Sugestão de citação: Anonymus (Ed.): "II.", em: Leipziger Spectateur, Vol.5\002 (1723), S. 198-221, etidado em: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Ed.): Os "Spectators" no contexto internacional. Edição Digital, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2556 [consultado em: ].
Nível 1►
II.
Citação/Divisa► – – – Telumque imbelle sine ictu Conjicit. ◀Citação/Divisa
Virg. Æneid. lib. II.
Citação/Divisa► Schaut wie der gravitätsche Mann,
Die Ruthe wohl gebrauchen kan,
Er hust und streicht die Ermel auf
Und denckt er haue weidlich drauf.
Doch sieht er hinten ein Gesicht
Nur durch die Brill drum trifft ers nicht. ◀Citação/Divisa
Der gestäupte Leipziger Diogenes, oder Critische Urtheile über die erste Speculation des Leipziger SPECTATEURS
Citação/Divisa► – – – Ein Sieb nenn ich ein Sieb
Ein Kätzgen eine Katz und Rollet einen Dieb. ◀Citação/Divisa
Lœsis manibus Diogenis
Cynici Philosophi Magni,
Habitatoris Doliorum.
Piaculum Sacrum
Von dem Caractere des Autors.
Nível 2► Nível 3► Metatextualidade► EJn Scribent unterscheidet sich von andern, theils durch die Materie, welche er abhandelt, theils durch die Ordnung und [199] den Tour, welchen er seiner Materie giebt. Es sind demnach die Caracteren der Autorn von . besondern Gattungen: Die erste Gattung, da sich ein Autor durch die Materie von andern absondert, wollen wir generale Caractern heissen; die andere aber, da allein die Methode und der Tour den Unterscheid machet, wollen wir speciale Caracteren nennen. Der Grund dieser Benennung ist leicht zuerachten. Es sind so viel generale Caractern, als Wissenschafften und Haupt-Theile der Wissenschafften sind. So unterscheidet sich der Theologus durch die Materie seiner Schrifften von dem Physico, der Physicus von dem Anatomico, der Anatomicus von dem Juristen, etc. Alle die über einer gleichen Wissenschafft beschäfftiget seyn, haben einen gleichen general-Caractere. Aber die Ordnung und der Tour welchen ein Autor folget, machen auch selbst unter denjenigen eine Differentz, die über einer gleichen Wissenschafft arbeiten, und geben einem Autor einen specialen Caractere. Denn gleich wie ein Töpfer aus Thon 10. 20. und mehr Becher formiren kan, deren jeder eine besondere Form hat; Eben so können auch unterschiedliche Scribenten über einer Materie arbeiten, daß keiner dem andern gleich kömt, weil ein jeder seiner Materie eine besondere Ordnung und sich zugleich einen besondern Caractere giebet. Es sind der specialen Caracteren so viele, als unterschieden die Methoden eine Materie einzurichten. Wir wollen die Morale zum Exempel setzen. Dieje-[200]nige Morale, welche aus lauter Schlüssen bestehet, die natürlich mit einander verknüpffet, und aus einem oder mehrern Principiis abfliessen, nenne ich eine raisonnirende Morale. Die aus der Historie merckwirdige Beyspiele der Tugenden und Lastern unter gewisse Capitul zusammen trägt, und gewisse Reglen davon ableitet, heisset man eine historische Morale. Der seine Reglen in Frag und Antworten vorstellet, ist ein catechetischer Moraliste der die Reden und Thaten seiner Nebenmenschen, seiner Landesleuten, seiner Mitbürger beschreibet, und ein unpartheyisches Urtheil darüber fället, der verdienet den Nahmen eines critischen Moralisten, eines Richters der Sitten der Menschen. Weil nun eines solchen Pflicht ist, daß er auf das thun und lassen der Menschen, und aller Arten derselben, genaue Achtung gebe, so kan er in diesem Absehen auch genennet werden ein Beschauer. Betrachtet man ihn aber, in so fehrn er die Sachen, die er in Qualität eines Beschauers gesehen oder gehöret hat, natürlich beschreibet, so mag er auch den Nahmen eines Mahlers tragen.
