Apes
apis,-is f.:
Biene.
et
fuci
fucus,-i m.: Drohne.
vespa iudice.
Exposition
Apes in alta fecerant quercu
quercus,-us
f.: Eiche.
favos:
favus,-i m.:
Wabe; hier: Bienenwabe.
hos fuci inertes esse dicebant
suos.
lis ad forum deducta est, vespa
iudice.
Actio 1
quae
quae = ea.
genus utrumque nosset
nosset = novisset.
cum pulcherrime,
pulchre aliquem novisse: jmd. gut, wohl
kennen (pulcher 3: schön, hübsch).
legem duabus hanc proposuit
partibus:
„non inconveniens corpus et par est
color,
in
dubium
dubium: ergänze: est und ordne: plane in dubium est, ut res merito
venerit.
plane res ut merito venerit.
sed ne religio
religio,-onis f.: Pflichtgefühl,
Frömmigkeit; hier: Rücksicht, Gewissen.
peccet imprudens mea,
alvos
alvus,-i f.: Bauch, Unterleib; hier:
Bienenstock,-korb.
accipite et ceris
ceris opus infundere: den Honig in die
Bienenwaben einfüllen
opus infundite,
ut ex sapore mellis et forma
favi,
de
de quis = de
quibus.
quis nunc agitur, auctor horum appareat.“
Reactio 1
fuci recusant, apibus condicio
placet.
Schluss
tunc illa
illa: ergänze: vespa.
talem protulit
proferre sententiam (proferre,-tuli,-latum): ein Urteil vorbringen, vortragen.
sententiam:
„apertum est quis non possit et
quis fecerit.
quapropter
quapropter (Adv.): deshalb, aus diesem
Grund.
apibus fructum restituo suum.“
Epimythion
hanc praeterissem
aliquid (in) silentio praeterire
(praterire 4,-ii,-itum):
unerwähnt lassen, verschweigen.
fabulam silentio,
si pactam
pacisci 3, pactus
sum: übereinkommen, einen Vertrag schließen; hier PPP adjektivisch
gebraucht: verabredet, vereinbart.
fuci non recusassent
recusassent = recusavissent (recusare 1,-avi,-atum: verweigern).
fidem.
fides,-ei
f.: Vertrauen, Glaube; hier: Versprechen.
Die Bienen und die Drohnen vor der Wespe als Richter
Bienen hatten auf einer hohen Eiche Waben gebaut. Die untätigen
Drohnen sagten, es seien ihre. Der Streit wurde zum Marktplatz geführt vor die Wespe als
Richter. Und weil diese beide Geschlechter sehr gut kannte, legte sie beiden Parteien
dieses Gesetz vor: [5] „Euer Körper ist nicht unähnlich und die Farbe ist gleich, es
besteht klar Zweifel, dass die Sache mit Recht ausgeht. Damit mein Gewissen aber nicht
unklug einen Fehler macht, nehmt die Bienenstöcke und füllt den Honig ein, damit sich
aufgrund des Geschmacks des Honigs und der Gestalt der Wabe der Urheber derer zeigt,
[10] über die gerade gestritten wird.“ Die Drohnen weigern sich, den Bienen gefällt die
Bedingung. Da bringt jene <Wespe> ein solches Urteil vor: „Es ist offenkundig, wer
es nicht kann und wer es gemacht hat. Und deshalb gebe ich den Bienen ihren Ertrag
zurück.“ [15] Diese Fabel hätte ich verschwiegen, wenn die Drohnen nicht das vereinbarte
Versprechen verweigert hätten.
Paraphrasieren Sie den Ausgangstext!
Drohnen beanspruchen Waben, die die
Bienen gebaut haben, für sich. Der Streit soll mittels eines Richters geklärt werden.
Die Position des Richters übernimmt die Wespe. Diese bemüht sich, ein faires Urteil zu
fällen. Da die beiden Arten sich sehr ähnlich sehen, beauftragt sie Bienen und Drohnen
mit der Füllung der Waben, um den Urheber herauszufinden. Diese Entscheidung gefällt
den Drohnen nicht und sie weigern sich, dies zu tun. Somit ist der wahre Urheber der
Waben klar erkennbar. Der Vorfall wäre im Dunkeln geblieben, wenn die Drohnen sich an
die Vereinbarung gehalten hätten.
Gliedern Sie den Ausgangstext nach dem (typischen) Aufbau einer Fabel! Nennen Sie
auffällige Unterschiede!
