Kartographie

Für die Rekonstruktion der Wahrnehmung der Stadt Graz spielt neben den Abbildungen und beschreibenden Quellen die zeitgenössische Kartierung eine zentrale Rolle. Um dem Aspekt der Wandels in den Blick zu nehmen wurden hierfür als Ausgangspunkt der Franziszeische Kataster aus dem Jahr 1829 und als Abschluss die sogenannten „Feldskizzen“ vom Beginn des 20. Jahrhunderts ausgewählt. Diese kartographischen Quellen wurden einst unter administrativen Gesichtspunkten erstellt und zeichneten sich insbesondere durch ihre zeichnerische Genauigkeit aus. Die digitalisierten Kartenwerke wurden entzerrt und vektorisiert, d.h. die verzeichneten Orte (Gebäude, Grünflächen, Wege, Wasserflächen) wurden als Geoobjekte in das System und können nun einzeln abgefragt werden.

Für den Verlauf der Entwicklung der Stadt wie ihrer Wahrnehmung wurden zudem 14 repräsentative kartographische Darstellungen des Grazer Stadtraumes aus dem langen 19. Jahrhundert in das System integriert.

Überlagerung einer georeferenzierten Altkarte mit den Vektordaten, erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Abb.1: Überlagerung einer georeferenzierten Altkarte mit den Vektordaten, erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Im Unterschied zu den administrativen Kartenmaterialien lag der Zweck dieser nicht in der amtlichen Registrierung der Stadt, sondern in der Orientierung durch den/die potentielle Leser*in, zur Veranschaulichung von Texten, denen sie beigegeben waren oder auch zu Repräsentationszwecken. Dies spiegelt sich in der vielfach sehr vereinfachten Darstellungsweise wider. und im Detailgrad von Gebäuden, Straßen oder Gewässern. Diese Abweichungen vom euklidischen (gemessenen) Raum, darf nicht als Manko verstanden werden, da gerade sie einen Eindruck vermittelt, was den Produzenten der Karten an der Stadt für wichtig bzw. marginal erschien.

Franziszeischer Kataster 1829

Der Franziszeischer Kataster dient in georeferenzierter Form als Referenzkarte (Rasterdatensatz) für die Transkription bzw. Vektorisierung des historischen Stadtraumes. Die sehr detailreichen und authentischen Katasterpläne aus den späten 1820er-Jahren wurden im Projektverlauf in einem ersten Schritt bearbeitet. Bei der Vektorisierung des Franziszeischen Katasters wurde auf einen bereits vorhandenen WMTS-Dienst (Web-Map-Tile-Service) von GIS-Steiermark zurückgegriffen. Die Mappenblätter sind nicht nur als Open Government Data (OGD) online verfügbar, sondern lassen auch in georeferenzierter Form in ein GIS einbinden. Auf dieser Basis wurde die Transkription folgender Elemente in ArcGIS durchgeführt: building, street, square, monument, bridge, water, green, fortification. Jedes Polygon wurde mit einer eindeutigen ID in der Attributtabelle versehen. Diese setzt sich aus Jahreszahl, Quelle, Kartenabschnitt, Kategorie und einer spezifischen Objektnummerierung zusammen. Für das Grazer Rathaus ergab sich dadurch zum Beispiel die ID 1829_FKG_Gra_build_193. Durch diese Zusammenstellung konnte eine Überschneidung von ID’s ausgeschlossen werden. So generierten wir rund 4.900 Polygone aus dem Franziszeischen Kataster, welche als Basis für die weiteren Anreicherungen mit anderen Quellengattungen dienten.

Feldskizzen 1905

Um die (Weiter-)Entwicklung der Stadt zeigen und zeitlich differenzieren zu können, war es notwendig, eine möglichst detailgetreue Stadt-Vermessung am Beginn des 20. Jahrhunderts zu vektorisieren. Ergänzend zum Franziszeischen Kataster wurde auf den Bestand von rund 400 einzelnen Mappenblätter der sogenannten Feldskizzen im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen zurückgegriffen. Gezeichnet wurden diese in den Jahren der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Im Projekt wurden diese einheitlich mit dem Jahr 1905 datiert. Die Mappenblätter lagen bereits in gescannter Form vor und wurden dem Projektteam auf Basis einer Nutzungsvereinbarung für die Vektorisierung zur Verfügung gestellt.

