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Quelle: Italienische Studien 9, 1986, S. 37–49; u.d.T. „Drei Figuren des Ich in der italienischen Renaissance-Dichtung: Berni – Bembo – Ariost“, in Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Geständnis, hgg. A. Hahn/V. Kapp, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1987, S. 265–280; jetzt auch in U. S.-B., Moralistik und Poetik, Hamburg, LIT, 1997, S. 19–30.

Bilder des Ich in der Dichtung des Cinquecento

Berni – Bembo – Ariost

Nur sehr naive Leser können heute noch der Meinung sein, das „Ich“, dem sie in (zumal lyrischen) Gedichten immer wieder begegnen, wäre identisch mit dem empirischen Ich des jeweiligen Dichters. Schließlich gehört zu den ersten Belehrungen, die der Philologie-Student im Proseminar empfängt, das Axiom, aus dem Text des Gedichts spräche nicht der Dichter, sondern ein feineres Wesen namens „lyrisches Ich“. Natürlich ist dies Wesen, etwa das „lyrische Ich“ Petrarcas oder Goethes, auf irgendeine Weise an die historische Person Francescos oder Johann Wolfgangs gebunden; doch ist ebenso wenig zu bestreiten, daß es offenkundig auf einer anderen Realitätsebene existiert: es ist eine Figur des Textes, und als solcher eignet ihm ein diverser Status von jenem des Ichs der Verfasser, welche als Schriftsteller, Gelehrte, Diplomaten, Liebhaber oder Liebende usw. in ihrer Lebenswelt agieren.
Weitaus schwieriger als diese wohl von niemandem angezweifelte Feststellung des kategorialen Unterschieds zwischen lyrischem und empirischem Ich erscheint seine nähere Qualifizierung, deren Problematik ja zusammenfällt mit der Beschreibung der Verbindungen, die zwischen den beiden Instanzen bestehen. Hier könnte man etwa behaupten, daß das empirische Ich im wandelbaren Bereich der Geschichte verharrt, während das lyrische Ich sein historisches Pendant beziehungsweise Substrat gewissermaßen transzendiert, um in den unwandelbaren überzeitlichen Raum der Kunst einzutreten. Bekanntlich hat diese Auffassung zwischen Croce und dem New Criticism breite Zustimmung gefunden; doch scheint sie inzwischen etwas außer Kurs geraten zu sein. An die Überzeitlichkeit und Metaphysik des in Kunst gefaßten Wesens vermag kaum noch jemand recht zu glauben, und außerdem wird auch ohne weiteren Kommentar einsichtig, daß die Art und Qualität einer solchen Transzendenz selber dem geschichtlichen Wandel unterworfen bleibt; denn – um unser Beispielpaar aufzugreifen – im Falle Goethes ist das spezifische Verhältnis zwischen „empirischem“ und „lyrischem“ Ich doch fraglos signifikant verschieden von dem, das sich im Falle Petrarcas ergibt.
Deshalb müssen wir den Grundcharakter der Differenz wohl anders bestimmen. Nicht der Eintritt in einen idealen Raum der Kunst transformiert das empirische Ich, wenn es dichtet, sondern der Eintritt in eine Kommunikationssituation, die sich durch bestimmte institutionelle Rahmenbedingungen gegenüber anderen vergleichbaren Kommunikationssituationen abhebt. Solche Rahmenbedingungen, denen das empirische Ich bei seiner Äußerung im literarischen (oder spezieller: im lyrischen) Diskurs unterliegt, sind beispielsweise die diskursive beziehungsweise stilistische Mode des historischen Moments, der Kanon des thematisch Sagbaren in Abgrenzung vom thematisch Unsäglichen, vor allem aber die Themen- und Stiltradition der Gattung oder Form, in welche sich die literarische Äußerung einschreibt. Dabei wird die prägende Kraft, welche diese institutionalisierten Komponenten der lyrischen Selbstdarstellung besitzen, am deutlichsten vielleicht dort, wo sich das Ich der Dichter neuzeitlich überhaupt erstmals in einem breiten Repertoire differenzierter Genera und Redeweisen darstellt: gemeint ist die Dichtung der italienischen Renaissance. Zu ihr möchte ich daher hier eine Skizze vorlegen, die sich mit den typischen Erscheinungsformen lyrischer Subjektivität während des frühen Cinquecento befaßt. Ihre erkenntnisleitenden Fragen lauten also: 1) Welche verschiedenartigen Stilisierungstendenzen kennzeichnen die lyrische Selbstaussage in dieser Epoche? 2) Wo zeigen sich Tendenzen, welche den Eindruck einer zunehmenden Annäherung von lyrischem und empirischem Ich vermitteln und folglich so etwas wie eine Dichtung autobiographischer Erfahrung begründen? 3) Wo können die spezifischen sozialen und mentalitätsgeschichtlichen Voraussetzungen für solche Tendenzen zur autobiographischen Dichtung situiert werden?
