Seckauer Margaretenlegende
Getoerſt ich voer meiner miſſetate. bie gern ich herregot dich
pete. daz du durch billen deſ trauten ſunes dein. v(er)gebeſt der
groezzen
ſchulde mein. vnd mier ſandeſt deinen ſtroeſt
gaiſt. der aller guete iſt vollauiſt. der mich beiſ vnd lere.
daz da {herre} ſei dein lob vnd dein ere. manichvaltich iſt hrre dein
gebalt. vil groez iſt dein
guete. du biſ mein geniſt. da du daz ſbendun veuer ſuſt piſt. hic ba{i}z baz sp{r}echen
mere. imer
ich ſag dier lob vnd ere. zebundern du bol piſt. band du bund
erleicher piſt. den allez daz der iſt. bol ſind boerden deineu
bunder ſchein. an ainem vil hailigen magedein. gehaizzen
baſ ſi margarete. got ſi
vil holden hete. bol ſchain daz dar
an. alſ ich andem puech vernomen han. bande ſi
truech {manneſ} muet. dochez manegen man nicht dauch guet. bie daz allez ſei dergang.
daz vernemet
{bol} beib vnd man. nu freu ſich beibes
guete. daz
vnder in funden ſei ain ſo ſtarch gemuete. gepezzert ſein dapei die man. goteſnamen ſo heb bier an. Nach der marter
vnd nach der vrſtende. vnſers heren ieſu xpi. vnd nach ſeiner
lobleichen aufferte. hin ze himel {zu} got vater almechtigen.
Es dürfte sich hier um einen Schreibfehler handeln: Es wurde "stroest"
statt "troest" geschrieben.
Es dürfte sich hier um einen Schreibfehler handeln: Es wurde
"vollauist" statt "volleist" geschrieben.
Interlineare Texteinfügung mit Einweisungszeichen (Wellenlinie): Das
Wort "herre" wurde hier nachträglich eingefügt.
Hier wurde der Buchstabe "e" ausgelassen.
Es dürfte sich hier um einen Schreibfehler handeln. Gemeint sein
könnte "swenden", die Textstelle lässt sich allerdings nicht zweifelsfrei
entschlüsseln.
Interlineare Texteinfügung ohne Einweisungszeichen: Ein vergessenes
"i" wurde nachträglich überschrieben.
Interlineare Texteinfügung ohne Einweisungszeichen: Ein vergessenes
"r" wurde nachträglich überschrieben.
Interlineare Texteinfügung mit einfachem Einweisungszeichen
(senkrechter Strich): Das Wort "mannes" wurde hier nachträglich eingefügt.
Interlineare Texteinfügung mit einfachem Einweisungszeichen
(senkrechter Strich): Das Wort "bol" wurde hier nachträglich eingefügt.
Getorst ich vor meiner
missetate,
wie gern ich herregot dich bete,
daz du durch willen des trauten sunes
dein,
vergebest der grozzen schulde mein
und mir sandest deinen trost geist,
der aller guete ist
volleist
,
der mich weis und lere,
daz da herre sei dein lob und dein ere.
Manigvaltig ist herre dein gewalt,
vil groz ist deine guete.
Du wis mein genist,
da du swenden veuer sust bist.
Hic
weiz waz sprechen mere,
imer ich sag dir lob vnd ere.
Ze wundern du wol bist,
wand du wunderleicher bist,
den allez daz der ist.
Wol sind worden deiner wunder schein
an einem vil heiligen magedein,
geheizzen was sie Margarete.
Got sie vil holden hete,
wol schein daz dar an,
als ich an dem buch vernomen han.
Wande sie trug mannes mut,
doch es manegen man nicht daucht gut.
Wie daz allez sei dergang,
daz vernemet wol, weib und man.
Nu freu sich weibes guete,
daz under in funden sei ein starc gemuete.
Gebezzert sein dabei die man,
Gotes namen so heb wir an:
Trotz meiner Sünden möchte ich es wagen,
dich, Herrgott, zu bitten,
dass du um deines geliebten Sohnes willen
meiner großen Schuld vergibst
und mir deinen erbauenden Geist sendest,
der erfüllt ist von unermesslicher Barmherzigkeit,
sodass er mich lehrt und leitet,
damit dir, Herr, Lob und Ehre zuteilwerden.
Dein Macht, Herr, ist gewaltig
und deine Güte ist riesengroß.
Du offenbarst meine Rettung,
da du der Weg aus den Flammen bist.
