Liebe und Jesus
     
Logik


     
Begriff
  12.956[1]   1. Wir beginnen heute die Logik. Da ist es vor Allem nötig, dass wir eine kurze Begriffsbestimmung von der Disziplin geben, die wir behandeln wollen.
  12.956[2]   2. Die Logik wird von Verschiedenen verschieden definiert.
  12.956[3]   Ich sehe ab von solchen Definitionen, die vermöge irriger Grundanschauungen ihr Ziel gänzlich verfehlen. Aber auch die, welche an keinem derartigen Übel krank sind, weichen beim ersten Anhören nicht unwesentlich von einander ab. Manche haben die Logik als die Kunst des Denkens definiert, andere sagten, sie sei die Kunst des Schließens, der Folgerung im weitesten Sinne.
  12.956[4]   Ich möchte sie lieber, zwischen beiden Bezeichnungen die Mitte

1
haltend, die Kunst des Urteilens nennen. Denn die Logik in der althergebrachten und gemeinüblichen Bedeutung des Worts soll uns das Verfahren lehren, das uns zur Erkenntnis der Wahrheit führt, d.i. zum richtigen Urteil, denn die Wahrheit liegt im Urteil. Das gute Urteil ist Erkenntnis.
  12.957[1]   3. Der Unterschied ist nicht so groß als er vielleicht scheint. Denn die Kunst des Urteilens besteht fast ganz und gar in der Kunst des Schließens a) nicht bloß, weil unsere meisten Urteile vermittelt sind, b) sondern auch, weil eine unmittelbar einleuchtende Wahrheit kaum mehr einer Kunst Raum geben möchte, indem was unmittelbar einleuchtet, ohne Schwierigkeiten einleuchtet. Nichtsdestoweniger geschieht es, dass manchmal etwas, was nicht unmittelbar erkannt wird, ja manches, was nicht einmal wahr ist, für eine unmittelbare Erkenntnis genommen wird, z. B. in den folgenden Fällen: 0. Äußere Wahrnehmung. 1. Antipoden (Mill). 2. III. Axiom in der Ethik des Spinoza. 3. Ähnliches wirkt Ähnliches. 4. Die Ursache ist vorzüglicher als die Wirkung. 5. Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können nicht aufeinander wirken (Körper – Geist). 6. Es ist unmöglich, dass ein einziges Ding teilweise Geist und teilweise Körper sei (u. dgl.). 7. Unveräußerliche Menschenrechte: volle persönliche Freiheit, Aufhebung der Ehe, Volkssouveränität (Indes sind schauderhafter Cäsarismus und Militarismus die Folge). Und andere sagten, es gebe gar keine Rechte, nur Pflichten. Und ebenso wird – was fast noch auffallender ist – manchmal einer, durch Trugschlüsse verwirrt, in Betreff einer unmittelbar einleuchtenden Wahrheit zweifelhaft, und darum sind gewisse Regeln für diesen Teil der Erkenntnis doch nicht ganz ohne Sinn.
  12.957[2]   Wenn aber dies, so wäre es unnatürlich, sie von der Kunst des Schließens zu trennen, da ja doch die Richtigkeit eines Schlusssatzes nicht bloss von der Rechtmässigkeit einer Folgerung, sondern auch von der Wahrheit der Prämissen abhängt.
  12.957[3]   Wenn man also sagen würde, die Logik sei die Kunst des Schließens, so würde das höchstens nach dem Grundsatz richtig sein: a potiori fit denominatio. Genauer

2
aber ist: Kunst des Urteilens oder Kunst der Erkenntnis.
  12.958[1]   4. Auch die Meinung derer, welche die Logik als die Kunst des Denkens fassen, steht der unsrigen nicht so fern, als es scheinen könnte. Sie begreifen unter dem Denken freilich mehr als das Urteilen und namentlich auch das Vorstellen. Aber die Logik, wie wir sie fassen, schließt auch gewisse Erörterungen über die Vorstellungen ein. Denn der Akt des Urteilens setzt den des Vorstellens voraus und ist ohne Rücksicht auf ihn nicht zu denken und in seinen Eigentümlichkeiten zu begreifen. Weiter, als hiedurch geboten, wird freilich die Kunst des Urteils sich mit den Vorstellungen nicht befassen.
  12.958[2]   Und tatsächlich gehen auch jene Logiker nicht weiter oder doch nicht viel weiter darauf ein. Sie sind weit entfernt, eine ganze Ästhetik in die Logik einzu-


3
fügen, und doch ist diese so recht eigentlich die Kunst der Vorstellung und strebt die Vollkommenheit der Vorstellungen als solcher wie die Logik die Vollkommenheit der Urteile an.
  12.959[1]   So ist denn der Unterschied nicht so wesentlich.
  12.959[2]   Aber so ist denn zugleich deutlich, dass man eben deshalb nicht wohl daran tut, die Logik die Kunst des Denkens im Sinne des Vorstellens und Urteilens zu nennen.
  12.959[3]   Wenn die eingeflochtenen Bemerkungen über die Vorstellungen hiezu berechtigten, so würde man die Logik aus ähnlichem Grund noch weiter, als die Kunst des Sprechens und Denkens, fassen müssen, denn auch von der Sprache muss sie in etwas handeln, und leicht würde man noch weiter geführt. Aber von keinem von diesen beiden, Vorstellen und Sprechen, handelt sie vollständig; und ihr Interesse, wo sie etwas davon berührt, ist einzig und allein das Urteil, die Erkenntnis. Auch definiert man jede praktische Disziplin nach dem Zwecke. Baukunst, Heilkunst etc. Aber der Zweck ist einzig und allein das Urteil, die Erkenntnis.
     

4
     
     
Ob die Logik Kunst oder Wissenschaft sei?
  12.960[1]   5. Viele definieren die Logik nicht bloß als Kunst, sondern Wissenschaft.
  12.960[2]   So sagen manche: sie sei die Wissenschaft, welche die Gesetze für das Denken darstelle.
  12.960[3]   Whately meint: sie sei die Wissenschaft sowohl als die Kunst des Schließens, Überweg sagt genauer, sie sei die Wissenschaft von den normativen Gesetzen der menschlichen Erkenntnis.
  12.960[4]   (Etwas vornehmer könnte man diese Meinung dann auch so formulieren: die Logik sei die wissenschaftliche Lösung der Frage nach den Kriterien der Wahrheit oder der Lehre von den normativen Gesetzen, auf deren Befolgung die Realisierung der Idee der Wahrheit in der theoretischen Vernunfttätigkeit des Menschen beruhe.)
  12.960[5]   Normalgesetze (oppositum der Naturgesetze des Denkens, wovon die Psychologie handelt) = Vorschriften, welche die Denktätigkeit zu befolgen hat, um richtig zu sein und zu wahren Erkenntnissen zu führen.
  12.960[6]   Es fragt sich: ist die Logik eine Wissenschaft? Ist dies richtiger oder wenigstens eben so richtig gesagt, wie wenn wir die Logik als Kunst bestimmten?
  12.960[7]   2' Kunst und Wissenschaft sind nicht dasselbe, nicht jede Wissenschaft ist Kunst, nicht jede Kunst Wissenschaft. (Cf. Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie.)
  12.960[8]   Zur Kunst gehört, dass ein praktischer Zweck den Wahrheiten Einheit gebe.
  12.960[9]   Zur Wissenschaft, dass der betrachtete Komplex von Wahrheiten eine intellegible Gattung ausmache.
  12.960[10]   Beides ist nicht immer geeinigt, doch ist es denkbar. Erläuterung an der Baukunst.]
  12.960[11]   3' Für unseren Fall ist (wie bemerkt) vor allem klar, dass die Logik Kunst sei. Dies ist die erste Forderung, die man an sie stellt.
  12.960[12]   Dies ist der Grund ihrer Bildung. Die alten Aristoteliker hatten schon ein Organon der Erkenntnis.
  12.960[13]   4'
  12.960[14]   5'
  12.960[15]   6'
  12.960[16]   Was dazu dient, muss sie geben, wenn sie ihrem Zweck genügen soll.
  12.960[17]   Wenn sie diesem Zweck genügte, indem sie die normativen Gesetze der Erkenntnis (die allgemeinen Beschaffenheiten des richtigen Erkenntnisverfahrens) aufstellte,

5
so könnte man sie vielleicht zugleich auch Wissenschaft nennen; denn diese könnten wohl als ein abgeschlossener Kreis verwandter Wahrheiten angesehen werden. Aber sie kann sich, wenn sie ihrer praktischen Aufgabe genügen will, nicht wohl in diesen Schranken halten.
  12.961[1]   7' Sie muss ausserdem, dass sie einen Kanon der Erkenntnistätigkeit aufstellt, noch gar manches aus anderen psychischen Gebieten beibringen, um vor den in unserer Natur liegenden Versuchungen zu irrigen Verfahren zu warnen. Sie muss von der Sprache und ihrer Bedeutung für die Erkenntnis, von der Macht der Gewohnheit und Ideenassoziation und dem Willenseinflusse handeln. Und bei einer ganz vollständigen Behandlung geht sie als spezielle Logik auf die Verhältnisse auf den verschiedenen einzelnen Gebieten der Forschung ein, und nimmt so gar manches auf,

6
was, wie auch immer der einheitliche Zweck es zusammenbinden mag, doch schwer als ein spezieller in sich selbst abgerundeter Kreis naturverwandter Wahrheiten, als eine geschlossene intelligible Gattung gelten kann.
  12.962[1]   8' (Blick in Aristoteles, Kategorien, II. Analytiken oder in Stuart Mill) Kausalgesetz, Mechanik, Chemie. Verschiedenerlei Ursachen.
  12.962[2]   9' Wichtigkeit. Abirrung vieler Philosophen.
  12.962[3]   So also ist die Logik nicht eigentlich eine Wissenschaft, sondern eine Kunst, oder wenn es eine Wissenschaft der Logik gibt, so ist sie mit der Logik als Kunst nicht identisch, sondern nur ein Teil von ihr (was nicht so misszuverstehen ist, als ob ich sagte: nicht gesicherte Wahrheiten.)
     
Logik im weiteren und engeren Sinn. Beschränkung auf diese.
  12.962[4]   6. Die Logik als Kunst der Erkenntnis kann aber selbst wieder in einem weiteren und in einem engeren Sinne gefasst werden.
  12.962[5]   Ähnlich wie auch die Ethik. Diese wird bald so gefasst, dass sie auch die (Ökonomik und) Politik, also auch die Regeln, eine Familie oder eine Gemeinschaft von Bürgern zur Tugend und zum Glücke zu führen, und nicht bloss die sittlichen Vorschriften für das eigene Tun und Lassen

7
des Einzelnen gibt, bald aber wird sie speziell auf diesen letzteren Teil eingeschränkt. So ist es auch bei der Logik. Die Logik im weitesten Sinn ist die Kunst, welche lehrt, nicht bloss sich selbst, sondern auch Andere zur Erkenntnis zu führen.
  12.963[1]   So fasste Thomas von Aquino in seinem Kommentar zu den II. Analytiken die Logik, wo er die Rhetorik und sogar die Poetik unter die Logik rechnet.
  12.963[2]   Und Aristoteles dehnt manchmal in dieser oder doch ähnlicher Weise ihre Grenzen. Auch Pascal in seinem geistvollen Artikel „De l’art de persuader“, dem dritten des ersten Teils seiner berühmten Pensées stellt diesen weiteren Begriff der Erkenntniskunst auf, obleich er sie nicht allseitig behandelt.
  12.963[3]   Und Arnauld in seinem trefflichen Werk: La logique ou l’art de penser (auch lateinisch erschienen: Logica sive ars cogitandi) nähert sich diesem weiteren Begriff, wenn er die Logik also definiert: „die Logik ist die Kunst, seine Vernunft gut zu handhaben bei der Erkenntnis der Dinge, sei es zur eigenen Belehrung, sei es zur Unterweisung Anderer“. zu empfehlen ohne Namen des Autors Basileae 1749 (Logik von Port Royal) ]
  12.963[4]   Doch was er dann gibt, ist nicht eine erschöpfende Behandlung dieser weiten Aufgabe.
  12.963[5]   Lectio 2. Diese Logik im weiteren Sinne zerfällt naturgemäss in zwei Teile:
  12.963[6]   1. Wenn wir so sagen wollen, die individuelle für sich selbst erwerbende Logik, die Logik zur eigenen Belehrung, d.i. die Logik im engeren, und gewöhnlichen Sinne;
  12.963[7]   2. die Logik, welche die Regeln gibt, andere zur Wahrheit zu führen, und die wir die kommunikative Logik nennen können, die dann selbst wieder in drei Teile, die Didaktik,

8
Dialektik und Rhetorik zerfällt.
  12.964[1]   (D.h. Lehre vom wissenschaftlichen Unterricht, Disputierkunst, Redekunst, die insbesondere auch den Willenseinfluss zu benützen sucht.)
  12.964[2]   (Auch l’art d’ecrire ist so weit als persuader gefasst. Soweit sie ästhetisch ist, ist sie auch nicht die Rhetorik. Man müßte denn geltend machen, daß auch die Schönheit von Bedeutung sei. Und in Wahrheit (Voltaire, Platon etc.) ist aber auch die Tugend des Redners von Bedeutung. Und doch wird man darum die Ethik nicht zur Logik rechnen. Nur ein Hinweis auf diese Disziplinen und ihre Dienste ist in der Logik möglich. Es kommt ihr nicht auf den guten Geschmack an, mehr auf die Akkomodation.)
  12.964[3]   Die erstere ist naturgemäss der frühere Teil und hat selbständig Wert und kann selbständig behandelt werden. Auf ihn allein werden wir, dem gewöhnlichen Gebrauche folgend unsere Betrachtung beschränken.
  12.964[4]   Die individuelle Logik selbst zerfällt in zwei Teile, entsprechend der doppelten Lage, in welcher wir uns gegenüber einer Erkenntnis, die wir erwerben wollen, befinden können. Siehe 9.d. und 10 unten.

     
Die Logik als philosophische Disziplin
  12.964[5]   7. Die Logik, obwohl sie eine Kunst, nicht eigentlich eine abgerundete Wissenschaft ist, ist doch eine Disziplin der Philosophie.
  12.964[6]   Ist, was sie lehrt, nicht eine abgerundete Gattung von intelligiblen Wahrheiten, so liegen doch ihre Sätze nicht so sehr einander fern, dass sie nicht alle (oder doch der Hauptsache nach) zu ein und demselben allgemeineren Gebiet der Wahrheit gehörten. Und

9
dieses ist das Gebiet der Philosophie. Denn diese handelt von den Eigentümlichkeiten des Seienden, insofern es unter Begriffe fällt, die durch die innere Erfahrung gegeben sind. (Cf. Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie.)
  12.965[1]   Auf diesem Gebiet liegen selbstverständlich auch die Untersuchungen der Logik, die ja offenbar selbstverständlich besonders der Psychologie nahestehen.
     

10
     
     
Wert
  12.966[1]   8. Sie alle wissen, dass die Philosophie einer gewissen Verachtung verfallen ist. Die Logik teilt ihr Schicksal. Dennoch ist es nicht derselbe Grund, warum sie verachtet wird: Wenn man jene verachtet, tut man das, weil sie unzuverlässig, so verachtet man diese, weil sie ohne Wert sei.
  12.966[2]   α) Aber wie ohne Wert? Ist nicht jede Kunst um so wertvoller, je wertvoller der Zweck, dem sie dient?
  12.966[3]   Und welcher von den Zwecken anderer Künste lässt sich dem der Logik, der Erkenntnis, vergleichen?
  12.966[4]   I. Ist sie nicht in sich selbst eines der höchsten Güter des Menschen, so dass es jeder von Natur nach ihr um ihrer selbst willen begehrt?
  12.966[5]   πάντος ἄνϑρωποι etc. sagt Aristoteles, und weist darauf hin, wie um ihretwillen auch das Sehen vorzüglich und sozusagen vor allem anderen begehrt werde.
  12.966[6]   II. Und hiezu kommt noch ihre praktische Bedeutung. Die Erkenntnis begründet die Macht des Menschen über die Natur, wie Baco sagt.
  12.966[7]   III. Wer nicht gut urteilt, ist auf keinem Gebiete viel zu brauchen oder höchstens wie das Tier als lebendiges Werkzeug Anderer. Bei jedem Schritt und Tritt müssen wir urteilen und schließen, und es ist keineswegs gleichgültig, ob wir es in vollkommenerer oder unvollkommenerer Weise tun, wenn auch nicht in jedem Falle ein Irrtum gleich verhängnisvoll wird.
  12.966[8]   Es scheint also in der Tat sonderbar und unbegreiflich, dass man aus solchem Grunde die Logik geringschätzt.
     

11
     
  12.967[1]   β. Aber diejenigen welche die Logik geringschätzen und spöttisch und verächtlich von ihr sprechen, werden mit dem hier Gesagten sich kaum zufrieden geben.
  12.967[2]   Das, werden sie sagen, sei ferne von uns, dass wir das Ziel der Logik, die Erkenntnis für wertlos halten, aber wir verachten das Mittel, denn in der Tat scheint es uns für die Erreichung dieses Zieles entbehrlich, ja nicht einmal förderlich zu sein.
  12.967[3]   1' Wie die Natur und die Übung und nicht die Ästhetik den Dichter macht, so auch den scharfen Denker. Diese beiden Faktoren kann die Logik nicht ersetzen. Wo aber sie sich finden, da ist sie überflüssig.
  12.967[4]   2' Man weist dann auf Beispiele großer Denker hin, die sich nie mit Logik abgegegeben haben.
  12.967[5]   3' Ja, man weist hin auf die

12
Wissenschaften, welche die größten Fortschritte gemacht haben und noch machen. Es sind, sagt man, die, deren Träger sich, wie jeder weiß, gewöhnlich am wenigesten um Philosophie und um Logik kümmern.
  12.968[1]   4' Und auch die Männer praktischer Erfolge, sie haben kaum in der Schule die Logik vorbereitet. Es fragt sich, ob ein Bismark je Logik studiert hat, jedenfalls wird er an ihre Regeln nicht zurückgedacht haben, da er seine Pläne ausspann. Ich erinnere mich nicht, dass er oder ein anderer, seine großen Erfolge dem Studium der Logik beigemessen hat.
  12.968[2]   Emporkömmlinge ohne regelrechte akademische Studien waren es oft, die im Staate nach innen und außen am meisten mit Klugheit und Umsicht walteten.
     

13
     
  12.969[1]   γ. So also sucht man seine Verachtung der Logik zu rechtfertigen.
  12.969[2]   Und es ist wohl hiemit etwas gesagt, nicht aber so viel als man glaubt.
  12.969[3]   1' Ich bin keineswegs geneigt zu behaupten, dass die natürliche Anlage etwas gleichgültiges sei oder durch das Studium der Logik ersetzt werden könne.
  12.969[4]   Und ebensowenig leugne ich, dass, was überall, auch bei dem Forschen nach der Wahrheit gelte, dass die Übung den Meister mache.
  12.969[5]   2' Aber wer deshalb die Logik für wertlos und überflüssig halten wollte, würde nichtsdestoweniger irren.
  12.969[6]   a' Gilt es doch, um von minder Befähigten zu schweigen, von jedem auch noch so großen und geübten Verstande, dass er durch sein Talent und seine Übung allein nicht gegen jeden Irrtum geschützt ist.
  12.969[7]   α' Vielmehr zeigt die Geschichte der Wissenschaft, wie alle und gerade auch die Hervoragendsten geirrt haben, und wenn jede Wissenschaft wie die Theologie ihren Index hätte, so kämen gerade die Werke der größten Forscher alle darauf zu stehen.
  12.969[8]   Und nicht etwa bloß aus Mangel an Anhaltspunkten und Daten hat einer einmal eine irrige Hypothese aufgestellt, sondern recht eigentliche Fehler im Beweisverfahren, logische Schnitzer waren es, die oft den einen oder anderen zu irrigen Anschauungen führten. Höchstens bei der Mathematik, bei der wegen ihrer Einfachheit sich weniger leicht ein Sophisma in das Beweisverfahren einschleichen kann, möchten

14
die Beispiele dafür sich schwerer finden lassen. Aber bei den anderen Wissenschaften allen finden sie sich.
  12.970[1]   β' Und auch im praktischen Leben ist es bekannt, wie viele selbst von den angesehensten und erfahrensten und höchstgestellten Männern begangen werden, so dass das Sprichwort freilich etwas wenig respektvoll sagen kann, dass durch Gottes Weisheit und der Menschen Unverstand die Welt regiert werde. Die Verständigsten handeln oft unverständig und ihre kleineren und selteneren Fehler werden nur durch die größeren und zahlreicheren der Übrigen unschädlich gemacht und verdeckt.
  12.970[2]   Wenn nun aber keiner außer Gefahr ist, gegen die Regeln des Urteilens zu verstossen; so ist wohl kaum mehr zu sagen nötig, dass der, welcher die Regeln kennt, sie unter sonst gleichen

15
Umständen leichter beobachten werde, als wer sie nicht kennt; und wer von den Gefahren weiß, denen man am leichtesten erliegt, sich besser vor ihnen hüten werde, als wer von ihnen keine Kunde hat.
  12.971[1]   b' Auch wird er den begangenen Fehler leichter und schneller erkennen und berichtigen; während er sonst vielleicht erst, nachdem er seinen Irrtum zu fernen Konsequenzen geführt oder auch niemals ihn entdecken würde.
  12.971[2]   α' Denn nicht überall ist es so, wie es allerdings auf dem Gebiete der Mathematik und meist auch auf dem der Naturwissenschaft sein mag, dass die anschaulichen Tatsachen selbst eine Kontrolle bilden und sofort den Irrtum erkennbar machen.
  12.971[3]   Bei den höchsten Wissenschaften, wo doch wegen ihrer Schwierigkeit

16
am leichtesten ein Fehltritt vorkommt, ist eine solche Kontrolle nicht gegeben. Und mit ihr zusammen hängen vielfach die höchsten praktischen Zweige, wo allerdings, aber nach großem Unheil, sich zeigt, dass Fehler in der Theorie sein müssen, und dann noch lange gesucht und nicht gefunden werden.
  12.972[1]   β' Vielleicht wird man sagen, eine genauere Aufmerksamkeit bei wiederholter Betrachtung einer Folgerung reiche hin, auch hier die Fehler zu finden. Und eine Kenntnis der allgemeinen Regeln sei darum auch hier nicht gefordert, ja, sie sei unnütz.
  12.972[2]   Denn die besondere Aufmerksamkeit, die sie, wenn man sie zu Hilfe zieht, in Anspruch nähmen, sei nicht wirksamer und nicht minder mühsam, als die nochmalige Aufmerksamkeit auf die Sache allein.
  12.972[3]   Aber dies ist falsch, und die Erfahrung widerlegt es durch merkwürdige Beispiele.
  12.972[4]   1'' Denn es ist geschehen, dass die größten Denker, sogar auf ihre Fehlschlüsse aufmerksam gemacht, sie oft nicht erkannten. Zum Beispiel: Wenn durch nichts getrennt, beisammen (Leere), Lectio 3] Platon (Ideen), Anselm, Descartes, Leibnitz (ontologisches Argument), Kant (eine Ursache, das Ding an sich und die Antinomien), Herbarts Widersprüche und viele Andere.
  12.972[5]   2'' Und bis zum heutigen Tage gibt es über viele Sätze Streit ob sie wahr, ob sie falsch seien, ob sie bewiesen, ob sie nicht bewiesen seien. Eine genaue Kenntnis der Logik müsste diesen letzten wenigstens sofort heben.
  12.972[6]   1) Ontologisches Argument: Viele geben einen Fehler in der Anselmischen Fassung zu. Aber anders denken z.B. Descartes und Andere bis heute.
  12.972[7]   2) Teleologischer Beweis des Gottes (weil es unendlich unwahrscheinlich ist, dass diese Ordnung besteht, wenn sie ohne Ordner ist“ oppositum weil das Wesen so außerordentlich und in sich selbst eine unendliche Unwahrscheinlichkeit ist“).
  12.972[8]   3) Beweise der Unsterblichkeit der Seele .
  12.972[9]   4) Glaubwürdigkeit eines Wunders: Hume argumentiert, auf die Erfahrung gestützt, dass es nicht vorkommt, dass, wenn es so viele Zeugen unter solchen Umständen gibt, es falschwäre, daran zu zweifeln, aber auf größere Erfahrung gestützt, dass etwas derartiges, wie das, was sie berichten, unter den angegebenen Umständen nicht vorkommt.
  12.972[10]   5) Beweise der Wahrheit des Christentums. Beweis der katholischen Kirche. Beweis der Pflicht daran zu glauben.
  12.972[11]   6) Beweis des Atomismus aus den Gesetzen der chemischen Äquivalente und dergleichen. Konstanz des Gewichts. Multiple Proportionen. Äquivalent.
  12.972[12]   7) Undulationstheorie. (Manche wie Whewell meinen, dass, wenn Voraussagen sich bewähren, neue Entdeckungen darauf hindeuten. Aber[?] Andre[?] meinen das nicht. In Wahrheit bei Newtons Diamant.
  12.972[13]   8) Unmöglichkeit der Bewegung. Beweis von Zeno – der Herbartianer.
  12.972[14]   9) Subjektivität von Raum und Zeit.
  12.972[15]   10) Unmittelbare Evidenz des Kausalgesetzes u.s.f.
     

17
     
  12.973[1]   3'' Dies ist geschichtlich der Anlass der Logik: Widerstreitende und offenbar zu falschem führende Argumente ] Sokrates und die Folgenden gegen die Sophisten (pro und contra) und früher die widerstreitenden Lehren und Beweise der Philosophen. Heraklit.
  12.973[2]   c' Und hierin noch liegt nicht der einzige Gewinn.
  12.973[3]   Nicht bloß Prüfen, sondern auch Erfinden.
  12.973[4]   Hier gibt es freilich noch weniger Vertrauen und sogar ein Hohngelächter.
  12.973[5]   Aber es gibt tatsächliche Förderung der Wissenschaft durch Vervollkommung der Methode der Forschung.
  12.973[6]   Waren vor Baco keine Genies unter Euch Naturforschern? Man kann sagen: Gewisse Wissenschaften sind darum so weit zurück, weil sie ihre Methode nicht oder zu mangelhaft erkannt haben.
  12.973[7]   d' Daher wird die Logik auch gerade von den größten Geistern nicht so wie von den minder hoch gewachsenen verschmäht.
  12.973[8]   1. Aristoteles (und speziell bei jeder Schrift fast im Anfang logische Reflexionen über die Methode).
  12.973[9]   2. Baco: ars artium, von [1 W. unl.] res Lob De dignitate et augmentis scientiarum: Pars ista humanae philosophiae, quae ad logicam spectat ingeniorum plurimorum gustui ac palato minus grata est et nihil aliud videbar quam spinosae subtilitates laquens et tendicula. (...) [Istud lumen siccum plurimorum mollium et madida ingenia offendit et torret.] Cacterum unamquamque rem propria si (wollen) placet dignitate (Verdienst) metiri, rationales scientiae reliquarum scientiarum claves sunt; atque quemadmodum manus instrumentum instrumentorum, anima forma formarum, ita et illae artes artium ponendae sunt. [Neque solum dirigunt sed et sed roborant; sicut sagittandi usus et habitus non tantum facit, ut melius quis collimet, sed ut arcum tendat fortioren.]
  12.973[10]   3. Leibnitz (besonders in seinem Schreiben an G. Wagner „Vom Nutzen der Vernunftkunst oder Logik“).
  12.973[11]   4. Liebig in seiner Weise. Da er nicht be-


18
greift, warum er in England keinen Eingang hatte, greift er nach Baco. Lob von Mill. 5. Thomson. 6. Helmholtz’ Vorlesungen in Berlin.
  12.974[1]   δ Also ist jener Vorwurf irrig.
  12.974[2]   1' Nur ist freilich eines richtig, dass die Logik, obwohl im allgemeinen Verfall der Philosophie nicht ganz verfallen, doch oft nicht gibt, was sie geben soll, dagegen einen Balast von Unnützem.
  12.974[3]   Wenn hierüber geklagt wird, handelt es sich um eine berechtigte Klage. (Klage des Descartes, Pascal) u. A.
  12.974[4]   Zum Teil ist dies der Fall, weil ihr praktischer Charakter verkannt wird. Ich werde den Fehler zu vermeiden streben, obwohl ich auf Nachsicht rechnen muss, denn meine Logik ist auch gewiss noch nicht vollkommen.
  12.974[5]   Gewöhnlich denkt man sich die Logik wie fertig. Man tut ihr hier zu große Ehre an, wie man dort ihre Ehre schmälerte. Viel ist mangelhaft.
  12.974[6]   Mit Unrecht sagt man auch, dass kein Irrtum in den Lehren steckt, wie sie gewöhnlich vorgetragen werden vgl. Leibnitz]. Wir

19
werden sehen. Stellen aus Leibniz.]

     
Stellung der Logik in der Ordnung der wissenschaftlichen Studien.
  12.975[1]   Ist die Logik von allen Disziplinen des Wissens zuerst zu studieren?
  12.975[2]   A Es scheint nicht. a) weil sie praktisch ist [eng verwandt, weil sie zeigt, wann von Wert). Jede praktische Disziplin nährt sich von theoretischen.
  12.975[3]   b) Weil sie philosophisch ist. Die Forschungen auf diesem Gebiete sind schwieriger, wegen der Schwierigkeit der Reflexion auf die eigenen Akte.
  12.975[4]   c) Weil sie später als andere Disziplinen, sogar als andere philosophische erfunden wurde. Aristot, der eigentliche Vater der Logik, stand erst am Schluß der aufsteigenden Entwicklung der griechischen Philosophie. Lasaulx.
  12.975[5]   B Aber dennoch ist die Logik zuerst zu studieren; mit einziger I.]Ausnahme der Mathematik. Diese ist so einfach und ihre Grundsätze und ihr Beweisverfahren so klar, dass sie ohne eine besondere Lehre über die Gesetze dieses Verfahrens erlernt werden kann.
  12.975[6]   a) Sie ist ganz deduktiv, weil nichts als Größenverhältnisse, die aus den Fundamenten zu erschließen sind, nichts von anderen Eigentümlichkeiten, nichts von Ursache und Wirkung, nichts von Zweckursache u.dgl. darin untersucht wird, und gerade die Lehre über die Induktion ist die schwierigere (und bedarf viel mehr der Mathe matik, als die Mathematik ihrer oder überhaupt der Logik bedarf.)
  12.975[7]   b) Dann sind ihre meisten Sätze nicht bloß allgemein, sondern auch konvertibel, was eine große Vereinfachung und Erleichterung zur Folge hat. 2 . 3 = 6 und 6 = 2 . 3. Ich kann schließen:



2 . 3 = 6

10 – 4

10 – 4 = 2 . 3



Nicht aber:



Alle Pferde sind Tiere

Alle Schafe sind Tiere

Alle Schafe sind Pferde.



Und so noch Manches.
  12.975[8]   Man sieht wohl, wie bei einem und jedem einzenen Gliede eines so leichten und einfachen, und höchstens durch die Zahl der Schlüsse komplizierten Beweisverfahrens, ein besonderes Studium über die Gesetze dieses Verfahrens ohne Nachteil entbehrt werden kann.
  12.975[9]   Anders würde es freilich sein,

20
wenn einer in der Mathematik erfinderisch vorgehen wollte. Dies wäre nicht mehr so leicht und einfach. Vielmehr verlangt es einen ganz vorzüglichen Denker. Dann möchte auch wohl eine allgemeine Reflexion über die Methode, die in einem solchen Falle anzuwenden ist, wie sie die Logik gibt, als nicht unnütz sich erweisen.
  12.976[1]   Aber das bloße Erlernen der Mathematik kann wie gesagt eines vorgängigen Studiums der Logik wohl entraten; und die Mathematik kann und soll sogar wenigstens in einem gewissen Maße vor der Logik in diesem Sinne betrieben werden.
  12.976[2]   Daher auch unsere Gymnasien (deren Einrichtungen ich sonst nicht in allem loben will) wohl daran tun, dass sie von den strengeren Wissenschaften in der Mathematik zuerst die Schüler unterrichten lassen.
  12.976[3]   II. Bei den anderen Wissenschaften dagegen ist ein vorgängiges Studium der Logik allerdings wünschens-


21
wert, da sie den Maßstab in die Hand gibt, um die Kraft der Beweisführung und die Evidenz der Prinzipien zu bemessen.
  12.977[1]   Jeder eine Wissenschaft Erlernende muss zugleich Richter sein über das, was lernt; denn nur dann, wenn er es geprüft und eingesehen, wenn er sich von seiner Richtigkeit überzeugt hat, hat er es wahrhaft erlernt, und kann sagen: Ich weiß es.
  12.977[2]   Er muss über das, was er von einem Anderen hört, immer auch zugleich sich selbst fragen; und erst die Antwort, die er hier erhält, darf entscheiden. Dazu ist nun aber die Kenntnis der Logik von hohem Wert und in manchen Fällen fast unentbehrlich zu nennen.
  12.977[3]   Aristoteles sagt daher mit Recht (in Betreff der schwierigeren Wissenschaften), es sei ungereimt (ἀ τοπον), zugleich die Wissenschaft und die Weise des Wissens erlernen zu wollen, d.h. an das Studium der Wissenschaft zu gehen, ohne noch zu wissen, was zum Wissen

22
gehöre, was nebst anderem die Logik uns lehrt. Dies ist so einleuchtend, dass es, wenn nicht die Einwände wären, allgemein anerkannt wäre.
  12.978[1]   C. Aber was entgegnen wir auf die Einwände?
  12.978[2]   (Voraussetzungen)] ad a) Allerdings nimmt die Logik gewisse Sätze auch anderer Wissenschaften auf, aber diese sind nicht von der Art, dass sie nicht ohne ein tieferes Eingehen in die Wissenschaft verstanden werden könnten.
  12.978[3]   Dies gilt, wie wir sehen werden, selbst bezüglich der Psychologie, von der sie doch der Natur ihrer Aufgabe nach am meisten abhängig ist.
  12.978[4]   ad b) (Schwierigkeit, weil philosophisch): Allerdings sind die philosophischen Forschungen, wegen der Schwierigkeit der Reflexion, die schwierigsten.
  12.978[5]   1.' Aber die Logik hat einen Vorteil, der diese Schwierigkeit wesentlich mindert.
  12.978[6]   Er liegt in der Sprache.
  12.978[7]   Diese dient dem Logiker, ähnlich wie dem Mathematiker seine Zeichen dienen, mit welchen er seine abstrakten Begriffe verknüpft und von denen er oft ein sehr einfaches an die Stelle einer sehr komplizierten, in sich selbst gar nicht mehr vorstellbaren Kombination setzt. Million, Klammern (Algebra).
  12.978[8]   In einer ähnlichen Weise wird dem Logiker oft die Reflexion auf die inneren Vorgänge des Denkens erleichtert oder manchmal auch ganz erspart, indem er sie durch die Betrachtung des Ausdrucks, den sie in der Sprache finden, zu ersetzen weiß.
  12.978[9]   Die Sprache ist ja in ihrer wesentlichen Bedeutung das Zeichen des Denkens.
  12.978[10]   Der Fortgang unserer Logik selbst wird uns dies deutlicher machen.
  12.978[11]   2.' Aber angenommen und zugegeben, dass die Untersuchungen der Logik schwieriger als die mancher anderen Disziplin sind, so gilt hier doch der Vergleich mit einem Handwerker, der unter vielem anderen sich auch ein Instrument fertigen kann, das ihm alle seine Arbeiten erleichtert. Nehmen wir an, seine Anfertigung sei schwieriger als manches andere Werk. Er wird sie doch weder unterlassen, noch auch verschieben, da es, einmal gemacht, alle anderen Werke erleichtert, was nicht in gleicher Weise auch umgekehrt von diesen gilt. – So die Logik.
  12.978[12]   3.' Der Vergleich ist, wie ich ihn hier gemacht habe, noch mangelhaft. Wir müssten uns denn das Instrument von der Art denken, dass es aus mehreren Teilen bestehend, Stück für Stück gefertigt würde. Und dass jedes Stück schon mit Vorteil für die Anfertigung anderer Werke und namentlich auch der folgenden Teile verwendet werden könnte.
  12.978[13]   Denn so ist es bei der Logik. Die ersten Gesetze, über die unmittelbare Einsicht, leisten schon bei den folgenden über die Schlüsse Hilfe. Denn das allgemeine Gesetz eines Syllogismus ist selbst eine unmittelbare Einsicht.
  12.978[14]   Und so geht es fort im ganzen Verlauf der Logik.
  12.978[15]   Bieten also auch die späteren Fragen der Logik manchmal an und für sich größere Schwierigkeiten als die Fragen anderer Wissenschaften, so sind sie doch vielleicht mit Rücksicht auf die Hilfsmittel, welche die vorangehenden Untersuchungen selbst schon bieten, und welche der, welcher die andere Wissenschaft unmittelbar studiert, entbehrt, minder schwierig zu nennen. Die ersten Fragen der Logik aber sind jedenfalls nicht so gar kopfbrecherischer Art.
  12.978[16]   ad c) Der Einwand ruht auf der Voraussetzung, dass die historische Ordnung der Erfindung mit der naturgemäßen Ordnung des Erlernens zusammenfalle.
  12.978[17]   Aber das ist keineswegs der Fall, wenn auch manche Philosophen dergleichen

23
Ratschläge vom Standpunkt einer sublimen Pädagogik und Erziehung des Menschengeschlechts gegeben haben; die Unmöglichkeit der Sache selbst hat gehindert, ihnen zu folgen.
  12.979[1]   Wie könnte man auch nur vernünftig denken, dass auf demselben Wege, auf welchem eine Reihe der hervorragendsten Geister erst in Jahrhunderten eine Summe von Wahrheiten gefunden hat, ein Einziger – und wäre er selbst von gleicher Begabung – in wenigen Jahren zu dem gleichen Ziele geführt werden könne?
  12.979[2]   Die allgemeinsten Gesetze z.B. sind gewöhnlich nicht die zuerst gefundenen.
  12.979[3]   Sie sind aber die, welche als die einfacheren und die die spezielleren mitbestimmenden naturgemäß zuerst gelehrt werden müssen. Und so ist es mit Anderem.
  12.979[4]   Jener Einwand also beruht auf einem Vorurteil, das bei näherer Prüfung nicht besteht.
     

24
     
  12.980[1]   D. d. Hier könnte aber einer sagen: Auch euer Urteil besteht nicht vor der Prüfung. Denn euer Grund ist in sich selbst ein Widerspruch. „Es ist unpassend gereimt“, sagt ihr, „zugleich das Wissen und die Weise des Wissens erlernen zu wollen.“
  12.980[2]   Aber was tut ihr selbst anderes, als was ihr hier unpassend nennt?
  12.980[3]   Wenn die Logik auch keine Wissenschaft ist, so ist sie doch ein Komplex von Wissen, und ihr forscht also zugleich nach einem Wissen und nach einer Weise des Wissens.
  12.980[4]   1' ad d. Der Einwand missversteht das Wort, das er angreift.
  12.980[5]   Offenbar hat Aristot Fälle von solcher Schwierigkeit im Auge, dass man nicht leicht darüber klar werden kann, ob ein Beweis gültig ist oder nicht.
  12.980[6]   In einem solchen Falle nun wäre es töricht, wenn man

25
die Schwierigkeit der Frage, um die es sich handelt, durch die der allgemeinen logischen Fragen, die bei ihrer Lösung in Betracht kommen, noch vergrößern wollte.
  12.981[1]   Die Teilung der Schwierigkeiten ist eines der wirksamsten Mittel, ihrer Herr zu werden. Und sie verlangt (in solchen schwierigeren Fällen), dass man gesondert untersucht 1) was zu einem Beweis gehört und 2) ob seinen Bedingungen genügt ist. Wenn nun auch nicht bei jedem Satz einer Wissenschaft solche Schwierigkeiten sich ergeben, so genügt doch das Vorkommen auch nur einzelner Fälle, um zu zeigen, wie das Studium der Logik naturgemäß vorangehen soll, da man sich sonst plötzlich aufgehalten sehen könnte.
  12.981[2]   2' Sagt man: Die Logik bietet selbst solche Schwierigkeiten“, so ergibt sich also doch der alte Zirkel! – Verweis auf früher, wo von der Verwendung der früheren Teile der Logik in den späteren gesprochen wurde.
  12.981[3]   Die Methode: Mehr deduktiv als induktiv. In manchen Teilen ist die Methode der Logik der der Mathematik ähnlich. Doch nicht rein, wenn sie praktisch sein will.
  12.981[4]   Sie muss ja dann manches aus der Psychologie (u.a.), was in ihr durch Induktion gefunden wurde, aufnehmen. Also naturwissenschaftlich = deduktiv.
  12.981[5]   Lectio 4.

     
Einteilung
  12.981[6]   Die Logik als die Kunst, welche uns lehrt, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen, zerfällt naturgemäß in zwei Teile, entsprechend dem doppelten Falle, in welchem wir uns einer aufzunehmenden Erkenntnis gegenüber befinden

26
können.
  12.982[1]   Entweder liegt sie uns als gegeben vor, wie z.B. wenn wir einen Lehrsatz Euclids mit beigefügtem Beweis aufschlagen – denn auch der Beweis muss uns vorliegen, damit uns der Satz als Erkenntnis vorliege – oder sie ist uns nicht in der Weise gegeben. Im ersten Falle müssen wir sie mit Sicherheit zu beurteilen; im zweiten Fall müssen wir sie aufzufinden wissen.
  12.982[2]   Unmittelbare Wahrheiten und was andere uns lehren. a) Für unsere Zeit und alle, wo es Logik gab; b) aber auch bei den ersten Denkern war klar, dass gewisse Erkenntnisse gegeben sein mussten, um auf die Entdeckung anderer einzugehen[?].
  12.982[3]   Der I. Teil der Logik handelt daher von der Prüfung gegebener Erkenntnisse.
  12.982[4]   Der II. Teil von der Entdeckung, d.h. von der Beurteilung, ob etwas Gegebenes eine Erkenntnis sei oder nicht.
  12.982[5]   Denn die Prüfung ist 1. der frühere, 2. der leichtere, 3. der allgemeinere Teil: nicht jeder macht neue Entdeckungen, und wer lernt, doch mehr von anderen; und wenn mehr entdeckend, doch öfter in der Lage zu prüfen. Die Prüfung ist auch 4. der einfachere Teil und hat 5. die unabhängigeren Regeln. Von diesen wieder wird der I. Teil im engeren Sinn Logik genannt. Mill beschäftigt sich nur mit der Prüfung.
     

27
     
  12.983[1]   II. Von der Prüfung gegebener Erkenntnisse, d.h. von der Beurteilung, ob etwas Gegebenes eine Erkenntnis sei oder nicht. III. Von der Entdeckung.

     
Ordnung
  12.983[2]   1. Auf den ersten Blick könnte vielleicht einer meinen, dass bei den letzten Teilen die umgekehrte Ordnung die vernünftigere und natürlichere sei, da die Prüfung einer bereits gegebenen Erkenntnis ihre Entdeckung voraussetze.
  12.983[3]   Allein dies ist nicht richtig, da vielmehr viele Erkenntnisse, ohne dass sie zuvor entdeckt oder wenigstens von uns entdeckt werden müssten, uns gegeben sind. Dies gilt von unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten, die ungesucht sich uns darbieten, und von dem, was Andere uns lehren.
  12.983[4]   2.) So verkehrt sich das Argument in sein Gegenteil: Der Teil, der von der Prüfung gegebener Erkenntnisse handelt, erscheint naturgemäß als der frühere, weil wir zunächst gegebene Erkenntnisse aufnehmen und

28
(prüfend uns aneignen) müssen, um dann vielleicht auf Entdeckungen auszugehen. Für uns und unsere Zeit (und alle Zeit, wo es Logik gab, denn später entstanden) ist das klar, aber auch bei den ersten Denkern war es nötig, dass ihnen gewisse Erkenntnisse gegeben sein mussten, um auf die Entdeckung anderer auszugehen.
  12.984[1]   2. Die Aufgabe, gegebene Erkenntnisse zu beurteilen, ist aber zugleich auch die allgemeinere, einfachere und leichtere Aufgabe.
  12.984[2]   (a) Das Letzte ist so sehr anerkannt, dass es keines Wortes bedarf. Wenn es nun vernünftiger ist, mit dem Leichteren zu beginnen, so etc.. 3.) Hieraus ergibt sich aber, dass die Prüfung die allgemeinere ist: α (b) nicht jeder hat neue Entdeckungen zu machen, β und wer sie macht, lernt doch mehr 1) von Anderen: „Die Lebenden werden mehr und mehr von den 2) Toten beherrscht“ – von den unmittelbaren Erkenntnissen ganz abgesehen;
  12.984[3]   γ und wenn einer mehr entdeckte, so würde er dennoch öfter in der Lage sein, gegebene Erkenntnisse zu beurteilen, weil diese in jener Aufgabe mit eingeschlossen liegt.
  12.984[4]   4.) (c) Darum ist es auch klar, wie die Aufgabe des Prüfenden nicht bloß die allgemeinere, sondern auch die einfachere ist. Was der Prüfende tut, muss der Forschende alles auch tun und noch mehr. Denn wer z.B. einen Beweis findet, muss ihn als Beweis erkennen, aber noch mehr.
  12.984[5]   5) (d) Und die Regeln für das, was er sonst tun muss, sind durchaus von den Regeln, welche der Prüfung dienen, abhängig, und können ohne sie nicht verstanden werden.
  12.984[6]   Wenn einer nicht weiß, was zu einer Erkenntnis gehört, wie soll er wissen, was er tun muss, um das zu ihr Gehörige zu erlangen?
     

29
     
     
Ordnung der Regeln von der Entdeckung
  12.985[1]   2. Aus ähnlichem Grunde werden wir auch in der Lehre von der Entdeckung selbst (die wir freilich kürzer als mir lieb ist, werden abhandeln müssen – gewöhnlich wird sie gar nicht oder so gut wie gar nicht behandelt ) zuerst von der Entdeckung des Beweises einer gegebenen Wahrheit, dann erst von dem Aufsuchen der Wahrheit, dann erst von der Aufstellung der Fragen handeln.

  12.985[2]   A Von der Beurteilung einer gegebenen Erkenntnis
  12.985[3]   Dieser Teil zerfällt wieder der Natur der Sache nach in zwei Teile.
  12.985[4]   Denn es kann uns etwas als unmittelbare oder als mittelbare Erkenntnis gegeben sein.
  12.985[5]   Und die Regeln der Beurteilung in dem einen oder anderen Falle sind verschieden. Zuvor aber wird es nötig sein, einige allgemeine einleitende Bemerkungen über unser Denken und

30
seinen sprachlichen Ausdruck durch das Wort vorauszuschicken. Somit bekommen wir drei Abschnitte, freilich von sehr ungleicher Größe.
  12.986[1]   I. Von dem Gedanken und seinem Ausdruck in dem Wort.
  12.986[2]   II. Von der unmittelbaren Erkenntnis.
  12.986[3]   III. Von der abgeleiteten Erkenntnis oder dem Beweis.

     
I. Von den Gedanken und ihrem Ausdruck in der Sprache.
  12.986[4]   1. Warum? Die Erkenntnis findet sich im Urteil und macht seine Vollkommenheit aus. Daher ist es klar, dass wer Regeln für das Erkennen aufstellen will, notwendig einige Bemerkungen über das Urteil (seine Natur und seine Arten) vorausschicken muss.
  12.986[5]   2. Aber nicht bloss über das Urteil, er wird über die psychi-


31
schen Funktionen überhaupt einige Bestimmungen sich nicht ersparen können, zu denen a) das Urteil selbst gehört, an deren allgemeinem Charakter es Teil hat, und von denen b) auch diejenigen, welche nicht Urteile sind, innig mit ihm verflochten sind.
  12.987[1]   Insbesondere Bemerkungen über die Vorstellungen gehören zur Logik: a) Basis, b) Behauptung, das Urteil bestehe in einer Verbindung oder Beziehung von Vorstellungen. (Die übrigen Phänomene sind zwar von Einfluss, aber nicht in gleicher Weise Vorbedingungen und Grundlage. Von ihnen besprechen wir zunächst nur so viel als zur Charakterisierung der beiden ersten Klassen nötig ist).
  12.987[2]   3. Aber auch über das Wort, den sprachlichen Ausdruck, pflegen die Philosophen am Anfang ihrer Abhandlungen über Logik einige Bemerkungen zu machen.
  12.987[3]   a) Der Gebrauch ist sehr alt, und führt sich bis auf den Gründer der Logik selbst zurück. Aristoteles hat eine seiner interessantesten logischen Schriften περὶ Eρμηνείας, De Interpretatione, über den Ausdruck des Urteils in der Sprache, überschrieben. b) Die Logiker des späteren Altertums, namentlich die Stoiker, folgten seinem Beispiel. c) Dann die Scholastiker, von denen die Nomina listen in Gefahr kamen, die ganze Logik als eine Untersuchung über Worte und Sprache zu fassen. d) Die Philosophen nach dem Beginn der neueren Zeit, die mit den Traditionen der Scholastik brachen, und bei denen das Ansehen des Aristoteles gewiss nicht bestimmend wurde, sehen wir nichtsdestoweniger hierin mit ihnen einig, dass sie, wo es sich um Erkenntnis handelt, auf die Untersuchung über die Worte ein grosses Gewicht legen. So hat, um nur ein Beispiel anzuführen, Locke, von den vier Büchern seines berühmten Werkes über den menschlichen Verstand das ganze dritte Buch, eines der merkwürdigsten und am meisten geschätzten, den Untersuchungen „Über die Worte“ gewidmet. e) In unserer Zeit endlich finden wir bei Denkern, in welchen, nach gänzlicher Ausartung, eine bessere Philosophie wieder aufzukeimen

32
beginnt, wiederum die gleiche Erscheinung. Mill z.B., der in seiner deduktiven und induktiven Logik mehr als die meisten zur Vervollkommnung dieser Disziplin getan hat, beginnt sie mit Erörterungen über die Namen, und wiederholt flicht er auch später Untersuchungen über den sprachlichen Ausdruck ein.
  12.988[1]   4. Auch wir werden von diesem Gebrauch nicht abweichen, und unser Verfahren bedarf, da es sich auf das Beispiel so vieler und großer Denker stützt, kaum einer weiteren Rechtfertigung, wohl aber wird eine kurze Erklärung nicht undienlich sein.
  12.988[2]   5. Die Sprache hat zunächst den Zweck der Gedankenmitteilung, und darum könnte es in der Tat scheinen, als könne sie wohl bei einer Logik im weiteren Sinne, welche auch für die Unterweisung anderer Gesetze gilt, nicht aber für die Logik im engeren Sinn

33
in Betracht.
  12.990[1]   6. Aber der sprachliche Ausdruck wird durch die Ideenassoziation eng mit unseren Gedanken verkettet, und er gewinnt dadurch auf unser Denken selbst einen großen Einfluss, der a) im Ganzen wohl ein fördernder ist, so dass manche wie z.B. auch Mill, die Sprache geradezu das Hauptwerkeug und Hilfsmittel des Denkens nennen (man kann französisch denken (oder deutsch und übersetzen) – daher die Behauptung: so viel Sprachen, so viel Denker seien[?] in den Menschen Butain[?]) im Einzelnen aber auch nachteilig werden kann.
  12.990[2]   7. Die Sprache fördert, denn a) das assoziierte Wort wird ein Unterscheidungszeichen mehr für die Gedanken und hindert ihre Verwechslung; und dies ist um ] so wichtiger als eine solche bei Begriffen, die nicht durch kräftige Merkmale verschieden sind, sehr leicht statt hat, das assoziierte Wort aber ein nicht wenig kräftiges Merkmal beifügt. Die Gedanken 9 und 10 (1 und 1 und 1 und 1 und 1' und 1 etc.) sind schwer zu unterscheiden, die Worte leicht.

34
  12.991[1]   b) Die Sprache fördert weiterhin das Denken als Hilfsmittel des Gedächtnisses.
  12.991[2]   Ein Hauptmittel der Mnemonik ist die Verknüpfung mit sinnlichen Zeichen (cf. Bain bei Mill, Logik IV, 3, 1. S. 222.). Die Sprache bietet sich ungesucht als ein solches, und gerade wegen ihrer Spontaneität und wegen der Stärke der Ideensassoziation, als ein vorzügliches derartiges Werkzeug dar. Das Hersagen des Vater Unsers in anderen Worten wäre für jeden von Ihnen unmöglich ohne Reflexion auf die Worte des Vater Unsers.
  12.991[3]   c) Endlich fördert die Sprache auch noch in der Weise das Denken, wie das Zeichen cf. Mill, Logik IV, 6, 6.S. 276 ff.] des Mathematikers sein Rechnen fördert, das er statt eines ganzen komplizierten Ausdrucks setzt. Er denkt an das Bezeichnete nur in dem Sinn eines durch dieses Zeichen Bezeichneten und spart das Denken des ganzen verwickelten Ausdrucks selbst. Ähnlich macht er es schon bei den meisten gewöhnlichen Zahlzeichen, wenn die Summe über ein gewisses Maß hinaus gewachsen ist.
  12.991[4]   Wer kann Million anders denken als: eine große mit dem Namen Million bezeichnete Menge? Die Summe: 1 und 1 und 1 u.s.f. – zur millionsten Einheit kann keiner scharf in sich selbst spezifiziert denken, so dass er sie von der Summe: 1 und 1 u.s.f. – zur Million und ersten Einheit unterschiede. Hier haben wir also ein Beispiel, wo die Sprache dem Denken in der Art zu Hilfe kommt, dass es ihm über Schwierigkeiten der größten Art, ja über Unmöglichkeiten hinaushilft.
  12.991[5]   Ein Knabe kann mit Millionen rechnen, indem er den Sinn „die mit dem Namen Million bezeichnete Zahl“ mit dem Wort verknüpft, der ausgebildetste Verstand wäre aber nicht im Stande die

35
Begriffe dieser Millionen als in sich selbst spezifizierter sich klar vorzuführen, oder gar mit Leichtigkeit mit ihnen zu rechnen. Ähnliches geschieht fort und fort, auch wo es sich nicht um mathematische Begriffe handelt, wo immer in ähnlicher Weise eine allzugrosse Komplikation eintritt.
  12.992[1]   Lektion 5. 8. Das also möchten etwa die hauptsächlichen Dienste sein, welche uns die Sprache schon beim inneren Denken leistet.
     

     
  12.993[1]   Wozu dann noch die unzähligen und unermesslichen Vorteile kommen, die durch sprachliche Mitteilung unserer Erkenntnis zufließen. In dem Erlernen der Sprache selbst wird ein Reichtum von solchen Mitteilungen uns gemacht. Unter anderen hat der jetzt in England lebende Philosoph Bain (bei Mill, Logik IV, 3,1. S. 222.) mit Recht hierauf ein großes Gewicht gelegt.
  12.993[2]   The Senses and the Intellect : „Alle Erweiterungen der menschlichen Erkenntnis, alle neuen Generalisationen werden, sogar unabsichtlich, durch den Gebrauch von Wörtern fixiert und verbreitet. a) Das aufwachsende Kind lernt mit den Wörtern seiner Muttersprache, dass Dinge, welche es für verschieden gehalten haben würde, in wichtigen Punkten dieselben sind. d) Ohne einen förmlichen Unterricht

36-1
lehrt uns die Sprache, in der wir aufgewachsen sind, die ganze allgemeine Philosophie des Zeitalters. b) Sie veranlasst uns, Dinge zu beobachten und zu erkennen, die wir übersehen haben würden; c) sie versieht uns mit schon fertigen Klassifikationen, durch welche die Dinge mit den Gegenständen, mit denen sie die größte Ähnlichkeit haben, zusammengeordnet werden (soweit es die Aufklärung vergangener Geschlechter zulässig macht). e) Die Zahl der Gemeinnamen einer Sprache und der Grad von Allgemeinheit dieser Namen bieten ein Mittel, um das Wissen des Zeitalters und die geistige Einsicht zu prüfen, welche das Geburtsrecht eines Jeden ist, der in demselben geboren ist.“
     

36-2
     
  12.992[1]   9. Aber wie gesagt, sie fördert nicht bloß, sie hindert auch unser Denken, und bringt es in Gefahren des Irrtums.
  12.992[2]   Auch dies zeigt sich in mehrfacher Weise. a) Wenn bei ungleichen Gedanken der gleiche sprachliche Ausdruck verwendet wird. Das ist Äquivokation. Es führt dies oft zu Verwechslungen.
     

36
     
  12.995[1]   Um so mehr, da die Äquivokationen die selteneren Fälle sind und wir daher gewöhnt sind, unter dem gleichen sprachlichen Ausdruck dasselbe zu verstehen. Nicht zwar in jedem Fall ist das gefährlich. Wenn Begriffe an und für sich durch kräftige Merkmale geschieden sind, ist die Verwechslung nicht wohl zu fürchten. Z.B. Hahn, Ball u. dgl. Wenn dies aber nicht der Fall ist, dann sind sie wohl zu fürchten. a. An und für sich sehr ähnliche Begriffe werden durch die Assoziation der gleichen Benennung noch ähnlicher und leichter zu verwechseln. b. Ebenso ist es bei sehr abstrakten oder reflexen Begriffen, weil diese an sich schwieriger kräftig zu erfassen sind. Das gleiche, kräftig vorgestellte Sprachzeichen verdeckt die Differenzen der Begriffe selbst. Die meisten Fehlschlüsse werden vielleicht in Folge von Äquivokationen begangen. Namentlich wimmelt die Metaphysik der berühmtesten Denker von solchen Sophismen; und eine der Hauptaufgaben einer gewissenhaften Ontrologie besteht z.B. in einer genauen Unterscheidung der Bedeutungen des Seienden, des Teils, der Ursache u. dgl.
  12.995[2]   Die Mathematik ist nur darum nicht so, weil die einfache Technik ihrer Sprache diese Äquivolationen ausschließt. a) Wohin aber käme ein Mathematiker, wenn der Ausdruck zweier verschiedener Größen z.B. für die Zahl 100 und 321 derselbe wäre? b) Wir können es aus dem ersehen,

37
was geschieht, wenn ein Mathematiker aus Versehen bei einer Figur an zwei Ecken den Buchstaben α verwendet.
  12.996[1]   Sie sehen also hier eine Weise, wie aus der Sprache für das Denken Nachteile entspringen, indem man die Gedanken nach dem sprachlichen Ausdruck beurteilt. Doch ist dies nicht die einzige.
  12.996[2]   b) Die Sprache hindert ferner oft da, wo bei gleichen Gedanken ein ungleicher sprachlicher Ausdruck angewendet wird. Das ist Synonymie. Man meint so oft, es müssten Unterschiede sein, wo keine sind; indem die Unterschiede der assoziierten Worte die Gleichheit der Gedanken zu erkennen hindern.
  12.996[3]   Auch hier ist das um so mehr der Fall wegen der allgemeineren Gewohnheit und nicht gleich sehr in allen Fällen.
  12.996[4]   Am meisten ist dies wieder bei abstrakten und reflexen Begriffen der Fall. Und besonders dann,

38
wenn von den Worten das eine mehr in der einen, das andere mehr in der anderen Redeweise gebraucht wird oder jedes in besonderer Weise äquivok ist: z.B. Ort, Raum, Platz, Stelle, örtliche Bestimmtheit u. dgl. Der Fehler, obwohl selten so gefährlich, wie der erstgenannte, stört doch manchmal nicht wenig den Fortschritt der Erkenntnis, wie in dem eben genannten Beispiel.
  12.997[1]   10. Wegen dieses Einflusses des sprachlichen Ausdrucks auf das Denken, des fördernden sowohl als des hindernden und verwirrenden, hat die Logik offenbar ein Interesse, auf ihn Rücksicht zu nehmen.
  12.997[2]   Sie muss ja das Denken zu fördern suchen und die Gefahren für dasselbe vermeiden lehren.
  12.997[3]   c) Verschiedenheit der Sprache und bei solchen die Zeichen eigentlich präzis, doch ungenaues oder falsches Verständnis (wie in den falschen Definitionen häufig); d) farblose und farbhabende Ausdrücke etc.; e) die Lücken in der Sprache (Aristoteles, Analytica Posteriora II, 14.), überhaupt unpassende Klassifikationen der gewöhnlichen Sprache, z.B. Kastanie.
  12.997[4]   11. Gedanken, eine ganz neue Sprache zu erfinden, ähnlich wie die Mathematik, großteils[?], und teilweise andere Wissenschaften in Wort und Zahl so durchaus. (Vgl.Lange: Aristoteles, Mill, Boole, Lambert, Jevons (Leibniz).)
     

39
     
  12.998[1]   11. Zu diesem ersten kommt aber, nach vielen, noch ein zweiter Grund hinzu, um dessentwillen die Betrachtung der Sprache dem Logiker unentbehrlich ist:
  12.998[2]   Weil die Sprache der Ausdruck des Denkens sei, sagen sie, so spiegele sich in ihm das Denken ab. Wohl ist das Wort unähnlich dem Gedanken, und darum können auch die Sprachen der Menschen von einander verschieden sein, während das Denken dasselbe ist, und wir übersetzen die Gedanken aus einer Sprache in die andere.
  12.998[3]   Aber sie haben auch anderes, was ihnen gemeinsam ist, was durch die Natur des Denkens gefordert wird, und in diesen allgemeineren Zügen ist ein Abbild der Gedanken zu erkennen.
  12.998[4]   Daher hat der Logiker einen wesentlichen Vorteil durch die Betrachtung der Sprache.
  12.998[5]   Die Betrachtung des Denkens in sich selbst ist schwierig, wie jede Reflexion, die Betrachtung der Sprache unterliegt dieser Schwierigkeit nicht und sie kann vielfach jene ersetzen.
  12.998[6]   12. Ob es nun hiermit seine Richtigkeit hat, das ist eine Frage. a) Dass das, was den Sprachen gemeinsam ist, ein Abbild der Gedanken sein müsse, scheint mir keineswegs selbstverständlich. Vielmehr erklärt sich eine gewisse Gemeinsamkeit genugsam daraus, dass das Gleiche durch ein gleiches Mittel bezeichnet werden soll, wenn dieses auch seiner Natur nach dem Bezeichneten so unähnlich ist, dass es in keiner Weise zu einem Abbild, sondern nur zu ganz unähnlichen Symbolen geformt werden kann. Erläuterung: Schrei – Schmerz. Ton – Note.
  12.998[7]   b) In der Tat, glaube ich, dass das letztere das wahre Verhältnis ist, und dass dadurch, dass man das Denken nach

40
dem sprachlichen Ausdruck beurteilt hat, in die Psychologie sowohl als in die Logik (ja auch in der Metaphysik) viele Irrtümer eingeführt worden sind. Z.B. a ist b (zwei Gedanken nacheinander) Psychologie. Da doch notwendig zugleich. a ist b. b ist a. Konversion (da nur ).
  12.999[1]   c) Wenn auch die Logik vielleicht weniger dadurch geschädigt worden ist als die Psychologie, so sind a. doch auch in ihr irrige Ansichten über die Richtigkeit mancher Beweisverfahren entstanden, die großen Philosophen ihre Trugschlüsse verbargen, und b. anderwärts haben sie wenigstens zu unnötigen Subtilitäten und Verwicklungen geführt, oder c. auch Lücken der Theorie veranlasst.
  12.999[2]   d) Aber wenn auch hier mit geringerem Recht die Logiker von der Sprache Hilfe erwarteten, und die Meinung von der Übereinstimmung von Gedanke und sprachlichem Ausdruck sich als ein ungegründetes Vorurteil herausstellt, so ist doch, weil das Vorurteil so natürlich ist, auch für den, der es nicht teilt, eine Berücksichtigung des sprachlichen Ausdrucks, aus einem neuen Grunde geboten. Damit das Denkverfahren recht klar werde, muss sein wahres Verhältnis zu seinem sprachlichen Ausdruck, mit dem man es so leicht übereinstimmend denkt, nachgewiesen werden.
  12.999[3]   13. a) Dies sind also die Gründe, um deren willen die Logik von der Sprache handeln muss. b) Nach ihnen bestimmt sich aber zugleich das dabei zu befolgende Maß: Nicht weiter als es dieser Zweck fordert. c) Und Ähnliches gilt auch von der psychischen Erscheinung selbst. Wir nehmen nur, was uns als nötig erscheint, die eingehendere

41
Betrachtung der Psychologie überlassend.
  13.000[1]   Lektion 6
     

42
     
  13.001[1]   19. Alle diese Gedanken teilen wir einander durch die Sprache mit. Es geschieht dies in der Rede.
  13.001[2]   20. Aber nicht alles, was gesprochen wird, ist für sich eine Rede. Vielmehr ist das Gesprochene von einer dreifachen Art: 1. Es kann für sich allein ganz bedeutungslos, nur mit einem anderen verbunden etwas bezeichnend, sein. Z.B. Partikeln, Beugungsfälle von Substantiven u.s.w. Einwand. Lösung. Bei der suppositio materialis liegt nicht ein Zeichen vor, sondern ein bezeichnetes: Das „Aber“ ist eine Konjunktion, wie der da (den Ochsen vorführend) ist fett. Oder ein Name für das Partikel, nicht das Partikel selbst (synkategorematisch Ausdrücke). 2. Das Gesprochene kann wohl bereits etwas bedeutend, aber nur etwas benennend, und nicht ein eigentlicher fertiger Ausspruch (eine Rede) sein, wie z.B. jeder Namen, den wir sprechen (kategorematische Ausdrücke, auch vielwörterige Namen). 3. Es kann etwas bedeutend und ein fertiger Ausspruch (eine Rede) sein. Z.B. Aussage, Ausruf, Bitte.
  13.001[3]   20. In Bezug auf die Namen fragt es sich, was sie bedeuten.
     

43
     
  13.002[1]   Sie bedeuten: 1. nicht sich selbst;
  13.002[2]   2. nicht den Vorstellungsakt oder die Vorstellung;
  13.002[3]   3. nicht das Vorgestellte als Vorgestelltes;
  13.002[4]   4. scheinen sie aber auch nicht die Dinge zu bezeichnen.
  13.002[5]   a) Denn viele Namen sind nicht Namen von Dingen. Sie sind Fiktionen, z.B. Jupiter.
  13.002[6]   b) Hoc animal und hic homo hätten nicht verschiedene Bedeutung.
  13.002[7]   5. Sie bezeichnen ein Vorgestelltes, aber nicht als Vorgestelltes, sondern als das, als was es vorgestellt wird. Hieraus löst sich a) und auch b), denn hier liegt ein Ding vor, aber unter Vermittlung verschiedener Vorstellungen.
     