Wenn wir nach den Stilisierungstendenzen der lyrischen Selbstaussage fragen, liegt es nahe, den ersten Blick auf Dichtungsformen zu werfen, die sich ans Alltägliche halten und den Autor deshalb mutmaßlich nur einem relativ geringen Zwang zur literarischen Stilisierung unterwerfen. Es sind das die Formen des ziemlich verbreiteten „burlesco stile“, als dessen „primo (...) e vero trovatore, maestro e padre“ um die Jahrhundertmitte der 1535 verstorbene, möglicherweise im Gefolge einer politischen Intrige vergiftete, Francesco Berni gefeiert wurde. [1] Wie sieht das Bild aus, das dieser Autor in Sonetti caudati und Capitoli, also in den charakteristischen Metren der Burleskdichtung, von seinem Ich zeichnet? Dafür gibt ein gutes Beispiel das Sonett „Un dirmi ch’io gli presti e ch’io gli dia“, in der posthumen Erstausgabe 1537 nicht ganz zutreffend „Sonetto delle Puttane [2] betitelte. Es besteht aus einer – im wesentlichen in Infinitivsätze gefaßten – Reihung diverser Verdrießlichkeiten, die dem lyrischen Ich der Verkehr mit Frauen einträgt. So leidet der Sprecher darunter, daß ihm ständig Geld und Geschenke abverlangt werden, daß er oft wider Willen Gesellschaft leisten oder Tisch und Bett bereitstellen muß, während die eigenen sexuellen Wünsche nicht immer erhört werden, vor allem, daß er kontinuierlich vor einer Infizierung durch den „mal franzese“ – bekanntlich die Obsession der Renaissance – auf der Hut zu sein hat. Am Ende des Gedichts wird aus all diesen Verdrießlichkeiten eine pointierte (und zumindest sprachlich einigermaßen brüskierende) Konsequenz gezogen:
Un morbo, un puzzo, un cesso,
Un toglier a pigion ogni palazzo,
Son le cagioni ch’io mi meni il cazzo.
Das heißt: der Sprecher erklärt, er verzichte numehr auf das „puttanesco sesso“ und zöge dafür die weniger verdrießliche Befriedigung der Masturbation vor. [3]
Das klingt zunächst insbesondere dank der Sprachhaltung temperamentvoller Schimpferei überaus spontan. Zu solchem Eindruck der Spontaneität trägt außerdem auch der Umstand bei, daß die hier eingenommene Attitüde einer kapriziösen sexuellen Heterodoxie von anderen Gedichten teils bestätigt, teils variiert wird. So empfiehlt das Brief-Capitolo an Messer Antonio da Bibbiena einem Freund das gleiche bequeme Verfahren des Lustgewinns, das sich Berni zu eigen gemacht hat, oder als ein im Vergleich zur „donna“ kleineres Übel die Liaison mit dem Pagen:
Attenetevi al vostro ragazzino,
Che finalmente è men pericoloso,
E non domanda nè pan nè vino. [4]
In einem anderen Capitolo fleht Berni selber einen ungenannten Mäzen an, ihm einen „garzonetto“ zur Verfügung zu stellen, und da weder Mäzen noch Page wirklich in Aussicht scheinen, endet das Stück mit Beschimpfungen und Bedrohungen Cupidos, „che sei cagion di tutto questo male“ [5] . Die Drohungen wiederholen sich, als Berni von Cupido – offenbar nach der Liebe zum Pagen – trotz aller Abneigung in eine heterosexuelle Affäre verwickelt wird:
Tu m’imbarcasti prima con colui;
Or vorresti imbarcarmi con colei:
Io vo’ che venga il morbo a lei e a lui. [6]
Sollte ihm „colei“, die Geliebte, vorenthalten bleiben, kündigt Berni an, sich eben an Cupido selbst schadlos zu halten, zumal der ja auch die Reize eines „giovanetto“ biete:
Non potendo valermi con costei,
Per vendicarmi de’ miei dispiaceri,
Farotti quello ch’arei fatto a lei.
