Stein 2018 Institut für Germanistik, Universität Wien Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2018 Graz o:kofler.w3.manker.1066 Werner Kofler - Kommentar zur Werkausgabe Projektleitung Wolfgang Straub

born digital

Diese Plattform zum Prosawerk des österreichischen Schriftstellers Werner Kofler (1947–2011) gibt den Stellenkommentar wieder. Die Primärtexte sind urheberrechtlich geschützt und nicht für eine Online-Edition vorgesehen. Sämtliche Seitenangaben, die im jeweiligen Eintrag unter »Textausschnitte« angeführt sind, beziehen sich daher auf die 2018 im Sonderzahl Verlag erschienene dreibändige gedruckte Werkausgabe. Die Website folgt der Anordnung der Texte in drei Bänden.

Kommentierte Werkausgabe Werner Kofler

Das Projekt begleitet die gedruckte und kommentierte Werkausgabe (Prosa) des österreichischen Schriftstellers Werner Kofler. Es ergänzt den gedruckten Stellenkommentar um vertiefende Materialien und einen mehrschichtigen Zugang zu den vorhandenen Inhalten.

Deutsch Werke Werk 3 Manker, Invention Geoinformation Orte Krems
Stein Stein In der Justizstrafanstalt Stein in Krems – 1850 aus einer alten Klosteranlage errichtet – werden Männer zur Verbüßung längerer Haftstrafen inhaftiert. [...] Der andere redet immer eifriger auf mich ein, so daß ich, eine kurze Pause ausnützend, ihn schnell frage, ob er die Geschichte vom Briefträger kenne, der in einem Dorf, im Pfarrhof, einen Brief abliefern soll, das aber, aufgrund einer durch ein ebenerdiges Fenster gemachten Beobachtung, und um nicht zu stören, erst später als vorgehabt tun kann, und der dem Pfarrer erklärt, Hochwürden habe vorher gerade ein Nickerchen gemacht, wie er durch das Nenster habe sehen können? – Schon gut, schon gut, ich kenne den Witz, so der Fremde, unwillig, verstehen Sie denn nicht, was ich sagen will? Was bewegt einen Zimmermaler, sich als Steinmetz auszugeben, was einen Privatdetektiv, als Reiseschriftsteller aufzutreten? Hier stimmt doch etwas nicht, hier stinkt es, ich weiß nicht wonach, aber es stinkt [...] [...] – Sie sehen, die Hauptdarsteller: Hinter meinem Rücken hat, eingestiegen bereits in Bad Oeynhausen, ein etwa Dreißigjähriger Platz genommen und ein Vogelbauer unter den Speisewagentisch gestellt, einen Käfig mit einem Wellensittich, der fortwährend seine Kennmelodien singt, hören Sie? Wie wenn dieser Vogelhändler zu Filmarbeiten unterwegs wäre in ein Defa-Studio; hier, dieser hohlwangige, langhaarige, bärtige, unsympathische Mensch – ein typischer Einheitsdeutscher –, der soeben hereingekommen ist, herein, ohne anzuklopfen, sehen Sie, ist, wie mir mein jugendliches Gegenüber leise andeutet, ebenfalls ein Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Hannover, auch er eingeweiht, vom Chefin Kenntnis gesetzt, ein Süchtiger, unschwer zu erkennen, ein Konfident, ein Spitzel, ein Drecksack; weiter: irgendwo schräg hinter mir, warten Sie, ich werde mich unauffällig umdrehen, ja, dort, sitzt der Dazwischengeher, ein notorischer Dazwischengeher, wie sich herausstellen wird, auch er bärtig, aber nicht langhaarig, nicht hohlwangig, ganz im Gegenteil, freilich, er ist ja auch kein Mitarbeiter des Landeskriminalamts Hannover; und irgendwo hinten, in der Nichtraucherzone – Nichtraucherzone, komisch, nicht – dieses gesamtdeutschen Speisewagens, irgendwo hinten, er ist im Augenblick – oder sehen Sie etwas? Nein, eben, – er ist im Augenblick nicht im Bild, aber er wird sich bald schon hinreichend bemerkbar machen, der Geschäftsreisende aus dem Westen mit dem ungut roten, nicht nur vom Alkohol und von der Hitze geröteten Gesicht, ein West-Ost-Handlungsreisender mit zwei Köfferchen, etwas schäbig zwar, aber doch aus dem Westen, unterwegs nach Magdeburg, um etwas abzuwickeln, in der Nacht von Samstag auf Sonntag zunächst, die werden staunen, was Sache ist; er wird denen Bescheid stoßen, er ist jetzt schon geladen, die Hitze, das vereinte Deutschland, das Reiseziel Magdeburg, er wird – Ah, Augenblick, sehen Sie, es geht los, der Auslöser tritt auf, der Stein [...] [...] gekommen der ordinäre Budweiser Bierkrug, ein mir liebes Werbegeschenk der Firma Kolarik und Buben, umgeworfen ein Küchentisch, kaputt alles, was sich darauf befunden, Teekannen aus Porzellan und Teekannen aus Steingut, Teeund Kaffeetassen, Blumenvasen, Karaffen, Teller, Untertassen, alles mögliche, mit einem einzigen Wurf zerstört der schwere Wasserkessel aus Stahlblech, vom Herd genommen und in die Brausetasse geschleudert, gedroschen, schon wieder eine beschädigte