Zauberflöte 2018 Institut für Germanistik, Universität Wien Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2018 Graz o:kofler.w2.schreibtisch.431 Werner Kofler - Kommentar zur Werkausgabe Projektleitung Wolfgang Straub

born digital

Diese Plattform zum Prosawerk des österreichischen Schriftstellers Werner Kofler (1947–2011) gibt den Stellenkommentar wieder. Die Primärtexte sind urheberrechtlich geschützt und nicht für eine Online-Edition vorgesehen. Sämtliche Seitenangaben, die im jeweiligen Eintrag unter »Textausschnitte« angeführt sind, beziehen sich daher auf die 2018 im Sonderzahl Verlag erschienene dreibändige gedruckte Werkausgabe. Die Website folgt der Anordnung der Texte in drei Bänden.

Kommentierte Werkausgabe Werner Kofler

Das Projekt begleitet die gedruckte und kommentierte Werkausgabe (Prosa) des österreichischen Schriftstellers Werner Kofler. Es ergänzt den gedruckten Stellenkommentar um vertiefende Materialien und einen mehrschichtigen Zugang zu den vorhandenen Inhalten.

Deutsch Werke Werk 2 Am Schreibtisch Medien Musik
Zauberflöte Zauberflöte s. Eintrag ›Mutmaßungen über die Königin der Nacht‹ [...] Wie er sich dahinschleppt, ohne es zu zeigen, die beiden Geharnischten aus der Zauberflöte im Kopf und zystische Aufhellungen in der Lunge, ausgedehnte Aufhellungen in beiden Spitzenregionen, von denen er noch nichts weiß und später nichts wird wissen wollen [...] [...] meinen Angaben und Vorschreibungen zuwiderhandelnde Inszenierung das Theater wieder zusammengefügt, das Theatralische statt zerstört gerettet worden – ich sage Ihnen: Die reine Bosheit, die pure Blödheit! Statt daß eine Vernichtung aufgeführt worden wäre, haben diese Kellertheaterschlächter die Aufführung vernichtet, eine Festwochenaufführung, stellen Sie sich vor! Aber diesmal – wie hat man früher gesagt? Aus Fehlern lernen! –, diesmal werde ich schlauer sein, diesmal schreibe ich kein Leerstück, keinen Exzeß, sondern ein Sprechstück mit Musik, das Stadttheater heißen wird, Stadttheater, ein Sprechstück mit Musik, gut, nicht? Denn Sie müssen wissen: Obwohl ich seit Jahrzehnten das Theater meide, komme ich ja eigentlich vom Theater her, ich bin ja am Klagenfurter Stadttheater unter der Intendanz von Otto Hans Böhm Komparse gewesen, meine Klagenfurter Stadttheater-Erfahrungen reichen fürs Leben! Seit der Spielzeit 1964/65, seit meiner Othellound Zauberflötenzeit, meinen Rosenkavalierund Freischützerfahrungen habe ich mich von jedem Theater, von jedem Sprechstück vor allem, ferngehalten [...] [...] Obwohl in der Zauberflöte und im Othello zuhause, habe ich die Zauberflöte oder den Othello nie in einem anderen Haus mir angesehen, auch nicht, um zu vergleichen, wie andere Komparsen den Mohrensklaven anlegen oder die Posaune heben; wie andere Wachkommandanten auf den Zinnen postiert sind oder andere Musikanten im Freischütz um den Tisch hüpfen, ich habe es nie verglichen [...] [...] nicht mehr zu denken auf als anderswo?, ist das Falsche nicht die bessere und vielschichtigere Wahrheit? In der Provinz, behaupte ich, werden Stücke durch Unvermögen noch entlarvt, in den Theatermetropolen hingegen wird nur mehr durch Aufklärung eingelullt! – Deshalb werde ich in meinem Sprechstück mit Musik auch einen Regiediktator auf die Bühne bringen, einen Regieund Interpretationsdiktator auftreten lassen, der die Zauberflöte inszeniert, einen Schreckensherrscher [...] [...] Und da, es ging schon wieder los, immer noch die Zauberflöte, eine Obsession offenbar! Zu allem Unglück hatte ich auch meinen geliebten Beckett nicht bei mir; hätte ich meinen Beckett mitgeführt, hätte ich ihn hervorziehen