Liebe und Jesus
     
Logik


     
Begriff
  12.956[1]   1. Wir beginnen heute die Logik. Da ist es vor Allem nötig, dass wir eine kurze Begriffsbestimmung von der Disziplin geben, die wir behandeln wollen.
  12.956[2]   2. Die Logik wird von Verschiedenen verschieden definiert.
  12.956[3]   Ich sehe ab von solchen Definitionen, die vermöge irriger Grundanschauungen ihr Ziel gänzlich verfehlen. Aber auch die, welche an keinem derartigen Übel krank sind, weichen beim ersten Anhören nicht unwesentlich von einander ab. Manche haben die Logik als die Kunst des Denkens definiert, andere sagten, sie sei die Kunst des Schließens, der Folgerung im weitesten Sinne.
  12.956[4]   Ich möchte sie lieber, zwischen beiden Bezeichnungen die Mitte

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haltend, die Kunst des Urteilens nennen. Denn die Logik in der althergebrachten und gemeinüblichen Bedeutung des Worts soll uns das Verfahren lehren, das uns zur Erkenntnis der Wahrheit führt, d.i. zum richtigen Urteil, denn die Wahrheit liegt im Urteil. Das gute Urteil ist Erkenntnis.
  12.957[1]   3. Der Unterschied ist nicht so groß als er vielleicht scheint. Denn die Kunst des Urteilens besteht fast ganz und gar in der Kunst des Schließens a) nicht bloß, weil unsere meisten Urteile vermittelt sind, b) sondern auch, weil eine unmittelbar einleuchtende Wahrheit kaum mehr einer Kunst Raum geben möchte, indem was unmittelbar einleuchtet, ohne Schwierigkeiten einleuchtet. Nichtsdestoweniger geschieht es, dass manchmal etwas, was nicht unmittelbar erkannt wird, ja manches, was nicht einmal wahr ist, für eine unmittelbare Erkenntnis genommen wird, z. B. in den folgenden Fällen: 0. Äußere Wahrnehmung. 1. Antipoden (Mill). 2. III. Axiom in der Ethik des Spinoza. 3. Ähnliches wirkt Ähnliches. 4. Die Ursache ist vorzüglicher als die Wirkung. 5. Dinge, die nichts miteinander gemein haben, können nicht aufeinander wirken (Körper – Geist). 6. Es ist unmöglich, dass ein einziges Ding teilweise Geist und teilweise Körper sei (u. dgl.). 7. Unveräußerliche Menschenrechte: volle persönliche Freiheit, Aufhebung der Ehe, Volkssouveränität (Indes sind schauderhafter Cäsarismus und Militarismus die Folge). Und andere sagten, es gebe gar keine Rechte, nur Pflichten. Und ebenso wird – was fast noch auffallender ist – manchmal einer, durch Trugschlüsse verwirrt, in Betreff einer unmittelbar einleuchtenden Wahrheit zweifelhaft, und darum sind gewisse Regeln für diesen Teil der Erkenntnis doch nicht ganz ohne Sinn.
  12.957[2]   Wenn aber dies, so wäre es unnatürlich, sie von der Kunst des Schließens zu trennen, da ja doch die Richtigkeit eines Schlusssatzes nicht bloss von der Rechtmässigkeit einer Folgerung, sondern auch von der Wahrheit der Prämissen abhängt.
  12.957[3]   Wenn man also sagen würde, die Logik sei die Kunst des Schließens, so würde das höchstens nach dem Grundsatz richtig sein: a potiori fit denominatio. Genauer

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aber ist: Kunst des Urteilens oder Kunst der Erkenntnis.
  12.958[1]   4. Auch die Meinung derer, welche die Logik als die Kunst des Denkens fassen, steht der unsrigen nicht so fern, als es scheinen könnte. Sie begreifen unter dem Denken freilich mehr als das Urteilen und namentlich auch das Vorstellen. Aber die Logik, wie wir sie fassen, schließt auch gewisse Erörterungen über die Vorstellungen ein. Denn der Akt des Urteilens setzt den des Vorstellens voraus und ist ohne Rücksicht auf ihn nicht zu denken und in seinen Eigentümlichkeiten zu begreifen. Weiter, als hiedurch geboten, wird freilich die Kunst des Urteils sich mit den Vorstellungen nicht befassen.
  12.958[2]   Und tatsächlich gehen auch jene Logiker nicht weiter oder doch nicht viel weiter darauf ein. Sie sind weit entfernt, eine ganze Ästhetik in die Logik einzu-


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fügen, und doch ist diese so recht eigentlich die Kunst der Vorstellung und strebt die Vollkommenheit der Vorstellungen als solcher wie die Logik die Vollkommenheit der Urteile an.
  12.959[1]   So ist denn der Unterschied nicht so wesentlich.
  12.959[2]   Aber so ist denn zugleich deutlich, dass man eben deshalb nicht wohl daran tut, die Logik die Kunst des Denkens im Sinne des Vorstellens und Urteilens zu nennen.
  12.959[3]   Wenn die eingeflochtenen Bemerkungen über die Vorstellungen hiezu berechtigten, so würde man die Logik aus ähnlichem Grund noch weiter, als die Kunst des Sprechens und Denkens, fassen müssen, denn auch von der Sprache muss sie in etwas handeln, und leicht würde man noch weiter geführt. Aber von keinem von diesen beiden, Vorstellen und Sprechen, handelt sie vollständig; und ihr Interesse, wo sie etwas davon berührt, ist einzig und allein das Urteil, die Erkenntnis. Auch definiert man jede praktische Disziplin nach dem Zwecke. Baukunst, Heilkunst etc. Aber der Zweck ist einzig und allein das Urteil, die Erkenntnis.
     

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Ob die Logik Kunst oder Wissenschaft sei?
  12.960[1]   5. Viele definieren die Logik nicht bloß als Kunst, sondern Wissenschaft.
  12.960[2]   So sagen manche: sie sei die Wissenschaft, welche die Gesetze für das Denken darstelle.
  12.960[3]   Whately meint: sie sei die Wissenschaft sowohl als die Kunst des Schließens, Überweg sagt genauer, sie sei die Wissenschaft von den normativen Gesetzen der menschlichen Erkenntnis.
  12.960[4]   (Etwas vornehmer könnte man diese Meinung dann auch so formulieren: die Logik sei die wissenschaftliche Lösung der Frage nach den Kriterien der Wahrheit oder der Lehre von den normativen Gesetzen, auf deren Befolgung die Realisierung der Idee der Wahrheit in der theoretischen Vernunfttätigkeit des Menschen beruhe.)
  12.960[5]   Normalgesetze (oppositum der Naturgesetze des Denkens, wovon die Psychologie handelt) = Vorschriften, welche die Denktätigkeit zu befolgen hat, um richtig zu sein und zu wahren Erkenntnissen zu führen.
  12.960[6]   Es fragt sich: ist die Logik eine Wissenschaft? Ist dies richtiger oder wenigstens eben so richtig gesagt, wie wenn wir die Logik als Kunst bestimmten?
  12.960[7]   2' Kunst und Wissenschaft sind nicht dasselbe, nicht jede Wissenschaft ist Kunst, nicht jede Kunst Wissenschaft. (Cf. Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie.)
  12.960[8]   Zur Kunst gehört, dass ein praktischer Zweck den Wahrheiten Einheit gebe.
  12.960[9]   Zur Wissenschaft, dass der betrachtete Komplex von Wahrheiten eine intellegible Gattung ausmache.
  12.960[10]   Beides ist nicht immer geeinigt, doch ist es denkbar. Erläuterung an der Baukunst.]
  12.960[11]   3' Für unseren Fall ist (wie bemerkt) vor allem klar, dass die Logik Kunst sei. Dies ist die erste Forderung, die man an sie stellt.
  12.960[12]   Dies ist der Grund ihrer Bildung. Die alten Aristoteliker hatten schon ein Organon der Erkenntnis.
  12.960[13]   4'
  12.960[14]   5'
  12.960[15]   6'
  12.960[16]   Was dazu dient, muss sie geben, wenn sie ihrem Zweck genügen soll.
  12.960[17]   Wenn sie diesem Zweck genügte, indem sie die normativen Gesetze der Erkenntnis (die allgemeinen Beschaffenheiten des richtigen Erkenntnisverfahrens) aufstellte,

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so könnte man sie vielleicht zugleich auch Wissenschaft nennen; denn diese könnten wohl als ein abgeschlossener Kreis verwandter Wahrheiten angesehen werden. Aber sie kann sich, wenn sie ihrer praktischen Aufgabe genügen will, nicht wohl in diesen Schranken halten.
  12.961[1]   7' Sie muss ausserdem, dass sie einen Kanon der Erkenntnistätigkeit aufstellt, noch gar manches aus anderen psychischen Gebieten beibringen, um vor den in unserer Natur liegenden Versuchungen zu irrigen Verfahren zu warnen. Sie muss von der Sprache und ihrer Bedeutung für die Erkenntnis, von der Macht der Gewohnheit und Ideenassoziation und dem Willenseinflusse handeln. Und bei einer ganz vollständigen Behandlung geht sie als spezielle Logik auf die Verhältnisse auf den verschiedenen einzelnen Gebieten der Forschung ein, und nimmt so gar manches auf,

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was, wie auch immer der einheitliche Zweck es zusammenbinden mag, doch schwer als ein spezieller in sich selbst abgerundeter Kreis naturverwandter Wahrheiten, als eine geschlossene intelligible Gattung gelten kann.
  12.962[1]   8' (Blick in Aristoteles, Kategorien, II. Analytiken oder in Stuart Mill) Kausalgesetz, Mechanik, Chemie. Verschiedenerlei Ursachen.
  12.962[2]   9' Wichtigkeit. Abirrung vieler Philosophen.
  12.962[3]   So also ist die Logik nicht eigentlich eine Wissenschaft, sondern eine Kunst, oder wenn es eine Wissenschaft der Logik gibt, so ist sie mit der Logik als Kunst nicht identisch, sondern nur ein Teil von ihr (was nicht so misszuverstehen ist, als ob ich sagte: nicht gesicherte Wahrheiten.)
     
Logik im weiteren und engeren Sinn. Beschränkung auf diese.
  12.962[4]   6. Die Logik als Kunst der Erkenntnis kann aber selbst wieder in einem weiteren und in einem engeren Sinne gefasst werden.
  12.962[5]   Ähnlich wie auch die Ethik. Diese wird bald so gefasst, dass sie auch die (Ökonomik und) Politik, also auch die Regeln, eine Familie oder eine Gemeinschaft von Bürgern zur Tugend und zum Glücke zu führen, und nicht bloss die sittlichen Vorschriften für das eigene Tun und Lassen

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des Einzelnen gibt, bald aber wird sie speziell auf diesen letzteren Teil eingeschränkt. So ist es auch bei der Logik. Die Logik im weitesten Sinn ist die Kunst, welche lehrt, nicht bloss sich selbst, sondern auch Andere zur Erkenntnis zu führen.
  12.963[1]   So fasste Thomas von Aquino in seinem Kommentar zu den II. Analytiken die Logik, wo er die Rhetorik und sogar die Poetik unter die Logik rechnet.
  12.963[2]   Und Aristoteles dehnt manchmal in dieser oder doch ähnlicher Weise ihre Grenzen. Auch Pascal in seinem geistvollen Artikel „De l’art de persuader“, dem dritten des ersten Teils seiner berühmten Pensées stellt diesen weiteren Begriff der Erkenntniskunst auf, obleich er sie nicht allseitig behandelt.
  12.963[3]   Und Arnauld in seinem trefflichen Werk: La logique ou l’art de penser (auch lateinisch erschienen: Logica sive ars cogitandi) nähert sich diesem weiteren Begriff, wenn er die Logik also definiert: „die Logik ist die Kunst, seine Vernunft gut zu handhaben bei der Erkenntnis der Dinge, sei es zur eigenen Belehrung, sei es zur Unterweisung Anderer“. zu empfehlen ohne Namen des Autors Basileae 1749 (Logik von Port Royal) ]
  12.963[4]   Doch was er dann gibt, ist nicht eine erschöpfende Behandlung dieser weiten Aufgabe.
  12.963[5]   Lectio 2. Diese Logik im weiteren Sinne zerfällt naturgemäss in zwei Teile:
  12.963[6]   1. Wenn wir so sagen wollen, die individuelle für sich selbst erwerbende Logik, die Logik zur eigenen Belehrung, d.i. die Logik im engeren, und gewöhnlichen Sinne;
  12.963[7]   2. die Logik, welche die Regeln gibt, andere zur Wahrheit zu führen, und die wir die kommunikative Logik nennen können, die dann selbst wieder in drei Teile, die Didaktik,

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Dialektik und Rhetorik zerfällt.
  12.964[1]   (D.h. Lehre vom wissenschaftlichen Unterricht, Disputierkunst, Redekunst, die insbesondere auch den Willenseinfluss zu benützen sucht.)
  12.964[2]   (Auch l’art d’ecrire ist so weit als persuader gefasst. Soweit sie ästhetisch ist, ist sie auch nicht die Rhetorik. Man müßte denn geltend machen, daß auch die Schönheit von Bedeutung sei. Und in Wahrheit (Voltaire, Platon etc.) ist aber auch die Tugend des Redners von Bedeutung. Und doch wird man darum die Ethik nicht zur Logik rechnen. Nur ein Hinweis auf diese Disziplinen und ihre Dienste ist in der Logik möglich. Es kommt ihr nicht auf den guten Geschmack an, mehr auf die Akkomodation.)
  12.964[3]   Die erstere ist naturgemäss der frühere Teil und hat selbständig Wert und kann selbständig behandelt werden. Auf ihn allein werden wir, dem gewöhnlichen Gebrauche folgend unsere Betrachtung beschränken.
  12.964[4]   Die individuelle Logik selbst zerfällt in zwei Teile, entsprechend der doppelten Lage, in welcher wir uns gegenüber einer Erkenntnis, die wir erwerben wollen, befinden können. Siehe 9.d. und 10 unten.

     
Die Logik als philosophische Disziplin
  12.964[5]   7. Die Logik, obwohl sie eine Kunst, nicht eigentlich eine abgerundete Wissenschaft ist, ist doch eine Disziplin der Philosophie.
  12.964[6]   Ist, was sie lehrt, nicht eine abgerundete Gattung von intelligiblen Wahrheiten, so liegen doch ihre Sätze nicht so sehr einander fern, dass sie nicht alle (oder doch der Hauptsache nach) zu ein und demselben allgemeineren Gebiet der Wahrheit gehörten. Und

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dieses ist das Gebiet der Philosophie. Denn diese handelt von den Eigentümlichkeiten des Seienden, insofern es unter Begriffe fällt, die durch die innere Erfahrung gegeben sind. (Cf. Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie.)
  12.965[1]   Auf diesem Gebiet liegen selbstverständlich auch die Untersuchungen der Logik, die ja offenbar selbstverständlich besonders der Psychologie nahestehen.
     

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Wert
  12.966[1]   8. Sie alle wissen, dass die Philosophie einer gewissen Verachtung verfallen ist. Die Logik teilt ihr Schicksal. Dennoch ist es nicht derselbe Grund, warum sie verachtet wird: Wenn man jene verachtet, tut man das, weil sie unzuverlässig, so verachtet man diese, weil sie ohne Wert sei.
  12.966[2]   α) Aber wie ohne Wert? Ist nicht jede Kunst um so wertvoller, je wertvoller der Zweck, dem sie dient?
  12.966[3]   Und welcher von den Zwecken anderer Künste lässt sich dem der Logik, der Erkenntnis, vergleichen?
  12.966[4]   I. Ist sie nicht in sich selbst eines der höchsten Güter des Menschen, so dass es jeder von Natur nach ihr um ihrer selbst willen begehrt?
  12.966[5]   πάντος ἄνϑρωποι etc. sagt Aristoteles, und weist darauf hin, wie um ihretwillen auch das Sehen vorzüglich und sozusagen vor allem anderen begehrt werde.
  12.966[6]   II. Und hiezu kommt noch ihre praktische Bedeutung. Die Erkenntnis begründet die Macht des Menschen über die Natur, wie Baco sagt.
  12.966[7]   III. Wer nicht gut urteilt, ist auf keinem Gebiete viel zu brauchen oder höchstens wie das Tier als lebendiges Werkzeug Anderer. Bei jedem Schritt und Tritt müssen wir urteilen und schließen, und es ist keineswegs gleichgültig, ob wir es in vollkommenerer oder unvollkommenerer Weise tun, wenn auch nicht in jedem Falle ein Irrtum gleich verhängnisvoll wird.
  12.966[8]   Es scheint also in der Tat sonderbar und unbegreiflich, dass man aus solchem Grunde die Logik geringschätzt.
     