Exposition: 1–3
Actio 1: 4–11
Reactio 1: 12
Schluss: 13–15
Epimythion: 16–17
Die Fabel ist insofern auffällig, als
die Actio, die das kluge Handel der Wespe in das Zentrum stellt, erheblich länger als
die übrigen Teile ist.
Finden Sie folgende Stilmittel in der Fabel: Hyperbaton, Parallelismus! Welche
Bedeutung haben sie für die Interpretation der Fabel?
Hyperbaton: v.16, hanc […] fabulam (v. 16): Durch die Sperrung liegt
die Betonung auf dem konkreten Inhalt der Fabel. Es wird hervorgehoben, dass eben
diese Erzählung (hanc […] fabulam)
nicht erzählt werden hätte müssen (praeterissem), wenn, und
das findet sich im Abschlussvers der Fabel (v.17), die Drohnen nicht verweigert hätten
zu tun, was ihnen durch die Wespe auferlegt wurde.
Parallelismus: v.6, non inconveniens corpus […] par […]
color: Mittels dieses Parallelismus wird die doppelte
Aussage bezüglich des Aussehens der Tiere unterstrichen.
Das Epimythion in Phaedr. 3,13 scheint von den Epimythien anderer Phaedrusfabeln
abzuweichen. 4.a: Was ist besonders an diesem Epimythion? Achten Sie speziell auf die
Akteure/angesprochenen Personen! Was könnte mit sententia aus Vers 13 gemeint sein?
4.b: An wen soll der Leser/die Leserin denken? Wer sind die Drohnen? 4.c: Im Proömium
des vierten Buches De rerum natura meint Lukrez (Lucr. 4,20b–22), er möchte die
bittere Arznei seines Lehrgedichtes durch Honig versüßen, um es „erträglich“ zu
machen. Wenn nun Honig für Dichtung steht, wie kann man Phaedr. 3,13 dann verstehen?
4.a: Auffallend ist, dass der Autor im
Epimythion zu Phaedr. 3,13 keine Menschen, sondern die Drohnen, welche im Rahmen der
Handlung als Akteure auftreten, anspricht. Gewöhnlich würde man am Ende einer solchen
Fabel eine Moral oder wenigstens eine Art Lehre des Dichters mit Bezug zur realen
Lebenswelt des Lesers/der Leserin erwarten. Hier bleibt dies vollkommen aus. Zudem
wird nicht erwähnt, an welche sententia (v.13) sich die
Drohnen nicht gehalten haben. Es könnte sowohl die durch die Wespe auferlegte Aufgabe
des Anfüllens der Honigwaben als auch das Ablehnen des anschließenden Urteils über den
Betrug gemeint sein. 4.b: Schwierig gestaltet sich die Beantwortung der Frage, wen die
Drohnen darstellen sollen und ob die Drohnen gar eine bestimmte Bevölkerungsgruppe
oder soziale Schicht in der Gesellschaft repräsentieren bzw. wenn sie dies tun,
welche. Im Allgemeinen kann aber eine deutlich negative Darstellung des Verhaltens der
Drohnen erkannt werden. 4.c: Wenn man das Epimythion der Fabel in Verbindung mit Lucr.
4,20b–22 liest, so könnte man den Honig sowie das Anfüllen der Waben als Metapher für
das Dichten deuten. Man könnte demnach soweit gehen, dass die Drohnen in Phaedr. 3,13
für eine bestimmte Gruppe von Personen stehen, die den wahren Dichtern ihr Werk
streitig machen möchten, und sich Phaedrus gegen dieses Vorhaben des Plagiats mittels
der Fabel von den Bienen und den Drohnen ausspricht.
Nehmen Sie Stellung zum textkritischen Problem in v.11: Die wichtige
Handschrift P bietet
quibus; die Handschriften NV liefern
quis!
In den Handschriften NV ist de quis […] agitur (v.11) zu lesen. Die
Handschriften P und Vi bieten aber de quibus […] agitur (v.11). quis ist eine seltenere
Form für das übliche quibus. quibus
passt aus metrischen Gründen nicht. Offensichtlich haben spätere Abschreiber das quis fälschlich zu quibus ‚verbessert‘.
Folglich ist der Variante de quis zu folgen.
Die Bienen wurden bereits in der Antike als fleißige Tiere angesehen und das
Interesse an diesen Lebewesen ist sowohl in der griechischen als auch in der römischen
Literatur evident. So findet man in Vergils Georgica, Buch 4, eine umfassende
Abhandlung zur Bienenzucht (vgl. Verg. georg. 4,1–5). Schon bei Hesiod (Hes. theog.
