Item
item (Adv.):
ebenso. Hier ist zuvor wohl eine Fabel verlorengegangen, die ein gleiches Thema
behandelte.
Caesar
Caesar,-aris m.:
Kaiser.
ad
atriensem
atriensis,-is m.: Hausdiener,
Hausverwalter.
Einleitung/Exposition 1
Est ardalionum
ardalio,-onis m.:
geschäftigtuender Nichtstuer, Müßiggänger; Gschaftlhuber.
quaedam
Romae natio,
natio,-onis f.: Volk; Menschenschlag.
trepide
trepidus 3: aufgeregt.
concursans,
concursare 1,-avi,-atum: hin und her
laufen.
occupata in otio,
gratis
gratis (Adv.): umsonst,
sinnlos.
anhelans,
anhelare
1,-avi,-atum: schwer atmen, keuchen.
multa agendo nihil agens,
sibi molesta
molestus 3: lästig,
beschwerlich.
et aliis odiosissima.
odiosus 3: verhasst.
hanc emendare,
emendare 1,-avi,-atum: bessern, läutern.
si tamen possum, volo
vera fabella:
fabella,-ae f.: kleine Geschichte,
Fabel.
pretium est operae
operae pretium est: es ist der Mühe
wert.
attendere.
attendere 3,-tendi,-tentum: aufpassen,
zuhören.
Exposition 2
Caesar Tiberius cum petens Neapolim
Neapolis,-is f.: Neapel (Stadt in Italien).
in Misenensem
Misenensis,-e (Adj.): in Misenum (Stadt in Italien).
villam
villa,-ae
f.: Landgut.
venisset suam,
quae monte summo posita Luculli
Lucullus,-i m.: Lucullus (römischer Senator
und Feldherr, bekannt für seinen Reichtum und ausschweifenden
Lebensstil).
manu
prospectat
prospectare 1,-avi,-atum (+Akk.): (vorne) auf etwas schauen.
Siculum
Siculum
mare: Das sizilische Meer.
et perspicit
perspicere 3,-spexi,-spectum: (etwas) deutlich sehen; zurückblicken auf.
Tuscum
Tuscum
mare: Das tyrrhenische Meer.
mare:
Actio 1
ex alticinctis
alticinctus 3: hoch
gegürtet.
unus atriensibus,
cui tunica
tunica,-ae f.: Tunika.
ab
umeris
umerus,-i
m.: Schulter.
linteo Pelusio
linteum Pelusium,-i n.: ägyptisches
Leinen.
erat destricta,
destringere 3,-strinxi,-strictum: abwärts schnüren.
cirris
cirrus,-i
m.: Franse.
dependentibus,
dependere 2: herabhängen.
perambulante
perambulare 1,-avi,-atum (+ Akk.): (durch etwas) spazieren.
laeta
laetus 3:
üppig.
domino viridia,
viridia,-ium n. Pl.: Grünanlagen.
alveolo
alveolus,-i m.: Schüssel.
coepit ligneo
ligneus 3: hölzern, aus Holz.
conspargere
conspargere = conspergere 3,-spersi,-spersum: bespritzen.
humum
humus,-i f.: Boden.
aestuantem,
aestuare 1,-avi,-atum: vor Hitze glühen, heiß
sein.
come
comis,-e:
zuvorkommend.
officium
officium,-i n.: Pflicht; hier: Dienst, Gefälligkeit.
iactitans:
iactitare = iactare 1,-avi,-atum: werfen; hier: rühmen.
Reactio 1
sed deridetur.
deridere 2,-risi,-risum: auslachen, verspotten.
inde notis flexibus
flexus,-us
m.: Biegung; hier: Umweg.
Actio 2
praecurrit
praecurrere 3,-curri,-cursum: vorauslaufen.
alium in xystum,
xystus,-i m.:
Terrasse.
sedans
pulverem
sedare 1,-avi,-atum: den Staub
binden.
pulverem.
