Phaedr. 1,16 Phaedrus Förderreihe Sparkling Science, BMBWF Ursula Gärtner Herausgeberin Martin Passiny Erstellung der Grundlage und Ersterarbeitung Lukas Spielhofer Korrektur fachwissenschaftlich Encoding Lukas Werzer Korrektur fachdidaktisch Ulrike Kaliwoda Korrektur Nora Kohlhofer Korrektur Simone Feinig Korrektur Christopher Poms Korrektur Institut für Antike, FB Klassische Philologie, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 Zentrum für Informationsmodellierung, Karl-Franzens-Universität Graz Graz Austria 2017-2019 o:graf.5511 Grazer Repositorium antiker Fabeln (GRaF) Ursula Gärtner Projektleitung Herausgeberin 1st century AD Classical Antiquity Roman Empire Mediterranean Born Digital-Aufarbeitung antiker Textquellen für den Schulunterricht, deren Endprodukt eine wissenschaftliche Schul-Ausgabe, also sozusagen ein wissenschaftlich fundiertes und produziertes, 'digitales Schulbuch' ist. Die Primärtexte sind aus den zitierten Quellen bezogen. Phaedrus Phaedri Augusti Liberti Liber Fabularum. Recensuit A. Guaglianone A. Guaglianone Torino 1969 Phaedri Augusti Liberti Liber Fabularum. Recensuit A. Guaglianone, Torino 1969 Encyclopedic dictionary of Roman law Berger, A. TAPhS 43,2 1953 333-809 Berger, A.: Encyclopedic dictionary of Roman law, TAPhS 43,2, 1953, 333–809 Gärtner, U. Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln München 2015 (Zetemata 149) Gärtner, U.: Phaedrus. Ein Interpretationskommentar zum ersten Buch der Fabeln, München 2015 (Zetemata 149) Art. Bürgschaft: Rom Meissel,F.-S. DNP Stuttgart/Weimar 1997 Bd. 2 822-823 Meissel, F.-S.: Art. Bürgschaft: Rom, in: DNP, Bd. 2, Stuttgart/Weimar 1997, 822–823 Oberg, E. Phaedrus-Kommentar. Mit 18 Abbildungen Stuttgart 2000 Oberg, E.: Phaedrus-Kommentar. Mit 18 Abbildungen, Stuttgart 2000 Art. Modius [3] Schulzki,H.-J. DNP Stuttgart/Weimar 2000 Bd. 8 316-317 Schulzki, H.-J.: Art. Modius [3], in: DNP, Bd. 8, Stuttgart/Weimar 2000, 316-317 Gai. inst. 3,115,1-3 Gai. inst. 3,117,1-4 Phaedr. 1,17 Rom. 40 Th. Lateinvierjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 5. Semester – Kompetenzmodul 5 Heiteres und Hintergründiges Lateinvierjährig 8. Klasse (12. Schulstufe), 8. Semester – Kompetenzmodul 7 Fachsprachen und Fachtexte Lateinsechsjährig 6. Klasse (10. Schulstufe), 4. Semester – Kompetenzmodul 4 Witz, Spott, Ironie Lateinsechsjährig 7. Klasse (11. Schulstufe), 6. Semester – Kompetenzmodul 6 Fachsprachen und Fachtexte Tier-Tier-Fabel Betrug Recht/Gerechtigkeit List

Das Sparkling-Science-Projekt 'Grazer Repositorium antiker Fabeln' setzt sich zum Ziel, in direkter Einbindung von Partnerschulen, ein wissenschaftlich fundiertes und fachdidaktisch aufbereitetes Textportal zu antiken Fabeln zur Verfügung zu stellen.

longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura longa brevis end of foot anceps caesura Fabel-Text
Graz, Austria German Latin Ancient Greek

