Selten endet ein Roman, wenn es denn ein neuer und moderner ist, wie der „nuovo romanzo Se una notte d’inverno un viaggiatore di Italo Calvino“ (3)
. Dessen ungewöhnlich kurzes letztes Kapitel, das als das zwölfte beziffert wird, lautet folgendermaßen (263):
Die Seitenangaben vor oder nach den Zitaten beziehen sich jeweils auf die von mir verwendete Ausgabe: I. Calvino, Se una notte d’inverno un viaggiatore, Turin: Einaudi 1979.
„Ora siete marito e moglie, Lettore e Lettrice. Un grande letto matrimoniale accoglie le vostre letture parallele.
Ludmilla chiude il suo libro, spegne la sua luce, abbandona il capo sul guanciale, dice: – Spegni anche tu. Non sei stanco di leggere?
E tu: – Ancora un momento. Sto per finire Se una notte d’inverno un viaggiatore di Italo Calvino.“
Offenkundig sind bei diesem Romanschluß Züge prononcierter Modernität und Konventionen ältester Überlieferung miteinander verschränkt. Zum Bereich des spezifisch Modernen gehört natürlich die Autoreflexivität eines Textes, der hier sein eigenes Ende und jenes der Lektüre thematisiert
. So bringt der Schlußsatz die im Romanverlauf getrennten Instanzen des fiktionalen, „gelesenen“ und des extrafiktionalen, „lesenden“ Lesers erneut zusammen, um pointiert zu vollenden, was der erste Satz („Stai per cominciare a leggere il nuovo romanzo
Vgl. dazu die sehr ergiebige Studie von W. Helmich, „Leseabenteuer. Zur Thematisierung der Lektüre in Calvinos Roman ‚Se una notte d’inverno un viaggiatore‘“, in: U. Schulz-Buschhaus – H. Meter (Hrsg.), Aspekte des Erzählens in der modernen italienischen Literatur, Tübingen 1983, 227–248, hier 228ff.
Zu einer Typologie von Erzählungen in ‚zweiter Person‘, bei denen der ‚narrateur‘ den ‚narrataire‘ quasi zum Aktanten macht, vgl. R. Gnutzmann, „La novela hispanoamericana en segunda persona“, in: Iberoromania 17 (1983), 100–120, sowie – besonders erhellend – K. Meyer-Minnemann, „Narración homodiegética y ‚segunda persona‘: Cambio de piel de Carlos Fuentes“, in: Acta Literaria 9 (1984), 5–27. Erste Hinweise zur Position von Se una notte in dieser Typologie, die ja vor allem seit Butors La modification und Sollers’ Drame aktuell erscheint, gibt C. Segre, „Se una notte d’inverno uno scrittore sognasse un aleph di dieci colori“, in: Strumenti critici 13 (1979), 177–214, hier 177ff.
Andererseits handelt es sich aber auch um den Fall eines gewissermaßen klassischen Happy-Ending. Wenngleich parodisch oder parodistisch relativiert, läßt das „lieto fine“ überdeutlich erkennen, daß es an die Konklusionsformel der Komödie und des hellenistischen Romans anknüpft (oder besser noch: sie fortführt; denn wir begleiten die in Liebe vereinten Protagonisten ja nicht nur bis zur Hochzeit, sondern darüber hinaus bis ins Ehebett). Außerdem geben weitere Korrespondenzen mit anderen Schlüsselstellen gerade den Sätzen des Happy-Ending eine Bedeutungsfülle und zumal eine Suggestion tieferer Paradoxie, welche der Unscheinbarkeit ihrer Formulierungen auf den ersten Blick kaum anzumerken sind. Weil ihr Gewicht durch die Attitüde behender Beiläufigkeit, die überhaupt einen wesentlichen Reiz des Romans ausmacht, eher kaschiert als akzentuiert wird, erscheint es daher wohl lohnend, der Gestalt dieses Kapitels etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen, als bislang geschehen ist.
Die auffälligste Funktion des „Capitolo dodicesimo“ ist zweifellos, zu unterstreichen und quasi zu besiegeln, daß die bekanntlich höchst komplexe Struktur von Se una notte neben weiteren Figuren auch jene eines Liebesromans umfaßt. Selbst wenn man von den zehn (oder elf)
eingeschobenen Fragmenten absieht
Hier ist die Frage, ob man die in das elfte Kapitel integrierte „11. Sekundärfiktion, ein Erzählfragment im Stil von 1001 Nacht“, den übrigen Sekundärfiktionen gleichsetzen kann, obwohl diese Erzählung „nicht als selbständige Einheit hervorgehoben“ wird. Vgl. dazu W. Helmich, ,,Leseabenteuer“, 244, Anm. 4.