Reactio 2
agnoscit
agnoscere 3,-novi,-nitum: erkennen.
hominem Caesar remque
intellegit.
id ut putavit esse nescio quid
nescio quid:
irgendetwas.
boni:
„heus!“
heus!: Hallo! (Ausruf).
inquit dominus. ille enimvero
enimvero (Adv.): natürlich.
assilit,
assilire
4,-ui: herbeispringen, -stürmen.
Actio 3
donationis
donatio,-onis f.: Geschenk.
alacer
alacer,-cris,-cre: feurig, entschlossen.
certae
certus 3:
sicher.
gaudio.
Reactio 3/Schluss
tum sic iocata est
iocari 1, iocatus sum: einen Witz machen.
tanta maiestas
maiestas,-atis f.: Hoheit,
Würde.
ducis:
dux, ducis
m.: Führer; hier: Kaiser.
„non multum egisti et opera
opera,-ae f.:
Mühe.
nequiquam
nequiquam
perire: vergeblich vertan werden.
perit:
multo maioris
maioris venire 4 (Gen. pretii): mehr kosten.
alapae
alapa,-ae
f.: Ohrfeige.
mecum
mecum: mit
mir; hier: bei mir.
veneunt“. Der Vers heißt wörtlich
übersetzt: „Viel teurer werden bei mir Ohrfeigen verkauft“. alapa bedeutet Ohrfeige; möglich ist, dass hier darauf Bezug genommen
wird, dass einem Sklaven bei der Freilassung von seinem Herrn angeblich eine
solche gegeben wurde. Der Vers wäre dann so zu verstehen, dass Tiberius merkt,
dass der Sklave sich anbiedern will, und daher sagt, bei ihm werde die
Freilassung viel teurer verkauft.
Ebenso der Kaiser zu seinem Hausdiener
In Rom gibt es einen gewissen Menschenschlag
von Gschaftlhubern, der aufgeregt hin und her läuft, beschäftigt in der Muße, sinnlos
keuchend, indem er viel tut, doch nichts tuend, sich selbst lästig und anderen aufs
Äußerste verhasst. [5] Diesen <Menschenschlag> will ich bessern, wenn ich es
denn kann, durch eine wahre Geschichte: Es ist der Mühe wert zuzuhören.
Nachdem Kaiser
Tiberius auf dem Weg nach Neapel auf sein Landgut bei Misenum gekommen war, das, durch
die Hand des Lucullus auf die Spitze des Berges gesetzt, [10] vorne auf das Sizilische
Meer schaut und zurück auf das Tyrrhenische blickt, begann einer von den hoch
gegürteten Hausdienern, dem die Tunika aus ägyptischem Leinen von den Schultern her
mit nach unten hängenden Fransen abwärts geschnürt war, während der Herr durch die
üppigen Grünanlagen spazierte, [15] aus einer hölzernen Schüssel den Boden zu
bespritzen, der vor Hitze glühte, und rühmte seine zuvorkommende Arbeit: Aber er wurde
verlacht. Von dort aus lief er auf <ihm> bekannten Umwegen auf eine andere
Terrasse voraus und band den Staub.
Der Kaiser nahm den Mann wahr und
erkannte die Situation: [20] Als <der Diener> glaubte, dies sei irgendetwas
Gutes, sagte der Herr: „He!“ Jener sprang natürlich herbei, entschlossen durch die
Freude auf ein sicheres Geschenk. Darauf scherzte so die so große Majestät des
Kaisers: „Du hast nicht viel getan und die Mühe ist umsonst vertan: Bei mir kosten
Ohrfeigen viel mehr.“
Paraphrasieren Sie den Ausgangstext!
Den Menschen in Rom, die
gleichzeitig viel und nichts tun und anderen nur lästig sind, will das Ich mit einer
Fabel helfen: Kaiser Tiberius besucht sein Landgut in Misenum. Dabei tut sich ein
Haussklave hervor. Dieser versucht sich, in der Hoffnung auf Lob, durch
hervorragende Leistungen, die jedoch im Moment nicht sinnvoll und recht überflüssig
sind, besonders anzupreisen. So ruft er anstelle des Lobs eine gegenteilige Reaktion
des Kaisers hervor, der seine Antwort mit dem Witz beschließt, dass bei ihm
Ohrfeigen teurer verkauft werden.