Schaf

Hirsch

Wolf

Ovis, cervus et lupus.
Promythion Fraudator fraudator,-is m.: Betrüger. homines cum cum +Indikativ: immer wenn. advocat sponsum spondere 2, spopondi, sponsum: sich verbürgen, sich verpflichten; sponsum: um zu verpflichten/verbürgen (Supinum). improbos, non rem expedire, expedire 4, -ivi, -itum: erledigen, abwickeln. sed mala videre expetit. expetere 3, -petivi, -petitum: nach etwas streben.
Exposition und Actio ovem rogabat cervus modium modius,-i m.: Scheffel ist ein antikes Maß für Trockenes, vor allem aber für Getreide. In modernen Maßen entspricht ein Scheffel ca. 8,75 l mit regionalen Abweichungen oder als Flächenmaß ca. 840 m2. Mit modius wird auch ein offenes, auf Füßen stehendes und nach oben schmal werdendes Maßgefäß aus Holz oder Metall bezeichnet. Der modius als Getreidemaß entspricht ca. 6,6 kg Weizen und 5,5 kg Gerste (vgl. Schulzki 2000, 316–317). tritici triticum,-i n.: Weizen. lupo sponsore. sponsor,-is m.: Bürge. „Das röm<ische> Recht kennt drei rechtsgeschäftliche Formen der B<ürgschaft>, sponsio, fidepromissio sowie die fideiussio. Der Bürge verspricht dabei jeweils dem Gläubiger […], für die Verbindlichkeit eines Dritten (=des Hauptschuldners) einzustehen. […] Während die sponsio lediglich röm[ischen] Bürgern zugänglich ist, steht die fidepromissio auch Peregrinen <Anm.: Fremden> offen. Die fideiussio hingegen kann jede Art von Vertragsobligation sowie Naturobligationen […] sichern und ist vererblich.“ (Meissel 1997, 823). at illa praemetuens praemetuere 3, -ui, -: im Voraus fürchten. dolum:
Reactio „rapere atque abire semper assuevit assuescere 3, -suevi, -suetum: sich gewöhnen; im Perfekt: gewohnt sein. lupus, tu de conspectu conspectus,-us m.: (An-)Blick; Anmerkung: Hier ist damit möglicherweise der Anblick vor Gericht bzw. vor einem Richter gemeint, dem sich der Hirsch als vermeintlicher Täter entziehen möchte. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass die ganze Fabel einer (Gerichts-)Verhandlung ähnelt. fugere fugere: ergänze: assuevisti. veloci velox,-cis: schnell. impetu; impetus,-us m.: Ansturm, Angriff; hier: Lauf, Andrang. ubi vos requiram requirere 3, -quisivi, -quisitum: suchen. cum cum…advenerit: cum+Indikativ: wenn, sobald als. dies dies,-ei m./f.: Tag; hier: Termin, Frist; dies bezeichnet im römischen Recht einen Tag oder ein Datum, der bzw. das in einer Klausel eines Rechtsgeschäfts oder einer testamentarischen Verfügung, angegeben ist und der bzw. das den Beginn oder das Ende der Gültigkeit davon mit einem bestimmten Datum verbindet (vgl. Berger 1953, 435). Um diese Definition von dies in einem Wort wiederzugeben, kann man auch sagen, dass dies eine Frist bzw. einen bestimmten Termin bezeichnet. In dieser Verwendung ist dies weiblich, wobei in dieser Fabel nicht geklärt werden kann, welches Geschlecht dies besitzt. advenerit?“
Das Schaf, der Hirsch und der Wolf.

Immer wenn ein Betrüger schlechte Menschen zum Bürgen herbeiruft, strebt er nicht <danach>, eine Sache zu erledigen, sondern, Unheil zu sehen.

Von dem Schaf erbat sich der Hirsch einen Scheffel Weizen mit dem Wolf als Bürgen. Aber jenes fürchtete <schon> im Voraus eine List <und sagte>:

[5]„Der Wolf ist <es> gewohnt, immer zu rauben und wegzugehen, du <bist es gewohnt>, dem Anblick in schnellem Lauf zu entfliehen. Wo soll ich euch suchen, wenn die Frist gekommen ist?“

Paraphrasieren Sie den Ausgangstext!