Im GIS zusammengesetzte Mappenblätter der Feldskizzen (1905), erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Abb.2: Im GIS zusammengesetzte Mappenblätter der Feldskizzen (1905), erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Die Einzelblätter umfassen jeweils nur einen kleinen Teilbereich des alten Grazer Stadtraumes. Daher wurden diese auf Basis von aktuellen Vermessungsdaten in einem ersten Schritt im GIS georeferenziert und anschließend wiederum vektorisiert. Aufgrund der Genauigkeit der historischen Mappenblätter, ergab sich aber nur eine sehr geringe Verzerrung der Originale.

Überlagerung von Raster- und Vektordaten der Feldskizzen (1905), erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Abb.3: Überlagerung von Raster- und Vektordaten der Feldskizzen (1905), erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Wie beim Kataster aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wurden die Elemente in Kategorien building bis water transkribiert und mit eindeutigen ID’s versehen. Für das Grazer Rathaus ergaben sich auf Basis der Feldskizzen zum Beispiel die ID‘s 1905_FS_349_build_2a, 1905_FS_349_build_2b und 1905_FS_349_build_2c. Durch den hohen Detailsgrad konnten wir am Beispiel des Rathauses aus einem Gebäude mehrere Vektordatensätze erstellen. Das war insbesondere für die Anreicherung nur einer Fassadenseite von Vorteil, da nicht die gesamte ID eines Gebäudes herangezogen werden musste. Insgesamt sind bei der Vektorisierung der Feldskizzen rund 8.600 Polygone entstanden.

Georeferenzierung Altkarten

Neben der Erstellung von Vektordaten auf Basis der administrativen Vermessungskarten diente eine Auswahl an 14 Altkarten als Grundlage für die klassische Georeferenzierung. Diese veranschaulichen den gesamten Zeitraum des langen 19. Jahrhunderts und entstammen unterschiedlichsten Provenienzen. Auf die Digitalisierung der analogen Druckwerke folgte in einem ersten Schritt das Setzen von Referenzpunkten im GIS. Es wurde festgelegt, dass bei allen Karten eine ähnliche Zahl an Punkten gesetzt wird. Auf den historischen Stadtraum wurden je Karte rund 200 Referenzpunkte verteilt.

Verteilung der Referenzpunkte für die Georeferenzierung einer Altkarte, Polsterer 1827, erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Abb.4: Verteilung der Referenzpunkte für die Georeferenzierung einer Altkarte, Polsterer 1827, erstellt von Matthias Holzer, 2021.

Dabei galt es Fixpunkte zu finden, die in möglichst allen Karten enthalten waren. Fixpunkte waren u.a. Verwaltungsgebäude, Kirchen, Plätze. Es ergaben sich aber dennoch sehr unterschiedliche Verzerrungen, die jeweils vom Detailierungsgrad der Altkarten abhängig waren. Hauptziel war aber eine möglichst genaue Referenzierung der Altkarten auf den heutigen Vermessungsstand. Daher war es in einem zweiten Schritt aber auch notwendig, einzelne Punkte wieder zu löschen, zu ergänzen oder auch zu verschieben. Dies führte zwar zu einem Abweichen der Referenz zwischen Altkarte und aktuellem Vermessungsstand, starke Verzerrungen des Originals konnten damit aber verhindert werden. In vielen Fällen waren die Objekte in den Altkarten stark vereinfacht ausgeführt bzw. generalisiert eingezeichnet.