O scusarti co l’esser giovanetto;
Allor farotel io più volontieri. [7]
Eingeschränkt wird der Eindruck von Spontaneität indes, wenn wir uns bewußt machen, daß diese Gedichte oft gleichsam antithetisch als Kontrafaktur auf die sozusagen klassische Liebesdichtung des Petrarkismus bezogen sind. Evident ist das etwa im Falle des Sonetts „Un dirmi ch’io gli presti e ch’io gli dia“, das als direkte Replik das berühmte Sonett „Moderati desiri, immenso ardore“ von Pietro Bembo parodiert. Auch in diesem Gedicht, einem schulemachenden im Cinquecento, spricht das lyrische Ich mit einer ganz ähnlichen Enumeratio über die Leiden der Liebe; doch handelt es sich da um noble Entbehrungen, die der Liebende heroisch auf sich nimmt, und am Ende lautet das Fazit bei Bembo (bezeichnenderweise mit einem programmatischen Petrarca-Zitat):
e meritar e non chieder mercede,
fanno ‘l mio stato, e son cagion ch’io speri
grazie, ch’a pochi il ciel largo destina. [8]
Die triviale Alltäglichkeit, in der sich Bernis lyrisches Ich bewegt, ist also weniger selbständig, als die Verve seiner Sprache auf den ersten Blick vermuten läßt. Vielmehr verweist seine Attitüde deutlich auf ein Vor- und Gegenbild, das es komisch und – um den hier unvermeidlichen Bachtin zu zitieren – „karnevalisierend“ umkehrt. Demnach entsteht bei Berni das Bild eines Ich, das am einen Ende der Hierarchie dichterischer Formen ebenso pointiert unheroisch stilisiert ist, [9] wie sich das Ich Bembos am anderen Ende der lyrischen Hierarchie prononciert heroisch gibt. [10] Pointiert unheroisch erfährt das Ich des Burleskdichters Verdrießlichkeiten, welche durch die allzu große Nähe der Geliebten, nicht durch deren entrückte Ferne ausgelöst werden, und wo der heroische Petrarkist die Leiden der erzwungenen Keuschheit in standhafter Hoffnung überwindet, da überläßt sich das unheroische Ich Bernis – total den Impulsen des Augenblicks anheimgegeben – der Selbstbefriedigung und der Resignation.
Aus diesem Gegensatz von heroischer und unheroischer Stilisierung des Ich ergibt sich nun noch eine weitere gewissermaßen apriorische Differenz der Selbstdarstellung, welche die beiden Dichtungsbereiche trennt. Sie liegt in den grundsätzlich verschiedenen Zeitperspektiven, unter die das Ich in der burlesken und in der petrarkistischen Dichtung gestellt ist. In der petrarkistischen Dichtung verlangen die essentiellen Gesichtspunkte der Versagung und der Hoffnung, daß die Liebe eine Angelegenheit der longue durée ist und im Idealfall wie bei Petrarca die gesamte Biographie des Dichters erfüllt. Daher wird die Liebeserfahrung des Petrarkisten, so hoch sie ansonsten auch stilisiert sein mag, wenigstens in Ansätzen stets auch historisiert, d.h. in die Nähe einer autobiographischen Erzählung gerückt. [11]
Eine solche Perspektivierung fällt natürlich dann besonders auf, wenn ihr wie bei Bembo die eher heterogene Entstehung des Gedichtkorpus und die offenkundige Unmöglichkeit, die Folge der Gedichte auf eine einzige, Laura-ähnliche Gestalt zu beziehen, im Grunde widersprechen. Trotzdem versucht Bembo, wo immer es gerade möglich ist, seine Liebeserfahrung und Selbstdarstellung als zeitumspannende Geschichte zu präsentieren. Derart steht am Anfang der Rime , dem Vorbild Petrarcas entsprechend, eine Reihe von Innamoramento-Gedichten, und bald fühlt sich das lyrische Ich berechtigt, pathetisch auf seine „tanta e così lunga fede“ zu verweisen oder in einem Reuegedicht an die „fatiche tante e gli anni/ spesi in gradir Madonna“ zu erinnern. [12] In