Référence bibliographique: Anonymus (Éd.): "I.", dans: Leipziger Spectateur, Vol.4\001 (1723), pp. 155-162, édité dans: Ertler, Klaus-Dieter / Doms, Misia Sophia / Hahne, Nina (Éd.): Les "Spectators" dans le contexte international. Édition numérique, Graz 2011- . hdl.handle.net/11471/513.20.2552 [consulté le: ].


Niveau 1►

Der
Leipziger
SPECTATEUR.
I.

Citation/Devise► Ex iis optime nutrimur, ex quibus sumus. ◀Citation/Devise

Aristoteles Lib. II. cap. 8 de generat. & corrupt.

Citation/Devise► Am besten nähret uns der Mutter Milch und Brust,
Spricht
Aristoteles und will Gesetze geben
Allein wir wollen ihn der Mühe überheben
Mir däucht, er hatte selbst zu fremden Brüsten Lust. ◀Citation/Devise

Gespräch eines Pastoris mit einer vornehmen Dame aufm Lande.

Niveau 2► Niveau 3► Dialogue► Pastor.

EW. Gnaden gratulire von Hertzen, daß der liebe GOtt dieselben ihrer bißheriger getragenen weiblichen Bürden in Gnaden entbin-[156]den und zur frölichen Kinder-Mutter machen wollen, auch mit einen jungen wohlgestalten Töchterlein erfreuet, der himmlische Vater lasse dem Kindlein das Bad der Heiligen Tauffe, samt langen Leben wiederfahren, erhalte Mutter und Tochter um JEsu Christi Willen.

. Jch bedancke mich Hr. Pastor vor seinen guten Wunsch, aber ich muß gestehen, daß ich recht vor ihm erschrocken bin, daß er so ungemeldet und geschwinde zu mir kommt, da ich kaum mich von meiner Kindes-Noth besinnen kan, was ist denn sein Anbringen?

. Jch komme zu Ew. Gnaden Amts- und Gewissens wegen, weil ich Ew. Gnaden Beicht-Vater bin.

. HErr GOtt ich erschrecke noch mehr, was hat er mir denn wichtiges zu sagen? Jch sehe daß er sich gantz aus dem Athem gelauffen, er halte mich nicht länger auf: Was will er?

. Demnach der liebe GOTT Ew. Gnaden glücklich entbunden und mit einen gesunden Töchterlein glücklich niederkommen lassen, so will ich dieser wegen etc.

. So so er will mir gratuliren, er hätte sich nicht bemühen dürffen.

. Noch mehr, Ew. Gnaden hören mich nur, so will ich Ew. Gnaden Priesterlich und Christlich ermahnet haben, sie wollen dem neugebohrnen Kindlein etc.

[157] . Jch soll mein Kind zeitig tauffen lassen, ja ja mein Mann weiß es kaum, ob es ein Sohn oder eine Tochter ist, wir wollen es ihm schon sagen lassen, wenn wir es wollen tauffen lassen, wir müssen erst mit einander überlegen, was wir für Gevattern bitten. Es läst sich nicht so leicht und geschwinde thun, ich habe mich um etliche Wochen dazu verrechnet.

. Ach ich bitte Ew. Gnaden sie gedulden sich und lassen mich ausreden; Jch will Ew. Gnaden Christlich und Priesterlich, Krafft tragenden Beicht-Väterlichen Amts, als ein beruffener und verordneter Seel-Sorger und Diener des Göttlichen Worts, hiermit treu und wohlmeinend erinnert vermahnet und gewarnet haben, keine Amme anzunehmen.

. O ists das, was er mir zu sagen hat, dacht ich doch, was es seyn solte. Jch solte keine Amme halten, o daß hätte er immer bey sich behalten können, denn ich thue doch was ich will, und kehre mich an anderer Leuthe Reden nicht. Mein lieber Herr Pfarrer, das ist eine Weiber-Affaire, die gehört vor ihn nicht, nehm ers mir nicht übel.

. Ey ey Ew. Gnaden übereilen sich nicht. Es haben schon viele eyffrige Theologi um dieser Sache willen geeyffert, daß man keine Ammen ohne Noth halten solte, und es gehört wohl vor [158] mich, daß ich Ew. Gnaden deßfalls ins Gewissen rede. Denn es ist unverantwortlich, daß man die armen Kinder von solcher leichtfertigen Huren-Milch ernähren lässet, da man Exempel hat, daß die Kinder nach solcher leichtfertigen geilen oder boßhafftigen Huren Sinn und Lebens-Art hernach gewandelt. Gewiß Ew. Gnaden überlegen die Sache vor GOtt und im Gewissen, und lassen meine Priesterliche Amts-Vermahnung statt finden. Zu dem da Ew. Gnaden selbst von GOTT an Bauche und Brüsten so gesegnet seyn, daß sie ihr liebes Kind wohl selbst stillen können.

. Da hat er sich nicht um zu bekümmern, was kriegt er denn da vor ein Buch heraus Herr Pfarr?

. Ew. Gnaden, es sind Gerbers unerkante Sünden, da will ich Ew. Gnaden das 43. Cap. vom Ammen-Halten ohne Noth, vorlesen.

. O ho, er will mich gar mit Büchern bombardiren; ich dachte es wäre sonst ein Buch zum Zeit-Vertreib, daß ich in Sechs-Wochen lesen könte: Daß werden gewiß die eyffrigen Theologi alle seyn, die wider die Ammen geeyffert. Er lasse doch hören, was hat er denn curieuses; denn weil er mir so viel von Amt und Gewissen vorredet, so wird mir gantz Angst, er lese mirs doch:

[159] . Der liebe Mann schreibt also: Es sind vornehmlich dreyerley Ursachen, warum das Ammen-Halten heut zu Tage so gemein ist: Entweder geschiehet es wegen des Staats, da man meynet, es stehe Leuten, die etwas seyn wollen, nicht wohl an, wann sie nicht eine Amme hielten sondern die Mutter das Kind, wie andere gemeine Weiber, selbst stillete.