44
     
  13.003[1]   Von den Grundklassen der psychischen Phänomene
  13.003[2]   1. Alle psychischen Phänomene haben gemeinsam eine Beziehung auf einen Inhalt. Das ist, was sie von jedem anderen unterscheidet.
  13.003[3]   2. Diese Beziehung auf den Inhalt ist eine mehrfache. Nach den Hauptverschiedenheiten lassen sich drei Hauptklassen von psychischen Phänomenen unterscheiden Vorstellen (wo immer etwas erscheint), Urteilen (wo immer etwas anerkannt oder verworfen, bejaht oder verneint wird), Lieben oder Hassen (Lust und Unlust, Begehren und Wegwünschen, Wollen oder Fliehen u.s.f.).
  13.003[4]   3. Diese Einteilung ist allerdings nicht allgemein anerkannt. Gewöhnlich werden Vorstellen und Urteilen als Denken zusammengefasst. Und andererseits werden Lieben und

45
Hassen in Fühlen und Wollen getrennt. Das Letzte kommt für unseren Zweck nicht in Betracht. Das Erstere dagegen ist wichtig, und obwohl wir die gründlichere Erörterung der Psychologie überlassen müssen, sind doch einige Worte zur Erklärung und Rechtfertigung angebracht.
  13.004[1]   4. Die Behauptung ist also die, dass in dem Urteil eine neue, grundverschiedene Weise der Beziehung auf den Inhalt gegeben ist, so dass Urteilen und Vorstellen nicht weniger verschieden sind als Begehren und Vorstellen.
  13.004[2]   5. Damit wird offenbar nicht gesagt, dass ein Urteilen ohne Vorstellen möglich sei. Dies ist ja auch nicht beim Begehren der Fall. Wer urteilt, stellt das, was er

46
beurteilt, vor. Nur eine zweite neue Beziehung zum Inhalt kommt zu der im Vorstellen selbst Gegebenen hinzu: Anerkennen oder Verwerfen. Ähnlich wie dort: Begehren oder Verabscheuen, Lieben oder Hassen.
  13.005[1]   6. Die innere Erfahrung lehrt dies deutlich. Und um so klarer wird die Sache, je länger und vielseitiger man sie betrachtet. So bestehen zwischen Vorstellungen keine Gegensätze, außer die der Objekte: Licht, Dunkel etc. Zwischen Urteilen dagegen besteht auch ein Gegensatz in den Beziehungen zum Objekt. (Ähnlich wie bei Lieben und Hassen.) Und wie eine neue Art von Gegensätzen entsteht, so entsteht eine neue Art von Intensität: Dort gibt es Lebhaftigkeit der Erscheinung, hier Unterschiede der Gewiss-


47
heit (gerade wie bei Liebe – Hass, Heftigkeit oder Mäßigung in den Gefühlen). Ebenso gibt es eine neue Gattung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit: Erkenntnis – Irrtum (ähnlich wie dort Tugend – Schlechtigkeit).
  13.006[1]   7. Noch mehr erhellt sich die Richtigkeit aus der Unmöglichkeit jeder anderen Erklärung. Besteht irgend ein innerer Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen? Welcher? a) Intensität? b) Man sagt gewöhnlich: Ein Urteil ist eine Beziehung, Verbindung oder Trennung von Vorstellungen. Aber näher besehen zeigt sich, dass damit kein Urteil gegeben ist: ein grüner Baum. Ist Mohammed Prophet Gottes? Es gehört etwas dazu: Anerkennung oder Verwerfung. Umgekehrt ist eine solche oft gerichtet auf etwas, was keine Verbindung und Beziehung von vorgestellten Merkmalen ist. Es gibt ein A, A ist. Hier wird nicht die Verbindung von A mit etwas Anderem, sondern A selbst an und für sich anerkannt (keine Zusammensetzung, sondern eine Setzung). Es gibt kein A, A ist nicht. A selbst wird verworfen und nicht eine Verbindung von ihm mit etwas Anderem (nicht Trennung, Loslösung von etwas Anderem, sondern Aufhebung schlechthin). Bezöge sich die Leugnung auf eine Verbindung von A mit etwas Anderem, so wäre dadurch A selbst gar nicht geleugnet, so wenig als in dem Satz „Kein Baum ist grün“ ein Baum geleugnet wird.
  13.006[2]   Erinnerung ist keine Prädikation des Begriffs Vergangenheit, Wahrnehmung keine Prädikation des Begriffs Existenz. Für den, der nicht an angeborene Begriffe glaubt, wird das für die ersten Fälle ohnehin deutlich. So wäre es noch weitläufiger zu begründen. Doch auch dies ist hoffentlich genügend. Verweis auf meine Psychologie.
  13.006[3]   Notabene. Kritiker: Windelband (Straßburger Studien ) hat Unrecht, dass Urteil von Gefühl (Liebe) geschieden werden muss. Czarnke, Literaturblatt: Weniger dabei verweilt. Aber schon durch Kant und Andere klar gelegt, und leicht [1 W. unl.], z.B. liegt hinsichtlich der Intensität Unvergleichlichkeit vor.
     

48
     
  13.007[1]   Es ist z.B. lächerlich, so zu vergleichen: Dies ist mir halb so gewiss als mir jenes lieb ist.
  13.007[2]   Der Rezensent meinte: Nein. Man solle nur einen speziellen Fall sich vorführen. Dann ergebe sich keine Lächerlichkeit. Scherzend: Die Brentano'sche Theorie vom Urteil ist mir lieb, aber es ist mir doppelt so wahrscheinlich, dass sie falsch ist.
  13.007[3]   Aber das ist ein offenbares Sophisma: Man versteht nämlich doppelt so wahrscheinlich, dass sie falsch als dass sie wahr ist = sie hat für mich ⅓ Wahrscheinlichkeit.
  13.007[4]   Damit ein Beispiel: Meine Überzeugung von ihr ist halb so groß als meine Liebe zu ihr. Und das ist in Wahrheit eine Lächerlichkeit. Nicht anders als wenn einer sagte: Eine Elle ist halb so lang als die Zeit einer Viertelstunde. Der Scharfsinn eines Leibniz war dreimal so groß als der Stephansturm. Die Sommerhitze in Wien ist manchmal so groß wie ein Eichbaum und drückender (diese mathematische Aufgabe halb so schwer) als ein halber Zentner.
  13.007[5]   Auch das könnte aufmerksam machen.
  13.007[6]   Bei der Überzeugung (Urteil) gibt es ein höchstes Maß der Intensität: die volle Gewissheit, bei der Liebe eine Steigerung ins Unendliche.
  13.007[7]   Doch wir verweilen schon zu lang bei etwas, was einerseits einleuchtend ist, andererseits für die Logik von minderem Belang ist. Für sie sind Vorstellung und Urteil, und der Nachweis ihres Verhältnisses das Wichtigste.
     

49
     
  13.008[1]   Vom sprachlichen Ausdruck (Äußern) der psychischen Phänomene.
  13.008[2]   1. Die Sprache hat im Allgemeinen den Zweck, unseren psychischen Phänomenen Ausdruck zu geben oder sie zu äußern, kund zu tun (dem Inhalt unserer psychischen Phänomene Ausdruck zu geben; dem, was vorgestellt, geurteilt, gewünscht, geliebt wird als solchem).
  13.008[3]   (Anderer Gebrauch entfremdet sie ihrem Zweck).
  13.008[4]   2. Vorzüglich Urteilen und Phänomenen der Liebe und des Hasses wird Ausdruck gegeben.
  13.008[5]   3. Doch gibt es sprachliche Ausdrücke, die für sich allein nur Vorstellungen Ausdruck geben.
  13.008[6]   4. Und es gibt andere, die für sich allein der abgeschlossene Ausdruck gar keines psychischen Phänomens sind.
  13.008[7]   5. So nicht bloss Silben, sondern auch Wörter, ja ganze Wortkomplexe.
  13.008[8]   Artikel] Z.B. die Partikeln wie: von, zu, wahrlich, nicht, nur. Auch das Wörtchen: kein (= nicht ein), irgend ein“. Artikel. Casus: mich, ihm, des Vogels, von

50
dem Hause, u.s.w.
  13.009[1]   Nur mit anderen Wörtern verbunden tragen sie zum Ausdruck eines psychischen Phänomens bei. z.B. Kein Stein ist lebendig“, Er hat mich geschlagen u.s.w.
  13.009[2]   6. Diejenigen sprachlichen Ausdrücke, welche der abgeschlossene Ausdruck einer Vorstellung sind, nennen wir in der Logik Namen: z.B. Haus“, aber auch ein unverständiger Mensch oder ein Mensch, welcher seinen Bruder hasst. Man hat sie auch kategorematische Ausdrücke genannt. Anlass dafür war offenbar ihre Verwendbarkeit als Prädikate im kategorischen Satz.
  13.009[3]   Unter den Wörtern, welche für sich nicht der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens sind, nannte man einige, welche bei der Prädikation mit verwandt wurden und das Urteil als allgemein oder partikulär kennzeichneten: synkategorematische Ausdrücke wie z.B. kein, irgend ein.

51
Später erweiterte sich die Bezeichnung und umfasste alle, die nicht der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens sind. (Dem entspricht schon die Definition bei Goudin. Insbesondere hat sie auch J. St Mill in dem Sinn erneuert. So auch wir.)
  13.010[1]   7. Den abgeschlossenen Ausdruck einen Urteils oder eines Phänomens der Liebe oder des Hasses nennen wir eine Rede. Aussage. Bitte, Befehl, Frage etc. (cf Th v A., De interpretatione).
  13.010[2]   8. Uns sind besonders die Aussagen wichtig. Aber auch die Namen. Von ihnen wollen wir zunächst sprechen.
  13.010[3]   9. Was bedeuten die Namen?
  13.010[4]   10. Von jedem sprachlichen Ausdruck, welcher abgeschlossener Ausdruck eines psychischen Phänomens ist, sagt man, dass er für sich allein etwas bedeute,

52
so von der Aussage, von der Frage, aber auch von den Namen. Dagegen sagt man von den synkategorematischen Ausdrücken, sie bedeuteten für sich allein nichts, sondern nur mit anderen Wörtern verbunden. Mich, ihm, des Hauses bedeuten bedeuten für sich allein nichts. Dagegen wohl: Er schlägt mich, Herr des Hauses u.s.f.
  13.011[1]   11. Einwand: Aber ist ein Partikel. Hier ist aber in einer anderen Weise gebraucht und ist nun wirklich ein Namen. Das Wort aber ist ein Partikel. Dass dieser Gebrauch ein ganz anderer ist, sieht man daran, dass es nicht mit Beifügung der Eigentümlichkeiten,

53
die ihm als solchem zukommen, in den Sätzen, in welchen es sonst verwandt wird, stehen kann, z.B. Sie ist nicht reich, (die Konjunktion:) aber tugendhaft. Auch Namen können in dieser außergewöhnlichen Weise, die man suppositio materialis genannt hat, verwandt werden. Mensch ist ein Substantiv, gut ist ein Adjektiv. „Ein Mensch ist gut“ nicht = „Das Substantiv Mensch ist das Adjektiv gut“. Aber hier hat es auch noch, in gewöhnlicher Weise gebraucht, eine Bedeutung.
  13.012[1]   12. Was bedeuten nun die Namen? Nach dem eben Gesagten etwas Anderes als sich selbst (wenn nicht etwa bei der suppositio materialis, und diese ja ebenso bei synkategorematischen Ausdrücken, welche keine Bedeutung für sich alleine haben).
  13.012[2]   a. Wir sagten, es unterscheide sie von

54
den synkategorematischen Ausdrücken, dass sie etwas für sich allein bedeuten. Wir sagten, es unterscheide sie, dass sie für sich allein der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens seien? Es scheint, dieses bedeutet es. In der Tat meinen viele Philosophen, die Namen bedeuteten unsere Vorstellungen. Aber dagegen erwidert J. St Mill: Dann ergebe sich Die Vorstellung von der Sonne geht auf.
  13.013[1]   b. Was ist nun sonst die Bedeutung der Namen? Es scheint etwas Äußeres zu sein. Ein Gegenstand, welcher der Vorstellung entspricht.
  13.013[2]   Aber: a' Was würde Jupiter bedeuten? Da es kein Ding Jupiter gibt? Hier also kann der Namen doch nur meine Vorstellung von Jupiter bedeuten, sonst bedeutete er nichts.
  13.013[3]   b' Der Sohn der Phänarete und der Weiseste unter den Athenern würden dasselbe bedeuten; denn real sind sie eins; ich sage: Der Sohn der Phänarete ist der Weiseste unter den Athenern“.
  13.013[4]   Der Sinn, die Bedeutung scheint aber doch eine verschiedene. c' Und wenn einer trotzdem dies zugäbe, so sage ich ferner: Ein Hund und ein Tier hätten keine verschiedene Bedeutung, denn sie können von demselben ausgesagt werden. Ebenso aber ein Ochse und ein Tier; also auch ein Ochse und ein Hund“.
  13.013[5]   d' Ja noch mehr, ein Ochse wäre ein Hund.
  13.013[6]   e' Man könnte entkommen, wenn man sagte, Tier habe nicht eine, sondern viele Bedeutungen.
  13.013[7]   Aber nein! Nicht wie Mars, Hahn etc. Also liegen nicht verschiedene Bedeutungen vor. Wenn nun die Bedeutung das Ding ist, so sind der Ochse und der Hund ein Ding.
  13.013[8]   f' Oder sollte etwa, wie Platon meinte, die Prädikation nur sagen, dass beide einem allgemeinen Ding, Tier, einem Tier an sich, einer Tierheit gemeinsam ähnlich seien? – Dann müssten wir ein Allgemeines außer den Einzeldingen, eine Welt von Allgemeinheiten, eine Welt der Ideen annehmen.
  13.013[9]   Längst ist gezeigt, dass dies unstatthaft ist und in tausend Absurditäten verwickelt. Und beim ersten Blick schon so unannehm-


55
bar ist, dass viele gar nicht zugeben wollten, dass Platon sich so verirrt habe.
  13.014[1]   c. Vielleicht bedeutet der Name den Inhalt der Vorstellung (als solcher), das Vorgestellte als solches, den immanenten Gegenstand. Aber es scheint nicht. Ich kann nicht sagen: Der Inhalt meiner Vorstellung geht auf.
  13.014[2]   d. Was bleibt noch übrig? Das den Namen Tragende als solches? Hobbes: „In einem jeden Urteil ist

56
der Glauben des Sprechenden ausdrückt, dass das Prädikat ein Namen desselben Dinges ist, wovon das Subjekt ein Namen ist“ (bei Mill, Logik I [S. 108].
  13.015[1]   Aber obwohl manchmal, wie wenn der Vater bei der Taufe des Kindes sagt, ich muss einen „Stoffel“ haben, doch nicht immer. (Der Seehund und der Hund im Kübel: irgend ein Hund bewegt sich. Man spricht: „Hahn. An irgend ein Hahn-Genanntes denkt er. Argument wie eben. Auch bei mathematischen Zeichen.)
  13.015[2]   Nicht einmal immer bei den Eigennamen; wogegen Mill: sonst nicht mehr individuelle Namen sondern allgemeine; Eigennamen von Verschiedenem sind äquivok. Wenn aber einer gar es allgemein annimmt, wie Hobbes, so ist das schier eine unglaubliche Verirrung. Es würde dann alle Wahrheit die unsere Aussagen enthalten, z.B. dass die Dreiecke zwei Rechte, 2 + 1 = 3, wenn nicht in unserer, so doch in der Willkür derjenigen ihren Grund haben, die die sprachlichen Ausdrücke ursprünglich gebildet haben.
  13.015[3]   Hobbes zieht in der Tat die Konsequenz: „ Hieraus kann noch geschlossen werden, dass die ersten Wahrheiten willkürlich von denjenigen eingeführt wurden, welche den Dingen Namen gaben oder diese

57
von Anderen empfingen. Denn es ist (beispielsweise) wahr, dass der Mensch ein lebendes Geschöpf ist, aber [nur] aus dem Grunde, weil es den Menschen gefiel, demselben Dinge diese beiden Namen zu geben. “ (cf. Mill, Logik I, S. 115. Anmerkung).
  13.016[1]   13. Nochmals also: was bezeichnen die Namen?
     
  13.018[1]   Der Namen bezeichnet in gewisser Weise den Inhalt einer Vorstellung als solcher, den immanenten Gegenstand.
  13.018[2]   In gewisser Weise das, was durch den Inhalt einer Vorstellung vorgestellt wird.
  13.018[3]   Der erste ist die Bedeutung des Namens.
  13.018[4]   Das zweite ist das, was der Name nennt. Von ihm sagen wir, es komme der Name ihm zu. Es ist das, was, wenn es existiert, äußerer Gegenstand der Vorstellung ist.
  13.018[5]   Man nennt unter Vermittlung der Bedeutung.
  13.018[6]   Die alten Logiker sprachen von einer dreifachen Supposition der Namen: suppositio materialis: vide oben; suppositio simplex: Bedeutung, z.B. bei der Aussage Mensch ist eine Spezies, d.i. die

60
Bedeutung des Wortes Mensch ist eine Spezies, d.i. der Inhalt der Vorstellung eines Menschen ist eine Spezies; suppositio realis: das Genannte, z.B. bei der Aussage Ein Mensch, ist lebendig, ist gelehrt etc.
  13.019[1]   Lösung der Einwände
  13.019[2]   Dagegen, dass der Inhalt der Vorstellung die Bedeutung sei, wurde eingewandt (cf. Nr. 5: Wenn ich sage, die Sonne geht auf, so meine ich nicht, der Inhalt meiner Vorstellung geht auf, ich spreche von einem äußeren Vorgang. Antwort: Dazu genügt, dass das äußere Objekt das Genannte ist, die Bedeutung muss es deshalb nicht sein, diese ist vielmehr der Inhalt der Vorstellung Sonne, unter deren Vermittlung das Objekt genannt wird.
  13.019[3]   Dagegen, dass die Gegenstände bezeichnet werden, wurde gesagt: 1. Es fehle oft ein Gegenstand. Also würden die Namen nichts bedeuten. Antwort: 1'. Sie bezeichnen wohl die Gegenstände, aber bedeuten sie nicht, sondern nennen sie. Das Wort ist also nicht ohne Bedeutung.
  13.019[4]   2'. Es darf nicht verwechselt werden: nichts bedeutenbezeichnen und etwas bedeuten, was nicht ist (wie ja auch wünschen, hoffen).
  13.019[5]   2. Sohn der Phänarete und der Weiseste der Athener würden dasselbe bedeuten.
  13.019[6]   Antwort: Sie würden dasselbe nennen, nicht bedeuten. Sie nennen unter Vermittlung verschiedener Bedeutung.
  13.019[7]   3. So folgt natürlich auch des Weiteren nicht, dass ein Ochse und ein Hund dasselbe bedeuten.
  13.019[8]   Ja, sie bedeuten nicht bloß, sondern nennen auch Verschiedenes. Tier bedeutet nämlich zwar eins, nennt aber Vieles.
     

61
     
  13.020[1]   Von den Aussagen.
  13.020[2]   Was bezeichnen sie?
  13.020[3]   1. Da wir bei den Namen die Frage aufwarfen, unterschieden wir, was sie bedeuten und was sie nennen.
  13.020[4]   Auch hier machen wir eine Unterscheidung, aber nicht dieselbe. Sie bedeuten, aber sie nennen nicht.
  13.020[5]   2. Wie die Namen, haben sie eine doppelte Beziehung, a, auf den Inhalt eines psychischen Phänomens als solchen, und b, auf etwaige äußere Gegenstände. Der erste ist die Bedeutung.
  13.020[6]   3. Das betreffende Phänomen ist aber in diesem Fall keine Vorstellung, sondern ein Urteil. Das Geurteilte als solches ist die Bedeutung.
  13.020[7]   Ähnlich bei der Bitte; das Gewünschte als Gewünschtes ist die Bedeutung.
  13.020[8]   4. In Folge davon, dass das, was die

62
Beziehung zum etwaigen Gegenstand vermittelt, eine andere Art von Phänomen ist, ist die Bezeichnung derselben eine andere: kein Nennen, sondern ein Anzeigen. Das Angezeigte ist das, was anerkannt oder verworfen wird.
  13.021[1]   Wir können es Andeuten oder Abdeuten nennen (für dies letzte sagen wir: das Nichtsein andeuten).
  13.021[2]   Notabene. Obwohl das von der Aussage bezeichnete Objekt dasselbe ist wie das genannte, so bedeuten Aussage und Namen darum doch nicht dasselbe.



  13.021[3]   1. Wir haben bereits bemerkt, dass es der Sprache mehr auf den Ausdruck von Urteilen als von Vorstellungen ankommt.
  13.021[4]   2. Obwohl nun dieser Zweck der vorzüglichste ist, so geht die Sprache doch nicht direkt darauf los, und gebraucht dafür nicht die einfachsten Zeichen, sondern für die Vorstellung.
  13.021[5]   3. Es begreift sich dies übrigens leicht.
     

63
     
  13.022[1]   Große Ersparnis .
  13.022[2]   1. Ja – Nein.
  13.022[3]   2. Bitte etc.
  13.022[4]   3. Auch die Vorstellung hat einen Ausdruck für sich, und dies ist immerhin ein Vorteil.
  13.022[5]   4. Doppeltes Zeichen als Ergänzung des Vorstellungsausdrucks zu erwarten.
  13.022[6]   5. Indes finden wir mannigfache verwickeltere Ausdrücke.
  13.022[7]   6. Wenn nun dies der Fall ist, so muss jeder auf eine einfachere Formel reduzierbar sein, und zwar eine mit zwei Teilen.
  13.022[8]   7. Materie – Form des Urteils und der Aussage. Jene = Inhalt der Vorstellung. Diese = Unterschied der Qualität.

  13.022[9]   Wichtige Folgen der Verirrungen Einlage
     

64
     
  13.023[1]   Wichtige Folgen der falschen Ansichten über die Bedeutung von Namen und Aussagen: wesentliche Hemmung der Logik und der Wissenschaft bei Platon, bei den Neueren (worüber Mill spricht). Statt die Gegenstände zu studierendiren, studierte man die Vorstellungen.
  13.023[2]   Bei der Logik wurde in Folge der falschen Ansichten über die Bedeutung von Namen und Aussagen auf die Verhältnisse der Gegenstände nicht geachtet, was namentlich die Lehre von der Entdeckung so gut wie ganz vernichtete. Aristoteles, Comte und Mill mit ihren Berücksichtigungen dieser Verhältnisse.
     

65
     
  13.024[1]   VII Einteilung der Begriffe und Namen.
  13.024[2]   1. Wir unterschieden bei den Namen die Bedeutung und das, was sie nennen.
  13.024[3]   Die Bedeutung = der Inhalt der Vorstellung, welche die Sprache mit den Namen verknüpft.
  13.024[4]   Man nennt den Inhalt einer einer Vorstellung auch Begriff in Rücksicht auf das, was ihm etwa entspricht. Also der Inhalt der Vorstellung von einem Hund ist der Begriff des Hundes.
  13.024[5]   2. Es ist nötig, die für die Logik wichtigsten Unter schiede der Begriffe namhaft zu machen.
  13.024[6]   — 1. Man teilt die Begriffe ein in universelle und individuelle, allgemeine und Einzelbegriffe. Ein allgemeiner Begriff ist ein solcher, dem verschiedene Gegenstände entsprechen können,

66
individuell ein solcher, welchem nur ein Gegenstand entsprechen kann. z.B. Sokrates, der weiseste unter allen Griechen, welche gelebt haben.
  13.025[1]   Man nannte auch die Namen allgemeine und individuelle, und oft auch die Gegenstände eines allgemeinen Begriffs Universalia und Individua, Das ist Mißverständlich. Der große Streit über die Existenz der Universalien hing damit zusammen. Die einen meinten, kein Universale existiere außerhalb des Geistes, die anderen meinten, es existiere ebenso gewiß wie ein Individuum.
  13.025[2]   Das Erste ist richtig, wenn man Universale in dem Sinn nimmt, in welchem man Begriffe universell nennt, nicht wenn man darunter den Gegenstand eines allgemeinen Begriffs versteht. Das Zweite ist richtig, wenn man das Letzte, und wenn man will, in jedem Sinne. Denn universell und individuell im eigentlichen Sinn gelten nur von Inhalten psychischer Phänomene, z.B. allgemeines Urteil, allgemeine Menschenliebe.

67
Um dieses Mißverständnis zu vermeiden, sollten wir besser den Ausdruck vermeiden: besser universell Vorgestelltes, oder unbestimmt Vorgestelltes.
  13.026[1]   Noch vor einer anderen Verwechslung ist zu warnen, und zwar in Bezug auf den Unterschied, welcher zwischen einem universellen und einem Kollektivbegriff besteht. Jene sind oft nicht Kollektivbegriffe: z.B. Atom. Diesesind oft individuell: das österreichische Volk. (Allgemeine absurde Begriffesind ex hypothesi impossibile.)
  13.026[2]   2. Einfache – zusammengesetzte und (eigentlich mehr und minder zusammengesetzter) Begriffe. Ein zusammengesetzter ist ein solcher, bei welchem ein Teil des Begriffs für sich allein einen Begriff bildet. So z.B. bei Schimmel, Pferd; bei Röte, Farbe. Notabene: Auch bei Urteilsvermögen Fähigkeit; nicht aber Urteil. (In obliquo, in recto: es kommt nicht allen Gegenständen zu.)
     

68
     
  13.027[1]   a. Bei zusammengesetzten entweder gegenseitige oder einseitige Trennbarkeit der Teile: z.B. ein Schimmel; dagegen Röte, Farbe, Ausdehnung.
  13.027[2]   b. Zusammengesetzt aus 1. physischen, 2. metaphysischen, 3. logischen Theilen (im Aristotelischen Sinn) ad 1. z.B. eine Herde, ein Haus, Geist und Leib, ein Körper (quantitativ); ad 2. wie zwei Eigenschaften z.B. ein Held aus Menschheit und Tapferkeit ad 3. ein logischer Teil ist z.B. der Begriff Urteilendes gegenüber dem Begriff Leugnendes, Farbiges gegenüber Rotes, Figur gegenüber Kreis. Wir sehen, ein Begriff ist der logische Teil eines anderen, wenn beide einem Gegenstand demselben physischen und metaphysischen Teil nach zukommen und der eine in dem anderen eingeschlossen ist.

69
Logisch zusammengesetzt ist also der Gegenstand einer Vorstellung, die eine solche Teilvorstellung in sich schließt.
  13.028[1]   Notabene. Die Trennbarkeit der logischen Teile ist immer eine einseitige.
  13.028[2]   Der trennbare logische Teil heißt Gattungs(bestimmtheit), wenn das logische Ganze, wovon er ein Teil ist, außer ihm noch mehrere logische Teile enthält (die nicht in ihm aufgenommen sind).
  13.028[3]   Enthält ein logischer Teil selbst einen oder mehrere logische Teile, so heißt er Art(bestimmtheit) ihrer Stufen.
  13.028[4]   Eine höchste Gattung nennt man eine solche, welche nicht zugleich Art ist. Eine niedrigste Art eine solche, welche nicht zugleich Gattung ist.
  13.028[5]   Notabene. Ein aus mehreren Namen zusammengegliederter Namen, welcher die sämtlichen logischen Teile eines logischen Ganzen von der höchsten Gattung bis zur niedrigsten Art ihrer Stufenfolge nach nennt, heisst Definition. Die Artbestimmtheiten in ihr werden auch die spezifischen Differenzen genannt. Die letzte spezifische Differenz ist gleich dem letzten Artbegriff und ihr Inhalt gleich dem der ganzen Definition.
  13.028[6]   So viel also über die Einteilung der Gegenstände der Vorstellung in einfache und zusammengesetzte. Wir haben hauptsächlich die Fälle im Auge gehabt, wo durch eine Vorstellung etwas als Ding vorgestellt wird. Alles oder das meiste gilt aber analog, wo etwas als Nicht-Ding oder aoriston vorgestellt wird (wie wir dies auch schon angedeutet haben), z.B. ein von den Griechen Psyche, von den Römern Anima Genanntes (metaphysisch), eine Größe von 6 Fuss, eine Reise von Aschaffenburg bis Würzburg, ein Heer (physisch), Röte (logisch).
  13.028[7]   Notabene. Zu bemerken ist noch in Bezug auf die zusammengesetzten, dass die Auflösung in doppelter Art möglich ist.
     

70
     
  13.029[1]   3. Relative – nicht relative. Ein relativ Bezeichnetes ist ein solches, was in Bezug auf ein anderes bestimmt wird. Relative Namen sind solche, bei denen außer dem Genannten ein anderes in obliquo genannt wird, das, wenn es selbst ein Gegenstand ist, ebenfalls einer sein muss, z.B. wirkend – verursacht, gleich –, größer – (Unterschied zwischen Beziehungen und vergleichsweisen Bestimmungen).
  13.029[2]   Notabene: Wird das Relativ-Bezeichnete anerkannt, so wird außer ihm zugleich das anerkannt, in Bezug worauf es bestimmt wird.
  13.029[3]   4. Positive – negative.
  13.029[4]   5. Nach der Herkunft der Vorstellungselemente, aus welchen gebildet: äußere Wahrnehmung – innere Wahrnehmung – Phantasie – der äußeren und inneren gemein. a) Absolute: räumliche; vom Raum freie: unräumliche, vom Raum abstrahierende. b) Relative. (Siehe Beilage.)
     

72
     
  13.030[1]   6. Als Ding – als Nicht-Ding – als Unentschiedenes (Aoriston) – (als Gemischtes).
  13.030[2]   Notabene: Auch eine Fiktion kann als Ding vorgestellt werden, wie z.B.

73
Menschen, die ich mir auf dem Mars wohnend denke, oder Gespenster. Dann wird das Genannte und Vorgestellte als Ding genannt und vorgestellt, wenn es, sobald man es anerkennen würde, als Ding anerkannt wäre, und um mit Wahrheit anerkannt zu werden, ein Ding sein muss, z.B. ein Geist.
  13.031[1]   Notabene II: Als ein Nichtding wird vorgestellt und genannt, was auch, wenn es und mit Wahrheit anerkannt wird, kein Ding ist und kein Ding sein kann, z.B. eine Mehrheit von Dingen (Kollektivum), ein Teil von einem Ding (Diversivum) (sei es ein logischer, physischer oder metaphysischer), eine Grenze, ein Nichts (etwas was nicht ist), ein fabelhaftes Wesen (etwas, was fälschlich für ein Ding gehalten wird).
  13.031[2]   Notabene III: Als ein Unentschiedenes (Aoriston) wird genannt und vorgestellt, wobei, wenn es anerkannt wird, nichts darüber bestimmt wird, ob es ein Ding ist oder nicht. Solche sind z.B. Negativa; Päterita und Futura, so wie auch wo über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nichts entschieden wird, z.B. ein Irgendwann-Lebender; Objektiva; Signativa; Possibilia u.dgl. (Hypothetika und Disjunktiva). Viele Relativa (gleich, Ursache).
  13.031[3]   (Ein Aoriston kann Individuum sein, z.B. ein Homer Genanntes.)
  13.031[4]   (Notabene: Ein besonders wichtiges und merkwürdiges Aoriston ist das, wo es unentschieden bleibt, ob es nichts, eins oder Kollektiv wie z.B. eine Zahl 0 und 1 eingerechnet), und mir scheint auch „alle Menschen oder die Menschen“ hierher zu gehören = das, was von Menschen ist, ist sterblich (?))
  13.031[5]   Notabene IV: Gemischte Namen endlich sind solche, deren Bedeutung aus der eines Aoriston und eines Dinges oder aus der eines Aoriston und eines Nichtdinges zusammengesetzt ist, z.B. ein Staat, welchen ich mir vorstelle, ein Sauerstoffatom, welches in diesem Wasser ist, ein Körper, welchen ich gesehen habe, ein Geist ohne Verstand, ein Blinder.
     

74
     
  13.032[1]   7. Begriff einer wesentlichen – unwesentlichen Bestimmung nach.
  13.032[2]   a) Wie wir alsbald, wenn wir von den Verhältnissen des Vorgestellten handeln, eingehender zeigen werden, haben Dinge, die durch eine Vorstellung gemeinsam vorgestellt werden, au?er der einen auch noch andere Bestimmungen gemein, welche sie von anderen, nicht darunter begriffenen unterscheiden.
  13.032[3]   b) Ein doppelter Fall: Bei manchen allgemeinen Vorstellungen unterscheiden sich die darunter begriffenen Dinge von den nicht darunter begriffenen nur in gewissen Einzelheiten, die man aufzählen kann, während sich andere in mehr Einzelheiten unterscheiden als wir aufzählen können oder sogar als wir jemals zu wissen erwarten dürfen. (Cf. Mill, Logik I, S. 145.)
  13.032[4]   c) Beispiele der ersten Art: z.B. weiß, 2 Schuh groß; der zweiten dagegen: Tiere, Pflanzen, Sauerstoff, Phosphor.

75
Hunderte von Generationen haben die gemeinsamen Eigenschaften davon nicht erschöpft, auch setzen wir gar nicht voraus, dass sie zu erschöpfen seien, sondern wir machen immer neue Beobachtungen und Experimente in der vollen Zuversicht, neue Eigenschaften zu entdecken, welche in den vorher gekannten keineswegs eingeschlossen lagen.
  13.033[1]   „ Wenn sich aber Jemand vornehmen wollte, die gemeinsamen Eigenschaften aller Dinge zu untersuchen, welche dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe oder dasselbe spezifische Gewicht haben, so wäre dies eine handgreifliche Absurdität. “
  13.033[2]   „ Keine anderen sind ihnen gemeinsam als die in dem Namen selbst eingeschlossenen oder (durch ein Kausalgesetz) ableitbaren. “
  13.033[3]   d) Vielfach hat man dies so gedeutet, dass man sagte, in den ersteren Vorstellungen würden die Dinge ihren substanziellen Bestimmungen (substantiellen Differenzen) nach vorgestellt. Allein dies ist falsch. 1, überhaupt keine sind zugänglich. „Ding“ ist der einzige substantielle Begriff, den wir etwa haben. Nachweis, an der Definition des Menschen.
  13.033[4]   2, eine solche Bestimmung ist oft in sich selbst von sehr geringer Bedeutung: ein Geschmack, Geruch, eine um einen kleinen Winkel verschiedene Kristallbildung, die Umhüllungen Blainvilles Zweihänder.
  13.033[5]   e) Allein dennoch ist es gewiss nicht unpassend zu sagen, dass von diesen zwei Klassifikationen die eine einer viel radikaleren Unterscheidung in den Dingen selbst entspreche. Wenn solche Bestimmungen selbst keine substantiellen sind, so sind sie doch Zeichen einer besonderen substantiellen Verwandtschaft, die in sich selbst nicht zu beobachten ist.
  13.033[6]   Was macht diese unzählbaren Eigentümlichkeiten

76
unzertrennlich, so dass, wo die eine ist, auch die anderen sich finden, und wo die eine verloren geht sofort unzählige aufgehoben werden?
  13.034[1]   Aus den Bestimmungen selbst erhellt sich eine solche Notwendigkeit nicht, aber dennoch muss ein nötigender Grund bestehen, und dieser wird in der uns verborgenen Besonderheit der Substanz liegen, von der die Eigentümlichkeiten abhängen. Würden wir sie kennen, so würden wir die Notwendigkeit der begleitenden Eigentümlichkeiten einsehen. So während die einen Unwesentlichen eine Vielfachheit der Ursachen haben, haben die anderen Wesentlichen eine gemeinsame.
  13.034[2]   Doch dies geht die Ontologie, nicht die Logik an. Es gehört zu den Punkten, über die am meisten die Metaphysiker verschiedener Schulen sich streiten. Mag es Substanzen und substantielle Differenzen geben und mögen auf sie die von uns eben besprochenen Bestimmungen hindeuten oder nicht – genug, dass sie selbst jedenfalls nicht zu leugnen sind.
     

77
     
  13.035[1]   7. Einer wesentlichenunwesentlichen Bestimmung nach.
  13.035[2]   „Die durch manche allgemeine Namen benannten Dinge unterscheiden sich von anderen Dingen nur in gewissen Einzelheiten, die man aufzählen kann, während sich andere in mehr Einzelheiten unterscheiden, als wir aufzählen können oder sogar als wir jemals zu wissen erwarten dürfen.“ ad a. z.B. Weiß; 2 Schuh groß etc. Dagegen Tiere, Pflanzen, Schwefel, Phosphor.
  13.035[3]   Hunderte von Generationen haben die gemeinsamen Eigenschaften von diesen nicht erschöpft, auch setzen wir gar nicht voraus, dass sie zu erschöpfen seien, sondern wir machen immer neue Beobachtungen und Experimente in der vollen Zuversicht, neue Eigenschaften zu entdecken,

78
welche in den vorher gekannten keineswegs eingeschlossen liegen.
  13.036[1]   „Wenn sich aber Jemand vornehmen wollte, die gemeinsamen Eigenschaften aller Dinge zu untersuchen, welche dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe oder dasselbe spezifische Gewicht haben, so wäre dies eine handgreifliche Absurdität.“
  13.036[2]   „Keine anderen sind ihnen gemeinsam, als die in den Namen selbst eingeschlossenen oder (durch ein Kausalgesetz) ableitbaren.
  13.036[3]   „Es ist nicht unpassend zu sagen, dass von diesen zwei Klassifikationen, die eine einer viel radikaleren Unterscheidung in den Dingen selbst entspricht.“
  13.036[4]   „Wo nun so ein gewisser sichtlicher Unterschied zwischen Dingen (obwohl vielleicht in sich selbst von geringer Bedeutung) einer uns unbekannten und als endlos zu betrachtenden Anzahl von anderen Unterschieden entspricht, und nicht allein ihre bekannten, sondern auch noch unentdeckten Eigenschaften durchdringt, sagen wir er sei ein wesentlicher.
  13.036[5]   Dagegen von bloss begrenzten und bestimmten Unter

79
     
  13.037[1]   „Wo nun so ein gewisser sichtlicher Unterschied zwischen Dingen, obwohl vielleicht in sich selbst von geringer Bedeutung, einer uns unbekannten und als endlos zu betrachtenden Anzahl von anderen Unterschieden entspricht, und nicht allein ihre bekannten, sondern auch noch unentdeckten Eigenschaften durchdringt, sagen wir, er sei ein wesentlicher.“
  13.037[2]   Dagegen von bloss begrenzten und bestimmten Unterschieden, wie weiß, rot, schwarz, vierschuhig u.s.w., sie seien unwesentliche.
  13.037[3]   8. Wahr – falsch (Begriffe, welchen ein Gegenstand entspricht – keiner entspricht).
  13.037[4]   9. Notwendig – unmöglich – nicht ein notwendiger.
  13.037[5]   10. Erkennbar – unerkennbar.
  13.037[6]   a) Erkennbar ist das Vorgestellte, wenn es möglich ist, ein wahres und berechtigtes Urteil sich darüber zu bilden, ob es sei oder nicht sei. Sonst ist es unerkennbar.
  13.037[7]   8'. b) Das Erkennbare ist natürlich ein als sei

80
end oder nicht seiend Erkennbares.
  13.038[1]   8''. c) Das Erkennbare ist ferner entweder mit absoluter Sicherheit erkennbar oder mit physischer Sicherheit erkennbar oder mit Wahrscheinlichkeit erkennbar (wogegen das ganz Unberechbare steht). (Statt absoluter sagt man auch mit mathematischer oder metaphysischer Sicherheit.) Der letzte Ausdruck ist aber nicht glücklich gewählt. Derjenige oder diejenigen, welchen wir ihn verdanken (wenn anders er durch Absicht und nicht durch zufällige Verschiebung der Bedeutung ein Zeichen für das geworden ist, was er jetzt besagt; cf. Metaphysik α, 3.), haben offenbar eine falsche Ansicht über den Charakter der Metaphysik gehabt. Die wichtigsten ihrer Sätze sind entweder gar nicht oder nach derselben Methode wie die der Naturwissenschaft festzustellen, und darum haben ihre Gegenstände auch keine andere Erkennbarkeit als die mit physischer Sicherheit.
  13.038[2]   Die Mathematik dagegen ist in der Tat die Wissenschaft, deren Gegenstände vor allen anderen mit absoluter Sicherheit erkennbar sind, und darum ist dieser Name wahrhaft entsprechend.
  13.038[3]   Den Ausdruck „metaphysisch sicher“ hätten wir dagegen lieber synonym mit „physisch sicher“ gebraucht.
  13.038[4]   Doch wir bleiben beim hergebrachten Sprachgebrauch, wie ja auch die Optik beim „polarisierten Licht“, obwohl sie die betreffenden Erscheinungen längst nicht mehr auf die Stellung der beiden Pole der emitierten Lichtkörperchen bezieht.
  13.038[5]   Was verstehen wir also unter „mit absoluter Sicherheit erkennbar“? – Es ist dasjenige, bei welchem die Umstände von der Art sind, dass sie ein notwendig unfehlbares Urteil gestatten (sei es ein anerkennendes, sei es ein verwerfendes).
  13.038[6]   Der Satz: Ein Urteil, das wie dieses gefällt wird, geht nicht irr, ist notwendig wahr, der entgegengesetzte absurd.
  13.038[7]   Bei dem nicht mit absoluter Sicherheit Erkennbaren können wir zwar vielleicht zu einem berechtigten, mehr oder minder entschiedenen Urteil, ja wie wir sogleich sehen werden, manchmal zu einer berechtigtenerweise vollkommenen Überzeugung gelangen, aber es wird unser Urteil nie notwendig unfehlbar sein.
  13.038[8]   (e/d) Erläuterung: Unterschied zwischen dem Notwendigen und Unmöglichen einerseits und dem mit absoluter Sicherheit als seiend und nichtseiend Erkennbaren andererseits. (Man nennt manch mal das absolut sicher zu Affirmierende notwendig, das absolut sicher zu Vermeidende unmöglich; aber man tut das äquivok.) α) Ein Notwendiges und Unmögliches kann nicht mit absoluter Sicherheit erkennbar, ja vielleicht gar nicht erkennbar sein, z.B. die drei göttlichen Personen für die bloße Vernunft oder die Äquivalentzahlen uns unzugänglicher Elemente. Ein Zufälliges (ἐνδεχόμνον) kann mit absoluter Sicherheit erkennbar sein, z.B. mein Denken. β) Nicht das Gesagte macht absurd, sondern die Leugnung wegen der Umstände. Nicht das Gegenteil des Gesagten an und für sich ist unmöglich, wohl aber ist es unvereinbar mit der Weise des Verfahrens, welches der Urteilende eingehalten hat.
  13.038[9]   (d/e) Erläuterung: Unterschied von dem mit absoluter Sicherheit und mit absoluter (vollkommener) Genauigkeit Erkennbaren, z.B. das Verhältnis von Peripherie und Radius, Ludolphische Zahl. Dagegen, dass einer tot ist, ist zwar genau, aber

81
manchmal nichts weniger als sicher. (Der beförderte Liewtenant. Der Kreuzritter.)
  13.039[1]   ] f) Das mit bloßer Wahrscheinlichkeit Erkennbare. α) Es ist nicht eigentlich und im strengenwahren Sinne des Wortes erkennbar. Die Umstände sind von der Art, dass wir auch mit Anwendung aller uns zu Gebote stehenden Mittel zu nicht ] mehr als zu einer berechtigten Vermutung gelangen können, d.h. nicht sowohl zu einer berechtigten Urteil  |  Erkenntnis  ], dass etwas sei oder nicht sei, ] als vielmehr zu einer berechtigten Anerkennung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass etwas sei oder nicht sei.
  13.039[2]   β) Beispiel mit dem Würfel. Ich bin nicht eigentlich berechtigt zu sagen: Du wirst nicht sechs werfen, sondern: Es ist fünfmal wahrscheinlicher, dass Du nicht sechs werfen wirst.
  13.039[3]   8) John Henry Newman (An Essay in Aid of a Grammar of Assent, 1870, London) meint sogar, es gebe keinen Unterschied in der Entschiedenheit der Urteile. Vielmehr urteilten wir nur manchmal (aber mit aller Entschiedenheit) über die Wahrscheinlichkeit. Ob das richtig sei, sei mehr eine psychologisch als logisch wichtige Frage. Nur eines sei bemerkt, dass dies eine Anomalie gegenüber den übrigen

82
psychischen Funktionen: Vorstellung und Gemütsbewegung (Begehren, Liebe, Freude etc.) wäre.
  13.040[1]   IX] δ Die Wahrscheinlichkeit, sagt Laplace in seinem berühmten Essay philosophique sur les probabilité, hängt ab teils von unserer Unwissenheit, teils von unseren Kenntnissen, Wir wissen. dass von dreien oder einer größeren Zahl von denkbaren Tatsachen (Laplace sagt evenements, allein der Begriff ist zu eng, kann sichs doch auch um etwas anderes handeln) , die eine oder andere wahr sein muss; aber nichts bietet uns ein Motiv zu glauben, dass die eine von ihnen eher als die anderen eintretenwahr sein werden. In dem Zustand der Unentschiedenheit ist es uns unmöglich, mit Sicherheit etwas über ihr Eintreffenihre Existenz auszusagen. Indessen ist es, wenn man irgendwelche von diesen Tatsachen beliebig herausnimmt, wahrscheinlich, dass sie nicht eintreten | wahr sein ] werden, denn wir sehen mehrere gleich denkbare Fälle, welche seine Existenz ausschließen, während ein einziger ihr

83
günstig ist.
  13.041[1]   Die Wahrscheinlichkeit von etwas wird dadurch bestimmt, dass man alle in Betracht kommenden sich gegenseitig ausschließenden denkbaren Tatsachen auf eine bestimmte Zahl von gleich denkbaren, d.h. von solchen Fällen reduziert, über deren Existenz uns die Umstände gleichmäßig unentschieden lassen und die Zahl der für die Tatsache, deren Wahrscheinlichkeit gesucht wird, günstigen Fälle bestimmt. Das Verhältnis dieser Zahl zu der Zahl aller denkbaren Fälle ist das Maß der Wahrscheinlichkeit; sie ist also ein Bruch, dessen Zähler aus der Zahl der für die Tatsache günstigen Fälle, und dessen Nenner aus der Zahl aller möglichen Fälle besteht.
  13.041[2]   ε. Ist der Bruch größer als ½, so ist die Existenz der Tatsache wahrscheinlich. Ist er kleiner ½, so ist ihre Nicht existenz wahrscheinlich. Würden dagegen die günstigen Fälle den ungünstigen ganz gleich sein, und würden wir daher nach Berücksichtigung aller gegebenen Umstände gar keinen Grund haben, das eine mehr als das andere zu vermuten, so ist der Gegenstand ganz unberechenbar.
  13.041[3]   Würden die Gründe nur um ein verschwindend kleines Maß überwiegen, so würden sie so gut wie nicht überwiegen und das Vorgestellte wäre auch um nichts weniger unberechenbar.
  13.041[4]   Zum Beispiel: Es hätte einer zwischen zwei Büchern zu wählen, von sehr verschiedenem Inhalt, meinethalben einem mathematischem Werk und einer Poesie, und ich kennte weder den Wert der Bücher an und für sich, noch die Bibliothek und die subjektiven Neigungen des Wählenden. Ich wüsste aber, dass er die eine Art von Einband der anderen vorzieht, ohne jedoch auf den Einband viel Gewicht zu legen. Nur in dem

84
Fall, dass die Bücher ihm im Übrigen genau gleich lieb wären, würde dies den Ausschlag geben. Aber dies selbst ist unendlich unwahrscheinlich und somit der Grund verschwindend klein.
  13.042[1]   g. Ein mit physischer Sicherheit erkennbares Vorgestelltes ist ein solches, bei welchem die Umstände ein zwar nicht notwendig aber unendlich wahrscheinliches richtiges Urteil gestatten, d.i. ein solches, bei welchem die Möglichkeit des Irrtums verschwindet (die an und für sich) denkbaren Fälle des Irrtums ververschwinden) . Und zwar verschwindet sie in einem so strengen Sinn des Wortes, dass man in der Tat sagen kann, das Vorgestellte gestatte ein so gut wie absolut unfehlbares Urteil.
  13.042[2]   Immerhin ist hier der Satz: Ein Urteil, das wie dieses gefällt wird, geht nicht irr nicht notwendig wahr und der entgegengesetzte nicht absurd. Auch hier gilt wieder nur, dass bei dem einen die Denkbarkeit des Irrtums, bei dem anderen die Denkbarkeit der Wahrheit verschwindet. In späteren Teilen der Logik wird Manches der hier gegebenen Bestimmung zur Erläuterung und Verdeutlichung dienen. Aber auch jetzt schon mag es ein

85
Beispiel ziemlich klar machen. Nehmen wir an, dass es einen vollkommen regelmässigen Würfel, aber nicht von sechs, sondern von unendlich vielen Seiten gäbe, und einer uns sagte, wir sollten mit ihm einen Wurf tun und eins werfen, so würden wir sagen, das wird nicht geschehen, und das Urteil würde sich unzweifelhaft als wahr erweisen. Es wäre mit physischer Sicherheit gefällt.
  13.043[1]   Obwohl ein Fall denkbar ist, worin eins geworfen würde, so ist dies doch nur einer unter unendlich vielen gleich denkbaren Fällen, worin nicht eins geworfen wird. Der Fall, der günstig ist, wäre an und für sich ein Grund zum Misstrauen, jeder ungünstige Fall ist aber ein gleichstarker Grund zum Vertrauen, und daher verhalten sich die Gründe zum Misstrauen mit denen zum

86
Vertrauen verglichen, wie 1 : ∞. Daher wird das vernünftige, den Umständen entsprechende Misstrauen unendlich kleiner als das Vertrauen sein, d.h. es wird ganz aufhören, es wird verschwinden, wie die unendlich kleinere Größe gegenüber der unendlich größeren. Also ich werde, vernünftig urteilend, meiner Sache vollkommen sicher sein.
  13.044[1]   Die physische Sicherheit nennt man auch unendliche Wahrscheinlichkeit und es ergibt sich dies aus der Sache.
  13.044[2]   Denn die Wahrscheinlichkeit = ∞ – 1 / ∞ (eine Unendlichkeit von Fällen – 1 / dieselbe Unendlichkeit) = 1 – 1 / ∞.
  13.044[3]   Mögliches Beispiel unendlicher Wahrscheinlichkeit: eine geworfene und bei einem angegebenen mathematischen Punkt zur Ruhe kommende Kugel.
  13.044[4]   Das mit physischer Sicherheit Erkennbare ist ein im eigentlichen Sinn des Wortes Erkennbares.
  13.044[5]   Ich darf hier nicht bloß urteilen es ist unendlich wahrscheinlich, dass das und das ist, sondern: es ist, ohne im Geringsten zu fürchten, fehl zu gehen. 1 – 1 / ∞ = 1. Allerdings. Unter unendlich vielen Fällen von Urteilen unter ähnlichen Umständen würde durchschnittlich einer vorkommen, worin das Urteil falsch wäre. Und hiemit ist natürlich gesagt, dass bald gar keine, bald auch mehr als eine und manchmal auch eine recht große Zahl unter je einer unendlichen Menge von Fällen vorkommen würde.
  13.044[6]   Aber unendlich viele Fälle von Urteilen gibt es nicht und jede auch noch so große endliche Zahl ist gegen das Unendliche verschwindend.
  13.044[7]   Somit ist man berechtigt zu sagen, dass ein Fall des Irrtums bei einem mit physischer Sicherheit gefällten Urteil niemals vorkommen werde.
  13.044[8]   Man könnte daher ein mit physischer Sicherheit Erkennbares auch so definieren: Es sei ein solches Vorgestelltes, wo die Umstände von einer Art seien, die ein, zwar wohl in einem denkbaren, nicht aber in einem vorkommenden Fall fehlgehendes Urteil gestattet.
  13.044[9]   Wenn wir diese Bestimmung des mit physischer Sicherheit Erkennbaren geben, so fällen

87
wir selbst ein physisch sicheres Urteil.
  13.045[1]   Notabene. Wollte man eine gemeinsame Bestimmung des mit Sicherheit Erkennbaren geben, welche sowohl das mit absoluter Sicherheit Erkennbare als das mit physischer Sicherheit Erkennbare umfassen würde, so könnte man, auf die letzten Erörterungen gestützt, sagen: Mit Sicherheit erkennbar ist dasjenige, bei welchem die Umstände von einer Art sind, die ein in keinem Fall fehlgehendes Urteil gestattet.
  13.045[2]   Notabene. Fast alles was uns mit Sicherheit erkennbar ist, ist es mit physischer, nicht mit absoluter Sicherheit, z.B. die Gesetze der Chemie, ja die Grundgesetze der Mechanik u.s.w., ja die Existenz einer Außenwelt, die Annahme denkender Wesen außer uns, das Dasein Gottes u.s.w.
  13.045[3]   h. Ehe wir uns zu anderen Untersuchungen wenden, müssen wir wenigstens mit einem kurzen Wort dasjenige berühren, was man nach einem üblichen Ausdruck ein mit moralischer Sicherheit Erkennbares nennen könnte.
  13.045[4]   Es ist eigentlich kein mit Sicherheit, sondern ein mit Wahrscheinlichkeit Erkennbares, wo nur die zu erreichende Wahrscheinlichkeit eine außerordentlich große ist, z.B. zehnmal nacheinander mit zwei regelmäßigen Würfeln Doppelsechs zu werfen

88
oder die Hypothese des Laplace von der Entstehung des Sonnensystems, wenn anders wir seiner Berechnung glauben wollen, 4 Billionen : 1.
  13.046[1]   Der Namen daher, weil man sich im praktischen Leben immer oder meist damit begnügen muss, sei es wegen der Natur des Gegenstandes überhaupt, sei es, weil die drängende Entscheidung keine eingehendere Untersuchung gestattet.
  13.046[2]   Auch der Vernünftige begnügt sich daher mit ihr. Obwohl er nicht ganz exakt verfährt, wenn er von dem Urteil „Die Wahrscheinlichkeit davon ist außerordentlich groß“, zu dem Urteil „Es ist“ übergeht.
  13.046[3]   Aber es macht ihn los von beschwerendem Ballast, etwa wie einen Mathematiker das Fallenlassen einiger Dezimalen.
  13.046[4]   Daher wird uns allen solche Inexaktheit zur Gewohnheit.
  13.046[5]   Und diese wird zweite Natur.
  13.046[6]   Daher sagt Newman in dem angeführten

89
geistvollen Werk nicht ohne Schein, es sei ein Naturgesetz, dass man in gewissen Fällen über das Maß der Wahrscheinlichkeit hinaus zustimme.
  13.047[1]   Locke, der dies als unvernünftig verbiete, möge sagen was er wolle, dies Naturgesetz hebe er durch sein Verbot so wenig auf als die Anziehungskraft der Körper (nicht wörtlich). Newman tut dies, um die Vernünftigkeit des Glaubens zu erklären. Aber ob er Recht hat? Das jedoch möchte er gezeigt haben, dass ein solcher Überschuss von Zustimmung möglich ist, und nicht unvernünftiger als in tausend Fällen, wo niemand etwas Unvernünftiges darin zu finden pflegt. Werfen wir auf seinen Gegenstand einen freilich ganz flüchtigen Blick. Eine besondere Art von mit Sicherheit Erkennbarem ist [das mit[?] Glaubwürdigkeit Annehmbare] das Glaubliche , dasjenige, bezüglich dessen man Glauben (fides) erlangen kann, d.i. dasjenige, wovon es mit Sicherheit erkennbar ist, dass man zu einem völlig zuversichtlichen Urteil darüber verpflichtet ist.
  13.047[2]   Es ist dies eigentlich nicht sowohl eine besondere Art des mit Sicherheit Erkennbaren als ein mit Sicherheit Erkennbares in besonderem Sinne. Äquivok durch Beziehung.
  13.047[3]   Mit Sicherheit kann man nämlich von ihm erkennen, dass man, wenn man es in einer gewissen Weise zuversichtlich beurteilt, vernünftig und pflichtgemäß handelt, und wenn man dies nicht tut, unvernünftig handelt und seine Pflicht verletzt.
  13.047[4]   Doch die Erörterung des mit Sicherheit Erkennbaren in diesem Sinn und die Beseitigung der Schwierigkeiten die sich an diesen Begriff knüpfen, überlassen wir den Theologen. Eingehendes hat Thomas v. Aquin in seiner Summa theologica und in seinen Quaestiones disputatae gesagt.
  13.047[5]   8''' Das Erkennbare, insbesondere das mit Sicherheit Erkennbare (sei diese nun eine mathematische oder physische) wird ferner eingeteilt in das mittelbar – unmittelbar Erkennbare.
  13.047[6]   Mittelbar ist dasjenige mit Sicherheit erkennbar, worüber nur unter Zuhilfenahme anderer bereits gesicherter Urteile ein untrügliches Urteil erlangt werden kann. Ob genau? Vgl.
  13.047[7]   Unmittelbar erkannbar ist dagegen dasjenige, dessen sichere Erkenntnis keiner solchen Vorbereitung bedarf.
     

90
     
  13.048[1]   8'''' Ferner zerfällt das mit Sicherheit Erkennbare (sowohl das unmittelbar als das mittelbar Erkennbare) in das a priori Kant zugeschrieben. Schon vor ihm Hume. und in das a posteriori Erkennbare.
     

91
     
  13.049[1]   A priori erkennbar ist dasjenige, worüber sich uns auf Grund bloßer Begriffe ein untrügliches Urteil ergeben kann (unabhängig von der Erfahrung wirklicher einzelner Fälle). (Besonderer Charakter dieser Erkenntnisse: Das Gegenteil ist absurd, sonst nur falsch.)
  13.049[2]   a) Mittelbar a priori ist erkennbar, worüber uns nur mittels anderer apriorischer Urteile ein untrügliches apriorisches Urteil möglich ist.
  13.049[3]   Unmittelbar a priori erkennbar ist dagegen, für dessen apriorische Erkenntnis keine solche Vorbedingung erforderlich ist. Beispiele.
  13.049[4]   Notabene. Dazu, dass etwas unmittelbar a priori erkennbar sei, genügt es nicht, dass es erkannt werden kann ohne Zuhilfenahme der Zeit nach früher festgestellter apriorischer Urteile. Es könnte auch etwas mittels gleichzeitig gefällter, aber der Natur nach früherer Urteile a priori erkannt werden, und auch das, was in dieser Weise andere apriorische Urteile zur unentbehrlichen Vorbedingung seiner apriorischen Erkenntnis hat, kann nicht unmittelbar a priori erkennbar genannt werden. So z.B. könnte einer vielleicht sofort

92
a priori einesehen, dass es ein hölzernes Bügeleisen nicht gibt; aber nur indem er einsieht, dass es ein hölzernes Eisen nicht gibt. Oder, dass es keinen schwarzen Schimmel gibt, aber nur indem er einsieht, dass es kein schwarzes gibt. Die eine Erkenntnis a priori wird (in diesen Fällen) immer von der anderen abhängig sein, auch wenn sie nicht zeitlich vorausgehen sollte. Sie wird in ihr ihren Grund haben. Sie wird also mittelbar sein.
  13.050[1]   b) Zu dem a posteriori Erkennbaren gehört alles Erkennbare, was nicht aus bloßen Vorstellungen erkannt werden kann.
  13.050[2]   Auch es ist unmittelbar oder mittelbar.
  13.050[3]   Unmittelbar a posteriori erkennbar ist dasjenige, dessen unmittelbare Erkennbarkeit nicht in der bloßen Vorstellung, sondern in einem besonderen Verhältnis des beurteilten Gegenstandes zum Urteilenden ihren Grund hat.
  13.050[4]   Man nennt es auch mit unmittelbarer Sicherheit wahrnehmbar, durch unmittelbare Erfahrung mit Sicherheit ge währleistet .
  13.050[5]   Mittelbar a posteriori erkennbar ist dasjenige, dessen Erkenntnis für uns nur unter Zuhilfenahme einer (oder mehrerer sicherer Wahrnehmungen zu erreichen ist.
  13.050[6]   Man nennt das a posteriori Erkennbare überhaupt auch das durch mit Hilfe der Erfahrung Erkennbare.
  13.050[7]   c) Das a priori Erkennbare ist immer notwendig oder unmöglich. Es ergibt sich dies aus den Begriffen.
  13.050[8]   Zur apriorischen Erkennbarkeit ist außer der Notwendigkeit oder Unmöglichkeit (die wir kurzweg unter dem Namen Nichtkontingenz zusammenfassen können) nur noch erfordert, dass die Vorstellungen, aus welchen das Sein oder Nichtsein hervorgeht, in eigentlicher Weise uns gegeben sind, und die etwa nötigen Vermittlungen

93
nicht das Maß unserer Verstandeskräfte übersteigen, z.B. ein Würfel mit einer um einen kleinen gegebenen Winkel schiefabweichenden Seite. Wie ist die Wahrscheinlichkeit?
  13.051[1]   Beim a posteriori mit Sicherheit Erkennbaren ist dies dagegen nicht der Fall. Es kann kontingent sein.
  13.051[2]   Auch nicht beim unmittelbar Erkennbaren. Ja es kann sogar gar nicht geschehen, dass anderes als Kontingentes mit unmittelbarer Sicherheit von uns wahrgenommen wird.
  13.051[3]   Notabene. Gibt es, da es mittelbar und unmittelbar a priori Erkennbares gibt, nicht auch mittelbar und unmittelbar Notwendiges oder Unmögliches? Allerdings muss es solches geben! Und mehr muss es geben von beiden Arten, als von denen des a priori Erkennbaren.
  13.051[4]   Da uns die Betrachtung der Unterschiede des Erkennbaren zu den Begriffen der Notwendigkeit und Unmöglichkeit zurückgeführt hat, so ist

94
es daher hier der Ort, die Untereinteilung nachzutragen, die hier klarer werden wird, als wenn ich sie früher dargelegt hätte.
  13.052[1]   Die Unterscheidung ist von äußerster Wichtigkeit.
  13.052[2]   Vieles, wie z.B. die Bestimmung des Begriffs der sogenannten Grundgesetze gegenüber den sekundären sowie den empirischen Gesetzen hängt damit zusammen (Deduktion).
  13.052[3]   Ein mittelbar Notwendiges oder Unmögliches ist ein solches, dessen Notwendigkeit oder Unmöglichkeit eine Kombination von anderen Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten ist, in welche sie aufgelöst werden kann und welche sie zu Vorbedingungen hat, wie das Ganze die Teile, aus welchen es besteht. (Ein besonderer Fall einer oder mehrerer einfacherer und allgemeinerer Notwendigkeiten oder Unmöglichkeiten.)
  13.052[4]   Es ist das, was, wenn einer die betreffenden Vorstellungen hätten, und sein Verstand ausreichte, aus den Vorstellungen mittelbar für ihn erkennbar wäre.
  13.052[5]   Unmittelbar notwendig dagegen ist etwas, dessen Notwendigkeit in keiner andern auflösbar.

95
     
  13.054[1]   d. Rekapitulation Wir haben in der vorigen Stunde die letzte und wichtige Unterscheidung des Erkennbaren betrachtet, mit der wir uns hier zu beschäftigen haben: a prioria posteriori.
  13.054[2]   1) Das a posteriori unmittelbar – mittelbar Erkennbare.
  13.054[3]   2) Ebenso das a priori Erkennbare.
  13.054[4]   3) Dann rückblickend auch das Notwendige Unmögliche: unmittelbar – mittelbar
  13.054[5]   Dies ergibt sich offenbaraus dem vorigen, da ja der Begriff Notwendigkeit und Unmöglichkeit besagt, dass Sein oder Nichtsein aus bloßen Vorstellungen hervorgeht.
  13.054[6]   Nichts ist unmittelbar a priori, was nicht unmittelbar notwendig (bzw. unmöglich) ist; nichts ist mittelbar a priori, was nicht mittelbar notwendig (bzw. unmöglich) ist.
  13.054[7]   e. Doch wie überhaupt mehr notwendig ist, als a priori für uns erkennbar, so ist in specie mehr unmittelbar – und mehr mittelbar erkennbar. Vieles können wir gar nicht erkennen.
  13.054[8]   Anderes ist nur a posteriori erkennbar (dass es ist, und dass es notwendig ist.) Bei weitem das Meiste. Siehe die gegebenen Beispiele.
     

97
     
  13.055[1]   Dann wie der Ausgangspunkt ein anderer, auch der Weg. Während, wenn a priori von dem früher Notwendigen, weniger mittelbar aus den Vorstellungen hervorgehenden, zu dem später Notwendigen, mittelbarer aus den Vorstellungen hervorgehenden: nun meistens oder immer umgekehrt.
  13.055[2]   So dass, was an und für sich und für den, der durch Analyse der Begriffe es erkennen würde, früher erkennbar ist, für uns später, und umgekehrt.
  13.055[3]   f. Daher hat schon Aristoteles ein πρότερον καϑ’ αὑτό oder πρότερον τῇ φύσει und ein πρότερον πρὸς ἡμἀς, so wie ein γνωϛιμώτιϛον φύσει und ein ἡμῖν γνωϛιμώτιϛον unterschieden und in Gegensatz gebracht.
  13.055[4]   So sagt auch das Buch α der Metaphysik des Aristoteles, zu den τῇ φύσει φανερώτατα πάντων verhalte sich unser Verstand wie das Auge der Nachteule zu dem am hellsten scheinenden Tageslicht. Prantl: weltschmerzlich. ]
  13.055[5]   Doch, wenn er dies so allgemein ausspricht, so ungenau. Anderwärts genauer.
  13.055[6]   g. So auch Thomas, der hier wie anderwärts sen Schüler ist. Er nennt das unmittelbar Notwendige: notum per se. 1°, 1. corp. Er unterscheidet aber dann: Dicendum quod contingit aliquid esse per se notum dupliciter. Uno modo sec se et quod nos. Alio modo sec se, sed non quod nos. Dann seien wir an die Erfahrung gewiesen und der umgekehrte Weg sei zu betreten.
  13.055[7]   h. Dies führt zur Erklärung der Namen.
  13.055[8]   1) Gebrauch bei Aristoteles: a priori, wenn aus dem weniger mittelbar Notwendigen; a posteriori, wenn umgekehrt.
  13.055[9]   2) Weil wir nun, wie gesagt, wenn aus den Begriffen, vom unmittelbar und weniger mittelbar Notwendigen zum mittel-


98
bar und mittelbarer Notwendigen; wenn aber aus der Erfahrung umgekehrt, so wurde dies der Anlass, weshalb man allmählich, und wie gesagt, schon vor Kant anfing, das unabhängig von der Erfahrung (auf Grund bloßer Begriffe) Erkannte a priori, das andere a posteriori erkannt zu nennen.
  13.056[1]   Trotz des Berührungspunktes war hiemit der Begriff wesentlich alteriert.
  13.056[2]   Denn ist ein weniger mittelbar Notwendiges gewonnen, so steigen wir wieder argumentierend zu dem mittelbarer Notwendigen herab. Und dann zunächst aus Früherem, und mittelbar wenigstens nicht aus Späterem. Also besteht keine Koinzidenz.
  13.056[3]   Die frühere Ausdrucksweise ist passender.
  13.056[4]   Doch es bleibe Alles (wie beim metaphysisch), wenn nur der Begriff klar ist.