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  12.967[1]   β. Aber diejenigen welche die Logik geringschätzen und spöttisch und verächtlich von ihr sprechen, werden mit dem hier Gesagten sich kaum zufrieden geben.
  12.967[2]   Das, werden sie sagen, sei ferne von uns, dass wir das Ziel der Logik, die Erkenntnis für wertlos halten, aber wir verachten das Mittel, denn in der Tat scheint es uns für die Erreichung dieses Zieles entbehrlich, ja nicht einmal förderlich zu sein.
  12.967[3]   1' Wie die Natur und die Übung und nicht die Ästhetik den Dichter macht, so auch den scharfen Denker. Diese beiden Faktoren kann die Logik nicht ersetzen. Wo aber sie sich finden, da ist sie überflüssig.
  12.967[4]   2' Man weist dann auf Beispiele großer Denker hin, die sich nie mit Logik abgegegeben haben.
  12.967[5]   3' Ja, man weist hin auf die

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Wissenschaften, welche die größten Fortschritte gemacht haben und noch machen. Es sind, sagt man, die, deren Träger sich, wie jeder weiß, gewöhnlich am wenigesten um Philosophie und um Logik kümmern.
  12.968[1]   4' Und auch die Männer praktischer Erfolge, sie haben kaum in der Schule die Logik vorbereitet. Es fragt sich, ob ein Bismark je Logik studiert hat, jedenfalls wird er an ihre Regeln nicht zurückgedacht haben, da er seine Pläne ausspann. Ich erinnere mich nicht, dass er oder ein anderer, seine großen Erfolge dem Studium der Logik beigemessen hat.
  12.968[2]   Emporkömmlinge ohne regelrechte akademische Studien waren es oft, die im Staate nach innen und außen am meisten mit Klugheit und Umsicht walteten.
     

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  12.969[1]   γ. So also sucht man seine Verachtung der Logik zu rechtfertigen.
  12.969[2]   Und es ist wohl hiemit etwas gesagt, nicht aber so viel als man glaubt.
  12.969[3]   1' Ich bin keineswegs geneigt zu behaupten, dass die natürliche Anlage etwas gleichgültiges sei oder durch das Studium der Logik ersetzt werden könne.
  12.969[4]   Und ebensowenig leugne ich, dass, was überall, auch bei dem Forschen nach der Wahrheit gelte, dass die Übung den Meister mache.
  12.969[5]   2' Aber wer deshalb die Logik für wertlos und überflüssig halten wollte, würde nichtsdestoweniger irren.
  12.969[6]   a' Gilt es doch, um von minder Befähigten zu schweigen, von jedem auch noch so großen und geübten Verstande, dass er durch sein Talent und seine Übung allein nicht gegen jeden Irrtum geschützt ist.
  12.969[7]   α' Vielmehr zeigt die Geschichte der Wissenschaft, wie alle und gerade auch die Hervoragendsten geirrt haben, und wenn jede Wissenschaft wie die Theologie ihren Index hätte, so kämen gerade die Werke der größten Forscher alle darauf zu stehen.
  12.969[8]   Und nicht etwa bloß aus Mangel an Anhaltspunkten und Daten hat einer einmal eine irrige Hypothese aufgestellt, sondern recht eigentliche Fehler im Beweisverfahren, logische Schnitzer waren es, die oft den einen oder anderen zu irrigen Anschauungen führten. Höchstens bei der Mathematik, bei der wegen ihrer Einfachheit sich weniger leicht ein Sophisma in das Beweisverfahren einschleichen kann, möchten

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die Beispiele dafür sich schwerer finden lassen. Aber bei den anderen Wissenschaften allen finden sie sich.
  12.970[1]   β' Und auch im praktischen Leben ist es bekannt, wie viele selbst von den angesehensten und erfahrensten und höchstgestellten Männern begangen werden, so dass das Sprichwort freilich etwas wenig respektvoll sagen kann, dass durch Gottes Weisheit und der Menschen Unverstand die Welt regiert werde. Die Verständigsten handeln oft unverständig und ihre kleineren und selteneren Fehler werden nur durch die größeren und zahlreicheren der Übrigen unschädlich gemacht und verdeckt.
  12.970[2]   Wenn nun aber keiner außer Gefahr ist, gegen die Regeln des Urteilens zu verstossen; so ist wohl kaum mehr zu sagen nötig, dass der, welcher die Regeln kennt, sie unter sonst gleichen

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Umständen leichter beobachten werde, als wer sie nicht kennt; und wer von den Gefahren weiß, denen man am leichtesten erliegt, sich besser vor ihnen hüten werde, als wer von ihnen keine Kunde hat.
  12.971[1]   b' Auch wird er den begangenen Fehler leichter und schneller erkennen und berichtigen; während er sonst vielleicht erst, nachdem er seinen Irrtum zu fernen Konsequenzen geführt oder auch niemals ihn entdecken würde.
  12.971[2]   α' Denn nicht überall ist es so, wie es allerdings auf dem Gebiete der Mathematik und meist auch auf dem der Naturwissenschaft sein mag, dass die anschaulichen Tatsachen selbst eine Kontrolle bilden und sofort den Irrtum erkennbar machen.
  12.971[3]   Bei den höchsten Wissenschaften, wo doch wegen ihrer Schwierigkeit

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am leichtesten ein Fehltritt vorkommt, ist eine solche Kontrolle nicht gegeben. Und mit ihr zusammen hängen vielfach die höchsten praktischen Zweige, wo allerdings, aber nach großem Unheil, sich zeigt, dass Fehler in der Theorie sein müssen, und dann noch lange gesucht und nicht gefunden werden.
  12.972[1]   β' Vielleicht wird man sagen, eine genauere Aufmerksamkeit bei wiederholter Betrachtung einer Folgerung reiche hin, auch hier die Fehler zu finden. Und eine Kenntnis der allgemeinen Regeln sei darum auch hier nicht gefordert, ja, sie sei unnütz.
  12.972[2]   Denn die besondere Aufmerksamkeit, die sie, wenn man sie zu Hilfe zieht, in Anspruch nähmen, sei nicht wirksamer und nicht minder mühsam, als die nochmalige Aufmerksamkeit auf die Sache allein.
  12.972[3]   Aber dies ist falsch, und die Erfahrung widerlegt es durch merkwürdige Beispiele.
  12.972[4]   1'' Denn es ist geschehen, dass die größten Denker, sogar auf ihre Fehlschlüsse aufmerksam gemacht, sie oft nicht erkannten. Zum Beispiel: Wenn durch nichts getrennt, beisammen (Leere), Lectio 3] Platon (Ideen), Anselm, Descartes, Leibnitz (ontologisches Argument), Kant (eine Ursache, das Ding an sich und die Antinomien), Herbarts Widersprüche und viele Andere.
  12.972[5]   2'' Und bis zum heutigen Tage gibt es über viele Sätze Streit ob sie wahr, ob sie falsch seien, ob sie bewiesen, ob sie nicht bewiesen seien. Eine genaue Kenntnis der Logik müsste diesen letzten wenigstens sofort heben.
  12.972[6]   1) Ontologisches Argument: Viele geben einen Fehler in der Anselmischen Fassung zu. Aber anders denken z.B. Descartes und Andere bis heute.
  12.972[7]   2) Teleologischer Beweis des Gottes (weil es unendlich unwahrscheinlich ist, dass diese Ordnung besteht, wenn sie ohne Ordner ist“ oppositum weil das Wesen so außerordentlich und in sich selbst eine unendliche Unwahrscheinlichkeit ist“).
  12.972[8]   3) Beweise der Unsterblichkeit der Seele .
  12.972[9]   4) Glaubwürdigkeit eines Wunders: Hume argumentiert, auf die Erfahrung gestützt, dass es nicht vorkommt, dass, wenn es so viele Zeugen unter solchen Umständen gibt, es falschwäre, daran zu zweifeln, aber auf größere Erfahrung gestützt, dass etwas derartiges, wie das, was sie berichten, unter den angegebenen Umständen nicht vorkommt.
  12.972[10]   5) Beweise der Wahrheit des Christentums. Beweis der katholischen Kirche. Beweis der Pflicht daran zu glauben.
  12.972[11]   6) Beweis des Atomismus aus den Gesetzen der chemischen Äquivalente und dergleichen. Konstanz des Gewichts. Multiple Proportionen. Äquivalent.
  12.972[12]   7) Undulationstheorie. (Manche wie Whewell meinen, dass, wenn Voraussagen sich bewähren, neue Entdeckungen darauf hindeuten. Aber[?] Andre[?] meinen das nicht. In Wahrheit bei Newtons Diamant.
  12.972[13]   8) Unmöglichkeit der Bewegung. Beweis von Zeno – der Herbartianer.
  12.972[14]   9) Subjektivität von Raum und Zeit.
  12.972[15]   10) Unmittelbare Evidenz des Kausalgesetzes u.s.f.
     

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  12.973[1]   3'' Dies ist geschichtlich der Anlass der Logik: Widerstreitende und offenbar zu falschem führende Argumente ] Sokrates und die Folgenden gegen die Sophisten (pro und contra) und früher die widerstreitenden Lehren und Beweise der Philosophen. Heraklit.
  12.973[2]   c' Und hierin noch liegt nicht der einzige Gewinn.
  12.973[3]   Nicht bloß Prüfen, sondern auch Erfinden.
  12.973[4]   Hier gibt es freilich noch weniger Vertrauen und sogar ein Hohngelächter.
  12.973[5]   Aber es gibt tatsächliche Förderung der Wissenschaft durch Vervollkommung der Methode der Forschung.
  12.973[6]   Waren vor Baco keine Genies unter Euch Naturforschern? Man kann sagen: Gewisse Wissenschaften sind darum so weit zurück, weil sie ihre Methode nicht oder zu mangelhaft erkannt haben.
  12.973[7]   d' Daher wird die Logik auch gerade von den größten Geistern nicht so wie von den minder hoch gewachsenen verschmäht.
  12.973[8]   1. Aristoteles (und speziell bei jeder Schrift fast im Anfang logische Reflexionen über die Methode).
  12.973[9]   2. Baco: ars artium, von [1 W. unl.] res Lob De dignitate et augmentis scientiarum: Pars ista humanae philosophiae, quae ad logicam spectat ingeniorum plurimorum gustui ac palato minus grata est et nihil aliud videbar quam spinosae subtilitates laquens et tendicula. (...) [Istud lumen siccum plurimorum mollium et madida ingenia offendit et torret.] Cacterum unamquamque rem propria si (wollen) placet dignitate (Verdienst) metiri, rationales scientiae reliquarum scientiarum claves sunt; atque quemadmodum manus instrumentum instrumentorum, anima forma formarum, ita et illae artes artium ponendae sunt. [Neque solum dirigunt sed et sed roborant; sicut sagittandi usus et habitus non tantum facit, ut melius quis collimet, sed ut arcum tendat fortioren.]
  12.973[10]   3. Leibnitz (besonders in seinem Schreiben an G. Wagner „Vom Nutzen der Vernunftkunst oder Logik“).
  12.973[11]   4. Liebig in seiner Weise. Da er nicht be-


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greift, warum er in England keinen Eingang hatte, greift er nach Baco. Lob von Mill. 5. Thomson. 6. Helmholtz’ Vorlesungen in Berlin.
  12.974[1]   δ Also ist jener Vorwurf irrig.
  12.974[2]   1' Nur ist freilich eines richtig, dass die Logik, obwohl im allgemeinen Verfall der Philosophie nicht ganz verfallen, doch oft nicht gibt, was sie geben soll, dagegen einen Balast von Unnützem.
  12.974[3]   Wenn hierüber geklagt wird, handelt es sich um eine berechtigte Klage. (Klage des Descartes, Pascal) u. A.
  12.974[4]   Zum Teil ist dies der Fall, weil ihr praktischer Charakter verkannt wird. Ich werde den Fehler zu vermeiden streben, obwohl ich auf Nachsicht rechnen muss, denn meine Logik ist auch gewiss noch nicht vollkommen.
  12.974[5]   Gewöhnlich denkt man sich die Logik wie fertig. Man tut ihr hier zu große Ehre an, wie man dort ihre Ehre schmälerte. Viel ist mangelhaft.
  12.974[6]   Mit Unrecht sagt man auch, dass kein Irrtum in den Lehren steckt, wie sie gewöhnlich vorgetragen werden vgl. Leibnitz]. Wir

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werden sehen. Stellen aus Leibniz.]

     
Stellung der Logik in der Ordnung der wissenschaftlichen Studien.
  12.975[1]   Ist die Logik von allen Disziplinen des Wissens zuerst zu studieren?
  12.975[2]   A Es scheint nicht. a) weil sie praktisch ist [eng verwandt, weil sie zeigt, wann von Wert). Jede praktische Disziplin nährt sich von theoretischen.
  12.975[3]   b) Weil sie philosophisch ist. Die Forschungen auf diesem Gebiete sind schwieriger, wegen der Schwierigkeit der Reflexion auf die eigenen Akte.
  12.975[4]   c) Weil sie später als andere Disziplinen, sogar als andere philosophische erfunden wurde. Aristot, der eigentliche Vater der Logik, stand erst am Schluß der aufsteigenden Entwicklung der griechischen Philosophie. Lasaulx.
  12.975[5]   B Aber dennoch ist die Logik zuerst zu studieren; mit einziger I.]Ausnahme der Mathematik. Diese ist so einfach und ihre Grundsätze und ihr Beweisverfahren so klar, dass sie ohne eine besondere Lehre über die Gesetze dieses Verfahrens erlernt werden kann.
  12.975[6]   a) Sie ist ganz deduktiv, weil nichts als Größenverhältnisse, die aus den Fundamenten zu erschließen sind, nichts von anderen Eigentümlichkeiten, nichts von Ursache und Wirkung, nichts von Zweckursache u.dgl. darin untersucht wird, und gerade die Lehre über die Induktion ist die schwierigere (und bedarf viel mehr der Mathe matik, als die Mathematik ihrer oder überhaupt der Logik bedarf.)
  12.975[7]   b) Dann sind ihre meisten Sätze nicht bloß allgemein, sondern auch konvertibel, was eine große Vereinfachung und Erleichterung zur Folge hat. 2 . 3 = 6 und 6 = 2 . 3. Ich kann schließen:



2 . 3 = 6

10 – 4

10 – 4 = 2 . 3



Nicht aber:



Alle Pferde sind Tiere

Alle Schafe sind Tiere

Alle Schafe sind Pferde.



Und so noch Manches.
  12.975[8]   Man sieht wohl, wie bei einem und jedem einzenen Gliede eines so leichten und einfachen, und höchstens durch die Zahl der Schlüsse komplizierten Beweisverfahrens, ein besonderes Studium über die Gesetze dieses Verfahrens ohne Nachteil entbehrt werden kann.
  12.975[9]   Anders würde es freilich sein,

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wenn einer in der Mathematik erfinderisch vorgehen wollte. Dies wäre nicht mehr so leicht und einfach. Vielmehr verlangt es einen ganz vorzüglichen Denker. Dann möchte auch wohl eine allgemeine Reflexion über die Methode, die in einem solchen Falle anzuwenden ist, wie sie die Logik gibt, als nicht unnütz sich erweisen.
  12.976[1]   Aber das bloße Erlernen der Mathematik kann wie gesagt eines vorgängigen Studiums der Logik wohl entraten; und die Mathematik kann und soll sogar wenigstens in einem gewissen Maße vor der Logik in diesem Sinne betrieben werden.
  12.976[2]   Daher auch unsere Gymnasien (deren Einrichtungen ich sonst nicht in allem loben will) wohl daran tun, dass sie von den strengeren Wissenschaften in der Mathematik zuerst die Schüler unterrichten lassen.
  12.976[3]   II. Bei den anderen Wissenschaften dagegen ist ein vorgängiges Studium der Logik allerdings wünschens-


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wert, da sie den Maßstab in die Hand gibt, um die Kraft der Beweisführung und die Evidenz der Prinzipien zu bemessen.
  12.977[1]   Jeder eine Wissenschaft Erlernende muss zugleich Richter sein über das, was lernt; denn nur dann, wenn er es geprüft und eingesehen, wenn er sich von seiner Richtigkeit überzeugt hat, hat er es wahrhaft erlernt, und kann sagen: Ich weiß es.
  12.977[2]   Er muss über das, was er von einem Anderen hört, immer auch zugleich sich selbst fragen; und erst die Antwort, die er hier erhält, darf entscheiden. Dazu ist nun aber die Kenntnis der Logik von hohem Wert und in manchen Fällen fast unentbehrlich zu nennen.
  12.977[3]   Aristoteles sagt daher mit Recht (in Betreff der schwierigeren Wissenschaften), es sei ungereimt (ἀ τοπον), zugleich die Wissenschaft und die Weise des Wissens erlernen zu wollen, d.h. an das Studium der Wissenschaft zu gehen, ohne noch zu wissen, was zum Wissen

