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Europa in der atlantischen Welt der Neuzeit

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Mensch, Umwelt, Gesellschaft (1450-1550)

Dass demographische Prozesse, die im Artikel von Josef Ehmer in zeitlich übergreifender Perspektive (1450-1850) vorgestellt werden, für die gesellschaftliche Entwicklung von elementarer Bedeutung sind, gehört zu den Wissensbeständen, deren Relevanz den Zeitgenossen des beginnenden 21. Jahrhunderts nicht mehr ausführlich näher gebracht werden muss (Demographie).

Trotz der erheblichen Bevölkerungsdynamik stellte das aus dem Mittelalter überkommene und zu Beginn der Neuzeit breiter popularisierte Ordnungsmodell der Ständegesellschaft bis ins ausgehende 18. Jahrhundert seinen Stellenwert für die Art und Weise, wie die Menschen ihre Gesellschaft verstanden. Und auch die Tatsache, dass es von Anbeginn mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit nur partiell kongruent war, weil es die Bewohner der Städte nicht integrierte, sondern den beiden oberen Ständen des Lehr- (d. i. Geistlichkeit, die in ihren hohen Rängen – Erzbischöfe, Bischöfe etc. – dem Adel angehörte) und Wehr-Standes als dritten Stand nur den Nährstand (Bauern) gegenüberstellte, war seiner historischen Wirkmächtigkeit lange Zeit nicht abträglich. Da die Zurechnung zum Stand des Adels, der Bürger der Städte und der Bauern zudem von den Eigentumsverhältnissen her gedacht wurde, gerieten all diejenigen, die über kein Eigentum verfügten, die unterbürgerlichen und -bäuerlichen Schichten, ebenso wenig in den Fokus dieser gesellschaftlichen Ordnungsvorstellung wie Randgruppen und Minderheiten ( Soziale Formationen; Diskurse und Praktiken).

Bei aller gesellschaftlichen Ungleichheit, die, im Gegensatz zu heute, positiv konnotiert wurde, und die sich nicht zuletzt in den verschiedenen Lebensräumen, in denen sich die Menschen bewegten, niederschlug, wurden doch die Geschlechter- und Familienbeziehungen lange Zeit als Normen gehorchend gedacht, die in einer ständeübergreifenden Form sozialer Vergemeinschaftung verankert waren – dem sog. „ganzen Haus“, das sich erst in der Zeit um 1800 beschleunigt aufzulösen begann. Bei aller Kritik (hierzu: Ganzes Haus) an diesem, von dem österreichischen Historiker Otto Brunner (1898-1982) „entdeckten“ sozialen Tatbestand, ist doch er es, der verdeutlicht, dass das Verhältnis von Individuum resp. Individualität und Gesellschaft im gesellschaftlichen Denken grundsätzlich anders gelagert war, als dies in den europäischen Gesellschaften (endgültig) seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Fall ist (Lebensformen und Lebenswelten).

Wiewohl das harmonische Miteinander der Stände als gesellschaftliches Ideal dem Ordnungsmodell „ständische Gesellschaft“ inhärent war, endete seine gesellschaftlich integrierende Wirkung dort, wo das Ausmaß an Veränderungsdynamik, wie sie gerade in der Zeit um 1500 besonders ausgeprägt war, die Menschen mit Problemlagen konfrontierte, die sie als unvereinbar mit ihrer altüberkommenen gesellschaftlichen Stellung betrachteten. Nicht nur duldend, sondern aktiv handelnd waren die Menschen, von den (unter-)bäuerlichen Schichten bis zum niederen Adel, daher bestrebt, dem Geltung zu schaffen, was sie als die „rechte Art“ gesellschaftlicher Ordnung verstanden (Diskurse und Praktiken). Und so ist es kein Zufall, dass die bis zur Französischen Revolution größte soziale Erhebung der neuzeitlichen Geschichte, der sog. Bauernkrieg, auf die Jahre 1524 – 1526 datiert (vgl. C III).

Weitere kurze Informationen zu den einzelnen thematischen Aspekten finden Sie, angereichert um weiterführende Literaturhinweise und Quellen – neben den hier präsentierten Lernmaterialien – für dieses Jahrhundert und die Zeit bis 1789 unter:

http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/ - „Soziale Ordnung“.

GHM, MR