99
     
  13.057[1]   Unterschiede der Vorstellungen :
  13.057[2]   Vor allem ist natürlich klar, dass den besprochenen Unterschieden des Vorgestellten (Inhalt der Vorstellungen(?)) auch Unterschiede der Vorstellungen entsprechen.
  13.057[3]   Hiezu noch einige nach dem Unterschied der Weise, wie das, was vorgestellt wird unserem Geist gegenwärtig ist: 1. klar – unklar 2. eigentlich – uneigentlich 3. zergliedert – unzergliedert.

100
     
  13.058[1]   Unterschiede der Namen:
  13.058[2]   Auch hier vor allem nach den Unterschieden des Vorgestellten. Hiezu noch Unterschiede des sprachlichen Ausdrucks als solchem.

101
     
  13.059[1]   1. Klar – unklar vorgestellt und genannt: = aufmerksam deutlich, wo auf das Ganze und jeden Teil aufmerksam. Descartes (Locke? Leibnitz. ] klar vorgstellt wird, was mit einer grossen Bewusstseinsstärke vorgestellt wird, so dass in Folge davon eine Verwechslung minder leicht statt haben kann (als sonst unter gleichen Umständen).
  13.059[2]   Notabene. Klarer wird unter sonst gleichen Umständen vorgestellt, was allein, als was mit Anderem vorgestellt wird.
  13.059[3]   Notabene. Ein zusammengesetzter Gegenstand kann zum Teil klar, zum Teil unklar, oder mehr und minder klar vorgestellt werden (wie bei besonderer Aufmerksamkeit auf besondere Teile).
  13.059[4]   Notabene. Wird ein zusammengesetzter Gegenstand in seinem Ganzen mit so viel Klarheit vorgestellt, dass man seine verschiedenen Teile wohl unterscheiden und angeben kann, so sagt man,

102
er werde deutlich (oder auch klar und deutlich) vorgestellt.
  13.060[1]   2. Eigentlich – uneigentlich vorgestellt (und mittels eigentlicher – uneigentlicher Vorstellung genannt) mittels der eigentlichen Vorstellung oder eines Surrogats.
  13.060[2]   Uneigentlich stellen wir solches vor, wovon wir keine genau entsprechende Vorstellung haben und oft auch haben können. Wir nennen es, verstehen aber selbst den Namen nicht recht, während wir ihn nennen.
  13.060[3]   a) Hierher gehört z.B. die inadäquate Weise, wie wir Gott vorstellen durch Analogien, die wir kreatürlichen Dingen entnehmen.
  13.060[4]   Wir bezeichnen mit dem Namen Gott das, worauf unsere Analogien zielen. Was das aber ist, entzieht sich unserer Vorstellung. Wir verstehen eigentlich nicht, was „Gott“ heisst. den Sinn des Namens „Gott“ nicht. Gott ist ein notwendiger Begriff. Seine Leugnung würde für den, der ihn hätte, unmittelbar absurd sein. Wir aber sprechen wohl Gott ist, aber ohne sofort und aus dem Begriff die Wahrheit einzusehen.
  13.060[5]   Ähnlich mag der Blinde von der Farbe sprechen, wir von den substantiellen Differenzen.
  13.060[6]   b) Ähnlich ist es aber auch, wenn wir Gegenstände nennen, deren einzelne Merkmale wir wohl fassen könnten, die aber wegen ihrer Komplikation für uns nicht mehr vorstellbar sind.
  13.060[7]   Eine Million, eine Billion können wir nicht eigentlich mehr vorstellen, und nennen sie, ohne den Namen genau zu verstehen.
  13.060[8]   2. Zergliedert – unzergliedert vorgestellt (auch eine uneigentliche Weise).
  13.060[9]   Schwer anders als durch Beispiele deutlich zu machen. Jeder muss den Unterschied innerlich erfahren. Ein Blick stellt mir, was ich sehe, unzergliedert vor. Wenn ich dagegen einen Körper mir als warm und schwarz vorstelle, so ist die Vorstellung gegliedert.
  13.060[10]   Ebenso wenn ich mir einen König und künftigen Bettler vorstelle. Am Besten zeigt sich das beim Widersprechenden. Das ist nicht unzergliedert vorstellbar, z.B. eckige Kugel; dagegen rote Kugel. Aber auch zergliedert. Und überhaupt bei allen zusammengesetzten möglich.
  13.060[11]   In zergliederter Weise stelle ich mir auch einen weißen

103
Rappen oder schwarzen Schimmel (früher berührt) vor; und es ist dies die einzige Weise, wie man früher berührt]Absurdes vorstellen kann (von der uneigentlichen Vorstellungsweise natürlich abgesehen): „Das kann ich mir nicht vorstellen“.
  13.061[1]   3. Nach dem Ausdruck (nach dem Unterschied des sprachlichen Ausdrucks).
  13.061[2]   (1. Benamt – namenlos.)
  13.061[3]   1. Etwas kann durch einen univoken – äquivoken Ausdruck bezeichnet werden(eindeutige – vieldeutige Namen).
  13.061[4]   Die äquivoken Namen sind solche, bei welchen es unbestimmt ist, mittels welcher Vorstellung sie den Gegenstand benennen, z.B. Mars, Versehen (dreifach), mein (Buch, Vater), Zug, Reif, Star. Man lässt mich sprechen.

Man lässt mich stechen.

Ich bin ein Vogel.

Und ein Gebrechen.

Verschieden.
  13.061[5]   Notabene. Unterschied von universell, wo bloß das Genannte, nicht die Bedeutung, mittels welcher genannt wird, nicht bestimmt ist.
  13.061[6]   Notabene. Ein äquivoker Name kann individuell sein, z.B. Sokrates (für die Philosophen und Geschichtsschreiber), Frankfurt, und so die meisten Eigennamen;

104
oder auch auf der einen Seite individuell, auf der anderen universell, z.B. Philaletes, Zug.
  13.062[1]   Notabene. Die äquivoken Namen sind:
  13.062[2]   1. Durch Zufall: Seele eines Herings cf Mill, Logik II. ] (hiezu auch die transitiven Worte, welche durch wiederholte in Folge von dieser oder jener Beziehung, einander ganz fremde Gegenstände bezeichnen). Es geht wie bei der Veränderung von Worten, so bei der von Bedeutungen:

dies – Journal

Pilgrim – ager

per agrum, peragrinus,

peregrinus, pellegrina

ex stranger

ė, ex, extra, extranens, étranger,

stranger. Mast

Krebs (Buchhändler, Krankheit)

ziemlich

paganus

gentleman

a priori

Cf Mill, Logik II.
  13.062[3]   2. Durch Analogie: z.B. ein glänzendes Licht, eine glänzende Tat, ein Flecken des Charakters (alle Metaphern).
  13.062[4]   3. Durch Beziehung: z.B. gesunder Spaziergang, hold (huldgewinnend), frohe Mienen, freudige Saaten, ein Bild, eine Lerche. Die Pflanze empfindet nicht. Ein neugeborener Hund sieht nicht. (Weiß sei dentes.)
  13.062[5]   Durch Erweiterung: z.B. Alle Menschen sind sterblich, opp. Alle werden sterben (vergangene und zukünftige mitgezählt).
  13.062[6]   Durch Restriktion: z.B. man kann etwas Süßes nicht sehen, aber schmecken, nämlich Süßes als solches.
  13.062[7]   4. κατ ἐξοχήν. „philosophus“, trennbar, unvernünftig, „der Dichter“ (Homer).
  13.062[8]   5. Und ebenso im engeren und weiteren Sinne: Sterne (mit oder ohne Sonne und Mond), Planeten (die Trabanten mit oder nicht), Tiere, Loyalität, Gerechtigkeit.
  13.062[9]   2. und 3. sind von besonderer Bedeutung, weil am öftesten Verwechslungen geschehen.
  13.062[10]   Notabene. Als allgemein ist bemerkenswert die Äquivokation durch die sogenannte mehrfache Supposition.
  13.062[11]   1. Für den primär und gewöhnlich

105
bezeichneten Gegenstand, z.B. Ein Mensch ist tugendhaft“. 2. Für die Vorstellung dieses Gegenstandes. Mensch ist ein allgemeiner Begriff. 3. Die materiale Supposition: Mensch ist ein Hauptwort“. Dazu kommt noch 4. die Supposition für den Gegenstand als durch den Namen genannten.
  13.063[1]   Sie erinnern sich an die Art wie Hobbes die Bedeutung der Namen fasste und an das: „Ich muss einen Stoffel haben“. So kann aber jeder Namen gebraucht werden.
  13.063[2]   Wenn ein Franzose fragt: Was ist ein Mensch?
  13.063[3]   gegen die Scotisten ] Oder der Seehund und Hund in dem Korb: Ein Hund bewegt sich = ein Hund Genanntes. (Gegen die Scotisten.) A: Es kann nicht gesagt werden Ein Hund bewegt sich; denn in welcher Bedeutung? Nicht in der des Seehundes, und nicht in der des Landhundes. B. Antwort: In der des mit dem Namen Hund Bezeichneten.
  13.063[4]   Ebenso bei den besprochenen Rätseln (Homonymen), z.B. bei Rückert das Ich gleich ein Star genanntes. Notabene. Auch Namen, die nicht eigentlich äquivok, aber sozusagen[?] von äquivoker Form sind. Zusammensetzungen aus Adjektiv und Substantiv; gewöhnlich determinierend, manchmal aber modifizierend, z.B. falsches Gold, gedachter Taler (dagegen auch grosser Künstler äquivok). inf 2 (Bogen 23,b)
  13.063[5]   3. Durch einen scharfen – verschwommenen verschwimmendem Ausdruck (cf. Mill, Logik II).
  13.063[6]   a) Ein scharfer Ausdruck ist ein solcher, dessen Bedeutung oder auch dessen Bedeutungen genau festgestellt istsind, ein verschwommener, wo dies nicht der Fall ist.
  13.063[7]   b) Technische Ausdrücke, die von einer Wissenschaft oder Kunst zu ihrem Zweck geschaffen werden, sind gewöhnlich scharf. (Nur von der Philosophie scheint bei manchen Denkern nicht das Gleiche zu gelten; aber vielleicht war ihre Philosophie nicht wahrhaft Philosophie und Wissenschaft.)
  13.063[8]   c) Namen aber, welche im gewöhnlichen Gebrauch sind, sind gar oft verschwommen. Man gebraucht sie und gebraucht sie wieder bei Gegenständen, die mehr oder minder in gewissen Beziehungen einander ähnlich sind. Was er bei den Leuten ausdrückt, ist eine verworrene Vorstellung von Ähnlichkeit zwischen diesen und anderen Gegenständen, die sie gewöhnt sind mit dem Namen zu bezeichnen. Gewisse Merkmale von etwas, worin dieser und andere Gegenstände, die sie gewöhnt sind mit dem Namen zu bezeichnen, einander ähnlich sind.

106
So paradox es klingt, man wendet sie an und weiß doch nicht recht, was sie bedeuten, noch ob sie eine oder mehrere Bedeutungen haben, z.B. das Wort zivilisiert. Sie alle haben das Wort schon gebraucht, aber wie es im gewöhnlichen Leben gebraucht wird, als ein nicht scharf umgrenzter Ausdruck. Und so wären sie vielleicht alle in Verlegenheit, wenn sie genau sagen sollten, was das Wort bedeutet, obwohl es ihnen gewiss eine Bedeutung hat, die sich aus allem, was sie darüber hörten oder lasen, wie zivilisierte Menschen oder Staaten sind oder sein sollten, bildete.
  13.064[1]   Doch hat die Bedeutung bei jedem eine etwas andere Schattierung, ja auch bei einem und demselben, wenn er es das eine und andere mal spricht.
  13.064[2]   d) Die Wissenschaft muss suchen, diese verschwommenen Ausdrücke in scharfe Univoka oder Äquivoka zu verwandeln. (Ein anderes, auffallenderes Beispiel: der Namen Mensch(?). Die Schule sagt: animal rationale. Aberein vernünftiger Vogel“ wäre kein Widerspruch (wenn einer, ist er Mensch? Nach der Schule ja. Nach dem Leben?)

107
     
  13.065[1]   e) Doch gilt dies nicht ohne Ausnahme. Es gibt gewisse Ausdrücke, die gerade dazu gemacht sind, in etwas konfus zu sein, und die als solche bequem und nützlich sind. a) Sie ersparen eine lästige Vervielfältigung der Namen, ohne besonderen Gewinn, b) und dienen auch da, wo unsere Kenntnis eine nur beiläufige ist.
  13.065[2]   Das sind nun solche, die ein mehr und minder zulassen, wie z.B. groß, viel, schnell u.dgl. Auch Ausdrücke, denen ein ungefähr beigefügt wird, z.B. Ungefähr 1000 Menschen waren versammelt. Wir gebrauchen sie alle mit Vorteil, aber sie sind etwas konfus, die Grenzen der Anwendung verschwimmen. Bei wieviel Fuß fängt ein Berg an ein großer zu sein? Wann kann man noch sagen: Es sind ungefähr 1000? – Bei 1001? 1002? 1010? u.s.f. Der eine wird ja, der andere nein sagen, und derselbe vielleicht verschiedene male verschieden urteilen.
  13.065[3]   f) Wollte man diese Ausdrücke

108
als scharfe Ausdrücke behandeln, so würde man in Sophismen verwickelt, z.B. wenn ein viele tausend Fuß hoher Berg ein Fuß niedriger wäre, wäre er noch ein viele tausend Fuß hoher Berg? Ohne Zweifel! Und doch konsequent fortgefahren, ist so die Ebene ein Berg und ein viele tausend Fuß hoher Berg. Die Megariker: Kahlkopf, Kornhaufen.
  13.066[1]   g) Ich sagte, die Wissenschaft verbannt solche Ausdrücke nicht. Sie erfindet sogar solche Ausdrücke.
  13.066[2]   Die Namen, welche z.B. der Botaniker den Pflanzenklassen gibt, sind von der Art. Eine gewisse Reihe von Eigentümlichkeiten macht den Charakter der Klasse aus. Aber nicht bloß das gehört zu der Klasse, was diese Reihe von Eigentümlichkeiten besitzt, sondern auch das wird unter ihr begriffen, was den Dingen, welche sie besitzen, mehr gleicht, als irgend einem anderen. Nicht alle Eigentümlichkeiten, welche den Charakter der Klasse ausmachen, sind also allgemein, andere erleiden Ausnahmen und kommen nur den meisten darunter befindlichen Dingen zu. Mill, Logik II, S. 295: „Wenn eine Pflanze aufrechtstehende Eichen (ovula), einfache Narbe, kein obliteriertes Albumen und kein Nebenblättchen hätte, so würde sie wahrscheinlich nicht den Rosaceen zugeteilt werden. Aber eines oder mehrere dieser Merkmale können ihr fehlen, und sie wird darum doch nicht von der Klasse ausgeschlossen werden. Den Zwecken einer wissenschaftlichen Klassifikation wird besser entsprochen, wenn man sie einschließt; denn da sie mit der Summe der Charaktere der Klasse so nahe übereinstimmt, so wird sie in ihren noch unentdeckten Eigenschaftten dieser Klasse wahrscheinlich mehr als irgend einer anderen gleichen. “
  13.066[3]   Wir sehen, Mill sagt, „sie würde wahrscheinlich den Rosaceen zugeteilt werden“, denn in der Tat

109
lässt sich, in Folge der eigentümlichen Weise, wie bei so gebildeten Namen die Grenzen ihrer Anwendbarkeit verschwimmen, bei einer neu gefundenen Art nicht mit Sicherheit sagen, ob man sie darunter rechnen werde oder nicht. (? Vielleicht meint Mill nur, man muss beobachten, ob das, was zuletzt wahrscheinlich genannt wurde, der Fall ist, dann folgt das erste notwendig?)
  13.067[1]   So viel also von dem Unterschied der scharfen und verschwimmenden, genau und minder genau abgrenzenden Namen.
  13.067[2]   4. Durch einen mehrgliedrigen – einfachen Namen genannt.
  13.067[3]   a) Mehrgliedrig ist ein Namen, wenn er aus mehreren Worten besteht, von denen ein Teil schon für sich allein ein Namen ist, dem ein Teil der Bedeutung des ganzen Namens zukommt, z.B. ein schwarzer Mensch, dagegen Mohr“. Ein weißes Pferd“, dagegen ein Schimmel. Vermögen, zu urteilen (hier einseitig einen Teil für sich bedeutend), dagegen Verstand. Auch Urteilsvermögen kann als mehrgliedrig gelten.
  13.067[4]   b) Natürlich bestehen die gegliedermehrgliedrigen

110
Namen nicht immer aus zwei, sondern oft aus drei und noch mehr Gliedern.
  13.068[1]   c) Und nicht immer entsprechen ihnen einheitliche Ausdrücke, z.B. wenn für ein weißes Pferd, nicht für einen weißen Hund oder einen weißen Ochsen u.s.f.
  13.068[2]   d) Diese zergliedertenmehrgliedrigen Namen scheinen auf den ersten Blick schwierig.
  13.068[3]   e) Allein, sie gewähren den Vorteil, dass sie eine übergroße, dem Gedächtnis lästige Vermehrung der Worte ersparen. Wie aus wenigen Elementen ungleich mehr Mischungen, wie aus wenigen Buchstaben ungleich mehr Wörter, so aus verhältnismäßig wenigen Namen die einfacheren Vorstellungen, unzählige Namen, die zusammengesetzteren Vorstellungen entsprechen.
  13.068[4]   f) Wir würden alle Augenblicke genötigt sein, neue Namen zu erfinden, und niemand würde den anderen verstehen.
  13.068[5]   g) Man sieht dies deutlich besonders auch daran, dass wir auch jetzt, wenn wir zusammengesetzten Vorstellungen besondere einfache Namen geben, dieselben nicht wohl verständlich machen können, ohne sie durch zusammengesetzte zu erklären. Wenn wir

111
von der Nominaldefinition sprechen, werden wir darauf zurückkommen.
  13.069[1]   h) Außerdem haben die mehrgliedrigen Namen auch den Vorteil, dass sie, indem sie Teile des Vorstellungsinhalts für sich allein nennen, eine Aufmerksamkeit] klarere und deutlichere Vorstellung davon hervorrufen, z.B. ein Mann und seine Frau sind ein Ehepaar. Schon hier, und doch dies einer der einfacheren Fälle. (Aufmerksamkeit). Mehr eine Geige: ein aus dem und dem Material so und so geformtes musikalisches Instrument, das mittels eines Fidelbogens gespielt wird. Wenn wir von den Urteilen handeln, werden wir sehen, wie wichtig und förderlich dieser Umstand wird (insbesondere vielfach aufmerksam auf das Gemeinsame). Assoziationen werden hervorgerufen.
  13.069[2]   2. Durch einen farblosen – gefärbten Ausdruck (Arnauld). Es geschieht nämlich oft, dass ein Namen, abgesehen von dem Gegenstand, den er hauptsächlich bezeichnet, etwas von der Stimmung dessen andeutet, der ihn ausspricht, so z.B. Du lügst (er ent hält Missbilligung und Vorwurf) opp. Du denkst das Gegenteil von dem, was du mich glauben machen willst )“. Manchmal geschieht dies bloß im einzelnen Fall durch den Ton der Stimme. Wenn ein Diener sagte: Mein Herr, sprechen Sie nicht so laut, ich kann Sie auch dann verstehen.
  13.069[3]   Manchmal aber ist allgemein eine solche Nebenbezeichnung an das Wort geknüpft.
  13.069[4]   Daher sind von den Ausdrücken, die dasselbe zu bezeichnen scheinen, die einen beleidigend, die anderen freundlich, die einen bescheiden, die anderen frech, die einen schicklich, die anderen unschicklich u.s.f.
  13.069[5]   Dieser Unterschied der farblosen und gefärbten Ausdrücke war es, den die Stoiker verkannten. Sie sagten, es gebe keine schmutz-


112
igen und schicklichen Worte. Denn, sagten sie, entweder kommt das Schmähliche von der Sache oder es liegt in den Worten. Es kommt nicht schlechtweg von der Sache, denn es ist erlaubt, sie in anderen Worten auszusprechen, die nicht als unschicklich gelten. Es liegt auch nicht in den Worten, als artikulierte betrachtet, denn es geschieht oft, dass ein und derselbe Laut, der verschiedene Dinge bezeichnet, in dem einen Sinn für schicklich, in dem anderen für unschicklich gilt. Ergo: Allein der Unterschied liegt in dem, was ich die Farbe des Ausdruckes nannte. Man kann dieselbe schlechte Tat, denselben niedrigen Gegenstand das einemal mit einem Namen, der Scheu und Abscheu verrät, das andere Mal mit einem, der im Gegenteil ein Wohlgefallen an der Sache andeutet.

113
     
  13.071[1]   Die Vertauschung eines farblosen mit einem gefärbten Ausdruck, oder die von verschiedentlich gefärbten miteinander, geschieht also nicht ohne eine Änderung des Sinnes . Und es kann auch dies eine Quelle von Sophismen werden, durch welchen einer, der nicht speziell auf diesen Unterschied der Worte reflektiert hat, sich leicht täuschen lässt.
  13.071[2]   Zum Beispiel: Es hat einer Einem schonend die Bemerkung gemacht: Ich kann nicht glauben, dass du selbst für wahr hältst, was du da gesagt hast.
  13.071[3]   Und es will einer ihn aufbringen und sagt: er hat dich einen Lügner genannt.
  13.071[4]   rev. 3 (21, c).
     

114
     
     
Verhältnisse zwischen Vorstellungen, Namen und Gegenständen
     
(der Abschnitt ist zu ändern) ] I Verhältnisse der Vorstellungen an und für sich betrachtet.
  13.072[1]   Was wir meinen, sind die Verhältnisse, welche sich zwischen Vorstellungen zeigen, wenn man sie ihrem „Inhalt“, ihren „Merkmalen“ nach vergleicht.
  13.072[2]   a) Gleichheit der Merkmale = identische Begriffe.
  13.072[3]   b) Ungleichheit: 1. völlige Ungleichheit (z.B. Gott und Kreatur); 2. teilweise Ungleichheit: (zweifache Weise)] 1'. einschließend; 2'. inbegriffen (man sagt auch, der eine Begriff gehöre zur Essenz des anderen, zu seinem Wesen. Ein Ausdruck, den ich vermeide, wegen der Äquivocation mit den wesentlichen Begriffen, siehe oben); 3'. sich teilweise einschließende Begriffe. (Zweifache Weise.)
  13.072[4]   Notabene. Es gilt, was hier gesagt wurde, in recto und in obliquo, z.B. Verstand einschließend „in obliquo urteilen“. Hauptsächlich aber hat man „in recto“ im Auge (und ich werde sie immer so gebrauchen, wenn ich es nicht eigens bemerke).
  13.072[5]   Notabene. Korrelativ nennt man zwei Vorstellungen, die sich in obliquo gegenseitig einschließen, z.B. größer und kleiner, Wirkung und Ursache.
  13.072[6]   c) Die ungleichen Begriffe zerfallen ferner in die 1. entgegengesetzten Begriffe; 2. Begriffe ohne Gegensatz, z.B. weiß und warm.
  13.072[7]   Die entgegengesetzten sind: 1'. Kontradiktorisch, z.B. Mensch und Nichtmensch;
  13.072[8]   2'. Privativ, z.B. sehend und blind, animal rationalebrutum. Privative Begriffe sind Begriffe, welche kontradiktorische Begriffe einschließen. Auch nicht warmer Nichtstein ist dem Stein und dem Warmen nicht kontradiktorisch, sondern privativ entgegengesetzt (noch vielfach wird der Ausdruck privativ“ verwendet, wovon hier nicht gehandelt wird).
  13.072[9]   Notabene. Zu den privativ Entgegengesetzten sind auch die Korrelativa zu rechnen, von denen das eine ein mehr, das andere ein minder besagt, z.B. A < B und B > A. Ebenso dann die Relationen des mehr und minder zu einem dritten, z.B. (A) < C, (B) > C, weil > C und Kleinere.
  13.072[10]   3'. Positiv entgegengesetzt: So nennt man Begriffe von Substanzen und Eigenschaften, welche der Gattung nach identisch, aber durch Hinzufügung verschiedener Differenzen verschieden sind.
  13.072[11]   Notabene. Insbesondere wenn die Differenzen nicht bloß individuelle, sondern spezifische sind.
  13.072[12]   Notabene notabene. Noch enger wird der Begriff, wenn die spezifischen Differenzen extrem verschieden sind: konträr (Aristoteles): weiß – schwarz (doch auch des[?] weiteren[?]: groß – klein,

115
Liebe und Hass ein und desselben Objektes, diametral entgegengesetzte Richttungen u.s.f., wobei freilich im Einzelnen noch manches zu analysieren bleibt, was wir der Ontologie überlassen).
  13.073[1]   Notabene. Weiter nennt man aber dann auch Begriffe positiv entgegengesetzt, welche Begriffe wie die bisher als positiv-entgegengesetzt bezeichneten einschließen.
  13.073[2]   Notabene notabene. Endlich nennt man auch noch positiv entgegengesetzt die Begriffe von Dingen und den Begriff Gottes, der ohne Differenz und Gattung, doch in einem höheren supereminenten Sinn alles das ist, was unsere Gattungs- und Differenzbegriffe vollkommen bezeichnen, aber ohne ihre Unvollkommenheit. Und dies nicht in Folge eines Mangels, sondern einer Fülle. Und darum verhält sich seine Vorstellung zu der von den Dingen in einer in vieler Beziehung ganz ähnlichen Weise wie eine ihnen positiv entgegengesetzte Vorstellung.
  13.073[3]   d) So viel von den entgegengesetzten Begriffen. Nun noch ein Wort über die analogen. Analoge sind solche, an welche eine Gleichheit von Verhältnissen geknüpft ist, z.B. ist die Länge einer Zeit der Länge eines Raumes, die zeitliche Dehnung ist der räumlichen Dehnung analog.
     
II Verhältnisse der Vorstellungen zueinander in ihrer AnwendbarkeitAnwendbark auf die Gegenstände betrachtet
  13.073[4]   Bei allgemeinen: Umfang. Unmögliche Begriffe haben gar keinen Umfang.
     

116
     
  13.086[1]   1. Aquipollent (reziproke) sind solche, welche gegenseitig untrennbar sind, also die vollkommen gleiche Sphäre des Umfangs haben.
  13.086[2]   Notabene. manchmal auch solche, welche nur ausnahmsweise getrennt vorkommen.
  13.086[3]   2. Von ungleichem Umfang: a) völlig: disjunkt, unvereinbar, d.h. unter welche nicht zugleich in einer und derselben Beziehung und einem und demselben Teil nach ein und derselbe Gegenstand fallen kann, z.B. Rot und Weiß. b) teilweise (vereinbar, aber nicht immer vereinigt): 1. übergeordnet (höher): einseitige Trennbarkeit, 2. untergeordnet (niederer): auch einseitige Trennbarkeit, 3. sich kreuzend: wechselseitige Trennbarkeit.
  13.086[4]   Die Zerlegung des gesamten Umfangs eines höheren Begriffs in die von mehreren ihm untergeordneten disjunkten heißt Einteilung. Die Begriffe, in deren Umfänge bei einer wissenschaftlichen (zweckgemäßen) Einteilung der Umfang eines höheren Begriffs zunächst zerlegt wird, heißen koordinierte Begriffe. Zum Beispiel: rechtwinklig ‐ schiefwinklig Parallelogramm quadratisch oblong Rombus Romboid. Rechteck (parallel) wird in Quadrat und Oblongum eingeteilt, Schiefeck (Parallelogramm) in Rombus und Romboid.
  13.086[5]   Notabene. Der Umfang eines Begriffes hängt von seinem Inhalt ab. Es kann aber dasselbe Verhältnis des Umfangs aus verschiedenen Inhaltsverhältnissen resultieren.
  13.086[6]   So können Begriffe äquipollent sein, weil sie identisch sind.
  13.086[7]   Sie können aber auch äquipollent sein, ohne identisch zu sein. Dann ist das eine ein Proprium, ἴδιον des anderen (im aristotelischen Sinn). Es können Begriffe disjunkt sein, weil sie kontradiktorisch oder privativ oder in einer der von

117
uns unterschiedenen Weisen positiv entgegengesetzt sind. Denn alle entgegengesetzten Begriffe sind disjunkt. Notabene. Immer muss eine Art Gegensatz vorhanden sein, nur oft ohne dass wir ihn kennen.)
  13.087[1]   Bei den positiv entgegengesetzten haben in unserer Zeit nur darum einige Logiker mit einigem Schein Einsprache erhoben, weil der Begriff des positiven Gegensatzes falsch gefasst wird. Warm und weiß ist kein positiver Gegensatz, denn sie haben nicht wahrhaft ein und dieselbe Gattung; eben so wenig: guter Mensch und schlechter Musikant. Und auch das kann keine Instanz sein, dass die Amsel zugleich schwarz und gelb ist, denn wir sagten, disjunkt seien siehe oben
  13.087[2]   Begriffe, bei welchen aus Erfahrung folgt, dass sie disjunkt sind. ] Hier aber nicht einem und demselben Teil nach. Begriffe, bei welchen aus Erfahrung folgt, dass sie disjunkt sind.
  13.087[3]   Notabene. Fügt man zu den Merkmalen eines Begriffes andere Merkmale hinzu, so wird der neue Begriff dem alten entweder äquipollent (wenn ein übergeordneter oder ein äquipollenter) oder untergeordnet (wenn ein untergeordneter oder sich kreuzender) , niemals aber übergeordnet sein. (Beschränkung, Restriktion.) Umgekehrt: Nimmt man von den Merkmalen eines Begriffs einige hinweg, so wird der neue Begriff dem alten äquipollent (wenn ein dem Rest übergeordneter oder äquipollenter) oder übergeordnet (wenn ein dem Rest untergeordneter oder sich kreuzender), nie aber untergeordnet sein. (Erweiterung, Amplifikation.) Dies ist es, was man sagen will mit der Regel: Je größer der Inhalt, desto kleiner der Umfang. Je kleiner der Inhalt, desto größer der Umfang. Genauer: gleich oder kleiner / größer.
  13.087[4]   Notabene. Ein weiterer Sprachgebrauch der Namen Gattung und Art nennt alle durch wissenschaftliche Einteilung koordinierten allgemeinen Begriffe, die sich in den Umfang eines höheren Begriffs teilen, seine Arten; und diesen ihre Gattung.
  13.087[5]   Ist ein Artbegriff durch Hinzufügung neuer Merkmale zum Gattungsbegriff gebildet, so heißen die hinzugefügten Merkmale Differenzen. Sie können untergeordnet oder kreuzend sein.

118
Man unterscheidet dann weiter Gattungen und niedrigste Arten von den Arten, welche zugleich Gattungen sind. – Nächste Gattung – nächste Differenzen und Arten.
  13.088[1]   Notabene. Der Begriff der niedrigsten Art unterliegt einer Schwierigkeit. Denn durch Hinzufügung neuer und neuer allgemeiner Bestimmungen kann man ins Unendliche restringieren. Aber sie löst sich daraus, dass die Einteilung von einem einheitlichen Zweck geleitet sein muss.
  13.088[2]   In diesem Sinne muss die Einteilung stetig sein. Sie muss ununterbrochen denselben Zweck bei den weiteren und weiteren Zergliederungen verfolgen.
  13.088[3]   Täte sie das (einmal) nicht, so würde die Einteilung nicht zu eigentlichen Arten führen, z.B. wenn ich als Mathematiker die Körper in Körper mit ebenen und unebenen Flächen einteile, die ersten dann in vierflächige, fünfflächige u.s.w. scheide, und nun auf einmal, indem ich mich etwa auf den Standpunkt von Jemand stelle, der in einem Körper eine[?] gewisse[?] Form abgrenzen[?] will, die vierflächigen in harte und weiche einteilen wollte. Das sind keine Arten. Darum

119
also sind allerdings niedrigste Arten möglich.
  13.089[1]   Notabene. Der Begriff der höchsten Gattung unterliegt von vornherein einer solchen Schwierigkeit nicht, weil es einfachste Begriffe gibt, während die Zusammensetzung endlos fortgesetzt werden könnte.
  13.089[2]   Notabene. Ein aus mehreren Namen zusammengegliederter Namen, welcher die Gattungen und Differenzen eines Artbegriffs ihrer Stufenfolge nach verzeichnet, oder auch zweigliedrig der nächsten Gattung und der letzten Differenz eines Artbegriffs entspricht, heißt Definition, z.B. rechtwinkliges Parallelogramm Rechteck eigentlich ungleichseitig. ] (Rechteck); gleichseitiges Rechteck (Quadrat): gleichseitige, rechtwinklige, die gegenüberliegenden Seiten parallel habende, viereckige, geschlossene, geradlinige, ebene Figur (Quadrat).
  13.089[3]   Notabene. Wir haben soeben bemerkt, dass eine Einteilung, welche eine Gattung in Arten, die Arten in Unterarten u.s.f. zerlegen wolle, stetig sein, d.h. dass ein einheitlich festgehaltener Zweck bei den früheren und späteren Einteilungen leiten müsse. In demselben Sinne müssen demnach auch die Glieder einer Definition stetig sein. Ein gleichseitiges Rechteck ist eine Definition, ein rotes Rechteck

120
keine, weil ein rotes Rechteck keine Art von Rechtecken ist, auch nicht, wenn ich es mit einem Namen nenne, z.B. Rubrangel.
  13.090[1]   Aristot. Metaphysik Z ] Man hat aber manchmal noch in einem anderen Sinne Stetigkeit der Definition verlangt (Aristoteles, Metaphysik Z) . Man hat gesagt, jede folgende Differenz müsse eine Differenz der vorhergehenden sein. Und man verstand dies so: Wenn man z.B. die Gattung Tier in die zwei Arten, der Tiere, die Füße haben, und derer, die keine haben, scheide, so dürfe man dann die Füßehabenden nicht etwa in Geflügelte und Ungeflügelte, sondern etwa in gespaltene Füße Habende und ungespaltene Füße Habende scheiden u.s.f. Also jede folgende Differenz müsse von einem Unterschied der früheren Differenz genommen sein. Allein, diese Bestimmung ist nicht richtig, und wird durch jeden Versuch, der sich praktisch an eine solche Regel halten will, widerlegt. Nur bei den Definitionen im engeren Sinn, wenn anders es hier höhere und niedere Gattungen gibt, ist eine derartige Stetigkeit erforderlich, z.B. farbig, rot, scharlachrot. Bei den anderen würde sie meistens oder immer nur auf Kosten der in Wahrheit geforderten Stetigkeit, d.h. der stets festgehaltenen Einheit des Zweckes zu erreichen sein. So würde z.B. die Zoologie, wenn sie sich an eine solche Regel hätte binden wollen, ihre musterhaften und bis jetzt unübertroffenen Klassifikationen und Definitionen (der Tierarten) nie gefunden haben.
  13.090[2]   Notabene. Betrachten wir eine Definition, die von einem höchsten Gattungsbegriff bis zu einem niedrigsten Artbegriff hinunterreicht, so sind mit jedem der in ihr enthaltenen Gattungs- und Artbegriff gewisse andere

121
nicht in die Definition aufgenommenen Begriff vereinbar und zum Teil auch allgemein oder regelmäßig damit vereinigt. Begleiten solche Begriffe allgemein oder regelmäßig einen Gattungs- oder Artbegriff, so heißen sie, wenn dieser der höchste in der Definition ist, dem sie in dieser Weise folgen, Eigentümlichkeiten, Propria dieser Gattung oder Art, z.B. zweihändig, zweifüßig, beim rechtwinkligen Dreieck, dass das Quadrat der größten Seite gleich ist dem Quadrat der beiden kleineren. Ist er dagegen nicht der höchste, so heißen sie (wohl) notwendigeallgemeine Eigenschaften, nicht aber Eigentümlichkeiten der Art, z.B. die Eigenschaft, die dem Menschen zukommt, zu sterben. In Bezug auf die dem Begriff, dessen Propria sie sind, übergeordneten Gattungen heißen sie untrennbare zufällige Eigenschaften, z.B. zweihändig für Tier (weil Proprium von animal rationale).
  13.091[1]   Die übrigen heißen einfach Zufälligkeiten, zufällige Eigenschaften, Akzi

122
dentien, akzidentelle Eigenschaften. Kommt eine solche zufällige Eigenschaft nurnie anders als mit einem Begriff der Definition vereinigt vor (aber natürlich ohne ihn allgemein oder regelmäßig zu begleiten), so heißt sie zufällige Besonderheit der Art oder Gattung, z.B. Spitzbube oder Diplomat als eine zufällige Besonderheit der Art Mensch.
  13.093[1]   Gattung, Art, Differenz, Proprium, Akzidenz hat man die fünf Prädikabilien genannt.
  13.093[2]   Es ist zu beachten, dass hier der Namen Proprium etwas anders als früher gefasst wird, wo er die äquipollenten, nicht-identischen Begriffe bezeichnete. Wir werden, wenn wir von Propriis sprechen, immer die hier zuletzt angegebene Bedeutung festhalten (zweifüßig: Vögel).
  13.093[3]   Notabene. Das durch den Namen Propria angedeutete Verhältnis ist von vorzüglicher Wichtigkeit, und um ihretwillen vorzüglich haben auch die Definitionen Wert. Denn die Wissenschaft hat ein Interesse zu erkennen nicht bloß, dass gewisse Eigenschaften einem Ding zukommen, sondern auch, warum sie ihm zukommen. Und dies findet sie bis zu einem gewissen Maß, indem sie zeigt, an welchen der Gattungsbegriffe oder Differenzen die Eigenschaft zuerst regelmäßig geknüpft ist. τὸ καϑόλου τίμιον ὅτι δηλοῖ τὸ αἴτιον. Dazu dient nun natürlich ganz besonders die De-


123
finition, welche jedes der in einem Artbegriff eingeschlossenen allgemeinen Merkmale, an welche sich eine Reihe von Eigentümlichkeiten anknüpft, mit größerer Bewusstseinsstärke und Deutlichkeit hervortreten lässt. Die Definition, sagt man darum auch, enthält den Grund für die Eigentümlichkeiten.
  13.094[1]   Notabene. Von besonderer Wichtigkeit unter allen Einteilungen und ihnen zugehörigen Definitionen sind natürlich die nach den wesentlichen Bestimmungen. An sie schließen sich ja die meisten Propria an. Ihre Gattungen und Arten heißen Gattungen und Arten der Dinge κατ᾽ ἐξοχήν ] oder auch natürliche Gattungen und Arten κατ᾽ ἐξοχήν .
  13.094[2]   Einlage Notabene. Wie man es anstellen muss, um zweckgemäße Einteilungen und Definitionen zu geben, das ist selbst ein Problem, dessen Lösung nach den Regeln der Entdeckung entdeckt und denen der Prüfung geprüft werden muss. Wir können hier noch nicht davon handeln.
     
III Verhältnisse der Namen.
  13.094[3]   1. Was wir hier ins Auge fassen, sind einzig die Verhältnisse der Namen, die ein und demselben in ein und demselben Sinn zukommen.
  13.094[4]   2. Diese Namen nun sind identisch oder nicht identisch. Und im letzten Fall sind sie das, was wir synonyme Ausdrücke nennen, z.B. Kleid – Anzug, Mensch – animal rationale. Anders die aristotelischen Synonyma. Aristoteles nennt so die gleichen Namen, die in gleichem Sinn verschiedenen Dingen zukommen. Er sagt dann, es werde ein Namen συνονύμως opp. ὁμωνύμως (univoceaequivoce) von mehreren Dingen ausgesagt.
  13.094[5]   3. Willkürlich schaffen kann man so viele man will.
  13.094[6]   4. Von den in der Sprache gegebenen s.g. Synonymen sind dagegen viele nicht wahrhaft und vollkommen synonym. Wir haben dies gesehen, da wir von den Ausdrücken, die, wie wir sagten, Farbe haben, sprachen. Auf den ersten Blick scheinen sie den entsprechenden farblosen Ausdrücken und denen, die durch die Andeutung einer anderen Stimmung in anderer Weise ge-


124
färbt sind, synonym, ohne dass sie es doch wahrhaft wären.
     
  13.095[1]   Notabene. Notabene. In einer koordinierten Reihe besteht zwischen den koordinierten Gliedern oft ein natürliches Früher-und-Später, relative Unabhängigkeit, Vollkommenheit (unter Umständen auch Zugänglichkeit für unsere Forschung). Ich sage oft, nicht immer. Wo das der Fall ist, da sind besonders die beiden äußersten Glieder interessant.
  13.095[2]   Notabene. Notabene. Notabene. Συγγινῆ (verwandt, homogen) nennt man Begriffe, die wissenschaftlich zusammengehörig sind, wie z.B. solche, die zu derselben Definition gehören (wie Art und Gattung) bei wissenschaftlichen Klassifikationen. Oder wenn immer ein Artbegriff äquipollent (Proprium eines Artbegriffes) ist und als solches auf Grund der Prinzipien der Wissenschaft (in Verbindung mit dem Proprium der früheren) nachgewiesen werden kann,

125a
z.B. dass das gleichseitige Dreieck gleichwinklig, nicht, dass es das schönste, dass beim Kreis bei gleicher Grenze der größte Inhalt, nicht, dass er die schönste geometrische Linie oder wenn dies die Gerade, nicht dass sie es, dagegen, dass sie die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten.
  13.096[1]   Notabene. Notabene. Notabene. Notabene. Frühere – spätere Wissenschaft (wie eben erwähnt): 1. innerhalb derselben Linie einer Definition (Differenzierung). Die vom übergeordneten Begriff früher; 2. ἐκ προσϑέσεως (Kombinierung); unter koordinierten Begriffen die einfacheren früher. Comtes Hierarchie der Wissenschaften: Mathematik. Physik. Chemie. Physiologie. Soziologie. (Metaphysik). (Astronomie. Mechanik). (Psychologie).
     

125b
     
  13.098[1]   5. Aber wenn auch viele bloß scheinbar synonym sind, immerhin bleibt es gewiss, dass es ( auch unter den in der Sprache gegebenen Ausdrücken) wirkliche und vollkommene Synonyma gibt.
  13.098[2]   6. Namentlich können wir für die einfachen Namen, die mittels einer zusammengesetztengesetzten Vorstellung etwas benennen, einen vollkommen synonymen mehrgliedrigen Namen setzen.
  13.098[3]   Zwischen solchen vollkommen synonymen Ausdrücken finden aber doch manche Unterschiede statt. a) Der eine kann bekannter, der andere minder bekannt, nicht misverständlich, misverständlich (in der Form falsches Gold) ] b) der eine univok, der andere äquivok (nicht misverständlich misverständlich (in der Form falsches Gold“)) , c) der eine schärfer, der andere verschwommener sein, d) der eine endlich kann mehr als der andere geeignet sein, die Teile des Vorgestellten im einzelnen oder auch den einen oder anderen einzelnen Teil des Vorgestellten kräfttig ins Bewusstsein zu rufen (die Aufmerksamkeit darauf zu richten) .

125
Er kann, um mich des Ausdrucks zu bedienen, in dem einen oder anderen oder auch in allen Punkten markierender sein.
  13.099[1]   8. In allen diesen Fällen dient der eine Namen dem anderen, der bekanntere dem minder bekannten, der minder äquivoke dem mehr äquivoken, der schärfere dem verschwommeneren, der markierendere dem minder markierenden zur Erklärung und Verdeutlichung.
  13.099[2]   9. Und eine solche Erklärung nennt man mit einem Ausdruck (den wir schon mehrmals in anderem Sinn gebrauchen hörten) Definition, und bestimmter: Nominaldefinition. Eine Definition in diesem Sinn ist also die Erklärung eines unbekannteren, vieldeutigeren, minder scharfen oder minder markierenden Ausdrucks, mit einem Wort, eines in irgend einer Beziehung minder (klar) verständlichen Namens durch einen gleich bedeutenden verständlicheren.
     

126
     
  13.100[1]   10. Hieraus lässt sich leicht erkennen, was zu einer solchen Definition und was zur Vollkommenheit einer solchen Definition gehört: 1)' dass sie dieselbe Bedeutung wie der definierte Namen hat, 2)' dass sie in irgend einem Sinn und in irgend einer Beziehung, die gerade in Betracht kommt, verständlicher ist als er. Ist diesen Bedingungen nicht genügt, so ist die Definition ganz wertlos und gar nicht Definition zu nennen. Vollkommen aber wird sie dann sein, wenn sie den definierten Namen entweder überhaupt oder doch in der verlangten Beziehung vollkommen verständlich macht, was sie dann tut, wenn sie entweder als seine Definition oder, was noch besser ist, schon an und für sich und in sich selbst in der verlangten Beziehung vollkommen verständlich ist.
  13.100[2]   11. Der Unterschied, auf den ich in den letzten Worten anspiele, wird Ihnen sogleich deutlich werden.
  13.100[3]   a) Wenn ich einem sage: Gespannt sein heißt in üblem Einvernehmen stehen, so ist die Definition an und für sich, und in sich selbst vollkommen verständlich. Und ebenso, wenn ich einem Anfänger in Latein sage: vos heißt ein Ochse (denn auch das ist eine Nominaldefinition).
  13.100[4]   1' b) Wenn ich aber einem sage: Gefesselt mächtig u. dauernd angezogen ] werden heißt mächtig und dauernd angezogen und festgehalten werden , so ist die Definition nicht an und für sich vollkommen verständlich, aber als Definition (als Erklärung von gefesselt ist es die deutliche Bezeichnung des betreffenden psychischen Zustandes).
  13.100[5]   2' Ebenso wenn ich sage: Seele heisst Lebensprinzip (Maxime). Als Erklärung von Seele ist aber der Ausdruck vollkommen deutlich und verdeutlicht ihn. Gewiss ist, dass ich von keiner Heringsseele spreche.
  13.100[6]   3' Oder umgekehrt, wenn ich von der Heringsseele spräche und ich würde sagen: Seele heißt Fischblase (Gotik).
  13.100[7]   4' So wären noch zahlreiche Beispiele möglich, z.B. Vergehen heißt aufhören (= aufhorchen, mit Aufmerksamkeit zuhören; aber es ist klar, dass nicht vom Verbrechen die Rede ist) u.s.w.
  13.100[8]   Es kann also allerdings geschehen, dass eine an und für sich nicht vollkommen verständliche Definition das Definierte vollkommen verständlich macht, weil sie als Definition vollkommen verständlich ist. Es kann, wie es die gegebenen Beispiele zeigen, geschehen, dass ein äquivoker Namen den anderen erklärt und (wenn er nur eine Bedeutung mit ihm gemein hat) vollkommen erklärt.
  13.100[9]   Und ebenso könnte ein verschwommener Ausdruck einen schärferen äquivoken und umgekehrt erklären, u. dgl.

127
In allen diesen Fällen ist die Definition nicht an und für sich so vollkommen verständlich als verlangt ist, aber sie ist es als Definition. Immerhin ist es besser, wenn sie es auch an und für sich ist.
  13.101[1]   12. Aus dem Begriff der Definition folgt nun aber weiter auch, was definiert und was nicht definiert werden kann. Eine Definition kann von jedem Namen gegeben werden, dem ein in irgend einer Betracht verständlicherer Ausdruck synonym ist.
  13.101[2]   13. Und es ist nützlich und unter Umständen notwendig, dass in der Wissenschaft jeder Namen, der in einem gewissen Sinn und in einer gewissen Beziehung, auf die es gerade ankommt, minder verständlich ist, als ein anderer ihm entsprechender durch ihn definiert werde.
  13.101[3]   14. Wie man solche Namen, die nicht ganz verständlich sind, für die aber auch kein verständlicherer Ausdruck gegeben ist, verdeutlicht, werden wir später sehen.
  13.101[4]   15. Man sieht aus dem Gesagten, dass zwei Ausdrücke sich gegenseitig definieren können, a) weil beide „als Definition“ verständlich sind (Nr. 11); b) weil der eine in einer, der andere in einer anderen Beziehung, der eine in dem einen, der andere in einem anderen Sinn vollkommener verständlich ist. Es fragt sich nur, auf welche Weise der Verständlichkeit es im besonderen Fall besonders ankommt.
     

128
     
  13.102[1]   16. a) Die wenigen Regeln, die wir für die Nominaldefinition gegeben haben, sind die einzigen, die allgemein gültig sind. b) Die Logiker geben gewöhnlich eine viel größere Zahl. Diese sind aber teils in den unseren inbegriffen, teils haben sie nur für spezielle Fälle Wert, teils endlich beruhen sie auf einer Konfusion der Nominaldefinition mit der Definition des Artbegriffs, von der wir früher gehandelt haben. Der Unterschied zwischen der einen und der anderen ist nach allem, was über jede von beiden gesagt worden ist, einleuchtend. Die eine ist ein Teil einer Klassifikation bei einheitlich festgehaltenem Zweck; die andere ist eine Namenserklärung. Die eine ist nur bei gewissen Begriffen, bei Artbegriffen möglich; die andere verlangt nur, dass es für einen Namen einen gleichbedeutenden und in einer gewissen Weise verständlicheren Ausdruck gibt, möge nun der ihm zugehörende Begriff ein Artbegriff sein oder nicht.
  13.102[2]   17. Um nichts zu versäumen und Ihnen die Gelegenheit zu geben, sich selbst zu überzeugen, will

129
ich Ihnen kurz die Regeln, die da und dort gefunden werden, vorführen.
  13.103[1]   I. Die Definition soll nicht Überfluss noch Mangel haben. Nämlich mit dem Definierten verglichen; sie soll die sämtlichen Merkmale, aber nicht mehr Merkmale als der definierte Namen anzeigen. Dies ist eingeschlossen in unserer Forderung, die Definition müsse dem Definierten gleichbedeutend sein. Dasselbe gilt:
  13.103[2]   II. Was von der Definition gilt, muss auch vom Definierten gelten, und umgekehrt. Andere drücken dasselbe so aus, dass sie sagen, die Definition dürfe nicht zu weit und nicht zu eng sein, d.h. sie muss den gleichen Umfang mit dem Definierten haben. Was sich, wenn sie den gleichen Inhalt hat, von selbst versteht. Identische Begriffe sind ja immer und im strengsten Sinn äquipollente Begriffe.
  13.103[3]   III. Die Definition darf keine anderen als wesentliche Merkmale enthalten. Unter wesentlichen Merkmalen versteht man aber in dem Begriff des Definierten inbegriffene Merkmale. Somit ist auch diese Regel (die nur einen Teil der ersten wiederholt) in unserer Forderung, dass die Definition dem Definierten gleichbedeutend sein müsse, eingeschlossen.
  13.103[4]   IV. Die Definition soll klarer als das Definierte sein. Das ist dasselbe, was auch wir, nur mit näheren Erläuterungen, gesagt haben. Sie muss das Definierte in irgendeinem Sinn verständlicher machen und also entweder an und für sich oder doch als Definition verständlicher sein.
  13.103[5]   V. Ähnliches gilt von der Regel: die Definition soll nur vollkommen bekannte oder bereits erklärte Ausdrücke enthalten (Pascal). In unserer Regel von der vollkommenen Definition ist diese eingeschlossen.
  13.103[6]   VI. Die Definition darf nicht den definierten Namen (ganz oder teilweise) wiederholen. (Idem per idem.) Diese Regel gilt nicht ganz allgemein. Sie gilt, wenn es sich um die Definition ganz unbekannter, nicht aber in gleichem Maß, wenn es sich z.B. um die Definition äquivoker Namen handelt. Gesetz = gesetzle Vorschrift (opp Naturgesetz) ] Zum Beispiel könnte einer wohl den Ausdruck trüb, den er metaphorisch gebraucht, erklären als trüb gestimmt. „Gesetz“ = „gesetzliche Vorschrift“ (opp. „Naturgesetz“). Ebenso könnte einer, um das, was

130
der Name Röte bedeutet, seinem allgemeinen Merkmal nach markierender zu bezeichnen, sagen: Röte heißt rote Farbe. Dass natürlich die bloße Wiederholung eines und desselben Namens niemals eine Definition sein kann, versteht sich von selbst.
  13.104[1]   VII. Die Definition soll mehrgliedrig (oder auch:) sie soll eine Analyse des definierten Namens sein (worin die dritte Regel mitinbegriffen ist). Diese Regel könnte auf eine Verwechslung der Nominaldefinitionen (eigentlich des Begriffs, der die Bedeutung des definierten Namens ist) mit den Definitionen von Artbegriffen gedeutet werden. Indessen ist sie auch bei der Nominaldefinition häufig am Platze, wenn sie auch hier nicht allgemein gültig ist. Die mehrgliedrigen Namen sind meistens in vorzüglicher Weise für Nominaldefinitionen geeignet. 1) Einmal schon darum, weil sie gewöhnlich bekannter sind. Je einfacher ja ein Begriff ist, den ein Namen bezeichnet, um so größer ist sein Umfang, und um so häufiger wird sein Name angewandt. Da wir von dem Unterschied der

131
einfachen und mehrgliedrigen Ausdrücke sprachen, haben wir dieses Vorzugs erwähnt. 2) Dann, weil ein mehrgliedriger Ausdruck seltener äquivok ist. Denn sollte auch ein einzelner äquivoker Name darin vorkommen, so wird er doch oft durch die ihm beigefügten erklärt. 3) Ferner, weil er seltener verschwommen oder wenigstens nicht gleich verschwommen ist, indem er ja gewisse Merkmale gesondert feststellt. 4) Endlich auch, weil er für einzelne Merkmale mehr markierend ist, sie mit größerer Bewusstseinsstärke in die Vorstellung treten lässt (die Aufmerksamkeit darauf richtet) . Eine solche mehrgliedrige Definition oder Analyse eines Namens ist nun aber nicht bloß nicht in jedem Fall notwendig, wo man einer Definition bedarf, sie ist auch nicht für alles das möglich, wofür eine Definition überhaupt möglich ist.

132
Sie ist möglich für alle Namen, die eine zusammengesetzte Bedeutung habendenen ein zusammengesetzter Begriff entspricht (in recto oder in obliquo). Wollte ich dem Knaben durch eine mehrgliedrige Definition klar machen, was res sei, so würde ich mich umsonst bemühen; ich sage einfach: res heißt ein Ding.
  13.106[1]   VIII. Die Logiker fordern aber nicht bloß gemeiniglich, dass die Definition mehrgliedrig, die meisten fordern, dass sie speziell zweigliedrig sein müsse. Sie müsse, sagen sie, aus Gattung und Differenz bestehen. a. 1. Dass in den letzten Worten eine Verwechslung der Nominaldefinition mit der Definition einer Art vorliegt, ist offenbar. (Schimmel, Franzose.) Nicht jeder Name, auch wenn ihm ein zusammengesetzter Begriff entspricht, ist ja der Name einer Art, die Gattung und Differenz unterscheiden lässt. 2. Auch kann einem Namen ein Begriff zugehören, der aus zwei äquipollenten Begriffen zusammengesetzt ist, z.B. ein Ponderables (und ein Ausgedehntes). b. Aber auch davon abgesehen, scheint es eine sonderbare Bestimmung, dass die Nominaldefinition zweigliedrig sein müsse. Man sollte meinen, ein dreigliedriger, viergliedriger Name, ja ein Name, der einen sehr zusammengesetzten Begriff allen seinen Merkmalen nach analysiere, müsse dem Zweck der Erklärung in jeder Weise mehr als ein zweigliedriger Name dienen. So hat denn auch z.B. J. St. Mill gegen diese Regel als eine ganz willkürliche und ungereimte Protest eingelegt. Je vollständiger die Analyse, um so mehr, meint er, sei die Definition Definition. Und er will darum die Definition, welche die Analyse vollständig gibt, allein direkte, die andere nur indirekte Definition genannt wissen.
  13.106[2]   Nichtsdestoweniger scheint mir in häufigen Fällen auch diese Regel dienlich, und zwar a) sooft, es gilt, ein bestimmtes Merkmal eines Begriffes als besonders markierend zu bezeichnen. Es wird dies mehr durch jeden vielgliedrigen Namen, der das Merkmal besonders nennt, als durch einen einfachen Namen geschehen; aber mehr noch speziell durch einen zweigliedrigen, dessen eines Glied das zu markierende Merkmal nennt. Die Aufmerksamkeit wird dann weniger zerteilt und in Folge dessen die betreffende Bestimmung mit größerer Stärke des Bewusstseins hervorgehoben werden. b) Dazu kommt dann noch die Unbequemlichkeit eines allzu vielgliedrigen Ausdruckes.
     

133
     
  13.107[1]   IX. Man fordert weiter sehr häufig: Die Differenz dürfe die Gattung nicht enthalten.
  13.107[2]   Nach dem schon Bemerkten kann darin nicht mehr ausgesprochen sein, als dass von den zwei Gliedern des definierenden Namens keines die Merkmale, welche dem anderen entsprechen, in seine Bedeutung einschließen dürfe.
  13.107[3]   Dies ist nun wieder eine Bestimmung, die nicht bloß nicht schlechthin für alle Definitionen, sondern auch nicht durchwegs für die zweigliedrigen Definitionen gültig ist.
  13.107[4]   Zum Beispiel: Wenn ich Röte definiere als rote Farbe, so ist dies sogar die einzigmögliche Weise, sie zweigliedrig zu definieren.
  13.107[5]   In anderen Fällen dagegen wird es möglich sein, wie z.B. wenn ich einen Schimmel als weißes Pferd definiere.
  13.107[6]   Und in solchen Fällen begreift es sich wohl, wie es besser ja durch den Zweck der Definition als notwendig geboten sein kann, der hier gegebenen Regel zu folgen.
  13.107[7]   Die Definition wird eben dann nicht bloß für den einen Teil der Merkmale, sondern auch für den anderen markierender sein als der definierte Namen, was, wenn das eine Glied für sich allein ebensoviel wie der definierte Namen

134
besagt, selbstverständlich unmöglich ist, wie bei rote Farbe.
  13.108[1]   X. Endlich fordert man gewöhnlich, die Definition müsse nicht bloß aus Gattung und Differenz, sondern aus der nächsten Gattung und letzten Differenz bestehen.
  13.108[2]   Es kann dies nach Beseitigung dessen, was aus der fortdauernden Konfundierung der Definition eines Artbegriffs und der Nominaldefinition fließt, keinen anderen Sinn haben, als dass von den zwei Gliedern des definierenden Ausdrucks, von denen nach der vorigen Regel vorausgesetzt wird, dass keines die Merkmale des anderen mit einschließt, das eine ein einziges beschränkendes Merkmal, das andere alle übrigen bedeuten müsse, wie z.B. bei Schimmel: weißes Pferd.
  13.108[3]   Das eine soll also einem möglichst kleinen Teil, das andere dem ganzen Rest des Inhalts des Definierten entsprechen.
  13.108[4]   So gefasst mag die Regel oft zu beachten sein, weil der Umstand, dass die Bedeutung des einen Namens nur ein unterscheidendes Merkmal enthält, dazu dient, diese so vereinzelte Bestimmung ganz besonders zu markieren.
  13.108[5]   Diese Regel beruht auf den beiden vorausgehenden. Bestände wirklich jede Definition, oder wenigestens jede mehrgliedrige, aus Gattung und Differenz und schlösse die Differenz nie den Gattungsbegriff ein, so müsste sie offenbar aus der letzten Differenz und der nächsten Gattung bestehen. Denn wäre die angegebene Differenz nicht die letzte, so wäre die Definition zu weit, und wäre die angegebene Gattung nicht die nächste, sondern eine höhere Gattung, so würde die Definition nicht alle Merkmale des Definierten einschließen. Sie würde Mangel haben, da das Merkmal, welche die Differenz der nächsten von der höheren Gattung ausmacht, in der Definition nicht inbegriffen wäre.
  13.108[6]   Beseitigt man demnach aus dieser Regel, was aus der fortwährenden Konfundierung der Definition eines Artbegriffs und der Nominaldefinition fließt, so sind dies die einzigen Bestimmungen , die sie zu der früheren Regel, dass die Defi-


135
nition zweigliedrig sein sein solle, hinzufügt. Von ihnen aber ist es offenbar, dass sie in der von uns gestellten Forderung, dass die Definition dem Definierten gleichbedeutend sein müsse, eingeschlossen ist.
  13.109[1]   Dieses also ist etwa die Wahrheit und der Wert in den üblichen Regeln für die Definition.
  13.109[2]   Sie sehen, dass ich mit Recht gesagt habe, dass sie, so weit sie allgemein gültig sind, in unseren wenigen oben gegebenen Forderungen eingeschlossen sind.
  13.109[3]   Im Übrigen haben sie zum Teil in einzelnen Fällen Bedeutung, zum Teil aber sind sie nur aus der Konfusion zweier Definitionen in ganz verschiedenem Sinne entsprungen.
  13.109[4]   So sind die Regeln ein wahres Verderben.
  13.109[5]   a) Unnütze Schwierigkeit , wahrer logischer Schnürstiefel“ im drückendsten Sinn des Wortes (und großenteils stammt daher die Furchtsamkeit, wenn man eine Definition geben soll);
  13.109[6]   b) ein unüberwindliches Hindernis (ähnlich wie bei der Definition, welche Teil der Klassifikation ist).
  13.109[7]   Wer an die falschen Regeln sich bindet, schließt die Möglichkeit der Lösung des Problems aus.
  13.109[8]   18. Was wir bis jetzt behandelt haben, war die Nominaldefinition im engeren Sinne.
  13.109[9]   Es gibt aber noch die Nominaldefintion im weiteren Sinne, die man die deskriptive (beschreibende) Defintion genannt hat.
  13.109[10]   Sie findet namentlich in den Fällen, auf die wir auch schon gelegentlich hingewiesen haben, Anwendung, wo einem Namen, der einer Erklärung bedarf, kein gleichbedeutender verständlicherer Ausdruck entspricht.
  13.109[11]   Es bleibt dann nichts übrig, als ihn durch einen Ausdruck, der nicht gleichbedeutend ist, aber auf die entsprechende Bedeutung hinweist, zu erklären.
  13.109[12]   Dies kann in mannigfacher Weise geschehen: durch Angabe von Eigentümlichkeiten, von zufälligen Eigenschaften, von Ursachen oder Wirkungen, oder auch von Beispielen, indem man natürlich immer das Verhältnis dessen, wodurch erklärt wird, zum Erklärenden bemerkt.
  13.109[13]   So z.B. wenn mich einer, der unvollkommen Deutsch verstünde, fragte: Was versteht man unter Schwarz?“ und ich würde sagen: Eine Farbe wie die des Kleides, das ich trage.
  13.109[14]   Was versteht man unter einem

136
Knall? – Ein Geräusch wie das einer Peitsche oder einer Flinte.
  13.110[1]   Auch das wären zirkumskriptive Definitionen:
  13.110[2]   Der Sauerstoff ist das schwerere unter den beiden chemischen Elementen, in welche das Wasser zerlegt werden kann.
  13.110[3]   Oder: Der Sauerstoff ist jener Bestandteil der atmosphärischen Luft, der den Verbrennungsprozeß in der Lunge erhält.
  13.110[4]   Und wiederum: Wahr nennt man ein Urteil, welches verneint, was zu verneinen, oder bejaht, was zu bejahen ist.
  13.110[5]   Oder: Unter einem Kleidungsstück versteht man einen Schuh oder Strumpf oder Rock oder Helm oder Ring oder etwas anderes der Art.
  13.110[6]   Besonders die Verdeutlichung durch Beispiele ist ein sehr dienliches Mittel der Erklärung, weil hier die Definition, wenn sie auch nicht dem Definierten gleichbedeutend ist, doch seine Merkmale enthält und veranschaulicht.
  13.110[7]   Nur muss man Acht haben, dass die Beispiele aus den verschiedensten Teilen der Begriffssphäre des zu definierenden Namens

137
entnommen sind, und keinen anderen außer den höheren, in ihm eingeschlossenen Begriffen gemein haben.
  13.111[1]   19. Die Nominaldefinitionen sind an und für sich willkürlich, denn die Worte sind nicht natürliche Zeichen, wie etwa ein Schrei das natürliche Zeichen eines Schmerzes, oder ein Lachen das natürliche Zeichen einer heiteren Stimmung ist, sondern sie erhalten ihre Bedeutung durch die positive Bestimmung der Menschen.
  13.111[2]   Es könnte einer also z.B. das, was wir Rhombus nennen, eben so gut Ofen nennen, und sagen: Unter einem Ofen verstehe ich ein gleichseitiges Parallelogramm mit schiefen Winkeln.
  13.111[3]   Daher lässt sich auch an und für sich über Namen und Definitionen nicht streiten. (Zahl, ob Eins? – Wenn bestimmte Vielheit: nein; wenn das, was angibt, wie viele, ja, und sogar keines eine Zahl. Cf. Arnauld IV, 5 (Simon Stevin). Person, ob vernünftiges Individuum oder vernünftiges Suppositum.)
  13.111[4]   20. Nichtsdestoweniger wäre es zu tadeln, wenn einer ohne triftigen Grund die herkömmliche Bedeutung eines Namens ändern, also z.B. das Wort Ofen im Sinne des Wortes Rhombus gebrauchen wollte.
  13.111[5]   Nach jeder Seite hin würde dadurch der Vorteil, den die Sprache bietet, beeinträchtigt werden.
     

138
     
  13.112[1]   a) 1' Denn zunächst ist offenbar, dass sie zu einem minder vollkommenen Mittel des Gedankenaustausches werden und häufige Missverständnisse zur Folge haben würde.
  13.112[2]   2' Und ins Extrem geführt, d.h. wenn einer jedesmal jeden beliebigen Sinn dem Worte gesellte, würde der Zweck sogar vollständig vereitelt sein. Spräche ja doch der Sprechende eine ganz neu erfundene und jedem Hörenden völlig fremde Sprache.
  13.112[3]   b) Ähnliches gilt dann auch für die Dienste, welche die Sprache dem Denken des Einzelnen leistet, indem, wie wir früher bemerkt haben, das asoziierte Wort dem Begriff als Unterscheidungszeichen dient und das Gedächtnis unterstützt.
  13.112[4]   1' Verbindet jemand mit einem Wort, das er in gewissem Sinn zu gebrauchen gewohnt ist, durch willkürliche Änderung eine andere Bedeutung, so schafft er sich ein Aequivocum, und, indem die frühere Gewohneit nachwirkt, wird es ihm unvermerkt begegnen, dass das früher damit Bezeichnete wieder dem Wort sich assoziiert, und er wird nun leicht den einen Begriff mit dem anderen verwechseln; um so leichter, je näher sich die beiden Begriffe stehen.
  13.112[5]   2' Bei einer durchgängig willkürlichen Änderung der Bedeutungen der Worte würde die Sprache gänzlich aufhören, eine Hilfe für die Unterscheidung der Begriffe und eine Stütze des Gedächtnisses zu sein. Jede Bedeutung wäre jedem, oder vielmehr keine Bedeutung keinem Wort assoziiert .
  13.112[6]   So also ist die Willkür im Gebrauch der Namen durch die Gesellschaft und durch die eigene Gewohnheit beschränkt.
  13.112[7]   In Folge dessen ist denn auch die Nominaldefinition nicht mehr willkürlich.
  13.112[8]   Sie sagt nicht immer bloß: Unter dem Namen verstehe ich das und das, oder unter dem Namen will ich das und das verstehen ; sondern auch: unter dem Namen pflege ich das zu verstehen, oder auch pflegt man das zu verstehen. Unter diesem Gesichtspunkt nun ist die Nominaldefinition der Willkür des Augenblicks entrückt und kann der Gegenstand des Streites , ja sehr schwieriger Unter-


139
suchungen werden.
  13.113[1]   Dies dann, wenn es sich um verschwommene Ausdrücke handelt, wie es die des Volkes und in Folge dessen die des eigenen Gebrauchs, so weit sie aus der allgemeinen Sprache genommen werden, sehr häufig sind. Oft sind solche Ausdrücke, ohne dass man sich dessen bewusst ist, äquivok, und spotten so der Mühe dessen, der, diese eine Möglichkeit übersehend, alle Fälle ihrer Anwendung aus einer Bedeutung begreifen will. Die Feststellung der Nominaldefinition wird also auf diese Weise ein mehr oder minder schwieriges Problem.
  13.113[2]   Die Platonischen Dialoge haben oft ein solches zum Gegenstand, und schon vor Platon hat Sokrates sich mit derartigen Untersuchungen beschäftigt.
  13.113[3]   Natürlich muss die Lösung eines solchen Problems nach den Regeln der Entdeckung gesucht, und nach denen der Prüfung geprüft werden, wovon zu sprechen hier noch nicht des Ortes
  13.113[4]   Nur das kann flüchtig gesagt werden, dass die zirkumskriptiven Definitionen durch Beispiele gewöhnlich das Mittel zur Auffindung der strengeren Nominaldefinition werden.
     

