Briefe 1865

Die untenstehende Briefliste ist mit Klick auf die jeweiligen Kategorien sortierbar. Absender und Empfänger werden nach Familiennamen sortiert.

Die mit * markierten Briefnummern entstammen der ersten Version dieser Edition, in welcher Briefe bis zum Jahre 1880 erschlossen wurden. Briefe ohne alte Numerierung und mit einer Datierung vor 1880 wurden nachträglich eingefügt.

KennungMarker KennungAbsenderMarker AbsenderEmpfängerMarker EmpfängerDatumMarker DatumOrtMarker Ort
L.207 *R.169Viktor von LangAlexander Rollett[v.1865] [?] [?]Wien
L.201 *R.164Alexander RollettEmil Rollett1865 I 5Graz
L.202 *R.165Emil RollettAlexander Rollett1865 I 11Wien
L.203 *R.166Alexander RollettEmil Rollett1865 I 16Graz
L.204 *R.167Emil RollettAlexander Rollett1865 I 20Wien
L.205 *R.168Carl LudwigAlexander Rollett1865 I 26Wien
L.206Alexander RollettKarl Rollett1865 I 27Graz
L.208 *R.170Viktor von LangAlexander Rollett1865 I 29Wien
L.209 *R.171Viktor von LangAlexander Rollett1865 [n.I] [29][Wien]
L.210 *R.172Carl LudwigAlexander Rollett1865 II 4Wien
L.211 *R.173Alexander RollettEmil Rollett1865 II 12Graz
L.212 *R.174Emil RollettAlexander Rollett1865 II 14Wien
L.213 *R.175Ernst Wilhelm BrückeAlexander Rollett1865 II 19Wien
L.214 *R.176Alexander RollettEmil Rollett1865 III 18Graz
L.215 *R.177Emil RollettAlexander Rollett1865 III 22Wien
L.216 *R.178Julius Planer von PlannAlexander Rollett1865 IV 9[Graz]
L.217 *R.179Th[eodor] KistjakowskyAlexander Rollett1865 IV 24Graz
L.218 *R.180Alexander RollettEmil Rollett1865 IV 29Graz
L.219Alexander RollettKarl Rollett1865 V 8Graz
L.220 *R.181Emil RollettAlexander Rollett1865 V 8Wien
L.221 *R.182Alexander RollettEmil Rollett1865 V 22Graz
L.222 *R.183Emil RollettAlexander Rollett1865 V 29Wien
L.223Max SchultzeAlexander Rollett[1865-1872] VI 4Bonn
L.224 *R.184Otto BeckerAlexander Rollett1865 VI 9Baden
L.225 *R.185Alexander RollettEmil Rollett1865 VI 13Graz
L.226 *R.186Emil RollettAlexander Rollett1865 VI 15Wien
L.227 *R.187Alexander RollettEmil Rollett1865 VII 9Graz
L.228 *R.188Emil RollettAlexander Rollett1865 VII 10Wien
L.229 *R.189A[lexander Porfiryevich] BorodinAlexander Rollett1865 VII 12Graz
L.230 *R.190Emil RollettAlexander Rollett1865 VII 25Baden
L.231 *R.191Alexander RollettEmil Rollett1865 VIII 2Graz
L.232Alexander RollettHermann Rollett1865 IX 9Graz
L.233 *R.192Viktor von LangAlexander Rollett1865 [IX] [13][Graz]
L.234 *R.193Emil RollettAlexander Rollett1865 IX 14Eisenerz
L.235 *R.194Alexander RollettEmil Rollett1865 IX 18Graz
L.236 *R.195Viktor von LangAlexander Rollett1865 IX 18Wien
L.237 *R.196Emil RollettAlexander Rollett1865 X 4Wien
L.238 *R.197Viktor von LangAlexander Rollett1865 X 12Wien
L.239 *R.198Alexander RollettEmil Rollett1865 X 20Graz
L.240 *R.199Emil RollettAlexander Rollett1865 X 29Wien
L.241 *R.200Alexander RollettEmil Rollett1865 XI 5Graz
L.242 *R.201Alexander RollettEmil Rollett1865 XI 9Graz
L.243 *R.202Viktor von LangAlexander Rollett1865 XI 10Wien
L.244 *R.203Emil RollettAlexander Rollett1865 XI 11Wien
L.245 *R.204Alexander RollettEmil Rollett1865 XII 7Graz
L.246 *R.205Emil RollettAlexander Rollett1865 XII 11Wien
L.247 *R.206A[lexander P.] BorodinAlexander Rollett1865 XII 12St. Petersburg
L.248 *R.207Viktor von LangAlexander Rollett1865 XII 18[Wien]
L.249 *R.208Alexander RollettEmil Rollett1865 XII 22Graz
L.250Alexander RollettKarl Rollett1865 XII 24Graz

L.201 *R.164

1865 I 5, Graz

Lieber Bruder!

Soeben lese ich in der Beilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung Nr. 2 des Jahres 1865 das Folgende:

‚Ausschreibung: Der Lehrstuhl der speziellen Pathologie und Therapie und der med. Klinik an der medizinischen Fakultät der Züricher-Hochschule, mit welchem die Direktion der medizinischen Abteilungen der Krankenanstalt verbunden ist, wird anmit zur Bewerbung ausgeschrieben. Die Aspiranten haben ihre Meldungen bis zum 9. (neunten) Januar (Jänner) 1865 der Erziehungsdirektion einzusenden, bei welcher über die Anstellungsverhältnisse nähere Erkundigungen eingezogen werden können. Zürich, 23. Dez[ember] 1864. Der Erziehungsdirektor: Dr. Ed. Suter; der Direktionssekretär: Fr. Schweizer.’

Ich habe es wörtlich abgeschrieben, um Dir, da die Sache dringlich ist, längeres Suchen zu ersparen. Man könnte wagen, ein kurzes Gesuch, gleichzeitig mit einem Schreiben an Ed. Suter, abzusenden. Besser etwas tun, als nichts. Wären Kliniker dicht angebaut, dann hätten die Züricher nichts ausgeschrieben. Schaden, glaube ich, kann eine Anfrage nicht, hier wird es ja ohnehin niemand erfahren. Handle wie Du glaubst. In einem nächsten Briefe werde ich Dir einige Vorschläge zu einer klinischen Erhebung über Magenblutungen machen, vielleicht können wir dann etwas Gemeinsames arbeiten.

Jetzt trage ich diesen Brief auf die Post, damit er mit dem Schnellzuge abgeht.

Bald mehr, lebe wohl, Dein

Alexander

Meine Neujahrsgratulation, wenn Du nicht in Baden warst, Deinen Brief vom 31. [Dezember 1864] erhalten.

L.202 *R.165

1865 I 11, Wien

Lieber Bruder!

Zunächst meinen besten Dank für die Mitteilung der Züricher Angelegenheit. Ich habe aber aus verschiedenen Gründen die Sache fallen gelassen. Dieselbe schien mir im Voraus ganz hoffnungslos, auch war mir die Zeit zu kurz bemessen und überdies traf mich Dein Schreiben in einem sehr miserablen Zustande, da ich an einem Grippeanfall leidend wegen Brust- und Kopfschmerzen und leichten Fieberbewegungen zu allen Unternehmungen unfähig war. Jetzt geht es mir bis auf einen sehr lästigen Husten und Schnupfen wieder ziemlich gut. Becker ist sehr erfreut und glücklich über das Geschenk, welches ihm seine Frau zum neuen Jahre darbrachte und das in einem gesunden Buben besteht. Er ersuchte mich, dies Dir und seinen Grazer Freunden, Schauenstein etc., mitzuteilen.

Unlängst kamen mir die Statuten der Witwen-Societät in die Hände. Vielleicht interessiert es Dich, einige Daten zu erfahren. Danach zahlt ein 32-jähriger Mann, wenn derselbe eine Frau heiratet mit 17 Jahren 746 Gulden, mit 18 – 714, mit 19 – 682, mit 20 – 648, mit 21 – 618, mit 22 – 587, mit 23 – 557, mit 24 – 525, mit 25 – 493, mit 26 – 461, mit 27 – 429, mit 28 – 396, mit 29 – 366 und mit 30 Jahren – 336 Gulden. Nun glaube ich, wirst Du vorläufig genug haben.

Also mit dem Abgang Ludwigs nach Leipzig wird es nun doch Ernst werden. Die Gründe hiefür findest Du in einem Artikel der medizinischen Wochenschrift von heute Nr. 3. Große Aufregung und Kampfbegierde herrscht gegenwärtig in den beiden Lagern der Wiener medizinischen Fakultät, insbesondere seit der ohne Zweifel Dir wohl bekannten Professoren-Adresse an Schmerling. Auch die in den Zeitungen veröffentlichte Aufforderung des Studenten-Komittees, sich an der für August festgesetzten Jubelfeier absolut nicht zu beteiligen, bringt in unser träges Universitätsleben etwas mehr Bewegung.

Ich erwarte mit lebhaftem Interesse Dein versprochenes Schreiben und sage Dir für diesmal mit tausend Grüßen ein herzliches Lebewohl, Dein

Emil

L.203 *R.166

1865 I 16, Graz

Lieber Bruder!

Dein letztes Schreiben hat mich, ich gestehe es Dir, etwas beunruhigt, insoferne ich anzunehmen glaube, dass Du Dein Versprechen der zu beobachtenden Vorsicht bezüglich Deines leiblichen Ich doch nicht so ganz gehalten hast. Ich bitte Dich deshalb neuerdings, ja möglichst rücksichtslos Deiner zu pflegen. Verdient denn Deine Umgebung, dass Du aus Rücksicht für sie auch nur der Gefahr des leisesten Übelbefindens Dich aussetzest. Nach Deinen letzten Briefen muss ich das verneinen. Übrigens rate ich Dir, alle Schikanen mit Gleichmut zu ertragen. Glaube mir, dass der Nepotismus und niedrige Eigennutz, der gewisse Leute erfüllt, doch am Ende nur ihnen selber schaden wird; ich meine, man muss mit einer alles Menschliche abstreifenden und erzwungenen Selbstsucht – so viel man dies eben im Stande ist – eine Stelle wie die Deinige jenen Widersachern zum Trotz ausnutzen.

Es gilt dies in jeder Beziehung, vorzüglich will ich Dir diese meine Meinung aber aus dem Grunde gerade jetzt auseinandersetzen, weil ich Deine Ansicht über die Züricher Angelegenheit nicht ganz teilen kann. Glaube mir, ein Wiener Assistent von Oppolzers […] Klinik imponiert den Leuten an und für sich und außerdem kannst Du ja auf einige Arbeiten, wie sie die berühmtesten Kliniker selbst gar nicht anders machen, hinweisen. Warum ist Gerhardt nach Jena gekommen? Was hatte Duchek gemacht, zurzeit als er nach Heidelberg berufen wurde? Doch genug davon, ich mache Dir gar keinen Vorwurf, dass Du für diesmal nichts getan hast, auch Du wirst mir Gründe für Deinen Entschluss entwickeln können, und bis zu einer nächsten Gelegenheit werde ich Dir persönlich meine hier nur angedeutete Meinung auseinandersetzen können.

Nun zu der versprochenen Magen-Geschichte. Es kommt im Magen, und zwar in der Schleimhaut (respektive Pepsindrüsenschichte) eine eigentümliche Gefäßverteilung vor. Das Schema dafür ist Folgendes

Marker

Die Drüsenschläuche aa, bb, cc (es sind 3 gezeichnet) erhalten ihre Kapillaren von einer Arterie, welche sich an dem submukösen Bindegewebe zugekehrten, blindsackförmigen Ende in ihre Zweige auflöst, die Kapillaren umspinnen die Schläuche, ehe sie aber bis an das freie Ende der Schläuche gelangen, sammeln sie sich in Venen, welche die Eingänge in die Drüsen netzförmig umgeben, sodass wenn man die injizierte Magenschleimhaut von oben ansieht, die Eingänge in die Drüsen von Maschen dicker Gefäße umgeben allein wahrgenommen werden, wie

Marker

zeigt.

Dieses Netz an der inneren Oberfläche des Magens ist ein wahrer plexus venosus gastricus.

Die Gefäßverteilung, welche ich, ohne etwas davon zu wissen, an injizierten Mägen auffand, ist – wie ich mich durch Nachspüren in der Literatur überzeugte – bekannt, in ihrer Bedeutung gewürdigt ist sie aber nicht und deshalb wird ihrer auch überall nur so nebenher erwähnt, dass man sie gar nicht dem Verständnis nahezubringen sich veranlasst fühlt.

Man sagt gewöhnlich, die Kapillaren der Magenschleimhaut gehen, nachdem sie die Drüsen umsponnen haben, in ein zweites, weiteres Kapillarnetz über, welches dicht unter dem Epithel liegt und aus welchem die durch die Drüsenschicht senkrecht nach abwärts steigenden Venen entspringen.

Ein zweites, weiteres Kapillarnetz? Wo anders kommt ein solches vor? In der Tat und Wahrheit ist dieses sogenannte zweite weite Kapillarnetz eben nichts anderes als ein plexus venosus.

Man überzeugt sich am besten davon, wenn man mit einer Masse (Zinnober in Leim), welche wegen der Größe der Farbstoff-Partikelchen die Kapillaren nicht mehr durchdringen kann, vergleichende Injektionen des Magens, einmal von einer kleinen Arterie an der großen oder kleinen Kurvatur, das andere Mal an einer kleinen Vene an der großen oder kleinen Kurvatur macht.

Ich habe das getan. Injiziert man von der Arterie, so füllt sich eine beschränkte Gefäßprovinz, in welche eben diese Arterie ihre Zweige sendet. Der ganze übrige Teil der Schleimhaut bleibt uninjiziert. Injiziert man von der entsprechenden Vene, so sieht man die Masse bald aus allen anderen Venen der großen und kleinen Kurvatur herausströmen und wenn man nun untersucht, so haben sich nicht nur die großen Venen-Anastomosen des submukösen Bindegewebes, sondern auch der ganze vorerwähnte Plexus an der innern Oberfläche der Schleimhaut vollständig mit Masse angefüllt.

In beiden Injektionsversuchen bleiben die die Drüsen umspinnenden Kapillaren vollständig leer. Aus allem Gesagten folgt aber nun, dass soweit das obige Schema in der Natur verwirklicht vorliegt – und die Abweichungen sind nicht sehr erheblich – an der inneren Oberfläche des Magens ein System vielfach anastomosierender venöser Gefäße vorkommt und fast zu Tage liegt, nur das dünne Epithel läuft darüber. Dieser Venenplexus wird aber, da sein Sammelgefäß in die Pfortader mündet, unter einem hohen Blutdruck stehen. Bei Pfortaderstauungen oder Obliterationen muss er eine wichtige Rolle spielen, wegen seiner oberflächlichen Lage. Wegen seiner Ausdehnung muss er aber zugleich als Wärmeregulator angesehen werden, bei Tieren, welche ihre Nahrung kalt verschlingen, steht die Schnelligkeit, mit welcher der Mageninhalt die für die Verdauung günstigste Termperatur erlangt, gewiss im Verhältnis zur Schnelligkeit des breiten Venenstromes, der, wie die Wärme der Wände eines angeheizten Backofens, mit immer neu zugeführten Wärmemengen das Contentum gar macht. Andererseits wird dieser Venenplexus auch bedeutende Abkühlung der Blutmasse setzen können, wenn bei einigermaßen schnellem Strom in demselben größeren Quantiäten von Eiswasser z.B. aufgenommen werden. Vielleicht erfolgt die so verschrieene schlimme Wirkung eines kalten Trunkes bei erhitztem Körper zunächst von hier aus, denn in der Mundhöhle und im Oesophagus ist wegen des kurzen Verweilens der kalten Getränke eine solche Erklärung nicht zu geben, kurz, das sei der langen Rede kurzer Sinn, ich glaube, es würde sehr schwer sein, eine klinische Studie mit Hinblick auf diese Verhältnisse, mit allem, was drum und dran hängt, zu machen. Ich würde Dir die paar Injektionsversuche, das einzig Neue, was ich gemacht, vielleicht als briefliche Notiz zugehen lassen. Damit und mit den vorliegenden anatomischen Daten wirst Du vielleicht Deine eigenen und anderer Erfahrungen über verschiedene Magenkrankheiten unter einheitliche physiologische Gesichtspunkte bringen können. Wie gesagt, es ist so meine subjektive Anschauung, dass die Kliniker sich schon auf jenen Plexus in mancherlei pathologischen Auseinandersetzungen bezogen haben würden, wenn er eben allgemein bekannt und richtig gewürdigt worden wäre. Mache, was Du glaubst, und schreibe mir darüber. Angaben über die besprochene Gefäßverteilung findest Du: Gerlach, Handbuch der Gewebelehre. Mainz 1850, p. 260; Frey in: Henle und Pfeiffer, Zeitschrift für rationelle Med[izin]. Bd IX, p. 315; Glaettli, Einiges über die Labdrüsen des Magens (Zürich 1852), Inauguraldissertation (die Dir Braumüller um ein paar Kreuzer verschaffen wird); Bergmann, Einiges über den Drüsenmagen der Vögel; Reichert und du Bois, Archiv 1862, p. 581; Brinton, On food and digestion, London 1861, p. 113.

Nun lebe wohl, nächstens wieder etwas, damit der Brief nicht zu schwer wird,

Alexander

L.204 *R.167

1865 I 20, Wien

Lieber Bruder!

