Lebensdokumente

Vorwort

Eine umfassende biographische Arbeit zu Schuchardt bleibt nach wie vor ein Desiderat. Ein erster Schritt dazu ist das Zusammentragen und Ordnen von Material zu seinem Leben. Das ist hier beabsichtigt. Die Quellen sind recht unterschiedlich. Wir hoffen, daß auch dieser Abschnitt kontinuierlich wachsen wird. Vieles, was zum Verständnis von Schuchardts Leben beiträgt, sind Mosaiksteine die sich in seinen Briefen finden. All dies hier zusammenzutragen und zusammenzusetzen, wäre kaum machbar. Das hier gebotene Material illustriert jedenfalls einige markante Aspekte von Schuchardts Leben.


Studium und Promotion

Schuchardt bezog von Jena kommend im Jahr 1861 die Bonner Universität und studierte dort das sog. Alte Fach. Als seine universitären Lehrer sind uns v.a. der Kunsthistoriker Anton Heinrich Springer, der Archäologe Otto Jahn und schließlich der Altphilologe Friedrich Ritschl überliefert. Bei letzterem schrieb Schuchardt seine Dissertation mit dem Titel „De sermonis Romani plebei vocalibus“ und legte am 21. Mai 1864 bei den Prüfern Ritschl und Friedrich Diez seine Doktorprüfung ab (Richter weiß dazu Details zu berichten). Die Dissertation erschien in dreibändiger deutscher Version „Der Vokalismus des Vulgärlateins“ in den Jahren 1866-1868 (vgl. Schuchardt 1866, 1867 und 1868), sie begründete schon früh Schuchardts hervorragende Reputation. Schon nach Erscheinen des zweiten Bandes (1867) hat Schuchardt die Arbeit für den Prix Volney des Institut de France eingereicht und dafür 25-jährig eine mention très honorable erhalten (den Preis selbst konnte er nicht bekommen, weil in diesem Jahr auch der wesentlich ältere August Schleicher eingereicht hatte).

Da nach Auskunft des Archivs der Rheinischen Friedrich-Wilhelms Universität Bonn während des WK II im Jahre 1944 alle Promotionsunterlagen der Philosophischen Fakultät verbrannt sind, liegt heute als einzige Akte im Zusammenhang mit Hugo Schuchardt jene zur Erneuerung des Doktordiploms zum 50-jährigen Jubiläum 1914 vor. Wegen des geistreich-ironischen Rückblicks von Schuchardt, der eine Façette seines Charakters illustriert, sei sein Danksagungsbrief an den amtierenden Dekan Paul Clemen hier wiedergegeben.

Einige Information mehr zur Bonner Studienzeit findet sich im langen Nachruf von Elise Richter. Sie hat, wie in Hinsicht vieler anderer Stationen und Momente seines Lebens, über Unterlagen verfügt, die erstens auf direkte Gespräche mit Schuchardt zurückgingen und zweitens über Dokumente aus seinem Nachlass, die heute nicht mehr existieren, weil die ersten Verwalter der hinterlassenen Papiere von Schuchardt, Franz und Karoline Mairhuber, angehalten waren, alle privaten Unterlagen zu vernichten. Leider sind die Mairhubers Schuchardts Wunsch nachgekommen. Die wichtigste Illustration von Schuchardts Bonner Studienzeit ist und bleibt natürlich seine og. genannte epochale Dissertation. Auch die kurzen, aber doch instruktiven Briefwechsel mit seinen Lehrern Ritschl (vgl. Korrespondenz Ritschl) und Diez (vgl. Korrespondenz Diez) sind lesenswert.

Graz, Villa Malwine
Pfingsten 1914

Hochgeehrter Herr Dekan,

Ich habe das Doktordiplom erhalten welches das mir am 21. Mai 1864 verliehene erneuert, und sage dafür dem Rektorat und der philosophischen Fakultät meinen ehrerbietigen und herzlichen Dank.

Jenem dafür daß es mich „in Evidenz gehalten“ hat (was nicht immer und überall geschieht, diesem für die Ausführung und Ausstattung des Diploms. Insbesondere für den im geschmackvollsten Latein gegebenen Bericht über mein Tun und Wirken, mit Beiseitelassung alles Unrühmlichen, wie einer wegen Mensur und Fenstereinschlagens abgebüßten längeren Karzerstrafe.

Da nun wiederum wie einst (wenn ich mich recht entsinne, wurde damals die Zeremonie noch geübt) der Doktorhut mein inzwischen ziemlich kahl gewordenes Haupt berührt, so ist es begreiflich daß die Erinnerungen an meine Bonner Zeit recht lebendig werden. Es ist aber auch begreiflich daß ich sie bei dieser Gelegenheit nicht zu Wort kommen lasse; nur eines Mannes will ich gedenken, der mich durch seinen feurigen Vortrag begeisterte: Anton Springers. Denn es erhöht meine Freude daß ich aus den Händen eines seiner Nachfolger das verjüngende Diplom empfange.

In ausgezeichneter Hochachtung
Ihrer Spektabilität
ergebenster
Hugo Schuchardt

Hugo Schuchardt an Paul Clemen, 1914
Hugo Schuchardt an Paul Clemen, 1914

Akten des Habilitationsverfahrens Leipzig

Einführung

Hugo Schuchardt hat im Winter 1869 - Frühjahr 1870 an der Universität Leipzig sein Habilitationsverfahren angestrengt und absolviert. In der darauffolgenden Zeit war er der Leipziger Fakultät als Dozent verpflichtet, ließ sich allerdings zeitweise aus gesundheitlichen Gründen von der Lehre dispensieren und löste dieses Verhältnis erst mit seinem Ruf an die Universität Halle. Am Verfahren waren neben dem Dekan Georg Curtius, der die Kommission leitete, die Fachvertreter Adolf Ebert, Friedrich Ritschl und Friedrich Zarncke beteiligt.

Um dieses Habilitationsverfahren nachzuzeichnen sind verschiedene Quellen notwendig.

  • Hier werden in erster Linie die an der Universität Leipzig vorhandenen Akten zu dem Verfahren wiedergegeben. Die numerierte Abfolge der Seiten, wie im Leipziger Archiv zusammengestellt, mußte verändert werden, um die Chronologie des Verfahrens korrekt abzubilden.
  • Ziagos (2013) hat die Korrespondenz Schuchardt – Curtius ediert und kommentiert und neben den in Graz vorhandenen Brief von Curtius an Schuchardt auch mit einigen Briefen Schuchardts an Curtius aus dem Leipziger Archiv angereichert.
  • F.-R. Hausmann hat für das HSA die Briefe von Ebert an Schuchardt kommentiert herausgegeben. Schon im Februar 1869 antwortet Ebert auf einen nicht erhaltenen Brief Schuchardt ausführlichst über den Ablauf des Habilitationsverfahrens, schließlich verweist er ihn aber im 2. Brief vom 27. Mai 1869 an den Dekan Curtius.
  • Der wenig umfangreiche Briefwechsel mit Ritschl (von B. Hurch für das HSA bearbeitet) findet noch in Ritschls Bonner Zeit statt, also vor dem Leipziger Verfahren.
  • Eine Reihe weiterer Briefe nehmen explizit auf Schritte des Verfahrens bezug (beispielsweise gibt es einen Brief von Suchier 53-11423, der beim Habilitationskolloquium anwesend war und noch viele Jahre später diese Episode brieflich erwähnt; ebenso in sehr witziger Form auch ein Brief von Brugmann 03-01413, so wie andere mehr).

Noch eine Anmerkung zur Habilitationsschrift: Die eingereichte handschriftliche Habilitationsarbeit mit dem Titel „Mittelromanische Studien“ scheint nicht erhalten zu sein, sondern nur die entsprechende Druckfassung (Schuchardt 1870) mit dem Titel: “Über einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen”. Aufgrund der Kritiken und Wünschen der Gutachter ist davon auszugehen, daß Schuchardt die Schrift für die Veröffentlichung in einigen Punkten überarbeitet hat.

Unser Dank an das Leipziger Universitätsarchiv, das uns Scans der Akten zur Verfügung gestellt hat.[1]


Dokumente


Habilitationsersuchen und Lebenslauf

|1|

[fremde Hand:] Überreicht 3 Dec.

Der Unterzeichnete wünscht sich als Dozent der romanischen Sprachen an der Universität Leipzig zu habilitiren und richtet daher an die hohe philosophische Fakultät dieser Universität das ehrerbietige Gesuch, ihn noch in diesem Semester zu den erforderlichen Leistungen zuzulassen. Er hat die Ehre, als Nachweis über sein bisheriges wissenschaftliches Streben

  • seine Vita,
  • sein Abiturientenzeugniß,
  • seine Exmatrikeln von den Universitäten Jena und Bonn,
  • seine Doktordissertation,
  • sein Doktordiplom und
  • sein Buch den Vokalismus des Vulgärlateins

Dr. Hugo Schuchardt, Gotha

Leipzig, am 2. Dez. 1869.

|2|

Ich, Hugo Ernst Mario Schuchardt, lutherischer Konfession, Sohn des Justizraths Dr. Ernst Schuchardt und der Frau Malwina geb. von Bridel-Brideri, bin geboren zu Gotha am 4. Febr. 1842. Nachdem ich Privatunterricht genossen hatte, besuchte ich von Ost 1851 – Mich. 1859 das Gymniasium illustre zu Gotha, das damals unter Rost’s Leitung stand, seit Ost 1859 unter der Marquardt’s steht. Darauf bezog ich die Universität Jena und wandte mich daselbst dem Studium der klassischen Philologie zu. Ich besuchte die Vorlesungen von Danz,[2] Kuno Fischer,[3] Göttling,[4] Nipperdey,[5] Schleicher,[6] Adolf Schmidt[7] und Moritz Schmidt[8]. Ost. 1861 vertauschte ich Jena mit Bonn, wo ich während dreier Semester Jahn,[9] Ritschl,[10] Monnard[11] und Springer[12] hörte, während eines Jahres ordentliches Mitglied des philologischen Seminars war. Nach Hause zurückgekehrt, machte ich das Vulgärlatein zum besonderen Gegenstand meiner Studien. Am 21. Mai 1864 promovierte ich zu Bonn und bereitete dann in Gotha meine Arbeit über den Vokalismus des Vulgärlateins zum Drucke vor, welche 1866 -1868 bei Teubner erschien[13] (außerdem habe ich nur einige kleine Artikel in Zeit-|2v|schriften geliefert). Von Anf. Mai - Weihnachten 1867 hielt ich mich in Genf, von da ab bis Mitte April dieses Jahres in Rom auf (mit Ausschluß kürzeren Verweilens in Neapel, Pompei, Florenz, Mailand und Venedig). In Rom trieb ich erst klassische Studien, beschloß aber dann, mich ganz der romanischen Sprachwissenschaft zu widmen. Besonders war ich bemüht, mir durch Bibliotheksstudien und Verkehr mit dem Volke die ältere und neuere römische Mundart vertraut zu machen, über die ich binnen Kurzem eine Abhandlung zu veröffentlichen gedenke.

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Zulassung zum Verfahren durch das Ministerium

|3|

Dresden. 29 Dec. 69[14]

Das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts ertheilt auf das von der philosophischen Fakultät zu Leipzig dem Regierungsbevollmächtigten Kreisdirektor von Burgsdorff angezeigte, von Letzterem mittels Dienstwegs vom 18./21. dieses Monats Anher übermittelten Gesuch des Dr. phil. Hugo Schuchardt aus Gotha dazu seine Genehmigung, daß derselbe, behufs seiner Habilitation bei der Universität Leipzig als Privatdocent für das Fach der romanischen Sprachen, von der philosophischen Facultät daselbst zu den vorschriftmäßigen Probeleistungen zugelassen werde, und macht der genannten Facultät solches zur Benachrichtigung des Gesuchstellers und Beförderung des weiter Nöthigen hierdurch bekannt.

Dresden, den 21. December 1869.

Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts.

[Unterschrift]

An
die philosophische Facultät
in
Leipzig

[Aktenzahl]

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Einreichung der Habilitationsschrift

|6|

Eingel. 21. Jan. 1870

Gotha d. 19 Jan. 1870.

Hochgeehrter Herr Dekan !

Nachdem Sie mir schon Ende v. J. gütigst die Nachricht mitgetheilt hatten, daß meiner Zulassung zu den Habilitationsleistungen kein Hinderniß im Wege stehe, ist es mir erst jetzt möglich geworden, meine Habilitationsschrift einzusenden. Ich muß dieselbe mit einigen entschuldigenden Bemerkungen begleiten. Sie beziehen sich zunächst auf die Anlage derselben. Das äußerliche Mißverhältniß, welches zwischen dem längeren allgemeinen und dem kürzeren besonderen Theile besteht, lag natürlich nich in meiner Absicht; aber von der Zeit gedrängt und mit Rücksicht auf den Usus, welcher verbreitet, dergleichen Dissertationen zu stark anschwellenzu lassen, gab ich einer früheren Entwurf der besonders der Rechtfertigung des Ausdrucks Mittelromanisch galt, auf und wählte aus dem ziemlich reichen Material das was mir das meiste Interesse zu bieten schien, aus. – Die äußere Form der Schrift ist vielleicht der Nachsicht noch bedürf- |6v| tiger, da sie theilweise von Correkturen und Zusätzen entstellt wird; ich fürchte, daß dies den Herren, welche sich damit zu beschäftigen haben, Lektüre einigermaßen erschweren möchte. Doch dürfte die Endursache dieses Übelstandes in der Bestimmung liegen, daß nichts Gedrucktes, sondern nur Handschriftliches, was aber dann sofort zum Drucke zu bringen ist, eingreicht wurde; druckfertige Manuskripte haben immer mehr oder weniger das Aussehen von Brouillons.
Trotz dieser Mängel hoffe ich, daß die erforderliche wissenschaftliche Befähigung und Bestrebung aus meiner Arbeit ersichtlich wird. Sie würden mich außerordentlich verbinden hochverehrter Herr Dekan, wenn Sie möglichst bald nach Eingang dieses mir die beiden Fragen beantworten wollten: wie viel Exemplare der Druckschrift ich abgeben muß und ob dieselbe nicht eine geringere Ausdehnung als die Handschrift haben kann. In diesem Falle würde ich jetzt, zum Zwecke der Habilitation, nur den ersten Theil drucken lassen, den zweiten aber und den ausgearbeiteten Rest später, um ein abgerundeteres Ganzes zu erzielen. Wie solches im Interesse der Arbeit selbst, so wäre es auch wegen der geringeren Kosten und wegen rascherer Erledigung wünschenswerth. In Rücksicht auf letztere scheint es mir nicht thunlich, eine Zeitschrift um Aufnahme der Abhandlung zu bitten, wie ja gestattet ist.

Was das Colloquium anlangt, so braucht dasselbe doch wohl erst kurz vor Beendigung des Druckes abgehalten zu werden?
Den Betrag von 20 Thalern für die Costen erlaube ich mir beizulegen.

Genehmigen Sie, hochverehrter Herr, den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Ihr ganz ergebener

Dr. Hugo Schuchardt.[15]

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Stellungnahmen zur Habilitationsschrift: Curtius, Ebert, Zarncke, Ritschl und Verfahrensfragen

|4|

Habilitation des Dr. Schuchardt

An die Herrn Collegen

Dr. Ebert[16]
Dr. Zarncke,[17] z.Z. Rector magnif.
Geh. Rath Dr. Ritschl[18]

Die gestern eingegangene Habilitationsschrift des Herrn Dr. Hugo Schuchardt, betitelt

Mittelromanische Studien

lege ich den Herrn Collegen mit der Bitte vor, sich darüber gefälligst aussprechen zu wollen. - Ich lege die ursprüngliche Eingabe des Petenten mit den Beilagen und den neuesten Brief bei, der zwar eigentlich an den Decan gerichtet ist, aber doch im Eingang auch Bemerkungen von allgemeinerem Interesse enthält. Die Bitte, im Fall der Approbation nur einen Theil dieser Schrift drucken zu müssen wird darum etwas im Wege stehen. Ueber das Colloquium scheint aber H. Dr. Sch. nicht die richtige Vorstellung zu haben, es muß bestanden sein, ehe von uns die Genehmigung zum Druck ertheilt wird.
Von Dresden aus ist inzwischen die Zulassung des Dr. Sch. zu den Habilitationsleistungen ausgesprochen. Dagegen hat das Ministerium sich nicht bewogen gefunden auf unsre bescheidene Erinnerung an die Reform der Habilitationsordnung irgend etwas zu antworten, wird mithin nach der alten Weise zu verfahren sein.

Ergebenst
G. Curtius[19]

22. Jan. 1870

Decane spectabilis!

Die Habilitationsschrift des H. Dr. Schuchardt besteht - obgleich der Verf. seltsamer Weise sich darüber gar nicht äußert - aus 2 Bruchstücken eines größeren Werks, welches nachweisen soll, daß das Churwälsche, die Tyroler romanischen Mundarten und das Friaulische eine besondre romanische Sprachengruppe, die der Verf. Mittelromanisch nennt, bilden. Diese Aufgabe ist interessant genug; nur ist zu bedauernn, daß in den zwei vorliegenden Abschnitten des Werks, die nicht einmal mit einander in einer näheren Beziehung stehen, zu ihrer Lösung noch fast gar nichts beigetragen ist. Das erste Stück, ursprünglich mit Recht „Erstes Kapitel” überschrieben, jetzt mit dem vagen Titel „Allgemeines” versehen, gibt eine sehr gründliche Darstellung des Gebiets jener 3 Dialecte, bei welcher mit Umsicht die geographischen Beziehungen der einzelnen verwandten Mundarten zu einander hervorgehoben sind. Diese Arbeit befriedigt vollkommen, nur ist sie kein Werk der Forschung – der Verf. beruft sich nirgends auf eigene Untersuchungen an Ort u. Stelle |4v| und wäre sie dies selbst, würde sie doch der ]der[ Natur des Gegenstands nach nicht als ein Werk der Sprachforschung zu betrachten sein: daher erscheint sie jedenfalls für die Habilitation eines Philologen ungeeignet. (Denn auch der Excurs in der lange Note 55, p. 47 ff, über das Verhältnis des Oberhalbsteinischen zu dem Engadinischen u. Oberwaldischen ist im Grunde nichts weiter als eine statistische Übersicht gleichsam der Laute und Formen, wenn auch einzelne originelle Beobachtungen eingestreut sind).
Anders verhält es sich mit dem zweiten Stück, pag. 75 ff., dem der Verf. die nichts sagende Überschrift „Besonderes” gegeben: dies Stück kann allerdings in unserm Falle als ein Specimen eruditionis in Betracht kommen. Hier geht der Verf. von einer Beobachtung Carisch’s, des gründlichsten Grammatikers des Churwälschen, über den Einfluß des Jotacismus auf die Umwandlung des a in e in der betonten Silbe in einer der Graubündner Mundarten aus, um diese eigenthümliche Spracherscheinung zunächst innerhalb der letzteren selbst, dann in den andern romanischen Sprachen und ihren Dialecten umfassender zu verfolgen und ihre Bedingungen genauer festzustellen; bei welcher Gelegenheit auch manches andere Phonologische in einzelnen Formen und Wörtern untersucht wird, zumal der Verf. leider die Schwäche hat, leicht vom Hundertsten in das Tausendste zu kommen, und sich nur zu gern in Einzelheiten verliert. So ist ein Ballast von Anmerkungen entstanden, durch die sich hindurchzuarbeiten wenig erquicklich und nicht selten auch wenig lohnend ist. Was aber die Hauptuntersuchung angeht, so ist sie im Allgemeinen mit Gründlichkeit und Umsicht geführt, und legt allerdings davon Zeugnis ab, daß der Verf. auf dem phonologischen Gebiete der roman. Sprachen wohl zu Hause ist, und zu eigenen Forschungen auf demselben befähigt. Da diese Untersuchung auch für die Wissenschaft von Werth ist, indem die betreffende Spracherscheinung bisher noch nicht so im Zusammenhange untersucht und im Einzelnen verfolgt ist, so möchte ich diesen Theil der Schrift für genügend zur Habilitation erachten, trotzdem der Gegenstand kein bedeutender und verhältnismäßig eng begrenzter ist: nur ist der Arbeit vor dem Druck eine schicklichere Form zu geben, namentlich indem der Verf. sie anders als geschehen, einleitet. Der kleine Anhang p. 114 ff. ist auch nicht ohne Interesse, nur ist auch er mit weitschweifigen Anmerkungen belastet, deren Inhalt zum Theil mit dem behandelten Gegenstand gar nichts zu thun hat.

Ebert.

Dem vorstehenden Gutachten trete ich in allen Theilen bei. Die vorgelegten Partien, fast möchte man sagen Fetzen, zeugen zwar von einem großen Sammelfleiße, vielleicht auch Sorgfalt, aber zugleich von einem großen Mangel an Formtalent und einem gänzlichen Mangel an bedeutenden geistvollen Gesichtspuncten. Als specimen eruditionis aber, wie wir es gerade der Habilitation zu beanspruchen haben, mag das Vorgelegte genügen, da es in der That von ausgedehnten Studien zeugt.

Zarncke.

Zur Beurtheilung des sachlichen Inhalts vermöge meiner Studien gar nicht competent, darf ich doch in Beziehung auf die Form sagen |5| ganz denselben Eindruck von der Durchsicht der vorliegenden Abhandlung empfangen zu haben, wie meine Herren Vorvotanten. Er ist ein sehr analoger, wie der, den das Buch über den Vocalismus der Vulgärsprache gewährt, welches auch mehr Materialiensammlung ist als eigentliche Verarbeitung mittels belebender Gedanken und durchgreifender Gesichtspunkte. Wobei anzuerkennen ist, daß diese Collectaneen von sehr großem Fleiße des Verf. zeugen und den Stoff wenigstens in einer gewissen äußerlichen Ordnung darlegen. – Gegen die Zulassung zum Colloquium habe ich natürlich, auf Grund der vorstehenden Gutachten, nichts einzuwenden.