140
     
  13.114[1]   21. Von der Nominaldefinition unterscheidet man die sogenannte Realdefinition.
  13.114[2]   Diese unterscheidet sich dadurch von der bloßen Nominaldefinition, dass sie außer der Bedeutung eines Namens die wirkliche oder doch mögliche Existenz des genannten Gegenstandes erkennen läßt.
  13.114[3]   (? Anders scheint der Usus. Cf. Arnauld, Goudin, Mill. Was ich hier Realdefinition nenne, berührt sich zum Teil mit der genetischen, nämlich bei denen, deren Möglichkeit nicht sofort einleuchtet. Indessen zu vergleichen: Aristoteles, wo er gewisse Definitionen, welche die hier gegebenen Bedingungen nicht erfüllen, tadelt.
  13.114[4]   Der Name Realdefinition in meinem Sinn wäre insofern passend, als eine solche Definition nur solchem, was sein kann, zukommen kann. In dem anderen Sinn wäre es eine Änderung des Subjekts des Satzes, oder der Bedeutung des „ist“, welches bei der Nominaldefinition = „bedeutet“.)
  13.114[5]   So z.B. wäre es eine Realdefinition, wenn einer sagte: Ein Kreis ist eine Figur, welche eine gerade Linie, wenn sie in einer Ebene um ihren einen ruhenden Endpunkt gedreht wird, mit ihrem anderen Endpunkt umschreibt. Dagegen nennt man es eine bloße Nominaldefinition, wenn einer sagt: Ein Kreis ist eine ebene Figur, bei der alle Punkte der sie begrenzenden Linie von einem Punkt in ihr gleich weit abstehen.
  13.114[6]   Indessen würde für den, welcher die Möglichkeit einer solchen Figur nachgewiesen hätte, auch diese Definition des Namens Kreis sofort die Möglichkeit eines Kreises erkennen lassen, und

141
sie wäre für ihn also zugleich Realdefinition.
  13.115[1]   So kann denn überhaupt jede Nominaldefinition, die einen Gegenstand, der ist oder doch sein kann, bezeichnet, durch den Nachweis davon zur Realdefinition gemacht werden.
  13.115[2]   Daher sagen manche auch, obwohl nicht ganz genau, eine Realdefinition sei eine Nominaldefinition und etwas mehr (?), nämlich die Behauptung der Existenz oder Möglichkeit ihres Gegenstandes.
  13.115[3]   (Mill. Änderung des Sinnes. Unpraktisch! Daher von Mill auch aufgegeben! Entschuldigung: Schon vor ihm Alteration (z.B. Arnauld? Whately?).)
  13.115[4]   Richtig ist dass die Realdefinition allerdings  | allerdings, dass die Realdefinition ] eine Nominaldefinition ist, und etwas mehr. Dieses Mehr liegt aber nicht sowohl in der Hinzufügung einer Behauptung, die ja falsch sein könnte, als darin, dass sie mit der Bedeutung auch zugleich die wirkliche oder mögliche Existenz des Gegenstandes erkennen lässt. (Sie berechtigt zur sofortigen Be hauptung, ohne sie einzuschließen.
  13.115[5]   22. Noch ist zu bemerken dass der Gegenstand der Realdefinition keineswegs eine Sache oder etwas als Sache Vorgestelltes sein muss. Es kann eben so gut ein Kollektivum oder Divisivum oder eine Grenze oder ein Ariston oder irgend etwas anderes sein, von dem man mit Wahrheit sagen kann, dass es existiere oder doch existieren könne.
  13.115[6]   23. Zur Vermeidung eines jeden Missverständnisses wollen wir jetzt, nachdem wir so viel und in so vielfachem Sinne von Definitionen gesprochen haben, die sämtlichen Bedeutungen des Wortes, die wir vereinzelt kennen gelernt haben, zusammenstellen.
  13.115[7]   Erstens sprachen wir von Definition, da wir von den logischen Teilen im Unterschied von den metaphysischen und physischen handelten. Dort bedeutete die Definition einen aus mehreren Namen zusammengegliederten Namen, welcher die sämtlichen logischen Teile eines logischen Ganzen von der höchsten Gattung bis zur niedrigsten Art ihrer Stufenfolge nach nennt.
     

142
     
  13.116[1]   Zweitens sprachen wir von Definition da wir von der Klassifikation der Begriffe und den Gattungen und Arten und Differenzen im weiteren Sinn handelten. Es war die Definition der Artbegriffe, von der wir redeten, und wir bestimmten sie als einen aus mehreren Namen zusammengegliederten Namen, welcher die Gattungen und Differenzen eines Artbegriffes ihrer Stufenfolge nach verzeichnet, oder auch zweigliedrig der nächsten Gattung und der letzten Differenz eines Artbegriffes entspricht.
  13.116[2]   Notabene. Die Definition war eine Definition des Wesens, wenn die Klassifikation, auf der sie beruhte, nach wesentlichen Bestimmungen gebildet war.

  13.116[3]   Drittens sprachen wir von Definition, da wir von dem Verhältnisse gleichbedeutender Namen zu einander sprachen.
  13.116[4]   Es war dies die Definition im Sinne der Nominaldefinition, d. h. die Erklärung eines in irgend-


143
einer Weise minderverständlichen Ausdrucks durch einen gleichbedeutenden verständlicheren.
  13.117[1]   Die Definition konnte verständlicher sein entweder als bekannterer oder minder äquivoker oder schärferer oder markierenderer Namen.
  13.117[2]   Diese Definition war nicht notwendig mehrgliedrig , obgleich die mehrgliedrigen und analysierenden Ausdrücke sich in der vielfachen Beziehung als hauptsächlich zu Nominaldefinitionen geeignet erwiesen.

  13.117[3]   Viertens sprachen wir von der Nominaldefinition im weiteren Sinne, nämlich von der zirkumskriptiven Definition oder Beschreibung, sie ist eine Nominalerklärung durch einen nicht gleichbedeutenden, aber doch auf die Bedeutung des definierten Namens hinweisenden (sie kennzeichnenden) Ausdruck.
  13.117[4]   Besonders dienlich war die zirkumskriptive Definition durch Beispiele. Sie ist auch dadurch ausgezeichnet, dass sie der Weg zur Auffindung einer Nominaldefinition im eigentlichen Sinne des Wortes ist.
     

144
     
  13.118[1]   Fünftens endlich sprachen wir von der sogenannten Realdefinition, d. i. einer derartigen Nominaldefinition, welche mit der Bedeutung des definierten Namens zugleich die wirkliche oder mögliche Existenz des genannten Gegenstandeserkennen lässt.

  13.118[2]   24. So viel von den Definitionen. Ehe wir aber von der Betrachtung der Verhältnisse der synonymen Namen scheiden, müssen wir einen Blick auf eine Frage werfen, die von Verschiedenen in verschiedenem und entgegengesetztem Sinn beantwortet worden ist. Sie betrifft die s.g. konkreten und abstrakten Namen, die Sie alle aus der Grammatik kennen: schön und Schönheit“, gut und Güte“, möglich und Möglichkeit“, vergangen“ und Vergangenheit“. Und ebenso hat man aus dem üblichen Wort Mensch in der Philosophie das Wort Menschheit, aus Stein Steinheit gebildet.
  13.118[3]   Von diesen konkreten und ihren entsprechenden abstrakten Namen fragt es sich also, ob sie einander synonym seien oder nicht. Und dasselbe fragt sich in Betreff der Participia und der betreffenden Infinitive, denn das Verhältnis ist hier ein ganz ähnliches.
  13.118[4]   Sind sterbend und Sterben, lebend und Leben“, schlagend und Schlagen“, wohnend und Wohnen“, auch Mensch und Mensch-Sein (denn Mensch und Menschseiend ist offenbar dasselbe) gleichbedeutende Ausdrücke, oder ist der Sinn des einen und anderen Namens ein verschiedener?
  13.118[5]   a) Ohne Zweifel sind sie einander nicht synonym.
  13.118[6]   Denn wäre dies, so müsste man sagen können, ein Tugendhafter sei eine Tugend und umgekehrt, u.dgl., was offenbar nicht möglich ist. (Notabene. Auch Gottheit und Gott scheinen nicht dasselbe zu bedeuten. Denn Gott ist zwar nicht aus mehreren realen metaphysischen Teilen, aber aus Substanz und Beziehungen und Aoristen (gedacht etc.) zusammengesetzt??)
  13.118[7]   b) Dagegen sagt man, ein Tugendhafter habe eine Tugend, und das die Tugend Habende und „das Tugendhafte bedeuten in der Tat ein und dasselbe. Ebenso ist das Schöne das

145
Schönheit Habende, und das Geformte das eine Form Habende u.s.f.
  13.119[1]   c) Wie verhält sich also der Begriff der Schönheit zu dem des Schönen? Offenbar in ähnlicher Weise wie der des Geflügelten zu dem der Flügel; denn auch dieses ist nicht die Flügel, hat aber die Flügel, und das Flügel Habende und das Geflügelte sind dasselbe.
  13.119[2]   d) Es verhält sich also das eine zum anderen wie das einem Teile nach genannte Ganze zu dem Teil, nach welchem es genannt wird.
  13.119[3]   e) Die Teile aber sind teils physische, teils metaphysische wie z.B. eine Eigenschaft, teils logische wie ein allgemeines Merkmal.
  13.119[4]   Bei dem Namen Flügel ist das, was er bezeichnet, ein physischer Teil. Bei dem abstrakten Namen dagegen ist es gewiss, dass sie keinen physischen Teil nennen, vielmehr wird nur darüber gestritten, ob sie einen metaphysischen oder logischen bezeichnen. Vielleicht löst sich der Streit durch Anerkennung einer Äquivokation. Manchmal mag

146
unter dem abstrakten Namen ein bloßer logischer Teil verstanden werden, manchmal aber und gewöhnlich versteht man darunter einen metaphysischen Teil. Denn wir sagen z.B.: Die Röte ist eine Farbe, Barmherzigkeit ist eine Tugend u.s.f., während wir sonst sagen müssten: enthält eine Farbe, hat eine Tugend oder etwas der Art, was nicht das Verhältnis der Identität, sondern das eines Ganzen zu einem ihm zugehörigen Teil anzeigte. Denn wenn Farbe und Röte logische Teile bezeichnen, so ist Farbe ein Teil von Röte; wenn sie aber metaphysische Teile bezeichnen, so ist die Farbe eines roten Dinges und seine Röte dasselbe, sie bezeichnen denselben metaphysischen Teil.
  13.120[1]   f. Andere übertragene Bedeutungen der abstrakten Namen brauche ich kaum zu erwähnen, wie z. B. einer, der schön ist, namentlich wenn er in ausgezeichnetem Maße schön ist, eine Schönheit genannt wird (Platons Ideal); oder auch, wiederum in einer anderen Weise, etwas, was Leben gibt, wegen der ursächlichen Beziehung, selbst Leben genannt wird: Ich bin der Weg,

147
die Wahrheit und das Leben. Die sprachliche Form mag hier die gewöhnliche Form eines Astraktums sein, die Bedeutung ist die eines Konkretums, wie ja auch umgekehrt die sprachliche Form die gewöhnliche Form eines Konkretums sein kann, während die Bedeutung die eines Astraktums ist, wie z. B. wenn ich sage: Rot ist eine Farbe.
  13.121[1]   g. So viel also vom Verhältnis der Abstrakta zu den Konkretis (denn auf den Gebrauch, den speziell die theologische Terminologie davon macht, können wir hier nicht eingehen).
     

147
     
     
Einteilung der Urteile und Ausagen
  13.184[1]   1. Ankündigung, dass viel Abweichendes. Aufforderung zu besonderer Aufmerksamkeit.
  13.184[2]   2. Die jetzt übliche Einteilung stammt im Wesentlichen von Kant.
  13.184[3]   „Wenn wir“, sagt Kant in der Kritik der reinen Vernunft (cf. Elementarlehre, Einleitung I, 1.) , „ von allem Inhalte eines Urtheils überhaupt [d.i. von der Verschiedenheit seiner Gegenstände, wie wir sagen würden, von seiner Materie] abstrahieren und nur auf die bloße Verstandesform darin Acht geben, so finden wir, dass die Funktion des Denkens in demselben unter vier Titel gebracht werden könne, deren jeder drei Momente unter sich enthält. Sie können füglich in folgender Tafel vorgestellt werden.

I

Quantität der Urteile

allgemeine

besondere

einzelne



II

Qualität

bejahende

verneinende

unendliche



III

Relation

kategorische

hypothetische

disjunktive



IV

Modalität

problematische

assertorische

apodiktische.

  13.184[4]   Erläuterung durch Beispiele.
  13.184[5]   Zum disjunktiven Urteil: „ Es enthält das disjunktive Urteil ein Verhältnis zweener oder mehrerer Sätze gegeneinander … [und zwar ein Verhältnis] der Entgegensetzung, so fern die Sphäre des einen die des anderen ausschliesst, aber doch zugleich der Gemeinschaft, insofern sie zusammen die Sphäre der eigentlichen Erkenntnis ausfüllen … z. E. die Welt ist entweder durch einen blinden Zufall da oder durch innere Notwendigkeit oder durch eine äussere Ursache. “
     

148
     
  13.185[1]   (Die Gesetze des Verstandes selbstbestimmt und daher a priori behauptend.)
  13.185[2]   3. Aufgegeben hat man allmählich bei den beiden ersten und mehr und mehr auch bei den dritten das dritte Glied:
  13.185[3]   a) das einzelne rechnete man als allgemeines,

b) das unendliche als bejahend,

c) das disjunktive führten viele auf mehrere hypothetische zurück.
  13.185[4]   Und in der Tat ist dies bei allen Sätzen mit entweder — oder möglich. (Die entweder — oder sind positiv, die wenn — so negativ.)
  13.185[5]   Zu bemerken ist, dass Kant allerdings in ihrem Gebrauch vom gewöhnlichen Sprachgebrauch sich entfernt.
  13.185[6]   Denn ich kann sagen: die Menschen komment nicht in Bewegung ausser durch Furcht oder Hoffnung (wobei nicht ausgeschlossen ist, dass beides der Fall ist).
  13.185[7]   Um diese Wissenschaft sich anzueignen, muss einer sehr fleissig oder sehr begabt sein (womit wieder nicht ausgeschlossen ist, dass beides der Fall ist).
  13.185[8]   In gewissen Fällen, wie in Kants Beispiel, geht aus der Natur der Materie, dem inneren Gegensatz der Glieder dieser Ausschluss hervor, ohne in der Form des Ausdrucks enthalten zu sein.
  13.185[9]   Aber wenn die disjunktiven Urteile des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, so sind auch Kants disjunktive Urteile auf hypothetische zurückzuführen, nur auf eine größere Zahl.
  13.185[10]   4. So also machte man im Einzelnen Ausstellungen und meist mit vollem Recht. Hätte man doch noch größere machen können. Nicht bloss Glieder wegnehmen, sondern auch hinzufügen.
  13.185[11]   Wir brauchen, um uns davon zu überzeugen, nur an den Nachweis zurückzudenken, dass es Sätze gibt, die zu einem einzigen Namen ein „ist“ oder „ist nicht“ hinzufügen, welches keinen Prädikatsbegriff enthält. Der Existentialsatz ist also nicht kategorisch. Noch weniger aber hypothetisch oder disjunktiv.
  13.185[12]   5. Allein an den Gesichtspunkten der Einteilung selbst hat man nichts geändert. Seit Kant pflegt die Logik, wenigstens in Deutschland, die Urteile unter den vier Gesichtspunkten der Quantität, Qualität, Relation und Modalität einzuteilen; und die Meisten scheinen wie Kant, der hierauf die wesentlichsten Sätze seines Systems gründete, diese Gesichtspunkte für vollkommen erschöpfend zu halten.
  13.185[13]   Es gilt dies wie ein Dogma, an das keiner prüfend rührt.
  13.185[14]   6. Wir aber wollen es tun. Und die Kritik wird uns hier nichts als ein eingewurzeltes Vorurteil zeigen, das vollständig unbegründet und irrig ist. Es wird sich zeigen, dass diese Gesichtspunkte weder die einzigen sind, die bei der Einteilung der Urteile für die Logik in Betracht kommen, noch jene Bedeutung haben, die man ihnen beimisst.
     

149
     
  13.186[1]   7. Freilich werden wir dabei nicht, wie Kant wollte, „ auf die blosse Verstandesform im Urteile Acht geben“ und „ von allem Inhalt des Urteils überhaupt abstrahieren “. Und darum könnte einer sagen, dass wir doch die Klasse der Gesichtspunkte, die Kant angeben wollte, nicht vermehrten.
  13.186[2]   Allein erstens werden wir sehen, dass die Gesichtspunkte, die Kant bezeichnet, auch nicht (auf die bloße Verstandesform Acht habend) von der Verschiedenheit der Gegenstände gänzlich abstrahieren (ist ja das Gegenteil, hinsichtlich der Quantität wenigstens, schon beim ersten Blick offenbar), ja dass sie nicht einmal vom Unterschied des sprachlichen Ausdrucks absehen.
  13.186[3]   Zweitens hat Kant ganz Unrecht, wenn er meint, die Logik (und wenn sie auch noch so allgemein behandelt wird) könne von aller Verschiedenheit der Gegenstände Umgang nehmen und solle sogar alles darauf Bezügliche der speziellen Logik überlassen. Die allerallgemeinsten Unterschiede, die auf allen Gebieten der Erkenntnis sich zeigen, muss sie

150
notwendig berücksichtigen. Und Kant selbst zeigt die Unmöglichkeit seiner Forderung durch sein eigenes Verfahren.
  13.187[1]   8. Dies haben außer mir und vor mir schon Viele gegen Kant gesagt, aber um so auffallender ist, dass sie trotzdem nicht neue Titel zu den Kantischen gefügt haben.
  13.187[2]   9. Ohne uns zunächst bei einer bloßen Polemik aufzuhalten, wollen wir sogleich die Gesichtspunkte, auf die es uns bei der Einteilung der Urteile und Aussagen in der Logik anzukommen scheint, darlegen.
  13.187[3]   Und zwar:

I. Einteilung der Urteile.

II. Einteilung der Aussagen.
  13.187[4]   Ähnlich wie bei den Vorstellungen und Namen. Damals schickten wir nur noch eine Einteilung des Vorgestellten voraus. Wenn jetzt nicht in gleicher Weise eine Einteilung des Beurteilten erfolgt, so darum, weil, wie früher gezeigt, dies mit dem Vorgestellten zusammenfällt.
     

151
     
      I. Einteilung der Urteile .
  13.188[1]   Da wir die Vorstellungen einteilten, haben wir sie unter anderem in einfache und zusammengesetzte eingeteilt.
  13.188[2]   Zusammengesetzt (um kurz nur den gewöhnlichen Fall zu berücksichtigen) waren solche, die aus mehreren einfacheren Vorstellungen zusammengesetzt sind. So könnten wir, sollte man meinen, auch die Urteile einteilen:
  13.188[3]   einfache – zusammengesetzte = solche, welche aus mehreren einfacheren bestehen wie z. B. Nicht ein Mann, sondern eine Jungfrau hat Frankreich von den Engländern befreit, Cäsar ist tot, aber Brutus lebt.
  13.188[4]   2. Allein man pflegt eine solche Mehrheit von Urteilen nicht selbst wieder ein Urteil zu nennen . Manche, wie z. B. Mill, haben es sogar für absurd erklärt, wenn man dies tun, und eine Vielheit von Urteilen zusammenfassend als ein zusammengesetztes Urteil den einfachen gegenüberstellen wollte. Es wäre, sagt er, „ wie wenn wir Pferde in einzelne Pferde und in Gespanne von Pferden einteilen wollten. “ Sagen wir „Caesar ist tot, aber Brutus lebt“, so „ sind hier zwei verschiedene Behauptungen, und wir könnten eine Strasse mit demselben Recht ein zusammengesetztes Haus als diese zwei Urteile ein zusammengesetztes Urteil nennen. “
  13.188[5]   3. So absurd schiene mir eine solche Benennung wohl nicht.
  13.188[6]   Und der beste Beweis dagegen liegt in dem, was wir bei den Vorstellungen tun, und was bei ihnen auch Mill tut. Wenn es nicht absurd ist, eine aus mehreren zusammengesetzte Vorstellung eine Vorstellung zu nennen, warum soll es absurd sein, von einem aus mehreren Urteilen zusammengesetzten Urteil zu sprechen?
  13.188[7]   Dies ist man um um so mehr zu fragen berechtigt, als dieselbe innige Verbindung, welche zwischen gewissen (Teil)vorstellungen) auch zwischen Urteilen statt haben kann. Wir können viele Vorstellungen zugleich und in einem Vorstellungsakt haben. Ebenso viele Urteile, wie das Schließen namentlich deutlich zeigt. Und es ist dies allen drei Klassen der psychischen Funktionen gemein, denn

152
wir sind im Stande, auch gleichzeitig und in einem Willensakt Mehreres zu wollen; die eine zu lieben, die andere zu hassen u.s.f.
  13.189[1]   4. Und vielleicht ließe sich sogar Manches, namentlich die Analogie zu den Vorstellungen für eine entgegengesetzte Praxis sagen.
  13.189[2]   5. Indessen sind gewisse Umstände, die es bei der Vorstellung unbedingt notwendig machen, auch die zusammengesetzten Vorstellungen mit darunter zu begreifen, beim Urteile nicht (in gleicher Weise) vorhanden: a) einseitige Ablösbarkeit z.B. bei logischen Teilen, b) (damit zusammenhängend) dass bei den Vorstellungen nach Ausschluss der zusammengesetzten kaum eine übrig bliebe, jedenfalls nicht genug, um eine besondere Klasse zu konstituieren. Bei den Urteilen ist keines von beiden der Fall.
  13.189[3]   ad a) Jedes der Urteile, aus welchen eine Vielheit besteht, kann allein ohne das andere gefällt werden.
  13.189[4]   ad b) (Damit im Zusammenhang) es gibt sehr viele einfache Urteile, z.B. „Ein Mensch ist“, „Jupiter ist nicht“.
     

153
     
  13.190[1]   Notabene. Damit, was wir sagen, keinem Missverständnis unterliegt, wollen wir noch ausdrücklich bemerken, dass wir hier von Urteilen, die nicht aus mehreren Urteilen zusammengesetzt sind, nicht aber von Urteilen, deren Materie nicht zusammengesetzt ist, sprechen.
  13.190[2]   Denn von diesen gilt natürlich dasselbe wie von den Vorstellungen. Dass aber beides nicht identisch ist, sieht man namentlich an den negativen Urteilen recht deutlich.
  13.190[3]   Wenn ich sage: Eine Billion Menschen ist nicht, so sage ich nicht: Eine Million Menschen ist nicht und eine Million Menschen ist nicht u.s. f.; vielmehr kann, obwohl es keine Billion Menschen gibt, recht wohl eine Million sein.
  13.190[4]   Ähnlich, wenn ich sage: Ein weißer Rabe ist nicht. Es heißt dies nicht: Ein Rabe ist nicht und ein Weißes ist nicht und Was sonst noch in dem Begriff enthalten sein möge, ist nicht. Ein Rabe kann ja trotzdem sein und von mir anerkannt werden.
  13.190[5]   Noch ein Beispiel: Wenn ich sage:

154
Ein Schwan und ein Schwanenritter sind nicht, so heißt dies nicht: Ein Schwan ist nicht und ein Schwanenritter ist nicht; wenn nur der Schwanenritter nicht ist, so ist dem Urteil genügt. Somit ist es klar, dass verneinende Urteile, deren Materie zusammengesetzt ist, nicht (wie es wohl manchmal geschehen ist) mit Urteilen, die aus Urteilen zusammengesetzt sind und also nach der gewöhnlichen Sprache der Logiker nicht mehr den Namen von Urteilen verdienten, verwechselt werden dürfen.
  13.191[1]   Gilt dies bei den verneinenden Urteilen, so gilt es auch bei den bejahenden, obwohl hier die Bejahung des ganzen (wie wir noch hören werden) implicite die Bejahung der Teile der Materie einschließt.
  13.191[2]   So wenig das negative Urteil: „Eine Göttin gibt es nicht“, eine Vielheit von Urteilen ist, weil es implicite die Urteile enthält: „Eine Juno, eine Minerva gibt es nicht“, so wenig ist das affirmative Urteil: „Es gibt eine Juno“ eine Vielheit von Urteilen, weil es implicite das Urteil enthält „Es gibt eine Göttin“.
  13.191[3]   Ähnlich: Es gibt nicht eine Billion Menschen enthält implicite: Es gibt nicht eine Trillion; Es gibt eine Million Menschen enthält implicite Es gibt tausend.
  13.191[4]   Also klar: ein Urteil mit zusammengesetzter Materie, ob bejahend, ob verneinend, nicht = eine Mehrheit von Urteilen , die in einem Urteilsakt gefällt werden = einem aus mehreren Urteilen zusammengesetzten Urteile .
  13.191[5]   Der genaue Unterschied besteht darin, dass bei diesen die Materie und die Form, bei jenen nur die Materie eine zusammengesetzte ist. Zu einer Mehrheit von Urteilen gehört eine Mehrheit von Formen. Hiemit wird dann offenbar, was wir gesagt haben, dass, wenn wir auch das zusammengesetzte Urteil, d.h. mehrere zusammen gefällte Urteile, nicht selbst unter die Urteile rechnen, die Inkonvenienzen, die sich hier bei der Vorstellung ergeben, nicht eintreten; und dass namentlich der Umfang des Begriffs „Urteil“ nicht allzusehr beschränkt wird.
     

155
     
  13.192[1]   6. Und daher wollen wir, da es immer misslich ist, von dem traditionellen Sprachgebrauch abzugehen, eine Mehrheit von Urteilen nicht selbst wieder ein Urteil nennen.
  13.192[2]   7. Hiemit haben wir genau den Gegenstand unserer Einteilung umgrenzt.
  13.192[3]   Das Urteil, dessen Einteilung wir geben, ist das einfache, vollkommen einheitliche Urteil; und dieses allein werden wir auch im Folgenden Urteil nennen.
  13.192[4]   Zunächst vier Gesichtspunkte: a) bloße Form oder Qualität, ohne Berücksichtigung der Materie, b) Form und Materie zugleich, c) Entschiedenheit (Intensität), d) Motiv. (Charakter, Modalität, wenn nicht mißverständlich ). (Ich würde gern sagen der Modalität nach, aber)
  13.192[5]   Notabene. Die Begriffe von Form und Materie wurden schon früher erklärt. Materie = gleich der beurteilte Gegenstand, der Inhalt der Vorstellung, welche dem Urteil zu Grunde liegt ; Form = die Weise der Beziehung zu diesem Inhalte. Der Inhalt ist die Vorstellung, welche dem Urteil zu Grunde liegt.
  13.192[6]   Die anderen beiden Begriffe sind schon an und für sich ziemlich deutlich, und was etwa an der Deutlichkeit mangelt, werden wir später ergänzen.
     

156
     
      Einteilung der Form nach.
  13.193[1]   1. In dieser Beziehung gibt es nur eine einzige, die bekannte: a) anerkennende, b) verwerfende Urteile. (Manche meinten, es gebe mehrere Einteilungen der Form nach. Später werden wir ihre Einwände lösen.)
  13.193[2]   Notabene. Kants unendliches Urteil ist, wie schon nach Anderen bemerkt, bejahend.
  13.193[3]   Notabene. Würde man ein zusammengesetztes Urteil anerkennen, so könnte als drittes das partiell bejahende und partiell verneinende hinzukommen, z.B. Nicht ein Mann, sondern eine Jungfrau hat Frankreich von den Engländern befreit.
  13.193[4]   So aber ist jede dritte Form ausgeschlossen.
  13.193[5]   2. Die Sache ist äußerst einfach und Beispiele bieten sich leicht dar.
  13.193[6]   Indessen sind doch Missgriffe in der Beurteilung der Qualität einer Aussage möglich.
  13.193[7]   So könnte einer Aussagen, welche ein Negativum zur Materie haben, für negative halten. Wir haben schon gesagt, dass diese bejahend sind, a. z.B. Ein Engel ist ein Nichtsterbliches“, b. Es gibt ein Nichtsterbliches.
  13.193[8]   Oder auch es könnte einer unter falscher Anwendung des Grund-


157
satzes, dass eine zweifache Negation eine Position sei, glauben, gewisse Urteile seien positivbejahend, die negativ sind, z.B. Es gibt nicht ein nichtrechtwinkliges Quadrat“, Es gibt ein rechtwinkliges Quadrat“.
  13.194[1]   3. Im Übrigen hat die Bestimmung der Qualität der Urteile, so weit sie nach dem von uns erklärten Formulare, durch Existenzialsätze ausgedrückt sind, keine Schwierigkeit . Man hat nur darauf zu merken, ob „ist“ oder „ist nicht“; „es gibt“ oder „es gibt nicht“ zum Rest des Ausdrucks hinzugefügt wird.
  13.194[2]   4. Anders ist es freilich mit anderen Ausdrucksweisen.
  13.194[3]   Ich will Ihnen ein paar Beispiele geben, und diese von verhältnismäßig einfacher Art und in Ihnen ganz gewöhnlichen Ausdrücken, bei denen ich doch sicher bin, dass wenn einer irgendwen von Ihnen, unvorbereitet durch die jetzigen Betrachtungen, darüber gefragt hätte, ob die Aussage eine Bejahung oder Ver neinung sei, er falsch geantwortet haben würde.
  13.194[4]   a) Alle Menchen sind sterblich“. Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme 2R“.
  13.194[5]   b) Ein Mensch ist nicht gelehrt“.
  13.194[6]   Die Logiker, die mir bekannt sind, haben sämtlich die ersten zwei für Bejahungen, die dritte für eine Verneinung erklärt.
  13.194[7]   Das Gegenteil ist richtig.
  13.194[8]   5. Und was würden sie zu Urteilen sagen wie folgendes:
  13.194[9]   a) Wenn die Sonne schön untergeht, so gibt es schöne Wetter! Es ist negativ.
  13.194[10]   b) Oder: Hin ist hin. Es ist negativ.
  13.194[11]   c) Oder: Entweder es gibt einen Gott, oder es gibt kein wahres Glück. Es ist positiv. (Eines von beiden, die Existenz Gottes und die Nichtexistenz eines wahren Glückes ist. So überhaupt die Disjunktiva).
  13.194[12]   Wer sich nicht auf diese Ausdrucksweisen versteht, wird hier nicht leicht zu einer richtigen Einsicht kommen, ja, in Betreff des ersteren zwei Beispiele höchst wahrscheinlich mit aller Zuversicht das gerade Gegenteil der Wahrheit aussprechen. In Folge des letzte

158
aber könnte er an der Zweizahl der Formen irr werden und versucht werden, trotz des Gesagten, eine partial bejahende, partial verneinende Qualität anzunehmen. Allein mit Unrecht; liegt ja doch kein aus mehreren zusammengesetztes Urteil vor.
  13.195[1]   Und so kann denn jede der erwähnten Aussagen in das Formular des Existentialsatzes gefasst werden, und dann sieht man deutlich, dass die ersten beide negativ sind, die letzte positiv ist .
  13.195[2]   Aber die Reduktion ist nicht ganz leicht. Wir werden ihre Regeln angeben, wenn wir von der Einteilung der Aussagen, des sprachlichen Audrucks der Urteile handeln. Dann werden wir die Form des Urteils in jedem Gewande erkennen lernen.
  13.195[3]   Vor der Hand wollte ich nur darauf aufmerksam machen, dass in Betreff der Form Täuschungen möglich sind, die durch Eigentümlichkeiten des sprachlichen

159
Ausdrucks veranlasst werden.
  13.196[1]   6. In der Geschichte der Philosophie waren diese von großem Einfluss. Ich erinnere an den ontologischen Beweis des Descartes. Die Erörterungen, die wir noch zu führen haben, werden dazu dienen, etwas, was damals vielleicht minder klar geworden ist, vollends zu verdeutlichen.
      Einteilung nach Form und Materie.
  13.196[2]   1. Nachdem wir die Einteilung der Urteile ihrer Form nach behandelt haben, sollte man meinen, wir müssten die Einteilung der Urteile der Materie nach geben.
  13.196[3]   Zumal nach dem gegen Kant bemerkten die Materie nicht gleichgültig ist. Allein sie ist mit der Einteilung der Vorstellungen(Gegenstände) gegeben.
  13.196[4]   Wie wir bei der Einteilung der Vorstellungen bemerkt haben, dass erstens nach dem Unterschied der Gegenstände, zweitens nach besonderen Unterschieden, so hier.
  13.196[5]   2. Dagegen allerdings nach Unterschieden der Form unter Mitberücksichtigung der Materie.
  13.196[6]   I. Wahre – falsche Urteile.
  13.196[7]   a) Sie ist eine Einteilung nach der Form und

160
Materie zugleich (nach der Form unter Mitberücksichtigung etc.).
  13.197[1]   b) Man hat die Wahrheit eines Urteils so bestimmt: Die Wahrheit eines Urteils ist die Übereinstimmung desselben mit dem, was beurteilt wird (ungenau: mit der Sache: adäquatio rei etintellectus). Falschheit das Gegenteil.
  13.197[2]   c) Diese Bestimmung ist richtig, aber nicht sehr deutlich. Verwirrung, in die ich augenblicklich gekommen bin (sowohl durch den Ausdruck als durch Mangel an Verständnis der Formulare. Nicht alles ist eine Sache, z.B. Zukünftiges, Negationen, dann bei hypothetischen und disjunktiven). Auch Andere wurden in Verwirrung gebracht, wussten nicht zu antworten. Übereinstimmung in zwei Fällen: d.h. ein Urteil ist wahr, wenn es, je nachdem der ihr zu Grunde liegenden Vorstellung entspricht oder nicht, anerkennt oder verwirft.
  13.197[3]   d) Sie besagt nichts anderes als dass das Urteil wahr ist, welches das Beurteile so beurteilt, wie zu beurteilen ist. (In diesem Sinn ist Wahrheit die Güte des Urteils.)
  13.197[4]   e) Wir haben früher gehört, dass das Vorgestellte eingeteilt wird in ein solches, welches anzuerkennen, und in ein solches, welches zu verwerfen ist (Gegenstände – Nichtgegenstände). Nach der eben gegebenen Bestimmung ist also ein wahres Urteil dasjenige, welches einen Gegenstand anerkennt, oder einen Nichtgegenstand verwirft. Ein falsches etc.
  13.197[5]   II. Notwendig wahre – nicht notwendig wahre; absurde – nicht absurde Urteile.
  13.197[6]   a) Hier wird nebst der Form die Einteilung der Materie in notwendige – nicht notwendige; unmögliche – mögliche berücksichtigt.
  13.197[7]   b) Ein bejahendes Urteil mit notwendiger, ein verneinendes Urteil mit unmöglicher Materie sind notwendig wahr. Ein bejahendes Urteil mit unmöglicher, ein verneinendes Urteil mit notwendiger Materie sind absurd. Dasselbe kann auch so ausgedrückt werden: Ein wahres Urteil mit notwendiger oder unmöglicher Materie ist notwendig wahr. Ein falsches Urteil mit notwendiger oder unmöglicher Materie ist absurd.
  13.197[8]   c) Hieraus ergibt sich, was nicht notwendig wahr und was nicht absurd ist.
  13.197[9]   d) Die notwendig wahren = Gesetze.
  13.197[10]   Notabene. Unmittelbar – mittelbar notwendige Wahrheiten: Grundgesetzesekundäre Gesetze; später näher zu be-


161
sprechen, wenn von dem Grundsatze und mittelbar sicheren Wahrheiten die Rede ist, damit besser jede Verwechslung vermieden wird, die namentlich durch die Zweideutigkeit mancher Termini hervorgerufen wird.
  13.198[1]   e) Indem wir dies tun, verfahren wir ebenso wie bei der betreffendenbetreff. Einteilung der Materie.
     

162
     
  13.199[1]   III Das Vorgestellte dem ganzen Umfang (der Vorstellung) nach beurteilende Urteile – nicht etc. Beispiele.
  13.199[2]   a) Hier wird nebst der Form die Einteilung der Materie in universell (unbestimmt) und individuell (bestimmt) Vorgestelltes berücksichtigt.
  13.199[3]   b) Die Urteile mit individueller Materie beurteilen sämtlich das Vorgestellte dem ganzen Umfang der Vorstellung nach. Beispiel.
  13.199[4]   c) Anderes gilt von denen mit universeller Materie. Von ihnen zwar alle verneinenden, aber kein bejahendes. Beispiele.
  13.199[5]   d) Grund, weil zu verneinen ist nur jenes Vorgestellte, dem kein Gegenstand entspricht, alle anderen zu bejahen. Das allgemein Vorgestellte ist also zu bejahen, nicht bloß wenn alle, sondern auch, nur wennwenn nur einige oder einer seiner etwaigen Gegenstände besteht; zu verneinen nur, wenn sämtliche nicht bestehen.
  13.199[6]   e) Man könnte die dem ganzen Umfang der Vorstellung nach eine allgemeine Materie beurteilenden

163
Behauptungen universell, die nicht: partikulär nennen. Und zu ihnen die anderen als individuelle fügen. So dass: allgemeine (universelle), besondere (partikuläre), individuelle (singuläre) mit in der Logik üblichen Terminis. Und in ziemlich übereinstimmendem Sinn.
  13.200[1]   f. Und (wie man die individuellen oft auf die allgemeinen zurückführt) so könnte man die dem ganzen Umfang der Vorstellung nach beurteilenden universell, – die anderen partikulär nennen.
  13.200[2]   g. Allein der Sinn wäre doch nicht ganz und gar derselbe; und darum sind die Ausdrücke vielleicht besser zu vermeiden, da sonst leicht in manchen Fällen Verwirrung entstehen könnte. Die gewöhnliche Logik achtet bei der Einteilung der Urteile in allgemeine und partikuläre einzig auf das Subjekt des Satzes, indem sie die Zusammensetzung und den Unterschied von Subjekt und Prädikat für etwas viel Wesentlicheres hält als sie wirklich sind, wie wir später zeigen werden. Daher Verwirrung; so zwar, dass dasselbe Urteil sowohl individuell und universell als partikulär, wie z. B. Ein Stagirite war der größte griechische Philosoph. (Umgekehrt.) Wenn die Einteilung wirklich eine Einteilung von Urteilen, und nicht von sprachlichen Ausdrücken ist, so ist dies unmöglich. So denn nach uns nur, und in jedem Fall individuell (universell im weiteren Sinne). Somit würden wir manche Urteile individuell (universell) nennen, die man gewöhnlich partikulär nennt. Und dies wäre inkonvenient und Anlass zu Missverständnissen.
  13.200[3]   h. Schlimm genug, dass wir, wie früher bemerkt, viele Urteile negativ nennen müssen, die man zu den affirmativen rechnet und umgekehrt; weil sie wirkliche Negationen (Affirmationen) auch nach den hergebrachten Bedeutungen von Verneinung und Bejahung sind. Würden wir nun auch noch Urteile allgemein oder individuell nennen, die man partikulär nennt, so würde die Verständigung noch mehr erschwert.
  13.200[4]   i. Somit bleiben wir bei den oben gebrauchten Ausdrücken.
  13.200[5]   k. Sind sie minder bequem, so wird der Nachteil doch großenteils dadurch aufgehoben, dass die Einteilung, so weit sie Urteile mit allgemeiner Materie betrifft (und diese sind ja die bei weitem zahl-


164
reichsten und in der Logik wichtigsten), ganz mit der in Affirmationen und Negationen zusammentrifft , also nur als eine Eigentümlichkeit von ihnen gemerkt werdenmuss. Keine Kreuzung wie bei der Einteilung in allgemeine bejahende, verneinende etc.
  13.201[1]   IV. Das Vorgestellte dem ganzen Inhalt der Vorstellung nach beurteilende – nicht.
  13.201[2]   a) Manche Urteile beurteilen das Vorgestellte bis auf den kleinsten Teil, nach welchem es vorgestellt wird, andere nicht: Beispiele.
  13.201[3]   b) Hier wird nebst der Form die Einteilung der Materie in einfache und zusammengesetzte berücksichtigt.
  13.201[4]   c) Die Urteile mit einfacher beurteilen sämtlich das Vorgestellte dem ganzen Inhalt der Vorstellung nach.
  13.201[5]   d) Anderes gilt von denen

165
zusammengesetzter. Von ihnen zwar alle bejahenden, aber kein verneinendes.
  13.202[1]   e) Grund, weil, damit das Ganze sei, alle Teile, aus welchen es besteht, sein müssen, und man folglich, wenn auch nur der kleinste Teil davon nicht ist, nicht mehr sagen kann, dass das Ganze ist.
  13.202[2]   f) Das Gesagte gilt von allen Weisen der Zusammensetzung. Beispiele: Physisch (Kollektiv, Res), metaphysisch, logisch.
  13.202[3]   g) Man könnte die dem ganzen Inhalt (der Vorstellung) nach beurteilende Behauptung eine total beurteilende nennen (opp. nicht total –). (Die Logik gewöhnlegewöhnliche Logik kennt diese Einteilung nicht, obwohl so wichtig als die vorige.) Allein, es ist misslich, neue Termini einzuführen. Und zudem missverständlich (Verwechslung mit „dem Ganzen dem Umfang nach“).
  13.202[4]   h) Somit bleiben wir bei den früher gebrauchten Ausdrücken.
  13.202[5]   i) Auch hier für die Unbequemlichkeit dadurch großenteils ent-


166
schädigt, dass die Einteilung, so weit sie Urteile mit zusammengesetzter Materie betrifft, ganz mit der in Bejahungen und Verneinungen zusammentrifft, also nur als Eigentümlichkeit von ihnen gemerkt werden muss. Mit zusammengesetzter aber fast alle.
  13.203[1]   h. Beziehungen zu der vorigen Einteilung.
  13.203[2]   1) Wie dem ganzen Umfang nach beurteilend alle, bei denen der Umfang keine Vielheit von Individuen, so dem ganzen Inhalt nach alle, bei denen der Inhalt keine Vielheit von Merkmalen (Teilen) einschließt.
  13.203[3]   2) Wie bei der ersten Klassifikation von den Urteilen, bei welchen der Umfang der Vorstellung eine Mehrheit umfasst, die Urteile von derselben Qualität sämtlich zu derselben, die Urteile von entgegengesetzter zur entgegengesetzten Klasse gehören, so gehören bei dieser Klassifikation die Urteile, bei welchen der Inhalt der Vorstellung eine Mehrheit von Elementen einschließt, so weit sie etc.
  13.203[4]   3) Doch während dort die dem Ganzen nach beurteilenden Behauptungen die Verneinenden, hier die bejahenden; (und umgekehrt).
  13.203[5]   4) Daher wenn dort die mit individueller Materie die einzigen dem Ganzen nach bejahenden, hier die mit einfacher Materie die einzigen dem Ganzen nach verneinenden.
  13.203[6]   Notabene (Gegen Missverständnisse) . Dort nicht explicite alles Untergeordnete und darunter Begriffene verneint. Hier nicht explicite alle im Inhalt enthaltenen Teile bejaht (sonst mehrere Urteile) (darum sagten wir nicht: allen Teilen des Inhalts nach); sondern nur so, dass, wie man sagt, der Kraft nach dort die speziellen, hier die partiellen Behauptungen darin enthalten sind (so dass sie, wie wir noch hören werden, unmittelbar daraus gefolgert werden können).
     

167
     
  13.204[1]   Notabene. Daraus, dass die Bejahung implicite alle Teile des Inhalts bejaht, ergibt sich_irr, dass die Verneinung implicite alle Zusammensetztungen mit dem Inhalt verneint.
  13.204[2]   Notabene. So lässt sich daraus (bis zu einem gewissen Maß) das früher Gesagte: dass alle Verneinungen dem ganzen Umfang nach verneinen, ableiten.
  13.204[3]   (Ausgenommen sind die Disjunktiva: eines von a und b ist nicht – a ist nicht.) Auch dies nicht ausgenommen.
  13.204[4]   Ebenso umgekehrt das Spätere aus dem Früheren.
     

168
     
  13.205[1]   V. Bei den bisherigen Klassifikationen der Urteile, welche Unterschiede der Form und der Materie zugleich berücksichtigen, haben wir an die Unterscheidungen des Vorgestellten in anzuerkennendes – zu verwerfendes, notwendiges oder unmögliches – nicht –, universell – individuell vorgestelltes, zusammengesetztes – einfaches der Reihe nach angeknüpft. In weiteren Klassifikationen müssen wir nun ebenso die Unterscheidung des Vorgestellten in erkennbares – nicht erkennbares und ihre Untereinteilungen berücksichtigen.
  13.205[2]   a) Das Meiste, was hier zu sagen ist, bedarf kaum einer besonderen Erörterung, nach dem was früher (bei der Einteilung des Vorgestellten) auseinandergesetzt worden ist.
  13.205[3]   1) So vor allem die Unterscheidung in erkennbare Wahrheiten und die Urteile, die keine erkennbaren Wahrheiten sind , erkennbare Irrtümer und Urteile, deren Wahrheit oder Falschheit nicht erkennbar ist.
  13.205[4]   Die letzteren sind die Urteile, deren Materie nicht erkennbar ist. Die ersteren sind die wahren Urteile, deren Materie erkennbar ist. Die anderen umfassen alle übrigen. Nach dem, was über

169
das Wahre und Falsche gesagt worden ist, bietet dieser Unter schied dem Verständnis kaum mehr eine Schwierigkeit.
  13.206[1]   Nur eins sei kurz bemerkt, nämlich, dass wenn man von erkennbaren Vorgestellten und von erkennbaren Wahrheiten (oder Irrtümern) spricht, das Wort erkennbar mit einer kleinen Modifikation des Sinnes gebraucht wird.
  13.206[2]   Eine erkennbare Wahrheit ist jenes Urteil, dessen Materie im früheren Sinn des Wortes erkennbar ist, und zwar als seiend oder nichtseiend, je nachdem das Urteil ein bejahendes oder verneinendes ist.
  13.206[3]   2) Ebenso wenig ist es nötig, bei den Unterschieden der mit absoluter Sicherheit, mit physischer Sicherheit, mit Wahrscheinlichkeit, und mit moralischer Sicherheit so wie bei dem Begriff der durch Glauben erkennbaren Wahrheiten zu verweilen.
  13.206[4]   3) Wichtiger ist es, etwas über die mittelbar und unmittelbar erkennbaren Wahrheiten zu bermerken. Aber auch in Bezug auf sie haben wir nicht mehr als einige in der Logik übliche Benennungen zu erklären. Eine unmittelbar erkennbare Wahrheit (eine unmittelbar einleuchtende Wahrheit) nennt man nämlich ein Erkenntnisprinzip, manchmal auch schlechtweg ein Prinzip, wie in dem Satze: Contra principia negantem non est disputandum. Die mittelbar erkennbaren Wahrheiten dagegen nennt man beweisbare Wahrheiten.
  13.206[5]   4) Über den Unterschied der a priorischen und a posteriorischen Wahrheiten ist wieder nichts besonderes zu bemerken.
  13.206[6]   Ebenso über den der a priorischen und a posteriorischen Erkenntnisprinzipien, außer dass die a priorischen Erkenntnisprinzipien einige

170
besondere Namen haben: Grundsätze, Axiome (unmittelbar durch sich selbst einleuchtende Wahrheiten).
  13.207[1]   Ein Erkenntnisprinzip a posteriori dagegen nennt man ein durch unmittelbare Erfahrung verbürgte Wahrheit u. dgl.
  13.207[2]   Notabene. Hier ist nun der Ort, eine früher unterlassene Untereinteilung nachzuholen, nämlich die der notwendigen Wahrheiten in unmittelbar – mittelbar notwendige.
  13.207[3]   1) Eine unmittelbar notwendige Wahrheit ist jene notwendige Wahrheit, deren Materie unmittelbar notwendig oder unmöglich ist. Eine mittelbar etc. Auch hier nach den früheren Erörterungen keine Schwierigkeiten. Nur die Angabe gewisser besonderer technischer Ausdrücke.
  13.207[4]   2) Alle notwendigen Wahrheiten nennt man, wie schon gesagt, Gesetze.
     

171
     
  13.208[1]   3) Die unmittelbar notwendigen Wahrheiten haben aber noch besondere und vielfache Benennungen . So nennt man sie: erste und höchste Wahrheiten, unmittelbare Wahrheiten, Grundgesetze, fundamentale Gesetze, erste Prinzipien, höchste oder oberste Prinzipien, unmittelbare Prinzipien, Prinzipien des begründenden oder ableitenden () oder szientifischen Beweises, Prinzipien der Wissenschaft oder auch schlechtweg Prinzipien κατ ἐξοχήν (= im prägnanten Sinn des Wortes) .
  13.208[2]   4) Mehr als eine von diesen Benennungen ist äquivok mit einer Benennung der Erkenntnisprinzipien. Und hiemit nicht zufrieden haben in neuester Zeit manche Forscher , um die Verwirrung vollständig zu machen, angefangen, ihnen auch noch den Namen Axiome zu geben (z. B. Wundt: die Axiome der

172
Naturwissenschaft(?)), obwohl bei weitem nicht jeder von ihnen ein Axiom im gewöhnlichen Sinn des Wortes ist, vielmehr die Erkenntnis von vielen erste eine Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch fortgesetzte Forschung krönten, und andere uns noch immer verborgen sind und allezeit verborgen bleiben werden.
  13.209[1]   So z.B. sind die drei Grundgesetze der rationellen Mechanik: 1) das Gesetz der Trägheit, 2) das der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung, 3) das Gesetz der Komposition der Kräfte.
  13.209[2]   Für das Dasein Gottes, auch ein Grundgesetz, wurde der exakte Beweis erst spät gefunden und noch heute vielfach beanstandet.
  13.209[3]   Doch nach dem, was über den Unterschied des unmittelbar Notwendigen und des unmittelbar Sicheren gesagt worden, ist der Unterschied zwischen Grundgesetz und Grundsatz oder Axiom andererseits auch ohne weitere Erläuterungen verständlich.
  13.209[4]   Wir werden sie immer mit diesen oder anderen unzweideutigen Ausdrücken bezeichnen. Beim Studium der Schriftsteller bleibt Achtsamkeit auf den jeweiligen Sinn geboten.
  13.209[5]   5) Die mittelbar notwendigen Wahrheiten führen außer dem, dass man sie wohl auch eine aus ihren Gründen erkennbare Wahrheit oder auch eine wissenschaftlich erweisbare Wahrheit im engsten Sinn des Worts mittelbare Gesetze und häufig auch mittelbare Wahrheiten u. dgl. nennt, insbesondere auch den Namen sekundäre Gesetze.
  13.209[6]   6) Kann man ein sekundäres Gesetz aus den Grundgesetzen, von welchen es abhängig ist, erkennen, so nennt man es ein ableitbares oder erklärbares Gesetz; die anderen, falls sie überhaupt erkennbar sind, nennt man bloß empirisch beweisbare Gesetze. Doch

173
diese Ausdrücke werden, wie auch der zuvor gebrauchte Terminus: Prinzip des apodiktischen oder szientifischen Beweises, erst später, wenn wir von der Ableitung und Erklärung der Gesetze sprechen, völlig klar werden.
      C. Einteilung nach dem Unterschied der Intensität (Entschiedenheit)
  13.210[1]   Hier genügen wenige Worte.
  13.210[2]   1. Der Intensität nach sind die Urteile entweder zuversichtliche oder vermutende (feste, entschiedene oder schwankende).
  13.210[3]   Ein schwankendes Urteil ist ein solches, dem der Zweifel beigemischt ist. (Nicht jede schwächere Intensität scheint mit Zweifel verbunden.) Man gesteht sich die Möglichkeit des Irrtums zu. Ein solches Urteil nennt man eine Meinung (Vermutung). Ein zuversichtliches Urteil dagegen ist ein solches, dessen Entschiedenheit vollkommen ist, so dass auch nicht die Spur eines Zweifels sie schwächt.

174
Man nennt es Überzeugung.
  13.211[1]   2) Manchmal nennt man die Unterschiede der Entschiedenheit auch Unterschiede der Gewissheit. Allein der Ausdruck ist nicht ohne Zweideutigkeit; indem man unter Gewissheit eben so oft die Sicherheit als die Entschiedenheit eines Urteils versteht. Beide sind nicht identisch, wie denn Aristoteles von Heraklit sagte, er vertraue zuversichtlicher auf seine Meinungen (unbewiesenen Annahmen) als Andere auf ihr Wissen.
  13.211[2]   3) Die Zuversicht ist bald eine blinde, bald eine auf Einsicht beruhende Zuversicht. Doch dies greift schon in das Gebiet einer dritten Klassifikation nach den Motiven über, wovon alsbald gesprochen werden soll.
  13.211[3]   4) Wir haben schon gelegentlich die Ansicht Newmans erwähnt, welcher lehrt, dass der vermeinte Mangel der Zuversicht gewisser Urteile sich darauf reduziere, dass in ihnen nicht eigentlich das, was das entsprechende zuversichtliche Urteil behauptet, sondern die Wahrscheinlichkeit davon behauptet werde.
  13.212[1]   Hätte er Recht, so würde der Unterschied der Entschiedenheit kein besonderer Einteilungsgrund sein, sondern zu einem Unterschied der Materie werden.
  13.212[2]   Wie ich auch früher angedeutet habe, hat diese Ansicht ihre psychologischen Bedenken (insbesondere Urteile bei stärkerer – schwächerer gewohnheitsmäßiger Erwartung (Vermutung)) , von denen es fraglich ist, ob sie (so leicht) zu beseitigen sind. Für die Logik aber ist es nicht von Belang, ob wir sie annehmen oder nicht, da in ihr das schwankende Urteil jedenfalls nur in solchen Beziehungen in Betracht kommt, in welchen man ein zuversichtliches Urteil, welches die Wahrscheinlichkeit behauptet, ihm substituieren kann.
  13.212[3]   Daher haben wir denn auch nicht länger bei diesem Unterschied zu verweilen.
  13.212[4]   Ungleich wichtiger ist die:
      D. Einteilung nach den Unterschieden der Motive
  13.212[5]   Hier gilt es zunächst den Begriff des Motivs, so weit dies nötig ist, zu verdeutlichen. Jedes Urteil hat ein gewisses Motiv, als eine Ursache, aus welchem es entspringt. Nicht als ob das Motiv des Urteils die einzige und vollkommene Ursache des Urteils wäre. Keineswegs. Eine Ursache und notwendige Vorbedingung von ihm ist in jedem Falle die Seele und ein gewisser Zustand von ihr, den wir das Wachsein nennen; aber diese Ursachen, die allen Urteilen gemeinsam sind, für sich allein aber nicht hinreichen würden, das Urteil zu erzeugen, nennen wir nicht Motive. Das Motiv ist vielmehr jene Ursache des Urteils, auf die eigentlich unsere Frage gerichtet ist, wenn wir zu Jemandem sagen: warum hältst du das für wahr?
  13.212[6]   Diese Motive also sind bei verschiedenen Urteilen verschieden und nach ihren allgemeinsten Unterschieden wollen wir jetzt die Urteile

176
einteilen.
     

177
     
  13.214[1]   1. Motiv nicht = Gegenstand.
  13.214[2]   2. Motiv nicht = Ursache. Jedes Urteil hat eine Ursache. Aber nicht jedes ein Motiv. Unmotivierte Urteile. Nicht genügend motivierte Urteile.
  13.214[3]   3. Motiv eines Urteils ist das, worauf unsere Frage gerichtet ist: Warum hältst Du das für wahr?
  13.214[4]   4. Erläuterung durch Parallele mit der Liebe. Jede Liebe hat einen Gegenstand, eine Ursache. Aber nicht jede ein Motiv. Unmotivierte Liebe, wo etwas ohne in sich selbst liebenswürdig zu sein, ohne Rücksicht auf etwas Andres geliebt wird, z.B. Liebe des Geizigen zum Geld. Ähnlich auch gewisse Urteile, wie z.B. manche gewohnheitsmäßige Annahmen.
  13.214[5]   5. Es gibt dies der Liebe einen besonderen Charakter (besonderen Modus); ähnlich auch die Urteile. Und daher würden wir gerne gesagt haben: Unterschied der Modalität, wenn nicht etc.
     

178
     
  13.215[1]   6. Wir sagen also entweder motivierte – oder unmotivierte Urteile.
  13.215[2]   7. Zu den unmotivierten gehören die instinktiven. Aus einer gewissen blinden natürlichen oder gewohnheitsmäßigen Neigung geht das Urteil hervor, z.B. äußere Wahrnehmung , Gedächtnis. Gewohnheitsmäßiges Urteilen in ähnlichen Verhältnissen. Manche sagen instinktive Folgerung“, aber nur entfernte Ähnlichkeit, in sofern durch frühere Annahmen verursacht (unbwußte Folgerung) .
  13.215[3]   8. Ferner solche, wo der Wille (die Liebe) zur Zustimmung bewegt. Eitelkeit. Religiöser Glaube. Auch in diesen Fällen ist das Urteil nicht als Urteil, sondern nur etwa als Handlung motiviert (insofern man eine Handlung motiviert nennt, welche aus einem motivierten Willen hervorgeht).
  13.215[4]   9. Einteilung der motivierten in 1. unmittelbare 2. mittelbare (Cf. Nr. 65, Blatt 58, C ).
  13.215[5]   10. Die unmittelbaren haben ihr Motiv in der Vorstellung entweder an und für sich oder insofern ihr Gegenstand mit dem Urteil real und untrennbar vereinigt ist (zu dem Urteil in einem unlöslichen Verhältnis steht).
  13.215[6]   11. Die mittelbaren haben ihr Motiv in anderen bereits gemachten Annahmen (58–60).
  13.215[7]   12. Teilweise motivierte – teilweise unmotivierte Urteile: a) bezüglich der Intensität, b) bezüglich der Prämissen, aus welchen sie gefolgert werden.
     

179
     
  13.216[1]   13. Ob es möglich, ob es vernünftig und lobenswert ist, mit Bewusstsein eines Mangels hinsichtlich der Motivierung zuzustimmen? Das sind Fragen, die wir der Psychologie und Ethik überlassen mögen. Streit auf dem Gebiet der Theologie: Picus von Mirandola. Geradezu als Forderung aufgestellt. Pflicht des Glaubens. Thomas von Aquin, Summa Theologica 2a, 2ae, qu. 2, art. 8. Ferner: pia scientia.
  13.216[2]   14. Nehmen wir an vernünftig, doch keine Vernunfterkenntnisse, und nur von ihnen handelt die Logik.
     

180
     
  13.224[1]   Die Klassifikationen und die Beispiele, die wir dabei anwenden werden, was unserer Bestimmung etwa noch an Deutlichkeit mangelt, ergänzen wir in folgender Weise.
  13.224[2]   64. Die Urteile sind also nach den Unterschieden ihrer Motive entweder Verstandesurteile oder Willensurteile oder instinktive Urteile; Urteile mit gemischten Motiven, d.h. das Motiv der Annahme ist erstens entweder ein unmittelbares Motiv des Erkenntnisvermögens selbst , wie z.B. wenn von einem etwas wahrgenommen wird, oder ihm aus den Begriffen einleuchtet; oder es ist zweitens ein Motiv des Willens, in welchem Falle der Wille dann es ist, der erst das Erkenntnisvermögen zur Annahme bewegt, während es an und für sich unentschieden bleiben würde (wie z.B. beim religiösen Glauben), oder drittens endlich es ist ein Motiv einer gewissen natürlichen Neigung , die kein eigentlicher Wille zu nennen ist, eines motivierten Triebes, der ähnlich dem eigentlichen Willen das Erkenntnisvermögen beeinflusst wie z.B. bei der sogenannten äußeren Wahrnehmung, die eigentlich keine Wahrnehmung ist, da sie nicht bloß kein zuverlässiges Erfassen, sondern sogar in vielen Beziehungen falsch ist, der aber zu vertrauen Tiere und Menschen eine angeborene Neigung haben. Und ebenso beim Gedächtnis. Verbranntes Kind (Hund) scheut das Feuer (nicht Induktion, Assoziation).
     

181
     
  13.225[1]   65. Die Verstandesmotive sind wieder von mehrfacher Art. Sie liegen entweder in anderen bereits gemachten Annahmen, oder nicht. Im letzten Falle ist das Urteil ein unmittelbares Verstandesurteil, eine unmittelbare Erkenntnis, wie z.B. die Wahrnehmung der eigenen Akte, oder die Einsicht des Satzes das Ganze ist größer als der Teil. Die unmittelbaren Erkenntnisse sind teils unmittelbare Einsichten (wenn aus den Begriffen), teils nicht. Manchmal werden sie alle Einsichten genannt. Liegt dagegen das Motiv in anderen bereits gemachten Annahmen, so heißt es ein gefolgertes Urteil, eine Folgerung, z.B. Da so viele Tausende und Millionen der verschiedenartigsten Menschen gestorben sind und keiner ein gewisses Alter überschritten hat, so werde auch ich, der ich ihnen meiner Natur nach verwandt bin, sterben.
  13.225[2]   Die Urteile, welche Motive geworden sind, nennt man Prämissen, das Verfahren, welches aus ihnen die Folgerung zieht (den Hervorgang der Folgerung aus den Prämissen) , folgern oder schließen, und die Prämissen mit der Folgerung zusammen nennt man Schluss. Auch er wird aber manchmal Folgerung genannt.
  13.225[3]   66. Die Folgerungen unterscheiden sich als mittelbare und unmittelbare Folgerungen.
  13.225[4]   Mittelbar sind sie, wenn die Prämissen, oder wenigstens ein Teil derselben selbst gefolgert ist.
  13.225[5]   67. Die Folgerungen unterscheiden sich ferner, je nachdem sie richtig oder unrichtig gefolgert sind.
  13.225[6]   Richtig gefolgert sind sie, wenn sie, angenommen die Urteile, aus welchen gefolgert wird, seien wahr, in der Weise, wie es geschieht, um ihretwillen mit Zuversicht anerkannt zu werden verdienen. Mit anderen Worten: wenn das Verhältnis der Prämissen zu den Folgerungen ein derartiges ist, dass nie bei einem ähnlichem Verhalten gewisser Urteile zu anderen Urteilen, die ersten wahr, die anderen aber falsch sind; und

182
dieses Verhältnis Grund der Annahme des gefolgerten Urteils ist.
  13.226[1]   (Vielleicht noch etwas vorsichtiger zu formulieren, damit zwar allerdings die physische Sicherheit, aber nicht mehr ein geschlossen wird. Bedenken erregt auch, dass man durch falsches Verfahren, indem die Fehler sich ausgleichen, richtiges erschließen kann.)
  13.226[2]   68. Damit dies der Fall sei, muss es unmöglich oder so gut wie unmöglich sein, dass die Prämissen wahr und die Folgerung falsch ist, eine Unterscheidung, die aus dem, was über die absolute und physi sche Sicherheit gesagt worden ist, verständlich sein wird.
  13.226[3]   69. Sonst sind sie unrichtig gefolgert.
  13.226[4]   Die unrichtig gefolgerten sind entweder bloß inexakt gefolgert; das ist dann der Fall, wenn es nur selten vorkommen wird, dass bei ähnlichem Verhältnis zwischen Prämissen und Folgerung die ersten wahr und die letzten falsch sind und dieses Verhältnis bei der Annahme des gefolgerten Urtheils bestimmend wird. Oder sie sind ganz unrichtig gefolgert. Eigentliche Fehlschlüsse, Paralogismen.
  13.226[5]   70. Notabene. Trägt einer bei den inexakten Folgerungen dem Umstand gebührend Rechnung, dass es zuweilen vorkommt, dass bei solchen Verhältnissen die Falschheit der Folgerung mit der Wahr-


183
heit der Prämissen zusammenbesteht, so wird der Schluss ein exakter Wahrscheinlichkeitsschluss. Man schließt dann nicht eigentlich auf die Wahrheit jener Folgerung, sondern nur darauf, dass ihre Wahrheit mit einem gewissen Maß von Zuversicht zu vermuten sei, oder (was auf dasselbe hinausläuft) auf ein gewisses Maß der Wahrscheinlichkeit jener Folgerung . So z.B. beim Würfeln mit einem regulären Würfel, dass 5 gegen 1 zu wetten sei, dass der Wurf 6 nicht falle; und mit zweien: dass 35 gegen 1 zu wetten sei, dass Doppelsechs nicht falle; und mit dreien: dass 215 gegen 1 gewettet werden könne, dass Dreifachsechs nicht geworfen werde. So kann die Stärke der Vermutung, zu welcher der exakte Wahrscheinlichkeitsschluss führt, sich mehr oder minder der vollen Zuversicht nähern. Ist sie

184
sehr groß, so sagt man wohl auch, dass er moralische Gewissheit gebe. Auch dieser Ausdruck wird durch das, was über die moralische Sicherheit gesagt worden ist, erklärt.
  13.228[1]   71. Die Folgerungen unterscheiden sich ferner in Folgerungen, die reine Verstandesurteile, und in solche, welche dies nicht sind. Reine Verstandesurteile sind sie nur dann, wenn auch die Prämissen und, im Falle sie mittelbare Folgerungen sind, auch die Prämissen der Prämissen bis hinauf zu den ersten und unmittelbaren Annahmen Verstandesurteile sind.
  13.228[2]   72. Sehen wir zunächst von den übrigen ab.
  13.228[3]   Die Folgerungen, so weit sie reine Verstandesurteile sind (denn jetzt ist nur von diesen die Rede) , sind nach dem Unterschied ihrer Prämissen von dreifacher Art.
  13.228[4]   ad 59, a] Erstens können ihre Prämissen unmittelbare Einsichten sein, oder solches, was aus unmittelbaren Einsichten richtig gefolgert ist; zweitens können ihre Prämissen solches sein, was nicht exakt gefolgert ist; drittens endlich können sie von ganz unrichtig gefolgerten Prämissen ausgehen.
  13.228[5]   Was aus Prämissen der ersten Art richtig gefolgert wird, nennt man bewiesen im eigentlichen Sinn, oder auch exakt bewiesen; der Schluss = Beweis. Auch was aus Prämissen der zweiten Art, sei es exakt, sei es manchmal auch minder exakt gefolgert wird, nennt man noch in einem uneigentlicheren Sinn bewiesen, wenn die Mängel der Exaktheit nicht sehr bedeutend sind: inexakter Beweis. Was aus Prämissen der dritten Art, wenn auch exakt, gefolgert wird, ist gar nicht bewiesen.
  13.228[6]   74. Notabene. Trägt man bei dem inexakt Bewiesenen den Mängeln der Prämissen und des Verfahrens gebührend Rechnung, so wird ähnlich wie der inexakte Schluss zum exakten Wahrscheinlichkeitsschluss wird, der inexakte Beweis zum exakten Wahrscheinlichkeitsbeweis . Man beweist dann nicht eigentlich die Wahrheit der Folgerung, sondern nur, dass ihre Wahrheit mit einem gewissen Maß von Zuversicht zu vermuten sei.
  13.228[7]   75. Wird eine Folgerung, sei es unmittelbar, sei es mittelbar, aus einer Anzahl

185
von Prämissen exakt bewiesen oder richtig gefolgert, die sämtlich erste und unmittelbar notwendige Wahrheiten, d.h. lauter Grundgesetze sind, so heißt sie eine apodiktisch erwiesene Wahrheit oder auch ein abgeleitetes Gesetz. (Induktionen der Mathematiker.)
  13.229[1]   Und der Schluss, oder die Kette von Schlüssen: ein apodiktischer Beweis, eine vollkommene Ableitung. (dagegen Aristoteles: Es müßen die Prinzipien ίδια sein.
  13.229[2]   76. Eine Ableitung in unvollkommenerem Sinn (vielleicht besser auch hier ein doppelter Sinn) nennt man aber auch bereits jeden Schluss, bei dem die Folgerung aus dem bewiesen wird, wovon ihre Wahrheit abhängt:
  13.229[3]   a) wenn die Folgerung ein Gesetz ist: aus einem höheren Gesetz (doch erst wenn vollständig, abgeleitetes Gesetz schlechthin, sonst empirisch erkanntes, empirisches Gesetz);
  13.229[4]   b) wenn sie eine Tatsache (eine kontingente Tatsache) : aus Ursachen und Gesetzen, denen sie unterworfen ist. ( Abgeleitete kontingente Tatsachen schlechthin könnte man solche nennen, die aus den urersten und einfachsten

186
Tatsachen und aus höchsten Gesetzen gefolgert wären. Ob aber eine derartige Ableitung einer Tatsache für uns möglich ist, ist eine andere Frage, die wir hier nicht zu untersuchen haben.)
     