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gehöre, was nebst anderem die Logik uns lehrt. Dies ist so einleuchtend, dass es, wenn nicht die Einwände wären, allgemein anerkannt wäre.
  12.978[1]   C. Aber was entgegnen wir auf die Einwände?
  12.978[2]   (Voraussetzungen)] ad a) Allerdings nimmt die Logik gewisse Sätze auch anderer Wissenschaften auf, aber diese sind nicht von der Art, dass sie nicht ohne ein tieferes Eingehen in die Wissenschaft verstanden werden könnten.
  12.978[3]   Dies gilt, wie wir sehen werden, selbst bezüglich der Psychologie, von der sie doch der Natur ihrer Aufgabe nach am meisten abhängig ist.
  12.978[4]   ad b) (Schwierigkeit, weil philosophisch): Allerdings sind die philosophischen Forschungen, wegen der Schwierigkeit der Reflexion, die schwierigsten.
  12.978[5]   1.' Aber die Logik hat einen Vorteil, der diese Schwierigkeit wesentlich mindert.
  12.978[6]   Er liegt in der Sprache.
  12.978[7]   Diese dient dem Logiker, ähnlich wie dem Mathematiker seine Zeichen dienen, mit welchen er seine abstrakten Begriffe verknüpft und von denen er oft ein sehr einfaches an die Stelle einer sehr komplizierten, in sich selbst gar nicht mehr vorstellbaren Kombination setzt. Million, Klammern (Algebra).
  12.978[8]   In einer ähnlichen Weise wird dem Logiker oft die Reflexion auf die inneren Vorgänge des Denkens erleichtert oder manchmal auch ganz erspart, indem er sie durch die Betrachtung des Ausdrucks, den sie in der Sprache finden, zu ersetzen weiß.
  12.978[9]   Die Sprache ist ja in ihrer wesentlichen Bedeutung das Zeichen des Denkens.
  12.978[10]   Der Fortgang unserer Logik selbst wird uns dies deutlicher machen.
  12.978[11]   2.' Aber angenommen und zugegeben, dass die Untersuchungen der Logik schwieriger als die mancher anderen Disziplin sind, so gilt hier doch der Vergleich mit einem Handwerker, der unter vielem anderen sich auch ein Instrument fertigen kann, das ihm alle seine Arbeiten erleichtert. Nehmen wir an, seine Anfertigung sei schwieriger als manches andere Werk. Er wird sie doch weder unterlassen, noch auch verschieben, da es, einmal gemacht, alle anderen Werke erleichtert, was nicht in gleicher Weise auch umgekehrt von diesen gilt. – So die Logik.
  12.978[12]   3.' Der Vergleich ist, wie ich ihn hier gemacht habe, noch mangelhaft. Wir müssten uns denn das Instrument von der Art denken, dass es aus mehreren Teilen bestehend, Stück für Stück gefertigt würde. Und dass jedes Stück schon mit Vorteil für die Anfertigung anderer Werke und namentlich auch der folgenden Teile verwendet werden könnte.
  12.978[13]   Denn so ist es bei der Logik. Die ersten Gesetze, über die unmittelbare Einsicht, leisten schon bei den folgenden über die Schlüsse Hilfe. Denn das allgemeine Gesetz eines Syllogismus ist selbst eine unmittelbare Einsicht.
  12.978[14]   Und so geht es fort im ganzen Verlauf der Logik.
  12.978[15]   Bieten also auch die späteren Fragen der Logik manchmal an und für sich größere Schwierigkeiten als die Fragen anderer Wissenschaften, so sind sie doch vielleicht mit Rücksicht auf die Hilfsmittel, welche die vorangehenden Untersuchungen selbst schon bieten, und welche der, welcher die andere Wissenschaft unmittelbar studiert, entbehrt, minder schwierig zu nennen. Die ersten Fragen der Logik aber sind jedenfalls nicht so gar kopfbrecherischer Art.
  12.978[16]   ad c) Der Einwand ruht auf der Voraussetzung, dass die historische Ordnung der Erfindung mit der naturgemäßen Ordnung des Erlernens zusammenfalle.
  12.978[17]   Aber das ist keineswegs der Fall, wenn auch manche Philosophen dergleichen

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Ratschläge vom Standpunkt einer sublimen Pädagogik und Erziehung des Menschengeschlechts gegeben haben; die Unmöglichkeit der Sache selbst hat gehindert, ihnen zu folgen.
  12.979[1]   Wie könnte man auch nur vernünftig denken, dass auf demselben Wege, auf welchem eine Reihe der hervorragendsten Geister erst in Jahrhunderten eine Summe von Wahrheiten gefunden hat, ein Einziger – und wäre er selbst von gleicher Begabung – in wenigen Jahren zu dem gleichen Ziele geführt werden könne?
  12.979[2]   Die allgemeinsten Gesetze z.B. sind gewöhnlich nicht die zuerst gefundenen.
  12.979[3]   Sie sind aber die, welche als die einfacheren und die die spezielleren mitbestimmenden naturgemäß zuerst gelehrt werden müssen. Und so ist es mit Anderem.
  12.979[4]   Jener Einwand also beruht auf einem Vorurteil, das bei näherer Prüfung nicht besteht.
     

24
     
  12.980[1]   D. d. Hier könnte aber einer sagen: Auch euer Urteil besteht nicht vor der Prüfung. Denn euer Grund ist in sich selbst ein Widerspruch. „Es ist unpassend gereimt“, sagt ihr, „zugleich das Wissen und die Weise des Wissens erlernen zu wollen.“
  12.980[2]   Aber was tut ihr selbst anderes, als was ihr hier unpassend nennt?
  12.980[3]   Wenn die Logik auch keine Wissenschaft ist, so ist sie doch ein Komplex von Wissen, und ihr forscht also zugleich nach einem Wissen und nach einer Weise des Wissens.
  12.980[4]   1' ad d. Der Einwand missversteht das Wort, das er angreift.
  12.980[5]   Offenbar hat Aristot Fälle von solcher Schwierigkeit im Auge, dass man nicht leicht darüber klar werden kann, ob ein Beweis gültig ist oder nicht.
  12.980[6]   In einem solchen Falle nun wäre es töricht, wenn man

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die Schwierigkeit der Frage, um die es sich handelt, durch die der allgemeinen logischen Fragen, die bei ihrer Lösung in Betracht kommen, noch vergrößern wollte.
  12.981[1]   Die Teilung der Schwierigkeiten ist eines der wirksamsten Mittel, ihrer Herr zu werden. Und sie verlangt (in solchen schwierigeren Fällen), dass man gesondert untersucht 1) was zu einem Beweis gehört und 2) ob seinen Bedingungen genügt ist. Wenn nun auch nicht bei jedem Satz einer Wissenschaft solche Schwierigkeiten sich ergeben, so genügt doch das Vorkommen auch nur einzelner Fälle, um zu zeigen, wie das Studium der Logik naturgemäß vorangehen soll, da man sich sonst plötzlich aufgehalten sehen könnte.
  12.981[2]   2' Sagt man: Die Logik bietet selbst solche Schwierigkeiten“, so ergibt sich also doch der alte Zirkel! – Verweis auf früher, wo von der Verwendung der früheren Teile der Logik in den späteren gesprochen wurde.
  12.981[3]   Die Methode: Mehr deduktiv als induktiv. In manchen Teilen ist die Methode der Logik der der Mathematik ähnlich. Doch nicht rein, wenn sie praktisch sein will.
  12.981[4]   Sie muss ja dann manches aus der Psychologie (u.a.), was in ihr durch Induktion gefunden wurde, aufnehmen. Also naturwissenschaftlich = deduktiv.
  12.981[5]   Lectio 4.

     
Einteilung
  12.981[6]   Die Logik als die Kunst, welche uns lehrt, zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen, zerfällt naturgemäß in zwei Teile, entsprechend dem doppelten Falle, in welchem wir uns einer aufzunehmenden Erkenntnis gegenüber befinden

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können.
  12.982[1]   Entweder liegt sie uns als gegeben vor, wie z.B. wenn wir einen Lehrsatz Euclids mit beigefügtem Beweis aufschlagen – denn auch der Beweis muss uns vorliegen, damit uns der Satz als Erkenntnis vorliege – oder sie ist uns nicht in der Weise gegeben. Im ersten Falle müssen wir sie mit Sicherheit zu beurteilen; im zweiten Fall müssen wir sie aufzufinden wissen.
  12.982[2]   Unmittelbare Wahrheiten und was andere uns lehren. a) Für unsere Zeit und alle, wo es Logik gab; b) aber auch bei den ersten Denkern war klar, dass gewisse Erkenntnisse gegeben sein mussten, um auf die Entdeckung anderer einzugehen[?].
  12.982[3]   Der I. Teil der Logik handelt daher von der Prüfung gegebener Erkenntnisse.
  12.982[4]   Der II. Teil von der Entdeckung, d.h. von der Beurteilung, ob etwas Gegebenes eine Erkenntnis sei oder nicht.
  12.982[5]   Denn die Prüfung ist 1. der frühere, 2. der leichtere, 3. der allgemeinere Teil: nicht jeder macht neue Entdeckungen, und wer lernt, doch mehr von anderen; und wenn mehr entdeckend, doch öfter in der Lage zu prüfen. Die Prüfung ist auch 4. der einfachere Teil und hat 5. die unabhängigeren Regeln. Von diesen wieder wird der I. Teil im engeren Sinn Logik genannt. Mill beschäftigt sich nur mit der Prüfung.
     

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  12.983[1]   II. Von der Prüfung gegebener Erkenntnisse, d.h. von der Beurteilung, ob etwas Gegebenes eine Erkenntnis sei oder nicht. III. Von der Entdeckung.

     
Ordnung
  12.983[2]   1. Auf den ersten Blick könnte vielleicht einer meinen, dass bei den letzten Teilen die umgekehrte Ordnung die vernünftigere und natürlichere sei, da die Prüfung einer bereits gegebenen Erkenntnis ihre Entdeckung voraussetze.
  12.983[3]   Allein dies ist nicht richtig, da vielmehr viele Erkenntnisse, ohne dass sie zuvor entdeckt oder wenigstens von uns entdeckt werden müssten, uns gegeben sind. Dies gilt von unmittelbar einleuchtenden Wahrheiten, die ungesucht sich uns darbieten, und von dem, was Andere uns lehren.
  12.983[4]   2.) So verkehrt sich das Argument in sein Gegenteil: Der Teil, der von der Prüfung gegebener Erkenntnisse handelt, erscheint naturgemäß als der frühere, weil wir zunächst gegebene Erkenntnisse aufnehmen und

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(prüfend uns aneignen) müssen, um dann vielleicht auf Entdeckungen auszugehen. Für uns und unsere Zeit (und alle Zeit, wo es Logik gab, denn später entstanden) ist das klar, aber auch bei den ersten Denkern war es nötig, dass ihnen gewisse Erkenntnisse gegeben sein mussten, um auf die Entdeckung anderer auszugehen.
  12.984[1]   2. Die Aufgabe, gegebene Erkenntnisse zu beurteilen, ist aber zugleich auch die allgemeinere, einfachere und leichtere Aufgabe.
  12.984[2]   (a) Das Letzte ist so sehr anerkannt, dass es keines Wortes bedarf. Wenn es nun vernünftiger ist, mit dem Leichteren zu beginnen, so etc.. 3.) Hieraus ergibt sich aber, dass die Prüfung die allgemeinere ist: α (b) nicht jeder hat neue Entdeckungen zu machen, β und wer sie macht, lernt doch mehr 1) von Anderen: „Die Lebenden werden mehr und mehr von den 2) Toten beherrscht“ – von den unmittelbaren Erkenntnissen ganz abgesehen;
  12.984[3]   γ und wenn einer mehr entdeckte, so würde er dennoch öfter in der Lage sein, gegebene Erkenntnisse zu beurteilen, weil diese in jener Aufgabe mit eingeschlossen liegt.
  12.984[4]   4.) (c) Darum ist es auch klar, wie die Aufgabe des Prüfenden nicht bloß die allgemeinere, sondern auch die einfachere ist. Was der Prüfende tut, muss der Forschende alles auch tun und noch mehr. Denn wer z.B. einen Beweis findet, muss ihn als Beweis erkennen, aber noch mehr.
  12.984[5]   5) (d) Und die Regeln für das, was er sonst tun muss, sind durchaus von den Regeln, welche der Prüfung dienen, abhängig, und können ohne sie nicht verstanden werden.
  12.984[6]   Wenn einer nicht weiß, was zu einer Erkenntnis gehört, wie soll er wissen, was er tun muss, um das zu ihr Gehörige zu erlangen?
     

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Ordnung der Regeln von der Entdeckung
  12.985[1]   2. Aus ähnlichem Grunde werden wir auch in der Lehre von der Entdeckung selbst (die wir freilich kürzer als mir lieb ist, werden abhandeln müssen – gewöhnlich wird sie gar nicht oder so gut wie gar nicht behandelt ) zuerst von der Entdeckung des Beweises einer gegebenen Wahrheit, dann erst von dem Aufsuchen der Wahrheit, dann erst von der Aufstellung der Fragen handeln.

  12.985[2]   A Von der Beurteilung einer gegebenen Erkenntnis
  12.985[3]   Dieser Teil zerfällt wieder der Natur der Sache nach in zwei Teile.
  12.985[4]   Denn es kann uns etwas als unmittelbare oder als mittelbare Erkenntnis gegeben sein.
  12.985[5]   Und die Regeln der Beurteilung in dem einen oder anderen Falle sind verschieden. Zuvor aber wird es nötig sein, einige allgemeine einleitende Bemerkungen über unser Denken und

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seinen sprachlichen Ausdruck durch das Wort vorauszuschicken. Somit bekommen wir drei Abschnitte, freilich von sehr ungleicher Größe.
  12.986[1]   I. Von dem Gedanken und seinem Ausdruck in dem Wort.
  12.986[2]   II. Von der unmittelbaren Erkenntnis.
  12.986[3]   III. Von der abgeleiteten Erkenntnis oder dem Beweis.

     
I. Von den Gedanken und ihrem Ausdruck in der Sprache.
  12.986[4]   1. Warum? Die Erkenntnis findet sich im Urteil und macht seine Vollkommenheit aus. Daher ist es klar, dass wer Regeln für das Erkennen aufstellen will, notwendig einige Bemerkungen über das Urteil (seine Natur und seine Arten) vorausschicken muss.
  12.986[5]   2. Aber nicht bloss über das Urteil, er wird über die psychi-


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schen Funktionen überhaupt einige Bestimmungen sich nicht ersparen können, zu denen a) das Urteil selbst gehört, an deren allgemeinem Charakter es Teil hat, und von denen b) auch diejenigen, welche nicht Urteile sind, innig mit ihm verflochten sind.
  12.987[1]   Insbesondere Bemerkungen über die Vorstellungen gehören zur Logik: a) Basis, b) Behauptung, das Urteil bestehe in einer Verbindung oder Beziehung von Vorstellungen. (Die übrigen Phänomene sind zwar von Einfluss, aber nicht in gleicher Weise Vorbedingungen und Grundlage. Von ihnen besprechen wir zunächst nur so viel als zur Charakterisierung der beiden ersten Klassen nötig ist).
  12.987[2]   3. Aber auch über das Wort, den sprachlichen Ausdruck, pflegen die Philosophen am Anfang ihrer Abhandlungen über Logik einige Bemerkungen zu machen.
  12.987[3]   a) Der Gebrauch ist sehr alt, und führt sich bis auf den Gründer der Logik selbst zurück. Aristoteles hat eine seiner interessantesten logischen Schriften περὶ Eρμηνείας, De Interpretatione, über den Ausdruck des Urteils in der Sprache, überschrieben. b) Die Logiker des späteren Altertums, namentlich die Stoiker, folgten seinem Beispiel. c) Dann die Scholastiker, von denen die Nomina listen in Gefahr kamen, die ganze Logik als eine Untersuchung über Worte und Sprache zu fassen. d) Die Philosophen nach dem Beginn der neueren Zeit, die mit den Traditionen der Scholastik brachen, und bei denen das Ansehen des Aristoteles gewiss nicht bestimmend wurde, sehen wir nichtsdestoweniger hierin mit ihnen einig, dass sie, wo es sich um Erkenntnis handelt, auf die Untersuchung über die Worte ein grosses Gewicht legen. So hat, um nur ein Beispiel anzuführen, Locke, von den vier Büchern seines berühmten Werkes über den menschlichen Verstand das ganze dritte Buch, eines der merkwürdigsten und am meisten geschätzten, den Untersuchungen „Über die Worte“ gewidmet. e) In unserer Zeit endlich finden wir bei Denkern, in welchen, nach gänzlicher Ausartung, eine bessere Philosophie wieder aufzukeimen

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beginnt, wiederum die gleiche Erscheinung. Mill z.B., der in seiner deduktiven und induktiven Logik mehr als die meisten zur Vervollkommnung dieser Disziplin getan hat, beginnt sie mit Erörterungen über die Namen, und wiederholt flicht er auch später Untersuchungen über den sprachlichen Ausdruck ein.
  12.988[1]   4. Auch wir werden von diesem Gebrauch nicht abweichen, und unser Verfahren bedarf, da es sich auf das Beispiel so vieler und großer Denker stützt, kaum einer weiteren Rechtfertigung, wohl aber wird eine kurze Erklärung nicht undienlich sein.
  12.988[2]   5. Die Sprache hat zunächst den Zweck der Gedankenmitteilung, und darum könnte es in der Tat scheinen, als könne sie wohl bei einer Logik im weiteren Sinne, welche auch für die Unterweisung anderer Gesetze gilt, nicht aber für die Logik im engeren Sinn

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in Betracht.
  12.990[1]   6. Aber der sprachliche Ausdruck wird durch die Ideenassoziation eng mit unseren Gedanken verkettet, und er gewinnt dadurch auf unser Denken selbst einen großen Einfluss, der a) im Ganzen wohl ein fördernder ist, so dass manche wie z.B. auch Mill, die Sprache geradezu das Hauptwerkeug und Hilfsmittel des Denkens nennen (man kann französisch denken (oder deutsch und übersetzen) – daher die Behauptung: so viel Sprachen, so viel Denker seien[?] in den Menschen Butain[?]) im Einzelnen aber auch nachteilig werden kann.
  12.990[2]   7. Die Sprache fördert, denn a) das assoziierte Wort wird ein Unterscheidungszeichen mehr für die Gedanken und hindert ihre Verwechslung; und dies ist um ] so wichtiger als eine solche bei Begriffen, die nicht durch kräftige Merkmale verschieden sind, sehr leicht statt hat, das assoziierte Wort aber ein nicht wenig kräftiges Merkmal beifügt. Die Gedanken 9 und 10 (1 und 1 und 1 und 1 und 1' und 1 etc.) sind schwer zu unterscheiden, die Worte leicht.