und darin lesen können, in meinem geliebten Beckett; so aber hatte ich das Buch zuhause gelassen [...] [...] Reichsmusikkammerzauberflöte! An dieser Volkswohlfahrtund Gaupropagandazauberflöte werde ich das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit abhandeln, am Beispiel der Zauberflöte im Kriegswinter 1942/43, an der Winterhilfswerkund Nazisuppenzauberflöte, an der Steinzeitzauberflöte! Die Anwesenheit des Gauleiters in einer Aufführung der Zauberflöte – unfaßbar, nicht? Und doch geschehen [...] [...] ? Nun, ich besitze so manche Jahrgänge der NS-Frauenwarte, der Ostmark-Woche und, erwähnte ich es schon?, des Getreuen Eckart, im Kärntner Kulturbericht des Getreuen Eckart, herausgegeben übrigens von Bruno Brehm, erfahre ich alles über die Zauberflöte der Spielzeit ’42/43, und noch viel mehr [...] [...] Seltsam, nicht, was mit der Zauberflöte alles zusammenhängen kann [...] [...] und plötzlich ein – natürlich inszenierter, aber wer wird das wissen? – totaler Stromund Lichtund Tonausfall, Finsternis und Stille, also Schrecken, ein Ende mit Schrecken, ist das nicht eine großartige Theaterzerstörungsidee? Gewiß wird es auch Spuren von Handlung geben, Fragmente, ein Regiediktator, eine Spiegelung des Sarastro, wird, ich sagte es schon, auftreten und die Zauberflöte inszenieren [...] [...] * In Prag, in einer Inszenierung der Zauberflöte, sie mochte etwa fünfzig Jahre zurückliegen, verschwand, nach ihrem auf der Bühne erfolglosen Versuch, in das Sonnenheiligtum einzudringen, und, laut Opernführer, von Donner und Blitz in ewige Finsternis geschleudert, die Königin der Nacht mitsamt den Ihren in der Versenkung [...] [...] – Auch in Aachen wurde zu jener Zeit die Zauberflöte gespielt; dort war die Darstellung der Vernichtung der Königin der Nacht und ihres Gefolges einfach gestrichen worden [...] [...] Die Königin der Nacht wurde ins Kulissendepot gebracht, wo ihr eine vom Inspizienten gegen sie vorgebrachte Anschuldigung eröffnet wurde, nämlich daß sie sich wiederholt über den nationalsozialistisch-visionären Gehalt der Zauberflöte, namentlich über die Lichtgestalt des Sarastro, lustig gemacht habe; Sarastro müsse mit Doppel-R und Doppel-S, also Sarrasstro, geschrieben werden, damit die Gedankenverknüpfungen Arrest, auch, englisch – englisch! –: Ass, oder, französisch – französisch! –: Assassin deutlich würden; und daß sie, schlimmer noch, gesagt habe, der Krieg wäre längst verloren, also Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung betrieben habe [...] [...] In Aachen kam es an einem Winterabend, kurz vor Schluß der Zauberflötenvorstellung, zu folgendem, kaum bemerkten, diskret inszenierten Zwischenfall [...] [...] Die Königin der Nacht und der Mohr Monostatos der Grazer Kraft-durch-Freude-Gemeinschafts-Zauberflöte waren mit einem Sängerehepaar besetzt worden [...] [...] Die Königin der Nacht der Breslauer Zauberflöte, Feuer und Rauch, Verdammnis, während einer Sonntagnachmittagsvorstellung in Haft genommen und im Kulissendepot einem ersten Verhör unterzogen, wurde anschließend wieder auf freien Fuß gesetzt, um einige Stunden später, bei Vorbereitungen zu überstürzter Flucht betreten, in ihrer Wohnung erneut verhaftet, ins frühere Strafgefangenenhaus überstellt und dort wegen Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung hingerichtet zu werden [...] [...] Aufgrund einer Denunziation eines ohne Hoffnung auf Gehör verliebten Korrepetitors wurde die Königin der Nacht der Regensburger Zauberflöte, Treppe ins Nichts, unter dem Verdacht der Beihilfe zur Flucht eines Staatsfeindes festgenommen und ins Gefängnis eingeliefert [...]