594–599) leiden die Bienen und ihr Werk unter dem Verhalten der Drohnen.
Charakterisieren Sie unter Bezugnahme der klassischen Stereotypisierung der Antike die
Bienen sowie die weiteren Akteure in Phaedr. 3,13! Sind auch hier Stereotypen zu
erkennen?
In Phaedr. 3,13 werden die Bienen
nicht speziell charakterisiert, sie sind diejenige der beiden Streit-Parteien, deren
Eigentum die Drohnen als das Ihre reklamieren wollen. Die Charakterzeichnung der
Drohnen als zweite Streitpartei ist ebenfalls kurz. Sie werden lediglich als fuci inertes (v.2) bezeichnet und somit als faule Lebewesen
dargestellt. In Hesiods Theogonie (Hes. theog. 594–599) werden die Drohnen als faule
Parasiten gezeichnet, welche sich von der erarbeiteten Nahrung der Bienen ernähren. In
Phaedr. 3,13 versuchen sie, den selbst erarbeiteten Besitz der Bienen an sich zu
reißen, diesen Plan vereitelt die Wespe jedoch durch geschicktes Vorgehen: Sobald sie
beweisen sollen, dass sie fähig sind, die Waben, die sie für sich beanspruchen, mit
Honig zu füllen, verweigern sie dies. So entpuppen sie sich als Lügner. Die Wespe
zeigt sich klug und umsichtig. Zudem legt die Wahl der Wespe als Richter nahe, dass
ihr wohl Weisheit eigen ist sowie die Fähigkeit, ein gerechtes Urteil zu fällen. Des
Weiteren tritt die Wespe als Person auf, der es leichtfällt, Schlüsse zu ziehen und
diese eloquent darzulegen.
Vergleichen Sie den Ausgangstext mit der Fabel Phaedr. 1,10 und nennen Sie hierbei
formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede!
Phaedr. 3,13 – Phaedr. 1,10
Gemeinsamkeiten |
Exposition |
beides Versfabeln |
Vorfall/Ereignis: Streit |
Schlichtung durch dritte Partei: Phaedr. 3,13:
vespa iudice, Phaedr. 1,10: iudice
simio
|
Phaedr. 3,13: Beanspruchung fremden Eigentums
durch Drohnen, Phaedr. 1,10: Beanspruchung fremden Eigentums durch Wolf |
Leugnen der beschuldigten Partei |
Unterschiede |
Phaedr. 3,13: Epimythion, Phaedr. 1,10
Promythion |
Protagonisten: Phaedr. 3,13: Bienen, Drohnen und
Wespe, Phaedr. 1,10: Wolf, Fuchs, Affe |
Phaedr. 3,13: Darlegung des genauen Gegenstandes
der Streitigkeit, Phaedr. 1,10: Vorwurf des Diebstahls, der nicht näher definiert
wird |
Phaedr. 3,13: Ursprung des Stoffes nicht
erwähnt; Phaedr. 1,10: Kennzeichnung des Ursprunges des Stoffes |
Die wohl auffälligste Parallele
zwischen Phaedr. 3,13 und Phaedr. 1,10 ist das Vorliegen einer Streitigkeit, wobei
jeweils eine der Parteien leugnet, die Tat begangen zu haben. In Phaedr. 1,10 wird ein
Streit zwischen einem Wolf und einem Fuchs thematisiert. Ein Affe fungiert in dieser
Fabel als unparteiische dritte Person. Der Gegenstand kann durch die Aussage des Affen
„tu non videris perdidisse quod petis; / te credo surripuisse quod pulchre negas.“ (vv.9–10) erahnt werden: Es geht um
einen Raub, wie durch lupus arguebat vulpem furti crimine (v.4)
bereits angedeutet wird; jedoch wird nicht geklärt, was genau gestohlen wurde. Der
Affe fällt hier (vv.9–10) zwar ein Urteil – er bezichtigt beide Parteien der Unwahrheit
– es schwingt jedoch in gewisser Weise Komik mit: Wenn beide im Unrecht sind, hat die
jeweils gegnerische Partei wiederum doch Recht. In Phaedr. 3,13 hingegen sind sowohl
Urteil als auch Schuld klar. Deutlich wird, dass Phaedrus häufig römische
Rechtsverhältnisse in den Fabeln widerspiegelte.
Vergleichen Sie den Ausgangstext mit der Fabel Phaedr. 1,17 und nennen Sie hierbei
formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede!