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  12.991[1]   b) Die Sprache fördert weiterhin das Denken als Hilfsmittel des Gedächtnisses.
  12.991[2]   Ein Hauptmittel der Mnemonik ist die Verknüpfung mit sinnlichen Zeichen (cf. Bain bei Mill, Logik IV, 3, 1. S. 222.). Die Sprache bietet sich ungesucht als ein solches, und gerade wegen ihrer Spontaneität und wegen der Stärke der Ideensassoziation, als ein vorzügliches derartiges Werkzeug dar. Das Hersagen des Vater Unsers in anderen Worten wäre für jeden von Ihnen unmöglich ohne Reflexion auf die Worte des Vater Unsers.
  12.991[3]   c) Endlich fördert die Sprache auch noch in der Weise das Denken, wie das Zeichen cf. Mill, Logik IV, 6, 6.S. 276 ff.] des Mathematikers sein Rechnen fördert, das er statt eines ganzen komplizierten Ausdrucks setzt. Er denkt an das Bezeichnete nur in dem Sinn eines durch dieses Zeichen Bezeichneten und spart das Denken des ganzen verwickelten Ausdrucks selbst. Ähnlich macht er es schon bei den meisten gewöhnlichen Zahlzeichen, wenn die Summe über ein gewisses Maß hinaus gewachsen ist.
  12.991[4]   Wer kann Million anders denken als: eine große mit dem Namen Million bezeichnete Menge? Die Summe: 1 und 1 und 1 u.s.f. – zur millionsten Einheit kann keiner scharf in sich selbst spezifiziert denken, so dass er sie von der Summe: 1 und 1 u.s.f. – zur Million und ersten Einheit unterschiede. Hier haben wir also ein Beispiel, wo die Sprache dem Denken in der Art zu Hilfe kommt, dass es ihm über Schwierigkeiten der größten Art, ja über Unmöglichkeiten hinaushilft.
  12.991[5]   Ein Knabe kann mit Millionen rechnen, indem er den Sinn „die mit dem Namen Million bezeichnete Zahl“ mit dem Wort verknüpft, der ausgebildetste Verstand wäre aber nicht im Stande die

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Begriffe dieser Millionen als in sich selbst spezifizierter sich klar vorzuführen, oder gar mit Leichtigkeit mit ihnen zu rechnen. Ähnliches geschieht fort und fort, auch wo es sich nicht um mathematische Begriffe handelt, wo immer in ähnlicher Weise eine allzugrosse Komplikation eintritt.
  12.992[1]   Lektion 5. 8. Das also möchten etwa die hauptsächlichen Dienste sein, welche uns die Sprache schon beim inneren Denken leistet.
     

     
  12.993[1]   Wozu dann noch die unzähligen und unermesslichen Vorteile kommen, die durch sprachliche Mitteilung unserer Erkenntnis zufließen. In dem Erlernen der Sprache selbst wird ein Reichtum von solchen Mitteilungen uns gemacht. Unter anderen hat der jetzt in England lebende Philosoph Bain (bei Mill, Logik IV, 3,1. S. 222.) mit Recht hierauf ein großes Gewicht gelegt.
  12.993[2]   The Senses and the Intellect : „Alle Erweiterungen der menschlichen Erkenntnis, alle neuen Generalisationen werden, sogar unabsichtlich, durch den Gebrauch von Wörtern fixiert und verbreitet. a) Das aufwachsende Kind lernt mit den Wörtern seiner Muttersprache, dass Dinge, welche es für verschieden gehalten haben würde, in wichtigen Punkten dieselben sind. d) Ohne einen förmlichen Unterricht

36-1
lehrt uns die Sprache, in der wir aufgewachsen sind, die ganze allgemeine Philosophie des Zeitalters. b) Sie veranlasst uns, Dinge zu beobachten und zu erkennen, die wir übersehen haben würden; c) sie versieht uns mit schon fertigen Klassifikationen, durch welche die Dinge mit den Gegenständen, mit denen sie die größte Ähnlichkeit haben, zusammengeordnet werden (soweit es die Aufklärung vergangener Geschlechter zulässig macht). e) Die Zahl der Gemeinnamen einer Sprache und der Grad von Allgemeinheit dieser Namen bieten ein Mittel, um das Wissen des Zeitalters und die geistige Einsicht zu prüfen, welche das Geburtsrecht eines Jeden ist, der in demselben geboren ist.“
     

36-2
     
  12.992[1]   9. Aber wie gesagt, sie fördert nicht bloß, sie hindert auch unser Denken, und bringt es in Gefahren des Irrtums.
  12.992[2]   Auch dies zeigt sich in mehrfacher Weise. a) Wenn bei ungleichen Gedanken der gleiche sprachliche Ausdruck verwendet wird. Das ist Äquivokation. Es führt dies oft zu Verwechslungen.
     

36
     
  12.995[1]   Um so mehr, da die Äquivokationen die selteneren Fälle sind und wir daher gewöhnt sind, unter dem gleichen sprachlichen Ausdruck dasselbe zu verstehen. Nicht zwar in jedem Fall ist das gefährlich. Wenn Begriffe an und für sich durch kräftige Merkmale geschieden sind, ist die Verwechslung nicht wohl zu fürchten. Z.B. Hahn, Ball u. dgl. Wenn dies aber nicht der Fall ist, dann sind sie wohl zu fürchten. a. An und für sich sehr ähnliche Begriffe werden durch die Assoziation der gleichen Benennung noch ähnlicher und leichter zu verwechseln. b. Ebenso ist es bei sehr abstrakten oder reflexen Begriffen, weil diese an sich schwieriger kräftig zu erfassen sind. Das gleiche, kräftig vorgestellte Sprachzeichen verdeckt die Differenzen der Begriffe selbst. Die meisten Fehlschlüsse werden vielleicht in Folge von Äquivokationen begangen. Namentlich wimmelt die Metaphysik der berühmtesten Denker von solchen Sophismen; und eine der Hauptaufgaben einer gewissenhaften Ontrologie besteht z.B. in einer genauen Unterscheidung der Bedeutungen des Seienden, des Teils, der Ursache u. dgl.
  12.995[2]   Die Mathematik ist nur darum nicht so, weil die einfache Technik ihrer Sprache diese Äquivolationen ausschließt. a) Wohin aber käme ein Mathematiker, wenn der Ausdruck zweier verschiedener Größen z.B. für die Zahl 100 und 321 derselbe wäre? b) Wir können es aus dem ersehen,

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was geschieht, wenn ein Mathematiker aus Versehen bei einer Figur an zwei Ecken den Buchstaben α verwendet.
  12.996[1]   Sie sehen also hier eine Weise, wie aus der Sprache für das Denken Nachteile entspringen, indem man die Gedanken nach dem sprachlichen Ausdruck beurteilt. Doch ist dies nicht die einzige.
  12.996[2]   b) Die Sprache hindert ferner oft da, wo bei gleichen Gedanken ein ungleicher sprachlicher Ausdruck angewendet wird. Das ist Synonymie. Man meint so oft, es müssten Unterschiede sein, wo keine sind; indem die Unterschiede der assoziierten Worte die Gleichheit der Gedanken zu erkennen hindern.
  12.996[3]   Auch hier ist das um so mehr der Fall wegen der allgemeineren Gewohnheit und nicht gleich sehr in allen Fällen.
  12.996[4]   Am meisten ist dies wieder bei abstrakten und reflexen Begriffen der Fall. Und besonders dann,

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wenn von den Worten das eine mehr in der einen, das andere mehr in der anderen Redeweise gebraucht wird oder jedes in besonderer Weise äquivok ist: z.B. Ort, Raum, Platz, Stelle, örtliche Bestimmtheit u. dgl. Der Fehler, obwohl selten so gefährlich, wie der erstgenannte, stört doch manchmal nicht wenig den Fortschritt der Erkenntnis, wie in dem eben genannten Beispiel.
  12.997[1]   10. Wegen dieses Einflusses des sprachlichen Ausdrucks auf das Denken, des fördernden sowohl als des hindernden und verwirrenden, hat die Logik offenbar ein Interesse, auf ihn Rücksicht zu nehmen.
  12.997[2]   Sie muss ja das Denken zu fördern suchen und die Gefahren für dasselbe vermeiden lehren.
  12.997[3]   c) Verschiedenheit der Sprache und bei solchen die Zeichen eigentlich präzis, doch ungenaues oder falsches Verständnis (wie in den falschen Definitionen häufig); d) farblose und farbhabende Ausdrücke etc.; e) die Lücken in der Sprache (Aristoteles, Analytica Posteriora II, 14.), überhaupt unpassende Klassifikationen der gewöhnlichen Sprache, z.B. Kastanie.
  12.997[4]   11. Gedanken, eine ganz neue Sprache zu erfinden, ähnlich wie die Mathematik, großteils[?], und teilweise andere Wissenschaften in Wort und Zahl so durchaus. (Vgl.Lange: Aristoteles, Mill, Boole, Lambert, Jevons (Leibniz).)
     

39
     
  12.998[1]   11. Zu diesem ersten kommt aber, nach vielen, noch ein zweiter Grund hinzu, um dessentwillen die Betrachtung der Sprache dem Logiker unentbehrlich ist:
  12.998[2]   Weil die Sprache der Ausdruck des Denkens sei, sagen sie, so spiegele sich in ihm das Denken ab. Wohl ist das Wort unähnlich dem Gedanken, und darum können auch die Sprachen der Menschen von einander verschieden sein, während das Denken dasselbe ist, und wir übersetzen die Gedanken aus einer Sprache in die andere.
  12.998[3]   Aber sie haben auch anderes, was ihnen gemeinsam ist, was durch die Natur des Denkens gefordert wird, und in diesen allgemeineren Zügen ist ein Abbild der Gedanken zu erkennen.
  12.998[4]   Daher hat der Logiker einen wesentlichen Vorteil durch die Betrachtung der Sprache.
  12.998[5]   Die Betrachtung des Denkens in sich selbst ist schwierig, wie jede Reflexion, die Betrachtung der Sprache unterliegt dieser Schwierigkeit nicht und sie kann vielfach jene ersetzen.
  12.998[6]   12. Ob es nun hiermit seine Richtigkeit hat, das ist eine Frage. a) Dass das, was den Sprachen gemeinsam ist, ein Abbild der Gedanken sein müsse, scheint mir keineswegs selbstverständlich. Vielmehr erklärt sich eine gewisse Gemeinsamkeit genugsam daraus, dass das Gleiche durch ein gleiches Mittel bezeichnet werden soll, wenn dieses auch seiner Natur nach dem Bezeichneten so unähnlich ist, dass es in keiner Weise zu einem Abbild, sondern nur zu ganz unähnlichen Symbolen geformt werden kann. Erläuterung: Schrei – Schmerz. Ton – Note.
  12.998[7]   b) In der Tat, glaube ich, dass das letztere das wahre Verhältnis ist, und dass dadurch, dass man das Denken nach

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dem sprachlichen Ausdruck beurteilt hat, in die Psychologie sowohl als in die Logik (ja auch in der Metaphysik) viele Irrtümer eingeführt worden sind. Z.B. a ist b (zwei Gedanken nacheinander) Psychologie. Da doch notwendig zugleich. a ist b. b ist a. Konversion (da nur ).
  12.999[1]   c) Wenn auch die Logik vielleicht weniger dadurch geschädigt worden ist als die Psychologie, so sind a. doch auch in ihr irrige Ansichten über die Richtigkeit mancher Beweisverfahren entstanden, die großen Philosophen ihre Trugschlüsse verbargen, und b. anderwärts haben sie wenigstens zu unnötigen Subtilitäten und Verwicklungen geführt, oder c. auch Lücken der Theorie veranlasst.
  12.999[2]   d) Aber wenn auch hier mit geringerem Recht die Logiker von der Sprache Hilfe erwarteten, und die Meinung von der Übereinstimmung von Gedanke und sprachlichem Ausdruck sich als ein ungegründetes Vorurteil herausstellt, so ist doch, weil das Vorurteil so natürlich ist, auch für den, der es nicht teilt, eine Berücksichtigung des sprachlichen Ausdrucks, aus einem neuen Grunde geboten. Damit das Denkverfahren recht klar werde, muss sein wahres Verhältnis zu seinem sprachlichen Ausdruck, mit dem man es so leicht übereinstimmend denkt, nachgewiesen werden.
  12.999[3]   13. a) Dies sind also die Gründe, um deren willen die Logik von der Sprache handeln muss. b) Nach ihnen bestimmt sich aber zugleich das dabei zu befolgende Maß: Nicht weiter als es dieser Zweck fordert. c) Und Ähnliches gilt auch von der psychischen Erscheinung selbst. Wir nehmen nur, was uns als nötig erscheint, die eingehendere

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Betrachtung der Psychologie überlassend.
  13.000[1]   Lektion 6
     

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  13.001[1]   19. Alle diese Gedanken teilen wir einander durch die Sprache mit. Es geschieht dies in der Rede.
  13.001[2]   20. Aber nicht alles, was gesprochen wird, ist für sich eine Rede. Vielmehr ist das Gesprochene von einer dreifachen Art: 1. Es kann für sich allein ganz bedeutungslos, nur mit einem anderen verbunden etwas bezeichnend, sein. Z.B. Partikeln, Beugungsfälle von Substantiven u.s.w. Einwand. Lösung. Bei der suppositio materialis liegt nicht ein Zeichen vor, sondern ein bezeichnetes: Das „Aber“ ist eine Konjunktion, wie der da (den Ochsen vorführend) ist fett. Oder ein Name für das Partikel, nicht das Partikel selbst (synkategorematisch Ausdrücke). 2. Das Gesprochene kann wohl bereits etwas bedeutend, aber nur etwas benennend, und nicht ein eigentlicher fertiger Ausspruch (eine Rede) sein, wie z.B. jeder Namen, den wir sprechen (kategorematische Ausdrücke, auch vielwörterige Namen). 3. Es kann etwas bedeutend und ein fertiger Ausspruch (eine Rede) sein. Z.B. Aussage, Ausruf, Bitte.
  13.001[3]   20. In Bezug auf die Namen fragt es sich, was sie bedeuten.
     

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  13.002[1]   Sie bedeuten: 1. nicht sich selbst;
  13.002[2]   2. nicht den Vorstellungsakt oder die Vorstellung;
  13.002[3]   3. nicht das Vorgestellte als Vorgestelltes;
  13.002[4]   4. scheinen sie aber auch nicht die Dinge zu bezeichnen.
  13.002[5]   a) Denn viele Namen sind nicht Namen von Dingen. Sie sind Fiktionen, z.B. Jupiter.
  13.002[6]   b) Hoc animal und hic homo hätten nicht verschiedene Bedeutung.
  13.002[7]   5. Sie bezeichnen ein Vorgestelltes, aber nicht als Vorgestelltes, sondern als das, als was es vorgestellt wird. Hieraus löst sich a) und auch b), denn hier liegt ein Ding vor, aber unter Vermittlung verschiedener Vorstellungen.
     