Tasse, an mehreren Stellen abgesplittert die Emaillierung - nicht alle Tassen im Schrank gehabt -, nach innen verformt das Stahlblech von der Wucht des Aufpralls, – diese Kraft!, diese an Raserei und Irrsinn gemahnende Kraft! –, aufgerissen alle Türen, wo ich denn sei, daß er mich umbringe, mit bloßen Händen umbringe, großer Lärm, Furcht, Unruhe, wo denn ich, wohin denn ich, in Furcht und Unruhe versetzt, Krachen und Bersten, großer Lärm, unsichtbar gemacht ich mich, an mir vorbeigestürmt der plötzlich eingedrungene, entkommen, ausgewichen ich, auf den Hausflur entkommen ich und zum Nachbarn gelaufen, um Hilfe zu erbitten [...] [...] Wie? Irrsinn, Kukident, wie kommen Sie denn auf Jack Unterweger? Dem wäre nicht einmal dieser eine Satz gelungen, dieser eine Satz schon gar nicht, außerdem ist die Schreibmaschine ja nicht in Stein eingesessen und schon gar nicht lebenslänglich, auch nicht in Garsten, sondern im Landesgerichtlichen Gefangenenhaus in Wien, im sogenannten Zweierlandl, und die Zustände im Wiener Landesgerichtlichen Gefangenenhaus sind mit denen in der Anstalt Garsten nicht zu vergleichen; außerdem ist meine Maschine ja nicht wegen eines Kapitalverbrechens hinter Gittern gewesen, sondern wegen Suchtgiftmißbrauchs und Drogenhandels; kurzum, großzügig, wie ich nun einmal bin, habe ich das gute Stück einem in Bedrängnis geratenen und im Gefängnis gelandeten Freund überlassen, der von seiner Frau, einer Bankbeamtin, und ihrem Liebhaber auf das Fürchterlichste hereingelegt worden war dadurch, daß die Frau das gemeinsame Cannabisversteck im Keller verraten und vor Gericht als Kronzeugin gegen ihn ausgesagt hatte [...] [...] Aber weiter, Manker, wer noch? Wen noch hätte ich wieder festzusetzen, welche noch aus einem Buch in ein anderes zu verlegen, aus dem gelockerten in den verschärften Vollzug, in den Steinbruch, in die Buchbinderei? Nein, Manker, schweigen Sie, ich muß selbst draufkommen, jemanden aus Krumpendorf, oder Pörtschach, einen mit einem blauen Schal, den Kahlkopf Retzer, die Gebrüder Dumba, Niki und Taki Dumba, die Herren von Schloß Seefels, den Bratwurstkönig Jagerhofer, oder diese Schwuchtel, wie heißt sie nur, die Tante Jutta aus Kalkutta, Udo Jürgens heißt sie, jawohl, präzise Erinnerung, Genie ist Gedächtnis, Udo Jürgens [...] [...] Wiener Gemeindebezirk wird man durch eine in das Haustor eingelassene, stets grob fahrlässig unversperrte Haustüre betreten haben, über eine gepflasterte Toreinfahrt, auf der im Herbst die Blätter treiben, an zu mehr als zwei Drittel kaputtgemachten, zerbrochenen Hausbrieffächern vorbei und einer seit Kriegsende, es könnte auch der Erste Weltkrieg gewesen sein, geschlossenen Tischlerei; geradeaus weiter, würde man, durch eine vielfach geflickte, vom Wind aber immer aufs neue kaputtgeschmissene Holz- Glastüre in den Innenhof mit Waschküche, Klopfstange, Mülltonne und Resten früherer Ziergärten gekommen sein; auf den in einem Halbkreis verlaufenden Flur des Erdgeschosses aber, des Parterres, wird man über drei Stufen rechterhand gelangt sein, vorbei an seit einem Jahrzehnt oder länger schon leerstehenden Wohnungen, namentlich an den Wohnungstüren der früheren Hausparteien Maier, Lottergstötter, Delfinus Wagner und, um die Ecke, auch an der Wohnungstüre der einstigen Hauspartei Prohaska; die einzige im Parterre noch besiedelte Wohnung wird die des Frächters Holzer gewesen sein, der, wie in Berlin, hätten die Berliner nicht andere Sorgen, gesagt würde, in Alteisen macht – Die Gangbeleuchtung wird aus bloßen Glühbirnen bestanden haben; eine spiralenförmige Steintreppe mit abgetretenen, fleckigen Stufen wird nach oben, bis in den dritten Stock, geführt haben; im ersten Stock – nein, kein Hochparterre, kein Mezzanin, hier nicht – im Halbrund des Flures, rechterhand, an der Türe des früheren Hausmeisters Schilck vorbei, die Wohnungen der früheren Hauspartei Zelenka, genauer: der Frau des Raubmörders Zelenka, und des Ernst Macht, Vizeleutnant a [...] [...] Harald, und ähnlicher Kreaturen, das blaue Licht leuchte ihnen, der Nachruhm für die Mägde, Winter, Kugler, Herzenberger, Amberger, Krems und, aus dem Berliner Lager Marzahn, Rosenberg und Steinbach; die Mägde (Kastell, Innen, Abend), wie sie singen und scherzen, um ihr Leben singen und scherzen, zu singen und zu scherzen haben, la la la und ha ha ha und Oh na warte, diese Spielfreude!, Welche von uns gefällt dir am besten, Pedro? – Keine; Jean Cocteau, Ihre Übersetzungskunst ist schon wieder gefragt, erneute Herausforderung [...]