F. Ritschl

Die Lage dieser ganzen Angelegenheit hat sich inzwischen verschoben. Das Ministerium hat unser neues Habilitationsstatut mit geringen Veränderungen genehmigt. In wenigen Tagen wird es gedruckt sämtlichen Mitgliedern der Facultät vorliegen und darf schon jetzt als zu Recht bestehend betrachtet werden.
Es folgt daraus dreierlei
1) daß die eigentliche Commission nun nur aus drei Herrn besteht, die bisher votirt haben und daß mir als Decan nur die Leitung der Geschäfte obliegt,
2) daß diese Vota zunächst nur an die übrigen Mitglieder der Section gelangen und
3) daß darauf sofort das Colloquium folgen kann, sobald nicht Einspruch erhoben wird, dann erst die Besprechung im plenum.
Indem ich also dem Votum der Commission beitrete ersuche ich die übrigen Herrn Mitglieder der philologischen Section sich ebenfalls darüber aussprechen zu wollen. Vielleicht kann dann im Laufe der nächsten Woche das Colloquium und in der für Sonnabend 5 März ohnehin nothwendige Sitzung der Facultät die Plenarberathung stattfinden.

24. Febr. 70 Curtius[20]

Für Zulassung zum Colloquium:
[Unterschriften]

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Habilitationskolloquium

|5v|

Colloquium am 4ten März 1870 Nachm. 3 Uhr[21]

Das Colloquium mit dem pt. Candidaten verbreitete sich zunächst über die Gruppierung der romanischen Sprachen, ihre wesentlichen Unterschiede, die Mundarten der einzelnen, die Entwicklung der Schriftsprache &&, so wie über die Epochen der italischen Literatur, die Leistung des Candidaten genügte.

Ebert.

Über die Zusammenhänge des Vulgarlatein mit dem archaischen Latein wußte Cand. im Ganzen befriedigend Auskunft zu geben.

Ritschl

Das Gespräch verbreitete sich über die Aufnahme germanischer Bestandtheile in die romanischen Sprachen. Der Cand. zeigt sich hier recht gut unterrichtet. Nicht so befriedigten seine Kenntnisse, wo es sich um den Einfluß des Französischen auf die deutsche Litteratur handelte.

Zarncke

Damit wurde beschlossen die Habilitation der Facultät zu empfehlen.

Curtius
Ebert
Zarncke

Am 30ten April 1870 Nachmittags 4 Uhr im Auditorium No. 1 fand der Probevortrag des Herrn Dr. Schuchardt statt. Derselbe bezog sich auf die Classification der romanischen Sprachen. Der Habilitand verbreitete sich über diesen Gegenstand in einem anregenden Vortrag mit vieler Gewandtheit, worauf ihm, da der erforderliche Recurs schon von ihm ausgefüllt war, erklärt wurde, daß ihm die venia legendi für das Fach der romanischen Sprachen ertheilt werden könne.

Curtius
Ebert
Zarncke

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Probevortrag

|9|

Gotha, 8/4 70.

Hochverehrter Herr Professor !

Bezüglich der Aufstellung von Thematen für meinen Probevortrag bin ich in einiger Verlegenheit, dieselben müssen doch – mit Rücksicht auf die Gelegenheit und die kurze zur Vorbereitung gegebene Zeit – möglichst allgemeiner Art sein. Und ich würde diesen am liebsten über die Art der Verwandtschaft, in welcher die romanischen Sprachen zu einander stehen (man könnte kürzer sagen: über die Classifikation derselben), reden, da ich dabei meine besondere Anschauung geltend machen könnte. Würde ein etwas speziellerer Gegenstand gewünscht, so möchte ich vorschlagen: Charakteristik des churwälsch-tirolerisch-friaulischen Sprachkreises oder Charakteristik der heutigen Mundart der Stadt Rom.
Das betreffende Thema wird doch wohl auf dem Titelblatt der Habilitationsschrift |9v| nicht angegeben, da diese sonst zu spät ausgetragen werden müßte? Kann ich nicht den Namen irgend eines zweckdienlichen Auditoriums, so wie die Zeit zu welcher der Vortrag zu halten ist, in kurzem erfahren? Würde der 27 April 4 Uhr oder einer der folgenden Tage passen? Ich komme erst gegen Ostern nach Leipzig und wünschte meine Abhandlung gleich fertig gedruckt mitzubringen.
Sollte Ihr Dekanat schon abgelaufen sein, so ersuche ich Sie um gütige Mittheilung dieser Zeilen (oder ist die Bestimmung der Thematen in formellerer Weise einzureichen)? an den zeitigen Dekan.

Mit ausgezeichnetster Hochachtung
Ihr ergebenster
Dr. Hugo Schuchardt

|8|

An die Commission für die Habilitationsangelegenheit
des Herrn Dr. Schuchardt

Den beiliegenden Brief des Herrn Dr. Schuchardt bringe ich hiemit zur Kenntnis der Commission. Nach unserem neuen Statut § 6 soll der Candidat erst 6 Tage vor dem Tage des Vortrags von der Wahl des Themas in Kenntnis gesetzt werden. Mithin ist es jetzt noch nicht möglich dies zu thun.
Dessenungeachtet wird es gut sein die Wahl zu treffen und ersuche ich die verehrten Herrn Collegen, sich darüber auszusprechen. Ohne vorgreifen zu wollen, scheint mir das erste Thema das zweckmäßigste und zwar in der präciseren Fassung „Classification der romanischen Sprachen”. Die Erwähnung mit dem Titel ist wohl überflüssig, sie genirt nur die Ausführung des Druckes, da doch die fertigen Exemplare einige Tage vorher eingetragen werden müssen.
Der 27te April Nachmittags 4 Uhr ist mir als Termin recht, ich bitte auch darüber um Ihre Erklärung und werde dann für ein Auditorium sorgen.

Leipzig 9 April 1870

G. Curtius[22]

Auch ich stimme für die Wahl des ersten Themas; gegen den gewünschten Termin habe ich nichts einzuwenden.

Ebert.

Wie College Ebert

Zarncke
Ritschl

|10|

Gotha, 16. 4. 70

Hochgeehrter Herr Professor !

Da der Druck, was ich nicht vorhersehen konnte, sich etwas verzögert hat, so werde ich wohl noch nicht am 27. d. M. meinen Probevortrag halten können, wohl aber an einem der folgenden Tage. Etwa am Freitag, d. 29. oder am Sonnabend den 30. Die Collegien haben ja dann dort noch nicht begonnen und das Auditorium 1 des Aug. würde zu meiner Verfügung sein? Kann ich dann unmittelbar darauf anschlagen lassen?
Indem ich Sie um baldgütigste Antwort ersuche, bin ich

mit vorzüglichster Hochachtung
Ihr ergebenster
Dr. Hugo Schuchardt

|11|

Den Inhalt dieses Briefes theile ich den Herrn Kommissionsmitgliedern mit der Bitte mit sich darüber erklären zu wollen, ob Ihnen die Verlegung des Probevortrags

auf Sonnabend 30 April Nachm. 4 Uhr

recht ist.

Ergebenst

G. Curtius

[…] April 70

Ich habe nichts dagegen
Ebert

desgleichen
Ritschl[23]

|12|

Gotha, 20/4 70.

Hochgeehrter Herr !

Da, wie erwähnt, die Versendung der Druckexemplare erst Ende dieser Woche ermöglicht wird, und mir der Herr Pedell Rühle mittheilt, daß das Auditorium N. 1 am Sonnabend, d. 30 d. M., um 4 Uhr, frei ist, so wünschte ich, wenn nicht von Ihrer Seite ein Einwand gemacht wird, zu genannter Zeit meinen Probevortrag zu halten. Ich möchte Sie ersuchen, mir die Mittheilung des gewünschten Themas nach Gotha zu machen (und zwar dürfte ich Sie dann wohl Sonnabend Morgens erwarten), da von der Wahl das Bedürfniß gewisser litterarischer Hülfsmittel abhängen könnte, die ich leichter hier, als in Leipzig, hätte. Zwar würde |12v| ich mich gern vorher mit Ihnen oder Herrn Prof. Ebert über das Thema besprochen haben, ich hätte noch mehrere allgemeine Themata vorschlagen sollen, da allerdings ein solches bei der Unruhe eines Umzugs von Gotha nach Leipzig mir besonders erwünscht wäre.

Indem ich Ihrer gütigen Nachsicht entgegensehe, bin ich
mit vorzüglichster Hochachtung
Ihr ergebenster
Hugo Schuchardt[24]

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Venia

|13|

[vorgedruckt:]

Der Unterzeichnete bekennt hiermit, dass ihm vom derzeitigen Decan der philosophischen Facultät unter dem heutigen Datum in Gemässheit der Ministerialverordnung vom 7. April 1861 eröffnet worden ist, dass er durch die ihm zu ertheilende venia legendi weder auf Unterstützung durch Gratificatinen, noch auf irgend eine feste Besoldung, noch auf künftige Erwerbung einer ausserordentlichen Professur einen Anspruch erhalte, dass vielmehr das eine wie das andere nach freiem Ermessen der höchsten Behörde nicht allein von dem Grade seiner Qualification zu dem academischen Lehramte und der Beschaffenheit seiner Leistungen, sondern auch davon werde abhängig gemacht werden, ob gerade einem speciellen wissenschaftlichen Bedürfnisse der Universität durch seine Lehrtüchtigkeit entsprochen werde.

Leipzig, den
[handschriftlich:] 26 April 70
Dr. Hugo Schuchardt

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Freistellung zu Badekuren

|14|

eingeg. 28 April
Abschrift
[Prägestempel Universität Leipzig]

Das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts hat auf desfalliges Ansuchen dem Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig den zum Gebrauch einer längeren Badekur für das bevorstehende Sommersemester erbetenen Urlaub ertheilt und macht dem akademischen Senate solches zugleich zur Benachrichtigung der philosophischen Facultät und zur Bescheidung des Dr. Schuchardt hierdurch bekannt.

Dresden am 22. April 1871.

Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts.

Für den Minister:
Dir. Hübel

|15|

[…] 30st Nov. 1871.
Abschrift

Das Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts hat auf das in Abschrift anliegende Gesuch des Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt zu Leipzig den ihm für das verflossene Sommersemester zu einer längeren Badekur bewilligten Urlaub bis zur völligen Wiederherstellung seiner Gesundheit zu verlängern beschlossen und macht dem akademischen Senate solches, zugleich zur Benachrichtigung der philosophischen Facultät und Bescheidung des Gesuchstellers hierdurch bekannt.

Dresden am 18. November 1871.

Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts
Gerber.

An
den akademischen Senat
zu Leipzig

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Ende der Dozentur in Leipzig: Ruf nach Halle

|16|

2083. eing. d. 21. Januar 73

Dem Vorstande des unterzeichneten Ministerium hat der Privatdocent in der philosophischen Facultät zu Leipzig Dr. Hugo Schuchardt angezeigt, daß er als ordentlicher Professor der romanischen Sprache an die Universität Halle berufen worden sei und diesen Ruf angenommen habe.
Das Ministerium läßt es bei dieser Anzeige bewenden und setzt die philosophische Facultät zu Leipzig zur Bescheidung des Dr. Schuchardt hiervon in Kenntniß.

Dresden, am 15. Januar 1873.

Ministerium des Cultus und öffentlichen Unterrichts.

Gerber

An
die philosophische Facultät
zu Leipzig.

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Fußnoten:

[1] Mein Dank für Transkriptionshilfen und Korrekturen an F.-R. Hausmann.

[2] Heinrich Aemilius August Danz [1806-1881] Rechtswissenschaftler.

[3] Kuno Fischer [1824-1907] Philosoph, Neukantianer und Philosophiehistoriker.

[4] Karl Wilhelm Göttling [1793-1869] klassischer Philologe.

[5] Carl Nipperdey [1821-1875] klassischer Philologe.

[6] August Schleicher [1821-1868] Sprachwissenschaftler, Indogermanist Begründer der Stammbaumtheorie, Vertreter der Evolutionstheorie. Vgl. Korrespondenz mit Schuchardt Nrn. 10058-10060.

[7] (Wilhelm) Adolf Schmidt [1812-1887] Historiker, Epigraph und Papyrologe.

[8] Moritz Schmidt [1823-1888] klassischer Philologe.

[9] Otto Jahn [1813-1869] klassischer Philologe, Epigraphiker, Archäologe, Musikwissenschaftler.

[10] Friedrich Wilhelm Ritschl [1806-1876] klassischer Philologe, zuerst Halle, dann Bonn, dann Leipzig. Vgl. Korrespondenz mit Schuchardt 09669-09671.

[11] Charler Monnard [1790-1865] Historiker und Romanist.

[12] Anton Springer [1825-1891] Kunsthistoriker.

[13] Schuchardt (1866, 1867, 1868); Brevier/HSA Nrn. 002a, 002b, 002c.

[14] Vgl. den Brief 02208 Curtius an Schuchardt aus dem Nachlaß Schuchardt vom gleichen Datum, wo Curtius dem Habilitationswerber den Ministerialbeschluß und Verfahrensdetails mitteilt.

[15] Curtius antwortet Schuchardt in einem Schreiben vom 23. Jänner 1870, Brief Nr. 02209 wiederum ausführlich über Verfahrensfragen.

[16] (Georg Karl Wilhelm) Adolf Ebert [1820-1890], Romanist, Literaturhistoriker. Vgl. die Korrespondenz mit Schuchardt 02677-02694.

[17] Friedrich Zarncke [1825-1891] Germanist, Hg. des Literarischen Centralblatts.

[18] Siehe oben.

[19] Georg Curtius [1820-1885] klassischer Philologe, bes. Gräzist. Vgl. die Korrespondenz mit Schuchardt 02208-02218, sowie Ziagos (2013).

[20] Am gleichen Tag schreibt Curtius an Schuchardt, Brief Nr. 02210, über Fortschritte des Verfahrens und wiederum zu Verfahrensfragen

[21] Curtius setzt Schuchardt in einem Brief vom 28. Februar, Brief Nr. 02211, schrift von diesem Terminvorschlag in Kenntnis.

[22] Curtius setzt Schuchardt am 12. April 1870 in einem Brief (Nr. 02212) über Verfahrensfragen zum mündlichen Kolloquium in Kenntnis.

[23] Curtius teilt Schuchardt dieses Einverständnis der Kommission brieflich am 20. April 1870 mit, Briefnr. 02213.

[24] Am 22. April teilt Curtius Schuchardt brieflich (Nr. 02214) die oben besprochene Wahl des Themas des mündlichen Kolloquiums mit.



Berufungsakte Professur Halle

Einführung

Vom 1. April 1873 bis 30. September 1876 war Hugo Schuchardt Professor für Romanische Philologie an der Universität Halle. Im Universitätsarchiv in Halle ist kein einschlägiger Personalakt vorhanden (Mitt. vom 28. November 2016), lediglich Senatsprotokolle, die die Diensteinführung Schuchardts belegen. Die Dokumente, auf die die hier gegebene Darstellung baut, stammen zur Gänze aus dem “Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz" in Berlin und tragen dort die Signaturen I /76 Va Sekt. 8, Bd. 10, 11 und 12. Wir danken der Unterstützung von Franziska Mücke.

Aus diesem Grund liegen uns, was den Schriftverkehr von Halle nach Berlin, bzw. Schuchardt - Berlin betrifft, die Originale vor, vom umgekehrten Verkehr, also Berlin - Halle bzw. Berlin - Schuchardt aber in der Regel Abschriften bzw. Entwürfe.

Bereits nach zwei Jahren, also 1875, erhielt Schuchardt einen Ruf nach Graz, den er zuerst ablehnte, nach dessen Erneuerung ein Jahr später er aber annahm und aus dem preußischen Staatsdienst ausschied. Interessant sind hier neben den bürokratischen Papieren v.a. das Gutachten von August Ferdinand Pott im Auftrag der Hallenser Fakultät über Schuchardt, aber auch die Briefe von Schuchardt selbst.

Auch hier ist das Ziel, einen kleinen Baustein zu einer Biographie Schuchardts beizutragen. Um ein wirkliches Verständnis der Hallenser Zeit zu bekommen, sind weitere Dokumente nötig, so zum Beispiel die Briefwechsel mit den Kollegen A. F. Pott (Mücke 2015) und Keil (Hurch 2017), seinem Nachfolger Hermann Suchier (Hurch 2015), aber auch z.B. die Unterlagen aus dem Grazer Berufungsverfahren und den Briefwechsel mit dem Grazer Kollegen Johannes Schmidt, der in Graz seitens der Fakultät in Berufungsfragen mit Schuchardt (bzw. dessen Vater) korrespondiert hat (Hurch & Mücke 2015).


Stellungnahme A. F. Pott für die Fakultät

Halle den 23. Oct. 1872

Ew. Hochwohlgeboren

haben an die Philosophische Facultät unterm 17. Sept. d. J. die Aufforderung gerichtet, Ihnen über Wiederbesetzung der durch Weggang des Hr. Prof. Boehmer erledigten ordentlichen Professur für Romanische Philologie Vorschläge zugehen zu lassen.
Die Facultät ist einer Sitzung, welche durch längere Abwesenheit der, erwähntem Fache am nächsten stehenden Mitglieder verspätet worden, nach eingehender und sorgsamer Erwägung zu dem Beschlusse gelangt,
dem hohen Ministerium den Dr. Hugo Schuchardt, Privatdocenten in Leipzig, dringend als denjenigen zu empfehlen, welcher ihr wie an sich, so auch im Besonderen für die Bedürfnisse unserer Universität, als der allein geeignete und wünschenswerthe erscheint, den erledigten Lehrstuhl für romanische Sprachen und Literaturen wieder einzunehmen; —
und ersuchen wir demgemäß Ew. Hochwohlgeboren ganz gehorsamst um gefällige Mitwirkung, daß diesem unserem Wunsche stattgegeben werde.
Die schriftstellerische Thätigkeit des Dr. Schuchardt hat sich überwiegend auf sprachlichem, auf grammatischem und linguistischem Gebiete fruchtbar erwiesen. Sein Vokalismus des Vulgärlateins (3 Bde Leipz. 1866-68.), was man als eine Art Fortsetzung und Ergänzung des Corssen’schen Werkes ansehen kann, ruht auf der Grundlage einer tüchtigen altclassischen Bildung, und hat ein reiches, mühsam zu sammelndes Material nicht nur mit großem Fleiße zusammengetragen, sondern auch, wenn nicht überall, so doch in einzelnen Parthien, selbständig verwerthet. Von welchem Belange übrigens zu Beherrschung der romanischen Sprachen die Kenntniss der zu ihnen den Uebergang bildenden gemeineren Lateinischen Sprechweise sein müsse, leuchtet von selber ein; und findet überdies deßhalb den Werth der Schuchardt’schen Arbeit auch bei Diez (Gramm. 3. Vorr. I, 4.) die entschiedenste Anerkennung.
Weiter sind die Habilitationsschrift Schuchardt’s (Ueber einige Fälle bedingten Lautwandels im Churwälschen Gotha 1870.) und nicht minder seine Abh. Albanisches und Romanisches (Kuhn’s Ztschr. 1872. 20, 241 sqq.) als nach grammatischem Wissen und in Methode lobenswerth zu bezeichnen.
Hn. Schuchardt’s Auffassung und Behandlung der Literaturgeschichte läßt sich entnehmen aus einigen populären Aufsätzen in der Augsb. Allg. Zeit. Er beschränkt sich dort nicht auf literärgeschichtliche Außerlichkeiten, sondern sucht in |2| den Geist der Werke einzudringen und berücksichtigt ihren ästhetischen Werth, ihre geschichtliche Stellung, und ihren Zusammenhang mit den Kulturverhältnissen. Auch zeugen jene Aufsätze davon, daß ihr Verf. während seines längeren Verweilens unter romanischen Völkern nicht nur die Sprachen, sondern auch Land und Leute scharf und denkend beobachtet hat.
Die Lehrtätigkeit Schuchardt’s anlangend, ist der Facultät bekannt, daß er seit einigen Jahren in Leipzig neben einem berühmten Ordinarius besuchte und gern gehörte Vorlesungen über verschiedene Gegenstände der romanischen Philologie gehalten hat, daß sein Vortrag als klar und frisch gelobt, und daß sein großes Geschick im Sprechen fremder Sprachen und Mundarten gerühmt wird.
Wenn die Facultät überdem noch mit zwei anderen Namen beschäftigt gewesen: so hat sie, nach strenger Prüfung aller bei der Frage in betracht kommenden Umstände, so bei voller Anerkennung alles dessen, was sich zu deren Gunsten Rühmliches sagen läßt, doch nicht umhin gekonnt, von diesen Persönlichkeiten Absehen zu nehmen. Bei Erwägung, daß Grammatik und Linguistik den festen Grund und Ausgangspunct abgeben für jede Art von Philologie, hat die Facultät sich sagen müssen, wie genannter Forderung Dr. Schuchardt in nicht zweifelhafter Weise Genüge leiste, während bei den, sogleich zu erwähnenden Herren von solcher Überzeugung auszugehen sie keinen triftigen Anlaß sieht.
Zuerst nun haben wir auch den Dr. Edmund Stengel , Hallenser von Geburt und von Hn. Prof. Boehmer uns angelegentlich empfohlen, ins Auge gefaßt. Dessen Verdienste, vorzugsweise in Aufsuchung und Herausgabe älterer romanischer Handschriften bestehend, wie anerkennenswerth an sich, schließen doch nicht unbedingt die Gewähr ein für eine erfolgreiche Lehrtätigkeit. Er war erst zu kurze Zeit Privatdocent in Basel, um in gedachter Rücksicht über ihn ein sicheres Urtheil zu haben. […] Veröffentlichung einer Diss. über den Vokalismus des Lat. Elements in den romanischen Dialekten Graubündens und Tirols (Bern 1868) hat Herr Stengel während eines mehrjährigen Aufenthaltes in Frankreich, England, der Schweiz und Italien, Bibliotheken dieser Länder eifrig durchsucht, und aus ihnen interessante, wichtige und zum Theil bis dahin unbekannte Werke und Stücke entweder schon herausgegeben oder ist mit deren Herausgabe beschäftigt; und sind solche auch mit wichtigen Erörterungen von überwiegend bibliographischem Charakter ausgestattet. So das Buch über das reichhaltige und berühmte Digby-MS. der Bodlejana (cod. Digby descr. excerps. M. E. Stengel, Halle 1871. XIV, 132. S. 8°), so der Abdruck einer provencalischen Liederhandschrift der Laurenziana zu Florenz (in Harrig’s Archiv 1872. Bd. 49.), so die Ausgabe eines umfänglichen „Roman de Durmart” (begonnen in der Bibl. des Stuttg. Lit. Vereins), und noch Anderes, wovon die Facultät Kenntnis erlangt hat, bevor es vor die Öffentlichkeit getreten ist.– Auch giebt von der besonderen literarischen Rührigkeit E. Stengel’s einem neue Kenntnis ein jüngst von ihm mit Manzoni und Monari unternommene Rivista di filologia Romana, worin ein Aufsatz zu ihm: Studi sopra in Canzioneri Provenzali di Firenze e di Roma (8 Seiten) und Documento in Dialetto Sardo dell'anno 1173. enthalten ist.
Dann bekennt die Facultät gern, daß sie ihre Hochschätzuung auch nicht den zwar wenig umfangreichen, doch gehaltvollen Arbeiten des Zürcher außerordentlichen Professors Dr. Groeber versage, welche eine selbständige gründliche und gediegende Forschung, jedoch überwiegend auf dem Gebiete der Literaturgeschichte, bekunden. Seine mit guter kritischer Methode und großem Scharfsinn geführte Untersuchung über Fierabras (Leipz. 1869) hat […] |3| und fruchtbare Ergebnisse geliefert. Seine Abh. über die altfranzösischen Romanzen und Pastourellen (in Lemcke’s Jhb. 1871. 12, 91 ff) hat zuerst den wahren Charakter dieser Dichtungen erfaßt und klar und überzeugend dargelegt. Eine weitere auf Fierabras bezügliche Veröffentlichung steht in naher Aussicht. Auch hat Prof. Groeber, wie uns bekannt, in Zürich sehr günstige Lehrerfolge erzielt.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren

gefertigter
A F Pott, in Vertretung des
Decans der philosoph. Facultät

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Vorschlag Fakultät/Kurator an Ministerium zur Berufung Schuchardts