Phaedr. 3,13 – Phaedr. 1,17
Gemeinsamkeiten |
Exposition |
Beanspruchung fremden Eigentums: Phaedr. 3,13:
Waben, Phaedr. 1,17: Brot |
Schlichtung durch dritte Partei: Phaedr. 3,13:
vespa iudice, Phaedr. 1,17: lupus, citatus testis |
Unterschiede |
Phaedr. 3,13: Epimythion, Phaedr. 1,17:
Promythion |
Urteilsfällung/Strafe: Phaedr. 3,13:
gerecht/niemand erleidet Schaden, Phaedr. 1,17: ungerecht/jemand erleidet
Schaden |
Phaedr. 3,13: Keine Schilderung der Geschehnisse
nach dem Streit, Phaedr. 1,17: Schilderung der Geschehnisse nach dem Streit |
In Phaedr. 1,17 liegt ein Zwist
zwischen einem Hund und einem Schaf vor. In dieser Fabel tritt ein Wolf in der Rolle
des Zeugen auf. Eine Gemeinsamkeit ist, dass in beiden Fabeln (Phaedr. 1,17 und
Phaedr. 3,13) fremdes Eigentum fälschlicherweise durch jemand anderes begehrt wird.
Bereits in der Einleitung wird klar: Das Schaf ist im Recht, der Hund im Unrecht. Der
Wolf tritt als Zeuge für den Hund auf und behauptet sogar, der Streitwert sei zehnmal
so hoch. In dieser Fabel siegt die Willkür der Behauptung und des falschen Zeugnisses.
Das Schaf trifft einige Tage später auf den Wolf, der in einem Graben gefangen ist.
Dies deutet es selbst als Strafe durch die Götter (a
superis). Der ungerechte Ausgang des Streitfalls durch das falsche Zeugnis
stellt einen klaren Kontrast zu Phaedr. 3,13 dar. Zudem findet sich in Phaedr. 1,17 im
Gegensatz zu Phaedr. 3,13 kein Epimythion, sondern ein Promythion, welches an die
Lügner der Gesellschaft gerichtet ist. Die Fabeln stellen zusammengenommen daher den
unberechenbaren Ausgang von Rechtsprozessen dar: Vor einem klugen Richter kann man
sein Gut zurückerhalten, bei einem falschen Zeugen hat man keine Chance.
Erörtern Sie die Wirkung, die der Ausgangstext auf ein antikes Publikum gehabt
haben könnte! Bedenken Sie hierbei, dass es durchaus üblich war, dass keine
professionellen Richter, sondern Laien Urteile bei Gericht fällten!
In dieser Fabel findet sich, ähnlich
wie in Phaedr. 1,10 und Phaedr. 1,17, ein starker Bezug zum römischen Recht und der
römischen Vorstellung vom Umgang mit einem Streitfall. Wenn sich zwei Parteien uneinig
sind, so löst eine dritte, wenn möglich unparteiische, den Konflikt. Die Fabeln zeigen
jedoch, dass der Ausgang stark vom Gericht abhängig war. Dies erinnert an die
Rechtsvorgänge im antiken Rom. Die Fabel Phaedr. 3,13 könnte als Lob auf das römische
Rechtssystem gelesen werden, da eine unparteiische, außenstehende Person als Richter
fungiert und ein gerechtes Urteil fällt. Zudem könnte die Fabel als Anweisung für
junge Richter mit wenig Praxiserfahrung gelesen werden. Die negativen Beispiele machen
jedoch deutlich, dass dies nur ein postivies Beispiel, aber nicht die Normalität war.
Ziehen Sie die Vergleichsstellen der römischen Rechtstexte der Digesten und des
Gaius (Dig. 2,14,1; Gai. inst. 1,8) heran und bewerten Sie aufgrund dieser die
Rechtslage in Phaedr. 3,13!
Wie Gaius es darstellt (Gai. inst.
1,8), so verhält es sich auch in Phaedr. 3,13. Wesentlich ist bei
Rechtsstreitigkeiten, welche Personen involviert sind und wie deren Charakter und
Verhalten sind. Daraus können Gaius zufolge meist wichtige Erkenntnisse für die
Urteilsfällung gewonnen werden. Entsprechend klärt die Wespe als Richterin die
Eigenschaften der Beteiligten (v.14). Aus den Digesten ist zu entnehmen, dass es
verschiedenste Arten der Absprache gab, dass die Einhaltung jedoch immer eingefordert
wurde.