Vielen Dank für Dein letztes Schreiben. Ich komme erst jetzt dazu, es zu beantworten, da ich mit der Redaktion eines kleinen Artikels über Blutungen der Leber infolge von Leberkrebs beschäftigt war, der hauptsächlich ein rein klinisches Interesse hat. Die Mitteilungen, welche Du mir über den Plexus venosus gastricus gemacht hast, sind allerdings geeignet, meine volle Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Die außerordentliche Geneigtheit des Magens zu Hyperämien, Katarrhen, Blutungen, nicht nur bei Hindernissen im Pfortadersystem, sondern auch bei allen Respirations- und Zirkulationsstörungen, bei Herz- und Lungenkrankheiten, bei Fiebern überhaupt, ist gewiss mit dieser eigentümlichen Gefäßverteilung im Zusammenhang. Ich gestehe, dass ich mir die hydrostatischen und hydraulischen Gesetze, welche wegen dieser besonderen Gefäßanordnung für die Blutströmung im Magen Geltung haben, erst klar machen muss. Dies scheint aber notwendig, um manche pathologische Vorgänge zu begreifen. Der Querschnittsdurchmesser des Strombettes wird offenbar rasch größer in den Venenplexus der Schleimhaut und des submukösen Gewebes, und die Veränderlichkeit der Räumlichkeiten der venösen Plexus muss in der innigsten Beziehung stehen zu der Nachgiebigkeit des Gewebes, in das sie eingebettet sind. Der Strom im Kapillarnetz des Magens muss also in seinem weiteren Verlaufe rasch an Spannung abnehmen, wenn die Widerstände, die er in dem venösen Plexus findet, sich verringern. Und wie verhält es sich mit den Widerständen in der Leber? Sie können bei der ungeheuren Zahl der Leberkapillaren, die in weite Venen münden, gleichfalls nicht bedeutend sein. Davon scheint aber die resorbierende Tätigkeit des oberflächlichen Plex[us] v[enosus] gastric[us] abzuhängen. In der Tat, wenn ich einem Gesunden Tartar[us] emetic[us] gebe, so wird derselbe rasch ins Blut aufgenommen, und [es] erfolgt Erbrechen, als ob ich in die Venen selbst injiziert hätte. Wenn ich hingegen einem Pneumoniker Tartar[us] emeticus selbst in großen Dosen gebe, erfolgt kein Erbrechen, wie es scheint, weil die resorbierende Tätigkeit des Pl[exus] v[enosus] g[astricus] gehemmt ist, sobald die Widerstände für den Blutstrom wegen Stauung vom rechten Herzen her wachsen. Es kommt auch bei jedem Pneumoniker zur Entwicklung von venöser Leberschwellung und Magenkatarrh.

Ich wiederhole, dass ich in all diesen Dingen noch keine klaren Vorstellungen habe.

So viel ist sicher, dass die Spannung und das Flüssigkeitsvolum im Pl[exus] v[enosus] g[astricus] wachsen muss, wenn der Abfluss abnorme Hindernisse erfährt, also bei allen Stauungen im rechten Herzen, in den Hohlvenen, der Pfortader, daher die Anschwellung der Magenschleimhaut, die vermehrte Schleimsekretion, die häufigen Blutungen bei Herz-, Lungen-, Leberkrankheiten ferner bei Unregelmäßigkeiten der Zirkulation und Respiration, wie sie im Fieber überhaupt vorkommen. Was die Abkühlung der Blutmasse anlangt, durch Einführung von Eiswasser in den Magen, so spricht in der Tat die klinische Erfahrung für diese Annahme. Nichts wirkt wohltätiger bei großer Fieberhitze, als die Einnahme von eiskaltem Wasser. Die schädliche Wirkung des kalten Trunkes wird von manchen Pathologen geradezu für eine Fabel gehalten. Wer nicht aus anderweitigen Bedingungen zur Tuberkulose disponiert ist, der bekomme sie auch nicht nach einem kalten Trunk. Und bei Disponierten wirke das dem kalten Trunk vorausgegangene Echauffement die Congestionierung der Lungen als das eigentlich schädliche Moment, nicht aber der kalte Trunk. Jedenfalls werde ich über das angeregte Thema weiter nachdenken und bitte Dich, mir Deine Ansichten über die physiologischen Verhältnisse des Blutstroms durch den Magen mit Rücksicht auf meine früheren Bemerkungen mitzuteilen.

Unlängst begegnete ich Prof. Brücke. Er sagte mir, dass er noch keine Quelle für den Bezug von Curare gefunden habe, dass er somit Dein briefliches Ansuchen noch nicht befriedigen konnte. Heute sprach ich Dr. Benedikt, der mir sagte, er habe einen Bekannten, welcher ihm Curare den Gramme für 6 fl. liefere. Zugleich machte er sich anheischig, wenn Du einverstanden bist, Dir zur Probe Curare zu schicken. Ich habe natürlich nicht verschwiegen, dass ich ganz aus eigener Initiative und nicht schon in Deinem Auftrage mich um diese Sache kümmerte.

Sehr erstaunt war ich vorgestern, den Dr. Miskey als Mexikaner zu sehen. – Den Medizinerball habe ich heuer aus Rücksicht des wohltätigen Zwecks für meinen Katarrh im warmen Bette zugebracht. Jetzt befinde ich mich wieder ziemlich wohl. Vielleicht besuche ich nächsten Dienstag auf ein paar Stunden den Concordiaball. Ich brauche etwas Zerstreuung und Erheiterung, ist doch das Spitalsleben namentlich jetzt, wo wir nicht weniger als 12 Typhuskranke auf der Klinik haben, gar zu eklig.

Morgen ist eine kleine Soiree musicale-dancante bei Prager.

Nun lebe wohl und schreibe bald wieder Deinem Dich liebenden

Emil

L.205 *R.168

1865 I 26, Wien

Lieber Rollett!

Als ich neulich Heidler meinen Entschluss, das Josefinum zu verlassen, mitteilte, fragte er mich nach meiner Meinung über die Nachfolge. Ich habe ihm die Terna A. Fick, W. Kühne und Rollett vorgeschlagen.

Da es mir nun wahrscheinlich ist, dass man, wenn überhaupt einer von Ihnen drei und nicht Schwanda oder Tomsa in Betracht kommen, auf Sie zielen wird, so können Sie sich einstweilen überlegen, was Sie zu tun beabsichtigen, wenn die Berufung an Sie gelangt. Ich glaube, dass Sie dazu aber noch Zeit haben, weil in diesem Sommer Tomsa die Vorlesung übernehmen wird. – Brücke, der begreiflich Ihre Anwesenheit sehr wünscht, hat mich veranlasst, diese Mitteilung an Sie gehen zu lassen.

Mir tut es sehr leid, Wien verlassen zu müssen. Sie wissen aus eigener Anschauung, wie gern ich hier war. Aber Sie werden auch begreifen, dass ich nicht wohl anders konnte. Die langjährigen Reibungen hatten endlich soviel Feilspäne zwischen den Gang geworfen, dass mein Wesen ganz ins Stocken kam. Nun ist es mir leid, dass man aus lauter gutem Willen soviel Lärm macht. Für mich ist es am besten und mir wäre es am liebsten, wenn ich unvermerkt absegeln könnte.

Danken Sie Lang in meinem Namen für seine schöne Abhandlung. Wenn ich noch Zeit finde, so werde ich ihn bitten, den Groll gegen unsere Akademie aufzugeben. Wir schätzen ihn hier sehr, und ich zweifle nicht, dass dieses Gefühl bald einen tatsächlichen Ausdruck findet. Baumgartner, Littrow, Brücke und ich hatten schon in dieser Nachsicht Verabredungen gepflogen, und ich bedaure, dass ich nicht mehr an dem Vorhaben Anteil nehmen kann. An Mach lege ich ein paar Worte bei, die Sie ihm gütigst übermitteln wollen.

Mit alter Treue Ihr

C. Ludwig

Lieber Vater!

Zu Deinem morgigen Namensfeste bringe ich Dir meine herzlichsten Glückwünsche dar, ich hoffe, dass sie Dich in bestem Wohlsein treffen werden.

Ich bin Dir noch meinen Dank für Dein letztes Schreiben schuldig, überraschend war es mir, dass die Sendlinge, welche ich nicht rasch genug abzuschicken glaubte, erst nach acht Tagen der Ehre teilhaftig wurden, die ich ihnen viel früher zugedacht habe.

Eine Widmung, welche Professor Tomaschek einem ähnlichen Paket nach Wien beilegte, ist sehr launig und ich will sie deswegen hier mitteilen:

"Zum Zeichen, dass ich Euer denk

Zu jeder Zeit

Sei Euch als mageres Christgeschenk

Dies fette Paar geweiht.

Ich seh Euch lächeln ob dem Quark

Doch möget Ihr nicht staunen,

Das Eigenste der Steiermark

Sind Trotteln und Kapaunen"

Dies als Nachtrag.

Durch Frau von Gross (Louise geborene Weigelein), welche ich unlängst begegnete [sic], erfuhr ich, dass Dr. Habel [?] für einen Tag in Graz war.

Frau Gross war sehr freundlich, führte mir ihren Mann und ein dickes liebes, kleines Töchterchen auf. Ich werde sie nächstens besuchen, auch um die Mädchen hatte sie sich freundlichst erkundigt.

Louis Schwarz schüttelt sehr, sehr häufig den Kopf, dass Dich aber Dein Vater gar nicht besucht, sagt er dabei, und ich schüttelte mit. Auf einem Maskenball, zu welchem ich mit Schwarz förmlich genötigt wurde, neckte uns die unternehmende Frau von Schwarz, als schwarzer Domino in einer köstlichen Weise. Als wir sie schließlich erkannten, fuhr sie ab. Den nächsten Tag gab es vielen Spaß, sie leugnete, auf dem Ball gewesen zu sein und Louis Schwarz vermochte nicht, sie zu entlarven, dies gelang mir endlich durch eine Reihe äußerst spitzfindiger Kreuz- und Querfragen, wofür ich unter allgemeinem Gelächter mir den Titel eines Großinquisitors beilegte. Dies ein Pröbchen unseres hiesigen Lebens.

Nun möchte ich Dir noch eine Mitteilung in einer sehr ernsthaften Angelegenheit machen. Wenn Du in Zeitungen oder sonst wie die Nachricht erhalten solltest, dass ich demnächst an Ludwigs Stelle nach Wien übersetzt werden solle, dann bitte ich Dich, ja nichts von all dem Geschwätz zu glauben. Ich werde Dich sicher rechtzeitig von dem Stand dieser Angelegenheit, soweit sie mich betrifft, in Kenntnis setzen.

Für jetzt nur soviel, dass es mir im höchsten Grade unangenehm und störend ist, dass durch die Indiskretion eines Notizensammlers überhaupt mein Name öffentlich mit dieser Angelegenheit in Verbindung gebracht wurde.

Ich bitte Dich, der Mutter einen Handkuss, den Geschwistern viele Grüße auszurichten. Meine Glückwünsche erneuernd bleibe ich Dein allerdankbarster

Alexander

L.207 *R.169

[v.1865] [?] [?], Wien

Lieber Freund!

Damit Sie sich in Ihrer Freundlichkeit nicht etwa doch umsonst plagen (von wegen der Haematoglobulinkristalle) muss ich Ihnen sagen, dass wegen Unvollständigkeit der Lenoirschen Apparate ich meine Projektionsgedanken aufgegeben habe und mich darauf beschränken werde, die Teichmannschen Kristalle mit dem Mikroskop auf der Vorlesung zu zeigen.

Pebal hatte großes Verlangen nach Ihnen. Ist aber schon gestern trotz alles Zuredens von Seite Peters und meiner abgereist [sic].

Auf baldiges Wiedersehen

V. Lang

Entschuldigen Sie gütigst den Mangel eines Kuverts.

Anmerkung Zur Datierung: Der Brief trägt anstelle eines Datums die Angabe „Samstag”.Terminus post quem: Lang ist wieder in Österreich (d.h. nach 1864 VIII 4), Terminus ante quem: Du-Fuß zwischen Lang und Rollett nachweisbar erst ab 1865 I 29 Wien

L.208 *R.170

1865 I 29, Wien

Lieber Freund!

Ich wollte Dir schon lange schreiben, allein meine Vorlesungen kosten mir leider viel Zeit und fangen dieselben an, mir nach und nach schon sehr lästig zu werden. Umso mehr als ich nicht eigentlich nachzudenken habe, was ich in den Vorlesungen sagen soll, sondern vielmehr, was ich verschweigen muss. Einige pharmazeutische Rigorosen haben mich gehörig über die Dummheit meiner Zuhörer aufgeklärt.

Ich danke Dir noch für Deine Bemerkungen in Betreff Bauers. Derselbe kandidierte auch hier für die Technik, eines Tages aber telegrafierte Hlasiwetz, dass er die Stelle haben will, und wird sie Letzterer wohl auch bekommen. Von Tomaschek habe ich eigentlich fast gar nichts gesehen. Glücklicher war ich mit Peters, welchen ich nach seiner improvisierten Montagsvorlesung in Daums Bierhalle schleppte.

Brücke interessiert sich seit einiger Zeit für Edelsteine! Durch Stefan gab ich ihm einige Auskunft über die Gestalt der Brillanten und gab ihm den Titel eines Buches über das Schleifen der Edelsteine. Dies kaufte er sich und schrieb mir einige Zeilen, dass er es mit Interesse gelesen.

Littrow ist ganz Elektromagnet und hält Mollitzers Elektromotor für eine der größten Entdeckungen unseres Jahrhunderts! Derselbe hielt in der letzten Sitzung eine große einstudierte Pauke gegen Liharzik, der an der phil[osophischen] Fakultät privatdozieren wollte über magische Quadrate etc. Brühl hatte sonderbarerweise ein für Liharzik sehr günstiges Referat geliefert, darin auch beantragt, das Ministerium möge Liharzik zum Privatdozenten ernennen, wofür er von Bonitz jämmerlich verrissen wurde.

Ich hoffe, Du lässt den Karneval nicht ganz ungenutzt vorüber und beschreibst auf glattem Boden zierliche Epicycloiden. Freilich gehe ich Dir mit schlechtem Beispiele hier voran.

Hier ist (nicht isst) alles Trichine. Ich vermute, dass Du auch demnächst zum Harpunieren anfangen wirst, um die Veränderung der Trichinen mit Deinem heizbaren Mikroskope zu studieren.

Apropos, wenn Wendl mir einen Rotationsapparat mit hohler Achse ähnlich Deinem machen will, so würde ich ihm die Zeichnung und Geld schicken. Natürlich mit Deiner Erlaubnis.

Pebal bitte ich zu sagen, dass ich in betreff der Schriften ganz gut warten kann, weniger gut aber das Wiedersehen von seinem teuren Antlitz erwarten und daher letzteres sehnlichst herbei wünsche.

Viele Grüße an Tomaschek und die übrigen Spießgesellen. Dich bestens grüßend

Lang

L.209 *R.171

1865 [n.I] [29], [Wien]

Lieber Freund!

Ich schicke hier die Zeichnung des gewünschten Rotationsapparates, einige Erklärungen und 10 fl ö. W. für Wendl.

Farblose Herapathite kann ich mir nicht denken. Dieselben sind dünn, schwach grünlich in dickeren Schichten rötlich. Am besten wäre es vielleicht, die Farbe der Heraphit [sic] und Tourmalineuntereinander oder mit Hilfe gefärbter Gläser zu kompensieren.

Auch könnte man dem einfallenden Lichte jede Farbennuance erteilen dadurch, dass man es noch früher durch einen Nikol und eine senkrecht zur Achse geschnittene Quarzplatte gehen lässt. Auch könnte man das einfallende Licht mit Hilfe eines schwarzen Spiegels oder Glaseinsatzes polarisieren, so dass man nur oben ein Nikol oder eine für seine Farbe kompensierten Tourmaline anwendet.

Ich besitze schwach bräunlich gefärbte Tourmaline, die sich mit einiger Mühe gewiss kompensieren lassen und die ich Dir gerne zur Verfügung stelle. Zwei Herapathitplatten, die ich besitze, heißen nicht viel, doch kannst Du auch diese haben.

Lebe wohl, Dein Freund

Lang

Anmerkung Zur Datierung: Terminus post quem ist der Brief 1865 I 29 Wien mit der Anfrage bezüglich eines Rotationsapparates und der Ankündigung der erforderlichen Skizze. Terminus ante quem: ?

L.210 *R.172

1865 II 4, Wien

Lieber Rollett!

Da ich eben, um mir ein Institut bis zum Neubau auszusuchen, nach Leipzig abreisen soll, so kann ich nur sagen: Salvenmoser bekommt als Armeediener 2. Klasse 360 fl ö. W., zwei Klafter Holz oder 30 fl ö. W., ein Zimmer und Küche.

Nun ist er aber noch nicht gar lange Armeediener 2. Klasse und als solcher 3. erhält der Diener glaube ich nur 240 fl etc. Wenn also Wendl an die Stelle denkt, so soll er ja auf den Diener 2. Klasse sehen. Unter diesen Umständen ist aber auch die Aussicht geringer, da sich auch andere finden werden, die mit dem Weniger zufrieden sind. Am besten, es bliebe ein Provisorium. Würden Sie hierherkommen, so würde auch Ihr Diener mitgehen können.

Mit alter Liebe und Treue Ihr

C. Ludwig

L.211 *R.173

1865 II 12, Graz

Lieber Bruder!

Das Wichtigste, was ich seit meinem letzten Brief an Dich erlebte ist, dass ich ein sehr freundliches Schreiben von Ludwig ‚in alter Liebe und Treue’, wie er sagt, erhielt, darin zeigt er mir seinen Abgang nach Leipzig an, so wie, dass er mich mit Fick und Kühne zu seinen Nachfolgern vorgeschlagen hat. Ludwig glaubt nun, dass, wenn überhaupt einer von uns und nicht Tomsa oder Schwanda an die Stelle kommen würde, die Wahl auf mich zielen wird und ich mir daher überlegen sollte, was ich im Falle der Berufung antworten würde. Ludwig hat diese Mitteilungen auch durch Brücke, der meine Anwesenheit sehr wünsche, dazu veranlasst, an mich gemacht. Für das Sommersemester ist indes Tomsa Supplent und wird die Besetzung erst für das nächste Jahr erfolgen.

Ich antwortete Ludwig, dass es mir nicht viel Überlegung kosten würde. Die Stelle im Josefinum sei besser, als meine hier. (Im Josefinum kann ich auf 1800 fl Gehalt, Kurse, Wiener Leichtigkeit des Arbeitens, Literaturbehelfe etc. rechnen, was ich nur Dir hier bemerke.)