Halle, den 24. October 1872
N. 2040

Betriff die Wiederbesetzung
der ordentlichen Professur für
Romanische Sprachen

An
des Königlichen Staats-Ministers
Minister der geistlichen, Unterrichts-
und Medicinal-Angelegenheiten
Herrn Dr. Falk
Excellenz
zu
Berlin

Die philosophische Fakultät bringt für den durch die Versetzung des Professor Böhmer nach Strassburg erledigten Lehrstuhl für romanische Sprachen in dem s.p.r. beigefügten Dekanatsbericht vom 23. d.M. den Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig in Vorschlag.
Sie gedenkt in ihrem Bericht noch zweier anderer in Betracht kommender Concurrenten, des Dr. Stengel (zur Zeit in Rom) und des außerordentlichen Professors Dr. Groeber |2| in Zürich; allein sie giebt aus den im Bericht erörterten Gründen dem Dr. Schuchardt in dem Maaße den Vorzug, daß sie nur diesen allein in Vorschlag bringen zu sollen glaubt.
Ew. Excellenz bitte ich deshalb gehorsamst, Hochgeneigtest dem Antrage der Fakultät deferiren zu wollen.


Der Curator der Universität
[unterschrieben:] Roedenbeck

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Intervention von ?? für Schuchardt im Ministerium

Ew. Excellenz

wollen gütigst entschuldigen, wenn ich mir gestatte, im Interesse eines hiesigen Staatsangehörigen Ihre Zeit für einige Augenblicke in Anspruch zu nehmen.

Dem Vernehmen nach ist der jetzige Dozent an der Universität Leipzig, Dr. Hugo Schuchardt von hier, von der philosophischen Facultät in Halle zur ordentlichen Professur für die romanische Lehrkanzel in Vorschlag gebracht worden.

Während nun die wissenschaftliche Qualifikation des Vorgeschlagenen wohl bereits auf anderem Wege festgestellt seyn wird, bin ich in der Lage, ihm in moralischer Beziehung |2| ein durchaus günstiges Zeugniß ertheilen zu können, und habe, da ihm dasselbe wirklich von einigem Nutzen seyn könnte, auf den Wunsch seiner mir näher bekannten Eltern nicht unterlaßen mögen, Ew. Excellenz mit dieser Zuschrift zu behelligen, für die ich mir nochmals Ihre Nachsicht erbitte.

Mit wahrem Vergnügen aber ergreife ich die Gelegenheit, mich in die freundliche Erinnerung Ew. Excellenz zurückzurufen und die Versicherung der ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern, mit der ich zu verharren die Ehre habe.

Ew. Excellenz

ergebenster

[Unterschrift]

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Abschrift: Rufangebot

Cito!

Berlin, den 13ten November 1872

An den Privatdocenten Herrn Dr. Hugo Schuchardt Wohlgeb.
in Leipzig


ad U. 35306.K 35327.


Die philosophische Facultät der Universität zu Halle hat den Wunsch ausgesprochen, Ew.– zu der bei ihr erledigten ordentlichen Professur der romanischen Sprachen berufen zu sehen. Ich nehme davon Veranlassung die Anfrage an Sie zu richten, ov Sie dieses Amt zu übernehmen geneigt sind. Eine Besoldung von == 1200- jährlich kann ich in Aussicht stellen.
Da zu wünschen ist, daß der erledigte Lehrstuhl so schleunig als möglich wieder besetzt werde, würde es mir angenehm sein, einer zustimmenden Erklärung Ihrerseits baldigst entgegen sehen zu dürfen. [seitlich:] g.g.B. == 1200- ist der bisherige Betrag der Besoldung des Professors der rom. Sprachen in Halle.
Gern benutze ich die Gelegenheit Ew. meiner Hochachtung zu versichern.

Der Kön. Pr. Minister p.

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Abschrift der Rufannahme durch Schuchardt

Beglaubigte Abschrift.

Leipzig, den 18. November 1872.

Hochzuverehrender Herr Staatsminister!

Der von Ew. Excellenz unter dem 13.d. M. an mich gerichtete ehrenvolle Antrag hat mich mit grösster Genugthuung erfüllt und beeile ich mich, meine bereitwillige Annahme desselben zu erklären. Durch die Berufung auf den Lehrstuhl für die romanischen Sp[r]achen an der Universität Halle wird mir ein Wirkungskreis eröffnet, wie er meinen Wünschen vollständig entspricht, und werde ich alle Kräfte aufbieten, um meinerseits das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen. Indem ich für dieses Ew. Excellenz meinen wärmsten Dank sage, verharre ich in grösster Ehrerbietung
Ew. Excellenz
ergebenster
(gez.) Dr. Hugo Schuchardt.

Für die richtige Abschrift etc.

[Original zu der Autographen Sammlung
Darmstaedter b.d.Kgl.Biblioth.genommen.]

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Bestallung: Entwurf

1) Bestallung
für den bisherigen Privatdocenten an der Universität zu Leipzig Dr. Hugo Schuchardt als ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg

Herr G. O. R. Rts Dr. Olshausen
Herrn G. O. R. Rts Dr. _Vinerk z. g. M.

Wir Wilhelm von Gottes Gnaden König von Preußen, thun kund und fügen hiermit zu eröffnen, daß Wir den bisherigen Privatdocenten an der Universität zu Leipzig Dr. Hugo Schuchardt zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg Allergnädigst ernannt und angenommen haben, unter der Bedingung, daß derselbe Uns und Unserem Königlichen Hause jederzeit treu und eifrig ergeben bleibe, insonderheit das ihm anvertraute Lehramt fleißig wahrnehmen, zu dem Ende die studierende Jugend durch Vorträge formahl als Examina und Disputier-Uebungen unterrichte, alle halbe Jahre ein Collegium über einen Zweig der von ihm zu lehrenden Wissenschaften unentgeltlich lese, sowie auch für jedes Semester mindestens eine Private Vorlesung in seinem Fache ankündige, bei den in der Fakultät und im Senate vorkommenden Bewerthungen sein Votum jederzeit nach reiflicher Ueberlegung abgebe, und sich nebst seinen Collegen die Aufnahme und das Beste der Universität aufs äußerste angelegen sein lasse überhaupt aber sich so betrage wie |2| es einem getreuen und geschickten Königlichen Diener und Professor wohl ansteht und gebührt. Für die von ihm zu leistenden treuen Dienste soll derselbe aller, in dieser Eigenschaft ihm zustehenden Prärogative und Gerechtsamen sich zu erfreuen und das ihm bewilligte Gehalt zu beziehen haben. Urkundlich haben wir diese Bestallung Allerhöchst vollzogen und mit Unserem Königlichen Insiegel bedrucken lassen.
So geschehen und gegeben zu
den ten

Zur Allerhöchsten Vollziehung Seiner [Kaiserlichen und] Königlichen Majestät
ad contrasign.

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Entwurf zur Rufempfehlung für Schuchardt

Berlin den 5.ten December 1872.
Seine Majestät der Kaiser und König.

Die philosphische Facultät in Halle hat unter Befürwortung des Curators Geheimen Ober-Regierungsrathes Dr. Roedenbeck für die bei ihr durch Berufung des Professors Dr. Boehmer an die Universität Strassburg zur Erledigung gekommene ordentliche Professur der romanischen Sprachen in erster Linie den Privatdocenten an der Universität zu Leipzig Dr. Hugo Schuchardt in Vorschlag gebracht, der bereit ist, die Stelle zu übernehmen.
Dr. Schuchardt aus Gotha gebürtig, |3| ist nach Allem, was über ihn zu meiner Kenntniß gekommen, ein junger Gelehrter von achtungswerthem Charakter und gründlicher Bildung; er hat sich durch eine Reihe schriftstellerischer Arbeiten auf sprachlichem, grammatischem und linguistischem Gebiet vortheilhaft bekannt gemacht und seit einigen Jahren in Leipzig neben einem berufenen Ordinarius besuchte und gern gehörte Vorlesungen über verschiedene Gegenstände der romanischen Philologie gehalten.
Ich trage hiernach kein Bedenken, Ew. Kaiserliche und Königliche Majestät allerunterthänigst zu bitten,
durch huldreiche Vollziehung der ehrfurchtsvoll beigefügten Bestallung den Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität zu Halle Allergnädigst ernennen zu wollen.
:| Namens S. Excellenz.|:

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versch. Entwürfe/Dokumente zur Bestallung

Bestallung
für
den bisherigen Privatdocenten an der Universität zu Leipzig Dr. Hugo Schuchardt
als
ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität Halle-Wittenberg
d.d. Berlin den 6tehn Dezember 1872


Berlin den 23.ten December 1872.

1. An
den Privatdocenten Herrn Dr. Hugo Schuchardt
Wohlgeboren in
Leipzig
Rekommandiert!

Herr G. O. R. RG Dr. Olshausen
Herrn G. O. R RG Dr. Vinerk z. g. M.

Tag dem Abgang
1. an die Universitäts-Dentrale
2. = = Geheime Calculatur

Bekanntmachung :|am 1. Febr. 1873 zu informieren|:
für den Staatsanzeiger und das Centralblatt.
Seine Majestät der König haben Allergnädigst geruht, den bisherigen Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität in Halle zu ernennen.

2,
den könig. Universitäts-Curator Herrn Geheimen Ober-Regierungsrath Dr. Roedenbeck
Hochwohlgeboren


Cito !

Es ist mir angenehm, für unter Bezugnahme auf Ihre Erklärung vom 18ten v. M¬¬ts. hierdurch benachrichtigen zu können, daß Seine Majestät der Kaiser und König, mein Allergnädigster Herr, Sie auf meinen Antrag zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität in Halle zu ernennen und die darüber ausgefertigte Bestallung unter dem 6ten d. Mts. zu vollziehen geruht haben. Demzufolge ersuche ich Sie, das Ihnen verliehene für die Vertretung der romanischen Sprachwissenschaft Lehramt mit Beginn des nächsten Semesters anzutreten und das Verzeichnis der in demselben von Ihnen beabsichtigten Vorlesungen schleunigst an den Decan der philosophischen Facultät einzusenden.
Der Herr Curator der Universität Halle ist von Ihrer Ernennung zur Mittheilung an die betheiligten akademischen Behörden in Kenntniß gesetzt und beauftragt, die Ihnen bewilligte Besoldung von jährlich 1200 M vom 1t. April 1873 ab in vierteljährlichen Raten pränumerando zahlen zu lassen und Ihnen die Bestallung nach Ihrem Eintreffen in Halle zu behändigen.
der k. Pr. Minister pp


Auf den Bericht vom 24t. October c. 12 c. 2040 benachrichtige ich Ex.p., daß Seine Majestät der Kaiser und König |2| auf meinen Antrag als Ersatz für den Professor Dr. Boehmer den bisherigen Privatdocenten Dr. Hugo Schuchardt in Leipzig zum ordentlichen Professor in der philosophischen Facultät der Universität Halle zu ernennen und die darüber ausgefertigte Bestallung unter dem 6. d. Mts. etc.

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Brief Schuchardt: Gehaltsverhandlungen zur Rufabwehr 1875

Ew. Exzellenz

bin ich für die vor einigen Jahren empfangene Verleihung der ordentlichen Professur für romanische Sprachen an der Universität Halle nach wie vor zu aufrichtigstem Danke verpflichtet. Obgleich ich nun demgemäß auf meinem Posten auszuharren geneigt sein würde und obgleich meiner Geburt sowohl wie viele andere geistige und äußere Beziehungen mich zunächst an Norddeutschland knüpfen, so möchte es doch verzeihlich sein, daß ich gegen die Vortheile, welche mir durch eine an mich ergangene Berufung nach der Universität Gratz geboten worden, nicht gleichgültig bin.
Ew. Excellenz lege ich (mit der gehorsamsten Bitte um Rückgabe) die im Namen des k. k. Staatsministeriums für Kultur und Unterricht zu Wien an mich ergangene Zuschrift vom 4. d. M. mit dem Ersuchen vor, mir hochgeneigtest eröffnen zu wollen, ob mir |2| für den Fall, daß ich in meiner bisherigen Stellung bleibe, eine Gehaltserhöhung bewilligt werden würde und welche dann dadurch würden zunächst meine weiteren Entschließungen bedingt sein.
Daß ich mich - mit Umgehung der ordentlichen Instanzenzuges - direkt an Ew. Excellenz zu wenden wage, mag doch der Umstand entschuldigt werden, daß ich binnen Kurzem dem k. k. Ministerium eine bestimmte Erklärung abgeben muß; weßhalb ich auch um eine baldmöglichste Schlußfaßung gehorsamst nachsuche.
In schuldiger Ehrerbietung

Dr. Hugo Schuchardt
ord. Prof. an der Universität Halle

Halle 10. Aug. 1875


Da ich wegen einer Studienreise nach England zunächst keinen bestimmten Ort, wo mich eine Zuschrift treffen könnte, anzugeben vermag, so bitte ich eine solche unter der Adresse: Justizrat Dr. Schuchardt in Gotha an mich abgehen zu lassen.

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Entwürfe des Ministers zur Rufabwehr 1875

Seine Excellenz haben dem ordentlichen Professor Dr. Schuchardt bei der philosoph. Fac. der Universität Halle in Rücksicht auf die zugesagte Ablehnung eines ihm zugegangenen Antrags zur Übernahme einer ord. Professur an der Universität Gratz eine Gehaltserhöhung von 1350 M jährlich vom 1. October 1875 ab bewilligt, welche aus den disponiblen Mitteln des Besoldungsfonds der Univ. Halle zu bestreiten ist.
Exped. das Erforderliche.
G 11/8


Berlin den 18 August 1875.
An den Kgl. Univers. Curator
Geh. Ob. Reg. Rath Dr. Roedenbeck
Hochwohlgeboren
zu Halle adS.
1. an die Univers. Centrale
2. an die Geh. Calculatur
3. an Herrn Reg. Rath Lauer zur Notiz

Dem ordentlichen Professor Dr. Schuchardt bei der philosophischen Facultät der dortigen Kgl. Universität habe ich in Rücksicht auf die zugesagte Ablehnung eines im zugegangenen Antrages zur Übernahme einer ordentlichen Professur an der Universität zu Gratz eine Gehaltszulage von 1350 Mark – Eintausend dreihundert fünfzig Mark – |2| jährlich vom 1 October d.J. ab bewilligt.
Ew. pp benachrichtige ich hiermit mit der Veranlassung, diese Zulage aus den disponiblen Mitteln des Besoldungsfonds der Kgl Universität zahlen zu lassen und die Universitätskasse mit entsprechender Anweisung zu versehen. Den p. Schuchardt habe ich von der Bewilligung unmittelbar in Kenntniß gesetzt.


2. An
den ordentlichen Professor Herrn Dr. Schuchardt
Wohlgeboren zu Halle adS

Adressar: den Justizrath Herrn Dr. Schuchardt
Wohlgeboren zu Gotha.

Ew. pp benachrichtige ich auf das Schreiben vom 10. d. M., daß ich Ihnen in Rücksicht auf die zugesagte Ablehnung eines Ihnen zugegangenen in Rücksicht auf die zugesagte Ablehnung eines Ihnen zugegangenen Antrages zur Übernahme einer ordentlichen Professur an der Universität zu Gratz eine Gehaltszulage um 1350 Mark vom 1 October d. J. bewilligt habe.
Der Minister pp
J.M.

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Brief Schuchardt zur endgültigen Entlassung in Halle/Rufannahme in Graz

Bad Nassau bei Ems
den 16. Juni 1876

Euer Hochwohlgeboren !

Nachdem mir von Seiten des hohen Staatsministeriums im Laufe des vorigen Jahres eine Gehaltszulage bewilligt worden war, hatte ich die an mich ergangene Berufung nach der Universität Graz abgelehnt. Es geht daraus hervor, wie sehr ich das Glück zu schätzen weiß an einer Universität, wie Halle es ist, wirken zu können.
Da ich aber inzwischen immer mehr von Nachtheil fühlte, welchen das Klima |2| von Halle auf meinen Gesundheitszustand ausübte, und auch von ärztlicher Seite mir gerade in dieser Hinsicht Graz als heilsam empfohlen wurde, so bin ich zu Anfang dieses Jahres von Neuem in Verhandlungen mit dem östreichischen Kultusministerium eingetreten und habe nun den Ruf nach gedachter Universität endgültig angenommen.
Um Mißdeutungen vorzubeugen, bemerke ich, daß meine pekuniäre Lage – besonders wenn man die östreichischen Pensionsverhältniße in Betracht zieht – sich keineswegs verbessern, ja eher verschlechtern wird; ich erhalte nur ein Geringes mehr, als mir gleich anfangs angeboten worden war. Ew. Hochwohlgeboren würde mich sehr verpflichten, diesen Punkt ausdrücklich hervorzuheben.
Es ist mit sehr peinlich, daß derselbe Grund, |3| welcher mich zum Aufgeben meiner bisherigen Stellung bewogen hat, mich nachträglich zwint, die mit ihr verbundene Thätigkeit noch während dieses letzten Semesters auszusetzen. Denn ich habe so eben eine Cur angetreten, deren Dauer sich auf mindestens zwei Monate belaufen wird. Aber ich denke, Niemand kann mir die Verantwortlichkeit für dieses unglückliche Zusammentreffen aufbürden.
Demgemäß richte ich an Ew. Hochwohlgeboren das ergebenste Gesuch, (zugleich mit meiner Urlaubsverlängerung) meine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst zum 1. Oktober befürworten und einem hohen Ministerium die Versicherung meiner wärmsten Dankbarkeit für mir bewiesenes Vertrauen und Wohlwollen und meiner treuen Anhänglichkeit an mein norddeutsches Vaterland und insbesondere an dessen wissenschaftliche Einrichtungen ausdrücken zu wollen.

Mit ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
Hugo Schuchardt

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Universitätskurator: Empfehlung ans Ministerium zur Entlassung aus Staatsdienst

Der Königliche Curator
der vereinigten Friedrichs-Universität
Halle-Wittenberg
J. No. 1830.
Halle, den 21. Juni 1876.

Betrifft die von Professor Dr. Schuchardt
erbetene Entlassung aus dem
Preußischen Staatsdienst.