. Mein lieber Herr Pfarr des Staats wegen werde ich wohl keine Amme halten. Er weiß es selber wohl, was man auf dem Lande vor Staat macht, und mich wundert, daß mir der Herr Pfarrer solche Sachen vorlist, die alle Bauern besser verstehn, und alle Bade-Mütter. Denn die Amme macht wahrhafftig keinen Staat, wann sie mit dem Kinde in der Kinder-Stube allein sitzen und singen muß: eya popeya: Und ich vor meine Persohn werde gewiß der Amme wegen keine gröser Fontangen aufsetzen und längere Entretienes anziehen. Und wenn ichs auch des Staats wegen thäte, das wäre däucht mir keine Sünde, denn ich will nicht allein mehr seyn, als andere Bauer-Weiber und als seine Frau, sondern ich bin auch mehr, also da ich im übrigen in der Haußhaltung hinten und forn seyn muß, wenn es soll recht zugehen, da man öffters Ärgerniß hat, welches denen Kindern, die man säuget, manchmahl denn Tod verursachen kan, so [160] thue ich etwas höchst billiges und vernünfftiges, daß ich eine Amme halte, und also noch wohl ein GOttes-lohn verdiene, wenn ich einer Armen Frau einen Verdienst gönne.

. Ew. Gnaden hören nur die übrigen Ursachen, so werden sie vielleicht darunter etwas trifftiges, finden, keine Ammen zu halten. Denn so spricht der Herr Gerber ferner: Oder es geschicht zu dem Ende, damit die Mütter ihre Schönheit behalten und das Schminck-Fleckgen nicht verliehren.

. Deßwegen will ich keine Amme halten; Aber ich will es auch deswegen nicht bleiben lassen; Denn wenn ich es deswegen thäte, wäre es nichts unvernünfftiges, ich suche meinen Mann zugefallen, und da mir der liebe GOTT eine Gestalt gegeben, die mein Mann vor schön hält, so muß ich auch suchen durch diesen Umstand die Liebe meines Manns zuerhalten, wenn ich meine Persohn menagire.

. Ew. Gnaden übereilen mich, hören sie doch nur ferner an: Oder man will mit den Kindern keine Mühe haben.

. Ja deßwegen will ich eine Amme halten, und hält es der Herr Pastor für keine Sünde, wenn er einmahl iemand für sich Predigen läst, damit er keine Mühe habe, so sehe ich nicht, wie ers mir verargen kan, daß ich auch einer Mühe [161] will überhoben seyn. Jst es nicht genug, daß ich sonst vor mein Kind sorge und thue, was einer rechtschaffenen Mutter zukommt. Auf die Weise müste ich auch meine Kinder selber informiren, wenn ich allein die Mühe damit haben solte. Er sehe mich nicht so alber an, daß wenn ich für Geld iemand kriege, der mich der sauren Mühe, Kinder zusäugen, die einen schlafflose Nächte, unruhige Tage, Kranckheit, und alles übel verursachen kan, überheben will, daß ich es solte bleiben lassen. Jhr Manns-Leute habt gut schwatzen, ihr verstehts nicht, wie einer Frau, die ein säugend Kind hat, zumuthe ist.

. Nun wenn denn Ew. Gnaden es doch thun wollen, so erwegen sie doch was Herr Gerber ferner spricht: Allein ob diese Ursachen genug seyn, mit den armen Kindern in ihren so zarten Alter so unbarmhertzig zu handeln, und ob es vor GOtt verantwortlich, daß ein Kind nicht nur in Gefahr seines Lebens, sondern auch seiner Seelen, gesetzt wird, kan ich nicht begreiffen.

. Und ich kan nicht begreiffen wie das unbarmhertzig sey, und wie ein Kind dadurch in Leibes- und Seelen-Gefahr gesetzt werde, machen sie doch ein Aufhebens von der Sache, als wenn es noch so ein groß Ding wäre, eine Amme halten.

. Ew. Gnaden hören nur, es ist allerdings [162] etwas wichtiges, sind nicht die Ammen öffters geile Huren, leichtfertige Menscher, die aller Boßheit voll, wie der bekante Herr Scriver in seinen Seelen-Schatz p. 660. P. IV. erinnert? Der Käyser Tiberius ist dem Trunck ergeben gewesen, weil er eine versoffene Amme gehabt. Jst nicht Caligula ein so grausamer Tyrann deßwegen worden, weil er eine Blut-dürstige Amme gehabt? Jst das nicht die Kinder in Leibs- und Seelen-Gefahr gesetzt?

. Mein lieber Herr Pastor auf die Weise würde manche Mutter ihr Kind selbst nicht säugen dürffen. Denn es ist ihm, wie ich glaube, eben so leicht die Mutter zur Hure zu machen, als die Amme, und er will ohnedem nur hiebey weisen, daß er (eben wie seine Herren confratres manchmahl pflegen) nur die Nase überall einstecken will und Gelegenheit sucht zu schmälen. Jch habe nicht Zeit, länger mit ihm zusprechen, und will ich ihn schon ruffen lassen, wenn ich in meinem Gewissen Scrupel habe, um solche Sachen lasse er sich nur unbekümmert, und studire desto besser auf seine Predigten und Abdanckungen davor, und ich nehme mir doch eine Amme, daß ers weiß, Adjeu! ◀Dialogue ◀Niveau 3 ◀Niveau 2 ◀Niveau 1