Gliedern Sie den Ausgangstext nach dem (typischen) Aufbau einer Fabel und nennen
Sie auffällige Gemeinsamkeiten und Unterschiede! Inwiefern unterscheidet sich die
Fabel vom ‚klassischen Modell‘ einer Phaedrusfabel?
Exposition/Einleitung 1: 1–6
Exposition 2: 7–10
Actio 1: 11–16
Reactio 1: 17a
Actio 2: 17b–18
Reactio 2: 19–21a
Actio 3: 21b–22
Reactio 3/Schluss: 23–25
Typisch an der Fabel ist der
Wechsel von Actio/Reactio, der hier verdreifacht ist. Vieles ist aber untypisch: Die
Fabel weist kein ausgeformtes Pro- oder Epimythion auf. Außerdem gibt es sozusagen
zwei Expositionen, welche zudem eine auffällige Länge aufweisen. In der ersten,
ungewöhnlich langen Exposition bzw. Einleitung, die Züge eines Promythions aufweist,
wird das „Volk der ardaliones“ vorgestellt, gegen die sich
der Autor in der folgenden Fabel richten will. Generell ist die Fabel sehr lang. Der
größte Unterschied besteht wohl darin, dass in dieser Fabel keine Tiere oder
Pflanzen sprechen, wie Phaedrus am Beginn seines Werks ankündigt (1 prol., 6). Er
behauptet sogar, dass es sich um eine wahre Geschichte handle (vera fabella, 6). Diese Behauptung kann allerdings nicht beweisen, dass der
Autor die Anekdote nicht doch selbst erfunden hat.
Erläutern Sie, welche Deutung durch die ausführliche Einleitung der Fabel
(vv.1–6) nahegelegt wird!
Die Exposition/Einleitung der
vv.1–6 erfüllt gewissermaßen die Funktion eines Promythions: Die Fabel sei wegen der
Menschen geschrieben, die zwar stets beschäftigt wirken, aber dennoch wahre
Nichtstuer sind. Außerdem seien diese Menschen jedem verhasst, sogar sich selbst.
Somit wird bereits auf ein nicht allzu glimpfliches Ende für diese Personengruppe
vorausgewiesen, was sich in der folgenden Fabel in Form des sich rühmenden Sklaven
auch bestätigt. Dieser ist als Akteur der Fabel ein atriensis, wird aber durch die Einleitung als dem „Volk der ardaliones“ zugehörig dargestellt; das passt eigentlich nicht,
denn der atriensis ist ein Sklave und kann damit nicht occupatus in otio sein.
Finden und kennzeichnen Sie folgende Stilmittel: Alliteration, Hyperbaton,
Polyptoton, Parallelismus! Legen Sie dar, inwiefern diese das Verständnis der Fabel
beeinflussen!
Alliteration: v.8, villam venisset: Durch die v-Alliteration wird der Ort der
Handlung, die villa des Kaisers, zusätzlich zu ihrer
Position in der Mitte des Verses betont. Der Kaiser ist am Landgut angekommen, nun
kann sich die Geschichte entwickeln.
Hyperbaton: v.10, Siculum […] mare: Die Sperrung
zwischen Siculum und mare, die
auch das Tuscum mare miteinschließt, stellt den Ausblick
vom Landgut in alle Richtungen dar, sie drückt also die Blickweite des Betrachters
aus.
Polyptoton: v.3, multa agendo nihil agens: Das Polyptoton agendo –
agens, verbunden mit der Antithese multa – nihil in paralleler Bauweise, dient der
Charakterisierung der Menschengruppe, an die die Fabel adressiert scheint. Dadurch,
dass dasselbe Verb völlig konträre Ergebnisse liefert, wird hier die Wirkung betont,
die diese Personen auf andere haben – sie scheinen einerseits hektisch und
geschäftig, tun andererseits aber doch nichts Bedeutsames.
Parallelismus: v.4, sibi molesta et aliis odiosissima: Ebenso wie das Polyptoton
in v.3 wird durch den Parallelismus in v.4 die Wirkung der ardaliones auf sich selbst und andere beschrieben: Die parallele Bauweise
zeigt, dass sie gleichsam sich selbst als auch anderen – und damit allen gemeinsam –
negativ erscheinen.