Es wäre ein Fortschritt für mich, welchen ich doch noch machen müsste, wenn ich an ein ersehntes Lebensziel gelangen sollte. Ich würde mich aber vorläufig nicht allzusehr einer Hoffnung hingeben, deren Erfüllung ich ein großes Glück nennen müsste, deren Scheitern mir den Lebensfrieden, welchen ich meinen jetzigen Verhältnissen abzugewinnen weiß, nicht stören dürfe. Ich wollte vor Ludwig und Brücke eben offen bekennen, dass ich meine jetzige Stelle nur als ein Interim betrachten kann.

Die Motive, welche mich leiteten, will ich Dir nun näher auseinandersetzen. Wenn ich auf meinen magern jetzigen Bezügen sitzen bleibe, dann würde ich vielleicht einst bedauern, nicht praktischer Arzt geworden zu sein. Es gibt nur zwei Wege, welche mich als Physiologen wirklich zufrieden erhalten können: 1. umfangreiche literarische Tätigkeit, das bringt aber die Gefahr einer nach Geldgewinn strebenden Bücherfabrikation mit sich, der ich meinem innersten Wesen nach abhold bin, 2. Verbesserung meiner regelmäßigen Einkünfte. Hier ist wenig Aussicht bei der jetzigen Stimmung im Ministerium und Abgeordnetenhause auf eine Gehaltsregulierung. Mit der Übersetzung ans Josefinum wäre eine Verbesserung mit einem Male gewonnen.

Ich bitte Dich von allem, was ich Dir jetzt erzählt habe, niemandem gegenüber einen anekdotischen Gebrauch zu machen, es ist mir unangenehm genug gewesen, dass Dein journalistischer College schon wieder etwas davon aufgegabelt hat.

Ich habe früher gesagt: in anekdotischer Weise, denn solltest Du in Wien in Lagen kommen, die Dein Takt und brüderliches Wohlwollen zur Förderung meiner Absichten auszunutzen Dich antreiben würde, dann wirst Du wohl wissen, was Du zu tun hast. Aber nur in diesen Fällen fühle Dich unterrichtet, niemals, wenn es sich um eine einfache Plauderei handeln sollte. Ich bitte Dich, mir das zu versprechen. Ich werde zu Ostern in Wien ein paar Schritte tun. Brieflich wende ich mich vorläufig an niemanden. Ich kann nämlich auch nicht gar zu sehr mich nach einer Stelle sehnen, welche gewiss nicht so wundervoll wie die eines Universitätslehrers ist, dann müsste ich ganz bedingungslos gehen, so kann ich vielleicht einige Bedingungen machen. Unsere anderweitige Korrespondenz setze ich nächstens fort. Lass Dich aber dadurch nicht hindern, diesen Brief so bald wie möglich zu beantworten; ich habe jetzt mit Kistjakowsky viel zu arbeiten. In der nächsten Woche oder über 14 Tage ist der Stapellauf der ersten Abhandlung eines Eleven des hiesigen physiologischen Institutes, ich hoffe auf Erfolg.

Seit Freitag sind wir von Euch abgesperrt, kein Brief, kein Wienerblatt, seit Freitagabend ein steriles Leben. Hoffentlich wird die Bahn heute frei und wird Dir morgen dieser Brief tausend Grüße zutragen von Deinem

Alexander

L.212 *R.174

1865 II 14, Wien

Liebster Bruder!

Ich habe in Deinem letzten Briefe Auskunft und Instruktion über Dinge erhalten, über welche ich im Begriffe war, Dich zu fragen. Ich bin mit Deinen Darlegungen völlig einverstanden und würde mich unendlich freuen, wenn sich Deine jetzige Lage verbessern sollte und der Schauplatz Deiner Tätigkeit aus dem freundlichen Graz nach dem großen Wien verlegt würde.

Du wirst wissen, dass ein Beiblatt der ‚Medizinischen Presse’ (vormals Medizinal-Halle), die 'Allgemeine militärärztliche Zeitung' ist. Dieses Blatt ist nun nach der Behauptung des Dr. Schnitzler gleichsam ein Organ des General-Stabsarztes Kraus und bringt es mit sich, dass Schnitzler in Angelegenheiten des Josefinums stets gut unterrichtet sein will. Wie viel nun dabei Wahrheit oder Renomisterei ist, will ich dahingestellt sein lassen, jedoch muss ich Dir mitteilen, dass Schnitzler mir sagte, er wisse genau, dass Czermak Schritte mache, um an die Stelle Ludwigs zu gelangen. Auch erfuhr ich durch denselben Gewährsmann, dass man Schwanda von mancher Seite stark protegiere. Ich glaube daher, Du sollst die Sache doch nicht ganz ruhen lassen. Vielleicht kann Brücke oder Ludwig auf Deinen Wunsch energischer für Dich auftreten, bis Du zu Ostern selbst in die Lage kommst, einige Schritte zu tun. Ich habe gegenwärtig eine sehr odiose Mission, nämlich die Behandlung der an weit gediehener Tuberkulose leidende Frau von Schmid. Ich zweifle sehr an dem Besserwerden der bereits sehr herabgekommenen, beständig fiebernden Patientin. Da alle bisher angeordneten Mittel der Natur des Leidens entsprechend keinen oder nur einen vorübergehenden Erfolg hatten, so will mir die Kranke mit Ausnahme von Bittertee und Fetteinreibungen[?] durchaus kein Mittel mehr gebrauchen. Sie behauptet, auf alle Medikamente schlechter zu werden und immer ist es das Mittel, welches Kopfschmerz, Beklemmung, Husten, Appetitlosigkeit verursacht. Ich habe auch ein Consilium mit Oppolzer gehabt, jedoch auch seine Anordnungen wurden nur wenige Tage lang befolgt und jetzt um keinen Preis mehr fortgesetzt. Du kannst Dir vorstellen, wie unerquicklich die ganze Sache ist.

In jüngeren ärztlichen Kreisen denkt man daran, dem Prof. Ludwig ein solennes Abschieds-Diner zu geben, an welchem ich mich natürlich auch beteiligen werde.

Lina Reimann ist, wie ich höre, Braut, mit wem, weiß ich nicht, ebenso Frl. Schuh mit Gilewski, Frl. Haimerl ist jedoch noch zu haben. Warum soll ich meinen Brief nicht einmal mit einem schlechten Witz enden? Dein

Emil

Geehrter Freund!

Warum ich Ihnen noch nicht wegen des Curare geantwortet habe, werden Sie schon wissen. Sie sollen es durch Ihren Bruder erhalten. Benedict will es demselben zugehen lassen, aber er will die Quelle nicht angeben, damit sie ihm nicht ausgekauft werde (!). Auf die Arbeit über Flimmerzellen bin ich sehr neugierig, da ich mich selbst einigermaßen mit ihnen beschäftigt habe. Sie wissen, dass Prof. Ludwig Fick, Kühne [und] Sie zu seinem Nachfolger vorgeschlagen hat. Ich würde mich sehr freuen, Sie wieder hier zu haben. Diese Tage sagte mir Schwanda, der Direktor habe ihm davon gesprochen, an Helmholtz einen Ruf ergehen zu lassen. Es würde das eine große Tat sein, deren ich aber die Direktion des Josefinums nicht für fähig halte – in Rücksicht auf die so und so viel Tausendguldennoten, auf die sich das Kriegsministerium würde heraufstimmen müssen. Heute haben wir Ludwig zu Ehren ein Festessen im weißen Ross. Mit bestem Gruße Ihr

E. Brücke

L.214 *R.176

1865 III 18, Graz

Lieber Bruder!

Ich habe Dich dieses Mal unverantwortlich lange auf eine Antwort warten lassen. Ich nahm mir immer vor, recht ausführlich an Dich zu schreiben, fand aber nie recht Zeit und weil es so zu gar nichts kam, so will ich Dir eben nur kurz schreiben, dass ich alle längeren Mitteilungen auf Ostern verspare. Am 2. April abends werde ich wahrscheinlich in Baden eintreffen und dann bald nach Wien kommen. Am 28. März halte ich hier eine populäre Vorlesung über die Wirkung eingeatmeter Luftarten auf den Organismus. Es beschäftigen mich schon jetzt die Vorbereitungen dazu, ich will auch Lustgas atmen lassen, über welches Ludimar Hermann in einem der letzten Hefte du Bois eine interessante Arbeit veröffentlichte.

In Bezug auf die Wiener Geschichte nur so viel, dass ich trotz Deiner Aufforderung bisher nichts weiter getan.

Ich zweifle an dem redlichen Eifer meiner Wiener Kollegen, mich dort haben zu wollen, trotz ihrer brieflichen Versicherungen, und halte fest daran, mich nicht einer Hoffnung hinzugeben, deren Erfüllung ein Glück wäre, deren Scheitern meine Zufriedenheit nicht stören darf. Von Brücke erhielt ich inzwischen ein Schreiben, in welchem er mir die beabsichtigte Berufung Helmholtzs als eine große Tat preist, rede aber nichts davon.

Nun bitte ich Dich, mir sehr bald zu antworten, vielleicht lächelst Du bei meiner Saumseligkeit über diese Bitte, aber entweder Du oder ich müssen gleich antworten, nur einer kann die Korrespondenz-Pause machen, darüber müssen wir uns noch verständigen. Ich küsse Dich tausend Mal

Alexander

L.215 *R.177

1865 III 22, Wien

Lieber Bruder!

Da wir uns ohnehin bald sehen und sprechen werden, so will ich nur ganz kurz Deinem Verlangen nachkommen und einige Zeilen an Dich richten. Mir geht es ziemlich gut, nur den Schnupfen und Bronchialkatarrh habe ich, ich weiß gar nicht zum wievielten Mal wieder bekommen. Den letzten Sonntag war ich in Baden und habe aus Deinem an die Mutter gerichteten Briefe erfahren, dass es Dir ebenso gegangen ist. Wir werden uns doch zu einer Kaltwasserkur entschließen müssen.

Da Du in der Ressource sogar in der Fastenzeit Lustgas atmen lassen willst, so darf ich wohl annehmen, dass Du Dich auch im Fasching dort in einer recht heiteren Atmosphäre bewegt hast. Das mir übersendete Programm der Vorträge enthält sehr anziehende Themata, selbst der Bessemer Stahl dürfte die Hauptstadt des Landes, wo Gott Eisen wachsen ließ, interessieren.

Frau von Schmid ist vor kurzem ihren Leiden erlegen. Wenn man all den Jammer mitangesehen hat, so weiß man nicht, soll man die Katastrophe ein Glück oder Unglück nennen?

Niemand kommt so oft in Kollision mit Gefühl und Verstand, Wunsch und Pflicht als der praktische Arzt. Darüber werde ich Dir nächstens ein Geschichtchen erzählen, das mir unlängst vorkam mit einem sehr anständigen, aber der Unschuld beraubten Fräulein.

Nun komme nur recht bald nach Wien, damit wir miteinander ein Gläschen aus meinem Keller leeren können. Bei der barbarischen Kälte ist nicht zu besorgen, dass die Kellerwärme bis dahin meinem Rebensaft geschadet haben wird. Nun lebe wohl, es küsst Dich Dein

Emil

Lieber Freund!

Gestern, den 8., erhielt ich Deinen Brief und konnte Dir daher die Antwort, da eine Rücksprache mit Pebal nötig war, nicht mehr mit dem Abendzuge zusenden. Der Bericht über Deinen Vorschlag wurde vom Rektorate, wie mir Heschl versichert, ohne Bemerkung einfach vidiert; das Superarbitrium wurde mithin von der Statthalterei abgegeben. Das Datum von Linnemanns Anstellungsdekret kann Pebal nicht genau angeben; Li[nnemann] übernahm die Assistentenstelle zu Ostern 1863; die Erneuerung dürfte daher vom Februar datiert sein. Dieselbe fand nicht die geringste Schwierigkeit, ja geschah eigentlich über Mozarts Anregung. Da in Lemberg keine Assistentenstelle für Chemie systemisiert ist, war Linnemann auch noch nie ein Assistent oder hatte als chemischer Laborant fungiert, so wollte Pebal dem Lin[nemann] nun eines der beiden Laboratoriumsstipendien verschaffen und wandte sich deshalb brieflich an Mozart. Letzterer antwortete, dass es nicht angehe, einem Ausländer ein solches Stipendium zu verleihen, Pebal möge ihn jedoch zum Assistenten vorschlagen. Pebal befolgte sogleich diesen Rat und die Ernennung L[innemanns] erfolgte alsbald ohne irgendeine Schwierigkeit. – Vor seinem Abgange von Lemberg macht Pebal den Vorschlag wegen Verlängerung der Assistentur Linnemanns auf weitere zwei Jahre, da seine Zeit jetzt zu Ende geht. Die Verlängerung wurde unlängst anstandslos erteilt, jedoch nur auf ein halbes Jahr, da das Ministerium dem neu zu ernennenden Professor in der Wahl eines Assistenten nicht vorgreifen wolle; mithin wird gegenwärtig das Ausländertum Linnemanns ebensowenig wie vor zwei Jahren als ein Hindernis betrachtet, da dieser Akt erst unlängst expediert wurde, dürfte die Auffindung desselben und damit die der vorausgehenden Verhandlungen keine Schwierigkeiten bieten. Wenn diese Daten jedoch dazu nicht genügen, so wende Dich, um Zeit zu ersparen, direkt nach Lemberg an Linnemann, Weiss, den dermaligen Dekan, oder an Rektorzik, um Zahl und Datum des bezüglichen Ministerialerlasses zu erfahren. Neues ist nichts zu melden – Pebal kam vorgestern in Graz an, nachdem er durch fünf Tage in Wien war. Schauenstein wurde gestern glücklich in das Ehekrüppeljoch und dann sogleich nach Venedig spediert. Das Begräbnis des armen Sandhaas war sehr großartig; kaum war er im Grabe, brach schon arger Streit und Kampf aus; einerseits zwischen den Juristen und Schmid, weil dieser in einem Nekrologe Sandhaas den eifrigsten Lehrer genannt hatte, andererseits wegen des Ersatzes, ob Konkurs oder Berufung stattfinden soll. Schließlich kam es soweit, dass sie beim Ministerium anfragten, welcher Vorgang zu beobachten sei. Dass unser Lokalitäten-Vorschlag bei dem Statthalter noch bebrütet wird, um ihn zum tauben Ei zu machen, war nicht gegen meine Erwartung. Ebenso gewiss ist, dass er resultatlos bleiben wird – weder ja noch nein – keine Antwort ist die bequemste. Viele Grüße von Pebal an Dich und von uns beiden an Lang. Komme bald, wir haben herrliches Wetter.

Planer

Herr Professor!

Jüngst habe ich schlechte Nachrichten aus Kiew bekommen. Ich muss in möglich kurzer Zeit hinreisen; werde ich aber warten auf Ihre Wiederkehr nach Graz und dann Ihnen alles erzählen, wenn es Ihnen gefällt.

Es tut mir leid, dass ich muss die Stelle, welche Sie mir vorgeschlagen haben, zurücklegen.

Mit meiner Hochachtung bleibe ich

Th. Kistjakowsky

L.218 *R.180

1865 IV 29, Graz

Lieber Bruder!

Richard wird Dir hoffentlich meine Posten ausgerichtet haben, dass Kreuziger das Mineralwasser besorgt, dass ich Dir erst von Graz schreiben werde u.s.w. Wahrhaft erhebend war, wenigstens für den ersten Augenblick, die profuse Schweißsekretion, welche sich bei unserm guten Vater nach mäßiger Anstrengung einstellte. Bei der anerkannt wohltätigen Wirkung der Diaphorese bei jenen Leiden, erwachte in mir die Hoffnung, dass der Sommer für unseren guten Vater vielleicht von sehr guten Folgen sein werde.

Ich bin begierig auf den ersten Bericht von Dir. Lass Dich dadurch, dass ich sooft davon rede, nicht beunruhigen. Ich weiß sehr gut, dass Dir ebenso sehr wie mir quälende Gedanken beschieden sind und dass wir uns gegenseitig zu trösten alle Ursache haben. Ich möchte Dich nun bitten, mir gelegentlich alles zu schreiben, was Dein geübter Blick erspäht und mir auch zu berichten, ob Deine Ratschläge befolgt werden, sooft Du eben Gelegenheit hast, derlei zu erfahren.

In Graz traf ich alles nahezu unverändert. Schwarz’ befinden sich wohl, sie empfingen mich freundlich. Mir erwächst aber bei jeder neuen Berührung das unangenehme Gefühl, welches die Erinnerung an vereitelte Pläne erzeugt.

Wahrhaft erschütternd war mir, dass ich erfahren musste, das Maria-Antoinette, das liebliche Mädchen, dessen ich Dir in einer Erzählung erwähnte, während meiner Abwesenheit einem dreitägigen Typhus erlag.

Heschl, der sie behandelte, sagte mir, es wäre nichts zu tun gewesen. So sind denn alle Erlebnisse, die einem nahe gehen, trauriger Natur. Ich möchte nun schon gerne meinem Herzen auch wieder eine Freude bereitet sehen.

Das wünsche ich auch Dir mit vollem Herzen Dein Dich liebender

Alexander

Auf Brücke nicht vergessen!!

Liebster Vater!

Du musst nicht glauben, dass, weil mein versprochener Brief zu spät kommt, wir auch den Spargel erst jetzt gegessen haben; im Gegenteile, dieser wurde im Vollsaft seiner Jugend und unter lautem Beifall des versammelten Volkes seiner Bestimmung entgegengeführt. Man rühmte dem biederen Jüngling seine durch und durch gehende Weichherzigkeit, seinen guten Geschmack und eine Menge anderer Tugenden nach, die unseren steirischen Tyronen abgehen.

Die Schachtel ist leider auf der Fahrt ganz aus dem Leim gegangen und ich musste sehr achtgeben, nichts zu verlieren.

Meine Vorlesungen hier sind bereits im alten Geleise. Heute um 5 Uhr wird der erste Mediziner hier rigorosieren. Es ist das doch ein ganz anderes Gefühl, mit welchem man als Examinator zum ersten Rigorosum geht, wie als Examinand.

