Dinge
versenken, ohne etwas anderes als die Wahrheit von ihnen zu erwarten. Wenn
Émile Bernard also sagt, daß der Maler der Wirklichkeit ein Nachäffer, ein
Affe sei, sagt er genau das Gegenteil von dem, was wahr ist, und man
begreift, weshalb Cézanne Bacons Definition der Kunst als homo additus naturae für sich in Anspruch nehmen konnte.
Seine Malerei leugnet weder die Wissenschaft noch die Tradition.
Wenn er in Paris war, besuchte Cézanne täglich den Louvre. Er war der Ansicht,
daß man Malen lernen könne, daßCézanne sagte, aus dem Kopf heraustraten. Er ließ die Landschaft in
sich „aufkeimen“. Alle mit Hilfe dieser Wissenschaft wieder als entstehender
Organismus wahrgenommen werden konnte. Die Teilansichten, die in den Blick
aufgenommen wurden, mußten verbunden werden, um das, was durch die Unstetigkeit
der Augen zerstreut wird, wieder zu sammeln, um, wie Gasquet sagt, „die
herumirrenden Hände der Natur zu verschränken“. „ähnlich ist, sowenig ist auch die Malerei ein
Trompe-l‘œil; Cézanne „malt“, seinen eigenen Worten zufolge, „was noch nicht
gemalt ist und verwandelt es absolut in Malerei“.
Le chef-d'œuvre inconnu las, und
sagte, er selbst wäre Frenhofer. Das Ringen Balzacs, der ebenfalls von der
„La peau de chagrin spricht er von einem „Denken, das
ausgedrückt“, von einem „System, das errichtet“, von einer „Wissenschaft, die
dargelegt werden muß“. Louis Lambert, einem der gescheiterten Genies der Comédie humaine, legt er die Worte in den Mund: „Ich
stehe kurz vor einer Entdeckung...; doch irgendeine Macht bindet mir die Hände,
verschließt mir die Lippen und läßt mich wieder vom Weg meiner Berufung
abweichen.“ Esbedeuten hat, „dessen Anstrengungen doch alle irgendeinem Mysterium
der Zivilisation dienen“, d.h. er fragt sich, was das Gewimmel der sichtbaren
Formen innerlich zusammenhält. Für Frenhofer hat die Malerei genau denselben
Sinn: „Eine Hand gehört nicht nur zum Körper, sie ist Ausdruck und Fortsetzung
eines Gedankens, den man erfassen und wiedergeben muß... Und hier findet der
wahre Kampf statt! Viele Maler sind dabei nur aus Instinkt erfolgreich, ohne je
dieses eigentliche Thema der Kunst erkannt zu haben. Ihr zeichnet eine Frau,
aber ihr seht sie nicht.“ Der Künstler fixiert für die „menschlichsten“ der
Menschen das Schauspiel, an dem sie teilnehmen, ohne es zu sehen, macht es ihnen
zugänglich.
Es gibt also keine gesellig-unterhaltsame Kunst. Man kann angenehme
Gegenstände fabrizieren, die das Herz erfreuen, indem man schon fertige Ideen
anders zusammenstellt und schon gesehene Formen präsentiert. Diese sekundäre
Malerei oder Rede ist das, was man allgemein unter Kultur versteht. Der Künstler
im Sinne Balzacs oder Cézannes begnügt sich aber nicht mit der Rolle eines
kultivierten Tieres, er ergreift die Kultur in ihrem Anfang und begründet sie
neu, er spricht, wie der erste Mensch gesprochen hat, und malt, als hätte man
noch nie gemalt. Der Ausdruck darf also nicht die bloße Wiedergabe eines schon
klaren Gedankens sein, denn klar sind nur die Gedanken, die schon von uns oder
anderen ausgesprochen wurden. Die ‚Konzeption‘ darf der ‚Ausführung‘ nicht
vorangehen. Vor dem Ausdruck gibt es nur ein unbestimmtes Fieber und erst das
fertige und verstandene Werk wird zeigen, daß dort etwas
war und nicht nichts. Weil er, um darüber Klarheit zu
gewinnen, zuSinns zu erlangen – sei es für dieses Leben selbst in
seiner Zukunft, für die Monaden, die mit ihm koexistieren, oder für die offene
Gemeinschaft künftiger Monaden. Der Sinn dessen, was der Künstler sagen wird,
ist nirgendwo, weder in den Dingen, die noch keinen
Sinn haben, noch in ihm selbst, in seinem unausgesprochenen Leben. Von der
bereits konstituierten Vernunft aus, in die sich die „kultivierten Menschen“
einschließen, appelliert er an eine Vernunft, die ihre eigenen Ursprünge in sich
enthalten soll. Als ihn Bernard auf den menschlichen Verstand verpflichten will,