Allein ich finde noch eine specialere Art von Caracteren, welche von der Verschiedenheit der Tours entsteht, denn es ist gewiß, daß alle die Gattungen der Morale, welche ich namhafft gemachet habe, durch viele besondere Tours können abgeändert werden. Jch will nur die letzte Gattung berühren, weil es zu meinen Zweck dienet. Der sich die gantze Welt vorstellet als eine Comedie [201] oder Tragedie, dem gehört der Caracter eines Zuschauers. Der die menschliche Gesellschafft anschauet, als die Quelle alles Elends, und auf dieselbe böse und zornig wird, der bekömmt der Caractere eines Misantrope. Der dieselbe von der bedeuteten Seiten anschauet, und aber ein Mitleiden darüber empfindet und auslasset, der giebt sich selbst den Caractere des Heraclite. Der nur das Lächerliche, welches in dem Thun und Lassen der Menschen stecket, beschreibt, der wird ein Democrite. Der in artigen Gesprächen durch kluge Fragen andere so weit treibet, daß sie ihre eignen Thorheiten erkennen und richten, dem gehöret der Caractere des Socrates. Der durch die Hülffe der Jronie die Menschen in Erkentniß ihrer Laster führet, kan sich nennen einen Panegyristen der Thorheiten der Menschen. Der sich über alle Gewohnheiten und Moden der Societät durch Reden und Thaten die denselben entgegen sind, moquiert, der verdienet erst den Nahmen des Diogenes: Denn es ist aus der abentheuerlichen Historie des Philosophischen Pickel-Herings Diogenes bekannt, was massen er die Menschen wegen ihrer unnatürlichen Moden und Verrichtungen nicht allein mit spöttischen Worten, sondern auch mit den Wercken selbst vexirt und ausgehönt hat. Jch könte aus den alten Scribenten, dessen unterschiedne Exempel anführen, wenn nicht ohne mein Erinnern allbereit bekannt wären.
Damit ich dennoch mit einem eintzigen den Un-[202]gelehrten meine Meinung erleutere, so hat Diogenes die Unruh und die Beschwerden der Reichen um ihren Schätzen zu hüten, hingegen die Sicherheit eines Armen, der nichts begehrt als was ihm unentbehrlich ist um sein Leben zu erhalten, nicht nur mit der Rede, sondern auch mit einer wircklichen Handlung vorgestellt, in dem er nakend gegangen und seine Wohnung in einem Faß aufgeschlagen, welches er auf dem Marckt-Platz zu Athen nach seiner Kommlichkeit von einem Ort zum andern geweltzt, und nicht hat fürchten dörffen daß es ihm jemand nehme. Juvenalis hat die Morale die er damit abgesehen, wohl verstanden:
Er sagt:
Dispositis prædives hamis vigilare cohortem,
Servorum noctu Licinus jubet, attonitus pro
Electro signisque suis, Phrygiaque columna,
Atque ebore & lata testudine, Dolia nudi
Non ardent Cynici, si fregeris, altera fiet
Cras domus, aut eadem plumbo commissa manebit.
Weil nun unser Autor (Disc. IV.) sich diesen Caractere des Diogenes beygeleget hat, so wird ein vernünfftiger Leser mit Recht von ihm erwarten, daß er sich gleichmässiger Tours bedienen werde, die unnatürlichen Narrheiten der Menschen höhnisch durchzunehmen, als jene, die ehdessen der alte Cynicus glücklich gebraucht hat. Und ich kan versichern, daß ein Werck, welches nach dem Caractere des Diogenes geschrieben wäre, Lesenswürdig seyn würde. [203] Allein man betrieget sich, wenn man dergleichen was von unserm Autor erwartet. Denn wofern er sich nicht selbst diesen Nahmen beygeleget hätte, würde man den Diogenes in seiner Schrifft nicht finden, gesetzt auch, daß man ihn mit Laternen suchen würde. Der des Diogenes Caractere wohl ausdrücken will, muß einerseits die Vollkommenheit der Natur, anderseits aber die Eitelkeit und Thorheit derjenigen Gebräuchen, welche die Societät eingeführet hat, erkennen. Darzu aber wird etwas mehr erfordert, als einen Syllogisme machen können. Allein unser Autor hat diese Sache nicht so schwer auf sich genommen, oder sich diesen Caractere gegeben, in der Meinung, daß er demselben folgen wolle. Die Ursach ware allein: Weil er sich vorgenommen die Leute, wie Diogenes, mit einer papierenen Laterne zubeleuchten, und Menschen zumachen, wenn er keine finden könte. Das ist, wenn ihr die Allegorie auflöset: Weil er gesonnen auf diesen Blättern, die Menschen von dem Laster ab, und zu der Tugend anzumahnen. Sehet da, der Grund, um dessen willen er sich diesen Caracteren gegeben hat, ist ein blosses Brillant. Aber noch weit lächerlicher ist es, wenn er sich zween Caracteren beyleget, sagend Disc. IV. Diogenes lebt nun en Spectateur. Er will sagen, in Qualität eines Beschauers. Denn wenn er den Caractere eines Beschauers beybehalten will, so ist der andere des Diogenes unnützlich, weil er schon in dem ersten Begrieffen seyn kan. Es läst nicht weniger lächerlich, als [204] ob ich sagen würde der Geometra lebet nun en Mathematicien; ich bin ein Philosophus und ein Logicus.