  13.230[1]   ad 76. Wird ein niederes Gesetz aus höheren und einfacheren (wenn sie auch nicht die einfachsten und unmittelbaren Gesetze sind) oder eine Tatsache aus Gesetzen und anderen sie bedingenden Tatsachen (Ursachen) gefolgert, so nennt man auch dies eine Ableitung (wenn auch in einem etwas weniger strengen Sinn des Wortes).
     

187a
  13.230[1]   77. Die (nachträgliche) Ableitung eines Gesetzes oder einer kontingenten Tatsache, die bereits früher feststand, nennt man Erklärung.
  13.230[2]   Die (nachträgliche) Ableitung eines bereits feststehenden Gesetzes aus höchsten Gesetzen Ergründung .
  13.230[3]   78. Wissen nennt man im weiteren Sinn jedes zuversichtliche Urteil, das unmittelbar eingesehen oder bewiesen ist; im engeren sagt man bloß von dem Bewiesenen, dass man es wisse; im engsten bloß von dem apodiktisch Bewiesenen (Erkenntnis aus dem Grunde)
  13.230[4]   79. Das alles und noch Manches Andere hat nach dem, was wir von den Unterschieden der Materie handelnd festgestellt haben, keine Schwierigkeit.

187
So z.B. auch die Unterscheidung einer apriorischen und aposteriorischen unmittelbaren Einsicht (oder Evidenz).
  13.232[1]   Und ebenso eines apriorischen und aposteriorischen Beweises, und (was beides zusammenfasst) einer apriorischen und aposteriorischen (Verstandes-)Erkenntnis.
  13.232[2]   Man hat nichts zu tun als das, was damals über die objektiv gegebenen Verhältnisse gesagt wurde, auf das subjektive Verhalten zu übertragen, das ihnen entsprechend ist. (Erkennbarkeit – Erkenntnis u. dgl.)
  13.232[3]   Notabene. Die Verstandesurteile haben das gemeinsam, dass eine Nötigung existiert, die keine Reflexion zu beseitigen vermag. (Der Verstand ist nicht frei wie der Wille.) Man nennt auch „zwingend“, obwohl kein Zwang des Verstandes. Höchstens insofern der Wille sich sträubt und nichts vermag, ihm indirekt Zwang (Hemmnis, wie er möchte, den Verstand zu bestimmen). Beim Instinkt kann Nötigung bestehen, aber durch Reflexion, durch das stärkere (Verstandes)Motiv gehoben.
     

188
     
  13.233[1]   80. Die Willensurteile unterscheiden sich nach den Unterschieden der Motive des Willens.
  13.233[2]   Jedes Motiv des Willens ist etwas, was als Gut begehrt wird, und man unterscheidet ein dreifaches Gut: 1. ein bonum honestum: τὸ καλόν = das Edle, sittlich Schöne und malum urpe, αἰσ ιόν (κακόν); 2. ein bonum jucundum: τὸ

189
ἡδύ = das Angenehme, die Lust; und malum injucundum und λυπηρόν; 3. ein bonum utile, τὸ χρήσιμον = das Nützliche. (Ob die Einteilung vollständig? Nach Mill wohl nicht (Angewöhnungen).)
  13.234[1]   Von diesen aber ist das dritte nicht um seiner selbst, sondern nur um eines der anderen willen begehrbar, und jedesmal nur in Beziehung zu einem von ihnen begehrt. Somit ist jedes Motiv des Willens im Grunde entweder ein καλόν oder ἡδύ .
  13.234[2]   Hienach scheiden sich denn auch die Urteile des Willens in solche, worin einer aus einem sittlichen (guten) Motiv, und in solche, worin einer aus Annehmlichkeit etwas für wahr hält.
  13.234[3]   81. Im ersten Fall kann das Motiv ein solches sein, wodurch man sich für verpflichtet hält, oder ein solches, wodurch man sich nicht für verpflichtet hält.
  13.234[4]   Ist das Motiv ein verpflichtendes, so ist es wiederum entweder ein zu zuversichtlicher oder nicht zu zuversichtlicher Zustimmung verpflichtendes.
  13.234[5]   82. ad 1. Zum Beispiel Glauben. Der Glaubende weiß sich verpflichtet, etwas ganz zuversichtlich anzunehmen, als wenn es bewiesen wäre. (Cf. D. Thomas 2a2ae, quaest. II, art. 1, corp. und ad 3um.) ad 2. Zum Beispiel über den Nächsten, von dem ich nichts Böses weiß, eine gute Meinung zu haben. (Ich muss ihm deshalb nicht Gut und Leben anvertrauen). (Hier ist ein Punkt, wo Newmans Ansicht schwer durchführbar wird. Aber er gehört eigentlich bereits zum ethischen Gebiet, über dessen Grenze wir hier etwas hinüberschweifen.) Ähnlich die Zustimmung, die der Ausspruch einer hohen kirchlichen Autorität verlangt, die nicht die höchstentscheidende ist.
  13.234[6]   Als Beispiele von Urteilen, wo das Motiv ein bonum honestum, aber nicht verpflichtend ist, können die s.g. piae sententiae (pia opinia), fromme Meinungen dienen. (Es liegt in der Annahme z.B. einer Legende ein Antrieb zum Guten. Die Annahme mag darum in gewisser Weise löblich genannt werden, aber in keiner Weise ist man dazu verpflichtet.)
  13.234[7]   Aber natürlich: nihil est pium nisi quod idem verum est, wie Bannez sagt, d.i. quod aperte falsum est. Ist etwas sicher als falsch erwiesen, so hört alle Pietas auf und die sancta simplicitas tritt an die Stelle; abgesehen davon, dass mit dem pie credendum est ein gewaltiger Missbrauch

190
schon getrieben worden ist, und noch getrieben wird.
  13.235[1]   Denn es ist manchmal gar nicht abzusehen, warum die als pia sententia gepriesene Ansicht vor der entgegengesetzten den Vorzug der Frömmigkeit haben soll. (Sehr natürlich ist, dass Parteileidenschaft sich auch dieses Mittels bedient, oft ohne zu wissen, was sie tut.)
  13.235[2]   Durch den Nachweis der Falschheit eines Urteils verlieren natürlich auch zum Assens verpflichtende Motive für diesen Fall ihre bindende Kraft. Wie z.B. einen gerichtet sehen nicht richten ist (Franz v. S.). Und wie auch der autoritative Ausspruch sie verliert.
  13.235[3]   83. Die instinktiven Urteile unterliegen ebenfalls einer Einteilung nach den Motiven. Die Annahme kann aus einem unmittelbaren (angeborenen) Instinkt hervorgehen.
  13.235[4]   Dann ist sie eine einfach instinktive Annahme oder auch eine instinktive Annahme in engerem Sinn (äußere Wahrnehmung, Gedächtnis) .
  13.235[5]   Oder sie kann aus Assoziation und Gewohnheit entspringen, wie z.B. beim Pferd des Darius, das Futter zu bekommen erwartete,

191
und bei jedem, was das Tier in Folge Abrichtung oder spontaner Erfahrung annimmt.
  13.236[1]   Es liegt hierin eine Ähnlichkeit mit der Folgerung, denn auch hier sind es frühere Annahmen, welche Ursachen sind, aus welchen die neue hervorgeht.
  13.236[2]   Eine Folgerung im eigentlichen Sinne ist es nun gerade nicht, obwohl manche es dafür gehalten haben, wir können es aber eine instinktive Folgerung nennen.
  13.236[3]   84. Wir haben oben erwähnt, dass es außer den reinen Verstandesurteilen und den Willensurteilen und den Urteilen durch Instinkt auch noch eine gemischte Art von Urteilen gibt.
  13.236[4]   Man kann sie aber, weil der Verstand es ist, der aus früher von ihm angenommenen Urteilen die Folgerung zieht, den Verstandesurteilen zuzählen .
  13.236[5]   Doch läge nichts daran, wenn einer sie als eine vierte Klasse betrachten wollte. Diese sind alle mittelbar, und meistens Folgerungen, und insofern in gewisser Weise Verstandesurteile. Aber sie sind nicht reine Verstandesurteile. Reines Verstandesurteil ist eine Folgerung nur dann, wenn auch die Prämissen, und im Falle sie mittelbare Folgerungen sind, auch die Prämissen der Prämissen bis hinauf zu den ersten und unmittelbaren Annahmen Verstandesurteile sind. Außerdem mögen einige instinktive Folgerungen hierhergehören. Auch die Urteile des Glaubens könnte man in einer gewissen Weise zu den gemischten rechnen, insofern das Verstandesurteil der Verpflichtung mitbestimmt, ähnlich bei anderen Willensurteilen
  13.236[6]   Das Motiv kann natürlich zweifach oder dreifach gemischt sein. Das letzte, wenn Willensmotiv und instinktives zugleich. Denn ein

192
Verstandesmotiv ist immer beigemischt.
  13.237[1]   Ist dies ja auch sogar beim eigentlichen Willensurteil der Fall.
  13.237[2]   Denn es setzt voraus, dass das Fürwahrhalten für ein Gut gehalten wird. So ist jeder Glauben ein mittelbares Fürwahrhalten, wenn auch keine Vernunftfolgerung.
  13.237[3]   Hieraus gegen Deutinger.
  13.237[4]   85. Die Urteile werden aber nach den Motiven auch noch in einer anderen Weise eingeteilt, die sich (teilweise) mit der vorigen kreuzt.
  13.237[5]   Sie sind: I. Urteile aus genügenden (vernunftgemässen), II. ungenügenden Motiven. ]
  13.237[6]   Genügende Motive eines Urteils sind solche, bei welchen der, welcher sich dadurch zum Urteil bewegen lässt, vernünftig verfährt, oder, mit anderen Worten, Motive, welche Motive zu werden verdienen (mit welchen die Vernunft sich zufrieden zu erklären berechtigt ist) .
  13.237[7]   Betrachten wir die drei zuvor unterschiedenen Klassen, so gilt: a) für die Klasse der instinktiven Urteile, dass bei ihnen nie ein genügendes Motiv gegeben ist.
  13.237[8]   Und natürlich! das ihnen folgende Urteil hat ja mit der Vernunft gar nichts zu tun, und findet sich daher bei Tieren wie bei Menschen (auch innere Wahrnehmung) . Selbst angenommen, dass es immer wahr sei, was keineswegs der Fall ist, könnte man doch nicht sagen, dass man ihm zustimmt, weil es Zustimmung verdient. Die Zustimmung bliebe einsichtslos und blind. Denn ohne alle Einsicht. Er hat keine Einsicht in die Wahrheit, und setzt sich also der Gefahr des Irrtums aus. Und er hat ebenso wenig eine Einsicht, dass dadurch, dass er sich so der Möglichkeit des Irrtums aussetzt, etwas Gutes erreicht wird. Es ist also ein völlig blindes Zutappen, ein Zugreifen aufs Geratewohl (bei dem, wenn Wahrheit und Irrtum nicht völlig gleichgültige Dinge sind, kein Vernünftiger sich beruhigen wird.)
  13.237[9]   Sagt man: dennoch genügendes Motiv, denn die Wahrhaftigkeit Gottes, also der Naturtrieb nicht verleitend! Antwort: Angenommen, das Argument sei richtig, so würden wir in Folge seiner dem, wozu wir instinktiv neigen, zustimmen dürfen, nicht aber in Folge des Triebs für sich. Und so ein Verstandesurteil. Aber offenbar das Argument nicht richtig, da sonst nie und in keiner Beziehung falsch, während doch das Gegenteil der Fall ist. (Das Weitere in der Metaphysik.)
  13.237[10]   Sagt man, das Motiv muss genügen. Denn die natürliche Neigung ist unfrei, also nötigend. Ein notwendig bestimmendes Motiv ist aber gewiss ein genügendes. (Vergeblich ist es, ein psychisches Gesetz zu bekritteln und gegen seine Herrrschaft zu protestieren.) Antwort: Unterschied zwischen unfrei wirken und unwiderstehlich wirken . Die erwachte Reflexion ist stärker als diese natürlichen Neigungen, so wie auch als instinktive Neigungen der Gewohnheit, so zwar dass, wo Falschheit eingesehen, sogar unmöglich mehr vertrauend. Wäre wirklich unser Verstand unwiderstehlich genötigt, blind und einsichtslos seine Zustimmung zu geben, so würde er eher alles andere als ein Erkenntnisvermögen sein.
  13.237[11]   b) Bei der Klasse der Verstandesurteile ist es, da sie teils zuversichtlich, teils bloße Vermutungen sind, zuerst nötig, die einen und anderen zu scheiden.
  13.237[12]   Von den zuversichtlichen haben die unmittelbare Einsicht und das Wissen genügende Motive.
     

193
     
  13.238[1]   Von den Vermutungen diejenigen, welche auf einem Wahrscheinlichkeitsbeweis beruhen, und bei welchen das Maß der Vermutung der Größe der Wahrscheinlichkeit entspricht (oder doch nicht größer ist).
  13.238[2]   c) Ähnliches gilt von den Willensurteilen.
  13.238[3]   Auch sie sind teils zuversichtlich, teils nicht zuversichtlich. Von den Zuversichtlichen haben diejenigen ein genügendes Motiv, bei welchen die Pflicht der zuversichtlich Zustimmung erwiesen ist: der Glauben.
  13.238[4]   Der Glauben setzt also ein Wissen voraus, aber ein Wissen, das einen anderen Inhalt hat als den des Glaubens: ein Wissen nicht von der Wahrheit des zu Glaubenden (denn ein solches Verstandesurteil würde die entsprechende Mitwirkung des Willens einschließen), aber von der Verpflichtung zum Glauben.
  13.238[5]   Ob in irgendeinem Fall, und unter welchen Umständen etwa dieses Wissen gegeben sei, das ist eine spezielle Untersuchung, die nicht hierher gehört. Im Allgemeinen geben auch dafür die logischen Regeln des Beweises den Maßstab. Doch so viel mag in kürze be-


194
merkt werden, dass dazu gewisse Zeichen gehören, welche mit überwiegender Wahrscheinlichkeit beweisen, dass Gott etwas offenbart und befohlen hat, ihm nicht bloß nach Maßgabe der Stärke jener Zeichen, sondern mit derselben Festigkeit, als wenn es bewiesen wäre, anzuhangen.
  13.239[1]   Da es in jedem wichtigen praktischen Fall, wo ein Fehlgriff von den schlimmsten Folgen wäre, unvernünftig und pflichtwidrig ist, sich in seinem Handeln nicht an das überwiegend Wahrscheinliche, sondern sehr Unwahrscheiliche zu halten, so folgt, dass nur der vernünftig und pflichtgemäß handelt, der sich in der bezeichneten Lage an die durch die Zeichen als überwiegend wahrscheinlich erwiesene Offenbarung Gottes und insbesondere auch an den darin enthaltenen Befehl Gottes zu vollkommen fester Zustimmung hält, d.h. dass nur der vernünftig und pflichtgemäß handelt, der jener Offenbarung, als wenn sie erwiesen wäre, anhangt. Dieses Tun heißt Glauben.

195
Und jene Zeichen heißen signa credibilitatis.
  13.240[1]   Fehlen die signa credibilitatis und ist darum die Pflicht des festen Willensurteils nicht erwiesen, so heißt es Aberglauben (freilich ein Namen, der auch in mannigfach anderem Sinn gebraucht zu werden pflegt).
  13.240[2]   Von den nichtzuversichtlichen Willensurteilen haben diejenigen ein genügendes Motiv, bei welchen das Maß der Zuversicht dem entspricht, was als Pflicht oder wenigstens als löblich erwiesen ist.
  13.240[3]   Ein bonum jucundum für sich allein ist nie eingenügendes Motiv, wie überhaupt nicht zum vernünftigen Handeln, so auch nicht zu einer vernünftigen Annahme.
  13.240[4]   d) Von den dem Motiv nach gemischten Urteilen endlich haben die zuversichtlichen dann ein genügendes Motiv, wenn sie aus zuversichtlichen Urteilen, die genügende Motive hatten, erwiesen sind. Die nichtzuversichtlichen aber, wenn sie aus Urteilen, die genügende intellektuelle oder ethische Motive hatten, exakt erschlossen sind, und das Maß der Zuversicht zu dem der Prämissen und zum Charakter des Schlusses als sicheren oder Wahrscheinlichkeitsschluss (zu Art des Schlusses) in entsprechendem Verhältnis steht.
  13.240[5]   Unter der Art des Schlusses verstehen wir den verschiedenen Charakter der Schlüsse als sichere und Wahrscheinlichkeitsschlüsse.
  13.240[6]   Notabene. Die gewöhnliche Logik hat die Willensurteile mit genügenden Motiven gar nicht berücksichtigt. Hiedurch eigentlich falsch. Anders Pascal. Wenn auch nur, um zu abstrahieren. Der kurze Blick bei dem Interesse der Frage war wohl am Platz.
  13.240[7]   86. Bei manchen neueren Logikern fand ich als eines der fuindamentalen Gesetze der Logik die Regel aufgestellt (z.B. Beck, Greith, Drobisch, III. Aufl., § 57) : dass man kein Urteil fällen dürfe ohne genügendes Motiv. Sie nennen dieses Gesetz das principium rationis sufficientis und führen es auf Leibnitz zurück. Aber weder ist dies das Gesetz, das Leibnitz unter diesem Namen geltend gemacht hat, noch würde er in diesem Fall etwas besonders Wichtiges und Beachtenswertes vorgebracht haben. Denn es ist dies kein besonders tiefsinniges Gesetz, keine Wahrheit, deren Entdeckung großen Scharfsinn

196
forderte. Vielmehr ist diese Regel eine reine Tautologie, denn ihr Sinn ist kein anderer als der: Man tut Unrecht, wenn man sich bei einem Urteil durch Motive bestimmen lässt, außer durch solche, duch welche man sich mit Recht bestimmen lässt. (Denn: dass man nie ohne jedes Motiv sich bestimmen lassen soll, bedarf keiner Regel, da dies absolut unmöglich ist.) Oder noch deutlicher: Motive, wodurch man sich nicht bestimmen lassen darf, sind Motive, wodurch man sich nicht bestimmen lassen darf.
  13.241[1]   Das also ist die ganze Weisheit! Wir sehen, sie ist nicht sehr groß. Es bleibt erst zu erforschen, welche Motive zu denen gehören, durch welche man sich (mit Recht) bestimmen lassen darf. Und dies im Allgemeinen zu lehren ist vorzüglich die Aufgabe der Logik, so weit sie eine Kunst der Prüfung ist.
  13.241[2]   Wie gesagt, ist dies auch nicht das Gesetz, das Leibnitz so stark betont und dem Gesetz des Widerspruchs an die Seite stellt. Vielmehr spricht er dies in seiner Theodizeé I, § 44 so aus: „ Il faut considérer qu’il y a deux grands principes de nos raisonnements: l’un est le principe de la contradiction; – l’autre principe est celui de la raison determinante, c’est que jamais rien n’arrive, sans qu’il y ait une cause ou du moins une raison déterminante “. Ähnlich anderwärts: Monadologie (Princip. philos.) § 30 sqq. (cf. Briefe an Clarke, 2. und 5. u.s.w.): das Prinzip des zureichenden Grundes sei, dass kein Faktum als wirklich erfunden werden und kein Satz wahr sein könne ohne einen zureichenden Grund, warum es vielmehr so als anders sei. Er nennt es bald principium rationis determinantis, bald sufficientis, bald principium convenientiae. Wie Leibnitz es näher erklärte, hob es die Freiheit auf. Das, was Wahres darin ist, macht namentlich das allgemeine Kausalitätsgesetz geltend, das eines der wichtigsten Gesetze der Metaphysik ist, von dem wir aber jetzt nicht zu reden haben. Genug, dass wir gesehen haben, dass das Gesetz mit jener logischen Regel nichts zu tun hat.
  13.241[3]   87. Ein richtiges Urteil aus genügenden Motiven nennt man Erkenntnis
  13.241[4]   Es gehören hieher nicht alle

197
richtigen Urteile. Denn es kann geschehen, dass einer ohne genügende Motive, vielmehr durch äußerst gewagte Annahmen , ja in Folge von wiederholten Fehlschlüssen, die sich aber gegenseitig ausgleichen, zu einem richtigen Urteil gelangt. Sie sind wahre Urteile, aber keine Erkenntnisse.
  13.242[1]   Es gehören aber auch umgekehrt nicht alle Urteile aus genügenden Motiven hieher.
  13.242[2]   Namentlich gilt dies von den Urteilen aus genügenden Motiven, welche bloße Vermutungen sind, und bei welchen die Motive zu bloßer Vermutung genügend waren. Solche Meinungen können, obwohl sie nicht unvernünftig sind, dennoch irrig sein, wie sich dessen der Urteilende ja selbst bewusst ist.
  13.242[3]   Anders verhält es sich dagegen mit den zuversichtlichen Verstandesurteilen aus genügenden Motiven. Sie sind alle

198
wahr und daher auch alle Erkenntnisse.
  13.243[1]   Und das Gleiche nimmt der Gläubige von den zuversichtlichen Willensurteilen aus genügenden Motiven an.
  13.243[2]   Notabene. Würden wir, mit Newman, die Vermutungen für zuversichtliche Urteile über den Grad der Wahrscheinlichkeit nehmen, was aber, wie bemerkt, bei Vermutungen aus ethischen Motiven seine Schwierigkeit hat, so würden wir wohl alle Urteile mit genügenden Motiven für Erkentnisse halten müssen. Anders Newman, der einen Überschuss von Zustimmung unter gewissen Umständen für ein psychisches Gesetz hält. (Schon einmal bemerkt. Instinkt und Gewohnheit.)
  13.243[3]   88. Die wahren zuversichtlichen Urteile aus genügenden Motiven nennt man auch Erkenntnisse κατ’ ἐξοχήν, die einen Vernunfterkenntnisse, die anderen Erkenntnisse des Glaubens . Die wahren, aber nicht zuversichtlichen Urteile aus genügenden Motiven dagegen gegründete Meinungen. Wissen im weiteren Sinn oder Vernunfterkenntnis κατ’ ἐξοχήν, Glauben und gegründete Meinung sind also die drei Klassen
  13.243[4]   89. Wir beschäftigen uns im weitern nur mit dem Wissen. Nach der Logik des Wissens , leicht eine Logik des Meinens und Glaubens. (Vom Wissen der Wahrscheinlichkeit, Wissen der Glaubwürdigkeit, Glaubenspflicht u. dgl. hängt ja das vernünftige Meinen und Glauben ab.)
  13.243[5]   89. Es bleibt uns nun noch eine vierte und letzte Einteilung der Aussagen nach subjektiven Umständen zu betrachten, und bei ihr genügt es, sie mit kurzem Worte zu berühren. Es ist die Einteilung der Aussagen der Weise der Vorstellungen nach.
  13.243[6]   Das Urteil hat, wie schon früher bemerkt, eine Vorstellung zur Voraussetzung, und die Unterschiede in der Weise des Vorstellens sind daher auch für die Urteile bedeutend.
  13.243[7]   Hier gilt Alles, wie es früher festgestellt worden ist. Es gibt also z.B. Urteile, deren Gegenstand uneigentlich vorgestellt wird.
  13.243[8]   Und ebenso gibt es Urteile, deren Gegenstand mit größerer – geringerer Bewusstseinsstärke vorgestellt wird.
  13.243[9]   Es kann so geschehen, dass ein ganzes Urteil größere oder geringere Bewusstseinsstärke hat als ein anderes , und ebenso, dass in einem Urteil von zusammengesetzter Materie ein Teil einen anderen

199
an Bewusstseinsstärke übertrifft oder ihm nahe steht, je nachdem die Aufmerksamkeit mehr auf den einen oder auf den anderen konzentriert ist und auch aus anderen Gründen.
  13.244[1]   Fällt einer viele Urteile zugleich, so wird unter sonst gleichen Umständen die Bewusstseinsstärke eine geringere sein, als wenn eines von ihnen allein gefällt wird wegen der größeren Zerteilung der Aufmerksamkeit, und so gilt noch Anderes, was schon früher erwähnt wurde und jetzt nicht wiederholt zu werden braucht.
     

200
     
  13.245[1]   1. So viel von den Einteilungen der Urteile nach den Unterschieden der Motive.
  13.245[2]   Da sie der letzte Grundgesichtspunkt ist, so ist mit ihrer Erörterung unsere Darlegung der Einteilung der Urteile abgeschlossen.
  13.245[3]   3. Blicken wir zurück. Vier oder auch fünf Gesichtspunkte.
  13.245[4]   1) Materie (mit den Unterschieden des Vorgestellten zusammenfallend).
  13.245[5]   2) Form oder Qualität: bejahend – verneinend.
  13.245[6]   3) Form unter Mitberücksichtigung der Materie:

a) wahre – falsche (Mitberücksichtigung des Unterschieds der anzuerkennenden – zu verwerfenden);

b) notwendig wahre – nicht notwendig wahre, absurde – nicht absurde (Mitberücksichtigung des Unterschieds der notwendigen, unmöglichen etc.), mit Untereinteilungen;

c) dem ganzen Umfang der Vorstellung nach beurteilende – (Mitberücksichtigung des Unterschieds der individuellen – universellen Materie);

d) dem ganzen Inhalt der Vorstellung nach beurteilende – (Mitberücksichtigung des Unterschieds der einfachen – zusammengesetzten Materie).


201
c) Klassifikationen unter Mitberücksichtigung des Unterschiedes der erkennbarennicht erkennbaren Materie und ihrer Untereinteilungen.
  13.246[1]   4) Intensität (Meinungen – Überzeugungen).
  13.246[2]   5) Motiv. Motiviert unmotiviert (mit Unterabteilungen).

a) Verstandes = Willens = instinktive = gemischte Urteile und Untereinteilungen.

b) mit genügendenungenügenden Motiven.
  13.246[3]   4. Dies sind also die nach uns für den Logiker notwendigsten Einteilungen der Urteile.
  13.246[4]   Sehr abweichend sind sie von der üblichen Lehre über diesen Punkt, auf welchen wir anfänglich einen flüchtigen Blick geworfen haben.
  13.246[5]   5. Nach einer Seite wohl schon genugsam gerechtfertigt, insofern nämlich neue Gesichtspunkte hinzugefügt wurden. Denn aus den Erörterungen wurde schon klar, wie eine jede wichtig ist, und die folgenden Entwicklungen werden es bestätigen.
  13.246[6]   6. Aber nach einer anderen Seite haben wir es nötig, sie noch zu verantworten, nämlich insofern gewisse von anderen geltend gemachte Grundgesichtspunkte von uns unbeachtet geblieben scheinen. Von den oben erwähnten vier Titeln, unter die Kant die Funktion des Denkens im Urteile gebracht hat, und welche die Logiker fast allgemein seither festhalten, ist eigentlich nur die Qualität geblieben, und diese mit einere Reduktion auf zwei Glieder. An den Unterschied der Quantität erinnerte etwas unsere Einteilung in Urteile, die Vorgestelltes dem ganzen – nicht dem ganzen – Umfang der Vorstellung nach beurteilen, fiel aber doch nicht damit zusammen.
  13.246[7]   a) Allein in Bezug auf diesen Punkt haben wir uns schon einigermaßen gerechtfertigt. Wir machten darauf aufmerksam, dass die Einteilung in allgemeine, besondere und einzelne Urteile, je nach der Quantität des Subjekts, wie Kant und Andere sie geben, schon darum keine richtige Grundeinteilung der Urteile sein könne, weil nach ihr es möglich sei, dass dasselbe Urteil, je nach der Ausdrucksweise, als individuell und nichtindividuell, als besonderes und nicht besonderes erscheine.

202
Weitere Erörterungen, die wir darüber versprachen, werden etwas später eine geeignetere Stelle finden.
  13.247[1]   b) Auch in Bezug auf den Unterschied in der Einteilung nach der Qualität bedürfen wir kaum einer Verteidigung. Es ist, wie schon Andere vielfach vor mir bemerkten, offenbar das unendliche Urteil mit dem negativen Prädikatsbegriff nicht der Form, sondern der Materie nach von dem Urteil, welches das entsprechende positive Prädikat hat, verschieden. Und Kant selbst wäre es wohl nicht eingefallen, es zu einem besonderen Einteilungsglied zu machen, wenn nicht sein pedantisches Wohlgefallen an harmonischer Gliederzahl ihn hier wie anderwärts verleitet hätte.
  13.247[2]   c) Aber wie steht es mit dem Gesichtspunkt der Relation, wonach man die Urteile in kategorische, hypothetische und disjunktive zu scheiden pflegt? Er scheint sehr wichtig. Man teilt nach ihm gewöhnlich sogar die Schlüsse ein. Und doch findet

203
sich in allen unseren Einteilungen nichts, was ihm ähnlich sähe.
  13.248[1]   d) Und wie verhält es sich mit der Modalität, wonach Kant die Urteile in die problematischen, assertorischen und apodiktischen teilte? 1. Ist der Gesichtspunkt vielleicht identisch mit dem bei unserer Einteilung der Urteile in notwendig wahre – nicht notwendig wahre, absurde – nichtabsurde? Offenbar nicht! (Der Satz Gott ist ist nicht apodiktisch. Ebenso A ist A.) 2. Oder vielleicht mit dem bei unserer Einteilung in a priorische und a posteriorische? Newton betrachtete als a posteriori den binomischen Satz, und doch konnte er ihn im kantischen Sinn apodiktisch behaupten. A ist A, obwohl a priori ist nicht apodiktisch. 3. Oder in absolut sichere, physisch sichere und wahrscheinliche? Auch hier wäre es leicht zu zeigen, dass die Einteilung eine verschiedene ist, z.B. Ich bin ist nicht apodiktisch. 4. Oder trifft das apodiktische Urteil mit dem apodiktisch erwiesenen zusammen, von dem wir sprachen? Auch dies ist nicht der Fall, sonst könnte, um nur eins zu erwähnen, nur mittelbar Erkennbares im kantischen Sinn apodiktisch behauptet werden, was keines-


204
wegs der Fall ist. Der Namen ist verwandt und daher genommen, aber der Sinn ein ganz anderer, den Kant ihm wohl kaum gegeben hätte, wenn er seine Abstammung sich vergegenwärtigt haben würde. 5. Oder endlich entspricht vielleicht die Einteilung Kants unserer Einteilung nach der Intensität? Manchmal scheint sie hinüberzuspielen. Aber doch keineswegs. Zum Beispiel Ich bin nicht apodiktisch, obwohl gewiss mit aller Entschiedenheit.
  13.249[1]   So scheint auch für diesen Gesichtspunkt kein Platz, und dies um so bedenklicher, da nicht bloß Kant und seine Nachfolger ihn für so wichtig gehalten, sondern auch vor ihm Andere. Wie wir denn von der Modalität auch bei den Cartesianern, und vor ihnen bei den Scholastikern hören, ja bis auf Aristoteles geht die Wurzel zurück.
  13.249[2]   So fragt es sich denn, ob wir nicht mit Unrecht ihn fallen gelassen und eine Lücke.
  13.249[3]   7. Und überhauptfragt es sich, ob vollständig.
  13.249[4]   Denn wenn sogar gegenüber den hergebrachten keine Lücken, so dies kein Beweis, da diese selbst so viele.
  13.249[5]   8. Namentlich macht Bedenken, ob nicht als besonderer Gesichtspunkt die Zeit aufzustellen sei.
     

205
     
  13.282[1]   Wenn dies geschehen, deutlich, dass was die Urteile selbst anlangt, nur Unterschiede der Materie und Qualität (die Intensität und das Motiv finden ja keinen Ausdruck in der Aussage des Urteils, sondern nur etwa in der über das Urteil).
  13.282[2]   Daher führt uns dies zur Betrachtung der Unterschiede der Aussagen, worin die Urteile ihren Ausdruck finden.
      II. Einteilung der Aussagen .
  13.282[3]   Drei Gesichtspunkte:

1. Wahrhaftigkeit,

2. Form der Aussage (Ausdrucksform),

3. Deutlichkeit (Zweideutigkeit oder Unzweideutigkeit des Ausdrucks ).
  13.282[4]   I. Vor allem also unterscheiden sich die Aussagen danach, ob der, welcher sie macht, wirklich das urteilt , was er aussagt, oder nicht.
  13.282[5]   Die ersten nennen wir wahrhafte, die zweiten nicht wahrhafte Aussagen. Dies aber nur in Ermangelung eines besseren Ausdrucks, denn gewöhnlich nennt man so die Lügen. Was aber wir als nicht wahrhafte Aussagen bestimmt haben, trifft nicht ganz mit der Lüge zusammen, obwohl alle oder die meisten Lügen darunter

206
gehören.
  13.283[1]   Gewöhnlich

207
nennt einer nur das eine Lüge, wenn einer aussagt, was er selbst für falsch hält. Dann wäre die Aussage dessen, der etwas, was er nicht wüsste, behauptete, wie es z.B. mancher auf gut Glück im Examen macht, keine Lüge.
  13.284[1]   Aber es wäre nicht eine wahrhafte Aussage in unserem Sinne.
  13.284[2]   Noch mehr! Es kann vorkommen, dass einer wahrhaftig zu sprechen meint, dass er meint, er urteile wirklich das, was er sage, und dass dies doch nicht der Fall, also seine Aussage in Wahrheit nicht eine wahrhafte Aussage ist. Ein Beispiel!
  13.284[3]   Es hat eine Menge von Philosophen gegeben und gibt deren noch, welche das Gesetz des Widerspruchs leugneten und lehrten, es könne etwas in ein und demselben Sinn (zugleich) sein und nicht sein.
  13.284[4]   Sie für Lügner zu erklären, das wäre ungerecht, und sie haben auch nicht auf gut Glück etwas hinausgesagt, sondern waren

208
überzeugt, was sie sagten, sei wahr und begründet.
  13.285[1]   Aber dennoch haben sie nicht das geurteilt, was sie aussagten, denn es ist nachweisbar, dass niemand etwas zugleich für wahr und falsch halten kann. So wenig ein Körper zugleich warm und kalt oder sonstwelche entgegengesetzte Eigenschaften haben kann, so wenig kann, wie schon Aristoteles bemerkte, ein Geist zugleich entgegengesetzte Urteile haben. Aber einander entgegengesetzte Urteile hätte der, der ein und dasselbe zugleich für wahr und falsch hielte, annähme und verwürfe. Somit hat keiner je geglaubt, dass etwas zugeich sei und nicht sei, und wenn einer es aussagte, so hat er nicht wirklich das geurteilt, was er aussagte, obwohl er auch nicht gelogen hat. Er meinte er urteile, was er aussage, aber er verstand selbst nicht, was er aussagte und wusste nicht, wie sich zum Inhalt seiner Aussage der Inhalt seines Urteils verhielt.
  13.285[2]   Gerade um dieser merkwürdigen Fälle willen ist der Unterschied der wahrhaftigen und nicht wahrhaftigen Aussagen für die Logik und Metaphysik von besonderer Bedeutung.
  13.285[3]   Und Sie sehen wohl, dass diese Unterscheidung nicht bloß, wie es auf den ersten Blick scheinen konnte, in das Gebiet der Moral gehört.
  13.285[4]   62. II. Der Intensivität nach sind die Aussagen und Urteile entweder zuversichtliche oder schwankende.
  13.285[5]   Ein zuversichtliches Urteil ist ein solches, dessen Intensivität vollkommen ist, so dass auch nicht die Spur eines Zweifels sie schwächt. Man nennt sie Überzeugung.
  13.285[6]   Dem schwankenden Urteil dagegen ist der Zweifel beigemischt, man gesteht sich die Möglichkeit des Irrtums zu. Ein solches Urteil nennt man eine Meinung. Die ersteren nennt man auch gewisse, die anderen ungewisse Urteile; allein der Ausdruck ist nicht ohne Zweideutigkeit. Man könnte unter einem gewissen Urteil ebenso gut das sichere als das zuversichtliche verstehen.
     

209
     
  13.286[1]   Die Zuversicht wird bald eine blinde, bald eine auf Einsicht beruhende Zuversicht genannt, doch dies greift schon in das Gebiet einer dritten Klassifikation nach den Motiven des Urteils über.
  13.286[2]   63. III. Jedes Urteil hat ein gewisses Motiv, als eine Ursache, aus welcher es entspringt.
  13.286[3]   Nicht als ob das Motiv des Urteils die einzige und vollkommene Ursache des Urteils wäre. Ganz und gar nicht! Eine Ursache und notwendige Vorbedingung von ihm ist in jedem Falle die Seele und ein gewissen Zustand von ihr, den wir das Wachsein nennen, aber diese Ursachen, die allen Urteilen gemeinsam sind, für sich allein aber nicht hinreichen würden, das Urteil zu erzeugen, nennen wir nicht Motiv. Das Motiv ist jene Ursache des Urteils, auf die eigentlich unsere Frage gerichtet ist, wenn wir zu Jemandem sagen: warum hältst du das für wahr? Diese Motive also sind bei verschiedenen Urteilen verschieden und nach ihren allgemeinsten Unterschieden wollen wir jetzt die Urteile einteilen.
     

210
     
  13.287[1]   II. 1. Wir kommen zum zweiten Gesichtspunkt, dem der Form des Ausdrucks. Wir sagen nicht schlechthin „des Ausdrucks“, sondern „der Form des Ausdrucks“ und deuten dadurch an, dass nicht jeder Unterschied des Ausdrucks uns hier in Betracht kommt.
  13.287[2]   Unterschiede der Namen, die im Urteil vorkommen, oder auch Unterschiede des Zeichens, wodurch der Ausdruck der Vorstellung zum Ausdruck des Urteils ergänzt wird, wenn sie bloß ein gleichbedeutendes synkategorematisches Wort an die Stelle eines anderen oder auch einer Flexion setzen, kommen nicht in Betracht.
  13.287[3]   Also z.B.: „Die Existenz Gottes ist beweisbar“: „Dass Gott ist, ist beweisbar“.
  13.287[4]   Oder: „Es ist ein Gott“: „Es gibt einen Gott: Gott ist“: „Gott existiert“ usw. Auch: „Er ist lebendig“ und „Er lebt“.
  13.287[5]   Von solchen Unterschieden also sprechen wir nicht; vielmehr von

211
tiefergehenden, von syntaktischen Unterschieden, wo die Ergänzung des Namens zum Ausdruck des Urteils durch einen ganz anderen Satzbau zu Stande kommt, so dass (bei dem Einfluss, den nach früheren Erörterungen der sprachliche Ausdruck auf unser Denken hat) man beim ersten Ansehen nicht weiß, ob die Sätze denselben oder verschiedenen Sinn haben, ja ob sie die gleiche oder entgegengesetzte Qualität haben, z.B. „Irgend ein Mensch ist nicht gelehrt“, „Ein nichtgelehrter Mensch ist“, und so in noch anderen verwickelteren Fällen.
  13.288[1]   2. Natürlich nehmen wir auch nicht auf solche, wie auch immer tief greifende, syntaktische Unterschiede Rücksicht, welche sich in Ausdrücken finden, die nicht Ausdruck eines einzigen einheitlichen Urteils, sondern einer Mehrheit von Urteilen sind. Denn dieselbe Beschränkung, die wir bei der Einteilung der Urteile dem Gegenstand der Einteilung gaben, geben wir ihm natürlich auch bei der Einteilung der Aussagen.
  13.288[2]   3. In dieser Weise erklärt ist nun die Ausdrucksform der Urteile vor allem eine zweifache:

1. Eine existentiale,

2. eine nichtexistentiale, denn unter diesem Ausdruck wollen wir vor der Hand alle anderen begreifen.
  13.288[3]   Sie haben sämtlich das mit einander gemein, dass bei ihnen die Ausdrucksweise eine mehr oder minder künstliche ist (und eine Mehrheit von Mitteln zugleich anwendet), während der Existentialsatz eine ganz einfache möglichst kunstlose Formel der Aussage ist.
  13.288[4]   4. Wir haben sie schon früher kennen gelernt. Sie ist die, wo zu dem Namen des beurteilten Gegenstandes ein Zeichen hinzukommt, welches, für sich allein nichts bedeutend, den

212
Ausdruck der Vorstellung zum Ausdruck des bejahenden oder verneinenden Urteils ergänzt. Demgemäss zwei Arten. Zum Beispiel: Ein Mensch ist“, oder Einen Menschen gibt es“, oder Es ist ein Mensch“, oder Es gibt einen Menschen“, und dann: Ein Mensch ist nicht“, Einen Menschen gibt es nicht“, usw. Auch: Es blitzt“, Es schneit nicht usw.
  13.289[1]   Notabene. Wie sich diese Ausdrücke gebildet haben, das ist eine Sache, die wir füglich den Grammatikern zur Untersuchung überlassen können. Uns geht nur an, was und wie sie bezeichnen, und dies ist im obigen charakterisiert. Zwei Teile von der besprochenen Art.
  13.289[2]   5. Die existentiale Form ist für den Logiker die wichtigste unter allen.
  13.289[3]   Und dies aus einem doppelten Grund:

213
1) Weil sie in ihrer Anwendbarkeit die allgemeinste ist. Jedes einheitliche Urteil muss in einem Existenzialsatz ausgedrückt werden können. Denn, wie wir auch schon früher dafür geltend gemacht haben, jedes Urteil besteht in der Annahme oder Verwerfung eines Vorgestellten.
  13.290[1]   Notabene. Damit ist aber nicht gesagt, dass die existenziale Form auch die am häufigsten gebrauchte ist. Sie ist nur die am häufigsten brauchbare. Alle anderen taugen nur für gewisse Fälle; sie allein ganz ausnahmslos.
  13.290[2]   2) Weil sie die einfachste und dem psychischen Vorgang entsprechendste ist.
  13.290[3]   So dient sie am meisten sowohl im Allgemeinen das Wesen des Urteils und sein Verhältnis zur Vorstellung klar zu machen (dessen Verkennung für Logik und Metaphysik von größtem Nachteil geworden) als auch insbesondere den speziellen Charakter des Urteils zu erkennen.
     

214
     
  13.291[1]   In jeder Aussage kommt, wie schon bemerkt, nur der Unterschied der Materie und der Qualität zum Ausdruck.
  13.291[2]   Indem nun der Existenzialsatz jede rein für sich ausdrückt, lässt er beide leicht bestimmen, während bei den anderen künstlicher gebauten Sätzen, wie wir sehen werden, die Bestimmung manchmal einige Schwierigkeit hat.
  13.291[3]   Die sicherste Weise sie zu geben ist bei ihnen die, dass man ihren Gedanken in die einfachere Ausdrucksform bringt und ihn auf solche Art sozusagen an dem sichersten Maßstab misst. Man kann dasselbe wohl auch für eine ganze Klasse von Fällen auf einmal erreichen, indem man die Formeln selbst an einander misst. Und wir werden dies im folgenden tun. (Nur wird man sich bei der Benützung des Resultats vor Äquivokationen hüten müssen, wie wir noch sehen werden.)
  13.291[4]   6. Von den nichtexistenzialen Ausdrucksformen wollen wir zunächst die drei Arten betrachten, denen entsprechend Kant seine kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Urteile unterschied, also die kategorische, hypothetische und disjunktive Ausdrucksform (von den pseudokategorischen später) .
  13.291[5]   7. Von ihnen steht die kategorische der existenzialen am nächsten. Und zwar sowohl in Bezug auf Allgemeinheit der Anwendung als auch in Bezug auf Einfachheit.
  13.291[6]   8. Sie ist von den dreien am weitesten anwendbar, und kann direkten und indirekten, bejahenden und verneinenden Urteilen zum Ausdruck dienen, während die anderen, wie wir sehen werden, in beiden Beziehungen beschränkt sind. (Nur der existenzialensteht sie in dieser Beziehung nach, indem sie (z.B.) ganz ei[…].)
  13.291[7]   9. Sie ist auch am einfachsten unter ihnen, obwohl bereits viel künstlicher als die existenziale. Während diese aus zwei Teilen

215
besteht, besteht die kategorische aus dreien, und dazu kommt noch eine gewisse Künstlichkeit der Zusammenstellung der Syntaxe. Von den Teilen sind zwei Namen (welche einen und denselben Gegenstand, wenn auch vielleicht mittels verschiedener Vorstellungen nennen). Ein dritter, der kein Namen ist, ist die sogenannte Kopula.
  13.292[1]   Die Stellung macht den einen Namen zum Subjekt, den anderen zum Prädikat. Der eine bedeutet das, wovon etwas ausgesagt wird, der andere das, was davon ausgesagt wird.
  13.292[2]   10. Diese Mannigfaltigkeit der Teile und diese Künstlichkeit des Satzbaues zeigt jedes noch so einfache Beispiel einer kategorischen Aussage, z.B. Sokrates ist weise, Es ist Sokrates weise, Es ist nicht Sokrates weise, usw. Hier sind zwei Namen: Sokrates, weise; und dann die Kopula: „ist“ („es ist“, „es ist nicht“).
  13.292[3]   Endlich haben wir eine eigentümliche Zusammenstellung in Folge

216
deren der eine Subjekt, der andere Prädikat genannt wird.
  13.293[1]   Sokrates, sagt man, sei das, wovon etwas ausgesagt werde; weise das, was von ihm ausgesagt werde.
  13.293[2]   11. Dazu kommen dann noch besondere Künstlichkeiten in einzelnen Fällen. So wird z.B. die Kopula manchmal in zwei gesonderten Zeichen ausgedrückt wie: „kein – ist“.
  13.293[3]   Und manchmal mag es auch geschehen, dass ein Namen (Ausdruck einer Vorstellung) in einem davon gesonderten Zeichen eine Ergänzung und durch sie eine Modifikation seiner Bedeutung erfährt.
  13.293[4]   Doch dies mag der Verlauf der Untersuchungen zeigen.
  13.293[5]   12. Das bis jetzt Gesagte ist einfach und bekannt.
  13.293[6]   Es kommt aber darauf an, noch ein näheres Verständnis dieser Aussageform und der Leistungen ihrer einzelnen Teile zu gewinnen.
  13.293[7]   13. Am leichtesten ist dies bei der Kopula.
  13.293[8]   Sie wirkt ähnlich wie das im Existentialsatz zum Namen hinzugefügte Zeichen, ergänzt den Ausdruck bloßer Vorstellung zum Ausdruck eines

217
Urteils.
     

218
     
  13.295[1]   14. Was aber bewirken die übrigen Teile ? Sie müssen zusammen den Ausdruck der Vorstellung des Beurteitlen bilden, also einen Namen zusammensetzten, welcher dann durch die Kopula zum Ausdruck der Anerkennung oder Verwerfung des Genannten ergänzt wird. Denn alle kategorischen Aussagen müssen ja, wie schon gesagt, wenn anders sie einheitliche Aussagen sind, auf Existenzialsätze reduziert werden können.
  13.295[2]   15. So deutlich in dem einfachen Fall: Ein A ist B (Ein Mensch ist gelehrt = Ein B seiendes A ist oder Es gibt ein B seiendes A.
  13.295[3]   16. In den anderen Fällen muss es ähnlich sein; und wenn es nicht sogleich gelingen will, so müssen solche besonderen Künstlichkeiten wie die, von denen wir oben gesprochen haben (Auseinanderreißung der Kopula oder

219
der Namen und in Folge dessen mangelhaftes Verständnis der Aussage), die Ursache davon sein.
  13.296[1]   17. Aber doch, abgesehen von dem Misslingen des ersten Versuchs bei manchen, von vornherein noch zwei Bedenken gegen die allgemeine Rückführbarkeit.
  13.296[2]   I) Es werden von den Logikern vier Formeln kategorischer Aussagen unterschieden, die auf denselben Vorstellungen beruhen: 1. das sogenannte allgemein bejahende Alle S sind P“, z.B. Alle Seelen sind sterblich“; 2. das sogenannte allgemein verneinende Kein S ist P“, z.B. Keine Seele ist sterblich“; 3. das sogenannte partikulär bejahende Irgend ein S ist P“, z. B. Irgend eine Seele ist sterblich“; 4. das sogenannte partikulär verneinende Irgend ein S ist nicht P“, z. B. Irgend eine Seele ist nicht sterblich“.
  13.296[3]   Diese vier Unterschiede sind überall von Anwendung, wo es sich nicht um eine individuelle Materie resp. um ein individuelles Subjekt handelt; denn der Charakter des Prädikats, sagen die Logiker, bleibe außer Betracht. Die Gesichtspunkte seien nur 1) die Form, 2) die Quantifikation des Subjekts. Hamilton (und Andere) wollten auch noch Unterschiede durch Quantifikation des Prädikats einführen. Doch tat er dabei der gewöhnlichen Aussageweise, welche diese nicht besonders zu geben pflegt, Gewalt an. Und wir brauchen auch nicht diese neue Komplikation, da das, was hergebracht und allgemein angenommen wird, genügt, um die Schwierigkeit in ihrer ganzen Bedeutung klar zu machen.
  13.296[4]   Bleiben wir also stehen bei den

220
vier hergebrachten Formen A, E, I, O,
  13.297[1]   Vergleichen wir nun die existenziale Aussage.
  13.297[2]   Bei ihr lernten wir nur zwei Formen mit Zugrundelegung derselben Vorstellung kennen, und es ist klar, wie nur diese beiden möglich sind:

1. die bejahende: Es gibt ein B“, z.B. Es gibt eine Seele“;

2. die verneinende: Es gibt nicht ein B“, z.B. „Es gibt nicht eine Seele“.
  13.297[3]   Somit scheint eine Reduktion wie die, welche wir für allgemein möglich erklärten, nicht wohl denkbar.
  13.297[4]   II) Daran knüpft sich sogleich ein zweiter Punkt.
  13.297[5]   Unter den Arten der kategorischen Aussagen wird eine allgemein bejahende und eine partikulär verneinende aufgeführt.
  13.297[6]   Die erste ist ein die Materie dem ganzen Umfang nach Beurteilen,

221
die zweite nicht.
  13.298[1]   Also haben wir hier ein bejahendes Urteil, welches das Vorgestellte dem ganzen Umfang nach beurteilt, und ein verneinendes, welches das Vorgestellte dem ganzen Umfang nach beurteilt.
  13.298[2]   Unter den existentialen fand sich keine dieser Arten. Vielmehr waren dort von den Urteilen, die keine individuelle Materie hatten, alle verneinenden dem ganzen Umfang nach verneinend, und alle bejahenden nicht dem ganzen Umfang nach verneinend. — Dies zeigen auch die obigen Beispiele.
  13.298[3]   Hierin aber scheint der deutlichste Beweis für die Unmöglichkeit einer Reduktion zu liegen.
  13.298[4]   18. In der Tat, wenn die von den Logikern über die kategorischen Aussagen gegebenen Bestimmungen richtig wären, so wäre der Beweis geführt.
  13.298[5]   Aber offenbar unrichtig, da abgesehen von der von uns

222
begründeten notwendigen Rückführbarkeit, auch was wir bei der Einteilung der Urteile in „dem ganzen Umfang nach beurteilende“ und „nicht etc.“ nachgewiesen, damit unvereinbar.
  13.299[1]   Weit entfernt uns irr machen zu lassen, müssen wir daher vielmehr schließen, dass es auch von den kategorischen Aussagen nur zweierlei Formen bei Gleichheit der Vorstellungen gebe.
  13.299[2]   Und insbesondere, dass auch unter den kategorischen Aussagen keine dem ganzen Umfang nach bejahende (außer etwa bei individueller Materie) und keine nicht dem ganzen ganzen Umfang nach verneinende.
  13.299[3]   Wir müssen schließen, dass das sogenannte allgemein bejahendeUrteil entweder nicht eine unbestimmte Materie dem ganzen Umfang nach beurteilt, oder nicht bejahend ist.
  13.299[4]   Und dass das sogenannte partikulär verneinende entweder nicht ein nicht dem ganzen Umfang nach beurteilendes, oder nicht zu verneinendes ist, sondern dass die Verneinung zur Materie gehört.
  13.299[5]   19. So ist es denn in der Tat. Untersuchen wir die vier Arten genauer.
  13.299[6]   20. Um dies zu tun, ist es vielleicht nicht undienlich durchgängig eine kleine Änderung in dem üblichen Ausdruck der Kopula vorzunehmen, die aber die kategorische Aussage nicht ihres Charakters als kategorische Aussage enkleidet.
  13.299[7]   Die Kopula nämlich, deren man sich gewöhnlich bedient, wenn man Beispiele der vier Arten der kategorischen Aussagen vorführt, zeigt sich, wie gesagt, manchmal in einer besonderen Weise künstlich, die nicht von dem an sich schon künstlichen Charakter des kategorischen Ausdrucks im Allgemeinen gefordert wird.
  13.299[8]   Und diese neue Künstlichkeit ist

223
für die Deutlichkeit von Nachteil. So ist es, um dasselbe Beispiel wie früher anzuführen, bei der Aussage Kein S ist P, die Ausdruck des sogenannten allgemein verneinenden Urteils ist.
  13.300[1]   Bei ihr steckt in dem „kein“ ein Teil der Kopula; und vielleicht gilt Ähnliches in anderen Fällen.
  13.300[2]   21. Wir wollen also die Kopula in der Art ausdrücken, dass wir sie weder zerreißen, noch unzerteilt zwischen Subjekt und Prädikat einfügen, sondern so, dass wir sie an die Spitze des Satzes stellen.
  13.300[3]   a) So sagen wir statt Ein S ist P, der gewöhnlichen Weise, wie man I ausdrückt, mit offenbar unverändertem Sinn: Es ist ein S P“. Beispiel.
  13.300[4]   b) Wenn nun Es ist ein S P = Ein S ist P, welche von den hergebrachten Formen wird die gleiche sein: Es ist nicht ein S P (offenbar auch eine kategorische

224
Aussageform)? Beispiel. Antwort = Kein S ist P = E. Beispiel.
  13.301[1]   c) Wenn aber Kein S ist P = Es ist nicht ein S P; wie haben wir mit vorangestellter Kopula den Satz auszudrücken: Ein S ist nicht P? Beispiel.
  13.301[2]   Bedeutet es so viel als: Es ist nicht ein S P? In der Tat manchmal, und zwar wenn wir auf das ist den Ton legen: Ein S ist nicht P“.
  13.301[3]   1) Aber dann = Kein S ist P, also kann dies der Sinn der Formel O nicht sein, wenn anders sie nicht = E ist.
  13.301[4]   2) Auch legen wir den Ictus nicht auf ist, sondern auf nicht.
  13.301[5]   Wenn es nun nicht = Es ist nicht ein S P, was bleibt übrig als zu denken, dass es = Es ist ein S nicht P? also dass das nicht zum

225
Prädikat, also zur Materie gehört (denn die ganze Kopula steht ja nach dieser Methode voraus, und mit ihr nicht nicht zu verbinden), und dass dies durch die Veränderung der Betonung angezeigt wird. Es ist notwendig.
  13.302[1]   3) Damit stimmt, dass partikulär.
  13.302[2]   4) Aber nicht bloß dies, sondern bejahend, und kein Unterschied von dem sogenannten unendlichen. „Nicht ein sterbliches“ = „Ein nicht sterbliches“ = „nichtsterblich“. Dagegen möchte mancher Logiker sich sträuben. Aber dennoch notwendig und offenbar sowohl aus den angegebenen Gründen, als auch aus einem neuen, den ich jetzt beifügen will, um das letzte Bedenken wegzuräumen.
  13.302[3]   Wenn wir den Satz Irgend ein Mensch ist nicht gelehrt mit dem Satz Kein Mensch ist gelehrt vergleichen, so finden wir nicht bloß den Unterschied, dass der erste nicht allgemein ist, sondern noch einen zweiten. Und dieser besteht darin, dass in dem Satz Kein Mensch ist gelehrt nicht die Existenz eines Menschen anerkannt wird, wogegen dies in dem Satz Ein Mensch ist nicht gelehrt allerdings der Fall ist. Sagen wir ein Mensch sei nicht gelehrt, so sprechen wir von einem der existierenden Menschen. Denn offenbar würde uns der Satz nicht mehr für wahr gelten, wenn alle existierenden Menschen gelehrt wären und nur einer von den nichtexistierenden es nicht wäre, von denen natürlich keiner gelehrt ist.
  13.302[4]   Somit liegt in dem Satz Ein Mensch ist nicht gelehrt eine Bejahung, die Anerkennung des Subjekts, und folglich muss, wenn er als einheitlicher Satz betrachtet werden soll, der ganze Satz bejahend sein.
  13.302[5]   Offenbar kann also die Negation

226
nicht zur Kopula gehören, sie gehört also zur Materie und dann natürlich, wie gesagt, zunächst zum Prädikat.
  13.303[1]   Es ist also wiederum auch von dieser Seite betrachtet unverkennbar, Ein S ist nicht P, wenn es nicht im Sinne von = Kein S ist P genommen wird, sondern in dem, welcher bei Betonung des nicht = Es ist ein S nicht P. Setzen wir statt P = Q. = Es ist ein S Q. Wir haben also ein Urteil von der Form I.
  13.303[2]   d) Es bleibt noch übrig eine vierte Form, die gewöhnlich als erste: Alle S sind P.
  13.303[3]   Was erhalten wir, wenn wir bei ihr die Kopula voranstellen? Zunächst: Es sind alle S P“. Aber hiemit die Auflösung vielleicht so wenig vollendet wie durch Umstellung von: Kein S ist P in: Es ist kein S P“.
  13.303[4]   Vielleicht lässt es wie dies noch

227
eine andere Ausdrucksweise zu, indem in dem „alle“ so gut wie in dem „kein“ ein Stück der Kopula in einer ungewöhnlicheren Wiese enthalten und ausgedrückt ist.
  13.304[1]   1) In der Tat ist dies nach den bisherigen Erörterungen von vornherein sehr wahrscheinlich. Denn sie haben ergeben, dass von den angeblichen drei Formen zwei ein und dieselbe, bei bloß materiellem Unterschied. Es liegt nahe zu denken, dass, wenn alle vier Formen untersucht sind, es sich zeigen werde, dass auch die Form, die wir bisher nur einmal erhalten, zweimal vertreten sein werde, indem die veränderte Materie ebenfalls in doppelter Weise zu beurteilen.
  13.304[2]   2) Dafür spricht auch, was die Logiker sagen, dass A ähnlich zu O wie E zu I sich verhalte.

228
Derselbe Gegensatz sei hier und dort.
  13.305[1]   3) Trügen diese Zeichen nicht, so muss A eine negative Behauptung sein, deren Materie ebenfalls noch eine negative Bestimmung enthält. Es muss gleich sein: Kein S ist nicht P, oder was dasselbe ist: Es ist nicht ein S nicht P. Und in der Tat, so wenig es zuerst scheinen mag, liegt in dem „alle“ wie in dem kein eine Negation, ja es liegt darin eine doppelte Negation eingeschlossen. Denn von „allen“ reden wir, wo keiner fehlt. Daher sagen wir auch mit Nachdruck alle, ohne Ausnahme“.
  13.305[2]   Es liegt also wirklich eine doppelte Negation darin. Und diese zwei Negationen verhalten sich ganz in der verlangten Weise.
  13.305[3]   Eine ist zur Form und eine zur Materie, resp. zum Prädikat gehörig. Denn wenn alle da, wo Keiner fehlt, so wo sozusagen Keiner ein nicht dabei Seiender.
  13.305[4]   Es ist also wirklich A = Kein S ist nicht P .
  13.305[5]   4) Betrachten wir schließlich zur Bestätigung die Sache noch einmal von einer anderen Seite.
  13.305[6]   Da wir nachwiesen, dass O affirmativ, war ein Argument, dass das Subjekt in dem Satz bejaht werde. In Folge dessen musste das Urteil ein bejahendes sein.
  13.305[7]   Sehen wir nun, wie es sich in dieser Beziehung mit A verhält. Ist es bejaht, so ist dies ein Beweis gegen uns, sonst ein neuer Beweis für uns. Denn wenn in A die Existenz des Subjekts nicht bejaht ist, so scheint überhaupt das Urteil nicht bejahend sein zu können. Denn die bejahenden Urteile sind, wie wir früher gezeigt haben, solche, die dem ganzen Inhalte nach beurteilen. Wie also? (Noch deutlicher weist aber eine andere Lehre, die nicht bloß diesem oder jenem Logiker eigentümlich, sondern allen gemeinsam ist, darauf hin, dass die Existenz des Subjekts in A nicht bejaht wird. Sie sagen nämlich, dass A in O per contrapositionem convertibel sei. Nullus homo non disputat = sei omnis homo disputat. Goudin, Log min. II, 3. S. 54.)
  13.305[8]   Es ist hier nicht bejaht. Zum Beispiel Alle A sind A (sonst nicht durch sich einleuchtend), Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme zwei Rechte“ (sonst nicht a priori zu erweisen). (Auch von „Einige Dreiecke sind rechtwinklig“ gilt dasselbe; vgl. Drobisch. Es scheint von möglichen Dreiecken die Rede. ) Hieraus erklärt sich auch eine Meinung Herbarts und anderer Philosophen, wonach die kategorischen Bejahungen nur hypothetisch, d. h. in dem Fall der Existenz des Subjekts das Prädikat mit dem Subjekt verbinden sollen . Wäre dies, so würde keine die Existenz des Subjekts einschließen. Wir haben nun gesehen, wie dies, allgemein gesprochen, falsch ist. Bei I ist das Gegenteil offenbar. Aber bei A ist es richtig, und da man dies zu den bejahenden rechnete, so mag dies jenen Irrtum veranlasst haben.
     

229
     
  13.306[1]   5) So also von dieser Seite eine neue und vollkommene Bestätigung. Denn wenn in A das Subjekt nicht bejaht ist, und es selbst kein bejahendes Urteil ist, so ist es offenbar, dass es gleich ist dem allgemeinen negativen Urteil Kein S ist nicht P, oder Es ist nicht ein S nicht P, das genaue Gegenteil von O. Setzen wir statt nicht P – Q, so erhalten wir Es ist nicht ein S Q“.
  13.306[2]   Wir haben also ein Urteil von der Formel E.
  13.306[3]   22. Wir haben also nur zwei Formeln kategorischer Aussagen I und E.
  13.306[4]   Und hiemit sind die beiden Bedenken gegen die Möglichkeit der Reduktion der katgorischen Aussagen auf Existenzialsätze gelöst.
  13.306[5]   1) Es ist nicht richtig, dass, während dort zwei hier vier mit gleichen

230
Vorstellungen. Vielmehr auch hier nur zwei. Sonst eine Bestimmung der Materie mit ihrem kontradiktorischen Gegenteil vertauscht.
  13.307[1]   2) Es ist nicht richtig, dass, während dort alle negativen und kein affirmatives eine allgemeine Materie dem ganzen Umfang nach beurteilt, hier sowohl bei negativen als affirmativen beides.
  13.307[2]   23. Aber nicht bloß diese Bedenken gelöst, auch die Reduktion auf Existenzialsätze ganz leicht gemacht.
  13.307[3]   Ein S ist P = Es ist ein S P = Es gibt ein P-seiendes S. Beispiel: „Es gibt eine sterbliche Seele“.
  13.307[4]   Kein S ist P = Es ist nicht ein S P = Es gibt nicht ein P-seiendes S. Beispiel: Es gibt nicht eine sterbliche Seele.
  13.307[5]   Ein S ist nicht P = Es gibt ein nicht-P-seiendes S“. Beispiel: Es gibt eine nichtsterbliche Seele.
  13.307[6]   Alle S sind P = Es ist nicht ein S nicht P = Es gibt nicht ein P-seiendes S. Beispiel: Es gibt nicht eine nichtsterbliche Seele.
     