An dieser Stelle vermag ich nichts Besseres zu tun,
als dir Lob und Ehre auszusprechen.
Du bist wahrhaftig vollkommen,
da du auf wundersame Weise wirkst,
in allem, was existiert.
Auf außerordentlicher Art offenbarte sich der Glanz deiner
Wundertaten
an einem heiligen Mädchen,
das Margarethe genannt wurde.
Sie war Gott vollkommen ergeben,
was sich an dem zeigte,
das ich in dem Buch erfahren habe.
Sie verfügte über die Willenskraft eines Mannes,
was jedoch so manchem Mann missfiel.
Wie sich das alles genau zutrug,
das erfährt ihr nun, Frauen und Männer.
Erfreuen soll sich die Weiblichkeit,
dass sich unter ihnen ein so starkes Wesen fand!
Geläutert werden sollen dabei die Männer!
In Gottes Namen beginnen wir nun:
von geturren: wagen, sich trauen zu..., dürfen,
wollen
trotz meiner Sünden
missetat: Missetat, Vergehen, Sünden, Unrecht,
Bosheit
von traut: lieb, geliebt
Das Adjektiv <traut> findet sich heute noch in der
gehobenen Sprache, wirkt allerdings veraltet. Es findet sich z.B. in der Wendung
"Trautes Heim, Glück allein".
volleist: Hilfe, Beistand, Vollendung, Erfüllung, Kraft,
Fülle, Grund, Ursache
manigvaltig: groß, gewaltig, reich, reichaltig,
vielfältig, verschiedenartig
gewalt: Macht, Kraft, Herrschaft; außerdem: Reich,
Besitz, Vollmacht, Gewalt, Heeresmacht, Unrecht, Zwang
Das Wort <Gewalt> hat einen Bedeutungswandel
durchgemacht, die alte Bedeutung <Macht> ist z.B. in den Wörtern
<Staatsgewalt> und <Gewaltentrennung> noch erhalten.
von weisen: zeigen, offenbaren, lehren, erklären
genist: Heil, Heilung, Erlösung, Rettung, Nahrung,
Unterhalt.
Verwandt mit <genesen>: am Leben bleiben, verschont
bleiben, gesund werden, überstehen, gerettet werden. Heute verwenden wir das Wort
<genesen> nur noch im Sinne von <gesund werden>. Das Wort hat also eine
Bedeutungsveränderung durchgemacht, genauer gesagt eine Bedeutungsverengung (da es heute
weniger Bedeutungen hat als früher).
Aufgrund eines Schreibfehlers in der Handschrift lässt
sich diese Textstelle nicht zweifelsfrei entschlüsseln (siehe Revisionsansicht), die
Übersetzung ist also spekulativ.
hic (lateinisches Adverb): hier
hier: vollkommen, vollendet, zu bewundern, zu
bestaunen
denn, da, weil
wunderlich, wunderleich: wunderbar, auf
wunderbare/unbegreifliche/wundersame Weise
Das Wort <wunderlich> hat eine
Bedeutungsveränderung durchgemacht; heute bezeichnen wir jemanden oder etwas als
<wunderlich>, wenn wir ihn oder es seltsam, eigenartig oder befremdlich finden.
Glanz/Schein der Wunder(taten)
hier: Jungfrau, Mädchen (auch: Hofdame, Kammerjungfrau,
Dienerin)
Heute verbindet wir mit dem Wort <Magd> eine
Gehilfin im landwirtschaftlichen Bereich; das weibliche Gegenstück zum <Knecht>.
Im Mittelalter und lange Zeit danach wurde der Begriff ganz allgemein für
jüngere/unverheiratete Frauen und Mädchen verwendet.
gemeint ist (die später heiliggesprochene) Margareta von
Antiochien
Wiki: [Heiligenlegende](http://143.50.35.73/wiki/index.php/Heiligenlegende)
von holt, hold: wohlgesonnen, gewogen, zugetan, ergeben,
lieb, liebevoll, herzlich
Das Wort <hold> kennen wir heutezumeist nur noch
unter der Bedeutung anmutig/lieblich. Es gilt als veraltet, am ehesten findet man es
noch in der scherzhaft gebrauchten Wendung "holde Maid".
von dunken, dünken: erscheinen als, scheinen,
vorkommen
Das Verb <dünken> und seine Form <deucht>
gibt es heute noch in selber Bedeutung, es gilt allerdings als veraltet.
von ergen, ergan, dergan: geschehen, sich
vollziehen/erfüllen, eintreten, stattfinden