An den Königlichen Staatsminister,
Minister der geistlichen pp. Angelegenheiten
Herrn Dr. Falk
Excellenz
Berlin

Der Professor Dr. Schuchardt hat laut des gehorsamst beigefügten Schreibens vom 16/9 d.M. einen Ruf an die Universität Gratz endgiltig angenommen und deshalb seine Entlassung aus dem Preußischen Staatsdienst zum 1. October nachgesucht.
Der ihm von Ex. Excellenz mittelst hohen Rescripts vom 13. d.M. No 3245 UT ertheilte 4 wöchentliche Nachurlaub läuft mit dem 26. Juni ab, indessen ist p. Schuchardt, wie aus obigem Schreiben sich ergiebt, durch die von ihm angetretene 2 monatliche Cur verhindert, seine Amtsthätigkeit in diesem Semester aufzunehmen, was auch ohnehin zu spät sein würde.
Ew. Excellenz bitte ich deshalb gehorsamst, hochgeneigtest
1. den Professor Dr. Schuchardt für das laufende Sommersemester unter Belassung seines vollen Gehalts zu beurlauben
und
|2| 2. ihm zum 1. October die gewünschte Entlassung aus dem Preußischen Staatsdienst erwirken zu wollen.
Rektor und Senat, sowie die philosophische Fakultät habe ich von dem Gesuch des p. Schuchardt in Kenntnis gesetzt und letztere zu Vorschlägen wegen anderweiter Besetzung der Stelle aufgefordert.

Roedenbeck

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Entwurf: Dimissoriale

1. Dimissoriale
für
den ordentlichen Professor an der
Universität zu Halle
Dr. Hugo Schuchardt

Berlin, den 7ten Juli 1876
2. An
Seine Majestät den Kaiser und König

Wir, Wilhelm
von Gottes Gnaden, König von Preußen, thun kund und fügen zu wissen, daß Wir Unserm ordentlichen Professor an der Universität zu Halle Dr. Hugo Schuchardt die nachgesuchte Entlassung aus Unserm Staatsdienste in Gnaden und unter Bezeigung der Zufriedenheit mit seiner Dienstführung zu ertheilen geruht haben.
Urkundlich haben Wir dieses Dimissoriale Allerhöchst Selbst vollzogen und mit Unserm Königlichen Insiegel versehen lassen.
Gegeben den 1876

(Zu Sr. Kaiserl. und Königl. Majestät Allerhöchster Vollziehung unter Gegenzeichnung.)

Der ordentliche Professor der romanischen Philologie an der Universität zu Halle Dr. Hugo Schuchardt hat einen Ruf an die Universität Graz zum 1. October d.J. angenommen und in Folge dessen um die Ent- |2| lassung aus Ew. Kaiserlichen und Königlichen Majestät Diensten gebeten.
Ein Versuch, ihn dem Preußischen Staatsdienst zu erhalten, erscheint nicht angängig, nachdem ich bereits im vorigen Jahre ihm eine erhebliche Gehalts-Erhöhung bewilligt habe, als ihm dieselbe Professur angetragen worden war, sodaß ich erwarten durfte, daß er, seinen danach langen Erklärungen entsprechend, sich an die Universität Halle dauernd gebunden versten würde. Da im Übrigen gegen die Gewährung seiner jetzigen Bitte kein Bedenken obwaltet, so trage ich in tieffster Ehrfurcht darauf an,
Ew. Kaiserliche und Königliche Majestät wollen geruhen, durch Huldreiche Vollziehung der beigefügten Dimissoriale dem […] Schuchardt die Entlassung aus seinem seitherigen Dienstverhältniß in Gnaden zu ertheilen.
./. Namens Sr. Excellenz ./.

Für den Minister der Angl.
gez. Graf z. Eulenburg

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Mitteilung der Dimissoriale an Kurator

An
den königlichen Universitäts-
Curator Herrn Geheimen Ober-
Regierungsrath Dr. Roedenbeck
Hochwohlgeboren
zu
Halle a/S.
etc.

Nachdem Seine Majestät der Kaiser und König auf meinen Antrag dem ordentlichen Professor in der dortigen Universität Dr. Hugo Schuchardt seinem Ansuchen gemäß die Entlassung aus dem gegenwärtigen Dienstverhältniß vom 1. October ab zu ertheilen geruht haben, übersende ich Ew. /Tit./ das darüber ausgefertigte Allerhöchst vollzogene Dimissoriale mit der Veranlassun dasselbe vo Schuchardt gegen Einziehung von 1,50 M für den zu den Curatorial. zu behändigen, von seinem Ausscheiden den betheiligten akademischen Behörden Nachricht zu geben und die Zahlung des Gehalts pp. vom 1. October ab einstellen zu lassen.
Unter Bezugnahme auf den Bericht vom 21 v. Mts. No 1830 sehe ich der Einreichung der von der philosophischen Facultät schleunigst zu machenden |2| Vorschläge wegen Wiederbesetzung der erledigten Stelle durch Ew. /Tit/ Vermittelung demnächst entgegen.
Der Minister pp.
F.R.
[Unterschrift]

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Berufung und Tätigkeit in Graz

Die Berufung nach Graz

Am 30. April 1875 ergeht ein Schreiben des Ministeriums an die Grazer Fakultät, diese möge einen Besetzungsvorschlag für die durch die Pensionierung von Anton Lubin frei gewordene Stelle vorlegen. Die Philosophische Fakultät setzt daraufhin eine Kommission ein, der unter Leitung des Indogermanisten Johannes Schmidt der Germanist Anton Schönbach und der Klassische Philologe Max Ritter von Karajan angehörten. Am 8. Juli 1875 legt diese Kommission der Fakultät eine ausführliche Begründung für einen unico-loco Vorschlag vor, mit Schuchardt als Einziggereihtem. Schon vor der Endredaktion des Kommissionsberichtes und natürlich vor Beschlussfassung der Fakultät bzw. des Professorenkollegiums am 15. Juli 1875 setzte sich Schmidt mit Schuchardt am 24. Juni in Verbindung, um dessen prinzipielle Bereitschaft zur Übernahme der Stelle bzw. die daran geknüpften Bedingungen auszuloten (HSA Brief 02-10094).

Es kam zu einem raschen Briefwechsel zwischen Schuchardt und Schmidt, von dem wir leider nur die Schreiben Schmidts kennen, die im Nachlass Schuchardt aufbewahrt sind. Schuchardt muss auf die erste Anfrage sehr zügig und positiv interessiert geantwortet haben, denn Schmidt begrüßt in seinem zweiten Schreiben nur vier Tage später am 28. Juni diese Entscheidung. Er zeichnet darin ein detailliertes und auch unabhängig vom gegenständlichen Verfahren lesenswertes Bild der Grazer Fakultät, der Universität Graz und vom Leben eines Deutschen in Österreich. Über Schuchardts Reaktion ist er außerordentlich erfreut (HSA Brief 03-10095). Die Geschwindigkeit der epistolarischen Abwicklung ist durchaus beachtlich. Wiederum wenige Tage später (am 1. Juli 1875) bittet Schmidt Schuchardt um ein Curriculum vitae und eine Publikationsliste (HSA Brief 04-10096), was dieser offenbar wieder postwendend erledigt, wie wir dem Umstand entnehmen können, dass die Kommission den Besetzungsvorschlag am 8. Juli 1875 in mehrseitiger Form, ausführlich begründet und mit einem solchen Publikationsverzeichnis versehen, vorlegt. Weitere Briefe Schmidts an Schuchardt aus den ersten Julitagen des Jahres erklären zusätzliche Details über Besoldung und Bedingungen. Zwischenzeitlich erkundigte sich Schuchardt, sehr zum Missfallen Schmidts, auch bei Mussafia. Schuchardts Brief ist nicht erhalten, wohl aber Mussafias ausführliche Antwort (HSA Brief 19-07642), in dem dieser dem Freund Schuchardt offen abrät, die Grazer Stelle anzunehmen. Ob dahinter freundschaftliches Denken oder Loyalität gegenüber anderen Personen stand, ist nicht klar auszumachen. Das Professorencollegium der Philosophischen Fakultät legt jedenfalls am 8. Juli dem Ministerium den Commissionsbericht in Angelegenheit der Besetzung der Lehrkanzel für romanische Philologie vor.

Nach kurzem Zögern lehnt Schuchardt in einem Schreiben vom 10. August 1875 den an ihn ergangenen Ruf ab. Die unmittelbare Reaktion des Ministeriums ist nicht erhalten. Johannes Schmidts Briefe an Schuchardt sind zu jedem Zeitpunkt von klarer strategischer Offenheit geprägt, insofern war nach Schuchardts Absage ein unverhohlen vorwurfsvoller Brief zu erwarten, wie jener, den Schmidt ihm am 24. August schreibt, in dem er ihm in unmißverständlichen Worten den Schaden vorhält, den Schuchardt mit seinem Verhalten der Grazer Fakultät und den Verhandlungsstrategien mit dem Ministerium zugefügt hat (HSA Brief 08-10101). Bereits mit Datum 26. August teilt das Ministerium der Universität offiziell das Scheitern der Verhandlungen mit Schuchardt mit und fordert die Erstellung einer neuen Liste.

Die nämliche Kommission unterbreitet am 20. Dezember 1875 einen neuen Vorschlag, der auf die Namen Mall, Suchier und Stengel lautet, deren Begründungen im Einzelnen aber zu verstehen geben, dass keiner der genannten Kandidaten tatsächlich den Wünschen des Kollegiums entspricht (Universitätsarchiv Graz, PhilFak. Zl. 792 ex 1891-92).

Das Ministerium nimmt die Verhandlungen mit Schuchardt daraufhin wieder auf, denn bereits wenige Wochen später, nämlich am 15. Januar 1876 ergeht ein neuerliches Rufangebot an Schuchardt, das dieser am 2. Februar in allen wesentlichen Teilen annimmt. Vom 4. April datiert ein Antrag des Ministeriums an den Kaiser, der alle Wünsche Schuchardts enthält und mit 8. April 1876 folgt die kaiserlichen Entschließung. Dem Wunsch Schuchardts, die Veröffentlichung seiner Berufung nach Graz aus taktischen Gründen hinauszuzögern wird stattgegeben.

Im Jahre 1887 unternimmt Schuchardt zu Studienzwecken eine mehrmonatige Reise ins Baskenland, (s.u. Gewährung der Freistellung etc.) was ihm ein sehr fruchtbares Arbeitsfeld eröffnen sollte. Diese Reise wurde auch durch das Ministerium durch Freistellung und finanzielle Förderung unterstützt, doch sind die einschlägigen Akten im Österreichichschen Staatsarchiv skartiert. 1990 erhält Schuchardt einen Ruf an die Universität Leipzig, den er aber nach Bleibeverhandlungen und einer finanziellen Besserstellung ablehnt.

Mit Wintersemester 1876-77 tritt Schuchardt seinen Dienst an der Universität Graz an.

Aufforderung des Ministers für Besetzungsvorschlag

Zahl 6031.

Seine k. und k. Apostolische Majestät haben mit der Allerhöchsten Entschließung vom 20. April l.J. die Versetzung des ordentlichen öffentlichen Professors für italienische Sprache und Literatur an der Universität in Graz, Dr. Anton Lubin in den bleibenden Ruhestand mit Schluß des laufenden Studienjahres unter Belassung seines vollen Activitätsgehaltes jährlicher Zweitausend zweihundert Gulden allergnädigst zu genehmigen und demselben bei diesem Anlaße in Anerkennung seines vieljährigen sehr eifrigen und ersprießlichen Wirkens im Lehramte das Ritterkreuz des Franz-Josef-Ordens huldvollst zu verleihen geruht.

Hievon setze ich das Decanat in Erledigung des Berichtes vom 12. März l.J., Z. 473, mit dem Ersuchen in die Kenntniß, dem genannten Professor das sammt Ordensdecoration, Statutenbrief und Revers im Anschluße mitfolgende ## aushändigen zu wollen.

Indem ich mich wegen Einstellung der Activitätsbezüge Lubin’s und Anweisung des Ruhegenußes desselben vom 1. August l.J. an, |2| gleichzeitig an den Herrn Statthalter wende, fordere ich das Professoren-Collegium auf, für die erledigte Lehrkanzel einen Besetzungsvorschlag in der Richtung baldigst zu erstellen, daß sich die Lehrbefähigung des hierfür zu Nominierenden auf das Gebiet der romanischen Philologie überhaupt zu erstrecken hätte, da für das Fach der italienischen Sprache und Literatur zunächst durch Bestellung eines zu remunerierenden Lectors Vorsorge getroffen werden könnte.

Wien am 30. April 1875.
Der Minister für Cultus und Unterricht
Stremayr

Abschrift: Commissionsantrag für die Besetzung der Lehrkanzel der romanischen Philologie

Die Aufforderung des hohen k.k. Ministeriums vom 30. April d. J. Z. 6031,
„einen Besetzungsvorschlag für die erledigte Lehrkanzel der italienischen Sprache und Litteratur in der Richtung zu erstatten, dass sich die Lehrbefähigung der hierfür zu Nominierenden auf das Gebiet der romanischen Philologie überhaupt zu erstrecken hätte,“
ist von der Facultät mit lebhafter Freude begrüsst worden. Die grossen Fortschritte, welche die historisch-philologischen Wissenschaften in den letzten Jahrzehnten gemacht haben, beruhen wesentlich darauf, dass man jede Erscheinung in ihrem geschichtlichen Zusammenhange auffasst. Ein akademischer Lehrer der italienischen Litteratur wird den Anforderungen der Gegenwart nur dann genügen, wenn er dieselbe in ihrem historischen Zusammenhange sowohl mit den Litteraturen des Alterthums als mit denen der übrigen romanischen Völker begreift. Ebenso kann die italienische Sprache nur unter stäter Berücksichtigung ihrer römischen Mutter und ihrer romanischen Schwestern erforscht werden. Eine akademische Körperschaft kann also bei Besetzung einer Professur für italienische Sprache und Litteratur heute einzig und allein solche Gelehrten ins Auge fassen, welche das weitere Gebiet der romanischen Philologie und der romanischen Sprahen beherrschen, dabei aber das italienische zum Mittelpunkte ihrer Studien gemacht haben. Die unterzeichnete Commission hat nun zunächst im Inlande Rundschau gehalten. Prof. Mussafia in Wien ist den Wünschen des Grazer Professorencollegiums leider ganz unerreichbar. Dr. Wendelin Förster hat sich bisher nur mit dem Französischen beschäftigt, kann also für unsre Lehrkanzel, welche einen Italianisten erfordert, nicht geeignet erscheinen. Außerdem ist er erst vor kurzem zum Professor in Prat ernannt. Wollte man ihn aus seiner dort kaum begonnenen Wirksamkeit herausreissen und für unsere Professur vorschlagen, so würde dadurch nur die Lücke unseres Lehrkörpers auf den Prager übertragen, |2| nicht wirklich ausgefüllt werden. Ausser diesen beiden Gelehrten besitzt aber Österreich gegenwärtig keinen anerkannten Vertreter der romanischen Philologie. Denn Prof. Demattio in Innsbruck hat sich ausschliesslich mit der neueren italienischen Sprache, und auch mit dieser nur innerhalb sehr enger Grenzen beschäftigt. Man würde daher aus den eingangs dargelegten Gründen selbst dann Bedenken tragen müssen ihn vorzuschlagen, wenn es sich darum handelte einen Vertreter nur der italienischen Litteratur an unserer Universität zu ernennen. Da die Comission jedaoch laut Ministerialerlasses einen Vertreter der romanischen Philologie vorzuschlagen hat, kann Demattio überhaupt nicht in Betracht kommen. Die Commission war also gezwungen ihre Blicke ins Ausland zu richten.

In Deutschland ist der Mangel an tüchtigen Romanisten ebenso gross wie die Nachfrage nach ihnen. An den meisten deutschen Universitäten sind in letzter Zeit Lehrstühle für romanische Philologie neu errichtet worden, tüchtige Extraordinarien oder Privatdocenten, welche für den hiesigen Normalgehalt zu gewinnen wären, also gar nicht vorhanden. Unter diesen Umständen war die Commission darauf gefasst einen Romanisten in jedem Falle nur mit Überschreitung des systemmässigeen Gehaltes gewissen zu können.

Ruft man sich die Namen der noch in jüngeren Jahren stehenden Romanisten vor das Gedächtniss, so wird jedem zuerst Prof. Hugo Schuchardt in Halle einfallen, als der genialste, vielseitigste und fruchtbarste unter den jüngeren Vertretern der romanischen Philologie. Würde er schon wegen dieser persönlichen Eigenschaften bei Besetzung einer Professur an jeder Universität, liege sie wo sie wolle, zu allererst in Betracht kommen, so lässt ihn das Gebiet seiner Hauptstudien geradezu als den einzigen Candidaten für die Grazer Professur erscheinen. Zufolge der geographischen Lage unserer Hochschule wird unter allen romanischen Sprachen hier immer das italienische im Vordergrund stehen, und gerade das Italienische mit seinen Dialekten ist es, dem Schuchardt seine Arbeit vornehmlich zugewandt hat, während die übrigen jüngeren Romanisten sich vorwiegend oder ausschließlich mit dem französischen beschäftigen.

|3| Hugo Ernst Mario Schuchardt, geb. am 4. Febr. 1842 zu Gotha, studierte 1859-62 auf den Universitäten Jena (unter Göttling, Nipperde, M. Schmidt) und Bonn, wo damals noch Friedr. Ritschl, der erste Kenner des altlateinischen und Friedr. Diez, der Begründer romanistischer Studien in Deutschland zusammenwirkten. Diesem Zusammenwirken ist es zu verdanken, dass Sch. der sich anfänglich allein der classischen Philologie gewidmet hatte, mit den romanistischen Studien bekannt ward. Doch blieb er auf der Universität noch hauptsächlich der classischen Philologie zugewandt und war zwei Semester hindurch ordentliches Mitglied des unter Ritschls und O. Jahns Leitung stehenden Seminars für classische Philologie. So gewann er eine Grundlage für seine Studien, breitree als sie die Jünger der romanischen Philologie zu haben pflegen. Dass er auch der Mann war auf dieser Grundlage etwas tüchtiges zu bauen, wollte sich bald zeigen. Im Jahre 1864 ward er zu Bonn auf Grund einer Dissertation ‘de vocalibus sermonis plebeii latini’ promoviert. Das mit dieser Abhandlung betretene Gebiet bearbeitete er in den nächsten Jahren weiter und veröffentlichte die auf demselben gewonnenen Resultate 1866-68 in seinem dreibändigen ‘Vocalismus des Vulgärlateins’. Damals lag die periode der romanischen Sprachgeschichte, in welcher sich der Übergang vom sogenannten classischen Latein in die neueren romanischen Sprachen allmählich vollzogen hat, so gut wie ganz im Dunkel. Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften in Wien hatte am 30. Mai 1860 einen Preis auf die Bearbeitung des Vulgärlateins gesetzt, es gieng jedoch nur eine nicht preiswürdig befundene Abhandlung ein (S. Almanach 1863, S. 49f.). Drei Jahre später begann Schuchardts Werk zu erscheinen, welches die gelehrte Welt durch die mit nie dagewesener Beherrschung der römischen Sprachgeschichte vom Beginne der ältesten inschriftlichen Überlieferung nicht nur bis auf die heutigen romanischen Sprachen sondern bis in deren einzelne Dialekte hinein in Staunen setzte. Schuchardt beobachtet die römische Volkssprache, welche neben der aus ihr entwickelten Schriftsprache herläuft, und führt den Nachweis, daß eine ganze Reihe von Erscheinungen, welche man bisher als Entartungen |4| der Schriftsprache betrachtete, vielmehr directe Fortsetzungen der archaischen Volkssprache sind. Er zeigt, wie diese Volkssprache allmählich die aus ihr früher hervorgegangene Schriftsprache wieder verdrängt. Für die Übergangszeit vom Latein zu den romanischen Sprachen hat er aus Inschriften und Handschriften ein ganz enormes Material gesammelt und eine ganz aussergewöhnliche Vertrautheit mit römischen Litteraturdenkmalen, welche den verschiedensten Gebieten angehören, an den Tag gelegt. So ist denn dies Werk gleichmässig von Latinisten wie von Romanisten geschätzt, beiden ein unentbehrliches Hilfsmittel. Als die Académie des inscriptions et belles lettres im Jahre 1867 den Werken von Schleicher und Vullers (Compendium der vergleichenden Grammatik und Thesaurus linguae Persicae) den prix Volney verlieh, liess sie neben den beiden gekrönten Arbeiten noch dem Vocalismus des viel jüngeren Schuchardt eine ‘mention honorable’ zu Theil werden. Von nun an widmete sich Sch. ganz den im engeren Sinne sogenannten romanistischen Studien. Im Frühjahr 1867 reiste er auf 7 Monate nach Genf, um sich im französischen zu vervollkommnen, von da nach Italien, wo er 15 Monate blieb und das italienische besonders in seinen Volksmundarten studierte. Er sammelte reiche Materialien zu einer Darstellung des römischen Dialektes, die er bis jetzt noch nicht verarbeiten konnte. Im Frühjahr 1870 habilitierte er sich für romanische Philologie in Leipzig und wurde im Nov. 1872 als ordentlicher Professor dieses Faches nach Halle berufen, wo er bis heute wirkt. Während dieser Zeit machte er verschiedene Reisen nach Piemont, dem Engadin und Paris und veröffentlichte folgende Arbeiten, deren Titel schon die Vielseitigkeit des Verfassers zur Genüge bezeugen:

Ritornell und Terzine Halle 1875, 4°. 147 Seiten.
In Kuhns Zeitschrift f. vergl. Sprachforschung:
Zur albanesischen Grammatik (20 S.).
Albanesisch und Romanisch (62 S.).
Romanische Sprachwissenschaft (27 S.).
Lateinische und romanische Declination (37 S.).
|5| In der Romania zu Paris:
Über die Orthographie des Rumänischen (8 S.).
Über die syntaktischen Veränderungen des consonantischen Anlauts in den Mundarten (20 S.).

Miscellen und Recensionen in Kuhns Zeitschrift, den Jahrbüchern f. roman. u. engl. Litteratur, der Romania, Herrigs Archiv, dem literarischen Centralblatte.

