Zu Schuchardts Schriften
Eine der Ausgangsmotivationen in den späten 90er Jahren, das Hugo Schuchardt Archiv aufzubauen, lag in dem Wunsch nach Wiederveröffentlichung seiner Schriften. Als der Plan einer mehrbändigen Printausgabe zugunsten einer Webedition verworfen wurde, geschah dies nicht zuletzt wegen der Möglichkeit, hier im Netz alle Veröffentlichungen Schuchardts anbieten zu können und keine Auswahl treffen zu müssen. Mit Sicherheit gibt es dabei auch einige Schriften, auf die heute mit einer gewissen Berechtigung niemand mehr zurückgreift, doch gibt es andererseits gerade eine Reihe von kleinen, auf den ersten Blick unbedeutend scheinenden Arbeiten, die — nicht nur im Sinne einer Archäologie des Wissens — von ungewöhnlicher Denkschärfe zeugen, wissenschaftliche Positionen begründet und Auseinandersetzungen befruchtet haben und noch befruchten. Zu den Marginalia und anderen grenzwertigen Texten sei angemerkt, daß auch sie zu einem Gesamtwerk gehören und Teil einer Forscherpersönlichkeit sind.
Bei Schuchardts Veröffentlichungen sind wir in der glücklichen Lage, über eine Standardbibliographie zu verfügen, die weitestgehend als von ihm selbst autorisiert zu betrachten ist. Im Jahre 1916 veröffentlicht er selbst ein Verzeichnis der eigenen Druckschriften (Nr. 688); Leo Spitzer legte der Bibliographie, die das Brevier eröffnet, dieses Verzeichnis inklusive des von Schuchardt verwendeten bibliographischen Systems zugrunde; Schuchardt kritisiert berechtigterweise noch heftig die (Druck-) Fehler in der Bibliographie der ersten Auflage von 1922; diese werden in der zweiten Auflage von 1928 behoben und um die zwischenzeitlich und bis zum Tode Schuchardts erschienenen Veröffentlichungen ergänzt. Trotz einiger weniger verbliebenen Fehler, die hier ergänzt bzw. korrigiert wurden, gilt das Werkverzeichnis der 2. Auflage des Breviers als Standardbibliographie.
Die vorliegende elektronische Wiederveröffentlichung folgt dieser auf Schuchardt selbst zurückgehenden Ordnung. Obwohl diese Bibliographie formal heutigen Standards nicht entspricht, so ist sie doch in sich kohärent und erlaubt eine schlüssige Konsultation. Das Brevier verwendet die in der Zeit üblichen Abkürzungen und Kurzformen und diese wurden den heutigen bibliographischen Referenzstandards nicht angepaßt; wohl aber wird jedem Eintrag zusätzlich ein heutigen Kriterien entsprechender Zitiervorschlag beigegeben. Die Durchnumerierung von der ersten Veröffentlichung 1864 bis zur posthumen Veröffentlichung von Brieftexten durch Spitzer mit der Nummer 770 birgt Vor- und Nachteile. Der Vorteil liegt in der einfachen Referenz. Ein eindeutiger Nachteil ist aber, daß spätere Nachträge nicht als eigene Zahlen möglich sind, sondern bestenfalls durch diakritische Buchstabenhinzufügung geführt werden können. Dies geschah schon zwischen der ersten und zweiten Auflage des Breviers, und einzelne Hinzufügungen erwiesen sich auch durch neu entdeckte Fehlstellen als notwendig. Die von Schuchardt/Spitzer vorgenommenen Hinzufügungen tragen neben der Zahl eine Minuskel, also z.B. "378a", wir verwenden für die von uns als Fehlstellen entdeckten und neu eingefügten Einträge einen Majuskelzusatz also z.B. "455A". Dies schien die einfachste Form der Kennzeichnung, auch wenn sie graphisch nicht schön ist, weil Schuchardt die Majuskel "A" auch als Abkürzung für "Anzeige" im Sinne von Rezension verwendet. Doch dürften die unterschiedlichen Funktionen von Abkürzung bzw. Diakritikum eindeutig aus dem Kontext hervorgehen.
Da Schuchardts Arbeitsweise unmittelbar auf Veröffentlichung gerichtet war und er nachweislich zumeist schon während des Schreibens von Arbeiten wußte, wo diese veröffentlicht werden sollten, und sie dort auch tatsächlich veröffentlicht hat, enthält sein Nachlaß keine Manuskripte, die als in sich abgeschlossen gelten könnten und die postum einer Veröffentlichung harrten. Es erschienen daher nach seinem Tod - mit einer einzigen Ausnahme - nur Übersetzungen und Neuausgaben früherer Werke. Es war über viele Jahrzehnte vor allem die internationale linguistische community, die sich Schuchardts Erbe angenommen hat. In Graz selbst ist — trotz der durch die Malvinenstiftung vorhandenen Möglichkeiten — recht wenig passiert. In den 70er Jahren fand in Graz ein Schuchardt-Symposium statt und erst in den 90er Jahren wurde von Michaela Wolf in bemerkenswerter mehrjähriger Projektarbeit, in Kooperation mit der Handschriftenabteilung der Universitätsbibliothek, der Nachlaß systematisch gesichtet und ein Nachlaßverzeichnis mit auch inhaltlich begründeten Indexfunktionen angefertigt. Eine fachliche Aufarbeitung einzelner nachgelassener Schriften, wie im Verzeichnis gelistet, harrt immer noch der Initiative. Auch diese sollen hier systematisch bibliographiert werden, und Benutzer dieses Archivs sind hölich gebeten, ihnen bekannte, hier fehlende Einträge mitzuteilen.
So beschränken sich Ergänzungen der Bibliographie auf einige wenige Zufallsfunde, die Leo Spitzer und Schuchardt übersehen haben, und auf die Integration von Übersetzungen und/oder Neuausgaben, sowie auf Hinweise zu zeitgenössischen Rezensionen der einzelnen Schriften Schuchardts.
Eine kurze Bemerkung ist zum Brevier nötig. Das schon erwähnte "Hugo Schuchardt Brevier. Ein Vademekum der allgemeinen Sprachwissenschaft" ist nicht Teil der Schuchardtschen Gesamtbibliographie, weil es "lediglich" ein repräsentativer Zusammenschnitt, also ein Cuvée von anderweitig veröffentlichten Schriften oder Teilen daraus ist. Da das Brevier aber die am meisten verbreitete Veröffentlichung ist, wird hier nicht darauf verzichtet: es werden beide Versionen zum download angeboten.