Jm übrigen gebe ich in Ansehung der specialen Caracteren diese zwo Regeln anzumercken, welche aus dem, was biß dahin gesagt habe, nothwendig abfliessen. 1. Daß ein Scribent sich keinen Caractere gebe, bevor er schlüssig ist, wie er seine Materie tournieren will. 2. Daß er den Caractere, den er sich außersehen hat, beybehalte, und niemahls aus der Acht lasse, oder darwieder handle. Der seinem Caractere nicht folgt, ist gleich jenem Mahler, welcher fürgegeben, er wolle ein Pferd conterfeyen, und da das Stück fertig gewesen, war es eine ziemlich natürliche Ganß.
– – Amphora cœpit
Justitui, currente rota, cur urceus exit?
Von dem Titel seiner Schrifft.
Die Herren Gelehrten bedienen sich unter andern Kunst-Griffen ihre müh-seligen Hirn-Geburten an den Mann zu bringen, auch desjenigen, daß sie durch prächtige Rubriquen und großsprechende Titul manchen einfältigen Bücher-Käuffer, der sich durch die Aussenwercke blenden läst, um seine Mutter-Pfenninge betriegen, und ihm einen ansehenlichen Quarck an statt eines vernünfftigen Buchs auslieffern. Sie sind gleich denjenigen Töchtern, welche sich vermessen vermittelst der Schmincke, wormit sie ihre blasse Wangen zu beschmieren pflegen, einen dummen [205] Schöps in ihr Netz zu jagen. Aber wie diese gefirnißte Schönheiten keinen klugen Amanten durch ihre geborgte Farbe betriegen können; So wenn ein vernünfftiger Bücher-Käuffer ein Buch zur Hande kriegt, dessen prahlerische Titul manchen betriegen könte, so fraget er alsobald mit Horatio:
Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu?
Und erhält so gleich die Antwort.
Parturiunt montes, nascetur ridiculus MVS.
Der Titul eines Buchs ist was das Angesicht eines Menschen. Wer ein wenig Acht hat, der kan leicht unterscheiden, quid distent æra lupinis, was natürlich oder gekünstelt ist. Gleichwie es Leute giebt, welche aus den blossen Lineamenten des Gesichts von der eigentlichen Beschaffenheit des Gemüthes zu urtheilen wissen, so wird ein Kluger insgemein aus dem Titul von der Güte eines Buches urtheilen können. Jch meines Orts verwerffe zwar die Physionomie nicht gäntzlich, jedoch halte ich mehr auf derjenigen Beurtheilung der Menschen, welche sich gründet auf den Umgang mit denselben. Eben so vermesse ich mich auch nicht, aus dem blossen Titul, von der Qualitet der Bücher zu urtheilen, bevor ich derselben Jnhalt auf die Probe gesetzet habe.
Der Titul, den unser Autor gut gefunden hat seinem Papier vorzusetzen ist dieser: Der Leipziger Spectateur, welcher die heutige Welt der Gelehrten und Ungelehrten, Klugen und Thorhafften, Vornehmen und Geringen, Reichen und Armen, Verehlichten und Un- [206] verehlichten, so wol männliches als weibliches Geschlechts, Leben und Thaten, auch wol Schrifften beleuchtet, und ihnen die Warheit saget. Erste Spekulation. Franckfurt, Hamburg, und Leipzig. 1723.
Dieser lange und prächtige Periodus ist wieder die Construction der Deutschen Sprache gesetzet, wie jedermann also fort wahrnehmen wird, wenn ich ihn ein wenig abkürtzen werde. Der Leipziger Spectateur beleuchtend die heutige Welt der Gelehrt- und Ungelehrten, Verehlicht- und Unverehlichten beyder Geschlechter, Leben, Thaten und Schrifften welchen er die Wahrheit saget. Was ist das, Verehlichte beyder Geschlechter, und wie klingt das den Leben und Thaten auch wol Schrifften die Wahrheit sagen? Aber warum wird Spectateur nicht Deutsch Beschauer gegeben, welches Wort das Engelländische recht ausdrücket, da Spectateur nur ein Zuschauer heißt, und von dem Frantzösischen Ubersetzer aus Mangel eines bequemen Wortes gebraucht wird, gleichwie er in der Vorrede des ersten Theils seiner Ubersetzung gestehet? Was bedeutet endlich, daß er sich nur den Leipziger-Spectateur nennet, da doch die Verleger in der 2. Speculation avertiren, daß seine Arbeit auf gantz Deutschland, ja auf die gantze Welt gerichtet seye, und sie folglich der Deutsche Spectateur oder der Welt-Spectateur müßte genennet werden? Weil der Autor pretendiret [207] ein Diogenes zu seyn, so hat er von Rechts wegen den Titul seines Buch ohne grössere Pracht also schreiben sollen: Der Leipziger Diogenes welcher sich über die Gewonheiten und Moden der Societet durch Reden und Thaten moquiret. Aber er hätte dem Versprechen, das dieser Titul machet, hernach auch mit der folgenden nach Cynischer Art außgeführten Morale entsprechen müssen. Für die Manier und den Jnnhalt, welchen gegenwertige Blätter haben, gehört kein anderer Titul als dieser: Der durch den Tumult der Journale wieder auferweckte Diogenes, welcher mit einer neu-erfundenen papierenen Laterne das Pleiß-Athen durchstreichet, und Menschen suchet, oder, wenn er nicht findet, machet.