Aufsätze in Zeitschriften allgemeineren Charakters:

Über das italienische Ballspiel (Globus).


Die Novelle von den drei Ringen.
Romanischer und deutscher Reim und Rhythmus.
Virgil im Mittelalter.
Im Neuen Reich.


G.G. Belli und die römische Satire.
Das französische im neuen deutschen Reich.
Pompeji und seine Wandinschriften.
Giovanni Pontano.
Die Herkunft der Rumänen.
Zu Lindau’s Molière.
Lodovico Ariosto.
Augsburger Allgem. Zeitung


u.A.

Von diesen Schriften sei hier nur die über das Ritornell hervorgehoben, da sie eine vollkommene Beherrschung der italienischen Litteratur von Dante bis auf die neueste Zeit, und zwar nicht allein der Kunstpoesie sondern auch der Volkspoesie bekundet.

Überblickt man die lebenden Sprachen, mit welchen Schuchardt sich beschäftigt hat: französisch, italienisch mit seinen Dialekten, churwälsch, die ladinischen Mundarten von Tirol und Friaul, das Rumänische, das Albanische, so findet man unter ihnen die im österreichischen Kaiserstaate gesprochenen romanischen Dialekte sämmtlich. Einen anderen Candidaten für unsere Lehrkanzel, dessen Studiengebiet dieselbe Ausdehnung hätte, weiss die Kommission weder im Inlande noch im Auslande zu nennen. Die vollkommene Beherrschung des italienischen im mündlichen Verkehre befähigt ihn als Prüfungscommissar für italienische Unterrichtssprache zu fungieren, durch persönliche Einwirkung die hier studierenden Dalmatiner zu romanistischen Studien heranzuziehen, eventuell auch Vorlesungen in italienischer Sprache |6| zu halten. Durch Schuchardts Berufung wird also das von dem hohen Ministerialerlasse als Ergänzung der Professur in Aussicht genommene Lektorat für italienische Sprache erspart. Endlich wäre es für die Ausbildung der Lehramtskandidaten sehr wünschenswerth, dass an unserer Universität ein Seminar für romanische Philologie errichtet würde. Dass Schuchardt die geeignete Persönlichkeit zur Leitung desselben ist, versteht sich nach dem Gesagten von selbst und wird zum Überflusse durch den Umstand bestätigt, dass die preußische Regierung ihn gegenwärtig mit der Errichtung eines solchen Seminars in Halle betraut hat.

Die unterzeichnete Commission war daher keinen Augenblick in Zweifel darüber, dass Prof. Schuchardt unter den jüngeren Gelehrten der einzige ist, welcher die hiesige Lehrkanzel so, wie es den speciellen Aufgaben gerade unserer Hochschule entspricht, ausfüllen kann und glänzend ausfüllen wird. Sie hegte nur die eine Besorgniss, dass Schuchardt nicht geneigt sein würde seine dermalige ordentliche Professur in Halle, in unmittelbarer Nähe seiner in Gotha lebenden Eltern mit der hiesigen Professur zu vertauschen. Auf eine an ihn gerichtete Anfrage gab Sch. die kaum erhoffte von der Commission freudig begrüsste Antwort, dass er bereit sei einem Rufe nach Graz Folge zu leisten, sobald ihm eine Verbesserung seiner pecuniären Lage zugesichert werde. Seine Einnahmen in Halle belaufen sich auf 1600 Thaler, und die Commission glaubt annehmen zu dürfen, dass er durch ein Angebot des hohen Ministeriums von mindestens 2500 Fl. Gehalt und 480 Fl. Activitätszulage zur Übernahme unserer Lehrkanzel zu bewegen sein wird. Die Commission wagte beim Beginne ihrer Arbeit nicht zu hoffen, dass es möglich sein würde, für eine unter den obwaltenden oben dargelegten Verhältnissen so gering Summe überhaupt einen romanischen Philologen, geschweige denn eine Kraft ersten Ranges zu gewinnen. Zwar überschreitet das Gehalt von 2500 Fl. die systemmässige Summe, auf welche Prof. Schuchardt nach eventueller zweijähriger Dienstzeit in Österreich Anspruch hätte |7| ––– er ist im Nov. 1872 in Halle zum Ordinarius ernannt, würde also bei voraussichtlich auszubedingender Anrechnung der Hallenser Dienstzeit für seinen Übertritt in den österreichischen Staatsdienst im Nov. 1877 in den Genuss der ersten Quinquennalzulage treten ––– , um 500 Fl. Bringt man jedoch in Anschlag, dass im Falle von Schuchardts Berufung die Errichtung eines Lectorates, welche bei der Berufung eines jeden anderen nothwendig werden und sicher wohl einen grösseren Aufwand als 500 Fl. erfordern würde, weg fällt, so ergiebt sich, daß Schuchardts Berufung der Staatscasse geringere Opfer auferlegen wird als die Berufung eines jeden anderen. Denn da jeder der ausser Sch. in Betracht kommenden Candidaten ebenfalls Ordinarius an einer deutschen Universität ist, wird nicht anzunehmen sein, dass einer derselben sich mit einem geringeren Gehalte begnügen werde, ausserdem würden aber die Kosten des dann nothwendigen Lectorates dem Staate zur Last fallen. Sähe man also von Schuchardt ab, so würde man einen den Aufgaben gerade unserer Universität weniger gewachsenen Mann nur mit grösseren Opfern gewinnen können als Schuchardt, der eine Zierde unserer Hochschule sein würde.

Schuchardt ist also nicht nur der tüchtigste unter den jüngeren Romanisten, der einzige welcher die speciellen Aufgaben, die dem Romanisten unserer Hochschule zufallen, ihrem ganzen Umfange nach zu lösen im Stande ist, sondern auch derjenige, dessen Berufung den geringsten Aufwand an Mittelen erfordert. Keine Universität darf, wenn ihr, wie uns gegenwärtig, die Gelegenheit geboten wird, eine so hervorragende Kraft unter so ausserordentlich günstigen Bedingungen zu gewinnen, diese Gelegenheit vorübergehen lassen ohne sie sich, so viel an ihr ist, zu Nutze zu machen.

|8|Daher sieht sich die unterzeichnete Commission zu dem Antrage veranlasst:
Das verehrte Professorencollegium wolle
1. dem hohen Ministerium an erster und einziger Stelle Herrn Prof. Schuchardt in Halle als Candidaten für die hiesige Lehrkanzel der romanischen Philologie vorschlagen und dessen Berufung auf das allerwärmster befürworten,
2. das hohe Ministerium ersuchen Prof. Schuchardts Berufung wo möglich so schnell eintreten zu lassen, dass er seine Lehrthätigkeit mit dem Beginne des Wintersemesters eröffnen kann, da wegen der Beurlubung des Prof. Lubin hier schon seit zwei Semestern keine romanistischen Vorlesungen gehalten sind.

Graz, den 8 Juli 1875.
Johannes Schmidt.

Dr. M. R. v. Karajan
Schönbach

Ablehnung des Rufes durch Schuchardt

Gotha 10. 8. 75.

Hochverehrter Herr!

Auf die an mich unterm 4. d.M. erlassene verehrliche Zuschrift, meine Berufung als ordentlicher Professor der romanischen Sprachen an die Universität raz betreffend, habe ich die Ehre Foldendes zu erwidern.

Ich für meinen Theil war durchaus entschloßen, die ehrenvolle Auszeichnung, welche Sie mir anboten, anzunehmen, wie ich ja schon auf eine vorhergehende Anfrage aus Graz mich dazu geneigt erklärt hatte. Wenn ich nun dennoch dem Rufe nicht Folge leisten zu können – unter Versicherung meines lebhaftesten Dankes – bedaure, so liegt die Ursache davon in den mir von meinen Eltern gemachten Vorstellungen. Die Zuschrift traf mich nicht mehr in Halle, sondern in Gotha, meiner Vaterstadt. Meine Eltern drangen in mich, nicht nach Graz zu gehen, einmal wegen der großen Entfernung, die mich von ihnen trennen würde, alsdann wegen der Verschiedenheit der östreichischen von den preußischen Pensionsbestimmungen. In der That be|2|halten die preußischen Professoren, auch bei eintretender Unfähigkeit zu lehren, ihren vollen Gehalt einschließlich des ###zuschußes. Ich selbst wäre übre dies Bedenken hinweggekommen; allein ich hatte die Verpflichtung, auch meinen Eltern Gehör zu geben, deren eigene Vermögensverhältnisse, durch die schlimmste Eventualität, hätte berührt werden können.

Indem ich hoffe, daß Sie diese Entschuldigung für meine ablehnende Antwort als berechtigte anerkennen werden und indem ich wiederhole, daß Ihre Anfrage mich mit der größten Genugtuung erfüllt hat, verharre ich

in ausgezeichneter Hochachtung
Ew. Hochwohlgeboren
ergebenster
Hugo Schuchardt

Ministerialakt nach Rufablehnung 1875

Akt 12217 10./13. August 1875
Universitätsprofessor Dr. Hugo Schuchardt in Halle lehnt z.Z. 11.154. 1875 den Ruf an die Universität in Graz für die Lehrkanzel der romanischen Philologie hauptsächlich aus dem Grunde ab, weil die preußischen Pensionsbestimmungen für ## Professoren günstiger als die österreich. lauten.
[Entwurf des Schreibens an Schuchardt:]
Herrn Universitätsprofessor in Halle
Dr. Hugo Schuchardt (derzeit in Gotha)
(In Briefform)

## geehrten Schreiben com 10. d.M. habe ich mit lebhaftem Bedauern entnommen, daß E. H. ein ernstes Bedenken tragen, der Einladung, die Lehrkanzel für romanische Philologie an der Universität in Graz zu übernehmen, Folge zu leisten. ## ich E.H. die Zusicherung gebe, dass ich diesen Entschluss so umso mehr beklagen müßte, als E.H. selbst zugeben, durchaus entschlossen gewesen zu sein, den Ruf an die Grazer Universität anzunehmen; glaube ich doch das geäußerte Bedenken, für dessen offene Mittheilung ich E.H. zu Dank verpflichtet bin, für mich so gewichtig halten zu sollen, als daß es für die Gewinnung E.H. für die Grazer Hochschule, auf welche, wie ich wiederhole, der herr Minister hohen Wert legt, ein wesentliches Hinderniß bilden sollte.

Wie ich mir in meinem Schreiben vom 4.d.M. zu bemerken erlaubte, sollte hiemit, nur zunächst eine Grundlage für die von ihren amtlichen Verhandlungen zu gewinnen, E.H. die Gelegenheit geboten werden, Sich ohne Rückhalt über alle ## Bedingungen auszusprechen, unter denen sich E.H. die Übernahme der besagten Lehrkanzel in Graz als erwünscht vorstellen würde.

Wenn Familien-Rücksichten, deren Einfluß auf die Entscheidung E.H. ich vollkommen anerkenne, so E.H. nicht räthlich erscheinen lassen, sich durch Übertritt in den österreichischen Staatsdienst den für preußische Universitätsprofessoren günstigeren Pensionsbestimmungen zu entziehen, so bin ich in der Lage, E. zu versichern, ## dem H. Minister würde bei Seiner k.k. apost. Majestät den Antrag zu stellen |3| dass gleich bei Ihrer Übernahme in den österreichischen Staatsdienst E.H. eine zehnjährige als in als in die seinerzeitige Pensionsbemessung anrechenbare Dienstzeit zugestanden würde, wodurch E.H. sofort noch Antritt des Lehramtes in Österreich den gesetzlichen Anspruch auf ein Drittheil und nach fünf zurückgelegten Jahren den Anspruch auf die Hälfte des vollen Gehaltes als Pension erworben haben.

Desgleichen ist hiedurch auch Ihrer Frau sofort der Anspruch auf die gesetzliche Witwenpension von 500 Gulden gesichert.

Indem ich mich der sicheren Erwartung hingebe, daß E.H. den einmal gefaßten Entschluß wieder aufnehmen und einem Ruf nicht unbedingt ablehnen werden, in welchem E.H. die Anerkennung Ihrer bisherigen ausgezeichneten wissenschaftlichen und lehrämtlichen Leistungen erblicken wollen, zeichne ich, einer baldigen geneigten Rückantwort entgegensehend als E.H.

. . . .

Wien, 12 August 1875

Rückgabe der Berufung an die Fakultät nach Ablehnung durch Schuchardt

Ministerium Cultus und Unterricht
13341

Mit Beziehung auf den Bericht vom 19. Juli d.J., Z. 908, finde ich bei dem Umstande, als die mit dem Professor Dr. Hugo Schuchardt in Halle, wegen Übernahme der Lehrkanzel für romanische Philologie geführten Verhandlungen nicht zu dem gewünschten Resultate geführt haben, das Professoren-Collegium aufzufordern, einen neuerlichen Besetzungsvorschlag für diese Professur zu erstatten.

Der Comissionsantrag folgt zurück.

Wien am 26. August 1875.
Für den Minister für Cultus und Unterricht [Unterschrift]

Rufannahmeschreiben Schuchardt vom 2. Februar 1876

Eurer Excellenz

verehrtes Schreiben vom 15. Januar, welches mir erst jetzt zugekommen, erlaube ich mir sofort zu beantworten. Zunächst spreche ich Eurer Excellenz meinen ehrerbietigsten Dank dafür aus, daß ich bei der Besetzung des Lehrstuhls für romanische Philologie an der Universität Graz in wiederholte Berücksichtigung gezogen worden bin.

Die mir gemachten Anerbietungen sind so günstiger Natur, daß ich sie im Wesentlichen annehme. Wenn ich es wage, Eure Excellenz um einige Modifikationen zu ersuchen, von denen ich dem Herrn Sektionschef Dr. Heider in meinem neuerlichen Briefe schon Andeutung gemacht habe, so werden dieselben nicht schwer genug in's Gewicht fallen, um ein Zustandekommen der Uebereinkunft zu vereiteln.

|2|Was die pekuniäre Frage anlangt, so bin ich nicht von dem Gedanken ausgegangen, meine jetzige Lage zu verbessern, sondern von dem, in Gratz nur ein Aequivalent für das zu gewinnen, was ich hier aufgebe. Wenn nun allerdings der mir in Aussicht gestellte Gehalt etwas höher ist als das, welches ich zur Zeit empfange, so kommt doch als sehr wesentlich in Betracht, daß der letztere wie ich schon früher hervorgehoben habe, mir in allen Fällen ungeschmälert verbleibt, daß nicht einmal der Wohnungszuschuß bei eintretender Dienstuntauglichkeit wegfällt. Dazu gesellt sich ein anderer Umstand, auf den ich die Aufmerksamkeit Eurer Excellenz zu lenken mich erdreiste, obwohl er ein rein privater ist. Als ich im vorigen Herbst den an mich ergangenen Ruf ablehnte, so geschah es einzig und allein, indem ich den dringenden Vorstellungen meiner bejahrten Eltern, deren einziges Kind ich bin und die das Bedürfnis haben, uns öfters zu sehen, nachgab. Wenn ich ihnen von Graz aus auch nur zweimal jährlich meinen Besuch abstatte, so ist die Entfernung zwischen dort und meiner Heimath Gotha doch eine so beträchtliche, daß der Kostenpunkt dabei kein ganz gleichgültiger ist. In Hinblick auf diese beiden Umstände hatte ich eine Erhöhung des vorgeschlagenen Gehaltes um 500 Fl. ergebenst nachgesucht. Nach der Mittheilung Eurer Excellenz finde ich es nun vollständig gerechtfertigt daß meine Besoldung die Summe von 2800 Fl. nicht überschreite. Indessen könnte nun vielleicht bei meinem Uebertritt nach Oesterreich |3| ein Extraordinarium bewilligt werden. Bei uns pflegt ein Professor, der einem Rufe folge leistet, unter dem Titel “Umzugskosten” einen ziemlich ansehnlichen Betrag (100, 200 rTh) zu erhalten. Ob diese Gewohnheit auch in Oesterreich besteht, weiß ich nicht. Die Kosten der Uebersiedelung von Halle nach Gratz würden nicht unbeträchtlich sein, wenn man, wie es doch billig ist, alles damit Verbundene, wie die plötzliche Lösung eines Mietsverhältnißes, in Erwägung zieht. Würde sich auf dieser Basis ein Extraordinarium für mich erwirken lassen?

Einer formellen Verpflichtung, 6 Jahre im oesterreichischen Staatsdienste zu verbleiben, sähe ich mich, wenn irgend möglich, gern überhoben. Einerseits hege ich den alleraufrichtigsten Wunsch, in Gratz und überhaupt in Oesterreich nicht bloß auf kurze Zeit zu leben – denn ich bin überzeugt, daß ich mich dort wohl befinden werde; anderseits würden thatsächlich so gut wie keine Absichten für mich vorhanden sein, innerhalb des angegebenen Zeitraums von Gratz nach Preußen oder in’s deutsche Reich zurück¬berufen zu werden. Dennoch kann uns die Zukunft so unvorhergesehene Dinge bringen, daß ich es nicht über mich gewinne, nach dieser Richtung hin mich vollständig zu binden. Würde Eure Excellenz sich nicht an der Versicherung genügen lassen, daß mir ganz dringende Gründe, solche welche auf meine Lebensverhältniße von größtem Einfluß wären, mich zum Aufgeben |4| des österreichischen Staatsdienstes bestimmen könnten?

Seien Ew. Excellenz überzeugt, daß die Wünsche, welche ich Eurer Excellenz so eben vorzutragen mich erkühnt habe nicht etwa aus einer Ueberschätzung meines eigenen Werthes der auf jeden Fall zu gut belohnt sein wird, und ebenso wenig aus der Sucht eine günstige Sachlage nach Kräften auszubauen hervorgegangen sind, sondern aus dem sicherlich berechtigen Streben, mir und den Meinigen die Aussicht in die Zukunft möglichst sorgenfrei zu gestalten. Seien Ew. Excellenz ferner überzeugt daß ich Alles aufbieten werde um das in mich gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen und daß ich meiner neuen Heimath Liebe und Zuversicht entgegenbringen werde.

Sollte meine Uebersiedelung nach Gratz, wie es auch mir sehr wünschenswerth wäre, schon für Ostern in’s Auge gefaßt werden, so würde sich dies allerdings nur durch die äußerste Beschleunigung der Angelegenheit bewerkstelligen lassen. In 4 Wochen etwa endet unser Semester und aus Rücksicht gegen die Regierung und gegen die Fakultät, welche sofort Vorschläge in betreff eines Nachfolgers von mir zu machen haben würde möchte ich meinen Weggang von hier nicht im allerletzten Augenblicke zur Anzeige bringen. Könnte nicht nötigenfalls eine Verständigung über die schwebenden Punkte durch den Telegraphen erfolgen? Sobald ich dann entweder eine wirkliche Bestallung oder ein Ministerialnachricht in welcher mir angezeigt wird, daß Seine k.k. Majestät meine Anstellung unter den und den Bedingungen allerhuldreichst genehmigt hat, kurz irgend eine feste Bürgschaft von Wien erhalten haben werde, werde ich meine Entlassung aus dem preußischen Staatsdienst nehmen, die mir ja nicht verwehrt werden kann.

Mit dem Ausdruck vollkommenster Ehrerbietung
bin ich Euer Excellenz
allerergebenster
Hugo Schuchardt
Halle a/S. 2. Febr. 1876

Antrag an den Kaiser und kaiserliche Entschließung zur Berufung Schuchardts im April 1876

[Antrag an den Kaiser:]
Allergnädigster Herr !

Die Vertretung der romanischen Philologie, für welches Fach an den deutschen Universitäten wenigstens je eine ordentliche Lehrkanzel besteht, ist nicht nur vom allgemein wissenschaftlichen Standpunkte, sondern auch deßhalb notwendig, weil im Hinblick auf den neuen Lehrplan für die Realschulen, den Universitäten die Verpflichtung erwachsen ist, für die wissenschaftliche Ausbildung der Lehrer der französichen Sprache an diesen Anstalten Sorge zu tragen.

Gleichwohl sind an den österreichischen Universitäten dermalen für romanische Philologie nur Ein ordentlicher Professor in Wien und zwei außerordentliche Professoren in Prag und Czernowitz thätig, von denen der letztere mit diesem Fache gleichzeitig auch die historischen Hilfswissenschaften zu vertreten hat.

Ich habe deßhalb, als Eure Majestät mit Allerhöchster Entschließung vom 30. April 1874? die Versetzung des ordentlichen Professors für italienische Sprache und Literatur an der Universität in Graz Dr. Anton Lubin in den bleibenden Ruhestand allergnädigst zu genehmigen geruhten, keinen Anstand genommen, das philosophische Professoren-Kollegium dieser Universität unter dem 30. April 1875 aufzufordern, einen Besetzungsvorschlag für die hierdurch erledigte Lehrkanzel in der Richtung zu erstatten, daß sich die Befähigung der dießfalls zu Nominierenden auf das Gebiet der romanischen Philologie überhaupt zu erstrecken hätte, da für das Fach der italienischen Sprache und Literatur zunächst durch Bestellung eines Lektors Vorsorge getroffen werden könnte.