Die Fabel sagt aus, dass Betrüger, wenn sie schlechte Menschen als Bürgen hinzuziehen, Unheil sehen wollen. Ein Hirsch bittet ein Schaf um Getreide. Der Hirsch darf einen Bürgen hinzuziehen, wofür er den Wolf vorschlägt. Das Schaf erahnt den möglichen Betrug und ist deshalb mit der Wahl des Bürgen nicht zufrieden. Folglich antwortet es dem Hirsch mit einer Frage: „Wo soll ich euch suchen, wenn der Tag der Rückgabe gekommen ist?“

Gliedern Sie den Ausgangstext nach dem (typischen) Aufbau einer Fabel! Nennen Sie auffällige Unterschiede!

Promythion: 1-2

Exposition und Actio: 3-4a

Reactio: 4b-7

Einerseits folgt die Fabel dem üblichen Aufbau, da auch sie ein Promythion, eine Exposition, eine Actio und eine Reactio besitzt. Andererseits hebt sich diese Fabel in ihrem Aufbau von anderen ab, da in ihr die Expositio mit der Actio zusammenfällt. Die Reactio wird durch das stark trennende at abgegrenzt.

Erläutern Sie, inwiefern die Metrik bestimmte Aussagen der Fabel unterstreicht wie zum Beispiel: v.7: fugere: Die drei Kürzen, die Auflösung in der Hebung und die Abtrennung durch Zäsuren betonen die Schnelligkeit. Nennen Sie drei weitere Beispiele!

v.3: cervus steht in der Mitte durch Zäsuren abgetrennt, wodurch die Rolle des Hirsches durch die Stellung und durch die Metrik hervorgehoben wird.

v.4: at illa: Durch die Mittelstellung und die Abtrennung durch eine Zäsur davor und danach wird der Gegensatz, den at ausdrückt, zusätzlich betont.

v.6: rapere: Die Auflösungen und die zwei darauffolgenden Elisionen verstärken die rasche und hastige Handlungsweise.

Finden und kennzeichnen Sie folgende Stilmittel: Hyperbaton, Parallelismus, Enjambement, Assonanz, Alliteration, Chiasmus! Erklären Sie, wie sie sich auf die Textinterpretation auswirken!

Hyperbaton: v.1, homines […] improbos: Das Hyperbaton betont zum einen improbos, das eine Verbindung zu vorhergehenden Fabeln mit ähnlichen Fragestellungen herstellt (vgl. 1,1 und 1,8), in denen der Wolf jeweils der Bösewicht war, zum anderen auch das an zweiter Stelle gesetzte Wort homines.

Parallelismus: v.2: rem expedire […] mala videre: Durch den Parallelismus wird die Spannung, die in v.1 durch fraudator erzeugt wird, bis expetit aufrechterhalten. Ferner wird dadurch auch mala, das somit in die Mitte des zweiten Verses gestellt werden kann, stark betont.

Enjambement: vv.3–4: Da lupo / sponsore als Enjambement in Vers 4 rutscht, wird lupo betont an die erste Stelle gestellt und bildet somit einen Gegensatz zu ovem am Beginn von v.3.

Assonanz: v.4: lupo sponsore: Die negative Charakterisierung des Wolfes, die in v.5 folgt, wird hier durch die Häufung langer o-Laute vorweggenommen und betont.

Alliteration: v.5: atque abire: Die Alliteration in Kombination mit der Metrik betont in v.5 die negativen Eigenschaften des Wolfes.

Chiasmus: vv.5-6: abire […] assuevit lupus, tu […] fugere: Durch diese Stilfigur wird einmal mehr der Gegensatz zwischen Wolf und Hirsch betont.

Nehmen Sie Stellung zu dem textkritischen Problem! mala videre ist in den Handschriften einheitlich überliefert; da die Formulierung ungewöhnlich ist, haben moderne Herausgeber Konjekturen vorgeschlagen: mala indere Guyetus, mala inferre Zorn, malum inferre Müller. Lässt sich die überlieferte Lesart halten oder sollte man konjizieren? Wenn ja, welche Konjektur ließe sich am besten begründen?

mala videre ist zwar eine ungewöhnliche Formulierung; doch vereinfachen die angebotenen Konjekturen den Text zu stark. Es besteht daher keine Notwendigkeit den überlieferten Text zu ändern. Die Konjekturen bieten alle gut belegte lateinische Formulierungen zu einem Ausdruck wie ‚Übel zufügen‘; ein Unterschied ist hier nicht auszumachen.