231
     
  13.308[1]   24. Notabene. Erwähnung einer anderen möglichen Auffassung (und warum weniger zu empfehlen). („Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme zwei Rechte“ = „eine Zahl von Dreiecken, welche kein Dreieck nicht enthält, enthält kein nicht zwei Rechte zur Winkelsumme habendes“.)
  13.308[2]   Man könnte das „alle“ auch so fassen, dass der Satz bejahend, indem man als Subjekt nicht „ein S“, sondern „die Gesamtheit der S“ dächte (welche ebensowohl 0 als jede Zahl, in welcher S existiert, bezeichnen soll).
  13.308[3]   Dann aber ist das Subjekt (das dann allein die zwei Negationen in sich schlänge, denn = eine Zahl, eine, zu welcher nicht gehöriges nicht ist) individuell und erstens, auch kein Widerspruch dagegen , dass kein bejahendes Urteil eine allgemeine Materie dem ganzen Umfang nach; zweitens, auch nicht mehr als zwei Urteile über die gleiche Materie.
  13.308[4]   Aber erstens, die Rückführung gezwungen . Zweitens insbesondere keine solche harmonische Entgegensetzung zwischen A und O wie sonst. Oder O = „Es ist nicht die Gesamtheit von S B“, was offenbar Begriffe hereinzieht, die nicht darin enthalten sind.
  13.308[5]   Notabene. Auch für O vielleicht: gewisse O B x (dann allgemein, indem die Formel O von gewisser Beschaffenheit allgemein).
  13.308[6]   Drittens Auch das ist inkonvenient , dass die Formeln A und O nur individuelle Materien enthalten.
  13.308[7]   Unseren Regeln indes ist genügt . Nicht bloß kein Verstoß wegen A, sondern auch nicht wegen O. Die Partikularität des negativen O hätte darin seinen Grund, weil das negative Urteil nicht dem ganzen Inhalt nach beurteilt.
  13.308[8]   25. Aber wenn „A ist B“ = „A B ist“ usw., 1) wozu dann die ganze kategorische Aussageform? 2) und was ist der Unterschied von Subjekt und Prädikat?
  13.308[9]   26. Die erste Frage hat wenig auf sich; wenn auch gar kein logisches Bedürfnis dafür vorliegt (vgl. aber die erste Ausarbeitung) . Es bestehen in Betreff der Sprache noch andere, namentlich ästhetische. Und so wäre denn das Entstehen der kategorischen Aussageform genugsam erklärbar, wenn sie auch nichts als dem Streben nach Mannigfaltigkeit der Formen diente. Schrecklich, wenn in lauter Existenzialsätzen.
  13.308[10]   Vielleicht auch so noch andere Gründe, die den Logiker aber nicht interessieren.
  13.308[11]   27. Was die zweite Frage, nach dem Unterschied von Subjekt und Prädikat, betrifft, so ist es gewiss, dass die Sprache gewissen Umständen Rechnung zu tragen pflegt:
     

232
     
  13.209[1]   1), wenn bei der ausSubjekt und Prädikat sich zusammensetzenden Vorstellung der eine Teil als bekanntermaßen zu bejahen vorausgesetzt wird, diese Subjekt (das Prädikat ihm zugeschrieben, neu hinzugefügt) (Hinweis, dass wohl ursprünglich Ausdruck zusammengesetzter Urteile ;
  13.209[2]   2) wenn die eine Bestimmung bereits die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, diese Subjekt;
  13.209[3]   Aristot.] 3) wenn die eine individuell und die andere universell, die erste Subjekt;
  13.209[4]   4) Wenn die eine wesentlich und die andere unwesentlich, die erste Subjekt. (Zu 3) und 4) vgl. Aristoteles) .
  13.209[5]   5) Ziemlich allgemein kann man sagen, es deute die Sprache an, auf welche Bestimmung (Gegenstand) man zuerst hingeblickt hat, indem man sich von der Wahrheit oder Falschheit des Gegenstandes der beiden Bestimmungen überzeugte; oder auf welche der Angeredete zunächst achten soll, um den Satz zu verstehen oder sich von der Wahrheit oder Falschheit des Gegenstandes der beiden vereinigten Bestimmungen Kenntnis zu verschaffen.
     

233
     
  13.310[1]   Man kann sich vom Dasein eines schwarzen Vogels überzeugen, indem man ihn unter den Vögeln oder unter den schwarzen Gegenständen sucht. Besser aber unter den zweiten. Und so kann man sich auch besser überzeugen, ob ein Individuum unter eine Gattung gehört, wenn man seinen Begriff zergliedert, als wenn man den Umfang des Universale durchläuft usf.
  13.310[2]   So erklären sich ungefähr die anderen Punkte aus diesem.
  13.310[3]   So also eine Art Unterschied bereits unzweifelhaft ergeben.
  13.310[4]   (Die Verbindung und das Prädikat) ] 28. Ebenso ist es gewiss, und es mag dies (Die Verbindung und das Prädikat) nicht ohne Zusammenhang mit dem oben Erörteten sein, dass der stärkere Nachdruck auf dem Prädikat liegt (es tritt stärker ins Bewusstsein).
  13.310[5]   Doch diese Unterschiede sind für die Logiker gleichgültig.
  13.310[6]   29. Für diese ist nur ein doppelter Umstand beachtenswert.
  13.310[7]   1) Dass bei der so genannten allgemein bejahenden kategorischen Aussage, die Prädikatsbestimmung, nicht aber die des

234
Subjekts durch die eine der in dem Wörtchen „alle“ enthaltenen Negationen modifiziert und in ihr negatives Gegenteil verwandelt wird.
  13.211[1]   Daher kann der Namen des Prädikats nicht so wie in der Formel kein … und in allen übrigen einfach mit dem Namen des Subjekts ohne Änderung des Sinns vertauscht werden (O macht keine Ausnahme).
  13.211[2]   2) Ein zweiter Umstand, der zu beachten ist, ist der, dass bei einem Existenzialsatz, der aus einem aus mehreren Bestimmungen zusammengesetzten Namen und dem synkategorematischen Existenzialzeichen besteht, das Verhältnis des einen Teils des Namens zum anderen ein mehrfaches sein kann. Manchmal bringt er nur ein neues Merkmal hinzu, manchmal aber modifiziert er den Sinn des anderen Teiles, z. B. „gewesener König“, „zukünftige Schlacht“, „toter Mensch“, „gedachtes Schloss“, „gewünschtes Geld“, „fingierter Jupiter“, „ein möglicher Taler“ usw.
  13.211[3]   Das kategorische Formular gebrauchen ] Will man nun statt solcher Existentialsätze kategorische gebrauchen, indem man den beiden Bestimmungen des Namens, die sich nicht im gewöhnlichen Sinn attributiv zueinander verhalten, den einen zum Subjekt, den anderen zum Prädikat macht, so kann man nur der Bestimmung, deren Sinn nicht durch die andere modifiziert wird, die Stelle des Prädikats geben, z. B. Ein König ist gewesen“, Ein Mensch ist tot“, Jupiter ist eine Fiktion“, Ein Taler ist möglich“, Ein Schloss ist von mir gedacht“. Daher ist in solchen kategorischen Sätzen Subjekt und Prädikat nicht ohne Sinnesänderung zu vertauschen. Sie sind aber als Abweichungen

235
von der regelmäßigen Ausdrucksweise anzusehen, und daher haben die Logiker in ihren Bestimmungen über die sogenannte Konversion der kategorischen Sätze nicht auf sie Rücksicht genommen (I immer simpliciter). Sie sind pseudokategorisch, d. h. nicht wirklich attributiv. (Es ist ein Fehler der Logik, dass sie vor der Gefahr nicht warnte. Täuschung Mills, dass keine Existenz ausgesprochen.)
     

236
     
  13.313[1]   1. So viel von der kategorischen Form der Aussage. Gehen wir jetzt zur konditionalen über, und zwar zur konditionalen im weiteren Sinn des Wortes, in welchem es die hypothetischen und disjunktiven Aussagen gemeinschaftlich begreift. Beide sind Ihnen aus der Grammatik bekannt. Sagen wir daher kurz: eine hypothetische Aussage ist eine solche, welche aus einem Vorder- und Nachsatz besteht, die durch die Konjunktionen wenn – so oder gleichbedeutende verknüpft sind, wie z. B.
  13.313[2]   Eine disjunktive ist eine solche, welche aus zwei oder mehreren Sätzen besteht, die man die Glieder der Disjunktion nennt und welche durch die Konjunktionen entweder – oder (oder auch durch gleichbedeutende) verknüpft sind, wie z. B.
     

237
     
  13.314[1]   Ich nenne die beiden Aussageformen konditional, weil in der disjunktiven ebensowohl wie in der hypothetischen über keinen der darin enthaltenen Sätze schlechthin, sondern nur für gewisse Fälle bestimmt wird, dass er zu bejahen oder zu verneinen sei.
  13.314[2]   Daher auch offenbar die Vielheit der Sätze kein Widerspruch mit der Einheit.
  13.314[3]   2. Bei diesen konditionalen Aussageformen ist die Abweichung von der existentialen weit größer als bei der kategorischen.
  13.314[4]   Es gilt dies sowohl a) hinsichtlich der größeren Beschränkung der Anwendbarkeit alsb) bezüglich der größeren Künstlichkeit.
  13.314[5]   ausgeschlossene Beispiele bei jedem] ad a) 1) In beiden nur indirekte Urteile. Urteile, zu deren Materie andere Urteile gehören. 2) Auch nicht alle indirekten, denn nur solche, zu deren Materie mehrere Urteile gehören. 3) Und auch diese nicht alle, sondern nur die, bei welchen die zu ihrer Materie gehörigen Urteile nicht im Einzelnen beurteilt werden. Und dies nicht bloß nicht explicite (denn natürlich), sondern auch nicht implicite.
  13.314[6]   Wir sehen also die außerordentliche Beschränkung.
  13.314[7]   ad b) 1) Die Qualität ganz und gar durch Syntaxe. Denn die der Glieder zur Materie. Also weder die existentiale synkategorematische Ergänzung noch eine andere wie die Kopula. 2) Aber noch eine andere Künstlichkeit ! Wenn die Qualität durch bloße Syntaxe ausgedrückt ist, so gehören die Sätze ganz zur Materie.
  13.314[8]   Und die Qualität scheint leicht zu bestimmen und so die ganze Aussageform zu begreifen. Man sollte meinen, man brauche nur die Sätze zusammenfassen und, sie versuchsweise affirmierend und negierend, zu sehen, bei welchem Verfahren man eine der konditionalen Aussage äquivalenten Ausdruck erhält.
  13.314[9]   Allein, mag man die zusammen-


238
gefassten Sätze affirmieren oder negieren, der Sinn scheint geändert. Und so gewinnt es wiederum, wie früher bei der kategorischen Aussageform, den Anschein, als sei es unmöglich, sie auf die existentiale zurückzuführen.
  13.315[1]   Wenn dies aber dennoch möglich ist (und leugnen hieße so viel als annehmen, dass eine einheitliche Aussage weder bejahend noch verneinend sei), so gehören dazu offenbar besondere Kunstgriffe.
  13.315[2]   1) Man muss sehen, ob vielleicht die scheinbare Qualität in dem einen oder anderen der Sätze oder vielleicht auch durchgehend zu ändern ist.
  13.315[3]   2) Oder, wenn dies nicht zu etwas Befriedigendem führen sollte, ob nicht die eingeschlossenen Sätze in einer anderen Weise zur Materie des Urteils beitragen, als wie Teile, die zusammengefügt das Ganze bilden.
  13.315[4]   3) Wenn aber schon hier für die Rückführung sich Schwierigkeiten zeigen, so offenbaren sich deren noch mehr,

239
wenn wir auf die große Zahl und Mannigfaltigkeit der hypothetischen und disjunktiven Formeln blicken, von denen viele eine ganz außerordentliche Verwicklung zeigen.
  13.316[1]   α) So z. B. haben wir beim hypothetischen vor allem vier verhältnismäßig einfache Formmeln:

„Wenn A ist, ist B“.

„Wenn A ist, ist B nicht“.

„Wenn A nicht ist, ist B“.

„Wenn A nicht ist, ist B nicht“.
  13.316[2]   β) Und ähnlich ist es bei dem disjunktiven. Auch hier vor allem vier verhältnis-


240
mäßig einfache Formeln:

„Entweder A ist oder B ist“.

„Entweder A ist oder B ist nicht“.

„Entweder A ist nicht oder B ist“. „Entweder A ist nicht oder B ist nicht“.
  13.317[1]   γ) Aber dazu kommen dann noch viele andere verwickeltere, indem die einzelnen Satzglieder nicht bloß einen, sondern mehrere Termini enthalten können und für sich allein betrachtet statt der Gestalt von Existentialsätzen oft die von kategorischen haben. So bei hypothetischen, z. B. 1) „Wenn A ist, ist A B“ (und ähnliche).

2) „Wenn A nicht B ist, ist A nicht“ (und ähnliche).

3) „Wenn A B ist, ist C“.

„Wenn A ist, ist B C“.

„Wenn A B ist, ist B C“.

„Wenn A nicht B ist, C B“

und eine ganze Menge mit drei Terminis.

4) „Wenn A B ist, ist C D“

usw. usw. mit vier Terminis. Und so noch mannigfache Formeln.
  13.317[2]   δ) Und ebenso auch bei den disjunktiven hiedurch eine Menge anderer und weit komplizierterer:

1) Entweder ist A nicht oder A ist B“ etc.

2) „Entweder ist A B, oder C ist“ etc.

3) „A ist entweder B oder C“.

4) „Entweder ist A B oder C D“ usw.
  13.317[3]   ε) Ja es kann sich treffen, dass die Glieder eines hypothetischen selbst wieder hypothetisch, und die eines disjunktiven selbst wieder disjunktiv gestaltet sind, oder auch, dass die beiden Formen sich ineinander schieben.
  13.317[4]   4. Alle diese und noch eine Fülle anderer Formeln schon bei zwei Gliedern. Aber das disjunktive kann mehr als zwei Glieder haben, und dies wird eine neue Quelle von Verwicklungen:

„Entweder ist A oder B oder C“

„N ist entweder A oder B oder C“ etc.
  13.317[5]   5. Bei den hypothetischen spricht man zwar gewöhnlich nur von einem Antezedens und Konsequens, aber auch hier ist eine Vermehrung der Glieder wenigstens insofern möglich, als das Antezedens eine Mehrheit von Voraussetzungen enthalten kann. „Wenn A ist und B nicht ist, ist C“.
  13.317[6]   Und außerdem ist bei ihm noch etwas anderes, was eine ganz besondere Künstlichkeit verrät, nämlich das Verhältnis der beiden Sätze zueinander.
  13.317[7]   Bei der disjunktiven Aussage sind dieselben gleichheitlich nebeneinander gestellt, und ohne Veränderung des Sinnes kann man darum die Glieder ihre Stellen wechseln lassen.
  13.317[8]   Bei den hypothetischen finden wir aber keine solche Gleichstellung. Vielmehr wird mit der Vertauschung der Glieder der Sinn ein ganz anderer.
     

241
     
  13.319[1]   So zeigen sich Künstlichkeiten und Verwicklungen aller Art und scheinen die Reduktion auf die existentiale Formel und hiemit das Verständnis der konditionalen Formeln zu erschweren.
  13.319[2]   4. Allein näher betrachtet ist die Sache nicht so misslich, wie es scheinen könnte. Vieles von dem, was oben aufgezählt wurde, wenn es auch die Reduktion einer konditionalen Formel auf einen Existentialsatz im einzelnen Falle schwieriger oder wenigstens umständlicher macht, erschwert doch nicht die Auffindung des Gesetzes der Reduktion.
  13.319[3]   Namentlich gilt dies von dem Umstande, auf welchen vorzüglich die große Mannigfaltigkeit der Formeln gründet, dass nämlich die einzelnen Satzglieder selbst oft eine künstlichere und verwickeltere Gestalt als die des Existentialsatzes haben.
  13.319[4]   Bei solchen Unterschieden des Ausdrucks der einzelnen Glieder bleibt die Grundformel der hypothetischen oder disjunktiven Aussage unverändert:

wenn – so

entweder – oder.
  13.319[5]   Die Unterschiede sind daher von der Bedeutung wie die der angeblichen vier kategorischen

242
Aussageformeln. Und wir können, indem wir zunächst das Verständnis der Grundformen zu gewinnen suchen, vor der Hand von allen konditionalen Aussagen, bei welchen die einzelnen Satzglieder selbst wieder eine Verwicklung darbieten, absehen und uns auf die Betrachtung der einfachsten zwei- und mehrgliedrigen Formeln beschränken. Notwendig wird, was wir finden, auch für das Verständnis der verwickelteren eine Bedeutung haben ähnlich der, welche die Auflösung der äußersten Klammer einer mathematischen Formel für ihre völlige Entwicklung hat.
  13.320[1]   5. Was müssen wir tun, um diese Formeln zu erklären? Wir müssen 1) die Qualität bestimmen 2) die Materie erklären, indem wir festellen, α) welches die einzelnen Sätze sind, und β) wie sie zur Materie gehören.
  13.320[2]   Bei dieser Untersuchung ist nun vor allem eines gewiss und selbstverständlich, dass nämlich jede dieser konditionalen Aussagen entweder bejahend oder verneinend ist.
  13.320[3]   Aber auch noch etwas Anderes und Wichtigeres dürfen wir behaupten; nämlich dass, wenn irgend einer von denjenigen unter ihnen, welche hypothetisch sind, bejahend ist, alle bejahend sind; und wenn einer verneinend, alle.
  13.320[4]   Und ebenso für die disjunktiven.
     

243
     
  13.321[1]   Denn wie schon oben gezeigt, die Form durch nichts als die Syntaxe ausgedrückt.
  13.321[2]   Diese aber bei allen hypothetischen (von welchen jetzt), und ebenso bei allen disjunktiven (von welchen jetzt) gleich.
  13.321[3]   Denn ob beim hypothetischen eine oder mehrere Voraussetzungen, immer dasselbe Verhältnis von Antezedens und Konsequens, und ob beim disjunktiven ein oder mehrere Glieder, immer die gleiche Zusammenordnung.
  13.321[4]   Also bleibt auch die Qualität dieselbe.
  13.321[5]   6. Es könnte aber einer geneigt sein, noch mehr zu behaupten.
  13.321[6]   Nämlich, dass, wenn ein hypothetisches bejahend, nicht bloß alle hypothetischen, sondern auch alle disjunktiven usw.
  13.321[7]   Denn, könnte einer sagen: Jedes hypothetische lässt sich auf eine disjunktive Formel bringen und umgekehrt, z. B. Wenn A ist, ist BEntweder A ist nicht oder B ist.

244
Dies scheint ein schlagender Beweis, und um so mehr, da selbst bei mehrgliedrigen disjunktiven dasselbe zu gelten scheint; indem man sie ebenso gut wie andere auf hypothetische Sätze, nämlich auf solche mit mehrfachem Vordersatz rückführen kann.
  13.322[1]   Auch ich war daher einmal dieser Ansicht.
  13.322[2]   Allein näher besehen, ist das, was die angeführten und andere Beispiele zeigen, noch nicht ein voller Beweis für die Reduzierbarkeit, vielmehr nur für die Möglichkeit für jeden hypothetischen Satz einen äquivalenten disjunktiven und umgekehrt zu bilden. Dies etwas anderes. Und beweist nicht Gleichheit der Form; denn für jeden affirmativen Satz lässt sich ein äquivalenter negativer bilden und umgekehrt.
  13.322[3]   Und daher hier Täuschung möglich; namentlich da indirekte Aussagen, bei denen keiner noch klar festgestellt , welcher Art die Form und was die Materie ist.
  13.322[4]   In der Tat werden wir sehen, dass die Ansicht nicht richtig ist. Vielmehr ist nachweisbar, dass kein hypothetisches auf ein disjunktives reduzierbar und umgekehrt, indem keines mit keinem, sei es in der Qualität, sei es in der Materie übereinstimmt.
  13.322[5]   Und hierin, dass die eine Aussageform nur affirmative, die andere nur negative Urteile ausdrücken kann, werden wir sogar den Grund der doppelten Formel erkennen.
  13.322[6]   7. Nur dieses also hinsichtlich der Form gesichert, dass entweder alle hypothetischen bejahend oder alle verneinend, und ebenso alle disjunktiven. Und dies ist sehr wichtig.
  13.322[7]   8. Aber auch hinsichtlich der Materie sind wir noch etwas mehr zu bestimmen im Stande als was wir früher über die Beschränkung sagten. Wir haben früher die Frage gestellt, ob nicht vielleicht bei den Satzgliedern die scheinbare Qualität eine andere als die wirkliche sei.
     

245
     
  13.323[1]   Und ebenso, ob sie einfach als Teile zum Ganzen der Materie sich zusammenfügten oder in einer anderen Weise zu ihr gehörten, nämlich in der Weise etwa, und dem entsprechend haben wir dann die die Aufgabe gestellt zu bestimmen: 1) welche die einzelnen Sätze seien und 2) wie sie zur Materie gehören?
  13.323[2]   Was den ersten Punkt, also die Feststellung der Qualität der Glieder, betrifft, so ist leicht zu erkennen, dass bei der disjunktiven Aussage entweder bei allen Teilen die scheinbare Qualität geändert oder bei keinem (denn wie gesehen gleiche Stellung und daher Vertauschung), bei der hypothetischen dagegen jedenfalls entweder bei dem Vorder- oder Nachsatz, nicht aber bei beiden. Denn 1) ungleiche Stellung; keine Vertauschung ohne Änderung des Sinns. 2) deutlicher noch, dass die Stellung Ein-


246
fluss auf die Qualität hat, wenn beide Qualitäten geändert, und umgekehrt, der alte Sinn. Nehmen wir an, die Qualität an der einen oder anderen Stelle durch die Stelle zum Gegenteil der scheinbaren, so ist dies erklärt.

A[nicht] B

B nicht[nicht] A nicht.
  13.324[1]   3) Eine Bestätigung endlich in dem Vergleich mit dem disjunktiven Äquivalent

Wenn A nicht B“,

Entweder A oder B.

Das disjunktive ja, wie gesehen, gleichgestellte Glieder.
  13.324[2]   9. a) Ebenso in Bezug auf den zweiten Punkt ist klar, dass außer jener einfachen Auffassung des Verhältnisses der Satzglieder zur Materie, wonach sie zusammengefügt das Ganze der Materie ausmachen, hauptsächlich noch die in Betracht kommen kann, wonach die Materie ein unbestimmter Teil des aus den zusammengefügten Gliedern gebildeten Ganzen wäre. (A und B; Eines von A und B.) In beiden Fällen könnte es nämlich geschehen, dass durch die Beurteilung der Materie über die Wahrheit oder Falschheit der einzelnen Satzglieder nichts bestimmt würde. (A und B nicht; Eines von A und B.) Beispiel einer so ausgedrückten hypothetischen und disjunktiven Aussage.
  13.324[3]   b) Ferner ist offenbar, dass, wenn die Glieder so, wie Teile, die zusammengefügt ein Ganzes bilden, zur Materie gehören, so dass also die Gesamtheit der Glieder die Materie ausmacht, die Aussage eine verneinende sein muss.
     

247
     
  13.325[1]   Und ebenso dass, wenn die Glieder so zur Materie gehören, dass von dem Ganzen, das sie, zusammengefügt, ausmachen, ein unbestimmter Teil Materie des Urteils ist, das Urteil bejahend sein muss, wegen der zwei bei der Einteilung der Urteile betrachteten Gesetze (dem ganzen Inhalt, dem ganzen Umfang nach) .
  13.325[2]   c) Ferner ist klar, dass jedenfalls in beiden Weisen ein Äquivalent darstellbar ist, nur muss man die Qualität der Glieder, die das eine Mal als Bejahungen aufgefasst werden, das andere Mal negativ bestimmen; und umgekehrt.
  13.325[3]   Denn wenn ich sage: Die Existenz von A, die Existenz von B und die Existenz von C sind nicht und wiederum: Eine von den Nichtexistenzen, die Nichtexistenz von A, die von B und die von C ist, so ist die eine Aussage das genaue Äquivalent der anderen.
  13.325[4]   So also auch hier, Nachweis beim disjunktiven, Nachweis beim hypothetischen.
  13.325[5]   10. Welches nun bloß Äquivalent und welches dasselbe Urteil? Hier wird der Grundsatz gelten, dass, wo möglichst wenige Modifikationen der scheinbaren Qualität.
  13.325[6]   Zweifache Darstellung des disjunktiven. – Es ist offenbar bejahend.
  13.325[7]   Zweifache des hypothetischen. Es scheint zweifelhaft.
  13.325[8]   Es entscheidet sich aber 1) bei mehr als zwei Gliedern, der Mehrheit von Vordersätzen (der Nachsatz kann nicht vervielfältigt werden ohne Vervielfältigung des Urteils); 2) und einer Bestätigung durch den Vergleich mit der (verwandten) kategorischen Aussage A. Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme zwei Rechte“. Wenn etwas ein Dreiecken ist, hat es zur Winkelsumme zwei Rechte“. α) Negativ. β) Änderung des scheinbaren Prädikats in den negativen Gegensatz. Änderung des scheinbaren Nachsatzes in einen Satz mit entgegengesetzter Qualität.
     

248
     
  13.326[1]   12. So ist denn das Resultat gewonnen, 1) was die Qualität anlangt: die der hypothetischen Aussagen negativ, die der disjunktiven positiv; 2) was die Materie anlangt: α) die Qualität der Satzglieder beim hypothetischen die des Vordersatzes die scheinbare, die des Nachsatzes die entgegengesetzte, beim disjunktiven in allen Gliedern die scheinbare; β) die Weise, wie sie zur Materie gehören: beim hypothetischen ist die Gesamtheit der zusammengefügten Glieder die Materie, beim disjunktiven ist sie ein unbestimmter Teil der Gesamtheit der Glieder.
  13.326[2]   13. Hienach ist es denn auch leicht, die allgemeinen Gesetze der Rückführung auf den Existentialsatz auszusprechen. 1) Für das hypothetische: Man verändere die scheinbare Qualität des Nachsatzes, vereinige ihn kopulativ mit dem Vorder-


249
satz und verneine das Ganze. 2) Für das disjunktive: Man vereinige die Glieder der Disjunktion kopulativ, und bejahe ein unbestimmtes Glied der so erhaltenen Gesamtheit: Von den Existenzen von A, B, und C etc ist eine.
  13.327[1]   14. Man sieht, wie ungelenk die Ausdrücke, und wie sehr die Sprache daher solcher besonderer konditionaler Formeln bedurfte.
  13.327[2]   15. Die hypothetische Aussage lässt sich leicht auch auf eine kategorische zurückführen von der Form E: z. B. Wenn A ist, ist B“ – Es ist nicht die Existenz von A ohne die Existenz von B (ein ohne die Existenz von B Seiendes). Bei der disjunktiven ist dies nicht wohl möglich, weil sich die Materie nicht in ähnlicher Weise wie die des hypothetischen in mehrere Bestandteile zerlegen lässt, um daraus Subjekt und Prädikat zu bilden.
  13.327[3]   So hat Trendelenburg in gewisser Weise Recht.
     

250
     
  13.328[1]   16. Bei den bisher geführten Erörterungen hatten wir direkt nur die einfachen hypothetischen und disjunktiven Formeln im Auge und schlossen die verwickelteren, bei welchen die einzelnen Glieder nicht in existenzialer, sondern selbst wieder in einer der komplizierteren Formeln gekleidet waren, von der Betrachtung aus.
  13.328[2]   Indessen haben die Ergebnisse, wie schon anfangs bemerkt, auch für sie volle Bedeutung. Auch von ihnen sind alle hypothetischen negativ, alle disjunktiven positiv. Und auch sie können nach dem angegebenen Gesetz auf einen einfachen Existenzialsatz reduziert werden.
  13.328[3]   Nur ist bei ihnen wegen der mehrfachen Verwicklung ein mehrfacher Reduktionsprozess erforderlich.
  13.328[4]   17. Man kann hiebei zuerst die Ausdrücke der einzelnen Glieder und dann das Ganze reduzieren oder auch umgekehrt, z. B. Wenn A B ist, ist C D = Wenn es ein B seiendes A gibt, gibt es ein D seiendes C = Die Existenz eines B seienden A und Nichtexistenz eines D seienden C ist nicht. Oder in umgekehrter Ordnung: = Dass A B ist und nicht C D ist, ist falsch“, und dann = Dass es ein B seiendes A und nicht ein D seiendes C gibt, ist falsch (oder was dasselbe bedeutet: Die Existenz eines B seienden A usw. wie oben).
  13.328[5]   18. So zeigt sich denn, wie in der Tat auch die konditionalen Formeln alle auf den Existentialsatz zurückführbar sind.
  13.328[6]   19. Wir sehen also, was Kant begegnet ist, als er den Unterschied der kategorischen, hypothetischen und disjunktiven Aussagen unter dem Namen des Unterschieds der Relation als einen der vier Haupttitel der Einteilung

251
der Urteile nach der bloßen Verstandesform aufstellte und darauf seine wesentlichsten metaphysischen Sätze basierte.
  13.329[1]   Was er für einen Unterschied der Verstandesform hielt, ist hauptsächlich ein Unterschied der Form des Ausdrucks. Im übrigen spielen nur solche Unterschiede herein, welche Kant entweder grundsätzlich ausgeschlossen hat, wie Unterschiede der Materie, oder solche, die einem anderen Haupttitel angehören: der Form, wie denn die hypothetische Formel bloß negativen, die disjunktive bloß positiven, die kategorische und (fügen wir hinzu) die existentiale beiden Klassen von Urteilen Ausdruck verleihen kann.
  13.329[2]   20. Doch da wir von Kant sprechen, so muss ein Bedenken berührt werden.
  13.329[3]   Wir erinnern uns, dass Kant die disjunktive Aussage anders fasste: Ein doppeltes Verhältnis wollte er in ihr ausgedrückt sehen, der Gemeinschaft (zusammen die ganze Sphäre; kein Mittleres) und der Entgegensetzung.
  13.330[1]   Wie wir es fassten und wir zeigten, dass dies die Fassung, welche allein weit genug ist, um alle Beispiele disjunktiver Urteile zu begreifen, nur das erste (z. B. Die Bösen werden bestraft, entweder in dieser oder in der anderen Welt), und so führten wir es zurück. Dies war auch die Auffassung in älterer Zeit, z. B. sagt Goudin S. 49: „ Propositio disjunctiva est, quae unitur particula disjunctiva vel, aut … Ad illius veritatem sufficit alterutram esse veram. “
  13.330[2]   Doch schon vor Kant findet sich die Auffassung in seinem Sinn verändert, z. B. bei Arnauld: zwei Arten zu schließen: 1) einen Teil leugnend, den anderen bejahen; 2) einen Teil bejahend, den anderen leugnen: Bernard war ein Heiliger oder ein Betrüger etc. Doch sagt er, diese zweite Art sei „moins naturelle“. (S. 266, vgl. 164.)
  13.330[3]   21. Es fragt sich nun, ob die disjunktive Aussage, auch in dem Sinn, den Kant ihr gibt, auf den Existentialsatz zurückführbar?
  13.330[4]   Ja! Man hat zu diesem Zweck ganz das alte Verfahren einzuhalten, nur mit dem Unterschied, dass man mit jedem einzelnen der zusammengefügten Glieder die anderen mit umgewandelter Qualität verbindet, z. B. Entweder ist A oder es ist B oder es ist C = Eines von:

die Existenz von A mit der Nichtexistenz von B und der Nichtexistenz von C;

die Existenz von B mit der Nichtexistenz von A und der Nichtexistenz von C;

und die Existenz von C mit der Nichtexistenz von A und der Nichtexistenz von B

ist.
  13.330[5]   Was freilich eine noch weit

253
schwerfälligere Formel gäbe als die früher erhaltene; und natürlich, da der Inhalt um ein Bedeutendes vermehrt.
  13.331[1]   22. Aber auch die andere , so wie die, zu welcher die hypothetische Aussage führt, wie früher bemerkt, schwerfällig genug, um die Unentbehrlichkeit der konditionalen Formeln darzutun. Und so der Grund und die Notwendigkeit erkannt.
  13.331[2]   23. Aber noch mehr erkennen wir aus den Untersuchungen.
  13.331[3]   Nicht bloß die Notwendigkeit besonderer konditionaler Formeln, sondern a) auch den Grund ihrer Mehrheit, b) und  |  und b)  ] den Grund, warum nicht mehr als zwei.
  13.331[4]   Das Erste darum, weil weder in Materie noch Form ein hypothetisches mit einem disjunktiven identisch sein kann. Das Zweite , weil nur zwei Weisen möglich sind, in welchen es geschehen kann, dass in einem Urteil die Materie nicht dem Ganzen nach be urteilt wird,. 1) so, dass sie nicht dem ganzen Inhalt nach beurteilt wird, und dies beim negativen Urteil mit zusammengesetzter Materie; 2) so, dass sie nicht dem ganzen Umfang nach beurteilt wird, und dies beim affirmativen Urteil mit allgemeiner Materie.
  13.331[5]   Das aber ist, abgesehen von dem, dass die Urteile indirekt, das Charakteristische der konditionalen Aussagen, dass sie über die einzelnen darin enthaltenen Glieder nichts bestimmt .
  13.331[6]   Und dies erreicht die hypothetische Aussage durch das erste Gesetz, die disjunktive in Folge des zweiten Gesetzes.
  13.331[7]   24. Dies ist, was sie von anderen Aussagen unterscheidet, wie z. B. a) die kopulativen (– und –),

254
c) die rationalen (also) (Goudin, S. 49), d) die kausalen (weil, damit), zu ihnen zählen auch e) die reduplikativen („homo, inquantum homo est rationalis“ = „ratio, cur homo sit rationalis est quia est homo“. (Goudin, S. 52.; Arnauld, S. 167) ), f) die relativen (z. B. Die Erde bewegt sich, wie schon Kopernikus erkannte, um die Sonne, in anderen Fällen aber anderer Ausdruck für hypothetische, und wiederum in anderen Teil der Materie.) b) die diskretiven (das – aber nicht das), usw. usw., mit welchen man sie in der älteren Logik unter dem Titel der „ zusammengesetzten Aussagen “ zusammenstellte (vgl. Arnauld und Goudin, S. 49). Betrachtet man diese näher, so sieht man, dass mehrere Aussagen. Diese aber eine.
  13.332[1]   25. Ein zusammengesetztes, das mehrere Aussagen, auch das partitive oder divisive (teilsteils, manchmal auch ausgedrückt durch entwederoder), welches nicht mit dem disjunktiven zu verwechseln, z. B. Die lebenden Wesen sind teils geistig, teils körperlich = Ein Teil der lebenden Wesen sind geistig, die übrigen sind körperlich.
     

255
     
  13.333[1]   26. Von den Aussageformen, die nicht existential sind, wollen wir, nachdem wir die kategorische, die hypothetische und die disjunktive betrachtet, nur noch der adverbialen Formeln kurze Erwähnung tun.
  13.333[2]   Auch sie sind Formeln für indirekte Urteile, drücken dieselben aber in der Weise aus, dass sie die zu ihrer Materie gehörigen Urteile mit bloßer Hinzufügung eines Adverbiums direkt aussprechen, z. B. Gott ist gewiss gerecht, Ein Kreis ist unmöglich viereckig. Weitere Erörterungen können wir uns, da die Reduktion keine Schwierigkeit hat, ersparen. Und überhaupt unsere Untersuchungen über die Einteilung der Aussagen hinsichtlich des Unterschieds ihrer Ausdrucksformen abschließen.
  13.333[3]   27. Fassen wir kurz zusammen : 1) existenziale, die allgemeinste und einfachste; zweiteilig; 2) nichtexistentiale, mehr oder minder künstlich und auf die erstere

256
zurückzuführen.
  13.334[1]   Von diesen 1) die kategorische, mit ihren so genannten vier Klassen, die näher betrachtet sich auf zwei reduzierten, eine affirmativ partikuläre und eine negativ universelle (hier die pseudokategorischen erwähnt); 2) die konditionalen, Ausdruck gewisser indirekter Urteile.
  13.334[2]   Drei Arten: 1) die disjunktiven, alle positiv der Form nach, mit einer (man könnte sich so ausdrücken) disjunktiven Verbindung der zur Materie gehörigen Sätze. 2) die hypothetischen, der Form nach alle negativ, mit einer kopulativen Zusammenfassung der Glieder zur Materie. 3) die adverbialen, von welchen zuletzt gehandelt wurde.
  13.334[3]   28. Die alten Logiker pflegten die Aussagen ihrer Ausdrucksweise nach auch in folgende zwei Klassen zu teilen: propositio exponens und propositio exponibilis, d. i. eine solche, welche durch eine Besonderheit des Ausdrucks den Sinn dunkel machte, und daher durch eine deutlichere zu erklären sei (nämlich die exponens). Als exponibiles pflegten sie die oben erwähnten reduplikativen Sätze sowie die, welche sie die exzeptiven („Alle animalischen Wesen, außer den Menschen, entbehren der Vernunft“) und exklusiven („ Gott allein ist weise“) nannten, aufzuzählen.
  13.334[4]   29. Dies ist ziemlich willkürlich .
  13.334[5]   Wir haben gesehen, wie nicht bloß diese zusammengesetzten Aussagen, sondern auch einfache. Eigentlich alle Formeln außer der existentialen exponibel und diese die exponens. Will man aber das „exponibel“ in einem beschränkteren Umfang anwenden, so nichts dagegen; denn allerdings manche Ausdrücke in besonderem Maß der Erklärung bedürftig. Wir haben gesehen, dass kleine Nuancen des Ausdrucks bei den von uns besprochenen Formeln häufig sind.
  13.334[6]   Namentlich bei den kategorischen, welche als die üblichsten auch die meisten Variationen haben. Diese können so weit gehen, dass Urteile eine Gestalt des Ausdrucks bekommen, die sonst einem ganz anderen Urteil zu dienen pflegt, z. B. A ist A, Eine fleißige Frau verdient

257
Lob, Ein Dreieck hat drei Winkel (hypothetisch oder negativ). Und so auch bei zusammengesetzten Aussagen. Solche Aussagen sind wohl am meisten exponibel zu nennen. Sie fordern am meisten Vorsicht, ähnlich wie die äquivok gebrauchten Namen, denn auch hier eine Äquivokation.
  13.335[1]   30. So führt uns dies zur dritten und letzten Einteilung der Aussagen, die wir oben angekündigt haben: 1) univoke, 2) äquivoke. Was hier zu sagen, ist keine bloße Wiederholung dessen, was bei den Namen, obwohl es nach dem dort Gesagten keine Schwierigkeit mehr hat. Denn ganz analog.
  13.335[2]   31. Wie nämlich im Namen, so kann auch in den den Namen zum Urteil ergänzenden synkategorematischen Ausdrücken und in der Syntaxe eine Äquivokation liegen, und ebenso kann sie sich in der Weise und in den Mitteln der Zusammenfügung mehrerer Aussagen sich finden.
  13.335[3]   32. Es wäre gut, die wichtigsten

258
vollständig zu sammeln.
  13.336[1]   Notabene. Doch da dies noch nicht geschehen, so wollen wir sie wenigstens durch einige Beispiele charakterisieren, die dazu dienen werden, den Blick für Entdeckung solcher Äquivokationen überhaupt zu schärfen.
  13.336[2]   1. Allgemeine und partikuläre kategorische Aussage, wie in den eben gegebenen Beispielen, manchmal unerkennbar, z. B. Eine Seele ist der Unsterblichkeit teilhaft“, Ein Dreieck hat zur Winkelsumme 2 R“ (dann prop. indefinita, sc. sec. quantitatem).
  13.336[3]   2. Sätze, wo das kollektive Subjekt distributiv und wo es kollektiv supponiert, Die Dreiecke haben zur Winkelsumme 2 R“, Die Apostel sind Galiläer (zwei Sätze), Die Apostel sind zwölf, Der zweitgeborene von sechs Brüdern, welche zusammen eine Schwester hatten“, Diese Leute sind gelehrt, diese besitzen eine Million Gulden“. (Goudins irrige Regel: Alle Summen aus 3[?] Zahlen, deren jede kleiner als 5 sind 12.)
  13.336[4]   3. Sätze, wo das Subjekt konfus (indirekte und direkte Aussagen) supponiert, z. B. Ein Auge ist notwendig zum Sehen“. Richtig: „Kein Auge ist zum Sehen notwendig“. Falsch: „Zum Sehen ist kein Auge notwendig“. Nicht = „Ein zum Sehen notwendiges Auge ist“, sondern = „Dass einer sieht und kein Auge hat, ist unmöglich“. Es gibt nicht ein zum Sehen notwendiges Auge. Es ist unmöglich ein Sehen ohne Auge. (Goudin irrig.)
  13.336[5]   Goudin] 4. Sätze, wo das Subjekt amplifiziert, nicht amplifiziert supponiert, z. B. „Mansueti haereditabunt terram“. Dagegen: „Sieben Jahre werden fruchtbar sein“. (Wo das Tempus der Kopula bloß das Prädikat oder auch das Subjekt affiziert Die Könige werden entthront werden“. Dagegen: Die Lachenden werden weinen“.) (Goudin.)
     

259
     
  13.337[1]   5. Wo das Subjekt durch das Prädikat restringiert supponiert, z. B. Alle Menschen gehen durch eigene Schuld verloren (werden durch eigene Schuld unglücklich).
  13.337[2]   6. Auch andere Fälle könnte man hieher rechnen, wo das Prädikat das Subjekt modifiziert. Von denen haben wir oben gehandelt, z. B. Ein Mensch ist tot“.
  13.337[3]   7. Sätze mit dem „alle“, wo dies rigoros – nicht rigoros zu nehmen. Arnauld, Logique II, 13. Alle Weiber sind schwatzhaft. Ebenso: „Die“ Menschen haben zwei Hände.
  13.337[4]   8. „Alle“ bald jetzig, bald zeitlich unbeschränkt; bald de facto, bald notwendig, z. B. Alle Menschen sind auf Erden“, Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme 2 R“.
  13.337[5]   9. Modale Sätze in sensu composito und in sensu diviso. Etwas Weißes kann schwarz sein. Wer steht, kann sitzen. Componendo albedinem com nigredine nego. Seclusa albedinem concedo.
  13.337[6]   10. Eingefügte Relativsätze, explikativ oder determinativ, z. B. Die Menschen, welche geschaffen sind, um Gott zu erkennen und zu lieben (Arnauld, Logique II, 6), Die Menschen, welche fromm sind etc.
  13.337[7]   11. Eigentlich relativ oder konditional. Wer das getan hat, wird gestraft werden“. Wer das tut, wird gestraft werden“.
  13.337[8]   12. Entweder – oder, partitiv (schon berührt).
  13.337[9]   13. Konfuse Subjekte, die zweien äquivalent sind (Arnauld, Logique II, 12), z. B. Die Kirche dieses Dorfes ist anno X abgebrannt und dann größer und schöner wieder aufgebaut worden. (Dieses Haus stand in Gottes Hand“.) „Diese ist mein Leib“. Cf. Arnauld. Beim hinweisenden Wort „dieses“ noch nicht konsekriert.
  13.337[10]   14. Man könnte hieher auch noch die Äquivokation rechnen, woran sich das berühmte Sophisma knüpft: Keine Katze hat zwei Schwänze. Eine Katze hat einen Schwanz mehr als keine Katze. Also hat sie drei Schwänze. „Keine Katze“ einmal ein Teil der Kopula, das andere Mal gleich 0 Katze. Keine Katze im Sinne von 0 Katze hat 0 Schwanz. Missverständliche Aussagen wegen Äquivokation der Form, obwohl in sich selbst deutlich. Cf. Nr. 3.
  13.337[11]   15. Einige Dreiecke sind rechtwinklig, sc. unter den denkbaren.
  13.337[12]   16. „Ist“ bald zeitlich, bald universell.
     

260
     
     
Verhältnisse der Urteile zu einander
  13.338[1]   Wie wir an die Einteilung der Vorstellungen und Namen einige Bemerkungen über gewisse wichtige Verhältnisse der Vorstellungen zu einander knüpften, so müssen wir jetzt der Einteilung der Urteile einiges über gewisse wichtige Verhältnisse, die zwischen Urteilen bestehen, anfügen.
  13.338[2]   Sie werden eine unmittelbare Vorbereitung der späteren Erörterungen über die Prüfung der mittelbaren Erkenntnisse sein.
  13.338[3]   1. Identität (gleiche Materie und gleiche Form) a) mit, b) ohne gleichen Ausdruck.
  13.338[4]   Genugsam erläutert durch die Erörterungen über die Reduktion auf den Existentialsatz. Aber natürlich auf das dort Berührte nicht beschränkt, wie z. B. Synonymität der Namen, wie der sie zur Aussage ergänzenden Zeichen. Konversion der kategorischen Aussagen (wenigstens die so genannte einfache). Man unterschied eine dreifache: simpliciter (einfach), per accidens (mit Veränderung der Quantität), per contrapositio (mit Hinzufügung von Negationen).
  13.338[5]   Feci simpliciter convertitur. Eva per accidens Asto per contrapositio sic fit conversio tota (die letzten Veränderung des Sinns: äquivalent?). Konversion der hypothetischen Aussagen. (Einfach dreht sich der Derwisch, per accidens dreht sich der Erdball. Nachen[?], Fährmann[?]. Doch kehrt kontraponiert auch der Kosacke sich um. Endlich kontraponiert. Kontraponiert im Kampf dreht sich um der Kosake[?] . Kein Mensch wohnt auf dem Davalagiri. Irgend ein auf dem Davalagiri wohnender ist nicht Mensch.)
  13.338[6]   Es kann geschehen, dass einer auf den

261
ersten Blick zweifelt, ob identisch oder nicht.
  13.339[1]   2. Gegensatz, genauer gesagt kontradiktorischer Gegensatz (Widerspruch) = gleiche Materie und entgegengesetzte Form.
  13.339[2]   Notabene. Gewöhnlich ein dreifacher oder vierfacher Gegensatz in der Logik. Im Allgemeinen definiert als repugnantia inter duas pro positiones eodem praedicatio et subjecto constantes.
  13.339[3]   1) Kontradiktorisch: wenn der eine Satz affirmativ, der andere negativ und der eine allgemein, der andere partikulär, oder beide individuell (weder zusammen wahr, noch zusammen falsch).
  13.339[4]   2) Konträr: wenn beide allgemein, der eine affirmativ, der andere negativ (nicht zusammen wahr).
  13.339[5]   Subkonträr: beide partikulär, der eine affirmativ, der andere negativ (nicht zusammen falsch)
  13.339[6]   Subaltern: beide von derselben Form, die eine allgemein, die andere partikulär (natürlich nach der gewöhnlichen Auffassung, also A und I, E und O. Wenn die allgemeine wahr, die partikuläre, wenn diese falsch, auch die allgemeine.
  13.339[7]   ( Die drei letzten unrichtig; es bleibt uns der kontradiktorische .)
  13.339[8]   3. Äquivalenz: wenn ein oder mehrere Urteile so viel sagen, wie ein oder mehrere andere Urteile, wenn sie auch vielleicht nicht mit ihnen identisch sind, z. B. Es ist wahr, dass …“.
  13.339[9]   Mehrere Fälle: 1) Der Fall von einem zu einem; 2) von einem zu mehreren, z. B. Hans ist fleißig, Peter ist fleißig“; 3) von mehreren zu mehreren, z. B. Hans und Peter sind fleißig“, Hans und Peter sind brav“, Hans ist brav und fleißig“, Peter ist brav und fleißig.
  13.339[10]   Von den einzelnen Klassen gibt es wieder mehrfache Fälle.
  13.339[11]   ad 1. 1) Indirekte Äquivalenz , z. B. A istEs ist wahr, dass A ist“,Es ist falsch, dass A nicht ist. Hieher gehören auch die Kontrapositionen, z. B. Irgendein Mensch ist nicht gerecht“ – Irgendein Nichtgerechter ist nicht nicht Mensch“, Alle Menschen sind lebende Wesen“ – Alle nicht lebenden Wesen sind nicht Menschen. Hieher gehören auch die hypothetischen und die entsprechenden disjunktiven.
  13.339[12]   2) Äquivalenz von Sätzen mit korrelativer Materie (dazu Konkretum und Abstraktum ), z. B. Eine Ursache istEine Wirkung ist“; A wird von B bewegtB bewegt A usw.
  13.339[13]   3) Äquivalenz von affirmativen Sätzen, von welchen der eine unbestimmt eines von zweien Termini affirmiert, die durch Hinzufügung kontradiktorischer Bestimmungen zur Materie des anderen gebildet sind, z. B. A ist, AB oder A ist.
  13.339[14]   4) Äquivalenz von absoluten und relativen Bestimmungen oder auch von relativen Bestimmungen untereinander, wie sie in der Mathematik vorkommen, z. B. 2 . 2 sind; es sind 4; es sind 4 + 5; es sind 9. (Oder identisch? Und nur wegen des Nichtverbindens der Begriffe in unserem Denken verschieden? – Dies scheint richtig!)
     

262
     
  13.340[1]   Diese Beispiele (denn mehr als Beispiele sollen es nicht sein, mögen genügen, um die mannigfaltige Weise, wie Urteile äquivalent sein können, zu charakterisieren.
  13.340[2]   In der älteren Logik sprach man von einer Äquivalenz oder vielmehr, wie man es nannte, von einer Äquipollenz der Urteile in einem engeren Sinn. Man verstand darunter das Verhältnis zweier in unserem Sinn äquivalenter, zum Teil auch identischer Urteile, von welchen das eine durch Hinzufügung von einer oder mehreren negativen Partikeln zu einem dem anderen kontradiktorischen, konträren oder in subalternem Verhältnis zu ihm stehenden Urteil gebildet war. „Nicht alle Menschen sind sterblich“.Nicht ein Mensch ist gerecht“. „Kein Mensch disputiert nicht“. „Alle Menschen disputieren nicht“.Nicht ein Mensch disputiert nicht“ = „Alle Menschen disputieren“.
  13.340[3]   Es galt dafür der Vers: Prae contradic: post, contra: prae postque subalter. (Goudin, 54 ) (Setze bei kontradiktorischer vor, und nach bei konträrer. Setze es vor und nach bei subalterner Behauptung.) (Die etwas ähnliche Äquipollenz der Neueren, siehe besonders Überweg.)
  13.340[4]   So eng gefasst, hätten die äquivalenten Urteile für die Wissenschaft wenig Bedeutung.
     

263
     
  13.341[1]   ad 2. und 3. Wie es bei der Äquivalenz von einem und einem Urteil mehrfache Fälle gibt, so auch bei der Äquivalenz von einem und mehreren und der von mehreren und mehreren.
  13.341[2]   Wir gaben oben ein einfaches Beispiel der zweiten Klasse. Ein anderes wäre z. B. dies: A ist nicht = AB ist nicht und A ist nicht = ABC x, AB x und A x u. dgl.
  13.341[3]   Wir gehen nicht weiter darauf ein, da nach den Fällen, die wir für die erste Klasse unterschieden haben, analoge Unterscheidungen bei den anderen keine Schwierigkeit haben.
     

264
     
  13.342[1]   4. Äquivalenz zum kontradiktorischen Gegensatz oder kontradiktorischer Gegensatz zum Äquivalent. Auch dies hat nach der Erörterung der beiden vorigen Verhältnisse keine Schwierigkeit. Setzt es sich ja aus ihnen zusammen. Beispiel: Eine Ursache istEine Wirkung ist nicht“, Es sind 12“ – Es sind nicht 2 × 6.
  13.342[2]   5. Einschluss (Einschließen und Eingeschlossensein): Wenn ein Urteil in einem oder mehreren anderen enthalten ist; entweder explizite oder aktuell (in einer Mehrheit von Urteilen, von welchen eines identisch ist) oder implicite oder virtuell, der Kraft nach, wenn es aus dem, wovon man sagt, dass dieses es enthalte, gefolgert werden kann. Diese letzteren vorzüglich sind von Wichtigkeit.
  13.342[3]   Zwei Klassen : 1. eines in einem, 2. eines in mehreren.
  13.342[4]   ad 1. Mehrere Fälle, die wichtigsten etwa folgende:

1. Bejahung des Ganzen – Bejahung des Teils (in mannigfacher Weise),

2. Verneinung des Teils – Verneinung des Ganzen,

3. Bejahung des Besonderen – Bejahung der allgemeinen Materie,

4. Verneinung des Allgemeinen – Verneinung der besonderen Materie,

5. indirekter Einschluss, z. B. Es ist sicher, dass“, Es ist notwendig, dass“.
  13.342[5]   Natürlich gilt, was von dem in einem dieser Weisen Eingeschlossenen gilt, auch von seinen Äquivalenten, z. B. Es gibt ein Eigentum Es gibt ein vernünftiges Wesen (weil nur ein solches besitzt (Eigentum)).
  13.342[6]   ad 2. Ebenfalls mehrere Fälle. Ein Beispiel: A ist“ – AB ist nicht A.

265
Alle Menschen sind sterblich, und ich bin ein Mensch.“Ich bin sterblich.“
  13.343[1]   Eigentlich äquivalent: Entweder ist die Welt notwendig oder durch Zufall oder durch Gott. Sie ist nicht notwendig und nicht durch Zufall – durch Gott.
  13.343[2]   6. Einschluss eines kontradiktorischen Gegensatzes: Auch wieder explicite oder implicite, von einem Urteil, von mehreren.
  13.343[3]   7. Einschluss der Wahrscheinlichkeit . Hier immer mehrere Urteile (oder etwa eines, das mehrere implicite zusammenfasst). Denn wir erinnern uns, dass die Wahrscheinlichkeit teilweise auf unserem Wissen, teilweise auf unserer Unwissenheit

266
beruht, z. B. Die meisten Würzburger sind brave Leute. Hierin liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der Nächste, der mir begegnen wird, ein braver Mensch ist, vorausgesetzt, dass ich keinen anderen Anhaltspunkt zu Vermutungen habe.
  13.344[1]   8. Einschluss der Wahrscheinlichkeit des Gegensatzes. Nach dem vorigen ohne Schwierigkeit.
  13.344[2]   Nebst diesen Verhältnissen will ich nur kurz als eines neunten Verhältnisses des Verhältnisses zwischen dem für uns Erkennbareren und dem für uns weniger Erkennbaren, und als eines zehnten des Verhältnisses zwischen dem der Natur nach an sich Erkennbareren und an sich weniger Erkennbaren Erwähnung tun.
  13.344[3]   Das, was sie angeht, wurde ge-


267
legentlich der Einteilung des Vorgestellten, da wir von dem Unterschied des unmittelbar – mittelbar Erkennbaren und des unmittelbar – mittelbar Notwendigen handelten, erörtert.
  13.345[1]   Einige andere Verhältnisse wie z. B. Gleichartigkeit (Homogeneität) der Urteile und Ungleichartigkeit u. dgl. finden besser später (auch oben!!) Erörterung (Klassifikationen der Wissenschaften).



  13.345[2]   1. Der erste Teil ist nun vollendet .
  13.345[3]   2. Wer mit den gewöhnlichen Logiken vergleicht, mannigfach verschiedene Resultate. Ja aus der Erörterung selbst dies zu ersehen.
  13.345[4]   3. Gerade durch die Polemik vielfach aufgehalten, sowie dadurch, dass eine Lehre, welche nicht die Autorität der Allgemeinheit für sich hat, um so mehr der Begründung bedarf.
  13.345[5]   Doch ohne Neuerungssucht, und gerade so gut mich selbst korrigierend.
  13.345[6]   4. Wir haben nun noch zwei Teile vor uns, die in derselben Weise, in derselben Ausführlichkeit und Vollständigkeit zu behandeln die Zeit uns nicht verstattet.
  13.345[7]   Der Raum eines Semesters reicht nicht hin, die manigfachen Fragen erschöpfend zu behandeln.
  13.345[8]   5. Immerhin hat es seinen Wert, aus der eingehenden und vollständigen Betrachtung eines Teils einen Begriff von dem Charakter des Ganzen zu gewinnen.
  13.345[9]   a) Man lernt so besser die Natur

268
der Disziplin kennen, als wenn man alles, aber nur oberflächlich berührt hätte.
  13.346[1]   b) Ebenso bekommt man weit mehr einen Einblick in den gegenwärtigen Zustand der Disziplin.
  13.346[2]   c) Und auch das hat sein Gutes, wenn man gemahnt wird, seine logischen Studien nicht auf das Semester und nicht auf das Kollegienheft zu beschränken.
  13.346[3]   d) Und der, welcher der Anregung folgt, wird um so mehr Frucht davon erhoffen dürfen, als er jetzt nicht mehr auf Gnade und Gnade einem Lehrbuch oder Handbuch preisgegeben ist. Er hat an dem Teil, den er gründlich kennt, einen Maßstab, wonach er den Wert des Buches auch in der Behandlung der übrigen Fragen mit ziemlicher Sicherheit wird beurteilen können.
     

269
     
  13.347[1]   6. So groß diese Vorteile sind, so würde es mir aber a) doch sehr unlieb sein, wenn ich ihnen von den beiden noch rückständigen Teilen oder auch nur von einem derselben nicht wenigstens so viel erklären könnte, als dazu gehört, ihnen den besonderen Charakter des Teiles deutlich zu machen. Ja ich möchte b) aus jedem von ihnen von den Regeln, die er enthält, wenigstens etwas mitteilen, was sich Ihnen bei Ihrem künftigen Streben nach Erkenntnis brauchbar und förderlich erweisen wird.
  13.347[2]   7. So denn jetzt eine ganz andere Weise der Behandlung.
  13.347[3]   Statt danach zu streben, erschöpfend zu sein, werde ich überall nur einiges Wichtige herausgreifen, und vieles Andere, namentlich was von geringerem praktischen Wert ist oder

270
in jedem gewöhnlichen Lehrbuch gefunden werden kann (und leider treffen die beiden letzten Eigenschaften auffallend häufig zusammen) übergehen.
     

271
     
     
II. Teil Von der Prüfung
  13.349[1]   1. Erinnerung an die Einteilung . Warum zuerst von der Prüfung, dann von der Entdeckung. (Von der Prüfung = von der Beurteilung, ob etwas Gegebenes eine Erkenntnis ist oder nicht.)
  13.349[2]   2. Zwei Teile : a) von der Prüfung dessen, was als unmittelbare Erkenntnis angenommen werden soll; b) ähnlich der Prüfung dessen, was den Anspruch erhebt, eine mittelbare Erkenntnis (ein Beweis) zu sein.
     
I. Von der unmittelbaren Erkenntnis.
  13.349[3]   1. Hier sollte man meinen, sei kein Fehlgriff möglich, undRegeln der Prüfung überflüssig.
  13.349[4]   Aber schon im Eingang das Gegenteil an Beispielen gezeigt.
  13.349[5]   Und manche haben sogar geleugnet, dass wir überhaupt unmittelbare Erkenntnis hätten.
     

272
     
  13.350[1]   2. Dieses ist falsch. Wir haben schon früher gesagt, dass wir welche haben (sonst wären wir ja auch vollendete Skeptiker), ja dass wir unmittelbar Erkenntnisse von einer doppelten Klasse haben: 1) apriorische, 2) aposteriorische. Diese durch unmittelbare Erfahrung gegeben – jene durch sich selbst und von vornherein als notwendige Wahrheiten einleuchtend.
  13.350[2]   3. In beiden Beziehungen aber nicht alles unmittelbare Erkenntnis, was als solche angenommen wird. Und daher Notwendigkeit der Prüfung.
  13.350[3]   4. Betrachten wir zu diesem Zweck zuerst die aposteriorische näher, das, was wir, uns als durch unmittelbare Erfahrung gegeben, gewöhnlich ohne Beweis anzunehmen für berechtigt halten.
     

273
     
  13.351[1]   5. Wir teilen es in drei Klassen: 1) Wahrnehmung, äußere (sehen, hören etc.) sowohl als 2) innere. Notabene. Zu überlegen die Abstraktion und überhaupt die Wahrnehmung des Verstandes. 3) Gedächtnis, das wir auch Wahrnehmung im Gedächtnis nennen könnten (wir hätten es ganz deutlich in der Erinnerung). Auch hier unmittelbar (denn kein Beweis). (Auch hier zufällige, einzelne Tatsache, wegen eines besonderen Verhältnisses, in welchem das Beurteilte dem Urteilenden nahe steht.
  13.351[2]   6. Indem wir etwas als in einer dieser drei Weisen sicher gegeben annehmen, doppelte Täuschung möglich.
  13.351[3]   a) Indem man für Wahrnehmung hält, was keine ist. 1) Gleichlebendige Phantasie , z. B. Fieberwahnsinn, Traum; 2) (eigentlich ein besonderer Fall des ersten) Assoziation. Blinder Fleck. Sehen durch das astronomische Fernrohr . Man hört das Schwein schreien. Brotkügelchen. der Gegenstände (Mond am Horizont). Perspektive. Assoziation von Erfahrungen (wir sehen das Wasser, den Sohn des Diares), Theorien und Meinungen . Dorfapotheker und erfahrene Amme selten im Stand, den einfachsten Fall zu beschreiben ohne eine Terminologie, wo jedes Wort Theorie. (Dugald Stewart Mill[?], S. 372.) ] (Dugald Stewart Mill[?], S. 372.) ] Nur durch langes und erfolgreiches Studium die allerschwierigste der Künste: getreue Interpretation

274
der Natur.
  13.352[1]   Aber überhaupt nicht auf Beschreibungen als Beobachtungen zu fußen.
  13.352[2]   b) Indem man eine Wahrnehmung für unmittelbar sicher annimmt, obwohl sie es nicht ist. Denn nicht alle unmittelbar sicher, sondern nur die zweite Klasse. Hier besteht Einsicht. Sonst zwar ein instinktartiger psychischer Drang, aber nicht Einsicht und überwindlich; ja bei Überlegung wird es unmöglich, unmittelbar gewiss zu sein, a) weil klar, dass nicht gesichert 1) bei der äußeren Wahrnehmung (Gott), 2) beim Gedächtnis: bei welchem Grad der Deutlichkeit beginnt Einsicht? (Gott unmittelbar die Disposition. Möglichkeit, dass er uns eben erschaffen, mit allen unsern Habitus); b) weil klar, dass in manchen Beziehungen unmöglich richtig (doch dies überlassen wir der Metaphysik).
  13.352[3]   Hier kann man fehlen, 1) indem man auf den Drang hin unmittelbar einer ganzen Klasse vertraut, die nicht Einsicht ist; 2) indem man etwas, was zur einen Klasse gehört, zur anderen gehörig denkt: a) äußere für innere, z. B. Schmerz (Amputation), b) Gedächtnis für Wahrnehmung im gewöhnlichen Sinne: Auffallend, und dennoch, man meint, man sehe Bewegung, man nehme durch inneren Sinn das Fortschreiten der eigenen Gedanken, die inneren Veränderungen wahr. Aber dies ist nicht der Fall. (Daher ist die Zeit nicht unmittelbar gewiss (wie Überweg), so wenig wie der Raum.)
  13.352[4]   7. Wir können auch fehlen, indem wir etwas evident unmittelbar Wahrgenommenen misstrauen oder zu misstrauen suchen, denn eigentlich unmöglich (? cf. praktische Philosophie).
  13.352[5]   Ebendarum diese Untersuchung gegen die Skeptiker dem Metaphysiker zu überlassen.
  13.352[6]   Bei dem Faktum der Unmöglichkeit hört die Gefahr es zu tun auf , und die Frage, ob es wohl rätlich sei, der Notwendigkeit zu gehorchen, ist lächerlich.
     

275
     
  13.354[1]   Notabene. Reine Beobachtungen sind nicht mitteilbar. Beschreibung enthält immer mehr als Beobachtung.
  13.354[2]   Vergleich. Notabene. Gesetz in Bezug auf die Ebenmerklichkeit. Je besser vergleichbar desto größer erscheint der Unterschied.
  13.354[3]   Klassifikation . 4 psychophys Gesetz Nähe 3 simultaner Contrast 1 Zöllners Figuren 2 Zumbuschs Figuren 5 NB Unmöglk dass psych Wahrmg Beobachtg werde 1) Zöllners Figuren,

2) Zumbuschs Figuren,

3) simultaner Kontrast,

4) psychophysisches Gesetz (Nähe),

5) Notabene. Unmöglichkeit, dass psychologische Wahrnehmung Beobachtung werde.
  13.354[4]   Notabene notabene . Wahrnehmung der Verhältnisse .
  13.354[5]   Notabene notabene notabene. Misstrauen gegen Berichte über sich selbst.
     

276
     
  13.355[1]   Notabene notabene notabene notabene . Misstrauen um so mehr,je höher die  |  insbesondere bei psychischer  ] Wissenschaft: insbesondere soziale, historische, politische Zeitungsberichte.
  13.355[2]   (Aber überhaupt wo Interessen: Glück, dass die Metaphysik keine besonderen Beobachtungen.)
     

277
     
  13.356[1]   8. Wenden wir uns zur unmittelbaren apriorischen Erkenntnis.
  13.356[2]   Wenn bei der aposteriorischen Erkenntnis eine Lehre der Prüfung nicht überflüssig ist, so ist sie es hier noch weniger.
  13.356[3]   Die Gefahren zu irren, sind hier noch größer.
  13.356[4]   Die Verirrungen zahlreicher und allgemeiner.
  13.356[5]   9. In der Philosophie gar viel Streit, ob ein Prinzip unmittelbar a priori einleuchtend ist.
  13.356[6]   Und auch im gewöhnlichen Leben, indem namentlich in sozialen und politischen Fragen gar gerne die Prätension eines unmittelbar evidenten Prinzips den Mangel eines Beweises ersetzen muss. (Auch hört man manchmal: Das ist gegen meine Grundsätze als eine hinreichende Begründung, die jede weitere Diskussion abschneiden soll.)
  13.356[7]   10. Auch die Meinung, dass es gar keine unmittelbaren apriorischen Prinzipien gebe, kommt häufiger vor und ist nicht bloß auf die eigentlichen Skeptiker beschränkt.
  13.356[8]   Stuart Mill hält sogar den Satz des Widerspruchs (dass ein und dasselbe Urteil nicht zugleich wahr und falsch sein kann) und mit ihm um so

278
mehr alle anderen sogenannten Axiome nicht für a priori und nicht für unmittelbar einleuchtend, sondern, wie er sich ausdrückt, „für eine unserer ersten und geläufigsten Generalisationen aus der Erfahrung“, d. h. als durch Induktion festgestellt.
  13.357[1]   Nicht so weit geht Überweg. Er verlangt keine Induktion aus vielen einzelnen Fällen. Er erkennt an, dass die Wahrheit gewisser allgemeiner Sätze unmittelbar aus den Begriffen einleuchte. Aber er meint, sie seien eben deshalb keine unmittelbaren Erkenntnisse, sondern Folgerungen und will sogar den Satz des Widerspruchs (kontradiktorisch entgegengesetzte Urteile können nicht beide wahr, sondern das eine oder andere muss falsch sein) aus den Begriffen der Wahrheit, des Urteils und der Bejahung und Verneinung beweisen (§ 77).
  13.357[2]   11. Die anderen, welche unmittelbare Axiome anerkennen, streiten ebenfalls nicht bloß über dieses oder jenes, sondern über ganze Klassen und über den Charakter der Erkenntnisweise.
  13.357[3]   a) Thomas von Aquin lehrte, jene Urteile seien unmittelbar durch sich a priori od wie er sagte a priori oder, wie er sagte, durch sich einleuchtend, bei welchen das Prädikat im Begriff des Subjekts enthalten sei.
  13.357[4]   Ähnlich auch Descartes und seine Schule: Alles, was in der klaren und deutlichen Idee einer Sache enthalten ist, kann mit Wahrheit von ihr ausgesagt werden, war ihr Kriterium. (Nach einem späteren Ausdruck: die analytischen Urteile.)
  13.357[5]   ?] b) Anders dagegen hatte im Altertum Platon gedacht, der angeborene Wahrheiten aus einem früheren Leben annahm.
  13.357[6]   Und wieder anders dachten Reid und sein Schüler Dugald Stewart und andere, die ihnen folgten.
  13.357[7]   Sie glaubten, dass der Verstand eine Reihe von Grundsätzen, von primitiven Urteilen, Elementen der Vernunft, Prinzipien des gemeinen Menschenverstandes besitze, , denen er notwendig unmittelbar zustimme und in denen er sich unmöglich täusche, obwohl sie keineswegs die Eigenschaften, welche Descartes verlangte, zeigen, z. B. dass jede Empfindung ein empfundenes Objekt verrate; dass wir jeden so be-


279
handeln müssen, wie wir behandelt sein wollen usw.
  13.358[1]   Diese stünden als Tatsachen unseres Bewusstseins fest, und es sei Aufgabe der Wissenschaft, sie vollständig zu sammeln.
  13.358[2]   (Offenbar keine so große Zahl wie Platon, und andere Erklärung; nicht früheres Schauen, sondern die Einrichtung unserer geistigen Natur.)
  13.358[3]   Wieder verschieden Kant, der zwar auch außer den analytischen andere unmittelbar a priori einleuchtende Prinzipien anerkennt wie Reid, aber wenigere und sie nicht empirisch aufsuchen, sondern ihre Zahl (a priori) aus der Betrachtung des Urteils deduzieren will. Auch haben sie nach ihm nur innerhalb der Grenzen der Erfahrung Geltung.
  13.358[4]   Beispiel: Jedes Werdende hat eine Ursache. Jedem Wechsel liegt ein bleibendes Substrat zu Grunde. Und dergleichen.
     