Ihren Pastiche-Charakter hat bisher am ausführlichsten und kenntnisreichsten C. Segre behandelt. Wie komplex der Anspielungsreichtum dieser Episoden wirkt, zeigt besonders deutlich der Pastiche eines lateinamerikanischen Romans im neunten Fragment. Dessen Ausgangssituation, die Suche nach der Mutter beziehungsweise dem Vater, verweist – wie Segre („Se una notte d’inverno uno scrittore“, 214, Anm. 35) zu Recht konstatiert – auf Juan Rulfos Pedro Páramo. Mit García Márquez’ Cien años de soledad vermischen sich der Name Amaranta, an den auch das zehnte Fragment erinnert (vgl. 251), die Motive von Doppelgängertum und Wiederholungszwang, der durch Abgeschiedenheit und inzestuöse Heiraten geprägte Ort Oquedal („un villaggio di poche famiglie isolato sulle montagne“, 228) als freilich mexikanisch konnotierte Doublette des kolumbianisch-karibisch konnotierten Macondo. Daneben sind jedoch noch weitere Assoziationen möglich. So entsprechen die „successivi cortili del palazzo Alvarado“ (230) den „patios“ im ersten Kapitel von José María Arguedas’ Los ríos profundos, und außerdem geht es in beiden Episoden um die soziale Degradierung durch einen unwürdigen Empfang (vgl. 230: „Anacleta leva una mano e indica verso il primo cortile. – Perché la padrona non ha voluto riceverti? Perché t’ha fatto alloggiare quaggiù con i servi?“, und J. M. Arguedas, Los ríos profundos, Madrid 1981, 1. Ausgabe 1958, 10: „Era una cocina para indios el cuarto que nos dieron. [...]; El Viejo! – pensé –.; Así nos recibe!“). Unter den vielen Borges-Reminiszenzen fällt die Analogie des Episodenendes zum Ende der Erzählung El Sur ins Auge (vgl. 235: „Mi fermo al di là della fossa, m’avvolgo il poncho sul braccio sinistro, impugno il coltello“, und J. L. Borges, Ficciones, Buenos Aires 171973, 195: „Dahlmann empuña con firmeza el cuchillo, que acaso no sabrá manejar, y sale a la llanura“).
Vgl. S. Tani, The Doomed Detective. The Contribution of the Detective Novel to Postmodern American and Italian Fiction, Carbondale-Edwardsville: Southern Illinois University Press 1984, 114–134.
Vgl. zu diesem Topos und seinen Variationen seit dem hellenistischen Roman B. König, Die Begegnung im Tempel. Abwandlungen eines literarischen Motivs in den Werken Boccaccios, Hamburg 1960.
„Lettore, cosa fai? [...] Sei il protagonista assoluto di questo libro, d’accordo, ma credi che ciò ti dia diritto d’aver rapporti carnali con tutti i personaggi femminili? [...] Non bastava la tua storia con Ludmilla per dare all’intreccio il calore e la grazia d’un romanzo d’amore? Che bisogno hai di metterti anche con sua sorella [...]?“
Was hier als ‚Wärme‘ und ‚Anmut‘ eines Liebesromans empfohlen wird, kommt nun im zwölften Kapitel zum gattungsgerechten und – wie es scheint – harmonischen Abschluß. Schaut man genauer hin, stellt sich freilich heraus, daß die scheinbare Harmonie ihre Probleme hat. Zwar insistieren die ersten beiden Sätze auf der Paarbildung „marito e moglie“, „Lettore e Lettrice“, „letto matrimoniale“, „letture parallele“), doch entsteht aus ihr mitnichten eine Synchronie geeinter Bewegungen. Die Lampen werden in verschiedenen Momenten abgeschaltet, wie es diverse und jeweils individuelle Leserhythmen verlangen, und überdies kehren die letzten Abschnitte nach dem „voi unitario“ von „Ora siete marito e moglie“ mit auffälligem Nachdruck zu einem „tu“ zurück, welches ebenso separierend wie individualisierend wirkt.
Dabei erinnert sich der aufmerksame Leser, daß das ‚einheitliche Ihr‘ bereits in Frage gestellt wurde, als der Erzähler „Lettore“ und „Lettrice“ („Siete a letto insieme, Lettore e Lettrice“) zum ersten Mal – episodisch – als eine „unica bicipite persona“ ansprach. Bei der Betrachtung des Liebesakts hieß es im siebten Kapitel: „Insomma, quello che fate è molto bello ma grammaticalmente non cambia nulla. Nel momento in cui più apparite come un voi unitario, siete due tu separati e conchiusi più di prima“ (154f.). Daß diese Ankündigung einer Zurücknahme des „voi“ zugunsten des „tu“ den Romanschluß mit seinem analogen Übergang von der „Voi“-Apostrophe zur „Tu“-Apostrophe antizipiert, bestätigt gleich darauf ein ausdrücklicher Kommentar. In ihm verläßt der in die Zukunft gerichtete Blick den Moment der ‚Exklusivität‘ sexueller Zuwendung, um die zerstreute ‚Gewohnheit‘ des späteren ehelichen Alltags zu betrachten: „(Questo già adesso, quando ancora siete occupati l’uno della presenza dell’altro in maniera esclusiva. Figuriamoci di
Und damit nicht genug. Nachdem der Liebesakt als ein Akt des Lesens
und zugleich ganz unter dem Gesichtspunkt zweier Du geschildert worden ist („Lettrice, ora sei letta [...] E anche tu intanto sei oggetto di lettura, o Lettore“), setzt sich die desillusionierende Auflösung ekstatischer Einheit mit Wendungen fort, die durch wörtliche Anklänge die Situation des Romanschlusses nicht nur vorwegnehmen, sondern sie ausmalen, verlängern und deuten (156f.):
Vgl. zu dieser und anderen metaphorischen Ausweitungen des Begriffs Lektüre W. Helmich, „Leseabenteuer“, 242ff.
„Domani, Lettore e Lettrice, se sarete insieme, se vi coricherete nello stesso letto come una coppia assestata, ognuno accenderà la lampada al suo capezzale e sprofonderà nel suo libro; due letture parallele accompagneranno l’approssimarsi del sonno; prima tu poi tu spegnerete la luce; reduci da universi separati, vi ritroverete fugacemente nel buio dove tutte le lontananze si cancellano, prima che sogni divergenti vi trascinino ancora tu da una parte e tu dall’altra“.