Von den Devisen der Discoursen
Die Devise an dem Haupt eines Discourses muß entweder eine Morale in sich begreiffen, welche darinne gemachet wird, oder daraus fliesset; oder sie versiehet die Stelle eines Einganges, in welchem die Aufmercksamkeit der Leser aufgewecket und seine Gunst gesuchet wird; oder sie muß sich auf den Anlaß schicken, der zu der Materie, die man tractirt, erdichtet wird. Der Engelländische Beschauer hat sich derselben allzeit nach der einen oder der andern der besagten Weisen bedienet. La Devise, sagt er in dem XI. Disc. des dritten Theils der Frantzösischen Ubersetzung, devient quelque fois necessaire, pour convaincre les [208] petits Esprits, que je n’avance rien de Paradoxe, & qui ne soit appuyé sur de bonnes Autoritez. Darum nimmt er sie aus guten alten Autoribus die ein allgemeines Lob erhalten haben. Die Devisen müssen wie ein heutiger Autor wohl angemercket hat, diejenigen Qualiteten haben, welche man bey den letzten Reden der Sterbenden beobachtet, sie müssen kurtz, begriefflich, deutlich, voll Nachdruck und Verstand seyn. Eine Devise wird schön, wenn sie die Worte eines Autors ausser ihrer Zusammenknüpffung nimmt, da sie eine andere Bedeutung haben, als er ihnen gegeben, welche von meiner eignen Erfindung ist, und sich zu meinem Vorhaben schicket. Von dieser Art ist die Devise, welche die Mahler vor ihren Discours von den Spitzen gesetzet haben:
– – – – – Catenas
Retiaque & laqueos, quæ lumina fallere possint
Elimat, non illud opus tenuissima vincat
Stamina, non summo quæ pendet aranea tigno.
Ovid. Met. Lib. 4.
Ovidius hatte diese Verse von dem Netze geschrieben, mit welchem Vulcanus seine Gemahlin die Venus in den Armen des Martis liegend gefangen hat. Die Mahler beschreiben mit eben denselben die Spitzen. Eben dieser Poet hat in seiner Kunst das Angesicht schön zu machen den Vers:
Auxilium multis succus & herba fuit.
Jn diesem finden nun die Mahler ein Lob des Tobacks.
[209] Die Devisen unsers Autors schicken sich so gar übel nicht auf den Zweck, den er in seinen Discoursen sich vorsetzet, aber weil er doch nöthig gefunden hat, Aufschrifften darüber zumachen, so hätte er aus oben bedeuteter Ursach besser gethan, wenn er sie aus berühmten und klugen Lateinischen Scribenten des Alterthums genommen hätte. Wenn mir erlaubet ist, hier eine critische Muthmassung zu entdecken, so scheinet es, als ob er diese weise Sprüche nicht aus ihren Originalen geholet habe, sondern sie aus irgend einem Florilegio oder einer Polyanthea hervor gescharret. Er zeiget bißher nicht sonderlich daß ihm die berühmte Schrifften der Alten bekandt seyen, allein ich besinne mich, daß er sich gleich in dem . Discours verschworen hat, er wolle sich um gelehrte Sachen nicht bekümmern.
Die erste Devise soll aus Non. 30. c. 11. entlehnet seyn, da es vielleicht der Nonius ist der aber nicht Lateinisch geschrieben hat. Weil es denn eine blosse Ubersetzung ist, so wäre es an der Deutschen die dabey gefügt ist schon genug gewesen. Glaubet etwann der Autor, daß er keine Devise mehr gefunden hätte welche nicht schon von andern seinen Vorfahren gebraucht worden? Aber ich meine, daß zum Exempel die folgende aus Horatius nicht übel an der Spitze des ersten Disc. gestanden wäre:
– – Sunt certa piacula quæ te
Ter pure lecto poterunt recreare libello.