Ist Richard an die Stelle gekommen, für welche ihn Herr von Schmid vorgeschlagen hat oder nicht? Sehr erfreut hat mich der von der falschen Hermine mir berichtete Erfolg Deines Bienen-Vortrages. Ich darf Dich wohl nach erfolgter Drucklegung um ein Exemplar bitten, wogegen ich ein paar Publikationen austauschen werde, die jetzt in der Akademie gedruckt werden.

Meine Provenienz von einem praktischen Badearzt trägt mir eine Menge Annonzen [sic] von Bädern ein, die nur mir unter den Kollegen unter meiner vollen Adresse zukommen. Ich würde sie Dir aufheben, wenn es eben nicht bloße Plakate wären.

Hoffentlich trinkst Du fleißig Karlsbader-Wasser, ich wäre sehr glücklich, wenn ich Dich täglich darauf erinnern und noch fleißig Spargel mit bestecken [?] könnte, denn im Grunde genommen hat der Dichter mit dem

Beatus illle, qui procul negotiis paterna rura bobus exercet suis

doch das Richtige getroffen.

Der Mutter küsse ich die Hand. Die Geschwister küsse ich herzlichst, darunter auch die echte Hermine mit dem bewussten Finger.

Von falschen Pepitas, Taglionis etc. habe ich zwar schon gehört, dass es aber auch falsche Herminen gibt, hat mir erst der letzte Brief aus Baden gezeigt.

Dass zu dieses Briefes Handschrift eine andere Hand, zu dieser Hand ein anderer Arm, zu diesem Arm eine andere Brust und so weiter gehöre und dass sich der ganze Schreiber in krinolinigen Gewändern wahrscheinlich nicht so unbefangen über die engen Wege des Spargel-Beetes bewegen würde, als er dieses in seinem naturgemäßen Anzuge tut, das bitte der falschen Hermine zu sagen und ihr zugleich meinen Dank für dies so rasche Zusendung der vergessenen Schlüssel auszusprechen. Bin wahrscheinlich wegen dieser Schlüsselgeschichte recht ausgelacht worden. Ich habe zwar nur den Schaden gehabt, aber an den Spott gedacht.

Indem ich Dir nochmals die Hände küsse und bitte, dass ich wieder einmal Nachricht von zu Hause bekomme, Dein allerdankbarester

Alexander

L.220 *R.181

1865 V 8, Wien

Liebster Bruder!

Ich habe bis heute mit der Beantwortung Deines letzten Schreibens gewartet, weil ich so Gelegenheit habe, Nachrichten aus Baden mit einzuflechten. Ich benützte nämlich den gestrigen Sonntag zu einem Ausfluge nach Baden und hier dasjenige, was mir über den Zustand unseres guten Vaters mitteilenswert erscheint. Im Ganzen befindet sich derselbe besser. Er schwitzt ziemlich viel und trinkt trotzdem auffallend weniger als vor einigen Wochen. Ebenso geschieht natürlich das Harnlassen seltener und auch die Trockenheit im Munde und Schlunde ist der eigenen Aussage des Vaters nach nicht mehr so bedeutend. Ich habe mir etwas Harn zur Untersuchung mitgenommen. Derselbe wurde abends nach ziemlichem Schwitzen gelassen und zeigte wohl auch deswegen ein höheres spezif[isches] Gewicht als das vorige Mal, nämlich 40. Die Zuckerreaktion war ebenso deutlich wie früher. Dennnoch scheint die absolute Menge des ausgeschiedenen Zuckers eben wegen des sparsameren Harnes geringer, womit auch die Besserung aller übrigen Symptome übereinstimmt. Fleischdiät wird möglichst befolgt, aber die Mädchen haben ein großes Kreuz mit der Durchführung dieser Maßregel wegen des häufig unwiderstehlichen Begehrens nach Mehlspeisen. Das bestellt Karlbader Wasser war leider bis gestern noch nicht eingetroffen.

Mit Brücke oder eigentlich dessen Frau, zu der ich alsogleich von ihrem Gemahl geführt wurde, habe ich in der bewussten Angelegenheit gesprochen. Rokitansky, den ich unlängst in der Blumenausstellung traf, sagte mir, es sei ihm leid, dass er Dich nicht noch vor Deiner Abreise gesprochen habe, er hätte Dir etwas sagen wollen, aber er wisse jetzt selbst nicht mehr, was.

Bertha ist noch in Eisenerz. In Baden geht es allen recht gut. Dr. Hansen befindet sich zu meiner Freude in der vollständigsten Rekonvaleszenz von seinem schweren Typhus. Hast Du die Czermakiade in der medizinischen Wochenschrift gelesen? Machst Du wieder fleißig Spaziergänge und bedenkst Du auch, dass Du zeitweilig rheumatischen Temperamentes bist? Schicke bald wieder einige Zeilen an Deinen Dich liebenden

Emil

L.221 *R.182

1865 V 22, Graz

Lieber Bruder!

Ich danke Dir für die Nachrichten vom 8. Mai, sie haben wenigstens einigermaßen beruhigend gelautet, ich bitte Dich bald wieder um einen Bericht. – Wie steht es denn mit Deiner Verlängerungs-Geschichte? Ich bin sehr begierig, darüber etwas zu erfahren.

Dass es Hansen wieder gut geht, freut mich in Anbetracht Deiner Verdienste darum ebenso sehr wie aus rein menschlichen Gründen.

Von Bertha habe ich neulich (15. Mai) aus Eisenerz ein lustiges Briefchen erhalten, woraus ich entnehme, dass es dort allen wohl ergeht, ob ich Bertha bei ihrer Rückkehr, wie ich mir teilweise vorgenommen habe, in Bruck begegnen werde, weiß ich nicht bestimmt. Bertha hat mir auch über ihre Abreise von Eisenerz noch nichts geschrieben.

Was wohl den Dr. Wittelshöfer veranlassen mag, mich so wenig rücksichtsvoll zu behandeln. Glaubt er mir vielleicht beweisen zu wollen, dass ich mich mit allen meinen Qualifikationen zuerst vor seiner Jüdellenz im Staube wälzen müsse, wenn ich es weiter als bisher bringen wolle, nun, dann rechnet er auf Unmöglichkeiten. Wahr ist es allerdings, dass ich in der Josefinumgeschichte in einer Weise von allen Seiten ignoriert wurde, die mich mit Wehmut erfüllen könnte. Und doch hätte vielleicht die ganze Sache einen anderen Verlauf genommen, wenn ich mich nicht so rein passiv verhalten hätte. Dass ich Letzteres getan, ist mir heute, nachdem die Entscheidung über die Besetzungsfrage in die Hände des Lehrkörpers gelegt war, und trotz Ludwigs Vorschlag so ausgefallen ist, wie sie eben ausfiel, gar nicht mehr so leid. Mit Kollegen, die sich und ihre Anstalt und ihr Vaterland lieber dem Gelächter von ganz Deutschland preisgeben, als eine erledigte physiologische Lehrkanzel einem wirklichen Physiologen verleihen wollen, würde ich vielleicht bald in ebenso unleidliche Verhältnisse geraten, als Ludwig sie in der Akademie zum Teile wenigstens aus ähnlichen Gründen hatte.

Im Josefinum wird nach und nach alles in reine Gemütlichkeit aufgehen, wenn bei allen Besetzungen verfahren wird wie bei der letzten.

Wenn übrigens der Lehrkörper glaubt, dass er diese Eskamotage ohne Sang und Klang vollziehen werde, dann irrt er sich, denn über kurz oder lang wird sich die Kritik der ganzen Sache doch bemächtigen, und es wird dem Ruhm dieser Herren nicht sehr zuträglich sein, wenn man sie für die Tatsachen verantwortlich machen wird, dass solche Plusmacher, wie der Verfasser des letztwöchentlichen Ikterusartikel an die Stelle eines der ersten Physiologen Deutschlands getreten ist. Und so wäre ich wieder bei der Medizinischen Wochenschrift angelangt, die ich in meiner Weise protegiert und die mir, wie es scheint, jetzt den Dank dafür zollt, indem sie die öffentliche Meinung, wenn nicht gegen mich stimmen, so doch gleichgültig gegen mich machen will, damit daraus die weise Lehre für mich hervorgehe, wenn Du künftig etwas haben willst, dann wende Dich zuerst an seine Jüdellenz, den Herrn Redakteur der Medizinischen Wochenschrift. Nur der kann in Österreich auf eine Stelle rechnen, der von seiner Jüdellenz protegiert ist, das, glaube ich, sollen Schwanda und ich fühlen. Nun, wir wollen sehen, was die Zukunft bringt. Eins sicher nicht, nämlich für mich die Überzeugung von Wittelshöfers Allmächtigkeit, der nun die aus Zufälligkeiten erwachsene Situation so darstellen will, als ob er sie gemacht.

Da Du in den Zeitungen viel über unseren Beschluss bezüglich des Wiener Jubiläums gelesen haben wirst, aber auch vieles ungenau und falsch wiedererzählt wurde, während es hier doch auf jedes kleine Detail ankommt, wenn man die Sache richtig beurteilen will, so höre, mache aber nur also Gebrauch davon, als ob Du eben aus den Zeitungen das Richtige erfahren hättest, denn geheim zu halten ist nichts mehr von der ganzen Sache.

Die Einladung des Wiener Konsistoriums wurde von dem Senat an alle eingeladenen Kollegien gegeben. Nur die Theologen wählten gleich zwei Vertreter usw. Die Juristen und Philosophen entschieden nahezu einstimmig, das Votum der Medizinischen Fakultät, welches durch die jüngsten Vorgänge im Wiener medizinischen Doktorenkollegium vielleicht bestimmt sein könnte, abzuwarten und sich dann diesem anzuschließen. Mit Spannung wurde unserer Sitzung entgegengesehen und da wurde denn einstimmig die Ablehnung beschlossen, mit dem Ausdrucke des Bedauerns, dass uns die jüngsten Vorgänge im Wiener Doktorenkollegium, welches einen integrierenden Bestandteil der dortigen Universität ausmache, es unmöglich machen, uns am Jubiläum zu beteiligen, dem wir mit Freude entgegengesehen, da wir alle der Alma Mater im Geiste geeint etc. Von einer Pression auf das Ministerium, wie in vielen Zeitungen angeführt wird, kommt in allen Schriftstücken nichts vor. Nur das ist noch hervorgehoben, dass es für die Ablehnung unseres Petitums genügt hätte, wenn sich das Kollegium auf sein Privilegium berufen hätte, das sei nicht geschehen, sondern es dürften im Doktorenkollegium bei den bekannten Verhandlungen verdächtigende und beleidigende Äußerungen, vom Vorsitzenden nicht gerügt, über unsere Fakultät gemacht werden, die wir durch unsere Ehre, durch die Würde der Hochschule, an der wir lehren, die Interessen der Stadt und des Landes, welche für ihre Universität so große Opfer gebracht haben, aufs kräftigste zurückzuweisen verpflichtet sind. Diesem Votum sind im Senate auch die Theologen beigetreten, sodass auch der Senatsbeschluss einstimmig gefasst wurde; ich möchte Hyrtl und das v[erehrliche] Konsistorium bei der Eröffnung sehen.

Nun lebe wohl, gebe recht Acht auf Dich, auf meine rheumatischen Anwandlungen werde ich, wie Du mich erinnerst, immer bedacht sein, jetzt bin ich frisch und gesund Dein

Alexander

L.222 *R.183

1865 V 29, Wien

Lieber Bruder!

Ich freue mich, meine Antwort auf Deine zwei letzten Briefe damit beginnen zu können, dass das Befinden unseres guten Vaters ziemlich befriedigend ist. Ich war nämlich gestern in Baden und erfuhr, dass diejenigen günstigen objektiven und subjektiven Symptome, welche ich Dir schon neulich mitgeteilt habe, noch immer fortbestehen. Das Karlsbader Wasser ist auch schon längst zur Kur eingetroffen. Die Notiz aus der Kölnischen Zeitung wirst Du wohl schon in der Neuen Freien Presse gelesen haben. Ich habe einen Versuch gemacht, dieselbe auch in die Medizinische Presse zu bringen, jedoch erfolgslos. Schnitzler ist als Redakteur der Militärärztlichen Zeitung nicht zu bestimmen, etwas in ihrem Blatt aufzunehmen, was die guten Beziehungen zum General-Stabsarzt Dr. Kraus, in dessen Sinne der Beschluss des josefinischen Lehrkörpers gefasst wurde, stören könnte. – Du fragst, was den Dr. Wittelshöfer gegen Dich so rücksichtslos macht? Eigennutz, nichts als jüdischer Eigennutz. Er denkt für sein Blatt mehr Proselyten zu machen, wenn er so handelt, wie er es eben getan hat, als wenn er für jemanden an der fernen Grazer Universität eine Lanze einlegt. Und der gelieferte Ikterusartikel kann Dir die Richtigkeit dieser Anschauung beweisen. Auch sind viele Abonnenten der medizinischen Wochenschrift Feldärzte, die es übel nehmen könnten, wenn nicht Schwanda protegiert würde. Alles nur Geschäftssache.

Nach einer Mitteilung, die ich aus dem Munde des Dr. Wallmann habe, hat der josefinische Lehrkörper ganz im Sinne des General-Stabsarztes Kraus gestimmt, und zwar wurde Schwanda gegen Tomsa mit 6 gegen 5 Stimmen durchgesetzt. Die Fünf, welche für Tomsa stimmten, waren Langer, Duchek, Engel, Schneider, Pitha, also noch die bessere Hälfte. Meine Verlängerungsangelegenheit habe ich bis heute noch nicht vorbringen können. Ich spähe aber täglich nach einer Gelegenheit, dies tun zu können. Das Einfachste wäre freilich, zu Oppolzer hinzugehen. Aber Oppolzer hat seit seiner Rückkehr aus Nizza so ungeheuer viel zu tun (wörtlich von Früh bis Abend), dass man ihn in seiner nachmittägigen Ordinationsstunde, bei der es ebenfalls von Kranken wimmelt, immer in einer sehr ärgerlichen Stimmung trifft, wenn man ihm nur eine Minute raubt. Ich will daher lieber noch einige Tage zuwarten, vielleicht passe ich doch noch eine günstige Gelegenheit nach der Klinik ab. Übrigens glaube ich zu wissen, dass meine Verlängerung von Seite Oppolzers keinen Widerstand finden wird. Die Frage über die Meningitis-uretra-spinalis beantwortet sich in den letzten Nummern der medizinischen Wochenschrift. Hat man in Graz nichts dergleichen beobachtet? Freut sich Tomaschek über seine Ernennung zum Unterrichtsrat?

In Baden erfuhr ich auch, dass Frl. Albertine Schmid einen mäßigen hämoptoischen Anfall hatte, wegen dessen sie der Vater in Behandlung hat. Ich fürchte sehr für dieses Wesen.

Wenn es in Graz im Mai so schön war wie in Wien, dann muss es in Graz noch tausend Mal schöner gewesen sein. Mit vielen Küssen Dein

Emil

[1865-1872] VI 4, Bonn

Verehrter Herr Kollege!

Auf Ihren Wunsch habe ich bei Geißler einen heizbaren Objekttisch für Sie bestellt. Ich hoffe, daß Sie schneller bedient werden, als manche meiner Kollegen, die über die Langsamkeit des berühmten Mechanikus sehr klagen. Jedenfalls werde ich mal wieder nachfragen. Natürlich hat es mich sehr gefreut, daß Sie im Wesentlichen mit den Resultaten meiner Blutuntersuchungen einverstanden sind. Ich bin auch überzeugt, daß an den früheren Differenzen nur Ihr unvollkommener Apparat schuld ist. Die Sache erscheint mir denn auch zu einfach, als daß ich es für notwendig hielte, Ihr Schreiben in dem Archiv zum Abdruck zu bringen. Sie haben vielleicht Gelegenheit, in einer späteren, denselben oder einen verwandten Gegenstand betreffenden Arbeit das einzufügen, was Ihnen in dieser Beziehung notwendig erscheint. Ich denke, daß Sie damit einverstanden sind. Was macht Ihr Kollege, mein Freund Oskar Schmidt? Ich lege für ihn und Sie je eine Fotografie ein, und bitte um Gegengabe. Hochachtungsvoll Ihr kollegialisch ergebener

Max Schultze

Anmerkung Zur Datierung: Oskar Schmidt ist 1872 nach Straßburg berufen worden. Max Schultze war von 1859 bis zu seinem Tod 1874 Ordinarius der Anatomie in Bonn. Der Begriff „Archiv“ bezieht sich zweifellos auf das von Schultze 1865 begründete „Archiv für mikroskopische Anatomie“.

L.224 *R.184

1865 VI 9, Baden

Lieber Rollett

Ich hatte bisher nur Gelegenheit, mit Arlt und Jäger über das Auftreten der gelben Farbe der Linse zu sprechen. Arlt wiederholte die Angaben, die in seinem Buche stehen. Jäger setzte den Zeitpunkt etwas früher und äußerte sich: Die Linse fängt an gelb zu werden, sobald der Mensch aufhört zu wachsen; also bei verschiedenen Individuen zu verschiedener Zeit, im Allgemeinen aber am Anfange der Zwanzigerjahre. Mir scheint das a priori sehr plausibel. – Die Linse mit Catarakta nigra habe ich nicht geschickt, weil ich noch nicht Gelegenheit hatte, meine Präparate durchzusehen und Herr Czerny sie nicht finden konnte.

Von mir nicht viel Brilliantes. Ich sitze jetzt in Baden und pflege der Langeweile. Dieselbe ekelt mich aber so sehr an, dass ich wahrscheinlich bald in die Stadt zurückkehre, um wenigstens in Gesellschaft meiner Bücher zu sein. Daneben arbeite ich an verschiedenen kleinen Dingen und an der Übersetzung des Dondersschen Buches weiter. – Herrn Jäger habe ich einmal gesprochen und oft gesehen. Im Übrigen wüsste ich nichts mitzuteilen, als dass ich vor einigen Tagen mein großes Mikroskop von Hartnack bekommen habe. Viele Grüße an Schauenstein und Richter. Ihr

Otto Becker

Anmerkung Zur Datierung:Das Tagesdatum könnte eventuell auch als „6“ gelesen werden.

L.225 *R.185

1865 VI 13, Graz

Lieber Bruder!