die Figur einer heroisch-tragischen Lebensgeschichte eingespannt erscheinen vor allem die Gedichte, die von der Liebe an der Schwelle zum Alter handeln, etwa Sonett XCIX oder Sonett XCVII, in dem Maria angesichts neuer Versuchungen um Beistand gebeten wird: „non tardar tu, ch’omai de la mia vita / si volge il terzo e cinquantesim’anno“ [13] . Den Status der entscheidenden Peripetie verleiht diese Lebensgeschichte dem Tod der geliebten Morosina, welcher mit gleich dreifacher Datenangabe als epochal in der Historie verankert wird. So erinnert Sonett CLVIII im Abstand eines Jahres an die Sterbestunde der Geliebten: „a le tredici ore / del sesto dî d’agosto (...) / nel mille cinquecento e trentacinque.“ Sonett CLX fügt das Alter der Geliebten hinzu: „Era Madonna al cerchio di sua vita / trigesimo e ottavo, quando morte / la spogliò del bel velo (...)“; und aus Sonett CLIX erfahren wir die Dauer der Liebe: „Quella per cui chiaramente alsi et arsi / undeci et undeci anni, al ciel salita, / ha me lasciato in angosciosa vita“ [14] . Womit wir indes gleichzeitig auch wieder auf die symbolischen Konnotationen der Datierung und Historisierung verwiesen werden; denn wenn das lyrische Ich 22 Jahre lang geliebt hat, überbietet es mit dieser Dauer um ein Jahr eben Petrarca, in dessen Canzoniere sich zwischen dem Innamoramento am 6. April 1327 „su l’ora prima“ (211, V.12–14) und Lauras Tod am 6. April 1348 „in l’ora prima“ (336, 12–14) auf die Stunde genau 21 Jahre erstrecken.
Von solcher Historisierung und Epochalisierung der Liebe, die das heroische Ich des Petrarkisten als Geschichte seines Lebens auffasst, [15] hat das unheroische Ich des Burleskdichters nun nicht die geringste Idee. Für das lyrische Ich Bernis bleibt jede Erfahrung wesentlich ahistorisch und punktuell. Was zählt, ist allein der unmittelbare Genuß [16] oder das Bedürfnis des Augenblicks, und kaum ein Gedanke gilt je dem Gestern oder dem Morgen. Falls doch einmal – und selten genug – an die Vergangenheit erinnert wird, geschieht das wie im Capitolo in lamentazion d’Amore gerade nicht zum Aufbau der Kontinuität einer Lebensgeschichte, sondern umgekehrt zur Manifestation von Diskontinuität zwischen Lebensmomenten, die keine sinnbildende Verknüpfung kennen. „Erst hast du mich auf ihn verrückt gemacht“, klagt das Ich vor Amor, „nun möchtest du mich noch auf sie verrückt machen“, während in wieder anderen Momenten der Verfasser behauptet, weder auf „sie“ noch auf „ihn“ angewiesen zu sein und es zu halten wie weiland Diogenes.
Resümierend können wir also vorerst sagen, daß die Dichtung im frühen Cinquecento zwei Extremtypen der lyrischen Selbstdarstellung entwickelt hat. Der eine Typus präsentiert ein heroisches Ich, dessen Erfahrungen ganz und gar in einem unalltäglichen Raum der Liebe verlaufen, aber dafür nachdrücklich historisiert und zu einer quasi autobiographischen Figur zusammengefügt werden. Auf der anderen Seite ist ein pointiert unheroisches Ich wahrzunehmen, das sich mit seinen sexuellen, hygienischen, gelegentlich auch gruppendynamischen Problemen in einer Sphäre der Alltäglichkeit bewegt, in der es jedoch niemals zu einem Bewußtsein seiner Geschichte oder auch nur eigentlich seiner Identität gelangt, da es stets auf den Augenblick fixiert bleibt. Damit ergeben sich an den Enden der literarischen Stil- und Gattungsskala zwei gegensätzliche Figuren der Ich-Erfahrung: eine Figur, die Alltäglichkeit und Punktualität verbindet, sowie eine andere, die Unalltäglichkeit und Historizität erreicht.