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  13.003[1]   Von den Grundklassen der psychischen Phänomene
  13.003[2]   1. Alle psychischen Phänomene haben gemeinsam eine Beziehung auf einen Inhalt. Das ist, was sie von jedem anderen unterscheidet.
  13.003[3]   2. Diese Beziehung auf den Inhalt ist eine mehrfache. Nach den Hauptverschiedenheiten lassen sich drei Hauptklassen von psychischen Phänomenen unterscheiden Vorstellen (wo immer etwas erscheint), Urteilen (wo immer etwas anerkannt oder verworfen, bejaht oder verneint wird), Lieben oder Hassen (Lust und Unlust, Begehren und Wegwünschen, Wollen oder Fliehen u.s.f.).
  13.003[4]   3. Diese Einteilung ist allerdings nicht allgemein anerkannt. Gewöhnlich werden Vorstellen und Urteilen als Denken zusammengefasst. Und andererseits werden Lieben und

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Hassen in Fühlen und Wollen getrennt. Das Letzte kommt für unseren Zweck nicht in Betracht. Das Erstere dagegen ist wichtig, und obwohl wir die gründlichere Erörterung der Psychologie überlassen müssen, sind doch einige Worte zur Erklärung und Rechtfertigung angebracht.
  13.004[1]   4. Die Behauptung ist also die, dass in dem Urteil eine neue, grundverschiedene Weise der Beziehung auf den Inhalt gegeben ist, so dass Urteilen und Vorstellen nicht weniger verschieden sind als Begehren und Vorstellen.
  13.004[2]   5. Damit wird offenbar nicht gesagt, dass ein Urteilen ohne Vorstellen möglich sei. Dies ist ja auch nicht beim Begehren der Fall. Wer urteilt, stellt das, was er

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beurteilt, vor. Nur eine zweite neue Beziehung zum Inhalt kommt zu der im Vorstellen selbst Gegebenen hinzu: Anerkennen oder Verwerfen. Ähnlich wie dort: Begehren oder Verabscheuen, Lieben oder Hassen.
  13.005[1]   6. Die innere Erfahrung lehrt dies deutlich. Und um so klarer wird die Sache, je länger und vielseitiger man sie betrachtet. So bestehen zwischen Vorstellungen keine Gegensätze, außer die der Objekte: Licht, Dunkel etc. Zwischen Urteilen dagegen besteht auch ein Gegensatz in den Beziehungen zum Objekt. (Ähnlich wie bei Lieben und Hassen.) Und wie eine neue Art von Gegensätzen entsteht, so entsteht eine neue Art von Intensität: Dort gibt es Lebhaftigkeit der Erscheinung, hier Unterschiede der Gewiss-


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heit (gerade wie bei Liebe – Hass, Heftigkeit oder Mäßigung in den Gefühlen). Ebenso gibt es eine neue Gattung von Vollkommenheit und Unvollkommenheit: Erkenntnis – Irrtum (ähnlich wie dort Tugend – Schlechtigkeit).
  13.006[1]   7. Noch mehr erhellt sich die Richtigkeit aus der Unmöglichkeit jeder anderen Erklärung. Besteht irgend ein innerer Unterschied zwischen Vorstellen und Urteilen? Welcher? a) Intensität? b) Man sagt gewöhnlich: Ein Urteil ist eine Beziehung, Verbindung oder Trennung von Vorstellungen. Aber näher besehen zeigt sich, dass damit kein Urteil gegeben ist: ein grüner Baum. Ist Mohammed Prophet Gottes? Es gehört etwas dazu: Anerkennung oder Verwerfung. Umgekehrt ist eine solche oft gerichtet auf etwas, was keine Verbindung und Beziehung von vorgestellten Merkmalen ist. Es gibt ein A, A ist. Hier wird nicht die Verbindung von A mit etwas Anderem, sondern A selbst an und für sich anerkannt (keine Zusammensetzung, sondern eine Setzung). Es gibt kein A, A ist nicht. A selbst wird verworfen und nicht eine Verbindung von ihm mit etwas Anderem (nicht Trennung, Loslösung von etwas Anderem, sondern Aufhebung schlechthin). Bezöge sich die Leugnung auf eine Verbindung von A mit etwas Anderem, so wäre dadurch A selbst gar nicht geleugnet, so wenig als in dem Satz „Kein Baum ist grün“ ein Baum geleugnet wird.
  13.006[2]   Erinnerung ist keine Prädikation des Begriffs Vergangenheit, Wahrnehmung keine Prädikation des Begriffs Existenz. Für den, der nicht an angeborene Begriffe glaubt, wird das für die ersten Fälle ohnehin deutlich. So wäre es noch weitläufiger zu begründen. Doch auch dies ist hoffentlich genügend. Verweis auf meine Psychologie.
  13.006[3]   Notabene. Kritiker: Windelband (Straßburger Studien ) hat Unrecht, dass Urteil von Gefühl (Liebe) geschieden werden muss. Czarnke, Literaturblatt: Weniger dabei verweilt. Aber schon durch Kant und Andere klar gelegt, und leicht [1 W. unl.], z.B. liegt hinsichtlich der Intensität Unvergleichlichkeit vor.
     

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  13.007[1]   Es ist z.B. lächerlich, so zu vergleichen: Dies ist mir halb so gewiss als mir jenes lieb ist.
  13.007[2]   Der Rezensent meinte: Nein. Man solle nur einen speziellen Fall sich vorführen. Dann ergebe sich keine Lächerlichkeit. Scherzend: Die Brentano'sche Theorie vom Urteil ist mir lieb, aber es ist mir doppelt so wahrscheinlich, dass sie falsch ist.
  13.007[3]   Aber das ist ein offenbares Sophisma: Man versteht nämlich doppelt so wahrscheinlich, dass sie falsch als dass sie wahr ist = sie hat für mich ⅓ Wahrscheinlichkeit.
  13.007[4]   Damit ein Beispiel: Meine Überzeugung von ihr ist halb so groß als meine Liebe zu ihr. Und das ist in Wahrheit eine Lächerlichkeit. Nicht anders als wenn einer sagte: Eine Elle ist halb so lang als die Zeit einer Viertelstunde. Der Scharfsinn eines Leibniz war dreimal so groß als der Stephansturm. Die Sommerhitze in Wien ist manchmal so groß wie ein Eichbaum und drückender (diese mathematische Aufgabe halb so schwer) als ein halber Zentner.
  13.007[5]   Auch das könnte aufmerksam machen.
  13.007[6]   Bei der Überzeugung (Urteil) gibt es ein höchstes Maß der Intensität: die volle Gewissheit, bei der Liebe eine Steigerung ins Unendliche.
  13.007[7]   Doch wir verweilen schon zu lang bei etwas, was einerseits einleuchtend ist, andererseits für die Logik von minderem Belang ist. Für sie sind Vorstellung und Urteil, und der Nachweis ihres Verhältnisses das Wichtigste.
     

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  13.008[1]   Vom sprachlichen Ausdruck (Äußern) der psychischen Phänomene.
  13.008[2]   1. Die Sprache hat im Allgemeinen den Zweck, unseren psychischen Phänomenen Ausdruck zu geben oder sie zu äußern, kund zu tun (dem Inhalt unserer psychischen Phänomene Ausdruck zu geben; dem, was vorgestellt, geurteilt, gewünscht, geliebt wird als solchem).
  13.008[3]   (Anderer Gebrauch entfremdet sie ihrem Zweck).
  13.008[4]   2. Vorzüglich Urteilen und Phänomenen der Liebe und des Hasses wird Ausdruck gegeben.
  13.008[5]   3. Doch gibt es sprachliche Ausdrücke, die für sich allein nur Vorstellungen Ausdruck geben.
  13.008[6]   4. Und es gibt andere, die für sich allein der abgeschlossene Ausdruck gar keines psychischen Phänomens sind.
  13.008[7]   5. So nicht bloss Silben, sondern auch Wörter, ja ganze Wortkomplexe.
  13.008[8]   Artikel] Z.B. die Partikeln wie: von, zu, wahrlich, nicht, nur. Auch das Wörtchen: kein (= nicht ein), irgend ein“. Artikel. Casus: mich, ihm, des Vogels, von

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dem Hause, u.s.w.
  13.009[1]   Nur mit anderen Wörtern verbunden tragen sie zum Ausdruck eines psychischen Phänomens bei. z.B. Kein Stein ist lebendig“, Er hat mich geschlagen u.s.w.
  13.009[2]   6. Diejenigen sprachlichen Ausdrücke, welche der abgeschlossene Ausdruck einer Vorstellung sind, nennen wir in der Logik Namen: z.B. Haus“, aber auch ein unverständiger Mensch oder ein Mensch, welcher seinen Bruder hasst. Man hat sie auch kategorematische Ausdrücke genannt. Anlass dafür war offenbar ihre Verwendbarkeit als Prädikate im kategorischen Satz.
  13.009[3]   Unter den Wörtern, welche für sich nicht der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens sind, nannte man einige, welche bei der Prädikation mit verwandt wurden und das Urteil als allgemein oder partikulär kennzeichneten: synkategorematische Ausdrücke wie z.B. kein, irgend ein.

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Später erweiterte sich die Bezeichnung und umfasste alle, die nicht der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens sind. (Dem entspricht schon die Definition bei Goudin. Insbesondere hat sie auch J. St Mill in dem Sinn erneuert. So auch wir.)
  13.010[1]   7. Den abgeschlossenen Ausdruck einen Urteils oder eines Phänomens der Liebe oder des Hasses nennen wir eine Rede. Aussage. Bitte, Befehl, Frage etc. (cf Th v A., De interpretatione).
  13.010[2]   8. Uns sind besonders die Aussagen wichtig. Aber auch die Namen. Von ihnen wollen wir zunächst sprechen.
  13.010[3]   9. Was bedeuten die Namen?
  13.010[4]   10. Von jedem sprachlichen Ausdruck, welcher abgeschlossener Ausdruck eines psychischen Phänomens ist, sagt man, dass er für sich allein etwas bedeute,

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so von der Aussage, von der Frage, aber auch von den Namen. Dagegen sagt man von den synkategorematischen Ausdrücken, sie bedeuteten für sich allein nichts, sondern nur mit anderen Wörtern verbunden. Mich, ihm, des Hauses bedeuten bedeuten für sich allein nichts. Dagegen wohl: Er schlägt mich, Herr des Hauses u.s.f.
  13.011[1]   11. Einwand: Aber ist ein Partikel. Hier ist aber in einer anderen Weise gebraucht und ist nun wirklich ein Namen. Das Wort aber ist ein Partikel. Dass dieser Gebrauch ein ganz anderer ist, sieht man daran, dass es nicht mit Beifügung der Eigentümlichkeiten,

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die ihm als solchem zukommen, in den Sätzen, in welchen es sonst verwandt wird, stehen kann, z.B. Sie ist nicht reich, (die Konjunktion:) aber tugendhaft. Auch Namen können in dieser außergewöhnlichen Weise, die man suppositio materialis genannt hat, verwandt werden. Mensch ist ein Substantiv, gut ist ein Adjektiv. „Ein Mensch ist gut“ nicht = „Das Substantiv Mensch ist das Adjektiv gut“. Aber hier hat es auch noch, in gewöhnlicher Weise gebraucht, eine Bedeutung.
  13.012[1]   12. Was bedeuten nun die Namen? Nach dem eben Gesagten etwas Anderes als sich selbst (wenn nicht etwa bei der suppositio materialis, und diese ja ebenso bei synkategorematischen Ausdrücken, welche keine Bedeutung für sich alleine haben).
  13.012[2]   a. Wir sagten, es unterscheide sie von

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den synkategorematischen Ausdrücken, dass sie etwas für sich allein bedeuten. Wir sagten, es unterscheide sie, dass sie für sich allein der abgeschlossene Ausdruck eines psychischen Phänomens seien? Es scheint, dieses bedeutet es. In der Tat meinen viele Philosophen, die Namen bedeuteten unsere Vorstellungen. Aber dagegen erwidert J. St Mill: Dann ergebe sich Die Vorstellung von der Sonne geht auf.
  13.013[1]   b. Was ist nun sonst die Bedeutung der Namen? Es scheint etwas Äußeres zu sein. Ein Gegenstand, welcher der Vorstellung entspricht.
  13.013[2]   Aber: a' Was würde Jupiter bedeuten? Da es kein Ding Jupiter gibt? Hier also kann der Namen doch nur meine Vorstellung von Jupiter bedeuten, sonst bedeutete er nichts.
  13.013[3]   b' Der Sohn der Phänarete und der Weiseste unter den Athenern würden dasselbe bedeuten; denn real sind sie eins; ich sage: Der Sohn der Phänarete ist der Weiseste unter den Athenern“.
  13.013[4]   Der Sinn, die Bedeutung scheint aber doch eine verschiedene. c' Und wenn einer trotzdem dies zugäbe, so sage ich ferner: Ein Hund und ein Tier hätten keine verschiedene Bedeutung, denn sie können von demselben ausgesagt werden. Ebenso aber ein Ochse und ein Tier; also auch ein Ochse und ein Hund“.
  13.013[5]   d' Ja noch mehr, ein Ochse wäre ein Hund.
  13.013[6]   e' Man könnte entkommen, wenn man sagte, Tier habe nicht eine, sondern viele Bedeutungen.
  13.013[7]   Aber nein! Nicht wie Mars, Hahn etc. Also liegen nicht verschiedene Bedeutungen vor. Wenn nun die Bedeutung das Ding ist, so sind der Ochse und der Hund ein Ding.
  13.013[8]   f' Oder sollte etwa, wie Platon meinte, die Prädikation nur sagen, dass beide einem allgemeinen Ding, Tier, einem Tier an sich, einer Tierheit gemeinsam ähnlich seien? – Dann müssten wir ein Allgemeines außer den Einzeldingen, eine Welt von Allgemeinheiten, eine Welt der Ideen annehmen.
  13.013[9]   Längst ist gezeigt, dass dies unstatthaft ist und in tausend Absurditäten verwickelt. Und beim ersten Blick schon so unannehm-


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bar ist, dass viele gar nicht zugeben wollten, dass Platon sich so verirrt habe.
  13.014[1]   c. Vielleicht bedeutet der Name den Inhalt der Vorstellung (als solcher), das Vorgestellte als solches, den immanenten Gegenstand. Aber es scheint nicht. Ich kann nicht sagen: Der Inhalt meiner Vorstellung geht auf.
  13.014[2]   d. Was bleibt noch übrig? Das den Namen Tragende als solches? Hobbes: „In einem jeden Urteil ist

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der Glauben des Sprechenden ausdrückt, dass das Prädikat ein Namen desselben Dinges ist, wovon das Subjekt ein Namen ist“ (bei Mill, Logik I [S. 108].
  13.015[1]   Aber obwohl manchmal, wie wenn der Vater bei der Taufe des Kindes sagt, ich muss einen „Stoffel“ haben, doch nicht immer. (Der Seehund und der Hund im Kübel: irgend ein Hund bewegt sich. Man spricht: „Hahn. An irgend ein Hahn-Genanntes denkt er. Argument wie eben. Auch bei mathematischen Zeichen.)
  13.015[2]   Nicht einmal immer bei den Eigennamen; wogegen Mill: sonst nicht mehr individuelle Namen sondern allgemeine; Eigennamen von Verschiedenem sind äquivok. Wenn aber einer gar es allgemein annimmt, wie Hobbes, so ist das schier eine unglaubliche Verirrung. Es würde dann alle Wahrheit die unsere Aussagen enthalten, z.B. dass die Dreiecke zwei Rechte, 2 + 1 = 3, wenn nicht in unserer, so doch in der Willkür derjenigen ihren Grund haben, die die sprachlichen Ausdrücke ursprünglich gebildet haben.
  13.015[3]   Hobbes zieht in der Tat die Konsequenz: „ Hieraus kann noch geschlossen werden, dass die ersten Wahrheiten willkürlich von denjenigen eingeführt wurden, welche den Dingen Namen gaben oder diese

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von Anderen empfingen. Denn es ist (beispielsweise) wahr, dass der Mensch ein lebendes Geschöpf ist, aber [nur] aus dem Grunde, weil es den Menschen gefiel, demselben Dinge diese beiden Namen zu geben. “ (cf. Mill, Logik I, S. 115. Anmerkung).
  13.016[1]   13. Nochmals also: was bezeichnen die Namen?
     