Das Professoren-Kollegium hat nach Inhalt der ehrerbietigst angeschlossenen Berufungsakte an erster und einziger Stelle den Professor Dr. Hugo Schuchardt in Halle für die Lehrkanzel der romanischen Philologie vorgeschlagen und die Berufung dieses anerkannten Gelehrten auf das Wärmste empfohlen. Ich habe diesen Vorschlag erst in weitere Verhandlung genommen, nachdem ich mir durch eine sorgfältige Umschau über die im Inlande vorhandenen Lehrkräfte für romanische Philologie die Überzeugung verschafft hatte, daß die Berufung eines ausländischen Gelehrten auf die fragliche Lehrkanzel unbedingt nothwendig sei. Da dermalen ein Privatdozent dieses Faches, oder auch nur ein Lehramtskandidat, welcher sich für dasselbe ausbilden möchte, an keiner Universität vorhanden ist und dennoch auch, falls daran gedacht werden sollte, einen der außerordentlichen Professoren in Prag oder Czernowitz nach Graz zu versetzen, was jedoch bei dem Umstande, als dieselben erst seit kurzem im Lehramte thätig sind, im Interesse des Unterrichtes zu vermeiden wäre, ein Ersatz für dieselben nur wieder im Auslande gefunden werden könnte, so erübrigte mir nichts, als an Professor Schuchardt die Anfrage zu stellen, unter welchen Modalitäten er die Lehrkanzel in Graz übernehmen würde. Ich habe mir allerunterthänigst erlaubt, Eure Majestät seinen noch im vorigen Jahre treugehorsamst in vorläufige Kenntniß zu setzen.

Schuchardt hat sich auf Grund der mit ihm gepflogenen Verhandlung endlich bereit erklärt, dem Rufe an die Grazer-Universität Folge zu leisten, wenn ihm ein Jahresgehalt im Betrage von 2800 fl nebst der systemmässigen Aktivitätszulage gewährt, die Zahlung der Diensttaxe nachgesehen, eine zehnjährige Dienstzeit behufs der seinerzeitigen Pensionsbemessung zugestanden, sowie eine Übersiedlungspauschale bewilligt würde.

Die Gewährung dieser Wünsche erscheint mir in der Billigkeit begründet, da die angesprochenen Bezüge das darmalige Einkommen Schuchardts von jährlich 1830 Reichsthaler nur um etwas überschreiten würde und der systemisierten höchsten Besoldung von Grazer-Universitäts-Professoren gleichkommen, die Gewährung einer zehnjährigen Dienstzeit und die Nachsicht der Diensttaxe, beziehungsweise deren Übernahme auf den Credit für die Grazer-Universität aber Begünstigungen sind, welche bei Berufungen aus dem Auslande in der Regel zugestanden werden. Was die Bewilligung eines Übersiedlungspauschales betrifft, so würde ich dieses Ansuchen nach Herablangung (?) der zu erhoffenden Allerhöchsten Entschließung im eigenen Wirkungskreise zu erledigen mir vorbehalten.

Hugo Ernst Schuchardt, geboren 4. Februar 1842 zu Gotha, studierte in den Jahren 1859 - 1862 an den Universitäten in Jena und Bonn.

Dem Zusammenwirken Friedrich Ritschl’s, damals des ersten Kenners des altlateinischen und Friedrich Dietz’s, des Begründers der romanistischen Studien in Deutschland, an der Bonner Universität ist es zu verdanken, daß Schuchardt welcher sich anfangs allein der klassischen Philologie gewidmet hatte, mit den romanischen Studien vertraut wurde. Im Jahre 1864 wurde er in Bonn auf Grund einer Dissertation de vocalibus sermonis plebeii latini promoviert, und widmete sich von da an ganz den im engeren Sinne sogenannten romanistischen Studien. 1867 reiste er auf 7 Monate nach Genf, um sich im Französischen zu vervollkommnen und von da nach Italien wo er 15 Monate blieb und das Italienische insbesondere in seinen Volksmundarten studierte.

Im Frühjahr 1870 habilitierte er sich für romanische Philologie an der Universität in Leipzig und wurde im November 1872 als ordentlicher Professor dieses Faches nach Halle berufen.

Unter seinen Publikationen nimmt das in drei Bänden abgefaßte Werk “Vokalismus des Vulgärlateins” 1866-1868 den ersten Platz ein. In demselben, welches in der gelehrten Welt durch die noch nicht dagewesene Beherrschung der römischen Sprachgeschichte von dem Beginn der ältesten inschriftlichen Überlieferung bis auf die heutigen romanischen Sprachen und deren einzelne Dialekt hinein Aufsehen erregte und auch in Frankreich öffentlich anerkannt wurde, führt Schuchardt den Nachweis, daß eine ganze Reihe von Erscheinungen, welche man bisher als Entartungen der Schriftsprache betrachtete, direkte Fortsetzungen der archaischen Volkssprache sind. Seine Schrift über das “Ritornell und Terzine” Halle 1875 bekundet eine vollkommene Vertrautheit mit der italienischen Literatur von Dante bis auf die neueste Zeit. Sein in Kuhn’s Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung in der “Romania”, in den Jahrbüchern für romanische und englische Literatur in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und in andern Zeitschriften publizierten Arbeiten zeigen, daß sich Schuchardt mit allen Dialekten des Italienischen, mit Churwälsch, den ladinischen Mundarten in Tirol und Friaul, mit dem Rumänischen und dem Albanischen, somit mit sämtlichen in Österreich gesprochenen romanischen Dialekten gründlich vertraut gemacht hat. Nach all diesem dürfte kaum daran zu zweifeln sein, daß dieser hervorragende Gelehrte die Lehrkanzel für romanische Philologie in Graz mit dem besten Erfolge vertreten werde und daß derselbe unter verhältnißmäßig sehr günstigen Bedingungen gewonnen wurde.

Da nun auch die im dipolomatischen Wege nach Inhalt der ehrerbiethigst anverwahrten Zuschrift eingeholten Auskünfte über die politische und moralische Haltung desselben durchaus günstig lauten und in derselben insbesonders betont wird, daß er für politische Fragen weder Interesse noch Verständniß besitze, so erlaube ich mir in Übereinstimmung mit Eurer Majestät Finanzminister, welcher seine Zustimmung zu meinem Vorhaben im kurzen Wege ausgesprochen hat, den allerunterthänigsten Antrag zu stellen, Eure Majestät wollen allergnädigst zu gestatten geruhen, daß der ordentliche Professor in Halle Dr. Hugo Schuchardt mit einem fixen Jahresgehalte von Zweitausend achthundert (2800) Gulden, der systemmässigen Aktivitätszulage, mit Nachsicht der Diensttaxe bei der ersten Anstellung, sowie mit Anrechnung seiner zehnjährigen Dienstzeit behufs der seinerzeitigen Pensionsbemesssung als ordentlicher Professor der romanischen Philologie an die Universität in Graz berufen und demselben der Gehalt sammt Aktivitätszulage mit dem Zeitpunkte seines Dienstantrittes flüssig gemacht werde. Für das Jahr 1876 tritt eine Mehrauslage nicht ein, weil der ganze Jahresgehalt der erledigten ordentlichen Professur für italienische Sprache und Literatur zur Verfügung steht.

Wien am 4. April 1876

Ich genehmige, daß der ordentliche Universitätsprofessor in Halle, Dr. Hugo Schuchardt, mit einem fixen Jahresgehalte von zweitausend achthundert Gulden, der systemmässigen Aktivitätszulage, mit Nachsicht der Diensttaxe bei dieser ersten Anstellung, sowie mit Anrechnung einer zehnjährigen Dienstzeit behufs der seinerzeitigen Pensionsbemessung als ordentlicher Professor der romanischen Philologie an die Universität in Graz berufen u. demselben der Gehalt sammt Aktivitätszulage mit dem Zeitpunkte seines Dienstantrittes flüßig gemacht werde.

Wien, am 8. April 1876
Franz Joseph
[Schreiberhand, Originalunterschrift]

Wunsch Schuchardts zum Hinauszögern der Rufveröffentlichung

Euer Hochwohlgeboren

theile ich den Empfang der Depesche mit, nach der meine Ernennung unter den von mir gewünschten Modalitäten erfolgen werde. In Bezug auf den einen Punkt, die “Umzugskosten”, hatte ich allerdings keinen bestimmten Antrag gestellt, sondern einen Vorschlag erwartet; ich richte daher an Ew. Hochwohlgeboren das ergebenste Ersuchen, mich darüber zu unterrichten, in welcher Höhe man mir dieselben zu vergüten gedenkt.

So gern ich – wie ich mehrfach hervorzuheben Gelegenheit hatte – schon zu Ostern nach Graz übergesiedelt wäre, ist doch nun der Beginn des |2| Sommersemesters zu nahe herangerückt, als daß die Rücksicht, welche ich der hiesigen Universität schuldig bin, mir noch erlauben daran zu denken. Ich werde mein bisheriges Verhältniß erst im Herbst lösen können.

Ich wage vorauszusetzen, daß die Veröffentlichung meiner Ernennung nicht stattfinden wird, ehe ich meine förmliche Entlassung aus dem preußischen Staatsdienste genommen habe. Nun wünschte ich aber diesen Schritt möglichst hinauszuschieben und dadurch eine mir einigermaßen peinliche Lage möglichst zu verkürzen; denn ohne Zweifel wird man mir es hier verdenken, daß ich dem einmal abgelehnten Rufe nach der Universität Graz doch schließlich Folge leiste. Es würde sich also fragen, ob ein hohes k.k. Kultusministerium, in Anbetracht der ganz besonderen Umstände, geneigt wäre, meine offizielle Ernennung (sei es durch Mittheilung an die Fakultät der Universität Graz, sei es durch Bekanntmachung durch die Presse) etwa erst gegen |3| die Mitte des Semesters eintreten zu lassen. Für den Fall, daß dieselbe zunächst durch ein an mich gerichtetes Bestallungsschreiben vollzogen würde, verpflichte ich mich unmittelbar nach Empfang desselben meine diesseitige Entlassung zu nehmen.

Indem ich Ew. Hochwohlgeboren ersuche, Sr. Excellenz dem Herrn Kultusminister meinen tiefgefühlten Dank auszusprechen, verharre ich unter der Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung Euer Hochwohlgeboren ergebenster
Dr. Hugo Schuchardt
ord. Prof. an der Universität
Halle - Wittenberg. 10. April. 1876.

Gewährung der Freistellung und Unterstützung für die Baskenreise Schuchardts

Im Frühjahr 1887 unternimmt Schuchardt eine mehrmonatige Forschungsreise ins Baskenland (nocheinmal die genauen Daten erheben) und stellt einen entsprechenden Antrag auf Freistellung und finanzielle Unterstützung ans Ministerium. Die einschlägigen Unterlagen wurden im Österreichischen Staatsarchiv skartiert, was insofern schade ist, weil insbesondere die wissenschaftliche Begründung Schuchardts für die Beschäftigung mit dem Baskischen für die Forschungsgeschichte von Relevanz wäre.

Das Ergebnis dieses Ansuchens wird Schuchardt über die steiermärkische Statthalterei (Zahl 220 ex 1886-87 der Philosophischen Fakultät, Universitätsarchiv Graz) durch den Dekan mitgeteilt.

k.k. steiermärkische Statthalterei Graz, den 12. Jänner 1887
Z. 606

Der Herr Minister für Cultus und Unterricht hat mit dem Erlasse vom 7. Jänner l. J. Z. 25151 über Ansuchen des ordentlichen Professors der romanischen Philologie an der kk. Universität Graz, Dr. Hugo Schuchardt, demselben zum Behufe einer im Frühlinge dieses Jahres zu unternehmenden wissenschaftlichen Reise nach Südfrankreich eine Subvention im Betrage von Vierhundert (: 400:) Gulden zu bewilligen gefunden.

Ich ersuche daher das Dekanat, den Genannten Herren mit dem Beifügen zu verständigen, daß er um die Flüssigmachung dieser Subvention sowie um Bewilligung des erforderlichen Urlaubes rechtzeitig vor Antritt seiner Reise einzuschreiten haben wird.

Für den kk. Statthalter: [Unterschrift unleserlich]

Verhandlungen zur Abwehr eines Rufes nach Leipzig und Zustimmung des Kaisers

Allerunterthänigster
Vortrag
des treugehorsamsten
Ministers
für Cultus und Unterricht.
Paul Freiherrn
Gautsch von Frankenthurn
wegen einer Gehaltserhöhung für den ordentlichen Universitätsprofessors in Graz, Dr. Hugo Schuchardt.

Mit der allerhöchsten Entschließung vom 8. April 1876 haben Eure Majestaet auf den ehrerbietigst wieder anverwahrten alleruntertänigsten Vortrag meines Vorgängers im Amte vom 4. April 1876 allergnädigst zu genehmigen geruht, dass der damalige ordentliche Universitätsprofessor in Halle, Dr. Hugo Schuchardt als ordentlicher Professor der romanischen Philologie an die Universität in Graz mit einem Jahresgehalte von 2.800 Gulden berufen werde.

Schuchardt, welcher nunmehr seit vierzehn Jahren eine gleich ausgezeichnete lehramtliche und wissenschaftliche Thätigkeit entfaltet, bezieht auch dermalen den gleichen Gehalt, der das Ausmaß des um die Quinquennien erhöhten systemmäßigen Gehaltes eines ordentlichen Universitätsprofessors an den kleineren österreichischen Universitäten nicht übersteigt.

Derselbe hat nun in diesen Tagen in vollkommen glaubwürdiger Weise, und zwar durch Vorweisung des Originalschreibens des Ministers Gerber vertraulich zu meiner Kenntnis gebracht, daß er seitens der sächsischen Regierung einen Ruf an die Universität Leipzig unter äußerst günstigen Bedingungen erhalten hat und sich im Falle der Annahme dieses Rufes abgesehen von den weit höheren Collegiengeldern an der Universität Leipzig und der größeren Frequenz der Studierenden mit Rücksicht auf die in Aussicht gestellte Gewährung eines fixen Jahresgehaltes von 8000 Mark gegenüber seinem jetzigen fixen Jahreseinkommen die materielle Stellung wesentlich verbessern würde.

Dessenungeachtet hat Professor Schuchardt mir die bestimmte Erkärung abgegeben, daß er entschlossen sei, unter Ablehnung des an ihn ergangenen Rufes den ihm lieb gewordenen Wirkungskreis an der Universität Graz nicht aufzugeben, falls ihm ein mäßiger Ersatz für die ihm aus der Berufung an die Universität Leipzig erwachsenden materiallen Vortheile geboten würde.

Unter den obwaltenden Verhältnissen dürfte es meines ehrerbietigsten Erachtens in der Billigkeit gelegen sein dem Professor Schuchardt eine angemessene Aufbesserung seiner Bezüge zu Theil werden zu lassen, und habe ich die Erwirkung einer Gehaltserhöhung um den Betrag von 1000 Gulden, d.i. auf den Betrag von 3.800 Gulden jährlich allunterthänigst in Aussicht genommen.

Ich erlaube mir hiebei, indem ich mich zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen des allunterthänigsten Vortrages vom 4. April 1876 B. 5297 ehrerbietigst beziehe, nur neuerlich hervorzuheben, dass Schuchardt gegenwärtig zu den hervorragendsten Vertretern der Disziplin der romanischen Philologie zählt, wie dies der soeben an ihn ergangene Ruf der sächsischen Regierung unter sehr günstigen Bedingungen beweist. Sein Abgang an die Universität Leipzig würde einen schwer zu ersetzenden Verlust nicht bloß für die Universität Graz, sondern für die Wissenschaft der romanischen Philologie in Österreich überhaupt bedeuten, und ein annähernd entsprechender Ersatz für den selben wäre ebenfalls nur im Wege der Berufung, jedoch gewiss unter ungünstigeren finanziellen Verhältnissen zu erlangen.

In Berücksichtigung dessen hat dann auch der Finanzminister, mit welchem ich im kurzen Wege das Einvernehmen gepflogen habe, mir seine Zustimmung zur beabsichtigten Gehaltserhöhung um 1000 Gulden jährlich ertheilt, und erlaube ich mir was die Bedeckung dieses Mehrerfordernisses betrifft, ehrerbietigst zu bemerken, dass ich mir eventuell vorbehalten würde, den Statthalter für Steiermark zu beauftragen, für das Jahr 1891 die virementmäßige Bedeckung des gedachten Betrages von 1000 Gulden innerhalb des zu gewärtigenden ordentlichen Gesammtcredites der Universität Graz nach Thunlichkeit anzustreben, vom Jahre 1892 aber hiefür die specielle präliminarmäßige Vorsorge zu treffen.

Indem ich schließlich ehrerbietigst beifüge, dass Professor Schuchardt sich mir gegenüber in bestimmter Weise verpflichtet hat, im Falle der Gewährung einer Aufbesserung seiner Bezüge, innerhalb der nächsten fünf Jahre eine Berufung in das Ausland weder anzustreben noch einen etwa an ihn ergehenden Ruf anzunehmen erlaube ich mir den allerunterthänigsten Antrag zu stellen:

Geruhen Eure Majestaet allergnädigst zu genehmigen, daß der Gehalt des ordentlichen Professors der romanischen Philologie an der Universität Graz, Dr. Hugo Schuchardt vom Jahre 1891 ab auf den Betrag jährlicher dreitausendachthundert |: 3.800 :| Gulden erhöht werde.

[Seitenanmerkung:] Ich genehmige, daß der Gehalt des ordentlichen Professors der romanischen Philologie an der Universität Graz, Dr. Hugo Schuchardt vom Jahre 1891 ab auf den Betrag jährlicher dreitausend achthundert Gulden erhöht werde.

Wien, 8. Dezember 1890.
Franz Joseph
[Schreiberhand, Originalunterschrift]

1897 Freistellung aus Gesundheitsgründen

Schuchardt hat im Herbst 1897 für das Wintersemester 1897/98 eine Freistellung aus gesundheitlichen Gründen direkt beim Ministerium beantragt und diese vom Minister auch erhalten (Zahl 72 ex 1897-98, Philosophische Fakultät, Universitätsarchiv Graz):

Auf ein von dem ordentlichen Professor der romanischen Philologie an der Universität in Graz Dr. Hugo Schuchardt unter dem 10. October l. J. unmittelbar anher überreichtes Gesuch bewillige ich demselben behufs Wiederherstellung seiner Gesundheit einen Urlaub für die Dauer des Wintersemesters 1897/8.

Hiervon wolle das Decanat den genannten Professor in Kenntnis setzen.

Wien, am 13. October 1897.
Der Minister für Cultus und Unterricht Gautsch


Schuchardts Pensionierung und Abschied aus der Fakultät

Einleitung

Im Alter von 56 Jahren stellt Schuchardt am 26. November 1899 sein Pensionsgesuch um Pensionierung und begründet dieses ausführlich mit seiner angegriffenen Gesundheit. Dass Schuchardt zwar ein passionierter Forscher, allerdings kein passionierter Lehrer war, bezeugen im Grunde alle spärlichen Berichte seiner wenigen Schüler. Der frühe Pensionstermin kam insofern nicht wirklich überraschend, weil er sich bei seiner Berufung die Anrechnung von 10 Dienstjahren ausverhandelt hatte. Das heißt, dass er zum Zeitpunkt seines Pensionsantritts in der Tat nahezu 35 anrechenbare Dienstjahre aufzuweisen hatte.

Unter der Zahl 14826 ex 1900 unterstützt der zuständige Cultusminister Gautsch von Frankenthurn am 26. Juni 1900 das Ansuchen. Am 6. Juli 1900 schließlich genehmigt Kaiser Franz Joseph dieses.

Anlässlich der Pensionierung schreibt Schuchardt am 23. Oktober 1900 einen Brief an die Kollegen der Fakultät und bittet den Dekan (Karl Luick), diesen in der am selben Tag stattfindenden Fakultätssitzung zu verlesen. Luick kommt, wie die Notiz im Anhang dazu besagt, diesem Wunsch nach (Zahl 155 ex. 1900-01 der Philosophischen Fakultät, Universitätsarchiv Graz).

Pensionsgesuch Schuchardt vom November 1899

Dem hohen k.k. Ministerium für Kultus und Unterricht

unterbreite ich hiermit das ehrerbietige Gesuch mir die baldigste Versetzung in den Ruhestand zu erwirken und zugleich den entsprechenden Ruhegehalt anzuweisen, bei dessen Bemessung die mir im Ernennungsdekret vom 12. April 1876 (No. 5678; auf Grund Allerhöchster Entschliessung vom 8. April) angerechnete zehnjährige Dienstzeit zu berücksichtigen sein würde.

Ich gründe mein Gesuch auf meinen schlechten Gesundheitszustand.

Die Neurasthenie mit welcher ich seit früher Jugend behaftet bin äusserte sich bald nach meiner Habilitation (1870) in so heftiger Weise dass ich ein ganzes Jahr die Vorlesungen aussetzen musste, in noch heftigerer Weise Jahre später, als ich ord. Prof. in Halle war, sodass ich für ein Semester beurlaubt wurde, und sie hat, allen Heilversuchen trotzend, mit wechselnder Stärke bis heute fortgedauert. Ich brauche nicht auseinanderzusetzen welche Hemmungen ein derartiges Leiden der Berufsarbeit und nicht nur dieser, sondern aller Arbeit, allen Unternehmungen wie auch allem Lebensgenusse entgegensetzt, und wie, dank ihm, auch mit der geringfügigsten Leistung sich das Gefühl ausserordentlicher Anstrengung verbindet. Seinen vielgestaltigen Kundgebungen ist seit etwa 25 Jahren ein unausgesetztes, zuweilen kaum erträgliches Ohrenbrausen beigesellt; ärztliche Vorstellung wie dadurch die Gehirnthätigkeit beeinträchtigt und gefährdet sei, bewog mich schon vor sehr langer Zeit eine Operation (Muskeldurchschneidung) an mir vornehmen zu lassen, sie blieb aber ohne Erfolg.