Erklären Sie, wie ein ‚Bürge‘ bei Gaius (Gai. inst. 3,115,1–3; Gai. inst. 3, 117,1–4) beschrieben wird, welche drei Arten von Bürgen er unterscheidet und was eine wichtige Eigenschaft eines Bürgen zu sein scheint! Sehen Sie sich an, welche Art des Bürgen Phaedrus verwendet, und erläutern Sie, was dies für die Interpretation der Fabel bedeutet!

Ein Bürge wird von jemandem hinzugezogen, der sich zu etwas verpflichtet (z.B. die Rückgabe von Getreide). Das bedeutet, dass ein Bürge verspricht, die Einstellung dessen, für den er bürgt, zu teilen bzw. seine Handlungen und Intentionen zu unterstützen. Es werden drei Arten von Bürgen unterschieden: sponsores, fidepromissores und fideiussores. In der Fabel des Phaedrus wird sponsor für ‚Bürge‘ verwendet, was insofern interessant ist, als nur ein römischer Bürger ein sponsor werden konnte. Zu fidepromissores können auch Zugewanderte werden und fideiussores können jede Art von Vertragsobligationen oder Naturobligationen sichern. Zudem ist diese Art der Bürgschaft vererblich (vgl. Meissel 1997, 822–823). Für die Interpretation der Fabel bedeutet die Wahl des Wortes sponsor als Bezeichnung des Bürgen, dass damit der römische Aspekt der Fabel betont wird.

Für die Person, für die gebürgt wird, ist die Zuverlässigkeit des Bürgen von großer Bedeutung. Das hier dargestellte Rechtssystem ist klar als ein Rechtssystem römischer Prägung zu erkennen, da das römische Recht eindeutig als genuin römische und von anderen Rechtssystemen klar unterscheidbare Errungenschaft definiert werden kann (vgl. Gärtner 2015, 186). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass, wenn der Wolf in dieser Fabel zum sponsor wird, er nach römischem Recht auch ein römischer Bürger sein muss, da dies die Voraussetzung für die Bezeichnung als sponsor ist. Damit wird das ‚Römische‘ in dieser Fabel nur noch stärker unterstrichen.

Beschreiben Sie die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in formaler und inhaltlicher Hinsicht, die sich zwischen der Version des Romulus (Rom 40 Th.) und der Fabel des Phaedrus finden lassen! Vergleich Romulus – Phaedrus 1,16 Gemeinsamkeiten beide Fabeln jeweils drei Tiere, in beiden Bitte um einen Scheffel Weizen Unterschiede Romulus: Prosa, Phaedrus: Dichtung Romulus: keine besondere Betonung des Römischen; Phaedrus: starke Betonung des Römischen (Wahl des Ausdrucks für Bürge etc.) Romulus: Schaf gibt Forderung des Hirsches nach; Phaedrus: Ausgang offen

Das Römische wird in der Version des Romulus nicht so stark unterstrichen, da hier das Wort fidedictor für ‚Bürge‘ verwendet wird und nicht sponsor. fidedictor wird selten verwendet (vgl. Thiele 1985 [1910], 123), überzeugender wäre hier der Ausdruck fideiussor für ‚Bürge‘, da durch diesen jede Vertrags- und Naturobligation gesichert werden kann (vgl. Sachangabe zu sponsor, is m.: Bürge). Der große Unterschied zur Version des Phaedrus ist, dass das Schaf in der Romulus-Version der Forderung des Hirsches aus Angst nachgibt (vgl. Gärtner 2015, 186, Anm. 18). Während bei Phaedrus offenbleibt, ob das Schaf mit seiner schlauen Frage durchkommt, wird dies bei Romulus bereits vorweggenommen, indem erwähnt wird, dass dieses der Bitte des Hirsches nachkommt, obwohl es nicht überzeugt ist.