Indessen haben diese Extrempositionen, so weit sie typologisch auseinanderliegen mögen, doch auch eine auffällige Gemeinsamkeit. Sie treffen sich nämlich in dem Umstand, daß die eine wie die andere – für den modernen Leser einigermaßen überraschend – in durchaus vergleichbarer Weise gesellschaftlich legitimiert erscheint. Sowohl bei Berni als auch bei Bembo steht das so konträr charakterisierte Verhalten des lyrischen Ich offenbar in einem weithin problemlosen Einklang mit seiner je spezifischen Umwelt. Für Bembo braucht das kaum belegt zu werden, weil hier der intertextuelle Bezug auf das Modell Petrarcas nicht zu übersehen ist und außerdem bereits das Einleitungssonett den exemplarischdidaktischen Charakter einer Erfahrung unterstreicht, der die lesekundigen „amanti accorti“ den rechten Weg für sich selbst entnehmen sollen. [17] Eine ganz ähnliche Übereinstimmung mit der gesellschaftlichen Umgebung liegt jedoch auch im Fall Bernis vor, obwohl sich die recht unfrommen Verhaltensweisen des lyrischen Ich hier ja zunächst entschieden weniger kanonisiert und moralkonform ausnehmen. Immerhin bestehen viele der epistularen Capitoli, die von Momenten eines hedonistischen Genießens sprechen, aus Einladungen, ein Gleiches zu tun: so etwa in Nr. XXXIV an „Messer Francesco [Navizzani Milanese]“ [18] oder in Nr. XLII an die „Signori Abbati [Cornari]“ [19] , und auch in seinem erotischen Verlangen nach einem „ragazzo“, das von keinem Mäzen befriedigt wird, scheint Berni nicht für sich allein zu plädieren, sondern gewissermaßen repräsentativ für eine Gruppe, vielleicht die Schicht der niedrigen (und mittellosen) Chargen am päpstlichen Hof, denen kein altrömischer Gönner mehr beispringt:
Per Dio, noi altri siam pur sgraziati,
Nati ad un tempo dove non si trova
Di questi così fatti Mecenati. [20]
Vor allem aber beläßt es das anfangs erwähnte Sonett gegen die Frauen mitnichten bei der Konfession; vielmehr wird die drastische Schlußfolgerung anderenorts in einem Brief-Capitolo gleichfalls wieder ins Exemplarisch- Didaktische gewendet, und das mit einem Aplomb, als könne diese komisch-heterodoxe Didaxis mit demselben (oder sogar einem stärkeren) Applaus rechnen wie die heroisch-orthodoxe Liebeslehre Bembos:
Abbiate sopra tutto per avviso,
Se voi avete voglia di star sano,
Di non guardar le donne troppo in viso;
Eindeutig und bedeutungsvoll anders ist die Lage dagegen in den sieben Satiren Ludovico Ariostos, in denen sich das lyrische Ich frappant von den extremen Stilisierungen Bernis und Bembos unterscheidet. [22] Hier setzt bereits die erste, wohl 1517 verfaßte Satire am Punkt eines konkreten Konflikts des Sprechers mit seiner Umwelt ein. Das Thema der Epistel ist nämlich Ariosts Weigerung, seinen Fürsten und Mäzen, den Kardinal Ippolito d’Este, bei einem längeren Aufenthalt in Ungarn, also im barbarischen und vor allem gesundheitsschädlichen Mitteleuropa, zu begleiten. Um diese Weigerung zu rechtfertigen, rekurriert Ariost auf zwei Argumente, einmal seine angegriffene Gesundheit, zum anderen seine Familienpflichten als Ältester von zehn Geschwistern, der insbesondere für die alte Mutter sowie die Mitgift einer Schwester zu sorgen hat. Dabei unterstreicht er im ersten Teil mit Nachdruck den Widerwillen, sich den Zumutungen des Hofes anzupassen. Weder möchte er „studio“ und „quiete“ des Dichtens mit anderen, möglicherweise einträglicheren Hofämtern tauschen noch möchte er sich von seinen Freunden oder Gönnern sagen lassen, was seiner Gesundheit guttut; denn die kennt er – so wird ein wenig patzig insistiert – selber am besten:
(...) io meglio i miei