Ich danke Dir für Deine Bemühungen wegen der Dir mitgeteilten Notiz der Kölnischen Zeitung, mich wundert, dass alles darüber schweigt.

Sehr erfreut bin ich über Vaters Befinden, wenn es nur so fortginge mit der Besserung. Vater hat mir inzwischen selbst geschrieben und sich sehr befriedigt über seinen Zustand ausgesprochen. Suche nur Du ihn in einer gewissen diätetischen Vorsicht zu bestärken. Ich hoffe, Du warst zu Pfingsten wieder in Baden und wirst mir neue Nachrichten in einem baldigen Briefe zukommen lassen.

Ich brachte die Pfingsten bei Denhardt zu und habe mir meine Antwort an Dich bis nach diesem Eisenerzer-Besuch verspart, da es Dich gewiss interessieren wird, meine dortigen Wahrnehmungen zu erfahren. Auguste sieht blühend aus, ist bei gutem Humor, sie ist glücklich in ihren neuen Verhältnissen, das hat mir der erste Blick auf sie und ihren Gemahl verraten und die Tage meines Aufenthaltes haben es bestätigt.

Also freuen wir uns; gebe Gott, dass die andern Mädels auch schon so untergebracht wären. Denhardt ist ein offener, verständiger Mann, ein zärtlicher Gatte und gegenwärtig ein Enthusiast für Vaterfreuden, welche ihm Auguste sicher, aber wie mir scheint nicht schon August, sondern später bereiten wird. Ich habe darüber dem Vater ausführlich berichtet. Mit Annahme des August als Entbindungsmonat hat man sich, glaube ich, verrechnet.

Viktor Lang, mein intimster Freund, mein Vertrauter in allem und jedem, der Genosse meiner Fußtouren, verlässt Graz, um als Nachfolger Kunzeks die physikalische Lehrkanzel an der Wiener Universität zu übernehmen. Ich freue mich Langs halber, dass er durchgedrungen. Für mich ist sein Abgang ein herber Verlust. Es ist kein Mensch in Graz, der mir so sympathisch war, so verwandt wie Lang. Tomaschek, der zweite Intimus, freut sich um unserer Universität und der schlechten und einer Reorganisation sehr bedürftigen steirischen Gymnasien Willen darüber, dass man sein Gewicht durch die Ernennung zum Unterrichtsrat erhöht hat.

Darüber, wie die Stimme seines politischen Gewissens über seinen Schritt in den perhorreszierten Unterrichtsrat mit ihm spricht, schweigt er. Als ich ihm gratulierte, sagte ich: Verehrter Herr Rat, Sie kennen unsere Ansichten (meine und Langs) über das Institut, in welches Sie soeben berufen wurden, Sie wissen, dass wir bisher weidlich darüber geschimpft haben, wir sind darnach erbötig, die Ihnen gewordene Anerkennung mit ein paar Flaschen zu feiern, das Schimpfen werden wir uns aber nicht abgewöhnen, im Gegenteile, werde ich mir wenigstens von jetzt an immer gegenwärtig halten, dass das, was bisher hinter dem Rücken von diesem vielleicht nutzlos über den Unterrichtsrat geschimpft wurde, nunmehr in der Fronte appliziert werden kann, wir werden von nun an immer mit Erfolg und in Hinblick auf Ihre einflussreiche Stelle im Unterrichtsrate unseren tadelnden Bemerkungen freien Lauf lassen! Eine Rede, welche mit Lachen aufgenommen wurde. Der Herr Rat erteilte uns aber die Lizenz.

Schreibe bald Deinem

Alexander

L.226 *R.186

1865 VI 15, Wien

Lieber Bruder!

Trotz des Feiertages kann ich heute von Wien nicht abkommen und ergreife die Gelegenheit, Dein letztes Schreiben zu beantworten. Die Nachricht von Deinem Eisenerzer Besuche und dem Befinden unserer hoffnungsvollen Schwester hat mich sehr erfreut. Jene von der Übersetzung Langs nach Wien, die mir übrigens nicht neu war, erweckt in mir dasselbe Gefühl und Gemisch von Freude und Bedauern, wie dies begreiflicherweise bei Dir der Fall sein muss.

Über das Befinden des Vaters kann ich Dir dieselben tröstlichen Nachrichten wiederholen, welche ich in meinem früheren Schreiben mitgeteilt habe. Während Du zu Pfingsten in Eisenerz weiltest, machte ich einen Ausflug in das Glockner Gebiet. Ich bin noch heute entzückt von den wunderbaren Naturschönheiten des Hochgebirges. Der Weg durch das herrliche Mölltal, den Großglockner und den Pasterzenkees stets im Auge, hinauf auf die Pasterzenalm, über die mit Alpenblumen geschmückte Elisabethruhe und weiter auf die Franz-Josefshöhe ist wirklich wundervoll. Nicht minder jener längs des Freiwandecks und über die eisige Pfandelscharte ins Fuschertal. Ganz besonders fesselten mich der Ausblick auf den hohen […], den Herzog Ernst, das stolze Vischbachhorn [Wiesbachhorn], den Venediger usw. Ich war mit meinem guten Perspektive bewaffnet, was mir sehr zustatten kam. Wie ein Kinderspielzeug sah man das niedliche Kirchlein von Heiligenblut tief unten im Mölltal und wie einen Silberfaden das durch das Tal hinrieselnde Gletscherwasser. Und was das Beste dabei war, dass man nicht sonderlich müde wurde bei der Begehung des auf Veranlassung des österreichischen Alpen-Vereines ausgestellten Glockner-Panoramas. Nun aber Scherz bei Seite, das ausgestellte Panorama ist so wunderbar schön und naturgetreu gemalt, dass man sich nach der Aussage von Alpentouristen namentlich bei Benützung eines Perspektives, wodurch die Gegenstände mehr körperlich erscheinen, wirklich in das Hochgebirge versetzt meint.

Meine Verlängerungsangelegenheit habe ich bereits mit Oppolzer besprochen, er wird dieselbe im Professorenkollegium beantragen, wozu nach der Aussage des Prodekans Kurzak ein Einkommen meinerseits nicht notwendig ist. Lebe recht wohl

Emil

L.227 *R.187

1865 VII 9, Graz

Lieber Bruder!

Du wirst wahrscheinlich, da beinahe mehr als das gewöhnliche Intervall unserer Korrespondenz abgelaufen, wieder etwas von mir wissen wollen.

Die Hauptsache, welche ich Dir mitteilen will, ist, dass ich durch die Last meiner Arbeiten in einen Zustand von gelinder Verzweiflung geraten bin. Ich weiß wahrlich heute noch nicht, wie ich bis Ende dieses Monats mit den Vorlesungen fertig werden soll, außerdem arbeite ich an einer Blutgeschichte, die ich auch fertig haben möchte. Es geht mir im Ganzen gut dabei, nur mein linkes Knie macht mir sehr viel zu schaffen. Dort sitzt aber merkwürdigerweise nur in der Kniescheibe eine Neuralgie.

Ich kann gehen wie sonst und habe in der Regel gar keine Schmerzen, da mit einem Male kommen 2 bis 3 Stiche, dass mir dabei die Augen übergehen und sich manchmal beinahe unwillkürlich ein Seufzer meiner Brust entringt. Durch Reiben über der Kniescheibe wird die Dauer des Anfalles verkürzt. Tygus ist keiner zu beobachten. Die Schmerzen dauern höchstens 10 Minuten und kommen oft durch 5–6 Tage nicht, dann wieder täglich oder mehrere Male im Tage. Merkwürdigerweise oft im Bette.

Ich habe bis jetzt gar nichts dagegen unternommen, als kalt gebadet, ich merke weder ein Besser- noch ein Schlimmerwerden. Rate mir! Ich missachte zwar das kleine Leiden im Großen und Ganzen, aber die verfluchten 10 Minuten sind doch sehr lästig. Wie ich dazu gekommen bin, weiß ich nicht. Von Rheumatismen fühle ich mich heuer so frei wie fast nie.

Neulich hat der hiesige Senat beschlossen, nun, da das Konsistorium in Wien dem medizinischen Doktorenkollegium ein für Graz so genugtuendes Dementi gegeben hat, sich durch eine Deputation am Jubiläum zu beteiligen. Unser Kollegium dachte daran, mich zum Deputierten zu wählen. Ich bedankte mich schönstens dafür, weil ich eigentlich doch nicht offiziell, sondern nur so viel als mir eben beliebt, vielleicht gar nicht jubilieren will.

Mit Heschl habe ich unlängst ein Gespräch gehabt, welches mir in Vaters Angelegenheit ein neuer Trost war.

Heschl machte sich über Johann Florian Heller lustig, weil dieser einem Patienten unter dem Titel complicatio rariosima [sic] eine Harnanalyse mitgab. Der Kranke hatte an Stein gelitten und öfter an Nierensand. Heller fand eine große Menge Zucker bei dem auch an ausgesprochenen Diabetesbeschwerden leidenden Kranken. Jetzt ist der Diabetes wieder fort und Heschl behauptet, einen solchen Fall schon von früher her zu kennen.

Es war mir sehr erfreulich, dass Deine Verlängerungsgeschichte einen so erwünschten Abschluss gefunden hat. Was machst Du in den Ferien?

Ich möchte reisen, wenn ich Geld genug haben werde. Ich glaube, einige Tage ruhigen Beisammenseins in Baden werden uns als Ferienintroduktion nicht schaden, da können wir ja weiter reden. Jedenfalls schreibe ich Dir noch, was dieses kurze Semester für ein Ende genommen und wann ich abreisen kann. Lebe nun wohl und schreibe mir bald, Dein

Alexander

Den andern von meinen Knieschmerzen nichts erzählen, es ist nicht der Mühe wert. Ich möchte nur Deinen Rat haben.

L.228 *R.188

1865 VII 10, Wien

Lieber Bruder!

Ich wartete in der Tat schon mehrere Tage lang auf die Ankunft eines Schreibens aus Graz, nun da ich es besitze, will ich sogleich die Antwort darauf abschicken.

Ich bedaure Deine Überbürdung mit Geschäften, möchte aber sogleich bemerken, dass es immerhin in Deiner Macht liegt, es Dir leichter zu machen. Wird doch die Physiologie an manchen deutschen Universitäten, z. B. Jena, in einem Semester vorgetragen, und hast Du doch selbst dieselbe in zweimonatlichen Kursen abgehandelt. Man kann sich eben ausnahmsweise auf das Allerwichtigste beschränken. Wir in Wien sind nicht so gewissenhaft und werden schon in dieser Woche höchst wahrscheinlich die Klinik schließen, ohne uns sagen zu können, die ganze Pathologie bis ins Detail erschöpft zu haben. Etwas anderes ist es mit Deiner Blutarbeit (schauderhaftes Wort), aber Du wirst auch hiefür, wenn Du die Vorlesungen rascher zu Ende bringst, einige Zeit gewinnen. Sehr sonderbar ist Dein Knieleiden. Es scheint mir denn doch rheumatischer Natur. Ich habe auch schon ein paar Mal in der großen Zehe ungemein heftige bohrende und stechende Schmerzen verspürt, die nach wenigen Sekunden wieder vorübergingen, ohne eine weitere Störung des Wohlbefindens zu veranlassen. Es gibt solche chronischen verhältnismäßig gelinden Formen von Podagra und Gonagra. Zeigt Dein Harn kein rotes Sediment? Vorläufig möchte ich Dir raten, etwas Jodtinktur am Knie einzupinseln, früh und abends, dies muss aber ausgesetzt werden, sobald die Haut stärker gerötet wird, weil sonst leicht ein Ekzem entsteht. Auch könntest Du narkotische Einreibungen machen, z.B. Veratrini gran due, Axung. porz. umiam, fr[üh] u[nd] a[bends] erbsengroß einzureiben, oder Chloroform und Olivenöl zu gleichen Teilen gemischt, auf einem Lappen Watte gegossen und aufgelegt. Man muss eben mehrere Mittel versuchen. Bäder sind jedenfalls vorteilhaft, aber die Grazer Schwimmbäder halte ich, wenn nicht besonders heiße Tage sind, für zu kalt, die Badner Mineral-Schwimmschule dürfte sich besser eignen.

Das Befinden des Vaters ist ganz befriedigend. Ich habe ihn gestern vor acht Tagen in Baden jedoch nur während des Mittagstisches gesehen und gesprochen. Abends musste ich nach Wien zurück, ohne ihn nochmals sprechen zu können.

Was ich heuer in den Ferien machen werde, weiß ich wirklich selbst noch nicht. Ich habe einen sehr schweren und langwierigen Krankheitsfall im Hause der Gräfin Colloredo, nämlich einen Verwandten der Gräfin, welcher allem Anschein nach wegen Degeneration der Leber hydropisch zugrunde gehen wird. Ich habe schon ein Konsilium mit Oppolzer gehabt und denke, aus Vorsicht nächstens wieder eines zu veranstalten. Wie und wann ich da loskommen werde, weiß ich selber noch nicht. Wenn es nicht anders geht, muss ich, um wenigstens aus der Spitalsluft herauszukommen, täglich vormittags von Baden nach Wien fahren. Ob ich meine Reiselust werde befriedigen können, das weiß der Himmel. Ich weiß nur:

Der Popocatepetl raucht stark bei Tag und Nacht, der Izztazihnatl spuckt Feuer, blitzt und kracht, die Terra caliente macht Fieber jedem Floh, drum reise in den Ferien ich nicht nach Mexiko!

So singt auch der akademische Gesangverein. Nun lebe wohl und schreibe oder komme vielmehr bald, Dein

Emil

Mein lieber Kollege,

Wendl hat mir mitgeteilt, dass Sie nur bis Mittwoch in Baden bleiben. Ich bedaure sehr, dass ich nicht mehr das Vergnügen haben werde, Sie zu sehen. Wir sind im Begriff, von Graz über Bruck, Leoben, Vordernberg usw. nach Ischl, Salzburg, Gmunden und Linz zu reisen und von da mit dem Donaudampfschiff nach Wien zu kommen. Beiläufig muss ich Ihnen das Endresultat meiner Untersuchungen hier mitteilen: Das Resultat ist absolut negativ. Die letzten, sehr sorgfältig gemachten Versuche haben mich überzeugt, dass Ihre Substanz beim Kochen mit Salzsäure (unter den verschiedensten Bedingungen) nur etwas von einem Körper gibt, welcher Cu äußerst schwach (schwache und unvollkommene Entfärbung, ohne Niederschlag), Bi aber gar nicht reduziert und durchaus nicht gärungsfähig ist; es ist also kein Zucker. Ich benutze hier die Gelegenheit, Ihnen nochmals meinen warmen Dank für Ihre Gefälligkeit auszusprechen. Bleiben Sie gesund und amüsieren Sie sich recht tüchtig. Meine Frau schickt Ihnen einen warmen Gruß

A. Borodin

L.230 *R.190

1865 VII 25, Baden

Lieber Bruder!

Seit gestern bin ich in Baden. Ich zeige Dir dies hiemit an, damit Du ein etwaiges Schreiben, welches Du vor Deiner baldigst erwarteten Ankunft in unserer Mitte an mich richten könntest, nach Baden adressieren mögest. Das prognostizierte ungünstige Ende des Kranken, von welchem ich Dir in meinem letzten Briefe schrieb, ist inzwischen eingetreten, Gräfin Colloredo bereits auf ihre ungarische Herrschaft Tapolean abgereist und so habe auch ich mich aufgemacht, um meine Ferien in Baden zu beginnen. Komm her und tu desgleichen. Den weiteren günstigen Verlauf der Ferien und die geeigneten Mittel hiezu werden wir in einem mündlichen Konsilium besprechen. Verzeihe diesen medizinischen Ausdruck, aber ich betrachte die Ferien nicht als Krankheit, sondern als Erholungskur. Sehr überrascht, und zwar höchst unangenehm, war ich von der Nachricht, dass die Familie Schwarz aus Graz nach Innsbruck übersiedeln wird. – Hier in Baden traf ich alle recht wohl mit Inbegriff des Vaters, dessen Befinden ebenfalls recht befriedigend ist. Indem ich mir aber Weiteres auf ein baldiges persönliches Zusammentreffen erspare, schicke ich Dir nur noch viele herzliche Grüße entgegen, Dein

Emil

L.231 *R.191

1865 VIII 2, Graz

Lieber Bruder!

Nach endlicher Erledigung aller meiner Geschäfte und Geschäftchen hoffe ich, morgen, den 3. August, mit dem abendlichen Postzuge von Graz abreisen zu können.

Ich werde zu etwas ungelegener Zeit, den 4. August um 4:00 Uhr morgens, in Baden ankommen. Sage den andern, ich hätte Dir geschrieben, dass ich erst Freitag Nachmittag in Baden ankommen würde, damit sie sich alle ungezwungen der Ruhe hingeben und ich sie beim Frühstücke überraschen kann. Du selbst habe aber die Güte, Dich der Torschlüssel zu versichern (es wird wohl gehen), damit Du mir dieselben vom Fenster aus zuwerfen kannst, wenn ich mich in der Neugasse patroullierend zeige. Sollte mir Dein für diesmal früh erbetenes Erwachen etwa zu lange dauern, so werde ich mich einiger forcierter Räusperer bedienen oder ein Hundegebell nachahmen oder wie eine Ziege meckern, um Dir, der, wie ich vermute, allnächtlich entweder hinter den Jalousien von Nr 17 oder von Vaters Ordinationszimmer in Morpheus‘ Armen ruht, leise die Trommelfelle zu erschüttern.

Ich hoffe, dass Du, wenn Du auch beim Jubiläum warst, doch diesen Brief mindestens bis 3. [August] abends erhalten wirst, wenn nicht, dann freilich werde ich früher einen Ausflug ins Helenental machen müssen, ehe ich zu Hause einkehre.

Viele Handküsse an Vater und Mutter, Grüße an alle. Du aber sei tausendmal geküsst und lade mich als zeitigen Hausgenossen vorläufig ein, da ich selbst dem Vater nicht geschrieben habe, dass ich nach Baden komme.