Was das zwölfte Kapitel lediglich suggeriert, wird an dieser Stelle explizit gesagt. Vor und nach der ‚flüchtigen‘ Begegnung im ‚Dunkel‘ dominiert jeweils ein akzentuiert gedoppeltes „tu“: „prima tu poi tu spegnerete la luce; [...] prima che sogni divergenti vi trascinino ancora tu da una parte e tu dall’altra“ (Hervorhebung U.SB.). Der Ausblick, der über das Happy-Ending hinausreicht, macht endgültig klar, daß die Unterschiedlichkeit im Rhythmus der „letture parallele“ mehr meint als eine Beobachtung zur Phänomenologie oder Psychologie der Lektüre: sie steht vielmehr – pars pro toto – für die Divergenz, ja Fremdheit subjektiver Erfahrungen, welche auch im „grande letto matrimoniale“ andauern. Demnach erscheint fraglich, ob das ‚Ende‘ – unter der problematisierenden Perspektive dieser Vorausschau gesehen – überhaupt als ein ‚glückliches‘ gelten darf. Vielleicht war es ein wenig voreilig, das zwölfte Kapitel umstandslos der groben Kategorie „Happy-Ending“ zuzurechnen?
Ebenso voreilig und unüberlegt wäre indes, aus der offensichtlichen Einschränkung und Trübung, die hier statthat, eine direkte Negation der Einrichtung des „lieto fine“ zu folgern. Wir wissen, daß zu den Konstanten in Calvinos Werk das Register einer Ironie gehört, welche die von ihr betroffenen Dinge nicht vernichten, sondern bewahren und retten möchte: „un’ironia che però non [...] distrugge“, wie Calvino schon während der fünfziger Jahre im Hinblick auf das schwierige Verhältnis zwischen „animo moderno“ und „epica antica“ formulierte
. So hat auch der zitierte, gewissermaßen ‚moderne‘ Kommentar nicht die Absicht, das ‚alte‘ Happy-Ending, dessen Glücksversprechen er skeptisch einschränkt, schlechthin zu zerstören. Auf die Einschränkung der Utopie eines „voi unitario“, die sich in die Welten ‚divergenter Träume‘ verliert, folgt nämlich mit überraschender Volte die – nicht minder skeptische – Einschränkung der Einschränkung: „Ma non ironizzate su questa prospettiva d’armonia coniugale: quale immagine di coppia più fortunata sapreste contrapporle?“ (157).
Vgl. I. Calvino, Una pietra sopra. Discorsi di letteratura e società, Turin 1980, 30. Damit unterscheidet sich Calvinos Ironieverständnis deutlich von dem rigideren Begriff der Ironie als kritischer Negation, den S. Eversmann (Poetik und Erzählstruktur in den Romanen Italo Calvinos, München 1979) ihren – ansonsten durchaus anregenden – Calvino-Interpretationen unterlegt (vgl. dazu die Einwände meiner Rezension in Romanische Forschungen 91, 1979, 486–491, hier 489).
Das heißt: wenn das Paar, das der ‚Leser‘ und die ‚Leserin‘ bilden, auch nicht in emphatischem Sinn glücklich ist, so läßt sich doch – wenigstens nach den Begriffen
Auch dieser Aspekt erscheint im siebten Kapitel, welches das Happy-Ending – wie zu sehen ist – mannigfach erhellt, explizit thematisiert, und bezeichnenderweise ergeben sich, wenngleich eher en passant, erneut evidente Anspielungen auf den Romanschluß. Als den „Lettore“ beim Anblick von Ludmillas Bibliothek Eifersucht überfällt, beruhigt ihn das Argument: „La lettura è solitudine“, oder noch deutlicher im textinternen Verweis: „Si legge da soli anche quando si è in due“ (148). Eben ein solches einsames Lesen zu zweit vollzieht sich nun auch im „grande letto matrimoniale“ des zwölften Kapitels und sorgt dort für irritierende Distanz, wie es hier beruhigend auf die Ängste der Eifersucht einwirkt. Dabei verteilen die beiden Sätze, die das Schlußkapitel eröffnen, mit bewußter Symmetrie die Werte von Nähe und Distanz. Die Komponente der Vereinigung bezeichnen situationsgerecht die Begriffe „marito e moglie“ sowie deren dingliches Korrelat, das „letto matrimoniale“. Auf dem Aspekt forwährender Vereinzelung beharren dagegen, obwohl mit dem „letto matrimoniale“ paronomastisch verbunden
, die „letture parallele“ zweier Menschen, die – außer „marito e moglie“ – gleichfalls „Lettore e Lettrice“ sind.
Vgl. dazu auch Helmichs treffende Bemerkungen zur Bedeutungssuggestion des „Homonymiewortspiel(s): letto = .,gelesen‘ und ,Bett‘“ („Leseabenteuer“, 243).
Indem das Lesen beim Happy-Ending solcherart ein Moment von Distanzierung und Individualisierung bedeutet, wird in Erinnerung gebracht, daß dies Moment ja überhaupt im Mittelpunkt der Thematik des Lesens und des Schreibens steht, welche den Roman durchzieht. Ihre ausdrücklichste Formulierung findet sie – wie nicht anders zu erwarten – im Tagebuch des Schriftstellers Silas Flannery. Es ist das Tagebuch einer Schaffenskrise, die sich nicht zuletzt als Ungenügen des Autors am eigenen Ich („quello scomodo diaframma che è la mia persona“) darstellt: „Come scriverei bene se non ci fossi!“ (171). Als Rettung erblickt der Schriftsteller – belehrt sicherlich von den Poetologen der Gruppe Tel Quel oder des „Nouveau / Nouveau Roman“
– die Idee einer entindividualisierten, subjektlosen Ecriture, in der ,es‘ schreibt, wie ,es‘ zu regnen oder zu schneien pflegt (176):
Vgl. dazu vor allem den scharfsinnigen Aufsatz von G. Regn, „Lektüre als Geschichte. Tel Quel und die Fiktionalisierung von Literaturtheorie in Italo Calvinos Se una notte d’inverno un viaggiatore“, in: Romanistisches Jahrbuch 34 (1983), 153–168.