Invidus, iracundus, iners, vinosus, amator.
[210] Nemo adeo ferus est, qui non mitescere possit
Si modo culturæ patientem commodet aurem.
Lib. I. Epist. 1.
Die Devise des zweyten Discourses ist aus dem Codice und redet nur Schul-Latein. Die von dem fünfften stehet nicht bey dem Seneca, wie der ehrliche Mann gemeinet hat, sondern bey dem Horatius, in der 29. Ode des III. Buchs. Des sechsten seine ist ein pedantischer Mönchs-Reim:
Ex nihilo nil fit, vir prudentissimus infit.
Von dem Stile des Autors.
Man hat gemeiniglich von der Bedeutung des Wortes Stilus oder Schreibart einen falschen oder doch dunckeln Begrieff. Jch weiß nicht besser zu erklären, was ich dadurch verstehe, als mit den Worten des Herrn Coste, die man in seiner Vertheidigung des La Bruyere findet. Jn dem XI. Artickel des zweyten Theils stehet folgendes: Je ne sai, ce que Mr. de Vigneul Marville entend par stile, mais il me semble que ce n’est autre chose qu’une certaine enchainure de penseés exprimeés par de paroses, qui en font voir la liaison: de sorte que, selon que cette liaison est nette & raisonable, on peut dire, que le stile a de la netteté & de la justesse. Je supose, qu’on entend sa langue, sans quoi le Discours ne sauroit avoir cette puretè & cette netteté qui consiste dans l’usage des termes propres, dans leur juste arrangement & dans tout ce, qui rend l’expression exacte & facile à entendre. Du reste, ce qui fait le bon stile, c’est le bon raisonne- [211] ment, & l’ordre naturel des Pensées. Man urtheile nach diesem, ob der Spectateur einen netten Stilum habe, ob er die Sachen mit ihren eignen Worten bezeichne, wol zusammen binde, wol unterscheide, die emphatische Terminos an ihrem rechten Ort zu setzen wisse.
Jn dem IV. Discours stehet: die Pfeiffen gieng vor uns vorbey. Die Pfeiffen gehen nicht aber wol die Pfeiffer. Purschickos leben ist nicht Deutsch weiß nicht ob es Leipzigisch. Das weiß ich, daß kein politer Mann dasselbe braucht. Einige Funcken wolten ihr Andencken auf meines Freundes Mantel stifften. Man kan den Funcken keinen Vorsatz zuschreiben; natürlich heißt es: Einige Funcken beschädigten meines Freundes Mantel. Der VI. Disc. ist voll unordentlicher und undeutscher Redens-Arten. Zum Exempel, eine Schaubühne mit einem Excrement seines Ingenii eröffnen. Einen Treffs auf sein Capitolium kriegen. Capitolium heißt ein Schloß zu Rom, auf welches Diogenes nicht können geschlagen werden. Ein Treffs ist nicht deutsch, sondern man sagt ein Streich. Lateinische Männer; das Loch suchen, das der Zimmermann gelassen hat; Er würde schweren es regnete Brennholtz, mit etlichen dutzend Hundsf.* convoyieren; Einen mit dem Obergewehr zur Fricassée machen; Eine papierene Laterne. Sind alles Rätzeln, derer Bedeutung man von den Precieuses oder Pedantischen Jungfern des Comedi-Schreibers lernen muß. [212]
Das übrige das ich hier an dem Stiele unserer papierenen Laterne aussetzen könnte, wird sich in den zwey folgenden Capitlen von des Autors Gedancken und seiner Fantasie finden, nachdem eben die guten Gedancken und die gute Phantasie auch den guten Stilum machen. Dieser Leipziger könte noch bey manchem Schweitzer in die Schule gehen, der ihn lehren würde, wie depossediren, ingenium, speculationibus, corruption, douceurs, bravoure, invitiren, præserviren, incommodiren, Courage, taliter qualiter, justement, tendresse, in der deutschen Sprache gesaget wird.
Von der Fantasie des Autors.