Alles andere mündlich, Dein

Alexander

Lieber Onkel

Ich und Emil haben nun definitiv alle weiteren Bergtouren aufgegeben und uns friedlich in Graz niedergelassen. Emil will aber schon in der nächsten Woche wieder nach Eisenerz, um Auguste zu sehen. Willst Du Dir Graz ansehen, wie Du Dir auf unserem letzten Spaziergange in Baden wenigstens annäherungsweise vorgenommen hast, so komme, das Wetter ist schön und einladend zu Ausflügen. Ich hoffe, Du wirst vom Vater etwas über unsere tirolische Reise gehört haben.

Mit vielen Grüßen an Meta, Lina und Dich Dein

Alexander

Anmerkung Dieser Brief erliegt im Stadtarchiv Baden im Nachlass Alexander Rollett.

L.233 *R.192

1865 [IX] [13], [Graz]

Lieber Freund!

Mit großem Bedauern sehe ich, dass der Zug morgen schon um 7:00 Uhr früh geht, ich mich daher zeitlich zu Bette legen muss. Entschuldige mich daher bestens bei Dir und den anderen und wünsche Kühne eine glückliche Reise.

Der Deinige

V. Lang

Anmerkung Der Brief trägt als Datum „Mittwoch“; Terminus post quem: Lang ist mit 1865 IX 11 nach Wien ernannt und steht vor der Abreise nach Wien. Terminus ante quem ist wohl der erste Brief 1865 IX 18 aus Wien,der sich auch auf Donnerstag, 14. 9., bezieht, auch ist ein Mittwoch dazwischen nur der 13. September.

L.234 *R.193

1865 IX 14, Eisenerz

Lieber Bruder!

Ich sende Dir hiemit mein versprochenes Schreiben. Die Fahrt nach Eisenerz ging ganz gut vonstatten, Regen fiel nur, als ich noch im Eisenbahnwagen saß, von Bruck an heiterte sich der Himmel sogar etwas auf und nur am Präbichl blies ein ‚schreckbarer, kalter Windsturm’, wie sich mein Kutscher ausdrückte. Auguste und Denhardt befinden sich recht wohl, nur die erstere leidet an häufigem Erbrechen ohne alle Übrigkeiten, was wohl die Vermutung eines gewissen Zustandes wesentlich unterstützt. Im Übrigen konnte ich bis jetzt, aus von Dir selbst in Erfahrung gebrachten Ursachen, nicht viel eruieren. Heute mittags kommt die Mutter nach Eisenerz, vielleicht lässt sich dann ein vernünftiges Wort reden. Das Aussehen der Auguste ist sehr befriedigend, ihr Körperumfang hat sichtlich zugenommen, es bezieht sich dies aber auch auf Arme, Wangen etc., sie ist mit einem Worte im Ganzen dicker geworden. Gestern war ich mit Denhardt vormittags auf dem Erzberge und besichtigte mir alle Sehenswürdigkeiten, nachmittags unternahmen wir in Gemeinschaft mit Auguste einen kleinen Spaziergang beim herrlichsten Wettter. Heute gegen Mittag werden wir der Mutter auf den Präbichl entgegen gehen. Nun noch viele herzliche Küsse und Grüße von Auguste, Denhardt und

Emil

In der Tagespost las ich die Ankunft des Herrn von Schmid beim Elefanten. Schreibe mir bald, damit mich Dein Brief noch in Eisenerz trifft.

L.235 *R.194

1865 IX 18, Graz

Lieber Bruder!

Die Bergfexerei ist schuld daran, dass ich Deinen am 16. in Graz eingetroffenen Brief erst heute beantworte. Ich bin nämlich mit Planer, Helly und Pebal auf die Kleinalpe gegangen, wir übernachteten im Alpenhause, Sonntag gingen wir über Kainach und Köflach nach Graz zurück, wo mich Dein Brief noch Sonntag abends erfreute. Die Aussicht von der Kleinalpe [Gleinalpe] war prächtig, ich schielte einige Male nach dem Pfaffenstein hin und gedachte derer, die an seinem Fuße in Eisenerz sich vielleicht gerade lustwandelnd ergingen.

Lang ist Donnerstag von uns ausgeschieden. Bei Pebal war es Mittwoch sehr animiert. Gottlieb [wurde] von Pebal aufgefordert, das Präsidium zu übernehmen, [er] tat dies mit einigen unpassenden Worten. Er bezweifelte, dass er die notwendige Autorität über uns gewinnen würde etc., worauf Lang witzig bemerkte, ‚wir werden über alles, was Sie sagen, unsinnig lachen, mehr können Sie doch nicht verlangen’; nachdem so die lustige Laune entfesselt war, ging es weiter unter heiteren Plaudereien. Rokitansky hat mir noch einen Besuch gemacht und das Spital inspiziert.

Der Familie Wendl geht es gut. Die Frau [wohl]auf, die Kleine rekonvalesziert normal. Adieu, Dein

Alexander

L.236 *R.195

1865 IX 18, Wien

Lieber Freund!

In der josefinischen Sache ist noch nichts an den Unterrichtsrat gelangt, und dürfte erst dahin gelangen, bis der Akt vom Kriegsministerium vollständig ausgearbeitet ist.

Von mir ist wenig zu berichten. Die unter den Beweisen Eurer Freundlichkeit angetretene Reise ging bestens vonstatten, nur machte mir Wien bei meiner schlaftrunkenen Ankunft einen sehr unangenehmen Eindruck und wüsnschte ich mich zurück in Euer Eldorado.

Von dem schlechten Zustand des phys[ikalischen] Kabinettes schweige ich auch lieber, Du wirst es noch früh genug sehen. – Von Bekannten habe ich nur Dr. Richter gesehen, bei Griensteidl.

Viele Grüße an unsere gemeinsamen Freunde Tomaschek, Pebal, etc. etc.

Lebe recht wohl, der Deinige

V. Lang

L.237 *R.196

1865 X 4, Wien

Lieber Bruder!

Durch Onkel August erfuhr ich, dass es Dir gut geht und dass Du ein Schreiben von mir erwartest. Ich will daher, nachdem ich in meine alte Ordnung zurückgekehrt bin, nicht länger säumen, Deinem Wunsche nachzukommen. Zunächst kann ich Dir über das Befinden des Vaters die tröstlichsten Nachrichten geben. Ich habe mir etwas Harn zur Prüfung nach Wien mitgenommen und war sehr erfreut, eine auffallende Abnahme des Zuckergehaltes konstatieren zu können. Die Kaliprobe gab nur mehr ein etwas jodiertes Gelb, aber keineswegs die mahagonibraune Färbung von früher. Diesem Befunde am Harn entsprechend ist auch das übrige Befinden des Vaters recht befriedigend. Über den Zustand der Auguste kann ich Dir nach einer allerdings mangelhaften äußeren Untersuchung mitteilen, dass dieselbe, wenn überhaupt schwanger, gewiss noch mehrere Monate von der Entbindungszeit fern ist. Möglicherweise ist nach allem, was mir erzählt wurde, ein Abortus bereits vor mehreren Monaten erfolgt, und es kann jetzt wohl wieder eine neue Schwangerschaft eingetreten sein.

In Eisenerz hatte ich während der ganzen Zeit meines dortigen Aufenthaltes das herrlichste Wetter, das wir natürlich zu den verschiedensten Spaziergängen und unter andern auch zu einem Ausfluge nach dem etwa 2 Meilen weiten Radmer an der Stube durch ein wildromantisches Tal hindurch benützten. Von Baden aus machte ich nur noch eine Partie nach Heiligenkreuz in Gemeinschaft von Hermann, welchen namentlich die in der Stiftskirche und Galerie befindlichen Gemälde von Altamonte, der auch in der Stiftskirche begraben liegt, interessierten. Wir speisten auf Einladung des P. Paulus im Refectorium, woselbst ich neben dem Prälaten, Hermann neben einem ungarischen Bischof situiert war.

Heute besuchte mich Professor Schultze aus Jena, ein Bruder von Max Schultze. Wir tranken zusammen ein Glas Wein. Das Auftreten Löschners im Krankenhause wirst Du wohl aus den Zeitungen erfahren haben. In der Tat sollte manches besser sein, als es ist und es ist nur zu wünschen, dass jemand den alten Schlendrian auszumerzen sucht. Als Helm auf eine Bemerkung Löschners ironisch antwortete: ‚Wir haben halt keinen Albrecht Dürer zur Verfügung’, erwiderte dieser: ‚Nehmen Sie sich einen Albrecht Schmierer, aber besser soll es sein.’

Nun empfange noch viele Küsse und Grüße, schreibe recht bald Deinem

Emil

L.238 *R.197

1865 X 12, Wien

Lieber Freund!

Das tückische Schicksal fügte es leider, dass Du mit meinem letzten Briefe zugleich auch die Ernennung des Hering in [der] Wiener Zeitung gelesen haben musst. Littrow, welcher Ludwig besuchte, erzählte, dass Hering, als man ihm diesen Ruf mitteilte, er den Auftrag hatte, es Ludwig zu verheimlichen. Nebstbei bemerkt sagte Ludwig zu Littrow, Letzterer wäre schon der Sechste, der ihm einen Brief mit der Anrede ‚animalium viventium dissector’ geschrieben hätte. Doch hoffentlich wirst Du Dich trösten und Dir kein Leides antun. Letzteres ist nämlich bei den Professoren jetzt sehr Mode. Höre: Professor Hessler sen. hat sich gestern Abend im physikalischen Kabinett des Polytechnikums mit der Schnur der Elektrisiermaschine aufgehängt. Der Grund sollen große Schmerzen sein, die er im Knie hatte. Er wurde, glaube ich, erst heute Früh gefunden. Na was sagst Du denn da dazu? Vielleicht interessiert diese Nachricht den Mach. Bei Belcredi war ich; vor mir war Rokitansky, der über Graz gesprochen zu haben scheint. Wenigstens frug mich Belcredi, wie sich jetzt die Grazer Universität macht etc. Auch erkundigte er sich nach Hummel. Für die Lokalitätsfrage der philosophischen Fakultät sollen 300 fl bewilligt sein.

Gerne möchte ich wissen, ob Pebal, als er nach Graz kam, nochmals einen Eid zu leisten hatte. Ich habe mich nämlich hier nicht gemeldet, da nichts in meinem Dekrete stand. Nun scheint man ihn aber doch zu verlangen.

Für Pebal sind Glimmerplatten bei mir. Er möchte über diese verfügen, sonst mache ich nicht Salami sondern Viertel-Undulationsplättchen daraus. Meine besten Grüße an Tomaschek, Pebal etc.

Lebe recht wohl, Dein Freund

Lang

Jäger hat eine sehr fromme Inaugurationsrede gehalten, und Zimmermann vorher eine mit Vorsichtigkeiten gemischte Rede gehalten.

L.239 *R.198

1865 X 20, Graz

Lieber Bruder!

Du wirst mich hoffentlich nicht für einen Oktobermann halten, weil ich gerade heute daran gehe, Dir wieder einmal mein Leben und Treiben zu illuminieren. Ich hätte das sehr gerne schon viel früher getan, aber mancherlei Korrespondenzen geschäftlicher Natur haben mich lange abgehalten, die mir liebste Korrespondenz zu pflegen.

Erstens habe ich mir oder hat sich mir endlich doch ein Assistent aufgezwickt. Dr. Ubald Hochmayer (jetzt Badearzt in Setinsko in Kroatien) heißt dieses Unikum. Ist 28 Jahre alt und studierte im Josefinum Physiologie bei Ludwig. Er war hier in Graz im Garnisonsspital, bekam eine Kniegelenksentzündung und hatschte sich so in die Pension. Vom Militär frei, fühlte er sich bald so gekräftigt, dass er die Stelle in Setinsko antreten konnte. Nun ist es sein heißester Wunsch, sich ausschließlich der Physiologie zu widmen. Wir werden sehen. Die wiederholte Korrespondenz mit ihm, lässt auf einen gebildeten und verständigen jungen Mann schließen.

Ich habe ihn gestern vorgeschlagen und das Kollegium hat ihn ernannt. Ich ging von der Überzeugung aus, dass solche Assistentenstellen wohl ihrem Wesen nach dazu da sind, um den Drang junger Leute nach eingehenden Fachstudien zu befriedigen, und war froh, diesmal ohne Voreingenommenheit handeln zu können. Mitte November kommt Hochmayer nach Graz. – Ich habe über dreißig Zuhörer.

Erstaunlich ist das Ergebnis der neuen Inskription: 46 ordentliche, 18 außerordentliche [Hörer]. Das ist reiner, beneidenswerter und wahrscheinlich auch beneideter Zuwachs, also wir florieren. Freue Dich mit mir, aber im Stillen. Hast Du Lang schon gesehen, er hat mir schon zweimal geschrieben, besuche ihn, schau Dir sein Kabinett an, kurz wechselwirke etwas mit diesem Philosophen, ich zähle hier unter den Letzteren sehr intime Freunde.

Ob die Mutter da oder dort ist, weiß ich nicht. Von Baden direkt nach Graz zu korrespondieren scheint sehr schwer zu sein, lasse daher Du den indirekten Wiener Tintenschlauch recht bald wieder in leserlichen Konfigurationen über ein Oktavblättchen fließen.

In Beziehung auf Heiligenkreuz wünsche ich Dir und Hermann, wohl gespeist zu haben.

Wusste Max Schultzes Bruder schon von dem Tode der Frau des ersteren, die in Ostende von einem Typhus in der Jugendblüte ihrem trostlosen Gatten entrissen wurde?

Dass man dem Helm den Hut antreibt, ist ein sehr drastischer und vergnüglicher Spaß.

Der Löschner wird ja noch wunderliche Tatsachen zu Tage fördern; wenn er so fortfährt, wünschen sich vielleicht die Ärzte in dem Wiener Krankenhause noch entgegen ihrer besseren wissenschaftlichen Überzeugung lieber sekundär als primär zu sein.

Die Familie Schwarz verlässt morgen früh Graz für immer. Ich habe mich ihnen als für die in ihrem Hause genossenen Freundschaften dankbar bis zum letzten Augenblick erwiesen. Die letzten Tage, auch heute, speiste ich mit ihnen bei der Stadt Triest, wo sie nach Absendung ihrer Effekten wohnten.

Heute musste ich leider Zeuge einer Szene sein, die mir sehr wehe tat, Louise hat sich in einen Italiener (Studenten des Jus) wahrscheinlich ganz hoffnungslos, aber sehr intensiv verliebt. Mir hatte sie das schon lange, treuherzig wie sie ist, vertraut, heute wusste sie ihn in die Stadt Triest an den Tisch zu bringen, und das Elend war fertig. Sie weinte, ohne sich zu halten. Die Älteren tun, wie immer, als ob sie nicht wüssten warum, keine Belehrung, kein Wort des Trostes wird ihr werden. Ich sprach noch später, vielleicht der Einzige, ein paar vernünftige Worte mit ihr und suchte sie durch Scherze aufzurichten. Dass ich damit nichts ausrichte, wollte sie mir wahrscheinlich andeuten, als sie halb ernst halb scherzend ein Päckchen Streichhölzchen, welches neben stand, erfasste, die Köpfe gegen den Mund hielt und fragte: ‚Alexander, ist das Gift, ich werde es gleich essen’, lachend schlug ich es ihr aus der Hand. Emilie fügt sich, aller Empfindung bar, in ihr Geschick, diese kalte Natur scheint mir keiner Tränen fähig. Es ist ihr wahrscheinlich nur um die Grazer Dandys, die Bewunderer ihrer koketten Künste, leid.

Arme Mädchen, blinde Eltern, bildsame Herzen, denen man alle Teilnahme schenken möchte, aber schon verbildet, wankelmütig, unbefriedigt. Möge die Erfahrung ihnen noch zugute kommen, ich aber glaube, sie gehen das Los ihrer älteren Schwester, die nach überstürztem Brautstand eine unglückliche Frau wurde. Ich werde doch jedes Mal melancholisch, wenn ich über diese Dinge nachdenke. Nur einen Gewinn ziehe ich daraus, ich werde mir für die Zukunft das quidquid agis, prudenter agas et respice finem gesagt sein lassen.

Mir ist leid und nicht leid um diese Familie, man konnte warm werden in ihrem Kreise und sich heimlich fühlen, denn sie verstehen vortrefflich, für sich zu interessieren und sind menschlicher Teilnahme sehr bedürftig. Aber alles ist äußerlich, nichts innerlich, nur Louisen nehme ich aus. Ich habe noch keine ungemütlicheren Leute kennen gelernt, noch keine, die so anständig und bewegt sich augenblicklich einem neuen Bekannten förmlich hingeben können, noch keine, die ein so kurzes Gedächtnis, so wenig Pietät für diejenigen haben, mit welchen sie verkehren. Es war mir oft zumute, wenn ich von ihnen schied, als ob ich anstatt der frischen Lebenswärme, wie ich meinte, nur gewärmte Kadaver angerührt hätte.

Morgen werde ich sie noch auf die Eisenbahn begleiten. Sie bleiben bis Donnerstag in Wien und werden bei der Birne (Landstraße, Ungergasse oder in der Nähe) wohnen. Sie äußerten mir den Wunsch, Dich zu sehen, besuche sie. Vielleicht besuchen sie auch Dich, wenn sie, was aber noch nicht gewiss ist, zu Rokitansky gehen.

Fr[au] Pfefferkorn, welche Dich herzlich grüßt, sagte mir unlängst allen Ernstes, jetzt sollte ich um eine von den Schwarz freien. Sie sagte mir, auch Mutter Schwarz habe ihr gesagt, dass sie sehr bedaure, dass ich in letzter Zeit so zurückhaltend war, die Mädchen hätten sich dumm gegen mich benommen, sie würden gescheiter werden etc. Allein, es hat vom Baum der Erkenntnis gegessen und will glücklich bleiben, Dein

Alexander

L.240 *R.199

1865 X 29, Wien

Lieber Bruder!