„Potrò mai dire: ‚oggi scrive‘, cosi come ‚oggi piove‘, ‚oggi fa vento‘? Solo quando mi verrà naturale d’usare il verbo scrivere all’impersonale potrò sperare che attraverso di me s’esprima qualcosa di meno limitato che l’individualità d’un singolo“.
Die gleiche Frage nach einer möglichen Subjektlosigkeit gilt darauf dem Lesen („E per il verbo leggere? Si potrò dire ‚oggi legge‘ come si dice ‚oggi piove‘?“), wobei die Antwort jedoch völlig anders ausfällt. Läßt sich der Akt des Schreibens gemäß den Konzepten avantgardistischer Ecriture für Flannery durchaus entindividualisieren, so bleibt der Akt des Lesens demgegenüber der individuelle par excellence:
esso scrive‘“.
Sollte der Autor Flannery, den der Roman – bei der Werbung um die Leserin Ludmilla – ansonsten ja gerade zu keinem Happy-Ending kommen läßt, hier auch im Namen des Autors Calvino sprechen und schreiben
? Außer Zweifel steht jedenfalls, daß die Prärogativen, die der Passus dem Lesen zuweist, von Calvinos theoretischen Schriften wieder und wieder bestätigt werden. Schon der engagiert optimistische frühe Essay
Immerhin gilt er für Segre problemlos als Calvinos „evidente alter ego“ („Se una notte d’inverno uno scrittore“, 186).
Una pietra sopra, 17. In die gleiche Richtung zielt die Distinktion zwischen einer Lektüre als ,Flucht‘ und einer Lektüre als ,Bildung‘, welche der Selbstkommentator Italo Calvino alias „Tonio Cavilla“ im Anschluß an die Gian-dei-Brughi-Episode des Barone rampante trifft. Vgl. dazu I. Calvino, Il Barone rampante, Prefazione e note di Tonio Cavilla ( = Letture per la Scuola Media, 4), Turin 41972, 149: „Il contrasto tra l’ex brigante che rimbecillisce a leggere romanzi e Cosimo che attraverso la lettura diventa un uomo responsabile e attivo, può rappresentare il contrasto tra lettura come evasione e lettura come formazione“.
Una pietra sopra, 163.
Zu seiner Bedeutung für die poetologische Sinnschicht von Se una notte vgl. ebenfalls G. Regn, „Lektüre als Geschichte“, 154, 159 und 162.
Una pietra sopra, 172 (über das „Oulipo“ ebenda, 169f.). Auf die kombinatorischen Experimente Queneaus und des „Oulipo“ gehen offensichtlich die verschiedenen Spielregeln oder „contraintes“ zurück, denen sich Calvino zumal bei der Anlage seiner „microromanzi“ (Segre) unterworfen hat. Von einigen dieser Mechanismen, die allerdings kaum die Strenge etwa des Konstruktionsprinzips von Georges Perecs La vie mode d’emploi (zu ihm aufschlußreich J. Ritte, „Portrait des Künstlers als Puzzlespieler“, in: Schreibheft 26, 1985, 97–105) erreichen, spricht Calvino selbst in einem offenen Brief an den Kritiker Angelo Guglielmi („Se una notte d’inverno un narratore“, in: Alfabeta 8, Dezember 1979, 4f.).
„Smontato e rimontato il processo della composizione letteraria, il momento decisivo della vita letteraria sarà la lettura. In questo senso, anche affidata alla macchina, la letteratura continuerà a essere un luogo privilegiato della coscienza umana, un’esplicitazione delle potenzialità contenute nel sistema dei segni d’ogni società e d’ogni epoca: l’opera continuerà a nascere, a essere giudicata, a essere distrutta o continuamente rinnovata al contatto dell’occhio che legge [...]“
.
Una pietra sopra, 172f.
Oder um es mit Calvinos Resümee, welches erneut an das kritische Engagement der frühen Aufsätze anknüpft, zu sagen: „dirò che a questo punto è l’atteggiamento della lettura che diventa decisivo; è al lettore che spetta di far sì che la letteratura esplichi la sua forza critica, e ciò può avvenire indipendentemente dalla intenzione dell’autore“
.
Ebenda, 180.
Vor dem Hintergrund dieser Postulate ist nun nicht mehr zu übersehen, daß die gesamte Schicht des Liebesromans in Se una notte eine quasi allegorische Bedeutung gewinnt. Vollzieht sich in den Essays so etwas wie ein literaturtheoretischer Übergang Se una notte denselben Prozeß durch die erotische Konkurrenz zwischen „Scrittore“ und „Lettore“, welche im zwölften Kapitel mit dem Triumph des ‚Lesers‘ zu Lasten des ‚Schriftstellers‘ endet. Wie pointiert das Ende die eine Figur, beziehungsweise Funktion gegen die andere ausspielt, zeigt vor allem die mise en abyme der Romanstruktur, die ebenfalls Silas Flannery im achten Kapitel entwirft. In den Notizen seines Tagebuchs läßt sich das allmähliche Entstehen eines Erzählprojekts verfolgen, das als „romanzo fatto solo d’inizi di romanzo“ an die Statements von Borges’ fiktivem Autor Herbert Quain
oder auch an Vargas Llosas
Vgl. J. L. Borges, Ficciones, 83, wo es über die „ocho relatos del libro Statements“ heißt: „Cada uno de ellos prefigura o promete un buen argumento, voluntariamente frustrado por el autor“.