Unser Autor hat in seiner ersten Speculation zwey Prob-Stücke von den Kräfften seiner Fantasie gegeben, in einer Erdichtung Disc. IV. und in einem Traum Disc. VI. Eine Erdichtung muß sich gründen auf ein gewisses Factum, oder wenigstens auf eine Meynung, die von einem grossen Hauffen der Menschen ehedessen ist geglaubt worden, oder annoch geglaubt wird. 2. Auch selbst die Umstände derselben müssen nicht ungläublich seyn oder einander selbst ruinieren. 3. Soll in einer Fiction nicht Platz haben, welches entweder nichts zu bedeuten hat, oder nicht zur Erläuterung der Umständen dienet. Die Träume folgen die gleichen Reguln, wenn ihr die erste ausnehmet. Jch überlasse einem jedweden den Traum unsers Autors Disc VI. nach diesen Regeln zu examiniren. Nur dienet zu erinneren, daß der Autor selbst be-[213]kennet, er verstehe die Bedeutung dieses Traums nicht. Jch will indessen allein die Fiction Discours IV. nach den gegebenen Regeln auf die Probe setzen. Sie verhält sich also: Nachdem Diogenes vor viel hundert Jahren gestorben, ist er unlängst durch den Lermen, welchen die Journale in gantz Deutschland erreget haben, wieder von todten auferweckt worden, hat seine Laterne genommen, und sich unter der Erde durchgegraben, biß daß er vermeint er wäre auf dem Haupt-Tummel-Platz der schwermenden Gelehrten, da er denn in die Höhe durchgeboret, und in Meissen justement auf das Catheder eines Auditorii hervor gekrochen. Er wurde daselbst wegen seines rostigen Habits von dem Professor mit einer Syllogistischen Fackel um den Kopf geschmissen, von den Bäncken der Zuhörer kamen viele Methaphisiquen zugeflogen, worunter er schier erstickt wäre, wenn er sich nicht mit der Flucht salviert hätte. Aber damit ware seine Noth noch nicht beschlossen, er kriegte noch manche Tracht Schläge von den Waschweibern, welchen er einen Korb mit Wäsche umgeschmissen, von einem Paar verliebten, zwischen welchen er ohne Erlaubniß zu bitten mitten durchgieng, von den Studenten, welche er beym Schmauß angetroffen, von dem Bettel-Vogt, und von der Schildwache beym Thor. Als nun Diogenes nach [214] so vielem erlittenen Elend seine vermessene Curiositet bereute, kam Mercurius zu ihm, sprache ihm Muth ein, und tröstete ihn, daß er in einem der politisten Länder wäre, da er ohne fehl Menschen antreffen würde, wenn er sie mit Ernst suche. Er gab ihm dabey diese Lection, er müsse sich in einen andern Habit stecken und die heutige Manieren an sich nehmen. Diogenes liesse sich diesen Vorschlag gefallen, und Mercurius staffirte ihn nach der neuesten Mode aus, lernte ihn tantzen, fechten, Coffee, Chocalate trincken, Toback rauchen, schenckte ihm einen Beutel voll Geld und eine silberne Tobacks-Dose. Gab ihm darneben unter vielen andern diese Jnstruction, daß er mit seinem Nahmen nicht Prahlens mache, vielmehr solte er sich nennen den Leipziger Spectateur. Der Herr Verleger hat ihm eine papierene Laterne, die man in die Tasche stecken kan, gegeben, etc.
Wenn ich nun diese Fiction nach den vorgeschriebenen Reglen examinire, so finde ich daß keine derselben ist beobachtet worden, und zwar (1.) gründet sich diese Erdichtung weder auf ein gewisses Factum, noch auf einen angenommenen Glauben. Oder wer hat jemalen geglaubt, daß die Todten durch den Tumult der lebenden Menschen oben auf der fläche der Erden können auferweckt werden? Ein neuer Ausgang des Todes! (2.) Wird des Diogenes Caractere verderbt, denn [215] als derselbe vormahls zu Athen mit der Laterne auf den Marckt hin gegangen, und auf befragen, was dieser seltzame aufzug bedeute, geantwortet hat, er suche Menschen; ware seine Absicht keine andere als seinen Mitbürgern zu verstehen zu geben, daß diese nicht alle Menschen seyen, welche aufgericht einher gehen und Menschen gleich sehen, zumahlen sonst manche Statue den Nahmen eines Menschen verdiente. Wer wolte sich denn einbilden können, daß Diogenes, wenn er gleich den Tumult der Lebenden hätte vernehmen können, sich würde unter der Erde durchgegraben haben, damit er in Deutschlande Menschen suche? (3.) Sind die meisten Umstände unwahrscheinlich und lächerlich. Zum Exempel, wo hat Diogenes seine Laterne genommen? Sie ist sonder Zweifel mit ihm bestattet worden. Warum wird er nach seinem Tod in einen Bergknap metamorphosiert, der sich unter der Erde durchgegraben, wie ein Maulwurff? Warum ist er nicht aus dem Grab gleich an das frohe Licht aufwärts hervor gekrochen, und hernach lieber oben auf dem Erdboden als unter der Erde nach Leipzig gereiset? Seine Kleider müssen von einem besondern Zeuge gewesen seyn, daß sie in Zeit von so viel hundert Jahren nicht vermodert sind. Wie sehen die Syllogistischen Fackeln aus, denn ich kan mir nicht einbilden, wie man einen damit jämmerlich schlagen kan, etc. etc. Zugeschweigen, daß (4.) die meisten Umstände weder zur Erläuterung und aufheiterung der Bedeutung noch der Historie das geringste [216] dienen. Ja die gantze Fiction will nicht mehr sagen, als unser Autor habe sich vorgenommen, wie ehedessen Diogenes, die Einwohner von Deutschland vermittelst einer papierenen Laterne (durch seine Discourse) zu beleuchten (zu erbauen.)