Ich will den Oktober nicht verstreichen lassen, ohne Dein Schreiben vom 20. d[ieses Monats] zu beantworten. Von Baden kann ich Dir so viel wie nichts berichten. Ich habe nämlich seit 8. Oktober, an welchem Tage ich selbst in Baden war, keine Nachricht erhalten. Ich werde, wenn es die Umstände erlauben, den nächsten Feiertag benützen, um mich persönlich vom Befinden aller zu überzeugen. Die Mutter war wenige Tage vor meiner letzten Anwesenheit in Baden von Eisenerz zurückgekehrt. Dem Vater habe ich damals lebhaft zugeredet, Dich in Graz zu besuchen. Ob es geschehen ist oder baldigst geschehen wird – ich weiß es nicht.

Die Familie Louise Schwarz, von welcher ich Dir nochmals viele Grüße entrichten soll, habe ich am Montag in ihrem Hotel besucht. Ich traf sie zwar nicht zu Hause, begegnete sie aber auf dem Rückwege und begleitete sie dann bis in ihre Wohnung. Seitdem habe ich sie nicht mehr gesehen. Am Mittwoch fand ich ihren Namen auf meiner Tafel. Die Entente cordiale schien mir, gegenüber anderen Leuten, zu wenig intensiv, um in meine ohnehin bis 18:00 Uhr gebundene Zeit ein größeres Derangement zu bringen. Ich gratuliere Dir und der Grazer Universität zu dem jährlich zunehmenden Aufschwung. Die Frequenz wird sicherlich noch bedeutend zunehmen, da in Wien die Zahl der Studenten in der Tat eine allzu grosse ist. An unserer Klinik sind gegenwärtig 200, bei Brücke über 300 inskribiert. Hering hat sich bei Becker lebhaft um Dich erkundigt. Lang traf ich unlängst im Akademiegebäude, er erwartet, glaube ich, einen Brief von Dir. Ich werde ihn, sobald ich Zeit finde, in seinem Kabinett besuchen. Es wird Dich vielleicht interessieren, noch nachträglich zu erfahren, wer unsere beiden Reisegefährten auf der Westbahn waren, die wir später in Heiligenblut wieder trafen. Der eine mit dem roten Hemd nennt sich Dr. Bidder, Sohn des Physiologen, der andere Dr. Bergmann aus Dorpat. – Das Missgeschick des Max Schultze war dessen Bruder wohl bekannt und er erzählte mir den ganzen traurigen Krankheits- und Todesfall. Da ich schon so viel von bekannten Leuten spreche, so will ich auch dem wiederholten Ansuchen eines dankbaren Schülers von Dir nachkommen und einen Gruß von Dr. Margules ausrichten.

Mit diesem Monat versiegt die Quelle, welche mir bisher mein Mittagmahl lieferte. Nachdem im vorigen Jahr der Wirt verstorben ist, ist unlängst auch die Wirtin, Frau Meixner, mit Tod abgegangen und es wird vom nächsten Monat an außer der obligaten Kost keine andere mehr zubereitet. Ob ich dann in das Gasthaus gehen werde oder nach dem Vorschlage der Lisi mir das Mittagsmahl aus dem Schwarzspanierhause holen lassen werde, bin ich noch nicht entschlossen.

Ein neuer Skandal wird in nächster Zeit in die Öffentlichkeit dringen. Eben erfuhr ich durch Strafhausarzt Dr. Egger, dass gestern der bekannte praktische Arzt und Ultramontane, Dr. Raspi, in Untersuchungshaft gezogen wurde, und zwar wegen Betrug durch Ausstellung falscher Diplome auf päpstliche Order. Erzähle aber hievon aus Vorsicht vorläufig nichts. Denn wenn, was ich wohl nicht glaube, die Nachricht unrichtig wäre, so könnte unsereins wegen Ausstreuung falscher ehrenrühriger Gerüchte in Untersuchung kommen.

Auf der Klinik befinden sich gegenwärtig zwei ziemlich schwere Vergiftungsfälle durch den Genuss von Tollkirschen, außerdem ein Mädchen mit den verschiedenartigsten Anfällen, wie sie der Chorea magna zukommen und mit schrecklichen Gesichts- und Gehörshalluzinationen, welche förmliche Wutanfälle im Gefolge haben, eigentlich eine Geisteskranke, die besser in ein Irrenhaus passen würde. Unlängst musste ich in der Nacht bei einem Croupkranken die Tracheotomie machen lassen. Auch eine Kranke mit Carcinoma uteri und lebensgefährlichen Blutungen ist da, bei welcher ich wiederholt die Tamponade der Vagina vornehmen musste. Cholera hat sich noch keine in Wien gezeigt, aber eine heftige Cholerine, die aber schon glücklich überstanden ist, hatten wir auf der Klinik. Rechne hinzu noch mannigfache andere schwere akute Krankheiten, so kannst Du entnehmen, dass ich sehr angehängt und in meiner disponiblen Zeit sehr beschränkt bin.

Im Übrigen befinde ich mich ziemlich wohl, ich rauche täglich ein paar Vevey’s, da ich von der Gräfin Lazansky 200 Stück zum Präsent bekam. Die Gräfin hat im September zu Pferd unsere Spuren über die wilde Gerlos durch das Ziller- nach dem Aachental teilweise verfolgt und unsere Namen in den Fremdenbüchern gelesen.

Nun genug für diesmal und nur noch viele Küsse von Deinem

Emil

L.241 *R.200

1865 XI 5, Graz

Lieber Bruder!

Da ich an der Reihe bin zu schreiben und baldigst neue Nachrichten von Dir in Bezug auf Baden erwarte, so gehe ich hiemit ans Werk.

Dein vorletzter Brief brachte mir zwar die tröstlichsten Dinge in Beziehung auf des Vaters Zustand, allein ich kann eine gewisse Besorgnis gerade jetzt nicht los werden, da es wieder Winter wird und gerade [die] Jahreszeit des ersten Auftretens von Vaters bekannten Zufällen. Aus den Badnern ist wirklich mit aller Mühe kein Schreiben herauszupressen.

Am 20. Okt[ober] habe ich auch dem Vater einen teilweise humoristischen Brief geschrieben, der die Aufforderung zu einem Besuche in Graz enthielt. – Keine Antwort bis heute. Auch über die große Scheu der Fräulein Schwestern vor dem Schreiben machte ich mich darin lustig – hat nichts genutzt. Ich weiß nicht mehr, was ich anfangen soll, wenn Du nicht bald mir erzählen wirst, wie es in Baden steht. Mein Leben hier bewegt sich innerhalb der Dir bekannten Grenzen, oft empfinde ich, wenn ich keine Arbeitslust verspüre, Langeweile.

Dem Lang habe ich gestern geschrieben. Ich weiß nicht, ob ich Dir schon mitteilte, dass sein Onkel Dr. Perger mich in Graz besuchte. Ich habe ihm einen Gegenbesuch in Wien in Aussicht gestellt und er hat mich an dieses Versprechen beim Fortgehen in der eindringlichsten Weise erinnert.

Wenn Du Verbindungen mit dem Lang anknüpfen wirst, so wird Dir wahrscheinlich auch seine Verwandtschaft zugänglich werden. Ich glaube aber, dass man darum sich kümmern soll. Es sind gute, von Badner Patriotismus erfüllte Leute, die den Einfluss und den Willen haben, für Bekannte mögliche Protektionen geltend zu machen.

Dr. Perger sagte mir zum Beispiele, warum ich für die josef[inische] Geschichte so wenig getan, er hätte auch dem Vater Vorwürfe gemacht, dass er nicht Schritte bei seinen Bekannten gemacht hätte, wenn nur er (Dr. Perger) es gewusst hätte usw. Du musst nicht etwa, weil ich dieses Beispiel wählte, glauben, dass ich mir die josef[inische] Geschichte etwa sehr zu Herzen nehme, im Gegenteile ich bin gewissermassen froh, noch ein unabhängiger, keinem dummköpfigen Direktor untergeordneter Universitätsprofessor zu sein. Die neben den vielen Lichtseiten nicht unerheblichen Schattenseiten, die die Nachfolgerschaft Ludwigs geboten hätte und die Professorensippschaft, in welche man gekommen wäre, sind nicht schwer zu findende Trostgründe. Was sagt denn Becker zu Stellwags Ausfall?

Recht sehr freut es mich, dass Du immer festern Boden fasst in den Häusern Deiner Gräfinnen. Ich glaube, Du hast alle Ursache, Dich für diese Konnexion nicht nur als Arzt, sondern mit Deinem ganzen Menschen zu interessieren. Zahlreiche gesellschaftliche Beziehungen zu pflegen, mit aller Klugheit, scheint mir der schönste und lohnendste Zeitvertreib, wenn man vom Metier eines praktischen Arztes ist.

Was ich hier niedergeschrieben, sieht fast lehrhaft aus, Du wirst mir aber gewiss nicht übel nehmen, wenn ich Dir die Gedanken mitteile, welche ich hatte, als ich im Geiste eine Deiner duftigen Veveys verschmauchte.

Ich bedaure, dass Dein Hauswesen durch die Aufhebung der bestandenen Küche vielleicht zu Deiner Unbequemlichkeit gestört wird. Unlängst habe ich an Rembold geschrieben. Du solltest das doch auch tun. Hast es vielleicht schon getan. Sind Bidder und Bergmann Praktiker, wie war Eure erste Begegnung in Wien.

Was machen die Pragers, Schmidts. Ist Hermann in Baden, wie findet er sich dort, was sagen die Scheidlins dazu?

Noch um etwas möchte ich Dich fragen, hast Du die Pettenkoferschen Artikel in der Beilage zur Augsburger Allgemeinen Zeitung gelesen. Sie handeln über die Verbreitungsart der Cholera, sind sehr interessant. Ich möchte Dich darüber vernehmen. Sie fallen in den Oktober, hast Du sie übersehen, in der Gesellschaft der Ärzte wird ja, glaube ich, die Allgemeine gehalten und aufgehoben.

Lebe wohl, antworte bald, Deinem

Alexander

L.242 *R.201

1865 XI 9, Graz

Liebster Bruder!

Ich will Dir nur in Kürze mitteilen, dass unser guter Vater heute den ersten Tag mit mir in Graz verlebt. Gestern kam Vater nach einer heiteren Semmeringfahrt abends wohlbehalten hier in Graz an.

Er war bereits bei Galvans. Gestern Abend noch in einer Gesellschaft mit Helly, Planer, Pebal, Gottlieb, Schauenstein, Tomaschek und Gabriel beim Erzherzog Johann. Heute gehen wir noch zu Pfefferkorn, abends ins Thaliatheater.

Nächstens mehr, lebe wohl, schreibe bald. Der Vater lässt Dich herzlichst küssen. Dein

Alexander

L.243 *R.202

1865 XI 10, Wien

Lieber Freund!

Ich fluche jetzt schon seit vier Tagen, und um nicht ganz in die Hölle zu kommen, beschloss ich, einmal etwas anderes zu tun und Dir zu schreiben. Ich liege nämlich schon so lange im Bett, infolge einer Überstauchung, die ich mir beim Turnen holte; ich fürchte, dass ich höchstens erst Donnerstag werde ausgehen können. Himmel, Kreuz so – doch halt, ich will ja für einige Zeit nicht fluchen. Über Deinen letzten Brief habe ich sehr gelacht, wenigstens kann jetzt Folwarczny Anekdoten von einer Kandidatur erzählen. Auch die Feigenblattgeschichte hat ihre erheiternden, aber auch traurigen Seiten.

Letzten Samstag war ich mit Lorenz beim Steindl und traf dort Pfeiffer, Siegel, Sickel und Tomaschek. Pfeiffer unterhielt sich damit, wiederholt die Hoffnung auszudrücken, dass die Prof[essoren der] Technik noch lange auf ihre hohen Gehalte warten müssten. Erzählte dann das Feuilleton der N[euen] F[reien] Presse über Uhland, der den Orden pour le merite ausschlug, und meinte, dass U[hland] es dem Humboldt schön gesagt habe, als jener so dumme Gründe (Arago, Melloni etc.) anführte. Übrigens erzählte er, was vielleicht Tomaschek interessiert, dass Uhlands Frau eine Biographie ihres Mannes drucken ließ, von der einige Exemplare in Wien sind.

Was machen Eure Samstagabende, was der Eiskeller, jedenfalls säße ich jetzt lieber dort, als hier im Bett zu liegen.

Von Wissenschaftlern sehe ich nur Bauer und Reitlinger im Kaffeehaus. Letzterer will außerordentl[icher] Prof[essor] an der Technik werden, wozu er ihnen die Vorträge über Geschichte der induktiven Wissenschaft daraufgibt.

Von Graz habe ich neulich einen anomymen Brief von einer alten Frau bekommen, die, um ein Mädchen, das um mich trauert, zu heilen, die Erlaubnis erbittet, mich verleumden zu dürfen, habeat! Ich vermute, dass sich von meinen Bekannten jemand einen Spaß machte, ich bin aber nicht aufgesessen.

Solltest Du Schmidt sehen, so bitte ich, ihn zu fragen, ob er so gut war, die Dinge, die ich ihm nach London mitgab, dort abzugeben. Auch bitte ich Dich, bei Gelegenheit Leuschner & Lubensky zu erinnern, sie möchten mir [die] Pogg[endorffschen] Ann[alen] und ein bestelltes Büchlein von Wolf per Post nachsenden.

Euer Wolf hat ja auch sein Pensum über Kärnten geschrieben! Und gar sentimental. Sollens nachmachen.

Wie macht sich Schmidt als Rektor? Ist die Familie Deines Dieners wieder in Ordnung. Hast Du den neuen Chemiker Schwarz schon zu Gesichte bekommen, scheint mir für diese Berufung auch keine besonderen inneren Gründe vorhanden zu sein [sic].

Handl ist gegenwärtig von Lemberg hier, um für die Technik zu kompetitieren, derselbe heiratet nächstens ein Frl. xyz.

Viele Grüße an Dich, die Kollegen und an Pfann, der Deinige

V. Lang

Entschuldige das Gekritzel.

L.244 *R.203

1865 XI 11, Wien

Lieber Bruder!

Gestern endlich erhielt ich durch Dein Schreiben die erfreuliche Nachricht, dass unser guter Vater dermalen bei Dir in Graz verweilt. Ich wusste zwar seit meiner letzten Badnerfahrt, dass Dir dieser ersehnte Besuch in naher Aussicht steht, aber die völlige Gewissheit bekam ich erst durch Deinen Brief. Ich bin überzeugt, dass Vater und Du die kurze Zeit des Beisammenseins recht angenehm verbringen werdet und dass für Vater der Aufenthalt procul negotiis schon wegen seiner Seltenheit eine Quelle angenehmer Erheiterung und Zerstreuung sein wird. Umso mehr bedaure ich fern von Madrid oder eigentlich Graz darüber nachdenken zu müssen, wie schön es wäre, wenn ich [als] der Dritte im Bunde in Euerem Beisammensein teilhaben könnte.

Heute oder morgen reist Dr. Schott nach Graz, um den Winter in möglichster Zurückgezogenheit zur Weiterführung einer bereits begonnenen Arbeit zu benützen. Er wird, wie er mir mitteilte, bei Dir vorsprechen, um ein Plätzchen in Deinem Laboratorium zu erlangen.

Durch Vater wirst Du erfahren haben, dass Denhardt einige Tage in Wien zubringt und bei mir übernachtet. Er strebt eine Stelle an, wegen welcher er mehrere Schritte zu machen hat und wird nächsten Montag eine Audienz beim Kaiser nehmen.

Becker verhält sich zu dem Angriffe Stellwags, wie es scheint, ziemlich gleichgültig. Hering wird nächstens vermutlich auf Aufforderung Beckers physiologisch-optische Kurse beginnen. Einen Gruß von Prof. Schroff, der manchmal einen bekannten Kranken unserer Klinik besucht. – Der Familie Prager und Schmid geht es ziemlich gut. – Du wirst durch Vater gewiss viele Nachrichten mündlich erhalten haben, die ich Dir daher nicht mehr zu schreiben brauche.

Die Pettenkoferschen Artikel habe ich bis jetzt nicht zu Gesicht bekommen. Ich glaube aber, die Ansichten dieses Forschers über die Verbreitungsart der Cholera zu kennen und muss sagen, dass sie vieles für sich haben. In Wien hat sich bis jetzt nichts von diesem asiatischen Eindringling gezeigt. Unlängst bekam ich das Programm der diesjährigen Montagsvorträge zugesandt unter der Adresse Dr. Alex[ander] Rollett, Assistent am physiolog[ischen] Institute, Alservorstadt; ich lege es diesem Briefe bei. Da ich glaube, dieser Brief wird den Vater noch in Graz treffen, so füge ich viele herzliche Küsse und Grüße an ihn und Dich bei. Lebe wohl, Dein

Emil

Ich hoffe auf ein baldiges Schreiben, welches mich in die Details Deiner und des Vaters gemeinsame Grazer Erlebnisse einweihen wird.

L.245 *R.204

1865 XII 7, Graz

Lieber Bruder!

Die Antwort auf Dein letztes Schreiben wird Dir wahrscheinlich der Vater schon überbracht haben, als er Dir von seinem Grazer Aufenthalt erzählte, wenigstens hat er sich vorgenommen gehabt, Dich baldigst zu besuchen. (Sollte es nicht geschehen sein, dann werde ich im nächsten Briefe es tun.)

Schott arbeitet bei mir und befindet sich sehr wohl, wir lachen und scherzen viel, dabei fließt die Arbeit munter fort. Mein Assistent Hochmayer ist ein netter junger Mann, geschickt zum Arbeiten, kurz ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen.

Du hast in den Zeitungen über Schmidts Festrede gelesen. Hier machen die Gegner noch immer großes Geschrei. Erst gestern ist wieder von vier Theologen unter dem Titel: ‚Die Theologen und die Festrede vom 15. Nov[ember]‘ eine Broschüre erschienen. Ich will sie Dir schicken, wenn ich sie bekomme, da sie Aufklärung über die Streitfrage und den ganzen Fall gibt. Ich bitte, sie aber gerade nicht zu verbreiten, sonst arbeiten wir denen in die Hände, mit denen wir gar nichts gemein haben, da sie nicht wie wir durch Artenwandlung im Kampf ums Dasein, sondern irgend wie entstanden sind, „waß mas“ [weiß man es] denn.