Im vorgerückteren Alter haben sich natürlich andere körperliche Beschwerden verschärft, neue eingestellt, sodass ich ohne Übertreibung sagen darf: der Tage sind sehr wenige an denen ich mich auch nur leidlich befinde, das heisst, an denen ich mich annähernd in der Weise wie andre Menschen, meinen Obliegenheiten und Plänen widmen kann.

|2|Mögen auch die qualvollen neurasthenischen Erscheinungen an Intensität und Häufigkeit etwas abgenommen haben, so ist dafür meine Nervenabspannung, meine Kopfmüdigkeit eine konstantere geworden. Welche Bedeutung das für den Vortrag, der doch das Haupterforderniss beim akademischen Lehrer ist, besitzt, das glaube ich in meinem Urlaubsgesuch vom Oktober 1897 ausgeführt zu haben, muss es aber jetzt noch nachdrücklicher thun. Man verwundert sich nämlich immer wieder darüber dass Jemand der zu schrifstellerischer Thätigkeit fähig ist, über Gegenstände die ihm durchaus vertraut sind, für die er tiefes Interesse hegt, nicht auch mündlich ohne besondere Mühe sich zu äussern vermöge. Man bedenkt dabei nicht wie meine wissenschaftlichen Arbeiten zustande kommen; ich bin ja hier nicht an bestimmte Zeiten, nicht einmal eine Ablieferungszeit gebunden, ich warte – oft sehr lange – auf günstige Augenblicke, ich stelle nur sehr Weniges auf ein Mal her, kehre oft, verbessernd und ergänzend, darauf zurück, setze das Einzelne mühselig zusammen – kein leicht schaffender Künstler, ein geduldiger Mosaikarbeiter. Ein analoges Verfahren ist bei der Rede undenkbar, und so erscheine ich als Gegenfüssler jener zahlreichen Kollegen die sich im Sprechen, wie sie selbst sagen, vom Schreiben und Lesen „ausruhen”. Wenn ich schon nach jedem längeren, wenngleich leidenschaftslosen Gespräch eine ziemliche Erschöpfung verspüre, so wird man begreifen wie stark eine solche nach einem Monolog über wissenschaftliche Probleme ist. Diese Beschwerlichkeit des Sprechens (durch einen chronischen Kehlkopfkatarrh gesteigert) reicht bis in den Beginn meiner akademischen Laufbahn zurück; ich missdeutete sie als Folge des Mangels an Übung, sie ist aber im Laufe der letzten Jahre in einem Grade gediehen, dass ich mich nun nicht nur zur Leistung zusammenhängender Vorträge ausser Stand sehe, sondern auch – nur die mindeste Regelmässigkeit und Häufigkeit vorausgesetzt – zur Abhaltung seminaristischer Übungen.

Wie schwer es mir auch fällt eine solche umständliche Selbstanalyse vorzulegen, ich habe es nicht zu vermeiden gewusst; denn es darf kein Zweifel darüber walten dass nur die triftigsten |3|und dringendsten Motive mich zur Einreichung dieses Gesuchs bestimmt haben, und ich habe mich zu diesem Zwecke eines ärztlichen Zeugnisses nicht bedienen wollen. Ich weiss wohl dass, im Interesse der formalen Behandlung, eine solche Beilage erwünscht ist, und bitte daher wegen der Unterlassung um Nachsicht. Seit lange habe ich auf eine ärztliche Behandlung meiner Neurasthenie im Allgemeinen verzichtet und in den letzten Jahren nur selten und nur in Bezug auf Einzelnes und Aeusserliches ärztlichen Rath eingeholt, Untersuchung und Beobachtung haben nach dieser Seite hin nie Etwas bei mir ergeben. Demnach würde selbst eine kurze Bestätigung meiner „hochgradigen Neurasthenie” nichts Anderes sein als ein «relata refero». Welchen Grad aber meine Insufficienz mit Hinsicht auf meinen Beruf erreicht hat, darüber kann kein Arzt, am Wenigsten wenn er in Jahr und Tag sich einmal eine Viertelstunde mit mir unterhält, ein Urtheil abgeben, und ich gewinne es deshalb nicht über mich, mich darum zu bemühen.

Nicht zu früh, sondern zu spät fürchte ich mein Gesuch eingereicht zu haben. Zwar habe ich seit geraumer Zeit das Bewusstsein dass meine Kräfte den Anforderungen meines Lehramtes nicht mehr genügen. Aber theils täuschte mich die Hoffnung dass mein Allgemeinbefinden sich noch einigermassen bessern würde, theils hielt mich der wohlwollende, ja schmeichelhafte, im Grunde vielleicht nur nachsichtige Zuspruch von Kollegen und Freunden von einem Schritte zurück zu dem man sich ja um so schwerer entschliesst als er in den Universitätsannalen nicht allzu gewöhnlich vorkommt.

Indem ich hoffe dass das hohe k.k. Ministerium meinem Gesuche Folge geben wird, erübrigt nur für die Gunst die alle Unterrichtsverwaltungen seit meiner Berufung mir in mannigfacher Form haben zutheil werden lassen, meinen aufrichtigsten und herzlichsten Dank darzubringen. Mein Können mag dieser Gunst nicht entsprochen haben; aber ich bitte dringend, nicht – wie es den Leidenden meiner Kategorie so oft geschieht – daran zu zweifeln dass ich stets den besten Willen gehabt habe.

Ehrerbietigst
Dr. Hugo Schuchardt
k.k. Universitätsprofessor
zu Graz
Graz, den 26 Nov. 1899.

Antrag des Ministers an den Kaiser

[Zahl 14826 ex 1900]Allergnädigster Herr !

In der ehrfurchtsvollst angeschlossenen Eingabe vom 26. November 1899 hat der ordentliche Professor der romanischen Philologie an der Universität in Graz, Dr. Hugo Schuchardt, aus Gesundheitsrücksichten um seine Übernahme in den bleibenden Ruhestand gebeten.

Der Genannte, geboren 1842 zu Gotha, würde mit der ehrerbietigst anverwahrten Allerhöchsten Entschließung vom 8. April 1876 aus seiner damaligen Stellung als ordentlicher Universitätsprofessorin Halle mit einem fixen Jahresgehalte von zweitausend achthundert Gulden, sowie unter Anrechnung einer zehnjährigen Dienstzeit behufs der seinerzeitigen Pensionsbemessung als ordentlicher Professor der romanischen Philologie an die Universität in Graz berufen.

Mit der weiteren gleichfalls angeschlossenen Allerhöchsten Entschließung vom 8. December 1890 geruhten Eure Majestät huldvollst zu genehmigen, dass der Gehalt des genannten Professors vom Jahre 1891 ab auf den Betrag jährlicher dreitausendachthundert Gulden erhöht werde.

Gegenwärtig steht Professor Schuchardt, welcher für die neuen Gehaltsbezüge nach Maßgabe des Gesetzes vom 19. September 1898 optiert hat, im Genusse der höchsten Gehaltsstufe von 9600 Kronen nebst der Activitätszulage jährlicher 960 Kronen.

Da der Genannte einschließlich der ihm bei seiner Ernennung angerechneten zehn Dienstjahre eine Dienstzeit von 34 Jahren nachzuweisen vermag, welche, weil im Lehramte zugebracht, für 45 Jahre zu zählen ist, kommt demselben im Sinne der geltenden Pensionsvorschriften der ganze zuletzt bezogene Activitätsgehalt, somit der Jahresbetrag von 9600 Kronen als Ruhegebühr zu.

Der Statthaler für Steiermark, dessen Äußerung über das vorliegende Pensionsgesuch ich zuvor eingeholt habe, hebt in dem weiters samt Beilage ehrfurchtsvollst anverwahrten Berichte vom 21. Mai 1900 Z. 1505 hervor, daß as Professorencollegium der philosophischen Facultät in Graz sein innigstes Bedauern darüber ausgesprochen hat, daß sich Professor Schuchardt, eines der hervorragendsten Mitglieder der Grazer Universität, mit Rücksicht auf seine durch ein nervöses Leiden geschwächten Gesundheitszustand veranlaßt gesehen hat, um seine Pensionierung einzuschreiten.

Im Hinblick auf die vieljährige und äußerst verdienstvolle Thätigkeit Schuchardt’s stellt der Statthalter für Steiermark den Antrag, es möge für den Genannten bei diesem Anlasse eine Allerhöchste Auszeichnung erwirkt werden. Indem ich mir ehrerbietigst bezufügen gestatte, daß Schuchardt, dessen Abgang für die Grazer Universität einen sehr empfindlichen Verlust bedeuten wird, zu den hervorragendsten Vertretern seines Faches gezählt zu werden verdient und unbestritten in der gesamten Gelehrtenwelt als Romanist und Sprachvergleicher eine der ersten Celebritäten ist, was seine Wahl zum Mitgliede der ersten Akademien der Wissenschaften bekundet, und daß seine Haltung jederzeit eine correcte, sein lehramtliches Wirken stets ein erfolgreiches und eifriges gewesen ist, glaube ich für den Genannten, welcher wegen seines Gesundheitszustandes auf der Gewährung seiner Bitte um Pensionierung bestehen zu müssen erachtet, ein würdiges Zeichen der Allerhöchsten Anerkennung ehrerbietigst in Antrag bringen zu dürfen, und zwar erlaube ich mir, da Professor Schuchardt mit Allerhöchster Entschließung vom 16. März 1897 durch die allergnädigster Verleihung des Ordens der eisernen Krone II. Classe ausgezeichnet worden ist, für denselben die allergnädigste Verleihung des Titels eines Hofrathes allerunterthänigst zu erbitten.

Schließlich erlaube ich mir noch erfurchtsvollst zu bemerken, daß die Übernahme Schuchardts in den bleibenden Ruhestand einer bisher stets eingehaltenen Gepflogenheit gemäß mit Ende September 1900 als dem Schlusse des laufenden Studienjahres in Vollzug zu setzen wäre.

Ich erlaube mir die allerunterthänigste Bitte zu stellen:
Geruhen Eure Majestät die Übernahme des ordentlichen Professors der romanischen Philologie an der Universität in Graz, Dr. Hugo Schuchardt, über dessen Ansuchen in den bleibenden Ruhestand mit seinem zuletzt bezogenen Activitätsgehalte jährlicher neuntausendsechshundert /:9600:/ Kronen als Ruhegenuss mit Ende September 1900 allergnädigst zu genehmigen und demselben aus diesem Anlasse den Titel eines Hofrathes mit Nachsicht der Taxe huldvollst zu verleihen.

Wien, am 26. Juni 1900.

Genehmigung des Pensionsgesuchs durch Kaiser Franz Joseph

Ich genehmige die Übernahme des ordentlichen Professors der romanischen Philologie an der Universität in Graz, Dr. Hugo Schuchardt, über dessen Ansuchen in den bleibenden Ruhestand mit seinem zuletzt bezogenen Activitätsgehalte jährlicher neuntausend sechshundert Kronen als Ruhegenuß mit Ende September 1900 und verleihe demselben aus diesem Anlasse den Titel eines Hofrathes mit Nachsicht der Taxe.

Ischl, 6. Juli 1900
Franz Joseph
[Text von Schreiberhand, Unterschrift Original]

Abschiedsbrief an die Kollegen der Fakultät

Nachdem meine amtlichen Beziehungen zu den Mitgliedern der philosophischen Fakultät gelöst worden sind, erachte ich es für passend mich einem nachsichtigen, einem versöhnlichen Andenken zu empfehlen. Hat mich mein Temperament hie und da zu weit geführt, so geschah es in der Verfechtung dessen, was mir recht und richtig erschien; aber auch in Bezug auf Andere hat mich die ruhige Besinnung gelehrt dass die meisten Reibungen und Zusammenstösse nicht sowohl in persönlichen Gegensätzen als in gewissen Mängeln der ganzen Einrichtung ihren letzten Grund haben.

Hiermit will ich keineswegs Abschied nehmen von den Herren Kollegen (wie ich wohl auch fernerhin sagen darf), im Gegentheil. Gerade von nun an wird ja mein Verkehr mit ihnen weniger der Gefahr der Trübung ausgesetzt sein, und seine Belebung und Steigerung, besonders wo es sich um wissenschaftliche Interessen handelt, würde ich als Gunst betrachten; wenn nicht mehr innerhalb der Universität, so würden wir uns doch innerhalb der universitas litterarum zusammenfinden.

|2| Ich wünsche der Fakultät, dass in meinem Nachfolger ein bessserer Lehrer erstehe als ich es sein konnte. Meine Lehrthätigkeit ist von früh an in hohem, zuletzt in steigendem Masse durch meine Gesundheitszustände behindert worden, und dies jetzt noch einmal, als bei der letzten Gelegenheit, feierlich zu versichern, liegt mir deshalb am Herzen weil manche sonst einsichtige und wohlgesinnte Männer mein Pensionierungsgesuch mehr aus einem lebhaften Wunsche als aus zwingender Nothwendigkeit erflossen vermeinen. Eines freilich darf man mir vorwerfen: ich habe an dem docendo discimus, das doch eigentlich nur auf die Privatdozenten gemünzt ist, bis zu guterletzt festsgehalten, und da ich nicht gar zu oft meinen Zuhörern zurufen konnte, was einst Niebuhr den seinigen: „Ihr seid meine Flügel“, so bin ich gar zu leicht flügellahm geworden. Um so dankbarere Erinnerung widme ich denjenigen die mir nicht nur Aufmerksamkeit, sondern auch Anregung gewährten; ich betrauere einige schon dahin Geschiedene, ich freue mich der Emporgediehenen und der Emporgedeihenden. Wenn ich demnach nicht mit der vollen Befriedigung auf die durchmessene Bahn zurückblicken kann wie das Andern beschieden ist, so tröste ich mich mit der Hoffnung oder vielmehr der bestimmten Absicht mich auf anderem Wege der Grazer Universität nützlich zu erweisen, für deren Blühen und inneres Wachsen ich jedenfalls die wärmsten Wünsche hege.

Ich ersuche den Herrn Dekan höflichst die nebenstehenden Zeilen in der heutigen Sitzung zu verlesen, falls dies nicht gegen die Gepflogenheit oder irgend einen Paragraphen der Geschäftsordnung verstossen oder aus ihrem Inhalt irgend ein Bedenken erwachsen sollte.

H. Schuchardt


Schuchardts Tod und danach

Die Briefe Franz Mairhubers an Elise Richter

Einleitung

Schuchardt ist, wie andere wenig stromlinienförmige Figuren der Wissenschaftsgeschichte, auch über seinen Tod hinaus Anlaß für Mythen und Erzählungen. Immer noch erreichen uns einschlägige Anfragen mit der Bitte um Klärung und Information. Es ist fast schade, diese Geschichten zu entkräften, sie werden sich vielleicht, entsprechend anderen urban myths, dennoch fortsetzen. Die bekannteste Mär rankt sich um das lebenswichtige, alles repräsentierende Organ, Schuchardts Herz. Der Meister habe verfügt, man solle ihm das Herz nach dem Tod entnehmen, um der Angst einer Einäscherung bei lebendigem Leib zu begegnen. Das Herz, so fährt die Geschichte fort, sei danach in einem eigenen Behältnis, einem Kelch, in der Villa herumgestanden, bis dieses nach intensiver Geruchsentwicklung in den 50-er Jahren zu der schon in der Villa Malwine eingemauerten Urne gestellt worden sei.

Den ausführlichsten biographischen Aufsatz, der weit über das hinausgeht, was man herkömmlich als Nekrolog bezeichnet, stammt von Elise Richter (1928). Sie hatte auch über das Wissenschaftliche hinausgehende Kontakte mit einigen Freunden von ihm (insbesondere Adolf Mussafia, aber etwa auch Leo Spitzer und Krystoffer Nyrop). Richter widmet sich kaum wissenschaftlichen Aspekten von Schuchardts Wirken, dagegen sammelt sie biographische Daten. Die Materialien, die sie für Ihren Aufsatz studierte, erwähnt sie in der ersten Fußnote ihrer Arbeit. Dort dankt sie unter anderem Franz Mairhuber. Dieser war, gemeinsam mit seiner Frau, wohl die wichtigste Bezugsperson für Schuchardt im Alltag und eine wichtige Informationsquelle für Richter. Die oft zu lesende Behauptung, die Mairhubers wären Schuchardts Haushälter oder mayor domo gewesen, oder hätten sonst in einem Dienstbotenverhältnis gestanden, stimmt nicht. Unmittelbar nach dem Tod Schuchardts korrespondierte Richter mit Franz Mairhuber, der, gemeinsam mit seiner Frau, zu Lebzeiten die wahrscheinlich intensivste Beziehung zu Schuchardt hatte (Karola Mairhuber bereits seit 1901, Franz Mairhuber seit 1908; seit 1914 lebte die Familie Mairhuber zusammen mit Schuchardt in der Villa Malwine). Im folgenden werden die Briefe von Franz Mairhuber an Elise Richter reproduziert. Sie sind ein informatives, aber auch ein berührendes Zeichen einer tiefen Beziehung, sie geben viele Informationen zu Schuchardt, seinem Charakter, einigen Eigentümlichkeiten, aber sie enthalten auch eine ergreifende Darstellung der letzten Tage und Stunden vor seinem Tod. "Er sah mich voller Wehmut an das auch ein festes Männerherz weich werden mußte" zeigt innigliche Beziehung der Familie Mairhuber zu Schuchardt.

Der Briefstil von Franz Mairhuber wurde heutigen orthographischen und grammatikalischen Erfordernissen nicht angepaßt, weil er meines Erachtens Teil der Erzählung und auch illustrativer Teil und Besonderheit dieser Freundschaftsbeziehung ist. Die Dokumente liegen uns zum Teil in Handschrift vermutlich von Frau Mairhuber, zum Teil maschinschriftlich vor, jeweils von Franz Mairhuber unterschrieben.

Die den politischen Verhältnissen der NS-Zeit geschuldete Zersplittertheit des Nachlasses von Elise Richter ist einzig der Grund, warum Teile dieser zusammenhängenden Brieffolge in der Österreichischen Nationalbibliothek liegen, der Großteil aber in der Wiener Stadt- und Landesbibliothek im Wiener Rathaus ("Wienbibliothek"). Den genannten Einrichtungen sei für die Erlaubnis der Verwendung der Dokumente gedankt.

In den Briefen Mairhubers gibt es übrigens keinen Hinweis auf die Richtigkeit der eingangs erwähnten Herz-Geschichte, aber jede Menge Gegenevidenz.

Briefe von Franz Mairhuber an Elise Richter

Lfd. Nr. 01
Wienbibliothek Nr. 232.527
Brief, Handschrift (Kurrent), Unterschrift Franz Mairhuber, Graz
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 19. März 1927

Graz, 19. /III. 1927.

Hochgeschätzte Frau Professor !

Die in Ihrem geschätzten Schreiben an mich gestellten Fragen Schuchardt betreffend kann ich nur zum kleineren Teile beantworten.

Aber um Ihnen Gelegenheit zu geben, sich aus Briefen des H. Sch. und dem von seiner Mutter bis zum Jahre 1867 geführten Tagebuch über ihn Notizen machen zu können, wäre ich bereit Ihnen das ganze Material zur Verfügung zu stellen und Ihnen dies zusenden wenn es wünschenswert. Da müßte ich aber im Namen des Verstorbenen Wert darauf legen, daß einer dritten Person kein Einblick gewährt werde. Es ist dies so der Wunsch Sch den ich zu halten ihm auch versprochen. Sie würden in diesem Material |2| alles von seiner frühestens Kindheit an bis zum Jahre 1898 alles für Sie etwa erforderliche finden. Es ist ein Tagebuch wie schon erwähnt, alle Briefe von seinen Eltern resp. Mutter, dann Aufsätze, Gedichte u. s. w. Außerdem würde ich seine engeren Studienkollegen betreffenden Bilder mit Namen versehen beilegen. Es lebt von all diesen Herrn Niemand mehr, dies mir Sch. oft sagte. Über seinen Studiengang erzählte er nie besonderes, nur erwähnte er wie er ungarisch lernte, daß er nach 4 Tagen d.h. nach 4 Lektionen seinen Lehrer über war und ihm in manchen berichtigte. Er lernte jede Sprache leicht und in sehr kurzer Zeit. Von seinem Studentenleben erzählte er des öfteren, daß einmal eine Kneipe, wo auch ein Prinz teilnahm, in eines Bäckers Mehlkammer abgehalten wurde. Dann hatten sie einen großen Korpshund, so wie die Hunde Bismarks, diesem gaben sie einmal sehr viel Rizinusöl ein und verschlossen den Hund im Zimmer des Korpsbruders das er entsetzlich |3| verunreinigte.

Schuchardt's Alltagsleben war genau eingerichtet, er stand um die genau (?) Stunde auf und suchte auch immer um dieselbe Stunde die Nachtruhe. Eine Ausnahme bildete es, wenn er mit uns Karten spielte.

Sch. nahm stets zur vereinbarten Stunde die Mahlzeiten ein und sollte die genaue Zeit nicht überschritten werden.

Sch. war auch wohltätig und gab bei verschiedenen Anlässen und über Ersuchen von Körperschaften. Freiwillig unterstützte er ab und zu das Blindeninstitut und bedauerte die darin wohnenden Blinden sehr. Letzterer Zeit aber begünstigte er eine Taubblinde mehr als die übrigen. Dieses Frl. machte die Reise mit uns über Mariazell nach Wien wofür Sch. für dieses Frl. die Reise bezahlte. Auch in der Kriegszeit gab er soweit es ihm möglich. Denn es kam einmal für ihm eine |4| böse Zeit wo er mit seiner Pension nicht mehr das Auslangen fand, natürlich waren wir, die da halfen, über diese Zeit hinweg zu kommen. Die Liebe zu ihm machte es uns zur Pflicht. Sch. nahm an den Schicksalen anderer regen Anteil und wenn man ihm von dem und jenem erzählte er hatte stets Mitleid. Wußte man ihm aber vom Glück eines andern zu erzählen hatte er gewiß keinen Neid und gönnte das Glück.