„Farò in modo che il Lettore parta sulle tracce del Falsario, il quale si nasconde in un qualche paese molto lontano, in modo che lo Scrittore possa restare solo con la Lettrice“.
Wenn die ‚Leserin‘ schließlich mit dem ‚Leser‘ allein bleibt, ist das Happy-Ending, das immer auch einen ausschließenden Aspekt besitzt, also explizit gegen den ‚Schriftsteller‘ gerichtet. Es markiert bei allen Einschränkungen den Triumph eines „atto necessariamente individuale“, der in Einsamkeit zu zweit erfolgt, und relegiert aus dem Glücksbereich personaler Erfahrung und Begegnung jene auktoriale Funktion, welche der Gestalt des Individuums nicht mehr bedarf.
Indessen richtet sich das Happy-Ending mit der ihm eigenen allegorischen Programmatik nicht allein gegen den „Scrittore“. Gleichfalls von seinem Exklusionsaspekt betroffen sind einerseits der ‚Fälscher‘ Ermes Marana, andererseits Ludmillas Schwester Lotaria: Figuren, denen Silas Flannerys Skizze weitere Rollen beim „intreccio“ des Liebesromans zugewiesen hat. Speziell durch die Gestalten Maranas und Lotarias werden in Se una notte Liebesroman und Agentenroman verbunden; denn Marana ist außer einem Rivalen des „Lettore“ (wie zuvor des „Scrittore“) ja der Urheber aller rätselhaften Machinationen, welche die Romanhandlung als eine Serie detektivischer Forschungen oder Verfolgungen auslösen, und Lotarias Aufgabe besteht nicht nur in der Konkurrenz mit Ludmilla, sondern zugleich im Doppelspiel einer Agentin, an deren Machenschaften das neunte Kapitel – natürlich karikatural verzerrt – die wechselseitige Infiltration von Polizei und revolutionärem Untergrund in einer offenbar südamerikanischen Variante der „società carceraria“ (216) demonstriert. Gleichzeitig tragen beide aber auch neue Elemente zur Leseallegorie bei, in der die Romanfiguren ähnlich in bezug auf ein Ideal des richtigen Gebrauchs von Literatur angeordnet sind, wie sie sich etwa im frühen Barone rampante in bezug auf ein Ideal des richtigen politischen Engagements formiert hatten
.
Vgl. zum allegorischen Aufbau des Figurenrepertoires in Il Barone rampante U. Schulz-Buschhaus, Romanische Forschungen 90 (1978), 17–34, hier 21ff.; zu den Grundzügen der Leseallegorie in Se una notte W. Helmich, „Leseabenteuer“, 231ff.
So werden der richtige Gebrauch von Literatur und mit ihm das Happy-Ending der Lesenden zunächst durch das Gegenprinzip Ermes Maranas spezifiziert. Im Rahmen des
„Potrei dunque incarnare quello che per lui è l’autore ideale, cioè l’autore che si dissolve nella nuvola di finzioni che ricopre il mondo del suo spesso involucro. E siccome l’artificio è per lui la vera sostanza di tutto, l’autore che congegnasse un sistema d’artifici perfetto riuscirebbe a identificarsi col tutto“.
Hinter dem Pathos solcher „finzioni“ und „artifici“, dem Flannery (alias Calvino?) wenigstens teilweise zustimmt („molte delle sue affermazioni mi sento di condividerle“), läßt sich unschwer der Schatten des Autors der Ficciones und der in ihnen enthaltenen Artificios erkennen
. Wie ein Extrakt aus Borges’ Erzählungen und Essays wirkt jedenfalls das Argument, durch das Marana Ludmilla der lesenden Kommunikation mit dem ,Schriftsteller‘ und mit der Welt entziehen möchte: „Quanto a lui [...] voleva dimostrarle che dietro la pagina scritta c’è il nulla; il mondo esiste solo come artificio, finzione, malinteso, menzogna“ (242).
Die Präsenz Borges’ ist in Calvinos Schriften insgesamt so dicht, daß sie kaum durch Einzelheiten belegt werden muß. Doch wäre es interessant, einmal genauer die Bereiche beziehungsweise Phasen von Affinität und Differenz zwischen den beiden Autoren nachzuzeichnen. Was die Distanzierung Calvinos von Borges betrifft, scheint sie ihr tiefstes Motiv im poetologisch-moralischen Kontrast einer „sfida al labirinto“ und einer „resa al labirinto“ zu haben (vgl. Una pietra sopra, 96 oder 180: „Il gioco può funzionare come sfida a comprendere il mondo o come dissuasione dal comprenderlo“). Daß dieser Kontrast ein Thema bildet, bei dem Calvinos Werk trotz aller Verschiebungen in den schriftstellerischen Verfahrensweisen verblüffend konstant bleibt, betont zu Recht Mario Barenghi, „Italo Calvino e i sentieri che s’interrompono“, in: Quaderni Piacentini 15 (1984), 127–150.