Für die reiche Menge von Veveys danke ich herzlich, ich brauche nicht mehr im Gedanken zu schmauchen und dabei zu denken, sondern ich kann jetzt auch ohne viel zu denken in Wirklichkeit schmauchen. Die Zigarren sind ausgezeichnet und aromatisch.

Deine drei Aufsätze im Wittelshöfer habe ich gelesen. Letzthin war ja auch im Centralblatt ein Referat über Deine Darmeinklemmung.

Hast Du Lang gesehen? Der Arme hat sich beim Turnen den Fuß verstaucht und musste längere Zeit liegen. Ich werde heute oder morgen auch an ihn schreiben, ich will wissen, wie es ihm jetzt geht. Große Erregung der Gemüter hat hier die Maßregelung des liberalen Oberstaatsanwaltes Waser hervorgerufen.

Sind auch die Verhandlungen des Steier[märkischen] Landtages Gegenstand Deiner Lektüre. Waser hat am 2. Dezember gesprochen.

Heute bin ich bei Frau von Gross für den Abend geladen. Von der Tante Schwarz erhielt ich ein Schreiben aus Innsbruck, sie sind gut angekommen. Die Wohnung gefiel ihnen nicht. Die Köchin hat sich durch einen Fall ins Spülloch den rechten Arm in der Schulter luxiert, sonst geht es ihnen gut.

Lebe wohl, schreibe mir bald, Dein

Alexander

L.246 *R.205

1865 XII 11, Wien

Lieber Bruder!

Erst am verflossenen Dienstag habe ich den Vater zum ersten Mal seit seiner Rückkehr von Graz gesehen, da er mich in Wien besuchte und bei mir übernachtete. Wir gingen miteinander in die ‚alte Schachtel’ und speisten in Gesellschaft des Herrn von Schwarz mittags bei Schölls, abends beim Steindl.

Nachdem ich schon durch mehrere Tage ein Schreiben von Dir erwartet hatte, bekam ich endlich durch den Besuch des Vaters die gewünschte Nachricht darüber, wie es Dir und ihm in Graz erging. Bald nach der Rückkehr des Vaters von Graz kam die Mutter nach Wien und blieb ungefähr 8 Tage lang bei mir. Der eigentliche Zweck ihres Wiener-Aufenthaltes war, sich die nötige Sachkenntnis in der Handhabung der Nähmaschine zu erwerben, was sie auch mit gewissenhafter Ausdauer von morgens bis abends in einem Etablissement am Kärntnerring zu erreichen suchte und nun zu Hause an einer neugekauften, sehr schönen Nähmaschine weiter fortsetzt. Abends besuchten wir einige Theater und [den] Zirkus. Vorigen Freitag war ich in Baden, fand alle im besten Wohlsein und bekam daselbst Deinen letzten an Vater gerichteten Brief zu lesen und auch jenen humoristischen, den Vater von Graz aus an die Mutter schrieb und in welchem Du und eine gewisse Triestinerin eine so große Rolle spielen.

Wie verhält sich Schott zu der ihm angebotenen Prosektorstelle im St. Annen-Spitale? Hat er angenommen oder nicht, und wenn ersteres, befindet er sich auf Urlaub in Graz oder sonst wie? Übrigens lasse ich ihn schön grüßen.

Öfters schon frug mich Onkel Prager nach einem gewissen Dr. Liebisch aus Graz, der in Wien die Frau seines Freundes, Major Öhlenschläger, behandelt. Der Grazer Doktor soll sich daselbst eines besonderen Rufes in der Behandlung von Herzkrankheiten erfreuen. Ich habe nie etwas von ihm gehört und ersuche Dich zugleich im Namen des Onkel Fritz, wenn möglich Erkundigungen über den genannten Doktor einzuholen und mir darüber nächstens Mitteilung zu machen.

Der kleine Dr. Basch, der Mikroskopiker, wurde zum Hauptmann-Oberarzt in der mexikanischen Armee ernannt und geht morgen nach Paris und einige Zeit später nach Mexiko.

Mit Bedauern habe ich den Unfall des Prof. Lang beim Turnen in Erfahrung gebracht. Nun erkläre [ich] mir, warum ich ihn bereits zweimal vergeblich in seinem Institute aufgesucht habe und die Türe jedesmal geschlossen fand.

Es wird mich sehr interessieren, die versprochene über die Festrede O. Schmidts handelnde Broschüre zu lesen. Ohnehin kenne ich den Wortlaut der Festrede nicht und habe nur Referate darüber in den Zeitungen, z.B. der alten Presse, gelesen. Die berühmte Rede des Oberstaatsanwaltes Waser vom 2. Dezember habe ich vollständig gelesen.

In den Zeitungen wirst Du vielleicht die rätselhafte Ermordung des Oberleutnants Kaiser vom Badner Militärbadhause gelesen haben. Der Unglückliche wurde mit mehreren Schnitt- und Stichwunden in Hals und Nacken tot aufgefunden. Drei verdächtige Individuen sind eingezogen. Die Ursache der Ermordung ist wahrscheinlich ein Raubanfall.

In Wien machen gegenwärtig die Patti-Konzerte großes Aufsehen. Ich habe mir die gesanglichen Chimborassotouren dieser Künstlerin bis in [das dreigestrichene g] ebenfalls angehört. Marie weilt dermalen in Wien bei Schmid, wo ich gestern zu Tisch geladen war. Nun noch viele herzliche Küsse und Grüße. Lasse auf ein Schreiben nicht allzu lange warten Deinen

Emil

L.247 *R.206

1865 XII 12, St. Petersburg

Mein lieber College!

Ich war immer im Begriff, Ihren Brief zu beantworten, konnte aber bis jetzt nicht dazu kommen, und zwar aus dem Grunde, dass ich die Ihnen zugedachte Osmiumsäure bis jetzt noch nicht erhalten habe. Zufälligerweise hat man alles Osmium-Iridium, was wir in unserer Kollektion gehabt haben, verarbeitet. Ich habe mich an die Akademie der Wissenschaften gewendet; man hat mir versprochen, aber bis jetzt noch gar nichts geliefert. So bald ich das Präparat haben werde, schick ich es Ihnen zu. Sie fragen mich, was ich mit dem schwach reduzierenden Körper angebe? – er ruhet in Frieden, indem ich gegenwärtig interessantere Arbeiten vorhabe; die Kontrollversuche verpfuschter Untersuchungen sind gar zu langweilig. Kühne hat mir geschrieben, dass Dr. Eichwalds Versuche in seinem Laboratorium wiederholt worden sind und ebenfalls zum negativen Resultate geführt haben, gerade wie die meinigen. Durch diese Übereinstimmung unterstützt, halte ich mich für berechtigt, Dr. Eichwalds interessante Entdeckung (wie er sie selbst zu nennen pflegt) für eine schlecht ausgeführte und verpfuschte Untersuchung anzusehen.

Sorokin hat mich beauftragt, Ihnen seinen warmen Dank für Ihre Photographie mitzuteilen. Meine Frau grüßt Ihnen herzlich. Setschenow, Krassilnikoff und Lowtzoff schicken Ihnen ebenfalls freundliche Grüße. Leben Sie wohl und vergessen Sie nicht Ihren ergebenen

A. Borodin

L.248 *R.207

1865 XII 18, [Wien]

Lieber Freund!

Ich schreibe Dir in Eile, da ich augenblicklich zu Bauers Schwafelei über den Schwefel gehen muss. Übrigens ist er der Grund, warum ich Dir schreibe, da ich Dich ohnedem zu Weihnachten hier zu sehen hoffe.

Er will nämlich wissen, ob das Gerücht wahr ist, dass Schwarz (Prof[essor] der tech[nischen] Chemie) wieder von Graz fortzugehen beabsichtigt. Ich bitte Dich also, nur mit der Beantwortung dieser diplomatischen Frage ausgerüstet in Wien zu erscheinen.

Der Vorschlag des polyt[echnischen] Inst[ituts] wegen Hesslers Lehrkanzel ist gemacht. Primo Clausius, secundo Stefan, tertio konnte keine absolute Majorität erzielt werden und wurden dem Ministerium Waltenhofen, Mach, Reitlinger genannt, unter welchen ersterer am meisten Stimmen hatte!! Bedaure Mach!

Mir geht es soweit wieder gut, nur muss ich meinen Fuß schonen. Vielleicht schreibst du mir noch, wann Du nach Wien kommst.

Aufrichtig der Deinige

V. Lang

L.249 *R.208

1865 XII 22, Graz

Lieber Bruder!

Schott, der Graz gestern verlassen hat, ist von mir ersucht worden, mit Dir recht ausführlich über alle seine Wahrnehmungen hier zu konferieren. Von Lang habe ich unlängst einen Brief mit einer Anfrage erhalten und vorgestern geantwortet, Langs Brief enthielt aber auch eine Aufforderung, dass ich zu Weihnachten nach Wien kommen solle. Ich sagte ihm, dass ich zwar ein sehr hohes Verlangen trüge, Dich vor allen, dann ihn und vielleicht noch eine Reihe von Freunden zu sehen, allein es wären auch gewisse andere Berührungen nicht zu vermeiden, wobei ich in die Lage kommen könnte, den Leuten auf die derbste Weise die Wahrheit zu sagen. Ein Beginnen, welches meinem Unmute über mancherlei Vorgänge vollkommen entsprechen würde, welches aber wahrscheinlich eben so erfolglos wäre, wie es augenblicklich die Anstrengungen der Verfassungsfreunde sind.

Ich werde also mögliche Entladungen auf gelegenere Zeit verschieben und diesmal von Wien ferne bleiben. Ich habe nun die unwiderleglichsten Argumente in Händen, für den Beweis, dass in Wien eine Partei dominiert, welcher die Landsmannschaft höher gilt als alle wissenschaftlichen Qualifikationen. Diese Herrn Intelligenzler benützen jede Gelegenheit, um auf Wienerstellen, deren Dotationen sie aufs höchste zu schrauben sich eifrig bemühen, berufene Ausländer zu plazieren, während die Provinz-Universitäten mit ihren schlecht dotierten Stellen ihnen ein für ihre Protektionswut verlorener Boden erscheinen. Nur gut genug für Inländer, die man sich so am besten vom Halse schafft, diese allein haben die österreichische Finanzkalamität zu tragen und Professoren um 1000 fl jährlich aus sich herausschinden zu lassen, eine Zumutung, die man einem die Tafelrunde der Intelligenzler in Wien vergrößernden Berufenen nicht machen kann. Heißt das nicht, die aller Gerechtigkeit und Billigkeit hohnsprechende Inäqualität der Hochschulen, die ein österreichisches Unikum ist, in Permanenz erklären. Es fällt mir nicht ein, mich gegen Berufungen von wissenschaftlichen Zelebritäten auszusprechen. Allein wir in Graz brauchen solche gerade so gut wie die in Wien.

An jeder Universität müssen wenigstens einige hervorragende Lehrer tätig sein, für jede Universität muss dieser oder jener um 4000–6000 fl gewonnen werden können.

Mit einem Worte, alle Universitäten müssen gleichwertig sein in Beziehung auf die fixen Lehrergehalte, die der Staat gewährt. Es darf keine Universität geben, wo man nur Anfänger als Lehrer hinschickt, oder an der in Ehren ergraute Lehrer sich schließlich sagen müssen, schau für Graz warst Du gut genug, für Wien aber nicht gut genug. An Hesslers Stelle hat man Clausius berufen, warum? An unserer Universität ist die Mathematik erledigt, ein Wiener Herr Professor, der darüber seine geistreichen Gedanken zum Besten gab, äußerte zu einem Grazer Professor, Sie haben nie nötig, ins Ausland zu greifen, sie können ihren ganzen Bedarf mit unseren Schülern decken. Dieser anmaßliche Kauz ist ein Österreicher und Hauptgallopie der Intelligenzler.

Dagegen wurde gestern mit großer Majorität Hankel in Leipzig für die Professur der Mathematik vorgeschlagen und ich schmeichle mir, dass die wiederholte Darlegung meiner eben ausgesprochenen Ansichten über Berufungen und anzustrebende Aequiparierung der Universitäten nicht ohne Einfluss auf einige der Philosophen war. Wir können dem Wiener Berufungsschwindel nur dadurch wirksam begegnen, wenn wir unsere Anforderungen eben so hoch spannen und uns mit aller Macht wehren gegen den Grundsatz:

So oft in Wien eine gut dotierte Stelle frei wird, ist ein Ausländer zu berufen, da für die Inländer ohnehin die schlecht dotierten Lehrkanzeln in Prag, Graz, Lemberg u.s.w. da sind.

Unter dem vielverschrieenen Grafen Thun waren wenigstens, was Prag betrifft, ganz andere Prinzipien maßgebend. Damals hatten wir aber eben, was uns jetzt fehlt, einen mit Personalkenntnis ausgestatteten Unterrichtsminister, der aus sich selbst ein Urteil schöpfen konnte und nicht bloß auf Gutachten, einer an der Residenz-Universität spukenden Clique angewiesen war. Also erlaube mir, mich dasmal von Wien fern zu halten. Ich habe Dir meine Anschauungen entwickelt, weil ich dafür Propaganda machen will, ich halte sie allein für patriotisch. Schmidts Festrede ist nicht gedruckt, die Streitschrift schicke ich Dir unter Kreuzband. Ich turne dreimal in der Woche.

Noch will ich Dir mitteilen, dass wir eine Referierungsgesellschaft zustande gebracht haben, Mach, Pebal, Buchner, Peters, Lippich, Gabriely, Wastler, Pless, Krischek, Maly, Gobasch und ich. Es ist sehr animiert, der wissenschaftliche Eifer groß und man profitiert viel dabei.

Den Christabend werde ich bei Planer zubringen. Lebe wohl, schreibe mir recht bald, wie steht es mir Deinen Kursen. Bei mir arbeitet wieder ein Russe, Dr. Gwosdew aus Moskau. Adieu.

Lieber Vater!

Ich hoffe, dass Emil heute nach Baden gekommen ist und über meinen letzten an ihn gerichteten Brief erzählt hat. Ich hätte auch Dir schon gestern geschrieben, wenn nicht ein beklagenswerter Umstand mich daran gehindert hätte. Ich wollte nämlich wieder einmal ein paar von Steiermarks ureigentümlichen befiederten Zweibeinern in meine liebe Heimat entsenden; allein ich kam zu spät. Schon seit gestern Morgen herrschte hier die drückendste Kapaunernot, und alle meine Bemühungen waren fruchtlos; so geht es einem Junggesellen, der erst, wenn er sich schon blamiert hat, von der einen oder der anderen guten Freundin darüber belehrt wird, dass man sich vor drei Feiertagen ein bisschen früher um einen fetten Braten umsehen muss. Übrigens ist aufgeschoben nicht aufgehoben und ein anderes Mal sollen mir diese bockbeinigen Landbewohner einen solchen Streich nicht wieder spielen.

Die Zeit, seit Du hier warst, ist mir vieler Arbeiten halber sehr rasch vergangen und doch kommt es mir wieder lang vor, wenn ich die Zeit, seit ich Dich nicht mehr gesehen, mit den rasch verflogenen Tagen Deines Hierseins zusammenhalte. Ich wäre daher sehr gerne nach Baden gekommen, allein mancherlei Gründe bewogen mich, diesen Besuch auf später zu verschieben, so ist unter anderem wieder ein Russe in meinem Laboratorium angekommen, Dr. Gwosdew aus Moskau, designierter Professor der gerichtlichen Medizin. Er will bei mir sich in Blutuntersuchungen einarbeiten und wir werden die Ferienzeit dazu rüstig benützen.

Ich wünsche Dir, der lieben Mutter und allen glückliche Feiertage.

Den heutigen Abend werde ich bei Planer zubringen. Mit der Frau von Pfefferkorn habe ich mir heute einen kleinen Spaß erlaubt. Ich habe ihr einen urdummen Kerl aus Gips, der den Zopf und das Kinn bewegt, um 10 Kreuzer auf dem Christkindlmarkt gekauft und wohlverpackt mit verstellter Schrift zugeschickt. Ich freue mich auf ihre Erzählungen, wenn ich nächstens hinkommen werde. Ich bitte vorläufig niemand den Spaß zu verraten, damit die Frau von Pfefferkorn nichts merkt.

Wir haben heuer einen Winter, wie man ihn sich nicht schöner wünschen kann. Höchstens zweimal war bis jetzt morgens ein leichter Schneeanflug, der in einigen Stunden wieder weg war.

An einem der Ferientage wollen Gottlieb, Pebal und ich einen Ausflug machen.

Ich habe seit unserer letzten Schachpartie nun schon zweimal wieder gespielt und zwar mit einer Tante Pebals, die mir sehr überlegen ist. Pebals Mutter und Tante schenken mir immer mehr und mehr ihre Gewogenheit und haben dies neulich dadurch bestätigt, dass sie mich zu einem sehr luxuriösen Mittagessen geladen haben.

Heute erfuhr ich zu meiner größten Überraschung den unerwartet schnellen Tod Schuhs. Ich kann mir diesen Fall noch gar nicht erklären. War es wirklich ein Typhus? Wer hätte denken sollen, dass sein alter Lehrer Wattmann ihn überlebt. Wahrscheinlich wird sich nun der Herr Ritter von Pitha um die Professur an der Universität bewerben. Unter den Schülern Schuhs, scheint mir, wäre nur Wimmer, der Leibarzt des verstorbenen Königs der Bulgaren, zu nennen, allein ich glaube, dass man viel verlernt, wenn man 10–12 Jahre nichts doziert hat. Schuh hinterlässt jedesfalls weit mehr einen berühmten Namen als tüchtige Schüler.

Wie geht es in Baden allen, wie steht es mit der Gasbeleuchtung. Hat man über die Motive und Täter des an Lieutenant Kaiser verübten Mordes etwas erfahren. Hat diese traurige Geschichte in Baden viel Furcht erregt. Ich wüsste noch sehr viel zu fragen und bitte darum um baldige Nachrichten vom Hause. Es küsst Dir die Hände Dein allerdankbarester

Alexander

Handküsse an die Mutter. Grüße an alle.

Glückliche Feiertage.