Jm übrigen sind die geistreichen Schertze, welche unser Autor zuweilen einmischet, sehr frostig, zum Exempel, Disc. IV. Weil er nun vor grossem Verdruß, daß er in seinem Suchen so unglücklich gewesen, sich halbe schlaff-truncken und gantz abgemattet niedergelegt. (Es kan wol seyn, daß ihn seyn Faß, welches er so fleißig geweltzet, am meisten mitgenommen.) Diese Parenthesis ist eine Faux brillant welches nichts anders sagen will, weder, er habe sich vielleicht zu Tode gesoffen, etc. Jch könnte noch mehr Exempel von der verderbten Phantasie unsers Autors anführen, wenn mich nicht die Zeit und Mühe dauren würde.
Von den Gedancken des Autors.
Jn Ansehung der Gedancken eines Autors muß man nur schauen, ob dieselbe wahr und richtig, und ob sie nicht zugemein seyen. Denn wenn die Gedancken eines Autors falsch und gemein sind, so ist es eine Anzeige eines ungeübten Judicii. Wenn ich nach diesem von den Gedancken unsers Autors urtheilen soll, so muß ich vorderst bekennen, daß er in seiner ersten Speculation nicht viel Gedancken anbringet, Jnzwischen will ich doch die Mühe nehmen, und die Discoursen desselben durchgehen. [217]
Jn dem ersten Disc. sagt er unter anderm: Es kömmt nicht allein darauf an, sich selbst zu reformiren, man muß auch andern neben sich die Gedancken beybringen, daß man nicht ohne Ursache eine Änderung mit sich vornehme, und wenn man sich von dem eiteln Wesen sucht abzuziehen, wird man seine eigne Wolfahrt in Gefahr setzen, wofern man nicht andere zu einem gleichen Vorsatz zubringen bemühet ist. Der Autor will darmit sein Unternehmen rechtfertigen. Allein ich möchte gerne wissen was ihn verbindet die Ursachen in den Truck zugeben, warum er sein Thun und Lassen nach dem Jnhalt der Göttlichen Gesetzen, und nach den Reglen der gesunden Vernunfft einrichte, oder welches die Gefahr seye, die er beförchtet, wofern er solches unterlassen würde? Wenn ein jeder Mensch schuldig ist eine gedrückte Rechenschafft von seinem Thun und Lassen zugeben, so folget auf die Weise, daß alle Menschen durch gleiches Recht verbunden seyen Autores zuwerden.
Der gantze zweyte Disc. ist entweder ein kahle Declamation, die nichts anders sagen will: als: Eine schlimme Auferziehung seye ein grosses Ubel. Oder wenn ein Raisonement dahinter stecken soll, so verhält es sich also: Was einmahl corrumpirt worden, kan so leicht nicht wieder ausgebessert werden, also auch ein Kind daß durch eine schlimme Auferziehung ist verwarloset worden, kan so leicht nicht wieder zu recht gebracht [218] werden. Der Vorsatz wird bewiesen durch drey oder vier Gleichnissen. Allein es ist zubemercken, daß die Gleichnissen nichts beweisen, sondern allein erläutern.