- Um uns sorgte er sich immer sehr wenn wir zufällig einen Ausflug machten ging er nie früher zur Ruhe bis wir nicht nachhause kamen. Wir sollten fast nie fortgehen, er wollte uns immer um ihm wissen. Wenn wir ein oder das andere mal in’s Theater gingen und man sagte ihm dies ein oder zwei Tage voraus, so wurde er am selben Tag wo es zum Theatergehen war krank und eines von uns mußte zuhause bleiben, dies war manchmal hart.

Sch. war ein Mensch mit Weltmännischer Bildung, hochinteligent und vornehm zu nennen. |5| Ich gehe sicherlich nicht fehl, wenn ich hinzufüge, Sch. genoß durch seine Mutter eine höfische Erziehung. Er war heiter, lustig, sang schon am morgen und auch des Tags über er war nicht schweigsam zu nennen. Nur wenn er ihm Gedanken der Wissenschaft und seiner Arbeiten versunken war da hatte er kein Ohr für andere. Oft sagte er, er will bei seiner Arbeit nicht gestört werden, u. es kam zuweilen vor, Besuche abweisen zu müssen. Sch. war ein Menschenkenner und trafen beinahe immer seine Ansichten hierüber zu.

Sch. besuchte im Anfange seines Grazer Aufenthaltes sehr viel das Theater u. verkehrte gerne auch in Künstlergesellschaften, wie er auch in der hochadeligen Gesellschaft ein gerne gesehener Gast war; auch in Bürgersgesellschaft war er zu finden. Ab 1915. kam er nur mehr selten, und dies nur für einen kurzen Spaziergang fort.

|6| Um wirtschaftliche Verhältnisse kümmerte er sich nie, er lebte nur der Wissenschaft.

Eigenheiten hatte Sch. so manche, die zu erzählen, oder gar der Öffentlichkeit mitzuteilen, ihm sicherlich nicht recht wäre. Diese Eigenheiten betrafen hauptsächlich seine Lebensgewohnheiten. Z.B. mußte ich ihm des Nachts in seinem Zimmer einschließen und den Schlüssel zu mir nehmen u.s.w. Pedantisch war er nur auf seine Bücher, aber auf Kleider und Wohnungsgegenstände nicht, für dies hatte er keinen Sinn. Auch Pünktlichkeit war er gewöhnt, es mußte alles auf die Minute sein.

Nun ich erwarte Ihre Nachricht, ob ich Ihnen das ganze Material /:15 Kilo:/ senden soll, oder ob Sie es eher vorziehen, selbst hieher zu kommen. Im Falle ich es senden soll, bitte ich heute schon um vollständige Rückstellung der Gegenstände um das Sch. gegebene Versprechen einhalten zu können.

Ich selbst fände nicht die Zeit, dies alles durchzugehen, um Ihnen gesch. Frau Professor |7| ein klares Bild geben zu können.

In aller Wertschätzung zeichnet in Ergebenheit

F.Mairhuber


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Lfd. Nr. 02
Österreichische Nationalbibliothek, Nachlaß Elise Richter, Mappe 266/27, 1. Beilage
Brief, Typoskript, Unterschrift Franz Mairhuber
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 14. Mai 1927

Ihrem Wunsche entsprechend berichte ich nachfolgend über die letzten Lebenstage des Herrn Hofrates S c h u c h a r d t und zwar:

Schuchardt war seit 13. September 1926 an Altersschwäche und an einer kleinen Gehirnblutung, die sich aber wieder aufsaugte, krank und bettlägerig. Sein Zustand besserte sich soweit, daß er allein aber mit Mühe das Bett verlaßen konnte und sich für kurze Zeit außer diesem sitzend aufhalten konnte. Er versuchte sogar noch eine Besprechung über das von Pat. Albert Drexl erschiene[ne] Buch die Frage nach der Einheit des Menschengeschlechtes im Licht der Sprachforschung abführen zu können, aber er kam kein einzigesmal so oft er auch beginnen wollte über den Anfang nicht hinaus. Er war dazu geistig nicht mehr ganz fähig. Er versuchte ab und zu auch Briefe und Karten zu schreiben welche beinahe jedesmal durch meine Wenigkeit ergänzt werden mußten. Eine solche Karte schrieb er auch Ihnen noch und eine an Prof. Sarnizse in Tiflis, dies war seine letzte schriftliche Arbeit. Er war die ganzen Monate immer heiter, man trachtete ihm heiter zu erhalten, nur manchmal war er etwas verdrießlich dies aber immer bald der guten Laune und Heiterkeit Platz machte. Er las Romane und auch in wissenschaftlichen Werken u. zw. in seinem noch in allerletzter Zeit angeschaften Buche die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde von P. W. Schmidt (erschienen in Heidelberg), kam aber nicht mehr so recht vorwärts weil er das gelesene immer vergaß. Zeitungen, Briefe Romane und andere Bücher las ich ihm des öfteren vor und so verbrachte er abwechselnd die Zeit vom September 1926 bis 19. April 1927 an welchem Tage Schuchardt plötzlich um 4 Uhr nachm. eine neuerliche Gehirnblutung erlitt und diese andauerde. Er war sich des Ernstes der neuerlichen Erkrankung nicht bewust, weil man ihm davon nichts sagte um ihm ja keine unnützen Aufregungen zu versetzen. Ich kam an diesem Tage um ½ 5 Uhr nachm. aus dem Büro zurück und war wie immer mein erster Weg den Herrn Hofrat zu besuchen. Wie er mich sah war er recht erfreud und ersuchte mich ihm die Füllfeder zu richten weil er wieder an die schriftliche Arbeit gehen wollte. Ich sagte ich ginge vorher gerne zu Tisch und werde nachher sofort alles zum Schreiben vorbereiten. Ich redete ihm zu unterdessen eine kleine Jause zu nehmen dies er auch tat. Ich gab ihm diese und ging zu Tisch. Während dessen ging meine Frau zu ihm um zu sehen was er tat, man mußte ihm doch auch beim essen behiflich sein. Sie kam bald zurück und sagte Herr Hofrat bringt die Jause schwer aus dem Munde, es war ein Kuchen. Gleich nach Tisch ging ich zu ihm um die Feder zu richten und da merkte ich, das Hofrat immer nach der rechten Seite sehe, ich sprach mit ihm und bat ihm er möge für diesmal das Schreiben lassen und ein andermal fortsetzen, darauf ging er ein. Da ich aber erkannte das es mit ihm nicht seine Richtigkeit habe, ließ ich sofort den Arzt rufen der auch sogleich kam und eine Gehirnblutung feststellte. Er gab verschiedene Anordnungen die ich auch durchführte. Im sonstigen Benehmen war noch keine Aenderung zu merken und gab mir zur Beunruhigung keinen Anlaß. Er plauderte mit mir und um ½ 6 Uhr abend sagte er zu mir ich möge ihm die Füllfeder einpacken weil er diese mitnehmen will. Ich gieng natürlich darauf ein obwohl ich diesen auftrag für sonderbar hielt. Dann später sagte er, er muß meiner Frau, die stets sagte auf Widersehen wen sie von ihm fortging, noch lernen wie dies auf ungarisch, das eine so schöne Sprache ist, heißt. Es würde vom ungarisch in’s deutsche übersetzt dann heißen, ich komme wieder zurück. Um 7 Uhr abend aber wurde er unruhig und verlangte des öfteren aufs Zimmerklosset und später stellten sich auch noch die Brechreize ein. Ich blieb bei ihm und richtete mir zum ruhen eine Gelegenheit ein aber Hofrat bat ich möge bei ihm bleiben und ihm nicht zu verlassen weil ich doch sein Liebster und zugleich auch Schutzmann bin. Ich verbrachte folgedessen die ganze Nacht sitzend neben ihm zu. Ich machte ihm nach Anordnung des Arztes die Umschläge auf Herz und Kopf muste aber um 5 Uhr morgens den Arzt rufen lassen weil auch eine sehr starke Atemnot einsetzte. Ich bat den Arzt er möge den Hofrat eine Injektion geben damit er ruhiger werde und keine Schmerzen habe, außerdem gaben wir ihm Sauerstoffinhalationen um leichter atmen zu können. Am Mittwoch den 20. früh verlor er auch die Sprache und konnte ich ihm kaum mehr verstehen. Auf die Injektionen wurde er dann ruhiger und hielt die Ruhe beinahe den ganzen Tag über an. Am Abend bat ich den Arzt er möge dem Hofrat abermals eine Injektion geben damit er eine ruhige Nacht habe. Herr Hofrat hatte schon längere Zeit die Gewohnheit mehrere Atemzüge etwa 10. bis 15 zu machen und dann eine kleine Pause im atmen eintreten zu lassen. Dies verstärkte sich aber in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag und zwar in der Weise, daß Hofrat 7 bis 8 Atemzüge machte und dann doppelt solange aussetzte. Dies machte mir Bedenken. Ich war mit Ausnahme 2er Stunden in welcher Zeit mich meine Frau vertreten die ganzen Tage und Nächte bei ihm.

Am Donnerstag vormittag und zu Mittag noch um ½ 1 Uhr versicherte er mich wie schon öfter das ich sein Liebster ich möge nur nicht weggehen und immer bei ihm bleiben er hielt mich darob auch stets fest bei der hand, Um 2 Uhr nachmittag bemerkte ich an ihm dann eine Anderung in der Weise das die Atempausen ausblieben und er ununterbrochen ruhig fortatmete, ich ahnte aber Schlimmes und um circa 3 Uhr setzte plötzlich eine sehr starke Unruhe und Atemnot ein, ich machte ihm fortgesetzt mit Hilfe des Dienstmädchens mit einer Hand Umschläge, die eine gab er nicht frei, aufs Herz aber leider ohne Erfolg den um 4 Uhr waren wir am Ende unserer Lebenskraft und es trat der Tod ein.

Die letzte Stunde war für mich die schrecklichste weil ich den, den wir über alles lieb hatten, von uns scheiden sehen mußte. Er sah mich mit voller Wehmut an das auch ein festes Männerherz weich werden mußte.

Mit allen meinen noch vorhanden Kräften trachte[te] ich standhaft zu bleiben um ihm den Abschied für immer in den letzten Minuten nicht noch schwerer zu machen.

Für uns wurde ein Stück Lebensgewohnheit fortgenommen und verloren wir an ihm unseren allerliebsten vaterlichen Freund, die Wissenschaft aber einen Meister und Lehrer in seinem Fache.

Hofrat dürfte in der letzten Stunde wohl nicht mehr klar bei Bewustsein gewesen sein und wie der Arzt versicherte keinen Schmerz gehabt haben.

Nach dem Wunsche des Herrn Hofrates mußte alles in aller Stille vollzogen werden und so gab es keine Aufbarung und nur eine ganz stille Einsegnung worauf er zur Einäscherung nach Wien überführt wurde. Diese fand am 27. April unter meinen Beisein um ½ 12 Uhr statt und war um ½ 1 Uhr beendet. Wir können uns über den Verlust schwer trösten wir lebten doch so glücklich zusammen wie ein Vater der seine Kinder recht lieb hatte. Uns kommt aales so fremd und leer vor.

Nun seine Bücher hatte er nach einer letzwilligen Verfügung der Bibliothek der Universität in Graz zugewendt und seine Villa als eine Studentenstiftung gewidmet.

Vorläufig nur die Hälfte davon den die andere Hälfte wurde uns auf Lebensdauer legiert.

Ich glaube aber Sie mit diesem Berichte den ich eventuell kürzer faßen hätte können, sehr gelangweilt zu haben.

Zum Schluße erlaube ich mir Euer Hochwohlgeboren unserer Hochschätzung zu versichern und empfehlen uns in aller Ergebenheit

Graz, am 14. Mai 1927

Franz Mairhuber


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Lfd. Nr. 03
Wienbibliothek Nr. 232.528
Brief, Handschrift (Kurrent), Unterschrift Franz Mairhuber, Graz
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 4. März 1928

Hochgeschätzte Frau Professor !

In Beantwortung der an mich gestellten Fragen teile ich nachstehendes mit.

zu 1.) Hofrat Dr. Hugo Mario Ernst Schuchardt hat von seiner Mutter sehr häufig gesprochen aber nie von Verwandten da er nach seiner Mitteilung keine ihm nahestehenden hatte.

zu 2.) Schuchardt war das einzige Kind aus zweiter Ehe seines Vaters, /:sein Vater war das erstemal mit Frl. von Reizenstein verheiratet aus dessen Ehe ein Mädchen mit Namen Malwine geboren wurde u. Stifschwester Schuchardt’s war. Diese starb im Jahre 1917. Sie war an einen Herrn von Ochsen verheiratet der ihr kinderlos im Tode voranging.

zu 3.) Der Vater Schuchardt’s ist vom 1. auf den |2| 2. Dezember 1885 gestorben. Er war herzoglicher Notar u. Amtsadvokat in Gotha, nachträglicher Justizrat. Schuchardt hat seinen Vater gekannt, lebte er doch bis zu seinem Hochschulstudium in der Familie und später auch von Zeit zu Zeit noch.

zu 4.) Schuchardt war in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen.

zu 5.) Die Mutter Schuchardt ist am 15. Juni 1899 in Gotha gestorben.

zu 6.) Die Briefsammlung Schuchardt welche Wissenschaft betrifft und auch Privatbriefe von anderen Bekannten befinden sich gleich wie seine ganze Bibliothek, darunter 5 georgische Handschriften, als Vermächtnis bei der Universitätsbibliothek in Graz. Hingegen die Familienbriefe, Verkehr zwischen Eltern u. Sohn u.d.gl. befinden sich über Wunsch des Verstorbenen in meiner Verwahrung. Letztere müssen mit unserem Ableben verbrannt werden.

zu 7.) Die Villa ist nach dem Namen seiner |3| Mutter benannt und soll das Andenken an sie darstellen. Denn er liebte seine Mutter über alles, weniger den Vater weil dieser ungemein strenge war.

zu 8.) Meine Frau stand seit dem Jahre 1901 und ich seit dem Jahre 1908 mit Schuchardt in persönlichem Verkehr und seit dem Jahre 1914 lebten wir über seinen Wunsch überhaupt mit ihm zusammen und bildeten wir eine Familie wie Vater und Kinder. Es bestanden zwischen ihm und uns keine Geheimnisse. Auch bestand zwischen ihm u. uns kein Dienstverhältnis.

zu 9.) Der Name des Vater Schuchardt's war Eduard Ernst Julius Schuchardt. Die Mutter hieß Malwine Schuchardt geborene von Bridel-Brideri und war vor ihrer Verehelichung Hofdame am Herzoglichen Hofe in Gotha.

zu 10.) Was der väterliche Großvater war u wie er hieß ist mir nicht |4| bekannt. Schuchardt hat davon nie gesprochen und auch aus den Aufschreibungen ist nichts [zu] ersehen.
Die Großeltern mütterlicher Seite hießen Samuel Elisée von Bridel-Brideri war Geheimer Legationsrat, geboren 1763, und war der Sohn eines Pfarrers in Crassier in Waadtland. Die Großmutter Luitgarde geb. von Bärenstein geb. 1787 und war die Tochter eines Altenburg’schen Rittergutsbesitzers. Der Großvater war Erzieher der beiden Söhne des regierenden Herzogs Ernst II. von Sachsen–Gotha–Altenburg an den Gothaischen Hof.

zu 11.) Der Besucherkreis Schuchardt's war in der letzten Zeit nicht mehr so groß nur die nächsten Bekannten und das waren nicht mehr viele. Auch kamen in den letzten Jahren keine Studenten mehr.

zu 12.) Seine Korrespondenz war noch immer eine ausgebreitete zu nennen u. kamen zu den bestehenden immer wieder neue Korrespondenten hinzu. Schuchardt hat nach dem Kriege die Beziehungen mit all seinen Bekannten und Freunden im In- u. Auslande wieder aufgenommen.

Nun glaube ich die an mich gestellten Fragen erschöpfend beantwortet zu haben. Sollten aber Frau Professor noch irgend Auskünfte wünschen, so bin ich gerne bereit diese zu geben wenn es im Bereiche der Möglichkeit liegt.

Fragen wissenschaftlicher Natür wären eventuell aus den Briefen oder die von Hofrat an die Universitätsbibliothek Graz abgegebenen Bücher u. Schriften dort zu erfahren.

In aller Hoch[ach]tung.

FMairhuber

Graz, 4./3. 1928.


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Lfd. Nr. 04
Wienbibliothek Nr. 232.529
Brief, Typoskript, Unterschrift Franz Mairhuber, Graz
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 22. Juni 1928

Hochgeschätzte Frau Professor !

Ihre Karte vom 19. Juni 1928 beantworte ich wie folgt:

1.) Bei der Zeremonie in Wien waren Bekannte Schuchardt's, Fräulein Hilde Bauer und ihr Bruder Dr. Wilhelm Bauer aus Wien und meine Wenigkeit anwesend. Bei der Verbrennung selbst war jedoch ich alleine gegenwärtig.

2. u. 3.) Bei der Einsegnung in Graz sprach nur der Pastor und sonst Niemand. Man wollte jedenfalls Schuchardt's Wunsch es soll alles in aller Stille vor sich gehen, respektieren.

4. u. 5.) Die Asche Schuchardt's (Urne) befindet sich in unserer Verwahrung. Es sollte nach seinem Wunsche die Asche im Garten der Villa versträut werden, dies ich nicht befolgte weil mich ein schriftlicher Auftrag hiezu nicht verpflichtet. Bei gelegener Zeit werden wir die Urne eventuell in der Villa einmauern lassen oder diese später einmal nach Gotha bringen und an der Seite seiner Mutter's Urne beisetzen lassen. Ein Zeitpunkt über beides kann ich nicht angeben.

6.) Schuchardt war nach dem Jahre 1899 nicht mehr in Spanien und Südfrankreich, wohl aber in Brione zur Erholung. Ich glaube es war im Jahre 1911.

7.) Die Villa wurde in ihrer Gänze als Studentenstiftung gewidmet ].[ (Malwinenstiftung) doch kann gegenwärtig nur der erste Stock hiezu Verwendung finden, weil das Hochparterre der Villa |2| auf Lebensdauer uns zugesprochen wurde.

8.) Schuchardt wurde mit seiner Bibliothek nie pho]r[tographiert und bestehen auch sonst keine Bilder aus dem Inner der Villa.

Zu jeder weiteren Auskunft wann ich sie geben kann bin ich gerne bereit.

In ergebener Hochachtung

FMairhuber

Graz, am 22. Juni 1928.


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Lfd. Nr. 05
Wienbibliothek Nr. 232.530
Brief, Handschrift, Unterschrift Franz Mairhuber, Graz
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 20. Jänner 1929

Hochgeschätzte Frau Professor !

Für die Zusendung der von Ihnen hochgeschätzte Frau Professor verfaßte Biographie nach Schuchardt, welche Sie mit großer Umsicht zusammentrugen, spreche ich hiemit meinen herzlichen Dank aus. Ich und meine Frau hatten große Freude damit und wird uns diese Schrift wie manche andere Kleinigkeiten die uns |2| der Verewigte gab, eine stette Erinnerung an ihn, den wir mehr als einen Vater liebten, bleiben.

Schließlich möchte ich mir die Bitte erlauben, mir etwa kurz mitteilen zu wollen wo diese Schrift erhältlich ist und ob Herr Professor Spitzer diese auch erhalten hat. Für diese Mitteilung wollen hochgeschätzte Frau Professor schon jetzt meinen besten Dank entgegen nehmen.

In ergebener Hochachtung

FMairhuber

Graz, Villa Malwine 20./1. 1929.


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Lfd. Nr. 06
Wienbibliothek Nr. 233.265
Postkarte, Handschrift, Unterschrift Franz Mairhuber, Graz
Empfänger: Elise Richter, Wien
Ort: Graz
Datum: 1929?

Hochgeschätzte Frau Professor !

Bitte um Entschuldigung der etwas verspäteten Mitteilung.

Frau Hofrätin Cornu , Wien II. Böcklinstrasse N o 98/10. hinzu möchte bemerken, daß Schuchardt mit Frau Hofrätin Cornu seit dem Tode ihres Gatten sehr wenig im Verkehre stand. Hingegen war de Azkue ein großer Verehrer Schuchardt[s] und hatte letzterer diesem das in Bilbao gegründete Schuchardtstipendium zugänglich gemacht, das]s[ Schuchardt bis zu seinem Tode bezog. de Azkue ist ein höherer spanischer Priester. Dieser schreibt und liest sehr gut deutsch.

In aller Verehrung ergebenst

FMairhuber


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Das Testament Schuchardts

Das Testament Schuchardts ist insofern von Bedeutung, als er darin festlegt, seine Bücher und den Manuskriptnachlaß der Universitätsbibliothek Graz zu hinterlassen, und sein gesamtes Vermögen, mit geringen Ausnahmen, in eine zu gründenden Malvinenstiftung einzubringen.

Von diesem Testamtent gibt es in den nahezu 15 Jahren seines Bestehens verschiedene Kopien, Abschriften und Erweiterungen, die für die Forschung und dauerhafte Nachwirkung relevanten Grundideen ziehen sich aber unverändert durch die Jahre bis zu seinem Tod.

Bezüglich der Briefsammlung kündigt Schuchardt in seinem Testament eine gesonderte Verfügung an, über die wir danach nur aus dem Brief von Franz Mairhuber an Elise Richter vom 4. März 1928 informiert sind: Die Briefe gingen mit den anderen Manuskripten ebenfalls an die Universitätsbibliothek, lediglich die privaten Briefe, einschließlich der familiären, sollten nach dem Tod der Mairhubers verbrannt werden. Ob dies vollständig vollzogen wurde, wissen wir nicht mit Sicherheit.