280
     
  13.359[1]   Trotz der Verschiedenheiten dieser drei Ansichten können wir als gemeinsam bezeichnen, dass nach ihnen es Axiome Sätze, allgemeine Wahrheiten gibt, die uns gleich mit den Vorstellungen, aber nicht aus den Vorstellungen einleuchten, während Thomas und Descartes das Gegenteil behaupten (auch dies gemeinsam, dass Begriffe nicht aus der Erfahrung). Cf. Kant und bei Mill, II, S. 326.
  13.360[1]   12. Wie entscheiden?
  13.360[2]   A) Wir sagen erstens: Es gibt Prinzipien, deren notwendige Wahrheit unmittelbar aus den Begriffen einleuchtet, also analytische Axiome.
  13.360[3]   α) Der beste Beweis ist die Anführung von Beispielen.
  13.360[4]   Wählen wir als das einfachste: Wenn A ist, ist A. Oder auch: Entweder ist A, oder es ist nicht.
  13.360[5]   Jedem leuchten diese Wahrheiten unmittelbar als notwendig aus den Begriffen ein, und selbst der Skeptiker kann sie nur in den Worten bezweifeln.
  13.360[6]   Also gibt es (analytische) Axiome.
  13.360[7]   β) Zur Bestätigung zeigen wir die Unhaltbarkeit der entgegengestehenden Ansichten; nicht zwar der Ansicht der Skeptiker, diese (die, wenn sie konsequent sein wollen, eigentlich gar keine Ansicht haben dürfen) überantworten wir dem Metaphysiker, aber der Ansicht derjenigen, welche die Wahrheit, aber nicht die Unmittelbarkeit anerkennen.
  13.360[8]   I) Gegen Mill. Er behauptet, sie würden durch Erfahrung und Induktion festgestellt.

282
Selbst der Satz Wenn A ist, ist A beruhte auf einer ins endlose vervielfältigten Erfahrung, dass niemals etwas zugleich sei und nicht sei.
  13.361[1]   Es ist leicht, die Unhaltbarkeit dieser Ansicht zu zeigen. Wenn wir unsere sogenannten Axiome, z. B. den Satz des Widerspruchs, durch Induktion aus einzelnen Fällen feststellen, so können wir dies offenbar nur tun, wenn es einleuchtend ist, dass, was in allen möglichen Fällen wahr ist, allgemein und notwendig wahr ist.
  13.361[2]   Ja es scheint sogar, dass, damit unsere Induktion sich rechtfertigen lasse, der Satz einleuchtend sein müsse, dass, was in gewissen Fällen von uns als wahr befunden worden ist, als allgemein und notwendig wahr behauptet werden dürfe, obwohl unsere Beobachtungen die Zahl der möglichen Fälle nicht erschöpfen. Denn in der Tat ist die Induktion nicht erschöpfend.
  13.361[3]   In beiden Fällen würde also die Erkenntnis des Satzes des Widerspruchs

283
die Erkenntnis eines anderen allgemeinen notwendigen Prinzips voraussetzen, in dem letzteren (und es ist dies, wie gesagt, der eigentlich vorliegende) sogar die Erkenntnis eines solchen, das keineswegs so einleuchtend scheint, wie der Satz des Widerspruchs selbst.
  13.362[1]   Doch auch davon abgesehen, müsste jedenfalls dieses Prinzip selbst wieder durch Induktion bewiesen werden. Das könnte aber nur sein, wenn es schon vor dem Beweis einleuchtend wäre. Und somit verfängt man sich in einem Zirkel.
  13.362[2]   So ist denn alle Sicherheit allgemeiner Prinzipien dahin, und die ganze Wissenschaft, für die Mill die Regeln feststellen will, ist unmöglich.
  13.362[3]   II. Gegen Überweg könnten wir die Argumente sparen, da sein Irrtum nicht von so tiefgreifenden Folgen.
  13.362[4]   Dennoch ist die Wahrheit einer kurzen Erörterung wert:
  13.362[5]   Es ist nicht richtig, dass die notwendigen Prinzipien, welche uns aus den Vorstellungen

284
einleuchten, eben deshalb, weil sie aus den Vorstellungen erhellen, mittelbare Erkenntnisse oder Folgerungen sind. Denn Vorstellungen sind keine Urteile. Aber nur was aus anderen Urteilen sich ergibt, nennt man Folgerung.
  13.363[1]   Instanz. Sie scheinen nicht bloß Vorstellungen, sondern Wahrnehmungen vorauszusetzen. Denn wenn ich nicht wahrnehme, dass gewisse Vorstellungen, die ich habe, von der und der Beschaffenheit sind, wie soll ich aus ihnen erkennen, dass ihnen etwas entsprechen muss oder dass ihnen nichts entsprechen kann? Zum Beispiel A und die Nichtexistenz von A.
  13.363[2]   Antwort. Sehr einfach, indem ich die Vorstellungen klar und deutlich habe. Also z.B. die von A und der Nichtexistenz von A. Indem ich diese zusammen vorstelle, stelle ich einen Widerspruch vor und aus der Vorstellung entspringt die Verwerfung.
  13.363[3]   Instanz. Aber innere Wahrnehmung geht voraus.
  13.363[4]   Antwort. Wohl mag dies sein. Aber vorausgehen ist nicht gleich Grund einer Folgerung sein; wie in der Natur, nicht im Denken.
  13.363[5]   Würde (was freilich unmöglich scheint) einer eine Absurdität vorstellen ohne innerlich wahrzunehmen, dass er sie vorstellt, so würde nichtsdestoweniger aus der Vorstellung die Verwerfung hervorgehen können. Ich schließe nicht; ich nehme wahr, dass ich rund und eckig vorstelle, also kann etwas nicht zugleich rund und eckig sein.
  13.363[6]   Instanz. Die analytischen Axiome können aus inneren Wahrnehmungen demonstriert werden.
  13.363[7]   Versuch Überwegs selbst für den Satz des Widerspruchs.
     

285
     
  13.364[1]   Antwort: Unmöglich! Was gegen Mill gilt, der induktiv feststellen wollte, auch hier.
  13.364[2]   Es ist unmöglich, dass eine notwendige Wahrheit aus einer zufälligen gefolgert wird ohne Zuhilfenahme einer notwendigen. In infinitum kann es aber nicht gehen.
  13.364[3]   Zum Beispiel: Ich stelle vor A und Nichtexistenz von A. Ich erkenne, dass diese Vorstellung in mir ist, und dass ihre Teile in einem gewissen Verhältnis stehen, welches wir mit dem Namen des Widerspruchs bezeichnen, kann ich daraus folgern, dass das Vorgestellte nicht ist? Nein! Wenigstens nicht ohne Zuhilfenahme eines notwendigen Prinzips, wie etwa dieses: Ein VorVorgestelltes, dessen Teile im Verhältnis des Widerspruchs stehen, kann nicht existieren.
  13.364[4]   Das hieße aber, das zu Beweisende ungefähr selbst wieder voraussetzen.
     

286
     
  13.365[1]   B. Wir sagen zweitens: Es gibt keine unmittelbar einleuchtenden, notwendigen Prinzipien, die nicht aus den Begriffen als solchen (opp. wegen eines besonderen Verhältnisses des Gegenstandes zum Urteilenden), sondern nur mit ihnen einleuchten.
  13.365[2]   Auch dies ist leicht zu beweisen.
  13.365[3]   a) Jede Erkenntnis muss motiviert sein (an und sich). Aber die Annahme von etwas als notwendig wahr, wenn es nicht aus den Begriffen einleuchtete, wäre völlig unmotiviert.
  13.365[4]   b) Es gibt allerdings Einiges, was unmittelbar einleuchtet, und nicht aus den Begriffen an sich (ja sogar aus, nur nicht, aber[?] besondere Beziehung): was ich innerlich wahrnehme, aber nicht als notwendig.
  13.365[5]   c) Ferner, wenn wir wie in diesem

287
Fall, etwas durch die innere Wahrnehmung einsehen, was nicht aus den Begriffen erkennbar ist, so beruht dies auf einem besonderen Verhältnis des Beurteilten zum Urteilenden (des Wahrgenommenen zum Wahrnehmenden).
  13.366[1]   Worauf beruht denn aber die Einsicht der nichtanalytischen Axiome? Was ersetzt bei ihnen den Mangel eines solchen Verhältnisses?
  13.366[2]   Namentlich gilt den Modernen, Reid und Kant und den übrigen, diese Frage. Platon könnte zunächst antworten: die frühere Wahrnehmung in der Gegenwart der Ideen und käme nur, wenn man ihn über die ursprüngliche Erfassung des Axioms in der Ideenwelt fragte, vielleicht in Verlegenheiten, die wir ihm ersparen können, da seine Lehre von der Ideenwelt und der Wiedererinnerung noch an so vielen anderen Schwierigkeiten und Widersprüchen leidet, dass sie ohnedies keine Verteidiger mehr findet.
  13.366[3]   Aber die Modernen, Reid und Kant, mögen antworten, wenn ihnen eine Antwort zu Gebote steht.
  13.366[4]   Diese nun können nichts anderes

288
sagen, als dass die Einrichtung unserer geistigen Natur, die subjektive Beschaffenheit unserer Vernunft von der Art sei, dass sie uns zu dieser Zustimmung dränge, ja nötige.
     
  13.379[1]   Aber hiemit wäre an und für sich gar keine Garantie für die Wahrheit gegeben. Auch beim Gedächtis, ja auch bei der äußeren Wahrnehmung, fühlen wir uns (instinktiv) zur Zustimmung gedrängt, und das Tier und der Mensch, der, wie die meisten, zu höherer Reflexion unfähig ist, stimmen ihnen sogar notwendig zu . Und doch sind sie in vielen Beziehungen falsch. Und Ähnliches geschieht im Traum.
  13.379[2]   In der Tat wäre daher die Einsicht in diese Axiome eine vollkommen blinde Einsicht, eine Einsicht, die keine Einsicht ist.
  13.379[3]   d) Von denjenigen, welche dieser Art von Axiomen das Wort redeten, hat namentlich Kant die eben berührte Schwierigkeit gefühlt. Daher seine Frage, welche das Hauptproblem seiner Kritik der reinen Vernunft ist: Wie sind synthetische Urteile a priori

289
möglich?
  13.380[1]   Die philosophischen Kritik der am meisten urteilsfähigen Forscher ist jetzt darüber so gut wie einig, dass er das Rätsel durch seine subjektiven Verstandesformen, die Kategorien, ungelöst gelassen hat, wie es denn in der Tat eine unlösbare Aufgabe ist, von dem, was absolut unmöglich ist, die Möglichkeit zu zeigen.
  13.380[2]   e) Die Argumente, die Kant und die anderen für die Existenz solcher Axiome bringen, will ich hier nicht im Speziellen widerlegen.
  13.380[3]   Nur so viel sei kurz bemerkt, dass man sie in der Art im Speziellen widerlegen kann, dass man von den Urteilen, welche sie als solche Axiome ausgeben, zeigt, wie die einen analytische Axiome, die anderen gar nicht unmittelbar, ja vielleicht nicht einmal a priori einleuchten, wieder andere endlich nicht einmal richtig sind. Zum Beispiel: Jedem Werden liegt ein Substrat zu Grunde ist weder einleuchtend noch vielleicht richtig.
  13.380[4]   Dann kann man auch noch von einer anderen Seite den Angriff machen.
  13.380[5]   Alle diejenigen, welche solche Axiome annehmen, die nicht aus den Begriffen, sondern nur mit ihnen einleuchten, stimmen auch darin miteinander überein, dass sie uns den Besitz gewisser Begriffe zuschreiben, die nicht aus der Erfahrung zu gewinnen seien. So Platon die Ideen, so Reid und Kant den Begriff der Ursache, der Substanz u. a. Auch dies kann im Speziellen durch eine Darlegung der Genesis dieser Begriffe widerlegt werden (resp. durch den Nachweis, dass sie nicht existieren). Das nähere Eingehen in diese zum Teil sehr schwierigen Untersuchungen überlassen wir wiederum dem Metaphysiker. Es genügt uns die allgemeine Widerlegung.
  13.380[6]   Aus ihr ergibt sich uns das wichtige Resultat, dass die Regeln für die Prüfung der analytischen Axiome die für die Prüfung der Axiome überhaupt sind. Und welche sind diese Regeln?
     

290
     
  13.381[1]   C. Wir haben uns mit den Leugnern der Axiome und mit den Verteidigern der synthetitischen Urteile a priori auseinandergesetzt. Es bleibt uns nun noch übrig, einen vergleichenden Blick auf die Ansicht von Thomas und Descartes zurückzuwerfen.
  13.381[2]   Offenbar sind wir der Hauptsache nach mit ihnen einig. Keine Axiome außer solche, die aus den Begriffen einleuchten.
  13.381[3]   In einigen untergeordneteren, aber immerhin nicht ganz unwichtigen Punkten unterscheiden wir uns aber von ihnen.
  13.381[4]   Und zwar ist Folgendes an ihren Bestimmungen zu tadeln:
  13.381[5]   Erstens haben sie, da sie den Charakter unserer Axiome bestimmten, zu speziell und ausschließlich die Urteile von der kategorischen Aussageform ins Auge gefasst; zweitens waren sie nicht klar über ihren Charakter, dass nämlich A negativ ist (wie sie danach Kein A ist nicht A unterbringen wollten?); drittens ist die eine Regel zu eng, insofern sie die bejahenden Urteile mit kontradiktorisch disjunktiver Materie unberücksichtigt lässt.

291
Wir mit unseren zwei Regeln tragen unseren affirmativen und negativen Axiomen in gleicher Weise Rechnung; viertens endlich glaubten sie ihre eine Regel noch in einer anderen Beziehung über Gebühr allgemein maßgebend.
  13.387[1]   Selbst von den zweien, die wir aufgestellt haben, behaupten wir nur in dem Sinne, dass sie allgemein maßgebend seien, als alles, was erfahrungsgemäß unmittelbar als Axiom einleuchtet, darunter begriffen ist.
  13.387[2]   Nicht aber behaupten wir, dass nicht vielleicht unter anderen Umständen als die, in welchen wir uns befinden, ein Axiom uns bei der Gegenwart anderer Vorstellungen einleuchten könnte, das unter keinen von beiden zu begreifen ist. Dies, wenn die Vorstellung Gottes in unserem Geist erweckt würde (nicht unter der negativen Formel, denn nicht negativ; nicht unter der affirmativen, denn nicht disjunktiv) .
  13.387[3]   Anders dagegen Descartes und Thomas. Auch diesen Fall subsumieren sie ihrem Prinzip; und der eine glaubt sogar wirklich daraus das Dasein Gottes

292
als a priori uns einleuchtend beweisen zu können. Falsche Ansicht von esse und essentia.

  13.388[1]   So wäre denn der Hauptsache nach die Untersuchung über die Axiome und die Weise, wie sie zu prüfen sind, geführt.
  13.388[2]   Es bleibt nur noch übrig, ähnlich wie bei der Wahrnehmung, auf die Hauptgefahren der Täuschung besonders aufmerksam zu machen.
  13.388[3]   Man kann sich täuschen: Einlage. (doch auch die hier geschriebenen Bemerkungen zu benützen.) ] 1. indem man eine (nahe, manchmal auch weniger nahe liegende) Folgerung aus analytischen Axiomen mit einem Axiom verwechselt, z. B. die Summe der Nebenwinkel = 2 R. Vielleicht in dieser Weise gefehlt, dass die gerade Linie die kürzeste, und das elfte Euklidische Axiom für Axiome und ebenso das Prinzip der Kausalität.
  13.388[4]   Der Fehler ist nicht von so großer Bedeutung wie andere; doch führte er wie in den angegebenen Fällen zu Zweifeln wenigstens an der Apriorität und andere (Kant) zu womöglich noch größeren Irrtümern.
  13.388[5]   2. Auch das kann geschehen, dass man, was gar nicht a priori einleuchtet, für ein Axiom hält, a) indem die Gewohnheit täuscht:
  13.388[6]   1) die Gewohnheit, es für wahr zu halten und von anderen es als wahr betrachtet zu sehen (Ansehen der Gesetze, Aristoteles);
  13.388[7]   2) die Gewohnheit, durch Erfahrung einzelner Fälle, auch ohne je zuvor das allgemeine Prinzip je gedacht (und daher auch ohne es für wahr gehalten) zu haben. Assoziation und Erfahrung bei den Tieren. Wie sie das Staunen nimmt, so erweckt die Verletzung staunen, und nicht bloß wundern, sondern unbegreiflich und unmöglich finden, z. B. Antipoden, Lokomotive mit dem Pferd darin (das viel schwieriger); Schnelligkeit der Elektrizität; dass ein Raum existiert.
  13.388[8]   Dinge, die wir zusammen denken müssen, müssen zusammen existieren. Dinge, die wir nicht zusammen denken können, können nicht zusammen existieren. Dinge, die wir vorstellen müssen, müssen existieren. Dinge, die wir nicht vorstellen können, können nicht existieren.
  13.388[9]   3) Insbesondere verdient hervorgehoben zu werden die Gewohnheit

293
des Zusammendenkens in Folge der Ähnlichkeitsassoziation.
     

294
     
  13.390[1]   Doppelte Täuschung:
  13.390[2]   1. Unberechtigte Annahme.
  13.390[3]   a) Bei dem, der nicht prüft:
  13.390[4]   1. Gewohnheit (und Ungewohnheit) α) es für wahr zu halten (und zu sehen, wie alle es für wahr halten) β) einzelne Fälle oder ähnliche Fälle für wahr zu halten (jenes, wenn es sich um ein allgemeines Prinzip, dieses, wenn es sich um einen partikulären Fall handelt); instinktive Erfahrung der Tiere. Beispiele besonders Mill (II, Fehlschlüsse), Arnauld, S. 394f. (Notabene auch Assoziation bloßer Vorstellungen, z. B. oft im Drama.) Einfluss der Sprache. Ihre Klassifikation scheint die richtige, während oft oberflächliche Ähnlichkeiten. (Mill). Einfluss der Gesetze der Ideenassoziation: der ordo idearum und rerum als derselbe (Mill). Hiemit in Zusammenhang (obwohl auch partielle Erfahrungen), dass Ähnliches das Ähnliche wirke; und ebenso Auspizien(?) (Mill). (Einlage)
  13.390[5]   2. Affekte (machen wenigstens, dass von vornherein etwas wahrscheinlicher scheint).
  13.390[6]   3. Äquivokation (hieher vielleicht, was unter (β) über die Äquivokationen. Und dort nur zu bemerken, dass oft bei der Prüfung nicht ganz gehütet?).
  13.390[7]   b) Bei dem, der prüft: α) Prüfung durch ein falsches oder missverstandenes Prinzip.
  13.390[8]   1. Was in der Idee einer Sache enthalten ist usw. Descartes; ontologisches Argument, und was Mill rügt, willkürliche Kombinationen von Dingen (Verwechslung von Nominal- und Realbestimmungen). (Mill II, Fehlschlüsse.)
  13.390[9]   2. Was undenkbar ist, ist nicht möglich. Daher ist Gott unmöglich. Was denkbar ist, ist möglich (was ohne einander denkbar, kann ohne einander sein), daher ist es möglich, dass Wasser nicht aus O und H; daher ist es möglich, dass das Allgemeine ohne das Einzelne; daher ist es möglich, dass das hier Existierende kein Mensch; daher ist es möglich, dass dieses Denkende ohne Leib und Ausdehnungen. Dinge, die wir zusammen denken müssen, müssen zusammen existieren. Daher der Grenadier mit dem Vollbart (Assoziation). Dinge, die wir nicht zusammen denken können, können nicht zusammen existieren. Wogegen Assoziation des Konträren. Und uns nicht gegebene

295
Vorstellungen, z. B. eine neue Gattung von Empfindungen in anderen Tieren; (Blinde keine Farbe).
  13.391[1]   β) Äquivokation in der Minor mit Ausdruck des geprüften Satzes.
  13.391[2]   1. Wolff: Es kann nicht sein, dass etwas Nichts zur Ursache hat.
  13.391[3]   2. Aufnahme des Prädikats ins Subjekt durch die Stärke der Assoziation, z. B. ob alle Körper schwer? Aufnahme des Schweren in den Begriff Körper durch Assoziation, die ihn nur so denken lässt. Nur so erklärt es sich, wie Descartes und Arnauld (S. 294) einige Prinzipien als Axiome aufstellen konnten, z. B. Kein Körper kann sich selbst bewegen, Kein Körper kann einen anderen bewegen, wenn er nicht selbst bewegt ist. Lewes bei Mill, in s. A. Comte, S. 77: die Idee der Materie ohne Schwere sei unbegreiflich; daher müsse man annehmen, dass sie allgemein sei selbst in den fernsten Regionen der Gestirne.
  13.391[4]   Notabene. Manchmal ist das, was man unberechtigt als unmittelbares Axiom annimmt, falsch; manchmal wahr, aber nicht a priori erkennbar; manchmal a priori erkennbar, aber nicht unmittelbar, z. B. Jedes Werdende hat eine Ursache“; Die Gerade ist die kürzeste Verbindung zweier Punkte“; Euklidsches Axiom. Dadurch Misstrauen in die Apriorität der ganzen Geometrie.
  13.391[5]   Dies führt uns zur zweiten Klasse von Fehlern:
  13.391[6]   2. Unberechtigte Verwerfung (als Axiom).
  13.391[7]   1. In Folge der vielen Irrtümer (des vielfach grundlosen Vertrauens).
  13.391[8]   2. In Folge der Gewohneit der Induktion (einseitige Handhabung dieser Methode, ohne zu wissen wie auch sie ohne Axiome unmöglich; ähnlicher Fehler hinsichtlich der Deduktion. Alles müsse bewiesen werden. Selbst Pascal zu weit gegangen).
  13.391[9]   3. Sophismen (Hier sogar Bestreitung der Wahrheit; aber nur in Worten; Unmöglichkeit, das Gegenteil zu glauben oder auch nur bei klarem Bewusstsein des Sinns zu zweifeln.
  13.391[10]   4. In Folge misslingender Prüfung, bei dem, der durch Äquivokation sich täuschen lässt, oder sonst eine Ungeschicklichkeit dabei begeht. Obwohl die Prüfung einfach ist, und bei einiger Übung kaum misslingen kann. Wäre sie in irgendeinem Fall kompliziert, so wäre der Satz nicht Axiom, wenn auch vielleicht a priori wie z. B. bei den oben angegebenen Sätzen und dem Kausalitätsprinzip (nur etwa bei falschen und zu engen Regeln. Wie z. B. nur auf den kategorischen Satz passend wie den von Kant).
     

296
     
  13.392[1]   Die Bedingungen eines Phänomens müssen dem Phänomen gleichen (Lungen[?] des Fuchese in Gelbwurz), daher prästabilierte Harmonie: in der Natur dieselbe Ordnung wie unter Ideen (den Teufel nicht an die Wand malen; vom Unglück zu sprechen und andere Vorzeichen darauf beruhend, dass sie den Geist das zu denken veranlassen, was sie vermeintlicher Weise bedeuten.
  13.392[2]   Namen Deputation[?] Hegesistratos (Führer des Heers) (Herold[?] der[?] Griechen[?] auf dem Weg nach Mykale.
  13.392[3]   Hase über den Weg. Furcht,
  13.392[4]   Gold trinkbar machen. (wertvoll) Auch sonst staunenswert.
  13.392[5]   (Was teuer, ist schön – gut..
  13.392[6]   (Opfer. Wenn man etwas, was einem sehr viel wert ist, hingibt, hofft man großen Vergelt.
     

297
     
     
Von der Prüfung mittelbarer Erkenntnisse.
  13.393[1]   1. Was wir darunter verstehen, wurde früher erklärt.
  13.393[2]   Damit etwas eine mittelbare Erkenntnisnis sei in dem Sinne, in welchem wir jetzt von einem solchen sprechen, muss es exakt erwiesen, d. h. es muss aus unmittelbar sicheren einleuchtenden Verstandesurteilen sicher gefolgert sein.
  13.393[3]   2. Während Viele diesen Teil der Logik als den ihr wesentlichsten und vor allen wichtigen bezeichnen, haben Andere wie z. B. Arnauld sich ziemlich geringschätzig über seinen Wert ausgesprochen. Man fehle mehr durch falsche Prinzipien als durch falsche Folgerungen. Und darum sei die Lehre von der Prüfung der Prinzipien von weit größerer Bedeutung.
  13.393[4]   3. In der Tat ist das über die Prinzipien Gesagte in gewissem Sinn von größerer Wichtigkeit.
     

298
     
  13.394[1]   a) Es ist von allgemeinerer Anwendung und insofern weniger entbehrlich. Wer in Gefahr ist, in Betreff der Prinzipien fehlzugehen, dessen Beweisen mangelt ebenfalls die Sicherheit.
  13.394[2]   b) Es ist strenggenommen für sich allein hinreichend, auch zur Prüfung dessen, was als mittelbare Erkenntnis dargeboten wird, und vermag so für sich allein vor jedem Fehler bei der Annahme eines Urteils zu hüten.
  13.394[3]   4) Dies leuchtet sofort ein, wenn man sich vergegenwärtigt, was die Prüfung eines Beweises in sich schließt. Sie schließt ein: erstens die Prüfung der ersten Prämissen des Beweises, welche (in letzter Instanz) unmittelbar einleuchtende Wahrheiten sein müssen, zweitens die Prüfung der Richtigkeit der Folgerungen.
  13.394[4]   5) Die erste ist offenbar nach den Regeln der Prüfung der unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten vorzunehmen.
  13.394[5]   6) Im Grunde genommen aber auch die zweite.
  13.394[6]   Denn wann ist eine Folgerung richtig berechtigt? Wenn es einleuchtend ist, dass die Behauptung, die Prämissen seien wahr und der Schlusssatz falsch, oder wenigstens die Behauptung, die Prämissen seien wahr und der Schlusssatz nicht unendlich unwahrscheinlich, einen Widerspruch enthält.
  13.394[7]   Wenn es einleuchtend ist, dass die Behauptung, die Prämissen seien wahr und der Schlusssatz falsch, absurd oder wenigstens unendlich unwahrscheinlich ist.
  13.394[8]   Wenn es als absolut oder physisch unmöglich isteinleuchtet, dass die Prämissen wahr und der Schlusssatz falsch ist.
  13.394[9]   Zum Beispiel ABx
  13.394[10]   Diese Unmöglichkeit muss entweder unmittelbar aus den Begriffen selbst einleuchten, und dann ist die Berechtigungdas Gesetz der Folgerung ein Axiom, und dies ist sehr gewöhnlich der Fall; oder sie muss durch Folgerungen, deren Berechtigung unmittelbar einleuchtet, aus unmittelbar einleuchtenden Prinzipien dargetan werden können.
  13.394[11]   In jedem Fall wird die Prüfung in nichts anderem als in Prüfungen unmittelbar ein-


299
leuchtender Wahrheiten bestehen.
  13.395[1]   7. Daher konnten wir in der Tat mit Recht sagen, dass strenggenommen die Lehre von der Prüfung der Prinzipien für die Prüfung jeder gegebenen Erkenntnis ausreiche.
  13.395[2]   Indes hat außer dem schlechterdings Unentehrlichen auch das Nützliche seinen Wert.
  13.395[3]   Es ist klar, dass, wenn man die Gesetze der Folgerung schon zum Voraus und ein für allemal prüft, die Prüfung der Beweise sehr erleichtert und abgekürzt wird.
  13.395[4]   Dies wird schon da der Fall sein, wo das Gesetz der Folgerung unmittelbar einleuchtet.
  13.395[5]   Noch mehr aber, wo es selbst des Beweises bedürftig ist. Es ist offenbar viel Mühe erspart, wenn man ein für allemal den Beweis führt und dann von dem Ergebnis in den einzelnen Fällen Gebrauch

300
macht.
  13.396[1]   So ist denn in der Logik geboten, der Lehre von Prüfung der Prinzipien eine besondere Lehre von der Prüfung der Folgerungen beizufügen.
  13.396[2]   9. Im Hinblick auf diese Regeln der Logik mag es dann auch geschehen, dass Jemand, der etwas als erwiesen darlegen will, sich einer Folgerung bedient, deren Gesetz nicht unmittelbar einleuchtet, ohne doch einen Beweis dafür beizufügen. Er setzt dann den Beweis dafür als aus der Logik bekannt voraus. Und dies ist ein erlaubtes Verfahren, und wir dürfen ihm darum ebensowenig den Vorwurf einer lückenhaften Beweisführung machen als einem Mathematiker, wenn er sagt: Winkel α und Winkel β sind Scheitelwinkel, also sind sie gleich oder Dieses Quadrat ist das Quadrat der Hypothenuse, während jene beiden

301
die Quadrate der Katheden sind, also ist es gleich den beiden. Wer aber die besondere Lehre der Prüfung der mittelbaren Erkenntnisse nicht kennt, wird hier notwendig in Verlegenheiten kommen.
  13.397[1]   Aus dem Gesagten ist klar, dass die besondere Lehre der Prüfung der mittelbaren Erkenntnisse, Lehre der Prüfung der Folgerungen, Feststellung der Gesetze der Konsequenz ist.
  13.397[2]   11. Die allgemeinsten Regeln der Prüfung der Folgerungen sind leicht und schnell anzugeben:
  13.397[3]   Die Folgerung ist richtig erstens, wenn die Behauptung der Prämissen und die Leugnung des Schlusssatzes einen Widerspruchstreit enthält, z. B. Alle sind schwarz – Keines ist weiß“; zweitens, wenn sie eine unendliche Unwahrscheinlichkeit enthält, z. B. „Der Würfel ist regelmäßig – Wenn man damit beliebig lang würfelt, wird man jede Seite werfen“.
  13.397[4]   12. Aber auch speziellere Regeln sind nötig aus den oben angegebenen Gründen.
  13.397[5]   Obwohl man auch zu sehr ins Spezielle gehen kann.
  13.397[6]   Wo ein allgemeines Prinzip sich mit gleicher SicherheitLeichtigkeit anwenden lässt, ist die spezielle Regel unnütz, ja sie wird lästig als eine fruchtlose Beschwerung des Gedächtnisses.
  13.397[7]   13. In den speziellen Regeln, welche die Logik seit Aristoteles für gewisse Folgerungen aufgestellt hat, hat sie diesen Fehler oft nicht vermieden.
  13.397[8]   Und daher Arnaulds Geringschätzung, und die Verachtung vieler, die sich dann auch noch auf die übrigen Teile der Logik ausdehnt, obwohl sie nicht einmal bei diesem Teil allgemein berechtigt ist.
  13.397[9]   14. Außerdem hat die Logik auch noch den Fehler begangen, dass sie, indem sie solche spezielle Gesetze aufstellte, die allgemeinen ganz außer Acht ließ. Und hiedurch hat sie trotz aller ihrer, oft übertriebenen, Ausführlichkeit

302
im Einzelnen im Ganzen Lücken gelassen; denn die speziellen Fälle sind so mannigfach, dass sie kaum zu erschöpfen sind, was auch, weil viele keine besondere Schwierigkeit bieten, ohne Frucht wäre.
  13.398[1]   15. Hiefür will ich Ihnen vor Allem den Nachweis liefern, indem ich Ihnen zugleich einen kurzen Überblick über die hiehergehörigen Lehren der gewöhnlichen Logik gebe, und einiges, was mir irrig scheint, berichtige.
  13.398[2]   Dann will ich auf zwei der interessantesten und wichtigsten Punkte speziell eingehen, nämlich auf die Grundlehren über die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit und auf die Erklärung der Berechtigung gewisser unvollständiger Induktionen. Die vollständige ist wohl leichter einleuchtend: Alle rechtwinkligen, spitzwinkligen und stumpfwinkligen Dreiecke haben zur Winkelsumme 2 R, also alle. Alle spitzwinkligen und stumpfwinkligen haben 2 R, also alle.“ Ist es richtig? Ja, und doch unendlich viele rechtwinklige, von welchen in der Prämisse nichts enthalten.
     

303
     
  13.399[1]   15. Die Logiker unterscheiden Folgerungen aus einer und Folgerungen aus mehreren Prämissen. (Wobei aber ein Satz, welcher indirekt mehrere in sich begreift, z. B. Dass alle MP sind und alle SM sind, ist wahr, als eine Mehrheit von Prämissen gerechnet wird.)
  13.399[2]   16. Von den ersteren unterscheiden sie wieder mehrere Arten, und weichen dabei in Einzelheiten voneinander ab.
  13.399[3]   17. Überweg, der sich vor anderen bemüht, sie vollständig aufzuführen, unterscheidet 7 Arten (S. 206):

1. Konversion (zum Teil +)

2. Kontraposition Alle S sind P. Alle Nicht-P sind Nicht-S“; S ist Nicht-P. Nicht-P ist Nichtnicht-S“.

3. Umwandlung der Relation (ungenügend[?])

4. Subalternation + Alle S sind P; einige S sind P; es ist falsch, dass einige S P sind, also es ist falsch, dass alle.

5. Äquipollenz Alle S P; kein S nicht P“, Kein S P; alle S nicht P (manche nur identisch).

6. Opposition ad contradictoriam, ad contrariam +, ad subcontrariam +.

7. Modale Konsequenz: aus der Gültigkeit des apodiktischen folgt die des assertorischen; aus dieser die des problematischen; aus der Ungültigkeit umgekehrt.
  13.399[4]   Hier mannigfache Fehler.
     

304
     
  13.400[1]   1) Vieles falsch; ruht auf früher erörterten Irrtümern.
  13.400[2]   2) Manches bloße Übersetzungen. So die richtige Konversion. So die richtige Umwandlung der Relation.
  13.400[3]   3) Was wir hier besonders hervorheben wollten, es fehlen eine Menge von Arten, z. B. AB / A (auch: Dieses ist ein rechtwinkliges Dreieck, also nicht ein stumpfwinkliges“)

Ax / AB x Ax / A und Bx A und Bx / AB x

A / eines von A und B (eines von AB und Anicht-B)

eines von A und Bx / Ax

A / B ohne Ax

Wenn AB, sind alle B C / Wenn AB; ist A C

Wenn der Schulmeistersbub mit dabei war, wird keiner, der dabei war, gestraft

—————

wird er nicht gestraft (und die Äquivalenz)

Alle Raben sind schwarze Raben

—————

Alle Raben sind schwarz.

Alle Schwäne sind Vögel

—————

Alle weißen Schwäne sind weiße Vögel.
  13.400[4]   19. Die Folgerungen aus mehreren Prämissen unterschied man in Syllogismus und Induktion (S. 240). Jener vom Allgemeinen auf Besonderes, dieser vom Besonderen auf Allgemeines, z. B. alle rechtwinkligen, alle spitzwinkligen, alle stumpfwinkligen, also alle Dreiecke.
  13.400[5]   20. Auch hier scheint es wieder unvollständig. A / B / A und B A / Anicht-Bx / AB Ax / entweder A oder B / B
  13.400[6]   21. Vielleicht wird ein Logiker, um sich gegen den Vorwurf dieser Lücke zu verteidigen, sagen, man dürfe die Definitionen nicht so streng nehmen. Wie der Schluss vom Allge-


305
meinen auf das Besondere, so sei jeder Schluss mit mehreren Prämissen, der von einem Ganzen auf einen Teil desselben (d. h. von einer umfassenderen Behauptung auf eine minder umfassende) schließe, Syllogismus, ebenso wie der Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine, jeder, der von Teilen auf ein Ganzes schließe, Induktion zu nennen.
  13.401[1]   So wären z. B. der erste und dritte der oben angeführten Schlüsse den Induktionen beizuzählen.
  13.401[2]   22. Aber genau genommen auch der zweite.
  13.401[3]   Denn A ist ein Teil von AB; und dies ist richtiger, als dass AB ein Teil von Anicht-Bx ist.
  13.401[4]   23. Ja, es scheint jeder Syllogismus Induktion zu werden. Denn jede der Prämissen enthält einen Teil der Wahrheit des

306
Schlusssatzes; und somit ist dieser ein Ganzes, das aus Teilen erschlossen worden ist. Beispiele.
  13.402[1]   25. Dieser Inconvenienz könnte man indessensomit entgehen, indem man darauf hinwiese, dass keine Prämisse ein Teil des Schlusssatzes sei, sondern nur einen Teil von ihm enthalte. Und diesem Teil gegenüber erscheint sie demnach wie ein Ganzes.
     

307
     
  13.403[1]   z. B. oder
  13.403[2]   26. Aber eine neue Schwierigkeit! Wenn eben jeder Syllogismus Induktion zu werden drohte, so scheint in Folge des Auskunftsmittels jetzt umgekehrt vieles, was man stets zur Induktion rechnete, unter die Syllogismen zu gehören.
  13.403[3]   Wenn wir aus vielen einzelnen beobachteten Fällen ein allgemeines Gesetz erschließen, so ist keine der Prämissen als Teil im Schlusssatze enthalten, z. B. Sokrates Platon etc. gestorben alle sterben.
  13.403[4]   27. Daher scheint in der Tat jene erweiterte Auffassung von Syllogismus und Induktion nicht durchführbar.
  13.403[5]   Vielmehr bleibt nichts übrig, als wirklich die gerügte Lücke der Einteilung anzuerkennen.
  13.403[6]   28. Nur nach einer Auffassung Fassung des Begriffs der Induktion, die sich zwar bei verhältnismäßig wenigen, aber sehr bedeutenden Logikern findet, wäre die Lücke allerdings nicht vorhanden, wenn wir nämlich mit St. Mill und anderen Logikern verwandter Richtung nur solche Schlüsse Induktionen nennen würden, in welchen die Prämissen weder ein absolutes Äquivalent des Schlusssatzes sind, noch ihn wie ein Ganzes den Teil in

308
sich begreifen, so dass in der Annahme der Falschheit des Schlusssatzes und der Wahrheit der Prämissen kein Widerspruch besteht, und wenn wir alle übrigen Schlüsse aus mehreren Prämissen zu den Syllogismen rechneten. Beispiel.
  13.404[1]   29a. Diese Fassung hat in manchem Betracht sehr viel für sich.
  13.404[2]   Denn erstens, dieser Unterschied ist tiefer greifend; die gewöhnlich sogenannte vollständige Induktion ist dem Syllogismus verwandter als der unvollständigen Induktion; und zweitens, die Analogie, ein Schluss vom Besonderen auf ein nebengeordnetes Besonderes, die sonst eigentlich neben Syllogismus und Induktion eine dritte Stelle beanspruchen würde, fände unter dem Titel Induktion mit der sogenannte unvollständigen Induktion ihren Platz (mit der sie ohnehin die größte Verwandtschaft hat; nicht empfehlend ist dagegen die Abweichung vom hergebrachten Gebrauch der Worte). Doch entspricht ihr die aristotelische Definition des Syllogismus: Elementa Logices Aristoteleae, § 21: Συλλογισμὸς δέ ἐστι λόγς ἐν ᾤ τεϑέντων τινῶν ἕτερόν τι τῶν χειμένων ἐξ ἀνάγξης συμβαίνει τῷ τάῦτα εἶναι“.
     

309
     
  13.405[1]   29b. Aber wie dem auch sei, jedenfalls ist das gewiss, dass diese Bestimmung der Begriffe Syllogismus und Induktion nicht mit der hergebrachten Bedeutung derselben zusammenfällt. Wenn die gewöhnliche Logik (und von dieser wollen wir ja eine kritische Übersicht geben) auf die Einteilung der Schlüsse in Folgerungen aus einer und Folgerungen aus mehreren Prämissen, die Einteilung der letzteren in Syllogismus und Induktion folgen lässt, so denkt sie dabei nicht an den eben besprochenen Unterschied, sondern sie behält die älteren Bedeutungen bei, wie dies klar aus ihren Definitionen hervorgeht.
  13.405[2]   30. Wenn man aber so die Begriffe bestimmt, so bleibt zwar bei der Einteilung der Schlüsse aus mehreren Prämissen in Syllogismus und Induktion keine Lücke, aber um so mehr wird die Einteilung der Syllogismen selbst dann Lücken zeigen. Auch wäre es dann gut, die Einteilung in Syllogismus und Induktion der in Schlüsse aus einer und mehreren Prämissen vorangehen zu lassen, indem man den Syllogismus die Schlüsse aus einer Prämisse mit umfassen ließe.
  13.405[3]   31. Wir nun würden etwa so einteilen, die gewöhnliche Logik tut es aber nicht, und wir wollen uns an diese halten.
  13.405[4]   Und da ist denn nach unserer Erörterung nicht mehr zu leugnen, dass sie, wie sie es bei der Einteilung der unmittelbaren Schlüsse

310
getan, auch bei der Einteilung der Schlüsse aus mehreren Prämissen sogleich bei dem ersten Schritt der Klassifikation Vieles übersehen hat.
  13.406[1]   32. Doch gehen wir weiter! Nach der Einteilung der Schlüsse aus mehreren Prämissen in Syllogismus und Induktion hat man die Syllogismen wieder in einfache und zusammengesetzte geschieden (Ueberweg, S. 240f; cf. S. 335). Die letzteren sind solche, welche aus mehr als zwei Prämissen folgern, wobei aber wieder das schon früher einmal Gesagte gilt, dass nämlich ein Satz, der indirekt mehrere Sätze zusammenfasst als eine Mehrheit von Prämissen angesehen wird, z. B. Es ist wahr, dass alle B C, alle C D sind. Nun sind alle A B. Also sind alle A D“. Sie können als Verbindungen von einfachen Schlüssen betrachtet und in sie aufgelöst werden.
  13.406[2]   33. Die einfachen hat man geteilt in
  13.406[3]   a) die einfachen kategorischen (aus zwei kategorischen Prämissen ein kategorischer Schlusssatz);
  13.406[4]   b) die hypothetischen 1. rein, 2. hypothetisch kategorisch (Ueberweg, S. 324);
  13.406[5]   c. die disjunktiven 1. rein, 2. kategorisch disjunktiv, 3. hypothetisch disjunktiv (Ueberweg, S. 330). Entweder a oder b. Entweder b nicht oder c. Also a oder c. Entweder wenn a, b oder wenn c, d. Wenn a, nicht b. Also wenn c, d. (Aber auch kategorisch, hypothetisch, disjunktiv, z.B. Wenn a b ist, entweder c oder d. a ist b. Also ist entweder c oder d. Entweder ist A a oder B b oder C c. A ist nicht a Wenn B nicht b, ist C c.)
  13.406[6]   34. Diese Einteilung offenbar großenteils nach bloßen Unterschieden des sprachlichen Ausdrucks.
  13.406[7]   Und klar, dass Lücken, namentlich insofern der Existenzialsatz unberücksichtigt, der doch die wichtigste Ausdrucksform, weil die allgemeinste zugleich und klarste, so

311
dass, wenn man bei der Prüfung ganz sorgfältig, eigentlich erst Reduktion auf sie.
  13.407[1]   Wir haben früher gesehen, wie manche der komplizierteren Formeln von den Logikern selbst missverstanden wurden, z. B. des disjunktiven Satzes und von den kategorischen A und O.
  13.407[2]   Wir haben auch gesehen, wie dies Einfluss auf die Regeln von den Schlüssen mit einer Prämisse. Ebenso hat es ihn auch auf die syllogistischen Regeln gehabt, die einerseits übertrieben detailliert (was leicht vermeidlich, wenn die Beziehungen zum Existentialsatz gekannt), andererseits zum Teil auch ganz irrig gegeben werden.
  13.407[3]   35. So die Regel, dass man aus einem zweigliedrigen disjunktiven Satz und der Bejahung des einen Glieds die Falschheit des anderen erschließen könne, falsch, z. B. Dieser Schüler ist, da er so schnell

312
eine der schwierigsten Wissenschaften erlernt hat, entweder sehr talentvoll oder sehr fleissig. Nun ist er sehr talentvoll. Also ist er nicht sehr fleissig.
  13.408[1]   36. Dasselbe gilt von den einfachen kategorischen Syllogismen.
  13.408[2]   Hier hat man gesagt: 1. Jeder kategorische Syllogismus müsse, wie drei kategorische Urteile so auch drei Hauptbegriffe oder termini enthalten, von welchen jeder zweimal, und zwar in zwei verschiedenen Urteilen, vorkomme. Den einen nannte man den terminus major, den anderen den terminus minor, den dritten den terminus medius. Den terminus major bestimmte man als denjenigen, welcher im Schlusssatz die Stelle des Prädikats einnehme. Den terminus minor als denjenigen, der in ihm als Subjekt stehe. Den terminus medius als den, der nur in den

313
beiden Prämissen vorkomme. Von diesen nannte man diejenigen, die ausser dem terminus medius den terminus major enthalte, den Obersatz (propositio major), diejenigen aber, in der ausser dem terminus medius der terminus minor vorkomme, den Untersatz.
  13.409[1]   2. Dann hat man vier Figuren unterschieden nach der Stelle des Mittelbegriffs, die eine vierfache sein kann: 1) SP, 2) PP, 3) SS, 4) PS.
  13.409[2]   3. Und dann hat man (S. 251) Regeln für die Gültigkeit der Schlüsse aufgestellt, sowohl allgemeine als auch spezielle für die einzelnen Figuren. Allgemeine, wie z. B.: 1, nicht mehr und nicht weniger als drei Termini; 2, wenigstens einer der Sätze muss allgemein sein; 3, wenigstens einer muss affirmativ sein; 4, der Schlusssatz folgt der schwächeren Prämisse u. dgl.
  13.409[3]   Aber auch spezielle, indem man für jede Figur eine Zahl von Modis, in welchen man gültig schließen könne, zusammenstellte.
  13.409[4]   Unter dem Modus eines Syllogismus verstand man nämlich die besondere Eigentümlichkeit, die dem Syllogismus zukommt, je nachdem die obere sowohl als die untere Prämisse eine kategorische Aussage von der Formel A E I oder O ist. Beispiele.
  13.409[5]   In der ersten Figur erkannte man vier, in der zweiten vier, in der dritten sechs, in der vierten fünf als gültig an.
  13.409[6]   Memorialverse:
  13.409[7]   1ae: Barbara, Colarent, Darii, Ferioque.
  13.409[8]   2.ae: Cesare, Camestres, Festino, Baroco.
  13.409[9]   Tertia, grande sonans, recitat: , , Disamis, Datisi, Bocardo, Ferison.
  13.409[10]   4ae sunt , Calemes, Dimatis, , Fresison.
  13.409[11]   37. Obwohl diese Regeln das Ansehen vieler Jahrhunderte für sich haben, so ist es doch, wie mir scheint, nicht schwer zu zeigen, dass viele darunter fehlerhaft sind.
  13.409[12]   Und zwar finden sich Fehler sowohl in den allgemeinen als in den speziellen Regeln.
  13.409[13]   Ich will Ihnen dies zuerst an den allgemeinen, dann an den speziellen

314
nachweisen und Ihnen dann die richtigen Regeln der Prüfung angeben.
  13.410[1]   38. Von den allgemeinen ist z. B. die falsch, dass ein einfacher kategorischer Syllogismus nur drei Termini enthalten dürfe.
  13.410[2]   Vielmehr ist es leicht, an Beispielen zu zeigen, dass einer auch vier enthalten darf, von welchen aber zwei kontradiktorisch einander entgegengesetzt sind.
  13.410[3]   So z. B. offenbar:

Alles Leblose ist unorganisch.

Kein Stein ist lebendig.

Also sind alle Steine unorganisch.
  13.410[4]   Für den aber, der die Bedeutung der kategorischen Formeln recht versteht, hat auch folgender Schluss vier Termini: Alle Organismen sind sterblich.

Jede Pflanze ist ein Organismus.

Also ist jede Pflanze sterblich.
  13.410[5]   Und es ensteht so die Frage, ob nicht vielleicht alle Syllogismen mehr als drei Termini, was wir später

315
untersuchen werden.
  13.411[1]   39. Ebenso ist falsch: eine Prämisse wenigstens müsse affirmativ sein. Cf. die beiden Beispiele.
  13.411[2]   40. Ebenso ist falsch, dass der Schlusssatz dem schwächeren Teil folge, was die Qualität anlangt.

Alle Menschen sind sterblich.

Cajus ist ein Mensch.

Also ist Cajus sterblich.

(Cf. nach der gewöhnlichen Auffassung das erste der beiden oben angeführten Beispiele.)
  13.411[3]   41. Ohne weiter bei der Betrachtung der allgemeinen Regeln zu verweilen (genug ja, um den ganzen Katalog als unbrauchbar zu erweisen), wenden wir uns zu den speziellen, um auch hier die Fehler anzugeben.
  13.411[4]   Schon die zu große Spezialität ist ein Fehler.
  13.411[5]   Doch wir handeln jetzt von den Irrtümern doppelter Art:
  13.411[6]   erstens, insofern einige der angegebenen nicht richtig und
  13.411[7]   zweitens, insofern manche nicht angegebenen richtig sind.
     

316
     
  13.412[1]   a) Unrichtig von den angegebenen sind die zwei ersten Modi der dritten Figur (Darapti und Felapton) und die erste und vierte der vierten Figur (Bamalip und Fesapo)
  13.412[2]   Nach ihnen würde man in einem kategorischen Schluss aus zwei negativen Prämissen einen affirmativen Schlusssatz gewinnen können, was nicht möglich ist.
  13.412[3]   b) Von ausgelassenen nur ein paar Beispiele.
  13.412[4]   Nehmen wir vor allem eins, dessen wir uns schon früher bedient haben:

x A² Alles Leblose ist unorganisch.

S M E¹ Kein Stein ist lebendig.

S  A¹  Also sind alle Steine unorganisch.
  13.412[5]   Ein anderes:

M P I¹  Irgend ein Körper ist Blei

M x E²  Kein Inkorruptibles ist ein Körper.

S P I¹  Irgend ein Korruptibles ist Blei.
  13.412[6]   Wir sehen an den Beispielen, dass die Fehler der letzteren Art vorzüglich daher kommen, dass man behauptete, es dürften nicht mehr als drei Termini sein.
  13.412[7]   Die der ersteren Art aber daher, dass man A fälschlich für affirmativ, O fälschlich für negativ hielt.
  13.412[8]   Wenn nun aber diese Regeln großenteils falsch und auch durch lästige Weitschweifigkeit unbrauchbar, welcher Ersatz?
  13.412[9]   44. Sehr einfach sind die folgenden drei, die freilich in vielfachem auffallendem Kontrast zu den gewöhnlichen stehen.
  13.412[10]   1. Jeder sogenannte kategorische Schluss muss, um gültig zu sein, vier Termini enthalten, von denen zwei kontradiktorisch einander entgegengesetzt sind, die beiden anderen aber zweimal in ihm zu stehen kommen. (Das ist ein, den außer den Hegelianern manche spekulativen Theologen ganz bestimmt[?] bedauern werden wegen der Trinität, die sie als Schluss zu fassen suchen. Gratrg.)
     

317
     
  13.413[1]   2. Ist der Schlusssatz negativ, so hat jede Prämisse die Qualität und einen Terminus mit ihm gemein (und folglich enthalten die beiden Prämissen die beiden kontradiktorischen Termini).
  13.413[2]   3. Ist der Schlusssatz affirmativ, so hat die eine Prämisse die gleiche Qualität und einen gleichen Terminus; die andere aber die entgegengesetzte Qualität und einen entgegengesetzten Terminus.
  13.413[3]   45. Nachweis durch Beispiele aus allen Figuren, wie die Modi einer jeden (abgesehen von den früher verworfenen vier) den Regeln entsprechen.
  13.413[4]   1) Zum Beispiel: Jeder, der solche verhungern lässt, die er zu ernähren verpflichtet ist, ist ein Mörder.

Jeder Regent, der zur Zeit der Hungersnot die Armen nicht unterstützt, lässt solche verhungern, die er zu ernähren verpflichtet ist.

Also ist jeder etc. ein Mörder.

I. Figur Barbara:

Vier Termini; negativ: also die Qualität gleich; ein Terminus gemein.
  13.413[5]   2) Nichts, was eine gerechte Reue zur Folge hat, ist begehrenswert.

Irgendeine Vergnügung hat eine gerechte Reue zur Folge.

Irgendeine Vergnügung ist nicht begehrenswert.
     

318
     
  13.414[1]   I. Figur: Ferio

Vier Termini; affirmativ: die eine Prämisse gleich, die andere entgegengesetzt.
  13.414[2]   3) Kein Lügner verdient Vertrauen.

Jeder brave Mann verdient Vertrauen.

Kein braver Mann ist ein Lügner.

II. Figur: Cesare

Vier Termini; negativ: Qualität und ein Terminus gemeinsam.
  13.414[3]   4) Alle bösen Menschen sind unglücklich.

Irgendein böser Mensch ist reich.

Irgendein Reicher ist unglücklich.

III. Figur: Datisi

Vier Termini; affirmativ: die eine Prämisse gleich; die andere entgegengesetzt.
  13.414[4]   5) Irgendein Narr sagt die Wahrheit.

Jeder, der die Wahrheit sagt, verdient, dass man ihm folge.

Also ist irgendeiner, der verdient, dass man ihm folge, ein Narr.

IV. Figur: Dimatis

Vier Termini; affirmativ: die eine Prämisse gleich; die andere entgegengesetzt.
  13.414[5]   46. Dasselbe gilt von den richtigen Modis, die nicht von der gewöhnlichen Logik approbiert sind. Denn wie schon bemerkt, sind viele ausgeschlossen, und die Zahl der mit Unrecht verworfenen ist viel größer als die der mit Unrecht angenommenen. Diese sind nur vier.

319
Aber während nach deren Abzug von den 19 approbierten nur 15 gültige gegeben bleiben, sind in Wahrheit 64128 gültige Modi, 16 in jeder Figur möglich, indem in jeder 2 Modi zu S (A), 2 zu (A'), 2 zu S P (E), 24 zu (E') P, 2 zu S P (I), 2 zu P (I'), 2 zu S (O) und 2 zu (O') führen. Sie lassen sich aber auf 16 zurückführen, wenn man als Schlusssatz immer E oder I festhält, was ja möglich ist. Dann 2 dafür in jeder Figur. Für die affirmative:

I. Figur: A I, I und I E', I

II. Figur: E' I, I und I E', I

III. Figur: A I, I und I A, I

IV. Figur: E' I, I und I A, I.

Für die negative:

I. Figur: E A, E und E', E, E

II. Figur: E A, E und A E, E

III. Figur: E E', E und E' E, E

IV. Figur: E E', E und A E, E.
  13.415[1]   Zum Beispiel Alles Leblose ist körperlich.

Irgendeine Kreatur ist unkörperlich.

Irgendeine Kreatur ist lebendig. II Figur: E' I I (oder E I O )

(oder I E' I ) (oder I E' O' ) u. s. w.

Jedenfalls 4 Termini; affirmativ eine Prämisse gleich, die andere entgegengesetzt.
  13.415[2]   M | SM | SP |||
  13.415[3]   47. Instanzen. Gewisse Beispiele scheinen Ausnahmen zu machen.
  13.415[4]   1) Schlüsse mit individuellen Prämissen, z. B.:

Cajus ist tugendhaft.

Cajus ist ein Mensch. Also ist irgend ein Mensch tugendhaft.
  13.415[5]   Lösung: Damit der Schluss gültig sei, muss gegeben sein, dass der Terminus Cajus individuell ist; also dass ein anderer Cajus als der, wovon gesagt wird, er sei tugendhaft, mit a. W.: ein Cajus, welcher nicht tugendhaft ist, nicht ist.
  13.415[6]   Hiemit ist dann aber noch eine andere Prämisse gegeben: kein Cajus ist nicht tugendhaft, und nur um ihretwillen ist der Schluss nichtig.
  13.415[7]   Sagt man: aber das geht aus den Begriffen, also auch aus den sie enthaltenden Prämissen selbst mit hervor, so ist zu antworten: wohl aber nicht aus der Form des Schlusses. So geht auch aus den Prämissen:

„Irgendein Tugendhafter ist Cajus“, „Irgendein Mensch ist Cajus der Schlusssatz „Irgendein Mensch ist tugendhaft hervor,

320
und doch sagen alle Logiker, dass ein Schluss von der Form I, I, I nicht gültig sei. Wie gesagt folgt eben die Wahrheit des Schlusssatzes nicht aus der Form des Schlusses.
  13.416[1]   2. Instanz. Folgendes Beispiel: Kein Mensch ist tugendhaft ohne Verfolgungen zu erleiden. Jeder Heilige ist ein tugendhafter Mensch. Also erleidet jeder Heilige Verfolgung. Hier scheinen fünf Termini und auch andere unserer Regeln verletzt.
  13.416[2]   Lösung. Sie ergibt sich daraus, dass hier die vier Termini ineinander gemengt sind, was (wegen der möglichen Rückführung auf den Existentialsatz) geschehen kann.
  13.416[3]   Geordnet heisst der Schluss: Kein tugenhafter Mensch ist nicht verfolgt. Jeder Heilige ist ein tugendhafter Mensch. Also. Also vier Termini und alle Regeln sind gewahrt. Kein Organismus ist pflanzeseiendes Tier. Alle baumartigen Organismen sind Pflanzen. Kein baumartiger Organismusist Tier. Keine Figur ist eine geradlinige Kurve. Alle elliptischen Figuren sind Kurven. Keine elliptische Figur ist geradlinig.
  13.416[4]   Aus ähnlichem Grund ist auch der Schluss richtig: A BC x; AD x; AD C x (zunächst also AD AC x; dann wegen der Reduplikation = AD C x.)
     

321
     
  13.417[1]   Doch sind solche Schlüsse vielleicht nicht mehr (reine) kategorische Schlüsse im gewöhnlichen Sinn zu nennen.
  13.417[2]   3. Instanz. Folgendes Beispiel: Kein Mensch ist ohne Verfolgungen. Cajus ist ein tugendhafter Mensch Also ist Cajus nicht ohne Verfolgungen. (Fünf Termini.)
  13.417[3]   Ebenso: Kein Heiliger lügt. Jeder Prophet ist ein von Gott erleuchteter heiliger Mann. Kein Prophet lügt. (Vier Termini, aber nicht wie gewöhnlich.)
  13.417[4]   Lösung. Die negativen Prämissen dürfen einen Mangel, die affirmativen einen Überschuss von Bestimmungen haben.
  13.417[5]   Es folgt dies daraus, dass der negative Satz dem ganzen Umfang, der affirmative dem ganzen Inhalt nach beurteilt wird. Allerdings kann man auch von diesen Schlüssen (ähnlich wie von den vorigen) sagen, sie seien keine kategorischen Schlüsse der gewöhnlichen Art; aber sie lassen sich durch einen vorgängigen Schluss auf sie zurückführen, z. B. der erste aus C Dx; A BC; C . auf C Dx; A C; A . oder auf BC Dx; A BC; C D. Der zweite aus D Ex; A ; A Ex auf BDC Ex; A x; A Ex.
     

322
     
  13.418[1]   4. Instanz. Folgendes Beispiel: 1' Alle Dreiecke haben zur Winkelsumme 2 R. Kein Dreieck hat zur Winkelsumme 2 R. Es gibt kein Dreieck.
  13.418[2]   Oder: Alle dreieckigen Figuren haben zur Winkelsumme 2 R. Keine dreieckige Figur hat zur Winkelsumme 2 R

Keine Figur ist dreieckig.
  13.418[3]   2' Irgendeine Figur ist ein Dreieck. Jedes Dreieck hat zur Winkelsumme 2R. Irgendein Dreieck hat zur Winkelsumme 2R u. dgl.
  13.418[4]   3' Ferner: AB ohne CD x; AB; CD.
  13.418[5]   Diese scheinen nicht bloß nicht durch die Ausdrucksweise abgewichen von der gewöhnlichen Fassung, sondern auch nicht zurückzuführen; der letzte analog dem hypothetischen Schluss.
  13.418[6]   Keine gute Ernte ohne fruchtbares Ackerland. Eine Ernte ist gut. Ein Ackerland ist fruchtbar.
  13.418[7]   4'

AB

AC

C ist mit B zusammen

oder auch C ohne B x.

Ein pflanzliches Lebendiges.

Ein tierisches Lebendiges. Ein Tier ist mit einer Pflanze.
  13.418[8]   5' AB x

A C

A .
  13.418[9]   6' Alle guten Reittiere Pferde.

Irgendein gutes Reittier nicht ein Schimmel.

Irgendein gutes Reittier nicht weiß.
  13.418[10]   7' Alle Hottentotten häßlich.

Hottentotten Menschen.

Alle Hottentotten häßliche Menschen

(C6' und C7' hängen eng zusammen).
  13.418[11]   Lösung: Allerdings ist dies richtig. Hier gilt aber noch mehr als bei den in zweiter und dritter Instanz geltend gemachten Beispielen, dass sie keine gewöhnlichen sogenannten kategorischen Syllogismen sind; wir aber wollten nur für diese, d. h. für die aus kategorischen Aussagen gebildeten Syllogismen, die zu der Art gehören, bei welcher jeder Terminus zur Gültigkeit des Schlusses beiträgt, und dies in Folge gewisser , die auch bei den gewöhnlichen sogenannten kategorischen Syllogismen in Betracht kommen (also Identität oder Kontradiktion und einfache Verschiedenheit), mit anderen Worten von jenen kategorischen Syllogismen, von welchen man gewöhnlich glaubt, dass sie zwei unter Vermittlung eines dritten zu einer kategorischen Aussage vereinigen, die richtigen Regeln anstatt der hergebrachten fehlerhaften angeben.
  13.418[12]   Die Instanzen beweisen also nichts gegen uns, sie liefern aber einen neuen Beweis von den vielen Lücken in der hergebrachten Lehre von den Schlüssen.
  13.418[13]   Unsere Regeln bleiben also in Kraft, und sie sichern vor jedem Fehlgriff bei der Prüfung, wenn man nur die Aussagen, welche der Syllogismus enthält, richtig versteht, d. h. den nicht affirmativen Satz für negativ und umgekehrt; den nicht affirmativen Terminus für negativ und umgekehrt (den nicht pseudo-kategorischen Satz für kategorisch). Das Missverstehen gewisser kategorischer Formeln war es, das nicht bloß im Einzelnen oft zu Irrtümern verleitet, sondern, wie wir gesehen haben, die Logiker selbst bei Feststellung ihrer Regeln in Irrtümer geführt hat. Wir aber

323
haben uns durch unsere früheren Erörterungen über diesen Gegenstand in Stand gesetzt, mit Leichtigkeit solche Missverständnisse zu vermeiden.
     

324
     
  13.420[1]   48. Der Beweis, den wir für unsere drei Regeln erbrachten, war die tatsächliche Bewährung in jedem einzelnen Falle. Keiner der sogenannten kategorischen Schlüsse, der ihnen entspricht, ist unrichtig.
  13.420[2]   Keiner der richtig, der ihnen nicht entspricht.
  13.420[3]   48¹. Man könnte aber auch in deduktiver Weise den doppelten Beweis liefern.
  13.420[4]   48². a, Jeder, der ihnen entspricht, richtig.
  13.420[5]   Zur Vereinfachung:
  13.420[6]   α. Wenn ein negativer, alle negative. Denn der ganze Unterschied breuht auf der Stellung von Subjekt und Prädikat, z. B.:

und =

Und wir sahen, dass conversio simplex.
  13.420[7]   β. Wenn die negativen, auch die affirmativen.
  13.420[8]   Denn wäre falsch,

so auch , weil sonst S und S x zugelassen[?].
     

325
     
  13.421[1]   γ. Wir haben also nur einen negativen Schluss zu prüfen.

  13.421[2]   Dies leicht durch Analyse.

Aus P M x folgt S P M x.

Aus S x folgt S P x.

Aus diesen S P x.
  13.421[3]   48³. Jeder, der nicht entspricht, unrichtig.
  13.421[4]   α. Um dies zu beweisen, nötig wohl zu beachten, dass es sich nur um die gewöhnlich sogenannten kategorischen Schlüsse handelt.
  13.421[5]   Das heißt :
  13.421[6]   I. Es handelt sich um die Folgerung eines kategorischen Satzes aus zwei kategorischen Prämissen.
  13.421[7]   II. Der Schlusssatz soll nicht mit blosser Wahrscheinlichkeit, sondern absoluter Notwendigkeit aus den Prämissen fließen.
  13.421[8]   Also: er soll nicht mehr als die Prämissen zusammen enthalten.
  13.421[9]   III. Er soll aber mehr enthalten als jede einzelne Prämisse. Denn keine Prämisse soll überflüssig sein.
  13.421[10]   IV. Ebenso soll kein Terminus überflüssig.
  13.421[11]   Das heißt, in dem Schlusssatz, wenn negativ, in den Prämissen, wenn affirmativ kein Terminus, dessen Wegfallen Gültigkeit des Schlusses bestehen ließe. Denn dieses eine unbenützte Erweiterung der Daten, jenes eine unnötige Beschränkung des Ergebnisses, z.B. (c überflüssig) oder (c überflüssig) aber (aa zwar keine Erweiterung der Daten, aber ein Terminus offenbar nutzlos).
     