Nennen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die sich zwischen den Fabeln 1,16 und 1,17 finden lassen! Legen Sie dar, inwiefern der Vergleich mit der Parallelfabel die Interpretation der Ausgangsfabel beeinflusst! Vergleich Phaedrus 1,16 – Phaedrus 1,17 Gemeinsamkeiten beides Versfabeln gleicher Aufbau jeweils drei Tiere Schaf und Wolf in beiden Fabeln Wolf in beiden Fabeln Bürge/Zeuge Unterschiede 1,16: Hirsch, 1,17: Hund 1,16: Bitte um Scheffel Weizen, 1,17: Bitte um Brot

In beiden Fabeln wird Nahrung verlangt, es kommen ein Schaf und ein Wolf vor und die Ähnlichkeit zu einer Gerichtsverhandlung ist beide Male deutlich zu erkennen. In 1,17 geht ein Hund mit einem Wolf das gleiche Bündnis ein wie der Hirsch mit dem Wolf in 1,16. Das bedeutet, die Figur des Hirsches in 1,16 wird in 1,17 durch die eines Hundes ersetzt. Es überrascht nicht, dass in beiden Fabeln der Wolf als Bürge bzw. Zeuge eingesetzt wird, da er doch als gefräßiges, gieriges und nicht vertrauenswürdiges Tier, wie man ihn aus anderen Fabeln kennt, das genaue Gegenteil eines idealen Bürgen und Zeugen darstellt. Somit entsteht durch die Wahl des Wolfes als Zeuge oder Bürge eine gewisse Ironie. 1,17 ist pointierter als 1,16, da der Wolf in 1,17 nicht nur als stiller Bürge fungiert, sondern behauptet, dass das Schaf dem Hund nicht nur ein Stück Brot, sondern zehn schulde. 1,17 geht in einem Punkt über 1,16 hinaus, da dort beschrieben wird, wie das Schaf den in einer Grube liegenden Wolf sieht, der für seine Falschaussage eine gerechte Strafe bekommen zu haben scheint.

Nehmen Sie zu folgender Charakterisierung des Schafes und Wolfes in den Fabeln 1,16 und 1,17 durch Oberg Stellung! „Das Schaf [...] wird in den übrigen Gedichten eher als selbstbewußt und aufsässig vorgestellt: I 16 empört es sich gegen die Zumutung, den Wolf als Bürgen anzuerkennen; I 17 duldet es zwar, triumphiert aber über die Bestrafung des Wolfes“. (Oberg 2000, 21–22) „I 16 gilt […] <der Wolf> als unzuverlässiger Bürge, I 17 im Komplott mit dem Hund als falscher Zeuge.“ (Oberg 2000, 22)

Charakterisierung von Schaf und Wolf durch Oberg: Die Charakterisierung des Schafes als selbstbewusstes Tier ist auf alle Fälle zutreffend, wobei fraglich ist, ob die Eigenschaft der Aufsässigkeit nicht zu weit geht. In 1,16 beschreibt das Schaf den „typischen“ Charakter des Wolfes, der in anderen Fabeln in ähnlicher Form geschildert wird, und macht von seinem Recht Gebrauch, einen nicht zuverlässigen Bürgen abzulehnen. Die Frage, ob es mit dieser Forderung Erfolg hat, bleibt offen. Es ist auch fraglich, ob man in 1,17 von einem „Triumph“ des Schafes sprechen kann, da der Wolf ganz ohne Zutun des Schafes bestraft wurde. Die Charakterisierung des Wolfes in 1,16 und 1,17 durch Oberg ist durchaus überzeugend, da in 1,16 bereits im Promythion von „schlechten Menschen“ als Bürgen gesprochen wird und auch das Schaf den Wolf als Räuber charakterisiert, was mit der Beobachtung von Oberg übereinstimmt. In 1,17 wird bereits zu Beginn des Gedichts von „bösen Lügnern“ gesprochen und in der Folge wird auch eine „falsche Zeugenaussage“ des Wolfes erwähnt. Als ein „böser Lügner“ und „falscher Zeuge“ bekommt der Wolf am Ende seine „gerechte“ Strafe, was abermals mit der Charakterisierung gemäß Oberg übereinstimmt.