Die Überschrift hat BearbeiterInnen vor Probleme gestellt: Sie ist in der
vorliegenden Form kaum verständlich. Statt
item hat man
beispielsweise
Tiberius konjiziert (so Riese).
Argumentieren Sie, welche Erklärungsmöglichkeiten sich für dieses Problem finden
lassen!
Folgende Ansätze zur Erklärung der
Überschrift lassen sich finden: 1.) Die Textstelle ist verderbt und somit
unverständlich. 2.) Eine Abkürzung wurde falsch aufgelöst – so beispielsweise ITĒ (item) statt ¯TIB(Tiberius), wie Havet argumentiert. Auf diesen
Umstand ist es auch zurückzuführen, dass Tiberius
konjiziert wurde. 3.) Eine vorausgehende Fabel, die von Kaiser Tiberius handelte,
ist verloren – dann würde eine folgende Fabel, die ‚ebenfalls‘ vom Kaiser handelt,
Sinn ergeben.
Vergleichen Sie die vorliegende Fabel mit den Vergleichstexten bei Phaedrus
(Phaedr. 4,24) und Martial (Mart. 2,7)! Wie werden die
ardaliones in den drei Texten dargestellt? Auf welche Berufsgruppe könnten
sich Phaedrus und Martial hier beziehen?
Alle Gedichte haben die zentrale
Figur des ardalio bzw. entsprechendes Handeln gemeinsam.
Sie versuchen, diese Bevölkerungsgruppe in einen negativen Kontext zu setzen. Dabei
ist die Beschreibung dieser Menschen immer gleich: Obwohl es aussieht, als würden
sie viel tun und mit Wichtigem beschäftigt sein, tun sie doch stets nur unnütze
Dinge, also gar nichts. Diese Nichtstuer hatten wohl einen sehr schlechten Ruf.
Phaedrus und Martial könnten sich auf Dichterkollegen beziehen, die zwar ständig mit
der Produktion neuer Texte beschäftigt waren, jedoch nichts qualitativ Hochwertiges
hervorbringen konnten. Kritik an Dichterkollegen ist vor allem bei Phaedrus ein
gängiges Thema.
Die vorliegende Fabel ist eine der seltenen Fabeln, in der kein eindeutiges Pro-
oder Epimythion vorliegt. Formulieren Sie selbst ein Pro- oder Epimythion und
erläutern Sie, inwiefern dieses zur restlichen Fabel passt!
Individuelle Antworten.
„Manche Menschen versuchen, durch
simulierte Arbeit Schmeichelei oder Belohnungen zu erhalten. Vorgetäuschte Mühe
führt jedoch am Ende ins Unglück und bringt nicht den erwarteten Erfolg. Nur durch
ehrliche, harte Arbeit kann man zu Ruhm gelangen.“
Das Promythion deckt sich
großteils mit den Aussagen der ersten Exposition. Die Person, die Mühen vortäuscht
und sich dadurch Belohnungen erhofft, findet sich in der Fabel in der Person des
Sklaven wieder. Die Tatsache, dass diese Strategie nicht den erwünschten Erfolg
bringt, zeigt sich wiederum in der Antwort des Kaisers. Somit bezieht sich das
Promythion auf die Fabel bzw. wird durch diese an einem Beispiel dargestellt.
Häufig ist in der Literatur über Phaedrus zu lesen, dass er aus der Sicht der
unterdrückten niederen Stände spreche. Stellen Sie dar, welches Bild in Phaedr. 2,5
von dem Kaiser, dem Sklaven und der Herrschaftsform gezeichnet wird!
Auffallend ist, dass die
Regierungsform des Prinzipats hier in keiner Weise hinterfragt wird, die Positionen
zwischen dominus und atriensis
klar verteilt sind und es der Sklave ist, der sich unangemessen verhält. Als
Sprachrohr des ‚Kleinen Mannes‘ wird man Phaedrus hier also nicht bezeichnen
können.