Analyse

Der rein quantitative Vergleich zwischen der Anzahl an Polygonen des Franziszeischen Katasters und der Feldskizzen ergab ein eindeutiges Bild. Im Zeitraum von rund 70 Jahren zwischen der Erstellung der beiden kartographischen Quellen kam es beinahe zu einer Verdoppelung der Polygone. Im Rahmen der Transkription kam es immer wieder zu vereinzelten Generalisierungen, aber eine Zunahme ließ sich eindeutig belegen. Insbesondere was den Gebäudebestand betrifft, war das lange 19. Jahrhundert von einem starken Wachstum und auch Urbanisierung geprägt. Das spiegelt sich bis heute sehr anschaulich in der charakteristischen gründerzeitlichen Vorstadtbebauung auf beiden Seiten der Mur wider.

Literatur

Fachliteratur

Sokrates DIMITRIOU: Stadterweiterung von Graz. Gründerzeit, in: Wilhelm STEINBÖCK (Hg.): Publikationsreihe des Grazer Stadtmuseums, Bd. II, Graz 1979, 220S.

Wiltraud RESCH: Die erste städtebauliche Erweiterung von Graz zum Höhepunkt der Gründerzeit ab der Mitte des. 19. Jahrhunderts, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 29/30, Graz 2000, S.243–271.

William H. HUBBARD: Auf dem Weg zur Großstadt. Eine Sozialgeschichte der Stadt Graz 1850–1914, in: Herbert KNITTLER, Michael MITTERAUER (Hgg.): Sozial- und wirtschaftshistorische Studien, Bd. 17, Wien 1984, 283S.

Walter BRUNNER (Hg.): Geschichte der Stadt Graz. 4 Bände, Eigenverlag der Stadt Graz, Graz 2003.

Österreichische Kunsttopographie, Bd. LIII: Die Kunstdenkmäler der Stadt Graz. Die Profanbauten des I. Bezirkes. Altstadt. Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Wien 1997, 712 S.

Österreichische Kunsttopographie, Bd. LX: Die Kunstdenkmäler der Stadt Graz. Die Profanbauten des II., III. und VI. Bezirkes. Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Wien 2013, 1039 S.

Österreichische Kunsttopographie, Bd. XLVI: Die Kunstdenkmäler der Stadt Graz. Die Profanbauten des IV. und V. Bezirkes. Herausgegeben vom Bundesdenkmalamt, Wien 1994, 477 S.

DEHIO-Handbuch. Die Kunstdenkmäler Österreichs – Graz. Institut für österreichische Kunstforschung des Bundesdenkmalamtes (Hg.), Wien 1979, 284 S.

Sachliteratur

Josef Andr. JANISCH: Graz. Eine Stadt im 19. Jahrhundert. Heinz Heikenwälder (Hg.), Graz 1995, 159 S.

Gerhard Michael DIENES: Eine Stadt vor 100 Jahren. Graz – Bilder und Berichte. 1997 München, 104 S.

Karl Albrecht KUBINZKY: Graz im Wandel. Ein Spaziergang durch ein Stadtbild, das es nicht mehr gibt. Graz 1987, 189 S.

Karl Albrecht KUBINZKY: Graz aus der Vogelperspektive. Die steirische Landeshauptstadt in alten und neuen Luftbildern. Graz 1984, 221 S.

Werner STRAHALM / Peter LAUKHARDT: Graz - Unsere Stadtgeschichte. 5. ergänzte Auflage, Graz 2006, 256 S.

Diverses

Walter HOCH: Die Stadtplanung Graz im 19. Jahrhundert. Ihre Entwicklung aus Sicht der heutigen vier Agenden der Stadtplanung Graz A 14. Stadtplanungsamt Graz (Hg.), Graz 2017, 47 S.

Walter HOCH: Die Entstehung der Stadtvermessung Graz. Historie – Zeittafel – Anhänge. Stadtvermessung Graz (Hg.), 2. Auflage, Graz 2016, 26 S.

Barbara PISKATY: Georeferenzierung des Franziszeischen Katasters im Rahmen des GIS-Steiermark. Masterarbeit am Institut für Geoinformation an der TU-Graz, Graz 2009, 158 S.