Im Happy-Ending der Lesenden ist folglich auch eine Poetik überwunden, welche die Lektüre mit der Nichtigkeit – oder anders gesagt: der Absolutheit – ihres Gegenstandes bedroht. Unter diesem Aspekt gesehen, läuft der Roman nicht nur auf ein glückliches Ende, sondern nachgerade auf eine Apotheose hinaus, jene „visione radiosa“ einer „apoteosi della Lettrice“ (243), die schon im zehnten Kapitel der Zensor Arkadian Porphyritch feiert. Sie bedeutet – wenn man so will – einen Sieg der Hermeneutik über die Écriture; denn Maranas Fälschungen haben – wie der Zensor resümiert – vor Ludmillas Leseakten seit langem versagt: „la scommessa con la donna era perduta da un pezzo; era lei la vincitrice, era la sua lettura sempre incuriosita e sempre incontentabile che riusciva a scoprire verità nascoste nel falso più smaccato, e falsità senza attenuanti nelle parole che si pretendono più veritiere“ (242). Das heißt: der Wille zur Anti-Mimesis der. „Ficciones“ und „Artificios“ ist an einer hermeneutischen Disposition gescheitert, welche im Text zwar keine (widergespiegelte) Wirklichkeit, aber auch nicht das ‚Nichts‘ wahrnimmt, sondern – wiederum in Übereinstimmung mit dem wichtigen Aufsatz Cibernetica e fantasmi
– Indizien des ,Ungesagten‘: „una voce che viene non si sa da dove, da qualche parte al di là del libro, al di là dell’autore, al di là delle convenzioni della scrittura: dal non detto, da quello che il mondo non ha ancora detto di sé e non ha ancora le parole per dire“ (242).
Vgl. Una pietra sopra, 174f., besonders 175: „La linea di forza della letteratura moderna è nella sua coscienza di dare la parola a tutto ciò che nell’inconscio sociale o individuale è rimasto non detto“.
Freilich verlangt Ludmillas Kunst, das ‚Ungesagte‘ zu vernehmen, die unablässige Bereitschaft zur Erfahrung dessen, was im Text fremd und anders ist. Daher besteht eine solche hermeneutische Disposition zuvorderst in der Offenheit, weshalb Arkadian Porphyritch seine Apotheose der „Lettrice“ mit den Worten beginnt: „– Per questa donna [...] leggere vuol dire spogliarsi d’ogni intenzione e d’ogni partito preso“ (242). Diese Offenheit gegenüber den Stimmen des Textes unterscheidet Ludmilla nun radikal von ihrer Schwester. Wird hinter Ludmilla am Ende eine Allegorie der erfahrungsbereiten „lettura sempre incuriosita e sempre incontentabile“ sichtbar, so fällt Lotaria umgekehrt
Wie Lotaria als Agentin – unter verschiedenen Namen – verschiedenen Mächten dient, erfüllt sie als Leserin das Pensum, an den Texten verschiedene Ideologien zu exekutieren. So entsteht aus ihrer Lektüre, die Calvino mit geradezu satirischem Ingrimm denunziert, gleichsam ein Bild (ein Zerrbild?) moderner Literaturwissenschaft. Gegen sie scheint sich Calvino vor allem deshalb zu acharnieren, weil er den Verdacht hat, daß sie eben nicht nach der Spur des „non detto“, sondern immer wieder nach dem bereits Gesagten sucht. Statt sich auf die Wahrnehmung von Anderem und Fremdem einzulassen, vollzieht sie im Lesen eines unbekannten Textes meist lediglich die Bestätigung von schon bekannten Texten sogenannter „Theorie“
.
Zur Kritik an dieser (gegenwärtig weit verbreiteten) Lektürestrategie vgl. die Schlußbemerkungen meines Aufsatzes „Benedetto Croce und die Krise der Literaturgeschichte“, in: B. Cerquiglini – H. U. Gumbrecht (Hrsg.), Der Diskurs der Literatur- und Sprachhistorie, Frankfurt 1983, 280–302, hier 298ff.
Als spezifische Technik dieser Bestätigung erweist sich wenigstens in Lotarias Praxis das systematische ‚Unterstreichen‘ von Stellen, die ideologisch zu rekognoszieren und zu klassifizieren sind (74):
„Durante la lettura ci dovrà essere chi sottolinea i riflessi del modo di produzione, chi i processi di reificazione, chi la sublimazione del rimosso, chi i codici semantici del sesso, chi i metalinguaggi del corpo, chi la trasgressione dei ruoli, nel politico e nel privato“.
Selbstverständlich produziert das Verfahren solcher Klassifikationen, mit denen Calvino metaphorisch das Bild von ‚Stacheldrahtzäunen‘ verbindet, nichts als allseits vertraute Begriffe (92):
„Vicende personaggi ambienti sensazioni vengono spinti via per lasciare il posto ai concetti generali.
– Il desiderio polimorfo-perverso...
– Le leggi dell’economia di mercato...
– Le omologie delle strutture significanti...
– La devianza e le istituzioni...
– La castrazione...“.
Dabei hat es seine symbolische Bedeutung, wenn während der „wissenschaftlichen“ Analyse des Fragments „Senza temere il vento e la vertigine“ auch der „Lettore“ und die „Lettrice“ zugegen sind. Für sie mutet das Verlesen des Textes ebenso fesselnd an, wie dessen ‚Zerstückelung‘ in Terminologie frustrierend wirkt. Demnach scheint auch diese Lese-Szene in einem bestimmten – jetzt pointiert antithetischen – Verhältnis zur Situation des Happy-Ending zu stehen. Aus ihrer Gegensätzlichkeit geht erneut hervor, in welchem Maß die entdeckende Lektüre an Individualität und (partielle) Einsamkeit gebunden bleibt, während die rekognoszierende Lektüre im studentischen ‚Kollektiv‘ erfolgt. Und bezeichnenderweise kontrastiert hier die kollektive Aufgaben- und Arbeitsteilung, welche die systematische Analyse organisiert, mit der neugierigen, erfahrungswilligen ‚Ungeduld‘ des ‚Lesers‘ und der ‚Leserin‘ (74):
„Siete impazienti, tu e Ludmilla, di veder risorgere dalle ceneri questo libro perduto, ma dovete aspettare che le ragazze e i giovani del collettivo si distribuiscano i compiti“.