  13.018[1]   Der Namen bezeichnet in gewisser Weise den Inhalt einer Vorstellung als solcher, den immanenten Gegenstand.
  13.018[2]   In gewisser Weise das, was durch den Inhalt einer Vorstellung vorgestellt wird.
  13.018[3]   Der erste ist die Bedeutung des Namens.
  13.018[4]   Das zweite ist das, was der Name nennt. Von ihm sagen wir, es komme der Name ihm zu. Es ist das, was, wenn es existiert, äußerer Gegenstand der Vorstellung ist.
  13.018[5]   Man nennt unter Vermittlung der Bedeutung.
  13.018[6]   Die alten Logiker sprachen von einer dreifachen Supposition der Namen: suppositio materialis: vide oben; suppositio simplex: Bedeutung, z.B. bei der Aussage Mensch ist eine Spezies, d.i. die

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Bedeutung des Wortes Mensch ist eine Spezies, d.i. der Inhalt der Vorstellung eines Menschen ist eine Spezies; suppositio realis: das Genannte, z.B. bei der Aussage Ein Mensch, ist lebendig, ist gelehrt etc.
  13.019[1]   Lösung der Einwände
  13.019[2]   Dagegen, dass der Inhalt der Vorstellung die Bedeutung sei, wurde eingewandt (cf. Nr. 5: Wenn ich sage, die Sonne geht auf, so meine ich nicht, der Inhalt meiner Vorstellung geht auf, ich spreche von einem äußeren Vorgang. Antwort: Dazu genügt, dass das äußere Objekt das Genannte ist, die Bedeutung muss es deshalb nicht sein, diese ist vielmehr der Inhalt der Vorstellung Sonne, unter deren Vermittlung das Objekt genannt wird.
  13.019[3]   Dagegen, dass die Gegenstände bezeichnet werden, wurde gesagt: 1. Es fehle oft ein Gegenstand. Also würden die Namen nichts bedeuten. Antwort: 1'. Sie bezeichnen wohl die Gegenstände, aber bedeuten sie nicht, sondern nennen sie. Das Wort ist also nicht ohne Bedeutung.
  13.019[4]   2'. Es darf nicht verwechselt werden: nichts bedeutenbezeichnen und etwas bedeuten, was nicht ist (wie ja auch wünschen, hoffen).
  13.019[5]   2. Sohn der Phänarete und der Weiseste der Athener würden dasselbe bedeuten.
  13.019[6]   Antwort: Sie würden dasselbe nennen, nicht bedeuten. Sie nennen unter Vermittlung verschiedener Bedeutung.
  13.019[7]   3. So folgt natürlich auch des Weiteren nicht, dass ein Ochse und ein Hund dasselbe bedeuten.
  13.019[8]   Ja, sie bedeuten nicht bloß, sondern nennen auch Verschiedenes. Tier bedeutet nämlich zwar eins, nennt aber Vieles.
     

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  13.020[1]   Von den Aussagen.
  13.020[2]   Was bezeichnen sie?
  13.020[3]   1. Da wir bei den Namen die Frage aufwarfen, unterschieden wir, was sie bedeuten und was sie nennen.
  13.020[4]   Auch hier machen wir eine Unterscheidung, aber nicht dieselbe. Sie bedeuten, aber sie nennen nicht.
  13.020[5]   2. Wie die Namen, haben sie eine doppelte Beziehung, a, auf den Inhalt eines psychischen Phänomens als solchen, und b, auf etwaige äußere Gegenstände. Der erste ist die Bedeutung.
  13.020[6]   3. Das betreffende Phänomen ist aber in diesem Fall keine Vorstellung, sondern ein Urteil. Das Geurteilte als solches ist die Bedeutung.
  13.020[7]   Ähnlich bei der Bitte; das Gewünschte als Gewünschtes ist die Bedeutung.
  13.020[8]   4. In Folge davon, dass das, was die

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Beziehung zum etwaigen Gegenstand vermittelt, eine andere Art von Phänomen ist, ist die Bezeichnung derselben eine andere: kein Nennen, sondern ein Anzeigen. Das Angezeigte ist das, was anerkannt oder verworfen wird.
  13.021[1]   Wir können es Andeuten oder Abdeuten nennen (für dies letzte sagen wir: das Nichtsein andeuten).
  13.021[2]   Notabene. Obwohl das von der Aussage bezeichnete Objekt dasselbe ist wie das genannte, so bedeuten Aussage und Namen darum doch nicht dasselbe.



  13.021[3]   1. Wir haben bereits bemerkt, dass es der Sprache mehr auf den Ausdruck von Urteilen als von Vorstellungen ankommt.
  13.021[4]   2. Obwohl nun dieser Zweck der vorzüglichste ist, so geht die Sprache doch nicht direkt darauf los, und gebraucht dafür nicht die einfachsten Zeichen, sondern für die Vorstellung.
  13.021[5]   3. Es begreift sich dies übrigens leicht.
     

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  13.022[1]   Große Ersparnis .
  13.022[2]   1. Ja – Nein.
  13.022[3]   2. Bitte etc.
  13.022[4]   3. Auch die Vorstellung hat einen Ausdruck für sich, und dies ist immerhin ein Vorteil.
  13.022[5]   4. Doppeltes Zeichen als Ergänzung des Vorstellungsausdrucks zu erwarten.
  13.022[6]   5. Indes finden wir mannigfache verwickeltere Ausdrücke.
  13.022[7]   6. Wenn nun dies der Fall ist, so muss jeder auf eine einfachere Formel reduzierbar sein, und zwar eine mit zwei Teilen.
  13.022[8]   7. Materie – Form des Urteils und der Aussage. Jene = Inhalt der Vorstellung. Diese = Unterschied der Qualität.

  13.022[9]   Wichtige Folgen der Verirrungen Einlage
     

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  13.023[1]   Wichtige Folgen der falschen Ansichten über die Bedeutung von Namen und Aussagen: wesentliche Hemmung der Logik und der Wissenschaft bei Platon, bei den Neueren (worüber Mill spricht). Statt die Gegenstände zu studierendiren, studierte man die Vorstellungen.
  13.023[2]   Bei der Logik wurde in Folge der falschen Ansichten über die Bedeutung von Namen und Aussagen auf die Verhältnisse der Gegenstände nicht geachtet, was namentlich die Lehre von der Entdeckung so gut wie ganz vernichtete. Aristoteles, Comte und Mill mit ihren Berücksichtigungen dieser Verhältnisse.
     

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  13.024[1]   VII Einteilung der Begriffe und Namen.
  13.024[2]   1. Wir unterschieden bei den Namen die Bedeutung und das, was sie nennen.
  13.024[3]   Die Bedeutung = der Inhalt der Vorstellung, welche die Sprache mit den Namen verknüpft.
  13.024[4]   Man nennt den Inhalt einer einer Vorstellung auch Begriff in Rücksicht auf das, was ihm etwa entspricht. Also der Inhalt der Vorstellung von einem Hund ist der Begriff des Hundes.
  13.024[5]   2. Es ist nötig, die für die Logik wichtigsten Unter schiede der Begriffe namhaft zu machen.
  13.024[6]   — 1. Man teilt die Begriffe ein in universelle und individuelle, allgemeine und Einzelbegriffe. Ein allgemeiner Begriff ist ein solcher, dem verschiedene Gegenstände entsprechen können,

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individuell ein solcher, welchem nur ein Gegenstand entsprechen kann. z.B. Sokrates, der weiseste unter allen Griechen, welche gelebt haben.
  13.025[1]   Man nannte auch die Namen allgemeine und individuelle, und oft auch die Gegenstände eines allgemeinen Begriffs Universalia und Individua, Das ist Mißverständlich. Der große Streit über die Existenz der Universalien hing damit zusammen. Die einen meinten, kein Universale existiere außerhalb des Geistes, die anderen meinten, es existiere ebenso gewiß wie ein Individuum.
  13.025[2]   Das Erste ist richtig, wenn man Universale in dem Sinn nimmt, in welchem man Begriffe universell nennt, nicht wenn man darunter den Gegenstand eines allgemeinen Begriffs versteht. Das Zweite ist richtig, wenn man das Letzte, und wenn man will, in jedem Sinne. Denn universell und individuell im eigentlichen Sinn gelten nur von Inhalten psychischer Phänomene, z.B. allgemeines Urteil, allgemeine Menschenliebe.

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Um dieses Mißverständnis zu vermeiden, sollten wir besser den Ausdruck vermeiden: besser universell Vorgestelltes, oder unbestimmt Vorgestelltes.
  13.026[1]   Noch vor einer anderen Verwechslung ist zu warnen, und zwar in Bezug auf den Unterschied, welcher zwischen einem universellen und einem Kollektivbegriff besteht. Jene sind oft nicht Kollektivbegriffe: z.B. Atom. Diesesind oft individuell: das österreichische Volk. (Allgemeine absurde Begriffesind ex hypothesi impossibile.)
  13.026[2]   2. Einfache – zusammengesetzte und (eigentlich mehr und minder zusammengesetzter) Begriffe. Ein zusammengesetzter ist ein solcher, bei welchem ein Teil des Begriffs für sich allein einen Begriff bildet. So z.B. bei Schimmel, Pferd; bei Röte, Farbe. Notabene: Auch bei Urteilsvermögen Fähigkeit; nicht aber Urteil. (In obliquo, in recto: es kommt nicht allen Gegenständen zu.)
     

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  13.027[1]   a. Bei zusammengesetzten entweder gegenseitige oder einseitige Trennbarkeit der Teile: z.B. ein Schimmel; dagegen Röte, Farbe, Ausdehnung.
  13.027[2]   b. Zusammengesetzt aus 1. physischen, 2. metaphysischen, 3. logischen Theilen (im Aristotelischen Sinn) ad 1. z.B. eine Herde, ein Haus, Geist und Leib, ein Körper (quantitativ); ad 2. wie zwei Eigenschaften z.B. ein Held aus Menschheit und Tapferkeit ad 3. ein logischer Teil ist z.B. der Begriff Urteilendes gegenüber dem Begriff Leugnendes, Farbiges gegenüber Rotes, Figur gegenüber Kreis. Wir sehen, ein Begriff ist der logische Teil eines anderen, wenn beide einem Gegenstand demselben physischen und metaphysischen Teil nach zukommen und der eine in dem anderen eingeschlossen ist.

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Logisch zusammengesetzt ist also der Gegenstand einer Vorstellung, die eine solche Teilvorstellung in sich schließt.
  13.028[1]   Notabene. Die Trennbarkeit der logischen Teile ist immer eine einseitige.
  13.028[2]   Der trennbare logische Teil heißt Gattungs(bestimmtheit), wenn das logische Ganze, wovon er ein Teil ist, außer ihm noch mehrere logische Teile enthält (die nicht in ihm aufgenommen sind).
  13.028[3]   Enthält ein logischer Teil selbst einen oder mehrere logische Teile, so heißt er Art(bestimmtheit) ihrer Stufen.
  13.028[4]   Eine höchste Gattung nennt man eine solche, welche nicht zugleich Art ist. Eine niedrigste Art eine solche, welche nicht zugleich Gattung ist.
  13.028[5]   Notabene. Ein aus mehreren Namen zusammengegliederter Namen, welcher die sämtlichen logischen Teile eines logischen Ganzen von der höchsten Gattung bis zur niedrigsten Art ihrer Stufenfolge nach nennt, heisst Definition. Die Artbestimmtheiten in ihr werden auch die spezifischen Differenzen genannt. Die letzte spezifische Differenz ist gleich dem letzten Artbegriff und ihr Inhalt gleich dem der ganzen Definition.
  13.028[6]   So viel also über die Einteilung der Gegenstände der Vorstellung in einfache und zusammengesetzte. Wir haben hauptsächlich die Fälle im Auge gehabt, wo durch eine Vorstellung etwas als Ding vorgestellt wird. Alles oder das meiste gilt aber analog, wo etwas als Nicht-Ding oder aoriston vorgestellt wird (wie wir dies auch schon angedeutet haben), z.B. ein von den Griechen Psyche, von den Römern Anima Genanntes (metaphysisch), eine Größe von 6 Fuss, eine Reise von Aschaffenburg bis Würzburg, ein Heer (physisch), Röte (logisch).
  13.028[7]   Notabene. Zu bemerken ist noch in Bezug auf die zusammengesetzten, dass die Auflösung in doppelter Art möglich ist.
     

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  13.029[1]   3. Relative – nicht relative. Ein relativ Bezeichnetes ist ein solches, was in Bezug auf ein anderes bestimmt wird. Relative Namen sind solche, bei denen außer dem Genannten ein anderes in obliquo genannt wird, das, wenn es selbst ein Gegenstand ist, ebenfalls einer sein muss, z.B. wirkend – verursacht, gleich –, größer – (Unterschied zwischen Beziehungen und vergleichsweisen Bestimmungen).
  13.029[2]   Notabene: Wird das Relativ-Bezeichnete anerkannt, so wird außer ihm zugleich das anerkannt, in Bezug worauf es bestimmt wird.
  13.029[3]   4. Positive – negative.
  13.029[4]   5. Nach der Herkunft der Vorstellungselemente, aus welchen gebildet: äußere Wahrnehmung – innere Wahrnehmung – Phantasie – der äußeren und inneren gemein. a) Absolute: räumliche; vom Raum freie: unräumliche, vom Raum abstrahierende. b) Relative. (Siehe Beilage.)
     

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  13.030[1]   6. Als Ding – als Nicht-Ding – als Unentschiedenes (Aoriston) – (als Gemischtes).
  13.030[2]   Notabene: Auch eine Fiktion kann als Ding vorgestellt werden, wie z.B.

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Menschen, die ich mir auf dem Mars wohnend denke, oder Gespenster. Dann wird das Genannte und Vorgestellte als Ding genannt und vorgestellt, wenn es, sobald man es anerkennen würde, als Ding anerkannt wäre, und um mit Wahrheit anerkannt zu werden, ein Ding sein muss, z.B. ein Geist.
  13.031[1]   Notabene II: Als ein Nichtding wird vorgestellt und genannt, was auch, wenn es und mit Wahrheit anerkannt wird, kein Ding ist und kein Ding sein kann, z.B. eine Mehrheit von Dingen (Kollektivum), ein Teil von einem Ding (Diversivum) (sei es ein logischer, physischer oder metaphysischer), eine Grenze, ein Nichts (etwas was nicht ist), ein fabelhaftes Wesen (etwas, was fälschlich für ein Ding gehalten wird).
  13.031[2]   Notabene III: Als ein Unentschiedenes (Aoriston) wird genannt und vorgestellt, wobei, wenn es anerkannt wird, nichts darüber bestimmt wird, ob es ein Ding ist oder nicht. Solche sind z.B. Negativa; Päterita und Futura, so wie auch wo über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft nichts entschieden wird, z.B. ein Irgendwann-Lebender; Objektiva; Signativa; Possibilia u.dgl. (Hypothetika und Disjunktiva). Viele Relativa (gleich, Ursache).
  13.031[3]   (Ein Aoriston kann Individuum sein, z.B. ein Homer Genanntes.)
  13.031[4]   (Notabene: Ein besonders wichtiges und merkwürdiges Aoriston ist das, wo es unentschieden bleibt, ob es nichts, eins oder Kollektiv wie z.B. eine Zahl 0 und 1 eingerechnet), und mir scheint auch „alle Menschen oder die Menschen“ hierher zu gehören = das, was von Menschen ist, ist sterblich (?))
  13.031[5]   Notabene IV: Gemischte Namen endlich sind solche, deren Bedeutung aus der eines Aoriston und eines Dinges oder aus der eines Aoriston und eines Nichtdinges zusammengesetzt ist, z.B. ein Staat, welchen ich mir vorstelle, ein Sauerstoffatom, welches in diesem Wasser ist, ein Körper, welchen ich gesehen habe, ein Geist ohne Verstand, ein Blinder.
     

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  13.032[1]   7. Begriff einer wesentlichen – unwesentlichen Bestimmung nach.
  13.032[2]   a) Wie wir alsbald, wenn wir von den Verhältnissen des Vorgestellten handeln, eingehender zeigen werden, haben Dinge, die durch eine Vorstellung gemeinsam vorgestellt werden, au?er der einen auch noch andere Bestimmungen gemein, welche sie von anderen, nicht darunter begriffenen unterscheiden.
  13.032[3]   b) Ein doppelter Fall: Bei manchen allgemeinen Vorstellungen unterscheiden sich die darunter begriffenen Dinge von den nicht darunter begriffenen nur in gewissen Einzelheiten, die man aufzählen kann, während sich andere in mehr Einzelheiten unterscheiden als wir aufzählen können oder sogar als wir jemals zu wissen erwarten dürfen. (Cf. Mill, Logik I, S. 145.)
  13.032[4]   c) Beispiele der ersten Art: z.B. weiß, 2 Schuh groß; der zweiten dagegen: Tiere, Pflanzen, Sauerstoff, Phosphor.