326
     
  13.422[1]   V. Endlich soll keine andere Eigenheit der Materie benützt werden als das Verhältnis der Termini. Und kein anderes Verhältnis zwischen den Terminis benützt werden als das der begrifflichen Identität und der attributiven Kontradiktion.
  13.422[2]   Es soll also weder ein Terminus zerteilt, noch eine Mehrheit zu einer Einheit verbunden, noch ein disjunktiver Terminus im Hinblick auf zwei andere gebildet sein und ebenso kein Verhältnis der Korrelativität zwischen zwei Terminis vorkommen, kein Terminus die einfache Kontradiktion eines anderen, kein Terminus indirekt einen oder mehrere andere enthaltend u. dgl., oder wenn ein solches Verhältnis besteht, soll es wenigstens nicht benützt werden.
     

327
     
  13.424[1]   β. Unter dieser Beschränkung ergibt sich der Nachweis, dass alle anderen Schlüsse unrichtig, also:
  13.424[2]   I. Was die Qualität der Prämissen angeht.
  13.424[3]   Aus zwei affirmativen Prämissen kein Schluss, kein negativer: Allerdings aus zwei negativen kategorischen Sätzen ein affirmativer Schlusssatz ohne Benützung anderer Verhältnisse, aber kein kategorischer:

x

b x

a
  13.424[4]   Damit ein kategorischer, drei Prämissen:

x

b x

a b x

a
     

328
     
  13.426[1]   II. Was die Terminis anlangt.
  13.426[2]   a. Kein negativer, der nicht von der angegebenen Art.
  13.426[3]   1. Die negativen haben negative Prämissen. Sie beurteilen, wie die Prämissen dem ganzen Umfang nach.
  13.426[4]   2. Es muss ein Einschränkung der Prämissen stattfinden wegen III.
  13.426[5]   Wegfall eines Merkmals in jeder.
  13.426[6]   Dies nicht möglich ohne Verhältniss.
  13.426[7]   Aber auch nicht durch Verhältnis der Identität. Also nur durch Verhältnis

329
der Kontradiktion von Terminis verschiedener Prämissen. Nichtaufnahme von neuen Merkmalen (wegen IV). Also mit jedem eines Terminus gemein.
  13.427[1]   Somit für die negativen die Regeln der Terminis als unbedingt notwendig erwiesen.
  13.427[2]   b. Hieraus folgt dasselbe für die affirmativen.
  13.427[3]   Früher dargetan, dass von der Form: folglich = Also der erste Schluss =
  13.427[4]   Notabene. Gesehen, dass die sogenannten kategorischen Schlüsse nicht unmittelbar, sondern einer Ana zu unterwerfen.
  13.427[5]   Notabene notabene. Unrichtig, dass die Regeln nur empirisch zu bewähren.
     

330
     
  13.437[1]   Von der Weise der Auflösung haben wir schon früher gelegentlich ein paar Beispiele gegeben.
  13.437[2]   Sie geschieht nach den Formeln

,

die alle unmittelbare Folgen des Gesetzes des Widerspruchs sind.
  13.437[3]   Beispiel von Analyse eines affirmativen und eines negativen Schlussmodus.
  13.440[1]   49. Aber was wird denn aus den vielen und mannigfachen anderen Schlüssen aus kategorischen Prämissen, die nicht zu den gewöhnlichen sogenannten kategorischen Schlüssen gehören, und auf die wir oben gestoßen sind? Sollen wir sie ganz ohne Regel der Prüfung lassen?
  13.440[2]   Nicht doch! haben wir ja doch schon oben gesagt, dass das Gesetz des Widerspruchs selbst die allgemeine Regel zur Prüfung jedes Syllogismus ist.
  13.440[3]   Dieser Widerspruch, der bei jedem gültigen Syllogismus zwischen der Annahnme der Prämissen und der Leugnung des Schlusssatzes besteht, leuchtet entweder sofort ein, namentlich wenn die Aussagen in die existentiale Formel gekleidet, oder sonstwie einfach ge-


331
staltet werden.
  13.441[1]   Oder er ist durch eine leichte und einfache Analyse offenbar zu machen. Jeder kategorische Syllogismus fällt nämlich irgendwie unter folgende zwei Formeln, die wir auch oben benützt haben:



In ihnen ist der genannte Widerspruch klar, und also in jedem der ihnen offenbar entsprechenden Schlüsse.
  13.441[2]   Die Analyse aber, durch welche gezeigt werden kann, ob ein Schluss ihr entspreche, besteht wesentlich erstens, in einer entsprechenden Bereicherung der Materie der negativen Prämissen; und zweitens, nach vollzogenem affirmativen Schluss etwa noch in einer Verminderung der Materie des Schlusssatzes (oder auch drittens, noch in einer Umsetzung aus dem direkten in ein indirektes Urteil oder umgekehrt, z. B. a b x

c d x

.

Denn:

a b x

NN

NN .

NN c d x

NN

.

Kein Pferd hat einen menschlichen Oberleib.

Kein Weib läuft in einem Fisch(schwanz) aus.

irgendein Nichtzentaure ist eine Nichtmeernixe.



Ähnlich, nur um ein Kleines verwickelter:

Nichts Gutes ist vollkommen gut.

Nichts Schlechtes ist vollkommen schlecht.

―――

Irgend ein nicht vollkommen Gutes ist ein nicht vollkommen Schlechtes. ([1W. unl.]: also ist Nichts vollkommen gut etc.)

Die Analyse besteht viertens endlich in der Zuhilfenahme a priori selbstevidenter Behauptungen. Es ist nicht eine dreieckige Figur ohne die Gleichheit ihrer Winkelsumme mit 2 R

Es ist nicht die Winkelsumme einer Figur = 2 R.

―――

Also ist nicht eine Figur dreieckig.
  13.441[3]   Es[?] ist dagegegen ein vollkommenes Glückseiendes kein [1W. unl.] trostlosese Unglück.

332
(Gewöhnlicher Konditional passt) ]
  13.442[1]   Ebenso umgekehrt: Es ist eine Figur dreieckig.

Es ist nicht eine dreieckige Figur ohne die Gleichheit ihrer Winkelsumme mit 2 R.

―――

(Also ist eine dreieckige Figur mit der Gleichheit ihrer Winkelsumme mit 2 R.)

Also hat eine Figur zur Winkelsumme 2 R A

A x

A B

B
  13.442[2]   Ein anderes Beispiel: Kein Heiliger lügt.

Mahomed ist ein von Gott erleuchteter heiliger Mann.

―――

Mahomed lügt nicht.

Analyse: D E x

A [B C] (dann gewöhnlicher kategorischer Schluss

―――

A u. dgl.
  13.442[3]   Einlage

Alle guten Reittiere sind Pferde.

Irgendein gutes Reittier

―――

Ein gutes Reittier .

[] A x

A

(zunächst)

― ― A

A B A B C x ―――

A [B]
  13.442[4]   Wir wollen uns nicht länger mit dieser Prüfung der einfachen Syllogismen aufhalten, da unsere Zeit durch Anderes in Anspruch genommen wird. Gehen wir weiter!
  13.442[5]   50. Die gewöhnliche Logik lässt auf die Lehre von den einfachen Schlüssen, die so lückenhaft, die von den zusammengesetzten folgen, welche, wie schon gesagt, Verbindungen von einfachen sind. Sie teilt sie je nach der Vollständigkeit des Ausdrucks in vollständige; zu ihnen gehören (S. 335) ] die Schlussketten (= eine Reihe von Schlüssen, die so miteinander verbunden sind, dass der Schlusssatz des einen eine der Prämissen des anderen ausmacht. Beispiel: Alle organischen Wesen sind sterblich. Der Mensch ist ein organisches Wesen. Also ist der Mensch sterblich. Cajus ist ein Mensch. Also ist Cajus sterblich) und unvollständige: Zu diesen zählen die Kettenschlüsse. Sie sind kategorische Schlussketten, bei welchen der letzte Schlusssatz einen Terminus der ersten und einen der letzten Prämisse verbindet, der Ausdruck aber in der Art unvollständig ist, dass nur bei dem letzten Schluss der Schlusssatz ausgesprochen wird.
  13.442[6]   AristotelischerGoklenischer (Marburger Professor Goclenius) Sorites nach der Ordnung der Prämissen. Jener von der propositionalen minoribus zu der majoribus aufsteigend, dieser umgekehrt.
  13.442[7]   Aristoteles. Zum Beispiel: Wer viel trinkt, schläft viel. Wer viel schläft, sündigt wenig. Wer wenig sündigt, kommt in den Himmel. Also (der Form nach) richtig. Aber!
     

333
     
  13.443[1]   (Umzukleiden. Bei[?] Goclenius. und in Schlusskette.)
  13.443[2]   Notabene. Nach unseren Erörterungen vielleicht noch mehr Arten: z. B. A x; B x; C D x; x = A x (doch eigentlich Unterart der Aristotelischen).
  13.443[3]   51. Dann geht die gewöhnliche Logik zur Induktion über (S. 343), die sie, wie schon gelegentlich bemerkt, in die vollständige (S. 345) und unvollständige (S. 347) scheidet (den Namen scheint sie dadurch entsprechen zu wollen, dass sie von der vollständigen ziemlich vollständig, von der unvollständigen aber sehr unvollständig handelt, so dass kaum ihre Berechtigung einleuchtet. (Indes für ein umgekehrtes Verfahren wären wir dankbarer, denn jene bietet keine besondere Schwierigkeit)).
  13.443[4]   52. An die letztere hängt sie eine kurze Betrachtung des Analogieschlusses, d. i. des Schlusses vom Besonderen zum Besonderen an, ein Schluss, der in der Tat, wie schon gesagt (S. 353), der unvollständigen Induktion nahe verwandt ist.
  13.443[5]   53. Vor oder nach der Besprechung der unvollständigen Induktion und Analogie widmet sie eine kurze spezielle Betrachtung den Schlüssen, welche auf Wahrscheinlichkeit schließen (cf. Drobisch).

334
Und hier ist sie wiederum, wie bei der unvollständigen Induktion, in ihren Mitteilungen äußerst zurückhaltend.
  13.446[1]   54. Wir wollen sowohl aus diesem Grund als auch insbesondere wegen der hohen Wichtigkeit der Sache diese beiden Punkte noch speziell etwas behandeln:
  13.446[2]   I. Von den Schlüssen einfacher Wahrscheinlichkeit (Prinzipien von Laplace).
  13.446[3]   II. Erklärung der Berechtigung gewisser unvollständiger Induktionen.
  13.446[4]   Also: I. Von den Schlüssen auf Wahrscheinlichkeit.
  13.446[5]   1. Wenn die gewöhnliche Logik der Lehre von den Schlüssen auf Wahrscheinlichkeit kaum ein paar dürftige Worte widmet, so entschuldigt sie dies, indem sie sagt, dass die eingehendere Betrachtung Sache des Mathematikers sei. In der Tat beschäftigen sich die Mathematiker mit der Wahrscheinlichkeitslehre. Ja, wir haben einigen Koriphäen der Mathematik, einem Pascal und Fermat, einem Bernoulli und Laplace und anderen ihre Entstehung und Ausbildung zu verdanken.
  13.446[6]   Aber hiemit ist nicht gesagt, dass ihre Betrachtung nicht

335
zugleich auch Sache des Logikers sein könne und sein müsse.
  13.447[1]   Allerdings ist es richtig, dass zwischen den Wissenschaften eine Arbeitsteilung besteht. Was die eine zu behandeln hat, hat die andere nicht zu behandeln. Aber denken sie zurück an unsere Definition der Logik. Als eine Kunst, nicht als eine Wissenschaft haben wir sie bestimmt. Und als Kunst hat sie mit den anderen Künsten das gemein, dass sie Kenntnisse aus den verschiedensten Wissenschaften entlehnt und zu ihrem praktischen Zweck zusammenordnet. So hat sie denn manche Untersuchungen mit der Metaphysik, andere mit der Psychologie gemein. Nähme man all diese weg, was würde noch bleiben? So gut wie nichts! Denn auch was sie eigentümlich hinzufügt, ist nur ein Fortbau auf der so gewonnenen Grundlage.
  13.447[2]   So aber würde sie, auch wenn alles, was die Mathematik, namentlich die Wahrscheinlichkeitsrechnung, bietet, von ihr ausgeschlossen würde, ihrer Aufgabe nicht mehr genügen können.
  13.447[3]   Und dass die gewöhnliche Logik (ihren eigenen praktischen Charakter verkennend) von allen diesen Lehren wirklich Umgang nimmt, ist einer der vornehmsten Gründe ihrer Impotenz zu wirklicher Förderung des Wissens.
  13.447[4]   Mit Recht sagt Laplace in seinem berühmten Essai philosophique sur les probabilités, der Einleitung seines großen Werks Analytische Theorie der Probabilitäten: „ Die bedeutendsten Fragen des Lebens sind zumeist Probleme der Wahrscheinlichkeit. Ja, man kann sogar sagen, dass strenggenommen fast alle unsere Erkenntnisse bloß wahrscheinlich sind; und bei der kleinen Zahl der Gegenstände, die wir mit absoluter Sicherheit zu wissen vermögen, bei den mathematischen Wissenschaften selbst, gründen die vornehmsten Mittel, zur Wahrheit zu gelangen, die Induktion und die Analogie, sich auf die Wahrscheinlichkeiten; so dass das gesammte System der menschlichen Erkenntnisse sich an die in diesem Versuch auseinander gesetzte Lehre knüpft“.
  13.447[5]   Daher fordert er denn auch die Philosophen, wie schon im Titel selbst, so auch in den ersten Worten der Einleitung zur Beachtung seiner Abhandlung auf: „ Ich wünsche, dass

336
es den in dieser Einleitung dargelegten Reflexionen gelingen möge, den Blick der Philosophen auf sich zu ziehen und ihn auf einen Gegenstand zu richten, der in so hohem Grade sie zu beschäftigen verdient“.
  13.448[1]   Wir können vermöge der uns eng gemessenen Zeit nicht so eingehend, wie wir wohl möchten, den Gegenstand behandeln. Wir beschränken uns auf die Angabe und kurze Erläuterung der allgemeinen Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, die Laplace im Anfang der genannten Abhandlung Notabene. Unwahrscheinlichkeit = geringe Wahrscheinlichkeit. ] macht; oder vielmehr auf die der sieben ersten derselben, indem die drei folgenden bereits nicht mehr in gleichem Maße einen allgemeinen Charakter tragen. Notabene. Unwahrscheinlichkeit = geringe Wahrscheinlichkeit.]
  13.448[2]   I. Das erste dieser Prinzipien ist die Definition der Wahrscheinlichkeit selbst. Sie ist, sagt Laplace, das Verhältnis der Zahl der günstigen zu der aller gleich möglichen Fälle. Wenn ich weiß, dass von einem oder mehreren miteinander unvereinbaren Fällen, in welchen ein Ereignis sicher eintritt und oder sicher nicht eintritt, das eine oder andere wirklich ist oder[?] nicht ist, was

337
für die Annahme des einen Falles und nicht ebenso für die eines jeden anderen spricht; so ist die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses das Verhältnis der Zahl der ihm günstigen Fälle zu der Gesam̅tzahl.
  13.449[1]   Das Verständnis dieses Prinzips unterliegt, nach dem, was wir schon früher über die Wahrscheinlichkeit erörtert haben, keiner Schwierigkeit. Wann ist etwas wahrscheinlich? – Dann, wann wir wissen, dass von zwei oder mehreren Ereignissen eines, und zwar nur eines, wirklich ist, aber nichts uns einen Anhalt gibt, zu glauben, dass das eine eher als das andere wirklich sei. So ist die Wahrscheinlichkeit von einem halb so groß als die von zweien, und n mal größer als die Wahrscheinlichkeit der Gesamtheit, wenn n die Zahl der Gesamtheit ist. Aber die Wahrscheinlichkeit der Gesamtheit = 1. Also ist die des einzelnen Falles = 1 / n. Wenn nun in m Fällen das Ereignis eintritt, in allen anderen aber nicht eintritt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass irgendwelcher ihm günstige Fall und somit auch die, dass es selbst eintritt = m • 1 / n = m / n. Man nennt solche Fälle gleichmögliche Fälle (uneigentlicher Gebrauch von[?] „mögliche“) hier für das, dessen Sein oder Nichtsein uns ungewiss, und nur mehr oder minder wahrscheinlich ist. Mit Sicherheit können wir dann keines behaupten oder verwerfen. Indessen ist es, wenn es sich um mehr als zwei derartige gleich denkbare Tatsachen handelt, von einer einzelnen, willkürlich herausgenommenen, wahrscheinlicher, dass sie nicht wirklich sein werde, da wir mehrere gleich denkbaremögliche Fälle seine Existenz ausschließen sehen, während nur einer ihr günstig ist.
  13.449[2]   Ist die Gesamtzahl der gleich denkbaren Fälle drei, so ist die WahrscheinlichkeitWahr-


338
scheinlichkeitWahrscheinlichkeit der Existenz dessen, dem nur ein Fall günstig ist, ein Drittteil der Wahrscheinlichkeit oder vielmehr der Gewissheit, dass einer der drei Fälle eintreten werde, und daher sagt man, indem man die Zahl der Gewissheit = 1 annimmt, ihre Wahrscheinlichkeit sei ⅓.
  13.450[1]   Die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit von etwas geschieht also in der Weise, dass man die sämtlichen bei einer gewissen Frage denkbaren Fälle auf eine bestimmte Zahl gleich möglicher, d. h. solcher Fälle zurückführt, in Bezug auf deren Existenz wir gleichmäßig unentschieden sind, und die Zahl der günstigen Fälle bestimmt. Die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses ist also gleich dem Verhältnis der Zahl der ihm günstigen zu der aller möglichen Fälle, wenn diese Fälle gleichmöglich sind.
  13.450[2]   Das Verhältnis dieser Zahl zur Gesamtzahl der gleichdenkbaren Fälle. Der echte Bruch, dessen Zähler die Zahl der günstigen und dessen Nenner die Gesamtzahl der möglichen Fälle ist, ist dann das Maß dieser Wahrscheinlichkeit.
  13.450[3]   Notabene. Auch das Unwahrscheinlichste wird in diesem Sinn wahrscheinlich genannt. Es ist in sehr geringem Maß wahrscheinlich.
  13.450[4]   Hienach verstehen wir nicht bloß das erste Prinzip, sondern auch das zweite.
  13.450[5]   II. Sind die verschiedenen Fälle nicht gleich möglich, so bestimme man zuerst das Verhältnis der Möglichkeiten eines jeden Falles zu der eines unter ihnen, eine Aufgabe, die ganz besondere Sorgfalt und Behutsamkeit verlangt. Der Ausdruck eines jeden solchen Verhältnisses ist eine ganze oder gebrochene Zahl. Die Summe dieser Zahlen, soweit sie den dem Ereignis günstigen Fällen zukommen, zu ihrer Gesamtsumme ist dann die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses.
  13.450[6]   Beispiel: eine WürfelScheibe zweimal geworfen. Welche Wahrscheinlichkeit, einmal wenigstens eine gerade Zahl die weiße Seite zu werfen? Vier gleichmögliche Fälle: ¾. Man kann mit d’Alembert drei zählen: 1, im ersten Wurf (dann endigen); 2, im ersten nicht, aber im zweiten; 3, im ersten und zweiten nicht. Dies führte ihn zu ⅔. Aber ½ + ¼ = ¾.
     

339
     
  13.451[1]   III. Sind zwei Ereignisse voneinander unabhängig, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie beide eintreten, das Produkt der Wahrscheinlichkeit der einen mit der Wahrscheinlichkeit der anderen. Wurf von Doppeleins mit zwei Würfeln. ⅙ • ⅙.
  13.451[2]   Wichtigkeit für Beurteilung historischer Zeugnisse. Wenn die Wahrscheinlichkeit (Glaubwürdigkeit jeder Mitteilung) eines jeden von zwanzig Zeugen, von denen einer das von den anderen Empfangene weiterberichtet, gleich 9/10 ist, so ist die der Tatsache (9/10)²⁰ = < ⅛.
  13.451[3]   Veranschaulichung an der Durchsichtigkeit aufeinandergelegter Gläser. Ebendarum sind die komplizierteren Hypothesen weniger wahrscheinlich.
  13.451[4]   Man sagt auch kurz: Die zusammengesetzte Wahrscheinlichkeit ist das Produkt der einfachen Wahrscheinlichkeiten.
  13.451[5]   „In den rein mathematischen Wissenschaften sind die entferntesten Folgerungen noch ebenso sicher wie die Grundsätze, von denen man ausgegangen ist. Bei Anwendung der Analysis auf physikalische (oder philosophische) Lehren geht die Wahrscheinlichkeit der zu Grunde gelegten Voraussetzungen auf alle Folgerungen über. In den historischen Wissenschaften leitet man dagegen jede Folgerung nur auf eine wahrscheinliche Art aus den vorhergehenden Sätzen ab. Welche Sorgfalt man daher auch anwenden mag, um Täuschungen zu vermeiden, so wächst die Größe des möglichen Fehlers doch mit jedem Schritte und für entferntere Fol-


340
gerungen dieser Art wird es viel wahrscheinlicher, dass das Resultat unrichtig als dass es richtig ist.“ (Wörtlich aus Hagen.) Argument des anglikanischen Theologen für den Untergang in nicht länger als einem gewissen Zeitraum.
  13.455[1]   IV. Sind zwei denkbare Ereignisse voneinander abhängig, so ist die Wahrscheinlichkeit der zusammengesetzten Tatsache das Produkt der Wahrscheinlichkeit der ersten Tatsache mit der Wahrscheinlichkeit der zweiten unter Voraussetzung der ersten.
  13.455[2]   Wie wahrscheinlich ist es, aus zwei von drei Urnen A, B, C, von welchen die eine nur schwarze, die anderen nur weiße Kugeln enthalten, beim ersten Zug weiße zu ziehen?
  13.455[3]   Die Wahrscheinlichkeit ist nicht ⅔ • ⅔, sondern ⅔ • ½ (denn, nachdem aus der Urne A eine weiße Kugel gezogen ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass B weiße enthält, nur noch ½). Wie wahrscheinlich ist es bei einem Haufen von Karten, welche aus den sämtlichen einer Farbe besteht, zuoberst das Ass, dann 2 zu finden? Nicht 1/13 • 1/13, sondern 1/13 • 1/12. Wie wahrscheinlich ist in einer gewöhnlichen Lotterie 13, 82, 90 (wenn nicht gerade ein besonderes Ereignis in den allerhöchsten Kreisen in ominöser Weise die Wahrscheinlichkeiten abändert)? Nicht • • , sondern • • ; es wäre auch jenes nur , nun aber (hiebei vergessen, dass fünf Nummern gezogen werden).
  13.455[4]   (Notabene. Eigentlich scheint die historische Glaubwürdigkeit hieher zu gehören, denn abhängig voneinander. Die Wahrscheinlichkeit eines berichteten Ereignisses, dessen Wahrscheinlichkeit a priori ½, sinkt daher nie unter ½. Anders die Konkurrenz mehrerer historischer Zeugnisse.)
  13.455[5]   Man sieht hier den Einfluss der vergangenen Ereignisse

341
auf die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen.
  13.456[1]   Der Bestimmung dieses Einflusses dient das folgende Prinzip, ein Korollar des vorigen.
  13.456[2]   V. Berechnet man die vorgängige Wahrscheinlichkeit des eingetretenen (beobachteten) Ereignisses und die eines Ereignisses, welches aus ihm und einem erwarteten (unbekannten) zusammengesetzt ist, so wird die zweite Wahrscheinlichkeit, dividiert durch die erste, die aus dem beobachteten Ereignis sich ergebende Wahrscheinlichkeit des erwarteten Ereignisses sein.
  13.456[3]   Frage nach dem Einfluss der Vergangenheit auf die Wahrscheinlichkeit der Zukunft. Wenn beim Spiel von Kopf oder Rücken der Kopf öfter gekommen ist, so drängt uns dieser Umstand allein schon dahin zu glauben, dass in der Beschaffenheit der Münze etwas liege, was dies begünstige.
  13.456[4]   Ebenso wenn einer permanent Glück hat reussiert , wird dies als Beweis von Geschicklichkeit betrachtet. Und dies lässt mit Vorliebe uns ihrer bedienen.
  13.456[5]   In Fällen dagegen, wo wir durch die Unbeständigkeit der Verhältnisse fort und fort zu einem Zustand der Unentschiedenheit zurückgeführt werden, wäre es töricht, der Vergangenheit, die ja kein Licht auf die Zukunft werfen kann, Rechnung zu tragen. Hiezu:
  13.456[6]   Jede der denkbaren Ursachen eines beobachteten Ereignisses ist um so wahrscheinlicher, je wahrscheinlicher das Eintreten des Ereignisses unter ihrer Voraussetzung ist. Die Wahrscheinlichkeit der Existenz einer jeden dieser Ursachen ist daher ein Bruch, wovon der Zähler die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses unter Annahme der Ursache, und wovon der Nenner die Summe seiner Wahrscheinlichkeiten unter Annahme aller dieser Ursachen ist.
  13.456[7]   Sind diese verschiedenen Ursachen, vorgängig betrachtet, ungleich wahrscheinlich, so muss anstatt der Wahrscheinlichkeit des Ereignisses, die aus jeder Ursache resultiert, das Produkt von ihr und der vorgängigen Wahrscheinlichkeit der Ursache selbst gesetzt werden.
  13.456[8]   Dies ist das Grundprinzip jenes Teils der Wahrscheinlichkeitstheorie, welche von den Wirkungen zu den Ursachen aufsteigen lehrt.
  13.456[9]   In ihm liegt die Erklärung, warum man regelmäßige Ereignisse einer partikulärenbesonderen

342
Ursache zuschreibt.
  13.457[1]   Manche Philosophen meinten, sie seien minder möglich.
  13.457[2]   Zum Beispiel zwanzigmal sechs sei minder leicht für die Natur als irgend eine unregelmäßige Folge. Dies ist aber offenbar falsch. Nur darum sind die regelmäßigen Kombinationen seltener, weil sie minder zahlreich sind.
  13.457[3]   Warum also suchen wir eine Ursache, wo Symmetrie?
  13.457[4]   Nicht weil das symmetrische Ereignis minder möglich ist, sondern weil dies Ereignis entweder Folge einer regelmäßigen Ursache oder des Zufalls sein kann, und die erste dieser Annahmen wahrscheinlicher als die zweite ist. Folge ein und derselben konstanten Ursache oder von einer Aufeinanderfolge verschiedener voneinander unabhängiger Ursachen ist, deren Gesamtwahrscheinlichkeit = das Produkt ihrer Wahrscheinlichkeit kleiner ist als die ein und derselben konstanten Ursache.
  13.457[5]   Konstantinopel (wenn von keiner Bedeutung, nicht leichter durch Zufall, und doch vermuten wir eine besondere Ursache, weil unvergleichlich wahrscheinlicher).
  13.457[6]   Geringe Glaubwürdigkeit eines außerordentlichen Berichtes (gegen De Maistre. [3 W. unl.]), wie Wunder? Es kommt in Wahrheit darauf an, ob seltener ein Wunder oder seltener, dass solche Zeugen die Unwahrheit sagen. Und dann noch, ob nicht denkbar, dass dieses (dass sie unwahr berichten, das Wunder, oder eine wunderähnliche außerordentliche providentielle Fügung) Instanz. Jedes historische Ereignis unendlich unwahrscheinlich, z. B. die Existenz eines Mannes vom Namen J. Cäsar mit den und den Personalien, Freunden, Feinden etc. in der und der Zeit, an dem und dem Ort. Glaubwürdigkeit des Berichts über die Lotterie (worin ich weiß nur eine Kugel schwarz und diese Nummer 47. Die und weiß. Ich habe 47 gesetzt.) lassen fragen, ob eine schwarze oder weiße? – Schwarz. Der Berichtende 89/90 Wahrscheinlichkeit. Welche Glaubwürdigkeit in diesem Fall? Lasse fragen, welche Nummer? – 47. Derselbe Berichtende. Welche Glaubwürdigkeit? Warum? Das eine mal ½, das andere mal 89/90. Antwort.
  13.457[7]   Alle Naturwissenschaft.
  13.457[8]   Notabene. Der teleologische Beweis vom Dasein Gottes ruht auf diesem Prinzip.
  13.457[9]   (Notabene Notabene. Was Laplace von den Ursachen und Wirkungen sagt, gilt ebenso hinsichtlich der Gesetze und Folgen.)
     

343
     
  13.458[1]   VII. Die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Ereignisses, das in Folge verschiedener denkbarer Ursachen eintreten kann, ist die Summe, welche man erhält, wenn man die aus dem beobachteten Ereignis sich ergebende Wahrscheinlichkeit jeder Ursache mit der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Ereignisses unter Voraussetzung dieser Ursache multipliziert und die Produkte addiert.
  13.458[2]   Beispiel. Urne mit zwei Kugeln, welche schwarz, weiß oder gemischt sind.
  13.458[3]   Man zieht eine heraus und wirft sie wieder hinein.
  13.458[4]   Bei zweimaliger Wiederholung hat man jedesmal eine weiße erhalten.
  13.458[5]   Wie wahrscheinlich ist es, auch beim dritten mal eine weiße zu ziehen?
  13.458[6]   Zwei Hypothesen. Welche ihre vorgängige Wahrscheinlichkeit? 1 : 2.
  13.458[7]   In der einen Voraussetzung ist die Wahrscheinlichkeit des beobachteten Ereignisses = ¼.
  13.458[8]   In der anderen = 1.
  13.458[9]   Ferner. Die letzte[?] Hypothese = 1 • 1 : 2 • ¼ : der[?] ersten = zweimal wahrscheinlicher[?], also ⅔, jene ⅓. ] Daher ist zu Folge des sechsten Prinzips das zweite viermal wahrscheinlicher als das erste, d. h. diese ist, jene ⅘. Nun ist

344
in der ersten Hypothese die Wahrscheinlichkeit, eine weiße zu ziehen, ½; in der zweiten 1. Man erhält also ⅕ • ½ + ⅘ • 1 = 9/10 als Wahrscheinlichkeit, eine weiße Kugel beim dritten Zug zu ziehen. ⅓ • ½ + ⅔ • 1 = 1 + 4/6 = ⅚. (Fehlerhafte Lösung von Laplace und alle ihm gefolgt.)
  13.459[1]   Notabene. Ist die Wahrscheinlichkeit eines einfachen Ereignisses unbekannt, so kann man in gleicher Weise alle Werte von 0–1 für sie vermuten.
  13.459[2]   Die Wahrscheinlichkeit jeder dieser Hypothesen, die sich aus dem beobachteten Ereignis ergibt, ist nach dem sechsten Prinzip ein Bruch, dessen Zähler die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses unter dieser Hypothese und dessen Nenner die Summe der Wahrscheinlichkeiten, die ihm in ähnlicher Weise unter allen Hypothesen zukommen, ist. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Möglichkeit des Ereignisses in gegebenen Grenzen eingeschlossen ist, die Summe der Brüche, welche in diesen Grenzen eingeschlossen sind. Multipliziert man nun jeden Bruch mit der Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Ereignisses, wie sie sich aus der entsprechenden Hypothese ergibt, so wird die Summe der Produkte, die sich für alle Hypothesen ergeben, nach dem VII. Prinzip die Wahrscheinlichkeit des zukünftigen Ereignisses sein, wie sie sich aus dem beobachteten Phänomen ergibt.
  13.459[3]   Man findet so (durch eine sehr einfache Anwendung der Differentialrechnung), dass, wenn ein Ereignis der Reihe nach n-mal eingetroffen ist, die Wahrscheinlichkeit, dass es auch noch das folgende mal eintreffen werde = N + 1 / N + 2 ist. Beispiel von Laplace: Wenn die Geschichte 5 000 Jahre oder 1 826 213 Tage zurückreicht und wir wissen, dass die Sonne während dieser Zeit beständig nach 24 Stunden aufgegangen ist, so kann man 1 826 214 gegen 1 wetten, dass sie auch morgen wieder aufgehen werde.
  13.459[4]   Lotzes neue Ableitung (System der Philosophie I). Er meint größere Klarheit. Ich weiß nicht, ob ein Philosoph ihm zustimmt. Denn den Philosophen von heute ist viel zuzutrauen. Und manchem dürfte die Genauigkeit unwürdig und lästig scheinen wie bei Geldsachen (Aristoteles). Aber jedenfalls kein Mathematiker und auch kein mathematischer Kopf. Ich habe, sagt Lotze, nun zwei Gründe dafür und einen dagegen. Nein! Vorher kein Grund dafür und keiner dagegen und ebendarum gleich wahrscheinlich. Wenn nun ein Grund dafür und keiner dagegen, warum die Wahrscheinlichkeit = ⅔? Es muss auf die Stärke des Grundes ankommen. Und diese hängt von der Leichtigkeit ab, mit welcher das eingetretene Ereignis sich aus den verschiedenen denkbaren Hypothesen erklärt. ]
  13.459[5]   Natürlich nur, wenn wir sonst keinen Anhaltspunkt hätten. Für den, der aus der Gesamtheit der Phänomene

345
das die Tagzeiten beherrschende Prinzip kennt und im gegenwärtigen Augenblick nichts findet, was seinem Lauf Einhalt tun kann, ist die Wahrscheinlichkeit eine unvergleichlich gröſsere.
  13.460[1]   Buffon in seiner politischen Arithmetik berechnet diese Wahrscheinlichkeit anders. Er meint, dass sie = 1 weniger einen Bruch, dessen Zähler 1 und dessen Nenner die auf eine der Zahl der Tage verflossenen gleiche Potenz erhobene Zahl 2 ist.
  13.460[2]   Aber dieser berühmte Schriftsteller kannte nicht die wahre Weise, aus den vergangenen Ereignissen die Wahrscheinlichkeit der Ursachen und der zukünftigen Ereignisse zu erschliessen. Aber Fehlerhaftigkeit auch der Lösung von Laplace. Obwohl auch hier einer, der bis heute immer wiederholt. Einlage. Warum?    —
  13.460[3]   Notabene. Ich will sehen, ob es mir nicht gelingt, Ihnen in einer etwas anderen Weise als die, welche Laplace hier angedeutet hat, und ohne Anwendung irgendwelcher schwieriger mathe-


346
matischer Operationen, den erwähnten Satz zu beweisen.
  13.461[1]   Um die Aufgabe uns zu erleichtern, wollen wir von einigen speziellen Fällen ausgehen, um dann erst den Satz im allgemeinen zu beweisen.
  13.461[2]   a) Denken wir uns, wir stünden vor einer Urne mit 5 Kugeln und es wäre vorgängig gleich wahrscheinlich, dass 1, 2, 3, 4 oder alle 5 oder auch keine weiß seien.
  13.461[3]   Nun zögen wir 4 heraus und alle wären weiß.
  13.461[4]   Welche Wahrscheinlichkeit besteht, dass die fünfte weiß ist?
  13.461[5]   Lösung: Zu Anfang sechs gleichwahrscheinliche Hypothesen.
  13.461[6]   Von diesen sind jetzt nur noch zwei übrig:

1). 4 weiß, 1 nicht.

2). 5 weiß.

Nach der ersten Hypothese ist das beobachtete Ereignis nach unserem viertem Prinzip = ⅘ • ¾ • ⅔ • ½ = ⅕. Nach der zweiten = 5/5.
     

347
     
  13.462[1]   Also, da vorgängig kein Unterschied, nach unserem sechsten Prinzip die zweite Hypothese fünfmal wahrscheinlicher als die erste, also ⅚ = 4+1 / 4+2.
  13.462[2]   b) Denken wir uns statt 5 Kugeln 6 oder 7 in der Urne, und wieder vorgängig gleich wahrscheinlich, dass 1 oder 2 u. s. f. oder auch gar keine weiß.
  13.462[3]   Wiederum werden 4 herausgezogen. Alle sind weiß.
  13.462[4]   Wie wahrscheinlich nun, dass die fünfte, welche zunächst? Werden die sechste oder auch die sechste und siebente Kugel, die darin bleiben, einen Unterschied machen?
  13.462[5]   Es scheint nein!
  13.462[6]   Doch sehen wir, ob die Rechnung die Vermutung bestätigt.
  13.462[7]   α), für 6:
     
  13.464[8]   Von den anfängliche 7 gleichwahrscheinlichen Hypothesen offenbar nur 3 übrig:

1). 4 weiss, 2 nicht;

2). 5 weiss, 1nicht;

3). 6 weiss.
  13.464[9]   Nach der ersten ist das beobachtete Ereignis nach unserem vierten Prinzip

= (4/6 • 3)/5 • 2/(4 • 1/3) = 2/30 = 1/15;

nach der zweiten

= 5/6 • (4/5 • 3)/(4 • 2/3) = 10/30 = 5/15;

nach der dritten = 15/15.
  13.464[10]   Also die Wahrscheinlichkeit der ersten Hypothese = 1/21, der zweiten = 5/21, der dritten = 15/21.
  13.464[11]   Nach der dritten das nächste mal 1; nach der zweiten ½; nach der ersten 0.
  13.464[12]   Daher 15/21 • 1 + 5/21 : 1/2 = 35/42 = 5/6.
  13.464[13]   Also dasselbe = 4+1 / 4+2.
     

348-1
     
  13.465[1]   β) Betrachten wir dasselbe noch nach der dritten Annahme der 7 Wirtshäuser.
  13.465[2]   Von den 8 Hypothesen nur 4 übrig. Nach der ersten ist das beobachtete Ereignis nach unserem vierten Prinzip (4)/7 • 3/6 • 27/5 • 1/(4) = 6/210 = 1/35;

nach der zweiten 5/7 • (4)/6 • 3/5 • 2/(4) • 1 = 30/210 = 5/35;

nach der dritten 6/7 • 5/6 • (4)/5 • 3/(4) • 1 = 90/210 = 15/35;

nach der vierten = 210/210 = 35/35.
  13.465[3]   Also Wahrscheinlichkeit der ersten Hypothese = 1/56;

nach zweiten = 5/56;

nach dritten = 15/56;

nach vierten = 35/56.
  13.465[4]   Nach der ersten das nächste Mal = 0; nach der zweiten ⅓; nach der dritten ⅔; nach der vierten 1.
  13.465[5]   Daher 35/56 + 15•2 / 56•3 + 5•1 / 56•3 = 140/168 = 10/12 = 5/6.
     

348-2
     
  13.462[1]   c) Man sieht aus den Beispielen, dass es vollkommen gleichgültig ist, ob und um wieviel die Zahl der in der Urne enthaltenen Kugeln die Fünfzahl übersteigt, wenn nur im Übrigen die Bedingungen die gleichen sind. Die resultierende Wahrscheinlichkeit wird die gleiche sein, wenn statt 5 Kugeln eine Million oder eine Billion in der Urne gedacht wird. Ich brauche darum gar nicht zu wissen, wie groß die in der Urne enthaltene Zahl von Kugeln ist, ja nicht einmal, ob sie endlich oder unendlich ist.
  13.462[2]   d) Doch betrachten wir den letzten Fall noch besonders!
     
  13.466[3]   Denken wir, wir stünden vor einer Urne mit unendlich vielen Kugeln. [2 W. unl.] Ohne größere Wahrscheinlichkeit, dass 0 oder 1 oder 2 oder 3 usw. oder alle weiß.
  13.466[4]   Und man würde fragen, was ist wahrscheinlich usw., wenn ich jetzt 5 Kugeln herausziehe, dass alle weiß oder 4 weiß und 1 nicht oder 3 weiß und 2 nicht etc. Ich müsste sagen: Keines. Es ist alles gleich wahrscheinlich.
  13.466[5]   Nur das eine weiß ich, dass jedes von ihnen 1/6, indem von 6 Fällen jedenfalls einer.
  13.466[6]   Es sind also 6 Hypothesen gleich möglich: 1) dass die Umstände so, dass ich unter den ersten fünfmal fünfmal weiss, 2)
  13.466[7]   Fragt man nun weiter: Wie wahrscheinlich ist es unter Annahme einer jeden der 6 Hypothesen, dass ich viermal weiß ziehen werde?
  13.466[8]   Nach der, dass 5 = 1.
  13.466[9]   Nach der, dass 4 = ⅘ • ¾ • ⅔ • ½ = ⅕.
  13.466[10]   Nach den übrigen = 0.
  13.466[11]   Man ziehe nun viermal, und es sei jedesmal eine weiße.
  13.466[12]   Wie wahrscheinlich ist es, dass man das fünfte Mal eine ziehen werde?
  13.466[13]   Offenbar muss die Wahrscheinlichkeit ⅚ sein.
  13.466[14]   Denn das , dass ich viermal weiß gezogen habe, erklärt sich aus der einen von den vorgängig gleich wahrscheinlichen Hypothesen, dass die Umstände so sind, dass ich unter den ersten fünf Malen fünfmal weiß ziehe, fünfmal leichter als aus der Hypothese, dass die Umstände so sind, dass ich unter den ersten fünf Malen viermal weiß ziehe, wie eben gezeigt.
  13.466[15]   Nun verhalten sich die Wahrscheinlichkeiten der Hypothesen wie die Wahrscheinlichkeit des zu erklärenden Ereignisses unter Annahme der Hypothese multipliziert mit der vorgängigen Wahrscheinlichkeit der Hypothese selbst. Also wie ⅚ • ⅙ : ⅙ • ⅙ = ⅚ : ⅙ = 5 : 1.
  13.466[16]   Also ist ⅚-mal wahrscheinlicher, dass ich auch das nächste Mal weiss ziehen werde = N + 1 / N + 2.
     

348-3
     
  13.462[1]   e) Somit ist die Behauptung von Laplace allgemein erwiesen:
  13.462[2]   Ist d Wahrscheinlk ė einfaches Ereigniss essen vorgängig völlig unbekannt ist, der Reihe nach N-mal eingetroffen,

348
so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es auch noch das folg. folgende Mal eintreffen werde = N + 1 / N + 2. Denn dann der gleiche Fall wie bei den Urnen.
  13.463[1]   f) Daher ist denn auch die Bestimmung der Wahrscheinlichkeit des Sonnenaufganges unter den angegebenen Bedingungen richtig. Falsch! ]
  13.463[2]   g) Man könnte noch mehr verallgemeinern:
  13.463[3]   Man könnte sagen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es das vierzehnte Mal später eintreffen werde, = N + 1 / N + 2, z. B. ebenso der Sonnenaufgang in vierzehn Tagen.
  13.463[4]   (Wenn viermal aus der Urne gezogen, so ist es ebenso wahrscheinlich, dass beim dritten unter den folgenden Zügen als beim ersten wieder weiß.
  13.463[5]   Man fasse nur ihn mit den vier Zügen zusammen und frage, welche die vorgängige Wahrscheinlichkeit sei, dass unter diesen fünf fünfmal, und dass unter ihnen viermal weiß usw.)
     

349
     
  13.468[1]   h. Daher könnte einer glauben, hier habe er ein Prinzip, um das Maß der Wahrscheinlichkeit der Induktionen zu bestimmen.
  13.468[2]   Bei unendlich vielen Fällen wird jeder folgende Fall ∞ + 1 / ∞ + 2 als Wahrscheinlichkeit bestimmt.
  13.468[3]   i. Allein, sehr im Irrtum! Jeder einzelne folgende Fall für sich genommen, nicht aber die Gesamtheit hat die angegebene Wahrscheinlichkeit. 2 zusammen nach dem vierten Prinzip = n + 1 / n + 2 • n + 2 / n + 3 u. s. f.
  13.468[4]   Und bei sehr großer Vervielfältigung ist es sehr unwahrscheinlich statt wahrscheinlich, dass sie alle in Übereinstimmung mit den beobachteten sind. Zum Beispiel 10 Kugeln in der Urne: 5/6 • 6/7 • 7/8 • 8/9 • 9/10 • 10/11 = 5/11, also < ½.
  13.468[5]   k) Daher darin nicht die Berechtigung für eine Induktion, sondern für eine Analogie (vom Besonderen auf das Besondere). Am allerwenigsten eine Induktion,

350
die zu sicherer Annahme des allgemeinen Gesetzes berechtigt. Gar keine überwiegende Wahrscheinlichkeit, selbst bei unzähligen Fällen.
  13.469[1]   l) Wenn aber dies, so scheint überhaupt die unvollständige Induktion unberechtigt. Zu ihr!
  13.469[2]   II. Von der Berechtigung gewisser unvollständiger Induktionen.
  13.469[3]   1. Die Betrachtung am Ende der vorigen Stunde hat uns das Bedürfnis nach einer Lehre von der Prüfung der unvollständigen Induktionen recht fühlbar gemacht.
  13.469[4]   2. Die gewöhnliche Annahme derjenigen, deren Verstand noch nicht durch das Studium der Logik oder als Ersatz dafür durch eigene induktive Untersuchungen empirisch über die Erfordernisse einer zuverlässigen Induktion belehrt worde ist, geht dahin, dass je größer die Anzahl der einzelnen Fälle, welche bei einer unvollständigen Induktion in Rechnung gebracht, und sämtlich in Übereinstimmung mit einem gewissen denkbaren allgemeinen Gesetz befunden worden, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit sei, dass das Gesetz wirklich bestehe (indem die unvollständige Induktion sich auf diese Weise mehr und mehr der vollständigen nähere).
  13.469[5]   Zugleich glaubt man, dass diese allein sicher sei, die andere nicht als vollkommen sicher betrachtet werden könne.
  13.469[6]   Der erste Teil dieser Ansicht scheint vollständig zerstört.
  13.469[7]   Eine Induktion per enumerationem simplicem, ubi non reperitur instantia contradictoria (wie man eine solche Weise des Induzierens nennt), scheintist immer unberechtigt, und zwar vollständig, selbst wenn unendlich viele Fälle. Nicht einmal dann besteht eine irgendwie überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Allgemeingültigkeit des Gesetzes, geschweige eine physische

351
Sicherheit.
  13.470[1]   Nur der Analogieschluss allerdings kann mit Sicherheit geführt werden.
  13.470[2]   4. Für den zweiten Teil der Ansicht, soweit er von dieser inductio per enumerationem scheint ] simplicem ubi non etc. spricht, also vollkommen zuzugeben, dass er richtig, ja mehr als dies.
  13.470[3]   5. Aber nicht von jeder unvollständigen Induktion, d. h. nicht von jedem Schluss, der aus einer oder mehreren besonderen Wahrheiten die Wahrheit eines allgemeinen Gesetzes, welchem sie mit vielen anderen als besondere Fälle untergeordnet sind, folgert.
  13.470[4]   6. Es ist dies nicht einmal schwer zu beweisen und ich hoffe, es werde uns in den folgenden kurzen Erörterungen zur Genüge gelingen, sowohl die Berechtigung gewisser unvollständiger Induktionen überhaupt, als auch die der hauptsächlichen Arten klar zu machen.
     

352
     
  13.480[1]   1. Sie muss aus den Daten mit Notwendigkeit oder unendlicher Wahrscheinlichkeit folgen.
  13.480[2]   2. Hienach zwei Fälle: zwei Hauptklassen. (Ähnlich wie die Schlüsse überhaupt.)
  13.480[3]   4. Auch aus diesem Gesichtspunkt eine Mehrheit von Fällen. Entweder handelt es sich um einen allgemeinen Begriff mit einer beschränkten Zahl von Individuen oder um eine mit unbeschränkter.
  13.480[4]   Beispiel: Pferd (alle vergangenen und künftigen, je auf dem Planeten lebenden mitinbegriffen) – Apostel Christi. 1 000 Jahre – alle Jahre, die noch kommen werden.
  13.480[5]   Ferner entweder um etwas, was nicht ist, weil es an und für sich unmöglich ist, oder um etwas, was nicht ist, aber nicht an und für sich, sondern höchstens de facto unmöglich ist. Zum Beispiel, dass kein Papst vor Pius IX länger als 25 Jahre regierte (nachdem es geschehen, unmöglich nicht; anders, dass kein Dreieck zur Winkelsumme größer 2 R).
  13.480[6]   5. Manche haben auf die letzten Klassenunterschiede vorzügliches Gewicht gelegt; und sie verdienen auch Beachtung. Wenn man aber so weit ging, die anderen aus der Reihe der Induktionen zu streichen, so muss man fragen, wohin? Auch vielfach ein ganz gleiches Verfahren.
  13.480[7]   6. Wichtiger und fundamentaler für den Charakter des Schlusses ist der erste Klassenunterschied (Nr. 2).
  13.480[8]   Der erste Fall, wenn ein Widerspruch.
  13.480[9]   Der zweite, wenn unendliche Unwahrscheinlichkeit in der Verwerfung des Schlusssatzes und der Annahme der Prämissen.
     

353
     
  13.481[1]   7. Aber wie ist das erste denkbar, wenn die Induktion unvollständig?
  13.481[2]   Allerdings unmöglich, wenn mir nichts über die Übereinstimmung der gegebenen Fälle mit anderen bekannt ist.
  13.481[3]   Aber dies kann der Fall sein, auch wenn ich nicht weiß, ob sie in Merkmal A oder übereinstimmen, somit ist auch ein Notwendigkeitsschluss durch unvollständige Induktion möglich.
  13.481[4]   8. Wir wollen dies etwas erläutern, indem wir auf spezielle Fälle, die zu dieser Klassegehören, eingehen und sie durch Beispiele erläutern.
  13.481[5]   A. I. Klasse.
  13.481[6]   1. Wenn gewiss, dass entweder BA oder B unmöglich ist, und ich finde tatsächlich, dass BA ist, so kann ich aus diesem einzelnen Fall schließen, dass ein B unmöglich ist, also alle BA.
  13.481[7]   Beispiel. So in der folgenden Lage: Es ist gewiss, dass entweder Wasser, das aus Wasserstoff und Sauerstoff in einem bestimmten Gewichtsverhältnis (von 1 : 8), unmöglich, oder Wasser, das nicht aus Wasserstoff und Sauerstoff u. s. w. unmöglich.
  13.481[8]   Ich finde durch chemische Analyse, dass das einzelne gegebene Wasser aus Wasserstoff und Sauerstoff etc. Also alles aus Wasser etc.
  13.481[9]   Anderer Fall: Es sei gewiss, dass der Binominalsatz (a + b) = , wenn für die Potenz n (wo n eine beliebige ganze Zahl) eben, so für die Potenz n + 1 gilt. Nun findet man durch Berechnung, dass er für die zweite Potenz gilt.
  13.481[10]   Ergo allgemein für alle Potenzen, welche ganze Zahlen.
  13.481[11]   Der Fall ganz ähnlich dem früheren, wie man deutlich sieht, wenn man zunächst den Schluss zieht, dass, wenn der Satz für eine ungebrochene Potenz, für alle gilt. Aber hierin schon ein besonderes Gesetz: Wenn die Arten einer Gattung eine Reihe und gewiss, dass entweder bei einem bestimmten Glied einer Reihe möglich oder bei ihm und allen folgenden unmöglich; und ich finde, dass beim ersten Glied unmöglich, so kann ich schließen, dass bei allen.
  13.481[12]   Der Unterschied vom vorigen ist dann nur, dass während im vorigen aus einer indirekten Beobachtung, hier aus einem berechneten speziellen Gesetz das allgemeine induziert wird.
  13.481[13]   2. Das Gesetz der Induktion in diesem Fall lautet also: Wenn gewiss, dass entweder BA oder B unmöglich ist und CB nicht ist, so kann ich aus diesem Spezialfall schließen, dass B unmöglich, also alle BA. Beispiel hiezu bei 4.
  13.481[14]   3. Bisher handelte es sich um an und für sich Notwendiges, um Gesetze und Begriffe von einer unbeschränkten Zahl von Individuen.
  13.481[15]   Aber ganz ähnlich ist der Schluss in folgendem Fall: Es sei mir bekannt, dass Alle Apostel derselben Rasse angehörten, aber nicht welcher. Ich finde nun, dass Jacobus ein Semit. Ergo alle Semiten.
     

354
     
  13.482[1]   Sie sehen daraus, wie Unrecht, diese von den Induktionen zu scheiden. (Nur sind die Induktionen, welche zu Gesetzen führen, der allgemeinere und wichtigere Fall. Aber über sie hinaus gilt die Regel, wenn entweder BAx oder Bx und BA; Bx.)
  13.482[2]   4. Wenn es unmöglich ist, dass B, indem es zu A hinzukommt, die Verbindung des A mit C oder die Trennung des A von C unmöglich macht, und ein ABC (respektive AB) unmöglich ist, so kann ich aus diesem speziellen Gesetz schließen, dass allgemein AC (respektive A) unmöglich ist, z. B. ich finde, dass der Inhalt jeder Pyramide = ein Drittel des Prismas von gleicher Höhe. So kann ich schließen, dass alle Körper von ebener Grundfläche, auf deren Oberfläche von den Grenzlinien dieser Grundfläche nach einem ausserhalb ihrer gelegenen Punkt eine gerade Linie gezogen werden kann = ein Drittel des Körpers, welcher von zwei parallelen Ebenen und im Übrigen von solchen Flächen begrenzt ist, auf welchen man zwischen je zwei Grenzpunkten der einen und anderen der genannten Flächen gerade und zueinander parallele Linien ziehen kann. Die Mathematiker haben dafür keinen allgemeinen Namen. Das Beispiel gehört zu Regel 2. Besser war das Beispiel in erster Auflage. (doch noch besser ein neues Beispiel zu suchen, z. B. Nachweis des Unterschieds der Dichtigkeit von Gusseisen und gehämmerten durch Wiegen[?] in Luft und Wasser; nur auf die Ausdehnung kommt es an).
     

355
     
  13.483[1]   B. II. Klasse.
  13.483[2]   1. Wenn nur ein Zweifaches denkbar, nämlich dass etwas in allen Fällen gleichmäßig eine gewisse endliche Wahrscheinlichkeit hat, oder dass es in allen notwendig ist, von diesen beiden aber der eine und andere mit vorgängig gleicher (oder wenistens nicht unendlich verschiedener) Leichtigkeit angenommen werden kann.
  13.483[3]   Und wenn es in einer unendliche Reihe von Fällen

356
ausnahmslos eintritt, so kann ich (mit physischer Sicherheit) schließen, dass das Gegenteil unmöglich ist, und dass es also niemals eintreten werde (Kausalitätsgesetz).
  13.484[1]   Notabene. Unterschied von dem mit Laplace betrachteten Falle.
  13.484[2]   Hier unendlich viele. Aber nicht immer nötig, ja oft genügt einer.
  13.484[3]   2. Wenn unendlich unwahrscheinlicher, dass der Grund der Unmöglichkeit einer Vereinigung (Trennung) von AC (respektive A) AbC respektive AB ] des A und (von) C in dem Hinzukommen von B zu A liegt, als in A, und es gewiss, dass AB mit (ohne) C unmöglich ist, so kann ich aus diesem speziellen Fall (mit physischer Sicherheit) schließen, dass allgemein A mit (ohne) C unmöglich ist.
  13.484[4]   Beispiele. 1) Peripheriewinkel = ½ Zentriwinkel gemessen. 2) Quadrate beim rechtwinkligen Dreieck gewogen. 3) Wie Archimedes. Cf. Metaphysik ad 30, 2. Das parabolische Segment = ⅔ des Parallelogramms, welches die Sehne zur Grundlinie hat und dessen obere Grundlinie mit der ihr parallelen Tangente der Parabel zusammenfällt. 4. Newtonscher Binominalsatz (cf. ebend. Metaphysik ad 30, 2. cf.).
  13.484[5]   Oder aus zwei Beispielen:
  13.484[6]   3. Wenn unendlich unwahrscheinlicher, dass sowohl B als M zu A hinzukommend es unmöglich machen, dass AC (respektive (A)) ] A mit (ohne) C ist, als dass eine solche Unmöglichkeit in A selbst ihren Grund hat. Und wenn gewiss ist, dass AB mit (ohne) C unmöglich und AM mit (ohne) C unmöglich, so können wir aus diesen speziellen Gesetzen schließen, dass allgemein A mit (ohne) C unmöglich ist.
  13.484[7]   Notabene. Auch mehr als zwei Beispiele, z. B.: 1) Wir hätten bei den Peripheriewinkeln den, der von gleichen Schenkeln und den, dessen Scheitel in dem der Sehne parallelen Durchmesser; 2) wir hätten bei den rechtwinkligen Dreiecken ein gleichschenkeliges und eines, wo eine Seite die Hälfte von der anderen, und eines, wo eine Seite = ein Drittel von der anderen Seite ist.
  13.484[8]   Hier aus einem Beispiel zu schließen nicht berechtigt, weil auch im Besonderen eine Regelmäßigkeit, aber aus der Mehrheit.
     

357
     
  13.485[1]   4. Wenn es leichter erklärbar, dass AB, wenn A nicht notwendig.
  13.485[2]   4. Wenn überhaupt eine gewisse Harmonie einer Reihe von Erscheinungen mit der Annahme eines denkbaren allgemeinen Gesetzes, unendlich wahrscheinlicherleichter unter seiner Annahme als unter allen anderen zu erwarten (und diese Annahme vorgängig nicht unendlich unwahrscheinlich ist). Und diese Harmonie besteht in einer Reihe von Erscheinungen. So sind wir zum Schluss auf jenes allgemeine Gesetz berechtigt.
  13.485[3]   So namentlich sich begleitende einander entsprechende Veränderungen, z. B. Mondstellungen und entsprechende Veränderungen in Zeit und Ort der Flut. Der Mond bringt Ebbe und Flut hervor und ein allgemeines Gesetz.
  13.485[4]   5. Wenn sicher, dass, wenn A nicht ohne B, B nicht ohne A sein kann.
  13.485[5]   Und noch eines der angegebenen Gesetze kann aus einzelnen Fällen gefolgert werden, z. B. aus A mit B, dass A nicht ohne B.
  13.485[6]   So kann aus diesen auch gefolgert werden, dass B nicht ohne A (umgekehrte Übereinstimmungsmethode). Zum Beispiel: Wenn kein erchtwinkliges Dreieck ohne Quadrat = Hypothenuse = dem der Kathete, so keines Quadrat der Hypothenuse = dem der Kathete, welches nicht rechtwinklig; und das erste induktiv konstatiert.
     

358
     
  13.486[1]   5. Es sei die Verursachung von A durch jeden beliebigen Faktor im Einzelnen gleichmäßig unendlich unwahrscheinlich. Es entsteht beim Eintritt von B und N und Faktoren. Und wiederum beim Eintritt von B und N von den ersten gänzlich verschiedenen Faktoren. So ist die Verursachung von A durch B allein physisch und ist immer zu erwarten, wo dieser Einfluss nicht durch positive Gegenwirkung paralysiert wird. (Übereinstimmungsmethode?)
  13.486[2]   Beweis. Der Einfachheit wegen ein Faktor außer B, so besteht nach dem Eintritt die Möglichkeit, dass B allein, dass C allein, dass B und C zusammen (B und C sollen nicht zerlegbar sein), was wie ein dritter Faktor betrachtet werden kann, somit ist die Wahrscheinlichkeit, dass B allein ⅓, C allein ⅓, CB ⅓. Das zweite Mal wieder außer B ein Faktor und wieder Eintritt. Drei Hypothesen: B allein, D allein, B und D zusammen. Von diesen hat vorgängig B ⅓, BD 1/∞, D 1/∞: somit ist es physisch sicher, dass B Ursache von A. C aber und CB verlieren wieder alle Wahrscheinlichkeit, denn aus B mit 1/∞ Wahrscheinlichkeit, aus C und D mit 1/∞² und ebenso aus BC und BD mit 1/∞². Ähnlich wenn N ein > u, aber endliche Zahl. Vgl. Variationsrechnung. Hieher das Beispiel Ende der folgenden Nummer mit Notabene.
     

359
     
  13.487[1]   Hieher vide inf. Nr. 6.
  13.487[2]   Nr. 6 Fortsetzung. ] Notabene. Ist die zufällige Verbindung von A und B nicht unendlich unwahrscheinlich und die gesetzliche unendlich unwahrscheinlich; so kann nie auf ein Kausalverhältnis geschlossen werden.
  13.487[3]   Aber der Grad der Wahrscheinlichkeit der zufälligen Verbindung kommt von Anfang an zu und steigt und wirkt allgemein.
  13.487[4]   Notabene. Ist die notwendige Verbindung nicht unendlich unwahrscheinlich und die zufällige auch nicht, so steigt die Wahrscheinlichkeit. nach Es scheint in dem Maß n / n+2. Die Wahrscheinlichkeit des einzelnen Falles aber wird: n / n+2 + 2 / n+2 (n+1 / n+2) = n²+2n+2 / n²+4n+4. Unendlich wahrscheinlich würde sie nur in unendlich vielen Beobachtungen.
  13.487[5]   Dann aber wegen Ausschluss der konstanten Bedingungen u. s. f. würde dies allgemein gelten außer für Fälle, wo positive Störung (und auch diese Beschränkung fiele weg, da ihr Nichteintreten n + 1 / n +2 Wahrscheinlichkeit erhalten hätte? – Nein! Wenn unendlich viele Fälle beobachtet, können ∞ • ∞ viele Fälle wiederkehren. Keine Garantie!)
  13.487[6]   Bernouilli und das entgegengesetzte Theorem.
  13.487[7]   Wichtigkeit auch der Wahrscheinlichkeitssuche durch unvollständige Induktion; doch beschränkt[?]: vgl. Lacroix, Traité Elementaire du Calcul des Probabilités, p. 49ff, p. 156ff und § 112, und Poisson (übersetzt von Schnuse[?]), § 49–§ 65.
  13.487[8]   Ergebnis: Nicht bloß Induktion, sondern auch unvollständige Induktion insbesondere hat kein von dem Unterordnungsschluss wesentlich verschiedenes Verfahren. Die allgemeinen Gesetze sind hier und dort dieselben.
     

360
     
  13.488[1]   6. Wenn die zufällige Aufeinanderfolge (Konkomitierung, Verbindung) (d. h. eine Aufeinanderfolge, welcher keine Kausalbeziehung zwischen A und B zu Grunde liegt) von A und (nach) B vorgängig unendlich unwahrscheinlich = 1 / U und die Aufeinanderfolge (Verbindung) (vermöge derer unter Ausschluss positiver Gegenwirkung A durch B erzeugt wird) von A und B in Folge einer gesetzlichen Beziehung zwischen beiden noch unendlich unwahrscheinlicher = 1 / U (wobei m eine beliebige positive endliche Zahl welche größer als 1, so ist es nach einer Zahl von Beobachtungen, welche größer als m, wenn dieselben in gänzlich veränderten Umständen statt hatten und ausnahmslos die Aufeinanderfolge von A nach B zeigten, physisch sicher, dass zwischen A und B eine gesetzliche Beziehung besteht, derzufolge (wenn jede positive Störung ausgeschlossen ist) A nach B in aller Zukunft mit physischer Sicherheit erwartet werden kann.
  13.488[2]   Beweis: 1. Die ursprüngliche relative Wahrscheinlichkeit = 1 / Um : 1 / U 2. Nach größer m Beobachtungen 1 / Um : 1 / U>m.
  13.488[3]   Somit die erste Hypothese unendlich wahrscheinlicher als die zweite. Daher also ist jene Kausalverbindung für jede endliche Zahl künftiger Fälle der Wiedereintritt bei Ausschluss positiver Störung gesichert.
  13.488[4]   Da nun Ereignisse, welche nicht kontinuierlich stattfinden, in keinem künftigen Moment unendlich oft stattgefunden haben werden, so kann diese Tatsache allgemein ausgesprochen werden: B ohne Ax (wenn keine positive Störung).
     

361
     
  13.489[1]   Notabene. (Es scheint Methode der Übereinstimmung.) Das Beispiel gehört nicht hieher, eher zum vorigen[?] Fall. Finger ins Feuer: im selben Moment Schmerz. Es könnten zunächst beliebig viele andere mir unsichtbare Umstände an dem Ort sein, welche den Schmerz hervorrufen, auch Eigentümlichkeiten der Flamme. Jedes vorgängig unendlich unwahrscheinlicher, aber nach zwei Beobachtungen in ganz verschiedenen Verhältnissen, wenn jeder Umstand außer den gleichen eliminiert; sicher, dass Schmerz, wenn nicht ein besonders störendes Hindernis, was in diesem Fall kaum anders als durch ein Wunder denkbar wäre.
  13.489[2]   7. Anders ist die Sache hier als bei der enumeratio simplex, ubi non invenitur instantia contraria. Wechsel der Umstände. Wenn darüber nicht vergewissert, so schwächt sich die Annahme ab. Doch erstens, gilt sie noch als sicher innerhalb der Grenzen, dass die Umstände weiterhin beharren oder wiederkehren; und zweitens über sie hinaus, aber nur mit der Wahrscheinlichkeit, dass die Umstände in einer entsprechenden Zahl von Fällen gänzlich sich erneuert hatten. Darum ja auch die Beschränkung bei Nr. 5, weil der Mangel der Gegenwart gewisser Faktoren nicht durch wenige, ja kaum durch unendliche Fälle auszuschließen ist.
  13.489[3]   8. Da wir vielfach nicht im Stande sind, alle Umstände, die von Bedeutung sein können, auszuschließen, namentlich allgemeine terrestrische oder astronomische und kosmische Einflüsse, und ebenso Zufälligkeiten der menschlichen Gesellschaft bei Bestimmung psychischer Gesetze.
  13.489[4]   So können wir dann nie zwei realisieren, aber eins gewinnt um so größeren Wert und um so umfassendere Bedeutung.
     

362
     
  13.490[1]   Notabene. Oft durch die Verbindung beider die Übereinstimmung und die nicht (doppelte Übereinstimmung). Indirekte Differenzmethode.
  13.490[2]   III. Teil. Von der Entdeckung. Rückblick auf die untergegangne Logik und den Neubeginn.
  13.490[3]   Werke zu empfehlen:
  13.490[4]   2. Arnauld, La Logique ou l’Art de penser. IV, besonders 1. und 2. Kapitel.
  13.490[5]   3. Laplace. Essai philosophique.
  13.490[6]   5. Drobisch, Neue Darstellung der Logik, Leipzig 1863. II. Teil, 3. Abschnitt; doch vieles Herbartisch verkehrt.
  13.490[7]   Die Newtonschen Regeln.
  13.490[8]   Lacroix. Traité Elementaires des Calcul des Probabilités, p. 3.
  13.490[9]   Baltzer, Lehrbuch Band I.
  13.490[10]   Condorcet .
  13.490[11]   Comte .
  13.490[12]   Whewell .
  13.490[13]   Herschel , Geschichte der Wissenschaften.
  13.490[14]   Apelt .
  13.490[15]   Sigwart .
  13.490[16]   Lotze .
  13.490[17]   Bain .
  13.490[18]   Lambert: Neues Organon. Achtsamkeit auf die S. 264.
     

363
     
  13.491[1]   Die einzelnen Fälle. Namentlich Lesen von Originalschriften großer Entdecker.
  13.491[2]   Wie die Theologen die Kirchenväter, auch nachdem alles extrahiert war, wegen d [1 W. unl.] und des christlichen Geistes behandelt haben: so behandeln wir die großen Forscher.