antwortet Cézanne: „Ich beziehe mich auf den Verstand des Pater Omnipotens.“ Auf jeden Fall bezieht er sich damit auf die Idee
oder den Entwurf eines unendlichen Logos. Die Ungewißheit und die Einsamkeit
Cézannes erklären sich im wesentlichen nicht aus seiner psychischen
Konstitution, sondern aus der Intention seines Werks. Die Erbanlagen haben ihm
vielleicht ein feineres Empfinden geschenkt, das sich bis zur Ergriffenheit
steigern konnte, sowie ein vages Gefühl der Angst oder des Geheimnisses, das
seinen Willen verunsicherte und ihn von den anderen Menschen absonderte; aber
diese Gaben bringen nur durch den Ausdrucksakt ein Werk hervor, und für die
eigentümlichen Schwierigkeiten und Kräfte dieses Akts sind sie letztlich
bedeutungslos. Die Schwierigkeiten Cézannes sind die des ersten Wortes. Er hielt
sich für unvermögend, weil er nicht allmächtig war, sichtbar machen wollte, wie sie uns unmittelbar
So sind die ‚Erbanlagen‘, die ‚Einflüsse‘ – die zufälligen Eigenschaften Cézannes – der Text, den die Natur und die Geschichte ihm zu entziffern aufgegeben haben. Sie liefern bloß den Wortsinn seines Werks. Die Schöpfungen des Künstlers, wie überhaupt die freien Entscheidungen des Menschen, geben diesem Text einen allegorischen Sinn, der zuvor nicht existierte. Wenn es uns so vorkommt, als sei Cézannes Werk keimhaft in seinem Leben enthalten, so weil wir sein Werk bereits kennen und nachträglich einen Sinn in seine Lebensumstände hineinlesen, den wir allein dem Werk verdanken. Die Anlagen Cézannes, die wir aufzählen und als Triebkräfte verzeichnen, figurierten in dem Gewebe von Entwürfen, das er war, nur insofern, als sie zwar die Möglichkeiten seines Lebens umreißen, dessen Wirklichkeit aber nicht determinierten. Als anfängliches Pflichtthema sind sie im Kontext der sie übergreifenden Existenz nur das Monogramm und Emblem eines Lebens, das sich frei aus sich selbst heraus interpretiert.
[…]erklärt, fest steht aber auch, daß beide kommunizieren.
Die Wahrheit ist, daß dieses zu schaffende Werk gerade dieses
Leben erforderte. Von Anfang an fand Cézannes Leben sein Gleichgewicht
nur dadurch, daß es sich auf das künftige Werk stützte, es war dessen Entwurf,
und das Werk kündigte sich in ihm durch Vorzeichen an, die wir aber nicht als
Ursachen mißverstehen dürfen, die vielmehr aus Werk und Leben ein einziges
gemeinsames Abenteuer machen. Es gibt hier keine Ursachen und Wirkungen mehr,
beide werden eins in der Gleichzeitigkeit eines ewigen Cézanne, der sowohl die
Formel für das ist, was er sein wollte, als auch für das, was er schaffen
wollte. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der schizoiden Disposition und dem
Werk Cézannes, weil das Werk einen metaphysischen Sinn der Krankheit enthüllt –
Schizophrenie als Reduktion der Welt auf die Totalität der erstarrten
Erscheinungen und als Ausschaltung aller expressiven Werte –, weil die Krankheit
folglich nicht mehr ein absurdes Faktum oder Schicksal ist, sondern statt dessen
zu einer allgemeinen Möglichkeit der menschlichen Existenz wird, sobald diese
sich konsequent mit einem ihrer Paradoxa auseinandersetzt – dem
Ausdrucksphänomen –, weil, so besehen, Cézanne-sein und schizophren-sein am Ende
auf dasselbe hinausläuft. Man kann die schöpferische Freiheit also nicht von
völlig unüberlegten Verhaltensweisen trennen, die sich bereits in den ersten
Lebensäußerungen des Kindes Cézanne bemerkbar machten und in der Art und Weise,
wie ihn die Dinge unmittelbar berührten. Der Sinn, den Cézanne in seinen Bildern
den Dingen und Gesichtern geben wird, bot sich ihm dar in der Welt, wie sie ihm
erschien, Cézanne hat ihn nur freigelegt, und es sind die Dinge und Gesichter
selbst, genauso wie er sie sah, die so gemalt zu werden verlangten, d.h. Cézanne
hat nur gesagt, was sie sagen wollten. Wo ist dann aber
die Freiheit? Zwar können Existenzbedingungen ein Bewußtsein nur auf dem Umweg
über die Motive und Rechtfertigungen determinieren, die es sich gibt; wir
können, was wir selbst sind, nur vor uns