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Hunderte von Generationen haben die gemeinsamen Eigenschaften davon nicht erschöpft, auch setzen wir gar nicht voraus, dass sie zu erschöpfen seien, sondern wir machen immer neue Beobachtungen und Experimente in der vollen Zuversicht, neue Eigenschaften zu entdecken, welche in den vorher gekannten keineswegs eingeschlossen lagen.
  13.033[1]   „ Wenn sich aber Jemand vornehmen wollte, die gemeinsamen Eigenschaften aller Dinge zu untersuchen, welche dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe oder dasselbe spezifische Gewicht haben, so wäre dies eine handgreifliche Absurdität. “
  13.033[2]   „ Keine anderen sind ihnen gemeinsam als die in dem Namen selbst eingeschlossenen oder (durch ein Kausalgesetz) ableitbaren. “
  13.033[3]   d) Vielfach hat man dies so gedeutet, dass man sagte, in den ersteren Vorstellungen würden die Dinge ihren substanziellen Bestimmungen (substantiellen Differenzen) nach vorgestellt. Allein dies ist falsch. 1, überhaupt keine sind zugänglich. „Ding“ ist der einzige substantielle Begriff, den wir etwa haben. Nachweis, an der Definition des Menschen.
  13.033[4]   2, eine solche Bestimmung ist oft in sich selbst von sehr geringer Bedeutung: ein Geschmack, Geruch, eine um einen kleinen Winkel verschiedene Kristallbildung, die Umhüllungen Blainvilles Zweihänder.
  13.033[5]   e) Allein dennoch ist es gewiss nicht unpassend zu sagen, dass von diesen zwei Klassifikationen die eine einer viel radikaleren Unterscheidung in den Dingen selbst entspreche. Wenn solche Bestimmungen selbst keine substantiellen sind, so sind sie doch Zeichen einer besonderen substantiellen Verwandtschaft, die in sich selbst nicht zu beobachten ist.
  13.033[6]   Was macht diese unzählbaren Eigentümlichkeiten

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unzertrennlich, so dass, wo die eine ist, auch die anderen sich finden, und wo die eine verloren geht sofort unzählige aufgehoben werden?
  13.034[1]   Aus den Bestimmungen selbst erhellt sich eine solche Notwendigkeit nicht, aber dennoch muss ein nötigender Grund bestehen, und dieser wird in der uns verborgenen Besonderheit der Substanz liegen, von der die Eigentümlichkeiten abhängen. Würden wir sie kennen, so würden wir die Notwendigkeit der begleitenden Eigentümlichkeiten einsehen. So während die einen Unwesentlichen eine Vielfachheit der Ursachen haben, haben die anderen Wesentlichen eine gemeinsame.
  13.034[2]   Doch dies geht die Ontologie, nicht die Logik an. Es gehört zu den Punkten, über die am meisten die Metaphysiker verschiedener Schulen sich streiten. Mag es Substanzen und substantielle Differenzen geben und mögen auf sie die von uns eben besprochenen Bestimmungen hindeuten oder nicht – genug, dass sie selbst jedenfalls nicht zu leugnen sind.
     

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  13.035[1]   7. Einer wesentlichenunwesentlichen Bestimmung nach.
  13.035[2]   „Die durch manche allgemeine Namen benannten Dinge unterscheiden sich von anderen Dingen nur in gewissen Einzelheiten, die man aufzählen kann, während sich andere in mehr Einzelheiten unterscheiden, als wir aufzählen können oder sogar als wir jemals zu wissen erwarten dürfen.“ ad a. z.B. Weiß; 2 Schuh groß etc. Dagegen Tiere, Pflanzen, Schwefel, Phosphor.
  13.035[3]   Hunderte von Generationen haben die gemeinsamen Eigenschaften von diesen nicht erschöpft, auch setzen wir gar nicht voraus, dass sie zu erschöpfen seien, sondern wir machen immer neue Beobachtungen und Experimente in der vollen Zuversicht, neue Eigenschaften zu entdecken,

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welche in den vorher gekannten keineswegs eingeschlossen liegen.
  13.036[1]   „Wenn sich aber Jemand vornehmen wollte, die gemeinsamen Eigenschaften aller Dinge zu untersuchen, welche dieselbe Gestalt, dieselbe Farbe oder dasselbe spezifische Gewicht haben, so wäre dies eine handgreifliche Absurdität.“
  13.036[2]   „Keine anderen sind ihnen gemeinsam, als die in den Namen selbst eingeschlossenen oder (durch ein Kausalgesetz) ableitbaren.
  13.036[3]   „Es ist nicht unpassend zu sagen, dass von diesen zwei Klassifikationen, die eine einer viel radikaleren Unterscheidung in den Dingen selbst entspricht.“
  13.036[4]   „Wo nun so ein gewisser sichtlicher Unterschied zwischen Dingen (obwohl vielleicht in sich selbst von geringer Bedeutung) einer uns unbekannten und als endlos zu betrachtenden Anzahl von anderen Unterschieden entspricht, und nicht allein ihre bekannten, sondern auch noch unentdeckten Eigenschaften durchdringt, sagen wir er sei ein wesentlicher.
  13.036[5]   Dagegen von bloss begrenzten und bestimmten Unter

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  13.037[1]   „Wo nun so ein gewisser sichtlicher Unterschied zwischen Dingen, obwohl vielleicht in sich selbst von geringer Bedeutung, einer uns unbekannten und als endlos zu betrachtenden Anzahl von anderen Unterschieden entspricht, und nicht allein ihre bekannten, sondern auch noch unentdeckten Eigenschaften durchdringt, sagen wir, er sei ein wesentlicher.“
  13.037[2]   Dagegen von bloss begrenzten und bestimmten Unterschieden, wie weiß, rot, schwarz, vierschuhig u.s.w., sie seien unwesentliche.
  13.037[3]   8. Wahr – falsch (Begriffe, welchen ein Gegenstand entspricht – keiner entspricht).
  13.037[4]   9. Notwendig – unmöglich – nicht ein notwendiger.
  13.037[5]   10. Erkennbar – unerkennbar.
  13.037[6]   a) Erkennbar ist das Vorgestellte, wenn es möglich ist, ein wahres und berechtigtes Urteil sich darüber zu bilden, ob es sei oder nicht sei. Sonst ist es unerkennbar.
  13.037[7]   8'. b) Das Erkennbare ist natürlich ein als sei

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end oder nicht seiend Erkennbares.
  13.038[1]   8''. c) Das Erkennbare ist ferner entweder mit absoluter Sicherheit erkennbar oder mit physischer Sicherheit erkennbar oder mit Wahrscheinlichkeit erkennbar (wogegen das ganz Unberechbare steht). (Statt absoluter sagt man auch mit mathematischer oder metaphysischer Sicherheit.) Der letzte Ausdruck ist aber nicht glücklich gewählt. Derjenige oder diejenigen, welchen wir ihn verdanken (wenn anders er durch Absicht und nicht durch zufällige Verschiebung der Bedeutung ein Zeichen für das geworden ist, was er jetzt besagt; cf. Metaphysik α, 3.), haben offenbar eine falsche Ansicht über den Charakter der Metaphysik gehabt. Die wichtigsten ihrer Sätze sind entweder gar nicht oder nach derselben Methode wie die der Naturwissenschaft festzustellen, und darum haben ihre Gegenstände auch keine andere Erkennbarkeit als die mit physischer Sicherheit.
  13.038[2]   Die Mathematik dagegen ist in der Tat die Wissenschaft, deren Gegenstände vor allen anderen mit absoluter Sicherheit erkennbar sind, und darum ist dieser Name wahrhaft entsprechend.
  13.038[3]   Den Ausdruck „metaphysisch sicher“ hätten wir dagegen lieber synonym mit „physisch sicher“ gebraucht.
  13.038[4]   Doch wir bleiben beim hergebrachten Sprachgebrauch, wie ja auch die Optik beim „polarisierten Licht“, obwohl sie die betreffenden Erscheinungen längst nicht mehr auf die Stellung der beiden Pole der emitierten Lichtkörperchen bezieht.
  13.038[5]   Was verstehen wir also unter „mit absoluter Sicherheit erkennbar“? – Es ist dasjenige, bei welchem die Umstände von der Art sind, dass sie ein notwendig unfehlbares Urteil gestatten (sei es ein anerkennendes, sei es ein verwerfendes).
  13.038[6]   Der Satz: Ein Urteil, das wie dieses gefällt wird, geht nicht irr, ist notwendig wahr, der entgegengesetzte absurd.
  13.038[7]   Bei dem nicht mit absoluter Sicherheit Erkennbaren können wir zwar vielleicht zu einem berechtigten, mehr oder minder entschiedenen Urteil, ja wie wir sogleich sehen werden, manchmal zu einer berechtigtenerweise vollkommenen Überzeugung gelangen, aber es wird unser Urteil nie notwendig unfehlbar sein.
  13.038[8]   (e/d) Erläuterung: Unterschied zwischen dem Notwendigen und Unmöglichen einerseits und dem mit absoluter Sicherheit als seiend und nichtseiend Erkennbaren andererseits. (Man nennt manch mal das absolut sicher zu Affirmierende notwendig, das absolut sicher zu Vermeidende unmöglich; aber man tut das äquivok.) α) Ein Notwendiges und Unmögliches kann nicht mit absoluter Sicherheit erkennbar, ja vielleicht gar nicht erkennbar sein, z.B. die drei göttlichen Personen für die bloße Vernunft oder die Äquivalentzahlen uns unzugänglicher Elemente. Ein Zufälliges (ἐνδεχόμνον) kann mit absoluter Sicherheit erkennbar sein, z.B. mein Denken. β) Nicht das Gesagte macht absurd, sondern die Leugnung wegen der Umstände. Nicht das Gegenteil des Gesagten an und für sich ist unmöglich, wohl aber ist es unvereinbar mit der Weise des Verfahrens, welches der Urteilende eingehalten hat.
  13.038[9]   (d/e) Erläuterung: Unterschied von dem mit absoluter Sicherheit und mit absoluter (vollkommener) Genauigkeit Erkennbaren, z.B. das Verhältnis von Peripherie und Radius, Ludolphische Zahl. Dagegen, dass einer tot ist, ist zwar genau, aber

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manchmal nichts weniger als sicher. (Der beförderte Liewtenant. Der Kreuzritter.)
  13.039[1]   ] f) Das mit bloßer Wahrscheinlichkeit Erkennbare. α) Es ist nicht eigentlich und im strengenwahren Sinne des Wortes erkennbar. Die Umstände sind von der Art, dass wir auch mit Anwendung aller uns zu Gebote stehenden Mittel zu nicht ] mehr als zu einer berechtigten Vermutung gelangen können, d.h. nicht sowohl zu einer berechtigten Urteil  |  Erkenntnis  ], dass etwas sei oder nicht sei, ] als vielmehr zu einer berechtigten Anerkennung der überwiegenden Wahrscheinlichkeit, dass etwas sei oder nicht sei.
  13.039[2]   β) Beispiel mit dem Würfel. Ich bin nicht eigentlich berechtigt zu sagen: Du wirst nicht sechs werfen, sondern: Es ist fünfmal wahrscheinlicher, dass Du nicht sechs werfen wirst.
  13.039[3]   8) John Henry Newman (An Essay in Aid of a Grammar of Assent, 1870, London) meint sogar, es gebe keinen Unterschied in der Entschiedenheit der Urteile. Vielmehr urteilten wir nur manchmal (aber mit aller Entschiedenheit) über die Wahrscheinlichkeit. Ob das richtig sei, sei mehr eine psychologisch als logisch wichtige Frage. Nur eines sei bemerkt, dass dies eine Anomalie gegenüber den übrigen

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psychischen Funktionen: Vorstellung und Gemütsbewegung (Begehren, Liebe, Freude etc.) wäre.
  13.040[1]   IX] δ Die Wahrscheinlichkeit, sagt Laplace in seinem berühmten Essay philosophique sur les probabilité, hängt ab teils von unserer Unwissenheit, teils von unseren Kenntnissen, Wir wissen. dass von dreien oder einer größeren Zahl von denkbaren Tatsachen (Laplace sagt evenements, allein der Begriff ist zu eng, kann sichs doch auch um etwas anderes handeln) , die eine oder andere wahr sein muss; aber nichts bietet uns ein Motiv zu glauben, dass die eine von ihnen eher als die anderen eintretenwahr sein werden. In dem Zustand der Unentschiedenheit ist es uns unmöglich, mit Sicherheit etwas über ihr Eintreffenihre Existenz auszusagen. Indessen ist es, wenn man irgendwelche von diesen Tatsachen beliebig herausnimmt, wahrscheinlich, dass sie nicht eintreten | wahr sein ] werden, denn wir sehen mehrere gleich denkbare Fälle, welche seine Existenz ausschließen, während ein einziger ihr

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günstig ist.
  13.041[1]   Die Wahrscheinlichkeit von etwas wird dadurch bestimmt, dass man alle in Betracht kommenden sich gegenseitig ausschließenden denkbaren Tatsachen auf eine bestimmte Zahl von gleich denkbaren, d.h. von solchen Fällen reduziert, über deren Existenz uns die Umstände gleichmäßig unentschieden lassen und die Zahl der für die Tatsache, deren Wahrscheinlichkeit gesucht wird, günstigen Fälle bestimmt. Das Verhältnis dieser Zahl zu der Zahl aller denkbaren Fälle ist das Maß der Wahrscheinlichkeit; sie ist also ein Bruch, dessen Zähler aus der Zahl der für die Tatsache günstigen Fälle, und dessen Nenner aus der Zahl aller möglichen Fälle besteht.
  13.041[2]   ε. Ist der Bruch größer als ½, so ist die Existenz der Tatsache wahrscheinlich. Ist er kleiner ½, so ist ihre Nicht existenz wahrscheinlich. Würden dagegen die günstigen Fälle den ungünstigen ganz gleich sein, und würden wir daher nach Berücksichtigung aller gegebenen Umstände gar keinen Grund haben, das eine mehr als das andere zu vermuten, so ist der Gegenstand ganz unberechenbar.
  13.041[3]   Würden die Gründe nur um ein verschwindend kleines Maß überwiegen, so würden sie so gut wie nicht überwiegen und das Vorgestellte wäre auch um nichts weniger unberechenbar.
  13.041[4]   Zum Beispiel: Es hätte einer zwischen zwei Büchern zu wählen, von sehr verschiedenem Inhalt, meinethalben einem mathematischem Werk und einer Poesie, und ich kennte weder den Wert der Bücher an und für sich, noch die Bibliothek und die subjektiven Neigungen des Wählenden. Ich wüsste aber, dass er die eine Art von Einband der anderen vorzieht, ohne jedoch auf den Einband viel Gewicht zu legen. Nur in dem

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Fall, dass die Bücher ihm im Übrigen genau gleich lieb wären, würde dies den Ausschlag geben. Aber dies selbst ist unendlich unwahrscheinlich und somit der Grund verschwindend klein.
  13.042[1]   g. Ein mit physischer Sicherheit erkennbares Vorgestelltes ist ein solches, bei welchem die Umstände ein zwar nicht notwendig aber unendlich wahrscheinliches richtiges Urteil gestatten, d.i. ein solches, bei welchem die Möglichkeit des Irrtums verschwindet (die an und für sich) denkbaren Fälle des Irrtums ververschwinden) . Und zwar verschwindet sie in einem so strengen Sinn des Wortes, dass man in der Tat sagen kann, das Vorgestellte gestatte ein so gut wie absolut unfehlbares Urteil.
  13.042[2]   Immerhin ist hier der Satz: Ein Urteil, das wie dieses gefällt wird, geht nicht irr nicht notwendig wahr und der entgegengesetzte nicht absurd. Auch hier gilt wieder nur, dass bei dem einen die Denkbarkeit des Irrtums, bei dem anderen die Denkbarkeit der Wahrheit verschwindet. In späteren Teilen der Logik wird Manches der hier gegebenen Bestimmung zur Erläuterung und Verdeutlichung dienen. Aber auch jetzt schon mag es ein

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Beispiel ziemlich klar machen. Nehmen wir an, dass es einen vollkommen regelmässigen Würfel, aber nicht von sechs, sondern von unendlich vielen Seiten gäbe, und einer uns sagte, wir sollten mit ihm einen Wurf tun und eins werfen, so würden wir sagen, das wird nicht geschehen, und das Urteil würde sich unzweifelhaft als wahr erweisen. Es wäre mit physischer Sicherheit gefällt.
  13.043[1]   Obwohl ein Fall denkbar ist, worin eins geworfen würde, so ist dies doch nur einer unter unendlich vielen gleich denkbaren Fällen, worin nicht eins geworfen wird. Der Fall, der günstig ist, wäre an und für sich ein Grund zum Misstrauen, jeder ungünstige Fall ist aber ein gleichstarker Grund zum Vertrauen, und daher verhalten sich die Gründe zum Misstrauen mit denen zum