Der dritte Disc. raillirt das Tobackrauchen zu Nacht auf der Gassen, 1. weil es wieder den Wolstand. 2. Weil es gefährlich seye. 3. Weil es nichts nütze. (1.) Es ist wieder den Wolstand, weil man den Schiebkärneren dardurch in das Handwerck fället, ferner weil man nicht bey Tage auf der Strasse mit einer Tobacks-Pfeiffe erscheinen darff. Es ist nur die Frage, ob der Wolstand, welcher nichts anders ist, weder eine allgemeine eingeführte Gewohnheit, zu Nacht nicht aufhöre; denn der Wolstand hat allein Platz in dem Umgang mit andern Leuten. 2. Es ist gefährlich weil einem schmauchenden ein Feuer-Funcken entfahren, und einem vorbeygehenden seine Kleider verderben kan. Allein dieser Jnconvenientz ist leicht zubegegnen. Bey uns hat man gewisse Deckel über die Köpffe der Tobacks-Pfeiffen, wodurch dieser Gefahr abgeholffen ist. (3.) Es nütze nichts, weil es nicht gesund ist, indem man auch unter dem Rauchen die Lufft einschlucket. Wie aber? Wenn dieselbe durch das Feur und den Rauch gereiniget wird. 4. Weil viel Leute gesund sind, die keinen Toback rauchen. Allein diese Consequentz hincket.
Discours IV. Zu Anfang stehet: Es gehet bald allen Leuten, die einen lustigen Einfall [219] haben wie dem Elihu, dem Sohn Baracheel von Bus, beym Hiob am 32. denn dieser meynete, er seye der Rede so voll daß ihn der Odem in seinem Bauch ängstigte, sein Bauch seye wie der Most, der zugestopfft wäre, der die neuen Faß zerrisse, also müßte er Reden, daß er Odem hohlete. Jch habe zwar meine Gedancken nicht im Bauche, aber doch gehet es mir wie dem Elihu. Mit diesen letzten Worten will der gute Mensch den Elihuk ensiren, aber giebet damit nur seine Unwissenheit bloß. Elihu sagt nirgend, daß er die Gedancken in dem Bauche habe, sondern er bedienet sich allein eines allegorischen Gleichnisses (dergleichen bey den Orientalischen Nationen so wol heut zu Tage als ehe dessen gemein und gewohnet sind) welches sich zu der Sache angemessen schicket, die er ausdrücken will, nemlich es lägen ihm so viele Sachen und Gedancken inn, welche ihn drückten und besorgt machten, daß er dieselbe dem Hiob entdecken, und sich ihrer entledigen müsse.
Von den Reimen und Sonneten des Autors.
Wer hätte es gedacht? Unser liebe Diogenes von einer neuen Facon will den Engelländischen Beschauer noch übersteigen, in dem er nicht nur in prosa, sondern auch in versa, und so gar in Rythmica redet. Der Herr Steele hat seine Devisen gantz nicht übersetzet, aber unser Autor übersetzet sie und zwar in Reimen, auch die ungebun-[220]denen Sprüche seiner Weisen, selbst denjenigen, aus dem weisen Codex. Gleichwie er sich damit sehr geschickt erweiset, so möchte ich wünschen, daß er uns eine vollständige Ubersetzung des gantzen Codicis gönnte, welches unsern Chicaneurs ein prächtiges Ansehen machete, wenn sie ins künfftige ihre Citationen aus demselben in deutsche Reimen verfaßt bringen würden. Die Redens-Art in der Devise des ersten Disc. einen als unhöfflich striegeln, ist ohne Zweiffel eine Geburt des Reimens spiegeln, denn man striegelt sonst nicht die unhöfflichen, sondern die Roß und Maulthiere. Die Zeile der vierdten Devise:
Ætereas lascive cupis volitare per auras.
wird unrecht verdeutschet:
Da dich ein blosser Wind ans freye Licht getrieben.
und muß lauten:
Du wilst, unkeusches Buch, aus meinen Händen scheiden.
Der Autor steckt voll Reimen, darum will er auch zu Erfüllung (Die Schweitzer sagen Ausfüllung) des übrig bleibenden Raumens wolgemachte Gedichte communiciren. Er machet wircklich mit einem den Anfang, welches aus lauter weiblichen Versen, die sieben und ein halben Schuh lange sind, bestehen. Diese Verse welche der Autor beliebet ein Sonnet zu nennen, haben ihn ohne Zweiffel wie er selbst sagt, wol gemacht bedünckt. Um ihrer Neuigkeit willen hat er sie nicht beygesetzt, weil ich sie [221] schon vor etlichen Jahren in unsern Calendern (N B. Wenn der Herr Kuh-Melcker seinen Calender nicht etwan zu Einpackung seiner Käse verbraucht, so beliebe er nur die Gedichte gegen einander zu collationiren er wird einen mercklichen Unterscheid finden) von Wort zu Wort gesehen habe, und sie deßwegen nicht würdig achte zu critisiren.
Jch will hiemit schließlich einen jeden gewarnet haben, daß man sich nicht unverschämter Weise der Nahmen der berühmtesten Männer bediene, um die ungereimteste Träume an den Mann zubringen. ◀Metatextualidade ◀Nível 3 ◀Nível 2 ◀Nível 1