Der Zuschauer: Das 371ste Stück
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Niveau 1
Das 371ste Stück.
Dienstags, den 6. May.
Citation/Devise
Jamne igitur laudas quod de sapientibus unus
Ridebat?
Juven.
Juven.
Niveau 2
Ich will heute meinen Lesern folgendes Schreiben mittheilen:
Dero a.
Niveau 3
Lettre/Lettre au directeur
Mein Herr, „Sie wissen es wohl, daß unser Volk wegen solcher Leute,
die man seltsame und wunderliche Köpfe nennet, berühmter ist, als irgend ein Land in der Welt; und
daher hat man angemerket, daß unsere engländischen Lustspiele in der Seltenheit und
Mannichfaltigkeit der Charaktere, es allen andern zuvor thun. Unter dieser unzähligen Menge
wunderlicher Köpfe nun, die unser Land hervorbringt, habe ich keine mit größerer Neubegierde
betrachtet, als diejenigen, welche zu ihrer und ihrer guten Freunde Lust, eine besondere Art der
Ergetzung erfunden haben. Ich will allhier dererjenigen gedenken, welche ein Vergnügen daran finden,
eine Gesellschaft zusammen zubitten, die in ihrem Aeußerlichen etwas Lächerliches und Poßierliches
hat. Ich will durch folgendes erklären, was ich meyne. Einer von den witzigen Köpfen des letzten
Jahrhunderts, der ein ziemliches Vermögen hatte, war der Meynung, er könnte sein Geld nicht besser
anlegen, als zu einem Spaße.
Ich bin, Mein
Herr,
J. *.
Niveau 4
Hétéroportrait
Einsmals, da er im Bade war und gewahr wurde, daß unter der großen
Menge von Leuten, viele ein sehr langes Kinn hatten, (welcher Theil des Gesichtes bey ihm selbst
sehr lang war) so bath er ein halb Schock solcher ausgezeichneten Personen zu Tische,
die das Maul mitten im Gesichte stehen hatten. Kaum hatten sie sich zu Tische gesetzt, als einer
über den andern erschrak, und nicht ersinnen konnte, was sie zusammen gebracht hatte. Unser
engländisches Sprüchwort saget: es ist im Zimmer lustig, wenn alte Bärte kurzweilen. In der
Gesellschaft, davon ich hier rede, gieng es so zu; denn da ein jeder so viel spitzige Gesichter mit
Essen, Trinken, und Reden beschäfftiget sah, und so vieler Kinne gewahr ward, die oftmals auf dem
halben Tische zusammen stießen: so fingen sie alle an, den Spaß zu merken, und geriethen in eine
solche Freudigkeit, daß sie seit dem Tage in einer ganz besonderen Freundschaft mit einander gelebet
haben.
Niveau 4
Hétéroportrait
Einige Zeit darauf bath dieser Herr eine Partey schielender Personen,
die er Liebäugler nannte, zusammen. Seine Freude dabey war, die kreuzweisen Reverenze, die
übelverstandenen Zeichen, und seltsamen Irrthümer anzusehen, die aus so vielen gebrochenen
Gesichtsstralen entstunden.
Niveau 4
Hétéroportrait
Das dritte Gastmahl, welches dieser lustige Mann zuwege brachte,
bestund aus Stammelnden, deren er eine hinlängliche Anzahl zusammen bath, seine Tafel zu besetzen.
Er hatte einem von seinen Bedienten, der hinter einem Schirme stund, befohlen, ihr Tischgespräch
aufzuschreiben, welches auch gar leicht, und ohne die Beyhülfe der Abkürzungen geschehen konnte.
Hieraus konnte man hernach sehen, daß, ungeachtet es am Tische niemals still gewesen war, dennoch
bey dem ganzen ersten Gange nicht über zwanzig Worte gesprochen worden. Bey dem andern Gange aber
hatte einer von der Gesellschaft eine ganze Vierthelstunde zugebracht, ihnen zu sagen, daß der
Spargel und die jungen Ernten vortrefflich schön wären; und ein anderer erklärte sich in der
nächsten Vierthelstunde, daß er derselben Meynung wäre. Gleichwohl lief dieser Scherz so gut nicht
ab, als der oberwähnte; denn einer von den Gästen, der viel Herz, und mehrern Zorn im Leibe hatte,
als er von sich geben konnte, gieng vom Tische weg, und schickte so gleich dem Wirthe eine
Ausforderung zu, die, ob sie gleich nach diesem durch gute Freunde beygeleget ward,
dennoch dieser wunderlichen Lust ein Ende machte.
Niveau 4
Hétéroportrait
Nun hoffe ich, mein Herr, daß Sie mir beyfallen werden, wenn ich
sage, daß, da in dergleichen Scherzen gar keine Sittenlehre anzutreffen ist, selbige auch nicht
ermuntert, sondern vielmehr für Zeichen des Unverstandes als des Witzes ausgegeben werden sollen.