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Vertrauen verglichen, wie 1 : ∞. Daher wird das vernünftige, den Umständen entsprechende Misstrauen unendlich kleiner als das Vertrauen sein, d.h. es wird ganz aufhören, es wird verschwinden, wie die unendlich kleinere Größe gegenüber der unendlich größeren. Also ich werde, vernünftig urteilend, meiner Sache vollkommen sicher sein.
  13.044[1]   Die physische Sicherheit nennt man auch unendliche Wahrscheinlichkeit und es ergibt sich dies aus der Sache.
  13.044[2]   Denn die Wahrscheinlichkeit = ∞ – 1 / ∞ (eine Unendlichkeit von Fällen – 1 / dieselbe Unendlichkeit) = 1 – 1 / ∞.
  13.044[3]   Mögliches Beispiel unendlicher Wahrscheinlichkeit: eine geworfene und bei einem angegebenen mathematischen Punkt zur Ruhe kommende Kugel.
  13.044[4]   Das mit physischer Sicherheit Erkennbare ist ein im eigentlichen Sinn des Wortes Erkennbares.
  13.044[5]   Ich darf hier nicht bloß urteilen es ist unendlich wahrscheinlich, dass das und das ist, sondern: es ist, ohne im Geringsten zu fürchten, fehl zu gehen. 1 – 1 / ∞ = 1. Allerdings. Unter unendlich vielen Fällen von Urteilen unter ähnlichen Umständen würde durchschnittlich einer vorkommen, worin das Urteil falsch wäre. Und hiemit ist natürlich gesagt, dass bald gar keine, bald auch mehr als eine und manchmal auch eine recht große Zahl unter je einer unendlichen Menge von Fällen vorkommen würde.
  13.044[6]   Aber unendlich viele Fälle von Urteilen gibt es nicht und jede auch noch so große endliche Zahl ist gegen das Unendliche verschwindend.
  13.044[7]   Somit ist man berechtigt zu sagen, dass ein Fall des Irrtums bei einem mit physischer Sicherheit gefällten Urteil niemals vorkommen werde.
  13.044[8]   Man könnte daher ein mit physischer Sicherheit Erkennbares auch so definieren: Es sei ein solches Vorgestelltes, wo die Umstände von einer Art seien, die ein, zwar wohl in einem denkbaren, nicht aber in einem vorkommenden Fall fehlgehendes Urteil gestattet.
  13.044[9]   Wenn wir diese Bestimmung des mit physischer Sicherheit Erkennbaren geben, so fällen

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wir selbst ein physisch sicheres Urteil.
  13.045[1]   Notabene. Wollte man eine gemeinsame Bestimmung des mit Sicherheit Erkennbaren geben, welche sowohl das mit absoluter Sicherheit Erkennbare als das mit physischer Sicherheit Erkennbare umfassen würde, so könnte man, auf die letzten Erörterungen gestützt, sagen: Mit Sicherheit erkennbar ist dasjenige, bei welchem die Umstände von einer Art sind, die ein in keinem Fall fehlgehendes Urteil gestattet.
  13.045[2]   Notabene. Fast alles was uns mit Sicherheit erkennbar ist, ist es mit physischer, nicht mit absoluter Sicherheit, z.B. die Gesetze der Chemie, ja die Grundgesetze der Mechanik u.s.w., ja die Existenz einer Außenwelt, die Annahme denkender Wesen außer uns, das Dasein Gottes u.s.w.
  13.045[3]   h. Ehe wir uns zu anderen Untersuchungen wenden, müssen wir wenigstens mit einem kurzen Wort dasjenige berühren, was man nach einem üblichen Ausdruck ein mit moralischer Sicherheit Erkennbares nennen könnte.
  13.045[4]   Es ist eigentlich kein mit Sicherheit, sondern ein mit Wahrscheinlichkeit Erkennbares, wo nur die zu erreichende Wahrscheinlichkeit eine außerordentlich große ist, z.B. zehnmal nacheinander mit zwei regelmäßigen Würfeln Doppelsechs zu werfen

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oder die Hypothese des Laplace von der Entstehung des Sonnensystems, wenn anders wir seiner Berechnung glauben wollen, 4 Billionen : 1.
  13.046[1]   Der Namen daher, weil man sich im praktischen Leben immer oder meist damit begnügen muss, sei es wegen der Natur des Gegenstandes überhaupt, sei es, weil die drängende Entscheidung keine eingehendere Untersuchung gestattet.
  13.046[2]   Auch der Vernünftige begnügt sich daher mit ihr. Obwohl er nicht ganz exakt verfährt, wenn er von dem Urteil „Die Wahrscheinlichkeit davon ist außerordentlich groß“, zu dem Urteil „Es ist“ übergeht.
  13.046[3]   Aber es macht ihn los von beschwerendem Ballast, etwa wie einen Mathematiker das Fallenlassen einiger Dezimalen.
  13.046[4]   Daher wird uns allen solche Inexaktheit zur Gewohnheit.
  13.046[5]   Und diese wird zweite Natur.
  13.046[6]   Daher sagt Newman in dem angeführten

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geistvollen Werk nicht ohne Schein, es sei ein Naturgesetz, dass man in gewissen Fällen über das Maß der Wahrscheinlichkeit hinaus zustimme.
  13.047[1]   Locke, der dies als unvernünftig verbiete, möge sagen was er wolle, dies Naturgesetz hebe er durch sein Verbot so wenig auf als die Anziehungskraft der Körper (nicht wörtlich). Newman tut dies, um die Vernünftigkeit des Glaubens zu erklären. Aber ob er Recht hat? Das jedoch möchte er gezeigt haben, dass ein solcher Überschuss von Zustimmung möglich ist, und nicht unvernünftiger als in tausend Fällen, wo niemand etwas Unvernünftiges darin zu finden pflegt. Werfen wir auf seinen Gegenstand einen freilich ganz flüchtigen Blick. Eine besondere Art von mit Sicherheit Erkennbarem ist [das mit[?] Glaubwürdigkeit Annehmbare] das Glaubliche , dasjenige, bezüglich dessen man Glauben (fides) erlangen kann, d.i. dasjenige, wovon es mit Sicherheit erkennbar ist, dass man zu einem völlig zuversichtlichen Urteil darüber verpflichtet ist.
  13.047[2]   Es ist dies eigentlich nicht sowohl eine besondere Art des mit Sicherheit Erkennbaren als ein mit Sicherheit Erkennbares in besonderem Sinne. Äquivok durch Beziehung.
  13.047[3]   Mit Sicherheit kann man nämlich von ihm erkennen, dass man, wenn man es in einer gewissen Weise zuversichtlich beurteilt, vernünftig und pflichtgemäß handelt, und wenn man dies nicht tut, unvernünftig handelt und seine Pflicht verletzt.
  13.047[4]   Doch die Erörterung des mit Sicherheit Erkennbaren in diesem Sinn und die Beseitigung der Schwierigkeiten die sich an diesen Begriff knüpfen, überlassen wir den Theologen. Eingehendes hat Thomas v. Aquin in seiner Summa theologica und in seinen Quaestiones disputatae gesagt.
  13.047[5]   8''' Das Erkennbare, insbesondere das mit Sicherheit Erkennbare (sei diese nun eine mathematische oder physische) wird ferner eingeteilt in das mittelbar – unmittelbar Erkennbare.
  13.047[6]   Mittelbar ist dasjenige mit Sicherheit erkennbar, worüber nur unter Zuhilfenahme anderer bereits gesicherter Urteile ein untrügliches Urteil erlangt werden kann. Ob genau? Vgl.
  13.047[7]   Unmittelbar erkannbar ist dagegen dasjenige, dessen sichere Erkenntnis keiner solchen Vorbereitung bedarf.
     

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  13.048[1]   8'''' Ferner zerfällt das mit Sicherheit Erkennbare (sowohl das unmittelbar als das mittelbar Erkennbare) in das a priori Kant zugeschrieben. Schon vor ihm Hume. und in das a posteriori Erkennbare.
     

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  13.049[1]   A priori erkennbar ist dasjenige, worüber sich uns auf Grund bloßer Begriffe ein untrügliches Urteil ergeben kann (unabhängig von der Erfahrung wirklicher einzelner Fälle). (Besonderer Charakter dieser Erkenntnisse: Das Gegenteil ist absurd, sonst nur falsch.)
  13.049[2]   a) Mittelbar a priori ist erkennbar, worüber uns nur mittels anderer apriorischer Urteile ein untrügliches apriorisches Urteil möglich ist.
  13.049[3]   Unmittelbar a priori erkennbar ist dagegen, für dessen apriorische Erkenntnis keine solche Vorbedingung erforderlich ist. Beispiele.
  13.049[4]   Notabene. Dazu, dass etwas unmittelbar a priori erkennbar sei, genügt es nicht, dass es erkannt werden kann ohne Zuhilfenahme der Zeit nach früher festgestellter apriorischer Urteile. Es könnte auch etwas mittels gleichzeitig gefällter, aber der Natur nach früherer Urteile a priori erkannt werden, und auch das, was in dieser Weise andere apriorische Urteile zur unentbehrlichen Vorbedingung seiner apriorischen Erkenntnis hat, kann nicht unmittelbar a priori erkennbar genannt werden. So z.B. könnte einer vielleicht sofort

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a priori einesehen, dass es ein hölzernes Bügeleisen nicht gibt; aber nur indem er einsieht, dass es ein hölzernes Eisen nicht gibt. Oder, dass es keinen schwarzen Schimmel gibt, aber nur indem er einsieht, dass es kein schwarzes gibt. Die eine Erkenntnis a priori wird (in diesen Fällen) immer von der anderen abhängig sein, auch wenn sie nicht zeitlich vorausgehen sollte. Sie wird in ihr ihren Grund haben. Sie wird also mittelbar sein.
  13.050[1]   b) Zu dem a posteriori Erkennbaren gehört alles Erkennbare, was nicht aus bloßen Vorstellungen erkannt werden kann.
  13.050[2]   Auch es ist unmittelbar oder mittelbar.
  13.050[3]   Unmittelbar a posteriori erkennbar ist dasjenige, dessen unmittelbare Erkennbarkeit nicht in der bloßen Vorstellung, sondern in einem besonderen Verhältnis des beurteilten Gegenstandes zum Urteilenden ihren Grund hat.
  13.050[4]   Man nennt es auch mit unmittelbarer Sicherheit wahrnehmbar, durch unmittelbare Erfahrung mit Sicherheit ge währleistet .
  13.050[5]   Mittelbar a posteriori erkennbar ist dasjenige, dessen Erkenntnis für uns nur unter Zuhilfenahme einer (oder mehrerer sicherer Wahrnehmungen zu erreichen ist.
  13.050[6]   Man nennt das a posteriori Erkennbare überhaupt auch das durch mit Hilfe der Erfahrung Erkennbare.
  13.050[7]   c) Das a priori Erkennbare ist immer notwendig oder unmöglich. Es ergibt sich dies aus den Begriffen.
  13.050[8]   Zur apriorischen Erkennbarkeit ist außer der Notwendigkeit oder Unmöglichkeit (die wir kurzweg unter dem Namen Nichtkontingenz zusammenfassen können) nur noch erfordert, dass die Vorstellungen, aus welchen das Sein oder Nichtsein hervorgeht, in eigentlicher Weise uns gegeben sind, und die etwa nötigen Vermittlungen

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nicht das Maß unserer Verstandeskräfte übersteigen, z.B. ein Würfel mit einer um einen kleinen gegebenen Winkel schiefabweichenden Seite. Wie ist die Wahrscheinlichkeit?
  13.051[1]   Beim a posteriori mit Sicherheit Erkennbaren ist dies dagegen nicht der Fall. Es kann kontingent sein.
  13.051[2]   Auch nicht beim unmittelbar Erkennbaren. Ja es kann sogar gar nicht geschehen, dass anderes als Kontingentes mit unmittelbarer Sicherheit von uns wahrgenommen wird.
  13.051[3]   Notabene. Gibt es, da es mittelbar und unmittelbar a priori Erkennbares gibt, nicht auch mittelbar und unmittelbar Notwendiges oder Unmögliches? Allerdings muss es solches geben! Und mehr muss es geben von beiden Arten, als von denen des a priori Erkennbaren.
  13.051[4]   Da uns die Betrachtung der Unterschiede des Erkennbaren zu den Begriffen der Notwendigkeit und Unmöglichkeit zurückgeführt hat, so ist

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es daher hier der Ort, die Untereinteilung nachzutragen, die hier klarer werden wird, als wenn ich sie früher dargelegt hätte.
  13.052[1]   Die Unterscheidung ist von äußerster Wichtigkeit.
  13.052[2]   Vieles, wie z.B. die Bestimmung des Begriffs der sogenannten Grundgesetze gegenüber den sekundären sowie den empirischen Gesetzen hängt damit zusammen (Deduktion).
  13.052[3]   Ein mittelbar Notwendiges oder Unmögliches ist ein solches, dessen Notwendigkeit oder Unmöglichkeit eine Kombination von anderen Notwendigkeiten und Unmöglichkeiten ist, in welche sie aufgelöst werden kann und welche sie zu Vorbedingungen hat, wie das Ganze die Teile, aus welchen es besteht. (Ein besonderer Fall einer oder mehrerer einfacherer und allgemeinerer Notwendigkeiten oder Unmöglichkeiten.)
  13.052[4]   Es ist das, was, wenn einer die betreffenden Vorstellungen hätten, und sein Verstand ausreichte, aus den Vorstellungen mittelbar für ihn erkennbar wäre.
  13.052[5]   Unmittelbar notwendig dagegen ist etwas, dessen Notwendigkeit in keiner andern auflösbar.

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  13.054[1]   d. Rekapitulation Wir haben in der vorigen Stunde die letzte und wichtige Unterscheidung des Erkennbaren betrachtet, mit der wir uns hier zu beschäftigen haben: a prioria posteriori.
  13.054[2]   1) Das a posteriori unmittelbar – mittelbar Erkennbare.
  13.054[3]   2) Ebenso das a priori Erkennbare.
  13.054[4]   3) Dann rückblickend auch das Notwendige Unmögliche: unmittelbar – mittelbar
  13.054[5]   Dies ergibt sich offenbaraus dem vorigen, da ja der Begriff Notwendigkeit und Unmöglichkeit besagt, dass Sein oder Nichtsein aus bloßen Vorstellungen hervorgeht.
  13.054[6]   Nichts ist unmittelbar a priori, was nicht unmittelbar notwendig (bzw. unmöglich) ist; nichts ist mittelbar a priori, was nicht mittelbar notwendig (bzw. unmöglich) ist.
  13.054[7]   e. Doch wie überhaupt mehr notwendig ist, als a priori für uns erkennbar, so ist in specie mehr unmittelbar – und mehr mittelbar erkennbar. Vieles können wir gar nicht erkennen.
  13.054[8]   Anderes ist nur a posteriori erkennbar (dass es ist, und dass es notwendig ist.) Bei weitem das Meiste. Siehe die gegebenen Beispiele.
     

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  13.055[1]   Dann wie der Ausgangspunkt ein anderer, auch der Weg. Während, wenn a priori von dem früher Notwendigen, weniger mittelbar aus den Vorstellungen hervorgehenden, zu dem später Notwendigen, mittelbarer aus den Vorstellungen hervorgehenden: nun meistens oder immer umgekehrt.
  13.055[2]   So dass, was an und für sich und für den, der durch Analyse der Begriffe es erkennen würde, früher erkennbar ist, für uns später, und umgekehrt.
  13.055[3]   f. Daher hat schon Aristoteles ein πρότερον καϑ’ αὑτό oder πρότερον τῇ φύσει und ein πρότερον πρὸς ἡμἀς, so wie ein γνωϛιμώτιϛον φύσει und ein ἡμῖν γνωϛιμώτιϛον unterschieden und in Gegensatz gebracht.
  13.055[4]   So sagt auch das Buch α der Metaphysik des Aristoteles, zu den τῇ φύσει φανερώτατα πάντων verhalte sich unser Verstand wie das Auge der Nachteule zu dem am hellsten scheinenden Tageslicht. Prantl: weltschmerzlich. ]
  13.055[5]   Doch, wenn er dies so allgemein ausspricht, so ungenau. Anderwärts genauer.
  13.055[6]   g. So auch Thomas, der hier wie anderwärts sen Schüler ist. Er nennt das unmittelbar Notwendige: notum per se. 1°, 1. corp. Er unterscheidet aber dann: Dicendum quod contingit aliquid esse per se notum dupliciter. Uno modo sec se et quod nos. Alio modo sec se, sed non quod nos. Dann seien wir an die Erfahrung gewiesen und der umgekehrte Weg sei zu betreten.
  13.055[7]   h. Dies führt zur Erklärung der Namen.
  13.055[8]   1) Gebrauch bei Aristoteles: a priori, wenn aus dem weniger mittelbar Notwendigen; a posteriori, wenn umgekehrt.
  13.055[9]   2) Weil wir nun, wie gesagt, wenn aus den Begriffen, vom unmittelbar und weniger mittelbar Notwendigen zum mittel-


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bar und mittelbarer Notwendigen; wenn aber aus der Erfahrung umgekehrt, so wurde dies der Anlass, weshalb man allmählich, und wie gesagt, schon vor Kant anfing, das unabhängig von der Erfahrung (auf Grund bloßer Begriffe) Erkannte a priori, das andere a posteriori erkannt zu nennen.