„Dai lettori m’aspetto che leggano nei miei libri qualcosa che io non sapevo, ma posso aspettarmelo solo da quelli che s’aspettano di leggere qualcosa che non sapevano loro“.
Zu jenen, ‚die etwas zu lesen erwarten, was sie (noch nicht) wußten‘, zählt indes Ludmilla im krassen Gegensatz zu Lotaria, die nur lesen möchte, wovon sie (theoretisch) schon immer überzeugt ist. Und so rettet das Happy-Ending, das Ludmilla belohnt, die Lektüre als Inbegriff von Erfahrung in einem doppelten Sinn: zunächst gegen Marana vor der Auffassung, daß es im Text, der absoluten Fiktion, nichts zu erfahren gibt; dann gegen Lotaria vor einer Haltung, die im Text als bloßem Demonstrationsobjekt nichts zu erfahren wünscht.
Ist der Romanschluß solcherart als ein unter manchen Aspekten potenziertes Happy-Ending durchschaut, bleibt ein letztes Moment von Paradoxie zu klären, das ihm anhaftet. Unverkennbar wirkt in ihm nämlich eine „fiktionsironische Geste“, auf die insbesondere Gerhard Regn aufmerksam gemacht hat. Sie besteht vor allem in der bewußten „Unlogik“ des Phänomens eines fiktiven Lesers, der „seine eigene Geschichte“ liest, „was für die Schlußsituation gleichzeitig impliziert, daß er liest, wie er liest“
. Damit wird – wie oft bei Calvino – am Ende die Gesamtheit des Textes der Fiktionalität überführt
Vgl. G. Regn, „Lektüre als Geschichte“, 166f.
Exemplarisch dafür sind etwa die Romanschlüsse des Barone rampante oder – besonders eklatant – des Cavaliere inesistente. Wie in ihnen die histoire jeweils „als Produkt des discours ausgewiesen“ wird, zeigt einleuchtend S. Eversmann, Poetik und Erzählstruktur, 86f. und 110f.
Trotzdem oder vielmehr deshalb gilt es nun zu bedenken, daß die Fiktionsironie des zwölften Kapitels ihre spezielle Hintergründigkeit erst durch den Umstand gewinnt, daß sie eine Fiktion betrifft, in der es eben um das Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit geht. Auf diese Distinktion ist eigentlich die Struktur des ganzen Textes gegründet, die ja eine Ebene der Romane von Anfang an mit einer Ebene des (dann gleichfalls zunehmend romanhaften) Lebens konfrontiert. Am Ausgang des zweiten Kapitels wird die Unterscheidung zwischen dem „romanzo da leggere“ und dem „romanzo da vivere“ als eine thematische Hauptlinie der Erzählung eingeführt, und zugleich erfahren wir, daß der „Lettore“ beiden Bereichen – wie üblich – recht verschiedenartige Erwartungshaltungen entgegenbringt. Im Buch sieht er eine „cosa solida, che sta lì, ben definita, fruibile senza rischi“, während er von der „esperienza vissuta“ weiß, daß sie „sempre sfuggente, discontinua, controversa“ ist (vgl. 32).
Dagegen macht es die Pointe des Textes beziehungsweise der Superfiktion aus, daß sie das geläufige Verhältnis, welches den „romanzo da leggere“ und den „romanzo da vivere“ als Sphären von Ordnung und Kontingenz trennt, gerade auf den Kopf stellt. Der „romanzo da leggere“ ist hier dazu bestimmt, ein stetes Fragment zu bleiben. Zumindest wird auf dem Niveau der gelesenen Romane jener „incantesimo delle letture interrotte“
Wie dieser jähe Entschluß bewertet werden soll, läßt sich kaum eindeutig festlegen. Für Regn zeigt er, daß der Protagonist „sein Leben“ „nach erzählten Geschichten“ „modelliert“, und rückt überdies „ins Bewußtsein, daß die Abrundung der Geschichte nicht mehr ist denn eine konventionelle Setzung“
. Dagegen scheint mir der Kontext, in dem der ‚Leser‘ seinen Entschluß faßt, auch Anhaltspunkte für eine eventuell positivere Deutung zu liefern. Immerhin geht es bei ihm ja um den ‚letzten Sinn‘, den eine Geschichte überhaupt erhalten kann. So urteilt jedenfalls der „Settimo Lettore“, der sich wenige Seiten zuvor schon als Spezialist für das Ende – „la fina vera, ultima, nascosta nel buio, il punto d’arrivo a cui il libro vuole portarti“ (258) – erwiesen hat: „Il senso ultimo a cui rimandano tutti i racconti ha due facce: la continuità della vita, l’inevitabilità della morte“ (261). Diese Worte haben ihr Gewicht, zumal sie von einer Person gesprochen werden, die gleich Ludmilla über den Text hinaus ins ‚Ungesagte‘ schaut
Vgl. G. Regn, „Lektüre als Geschichte“, 166.
Vgl. 258: „Anch’io leggendo cerco degli spiragli, [...] ma il mio sguardo scava tra le parole per cercare di scorgere cosa si profila in lontananza, negli spazi che si estendono al di là della parola ,fine‘“.