Indessen, da es einem jeden Menschen natürlich ist, seinen Gedanken nachzugehen, aber keinem
einzigen möglich, eine Kunst zu erfinden und selbige zugleich zur höchsten Vollkommenheit zu
bringen, seine Geschicklichkeit mag auch so groß seyn, als sie immer will: so will ich hier noch
eines wackern Mannes gedenken, der, als er die Schwänke des obgenannten Herrn erzählen hörte, sich
selbst zu dessen Nachfolge entschlossen; doch mit dem Vorsatze, selbige zum Besten der Menschen
anzuwenden.
Niveau 4
Hétéroportrait
Eines Tages bath er ein halbes Dutzend seiner guten Freunde zum
Essen, deren ein jeder dafür bekannt war, daß er alle Augenblicke einen Haufen unnützer Wörter
vorbrachte. Als z. E. hören sie, sehen sie, sage ich, als nämlich, das ist und so mein Herr. Da nun
ein jeder Gast sich seiner angewöhnten Beredsamkeit alle Augenblicke bediente, so kam er einem jeden
Nachbar dermaßen lächerlich vor, daß er nothwendig bedenken mußte, wie lächerlich er selbst der
ganzen Gesellschaft würde. Auf diese Art fingen sie nun alle, nachem sie eine zeitlang beysammen
gesessen hatten, mit mehrerer Behutsamkeit zu reden an: und indem sie ihre lieben Formeln sorgfältig
vermieden, so wurde das Gespräch von diesem unnützen Schaume gereinigt, und enthielt mehr gesunde
Vernunft, wenn gleich nicht so viel Töne darinnen waren.
Niveau 4
Hétéroportrait
Eben dieser wohlgesinnete Mann nahm ein andermal Gelegenheit, solche
Leute zusammen zu bitten, die der närrischen Gewohnheit immer zu schwören ergeben waren. Damit sie
nun die Ungereimtheit dieser Unart einsehen möchten: so nahm er zu oberwähntem Mittel seine
Zuflucht, indem er einen jungen Menschen mit einer Schreibtafel ins Nebenzimmer
stellte. Sobald die andere Flasche aus war, wenn die Leute anfangen, unverholen zu reden: so fing
mein Freund an, die mannichfaltigen doch aber unnützen Worte zu bemerken, die in seinem Zimmer von
der Zeit an, da sie sich zu Tische gesetzt, gesprochen worden, und zu bedenken; wie viel nützliche
Reden der Eingang solcher leichtsinnigen Ausdrücke vertrieben. Welch einen Schatz, sprach er, würden
wir für die Armen zusammen gebracht haben, wenn wir einer an dem andern nach den Gesetzen verfahren
hätten? Ein jeder von den Gästen wendete seine freundliche Erinnerung zu seinem Besten an. Worauf er
ihnen entdeckte, daß er, da er wohl gewußt, es würden keine Heimlichkeiten in ihren Unterredungen
vorfallen, befohlen hätte, selbige aufzuschreiben, und wenn sie es ihm erlauben wollten, so wollte
er es ihnen zur Lust vorlesen lassen. Es waren zehn Bogen woll, die, wenn die verdammlichen
Einschaltungen, deren ich gedacht, ausgestrichen werden sollten, leichtlich auf zwey Blättern Raum
gehabt hätten. Da nun indessen diese Gespräche bey gelassenem Muthe hergelesen wurden: so klungen
sie eher wie eine Unterredung zwischen Erzfeinden, als zwischen bekannten Freunden. Kurz, ein jeder
erschrack vor sich selbst, da er dasjenige gelassen anhörte, was ihm in der unbedachtsamen Hitze
entfahren war.
Niveau 4
Hétéroportrait
Nur eine Gelegenheit will ich noch erwähnen, wobey er sich eben
dieser Erfindung bey einer andern Gattung von Leuten bedienet, die, eine Pest aller gesitteten
Gesellschaften sind, und die Zeit so wohl als obbemeldete Menschen verschleudern, wenn sie es gleich
unschuldiger thun: ich meyne die Geschichterzähler. Mein Freund bath ein halbes Dutzend seiner
Bekannten zusammen, bey denen diese Krankheit eingewurzelt war. Den ersten Tag fing einer, so bald
er sich niedergesetzt hatte, von der Belagerung von Namur an, welches bis vier Uhr, da sie aus
einander giengen, sein Ende hatte. Den andern Tag bemeisterte sich ein nordischer Britt des
Gespräches, welches ihm, so lange man beysammen war, kein Mensch wieder aus den Händen bringen
konnte. Der dritte Tag vergieng auf eben die Art mit einer eben so langen Geschichte.
Endlich fing man an, diesem barbarischen Bezeugen gegen einander nachzusinnen, und aus einem
Schlummer zu erwachen, darinnen ein jeder von ihnen seit so vielen Jahren gelegen hatte.
Metatextualité
Weil Sie sich, mein Herr, ehedem erkläret haben, daß Sie Ihre Lust an
außerordentlichen und seltenen Charakteren der Menschen haben; und da ich Sie für den größten Jäger
solches Wildprets, oder, wenn Sie lieber so wollen, für den Nimrod dieser Arten von Schriftstellern
halte: so dachte ich, daß diese Nachricht Ihnen nicht unangenehm seyn werde.
J. *.