Demnach müssen bei der Entscheidung auch Motive mitspielen, die in der Negativität einer bloßen „konventionelle(n) Setzung“ nicht völlig aufgehen. Zum einen läßt die Romanhandlung ja keinen Zweifel daran, daß der eheliche Platz an der Seite Ludmillas vielfach begehrt ist, und zum anderen haben wir öfters erfahren, wie tief der „Lettore“ unter dem Sinnverlust der ‚unterbrochenen Lektüren‘ und der unabgeschlossenen Geschichten leidet. Wenn er die eigene Geschichte zum „senso ultimo“ der „continuità della vita“ führt, triumphiert er also nicht nur über seine romanesken und allegorisch-poetologischen Rivalen, sondern wirkt selber auktorial als Produzent von Bedeutungen, indem er seiner Existenz – dem „romanzo da vivere“ – wenigstens momentan jene Bedeutungseinheit verleiht, die von außen – aus einem „romanzo da leggere“ – nicht mehr zu empfangen ist. So offenbart das Happy-Ending auch ein inzitatorisches Moment, das den fiktiven wie den realen Leser aufmuntert, den Sinn seines Lebensromans gewissermaßen in die eigenen Hände zu nehmen.
Derart vollendet das zwölfte Kapitel die Erhebung des Lesers zum Sinnproduzenten im praktischen Handeln nicht weniger als in der Lektüre. Wie um seine Ermächtigung zu besiegeln, überläßt ihm der Romanschluß sogar das letzte Wort. Indessen: was das letzte Wort dann besagt, ist nichts anderes als der Romantitel und die Unterschrift eines „Scrittore“, der „Italo Calvino“ zeichnet. Im allerletzten Moment gibt sich damit jenes Gran an ‚mauvaise foi‘ zu erkennen, das jede geschriebene Exaltation des Lesens gegenüber dem Schreiben relativiert. Und deshalb handelt es sich bei dem generösen guten Ende eben doch nur um ein (so literarisches wie möglicherweise illusionäres) Happy-Ending. Auch der Triumph der Legetik über die Poetik bleibt poetische Fiktion, und selbst die Entmachtung des Autors Silas Flannery wird nicht lesbar ohne die Macht des Autors Italo Calvino.
Il saggio costituisce il tentativo di un discorso d’assieme sul grande romanzo poetologico di Italo Calvino, muovendo da un’analisi circostanziata del suo ultimo capitolo. Scoperta la filigrana delle riprese e allusioni che rimandano ad altri momenti decisivi del testo, esso manifesta, pur nella sua sorprendente brevità, una straordinaria ricchezza di significati a prima vista nascosti. Fra essi si mette in evidenza il senso di un’ambivalenza fondamentale. Da una parte, il dodicesimo capitolo conchiude „l’intreccio“ d’un romanzo d’amore, condotto secondo i modelli canonici del romanzo ellenistico, e tende evidentemente ad una sorta di parodia del lieto fine, cioè di un topos d’obbligo della tradizione letteraria. Dall’altro canto, nella stessa situazione si profila, seppure in sordina, l’utopia della lettura come emblema dell’esperienza individuale. Quell’aspetto di utopia viene sottolineato dal significato allegorico dei personaggi che rimangono esclusi dal lieto fine: per esempio Lotaria, specialista di una lettura ideologicamente chiusa, e Ermes Marana, rappresentante borgesiano o telqueliano di una poetica dell’artificio per cui „dietro la pagina scritta c’è il nulla“. Nell’esclusione dello scrittore Silas Flannery il lieto fine sembra arrivare addirittura a un trionfo dell’ermeneutica sull’idea dell’„écriture“, prima che anche questa certezza venga messa in parentesi dalle ultime parole del romanzo. Attraverso la firma dell’autore si ribadisce infatti che la stessa apoteosi della lettura non è altro, in ultima analisi, che un effetto di scrittura dello scrittore Italo Calvino.
Barenghi, M.: „Italo Calvino e i sentieri che s’interrompono“. In: Quaderni Piacentini 15(1984), 127–150.
Bernardini Napoletano, F.: I segni nuovi di Italo Calvino. Da „Le Cosmicomiche“ a „Le città invisibili“. Rom: Bulzoni 1977 (= L’Analisi letteraria – Proposte e letture critiche, 17).
Calligaris, C.: Italo Calvino. Mailand: Mursia 1973 (= Civiltà letteraria del Novecento, 29).
Calvino, I.: Se una notte d’inverno un viaggiatore, Turin: Einaudi 1979.
Calvino, I.: „Se una notte d’inverno un narratore“. In: Alfabeta 8(Dezember 1979), 4–5.Calvino, I.: Una pietra sopra. Discorsi di letteratura e società. Turin 1980 (= Gli struzzi, 219).
Eversmann, S.: Poetik und Erzählstruktur in den Romanen Italo Calvinos. München: Wilhelm Fink 1979 (= Romanica Monacensia, 15).
Guglielmi, G.: La prosa italiana del Novecento. Turin: Einaudi 1986 (= Piccola Biblioteca Einaudi, 464).
Helmich, W.: „Leseabenteuer. Zur Thematisierung der Lektüre in Calvinos Roman ‚Se una notte d’inverno un viaggiatore‘“. In: U. Schulz-Buschhaus – H. Meter (Hrsg.): Aspekte des Erzählens in der modernen italienischen Literatur. Tübingen: Gunter Narr 1983, 227–248.
Milanini, C.: „Calvino, un’utopia discontinua“. in: Pubblico 1981. Mailand: Milano Libri Edizioni 1981, 131–151.
Regn, G.: „Lektüre als Geschichte. Tel Quel und die Fiktionalisierung von Literaturtheorie in Italo Calvinos Se una notte d’inverno un viaggiatore“. In: Romanistisches Jahrbuch 34 (1983), 153–168.
Segre, C.: „Se una notte d’inverno uno scrittore sognasse un aleph di dieci colori“. In: Strumenti critici 13 (1979), 177–214.
Tani, S.: The Doomed Detective. The Contribution of the Detective Novel to Postmodern American and Italian Fiction. Carbondale – Edwardsville: Southern Illinois University Press 1984.