casi de ogni altro intendo; e quai compensi
mi siano utili so, so quai son rei. (V.31–33) [23]
In Ariosts erster Satire begegnen wir also einem kräftig akzentuierten Ich, das in Situationen, die offenkundig zu seiner alltäglichen Lebenswelt gehören, explizit auf seiner Individualität und Besonderheit gegenüber der Umgebung besteht [24] . Wichtig ist dabei zu berücksichtigen, daß dieser Insistenz auf der Individualität nichts eigentlich Auftrumpfendes und erst recht nichts Heroisches eignet. Eher führt Ariost uns hier ja seine mannigfachen Inkompetenzen und Gebrechen vor. Zwar ist er keineswegs bereit, sein literarisches Licht unter den Scheffel zu stellen; doch schätzt er sein Können bei der Jagd, als Verwalter oder als Diplomat ausgesprochen gering ein (vgl. V.142ff.) Außerdem werden wir mit penibler Genauigkeit über die Symptome von Ariosts Bronchialkatarrh (vgl. V.46–48) unterrichtet und erfahren, welche sozialen Mißlichkeiten er bei einer gastronomischen Sonderbehandlung befürchtet (V.55ff.). Einem solchen recht prosaischen Bild entspricht dann auch die Selbstdarstellung der weiteren Satiren. Die zweite teilt uns unter anderem mit, daß Ariost sich wenig aus der Küche macht und – eben wegen des erwähnten Katarrhs – Wein nur mit Wasser verdünnt genießen mag (V.49–54). In der siebten wird eine erneute Weigerung thematisiert, welche diesmal einen Botschafterposten am päpstlichen Hof betrifft. Dabei weist Ariost Rom als Ort mondäner Karriere aufs entschiedenste zurück, während er – dazu antithetisch Rom als Ort des Humanistengesprächs und der humanistischen Studien zum Faszinosum erklärt, um indes sofort hinzuzufügen, daß selbst ein solches Faszinosum ihn nicht zur Umsiedlung bewegen könnte, da er wider alle Vernunft an seiner „terra“ hinge – und überdies an seiner Geliebten, wie nicht ausdrücklich gesagt, wohl aber insinuiert wird.
So läuft Ariosts satirische beziehungsweise epistulare Selbstdarstellung [25] durchaus in einer Sphäre der Alltäglichkeit ab, und auch Gewohnheiten und Charakterzüge, welche die Selbstdarstellung ausmachen, bleiben weithin im Alltäglichen, das sie nicht ins Heroische transzendieren, freilich auch nicht burlesk unterlaufen. Trotzdem hat diese – man könnte sagen: realistische – Beschränkung hier nicht den Verzicht auf eine historische Perspektive zur Folge. Ganz im Gegenteil fällt auf, daß Ariosts Satiren wiederholt zu kleinen autobiographischen Skizzen ausholen, welche den verschiedenen Äußerungen ihre Punktualität nehmen und sie in das Kontinuum eines Lebenszusammenhangs und einer Identität rücken. Solche Ansätze sind schon in der ersten Satire zu beobachten, wenn Ariost die Unlust zur Ortsveränderung mit seiner besonderen Lebenssituation begründet:
Io son de dieci il primo, e vecchio fatto
di quarantaquattro anni, e il capo calvo
da un tempo in qua sotto il cuffiotto appiatto.
meglio ch’io so (...)
Bezeichnend ist dabei, daß diese autobiographischen Hinweise in den weiteren Satiren der Sache nach identisch bleiben, auch wenn sie jeweils in verschiedener Perspektive und Beleuchtung erscheinen. So klagt Ariost in der 3. Satire über die materiellen Notwendigkeiten, die ihn zum Hofdienst zwingen. Besser würde es ihm gehen, meint er da, wenn er nach der Geburt den Vater kastriert hätte wie weiland Saturn den seinen; doch da er das unterließ, zeugte der Vater außer Ludovico neun weitere Kinder, unter die das geringe Vermögen der Familie nun aufgeteilt werden muß (V.13–21):
Che s’al mio genitor, tosto che a Reggio
Daria mi partorî, facevo il giuoco
che fe’ Saturno al suo ne l’alto seggio,
ne lo qual dieci tra frati e serocchie
è bisognato che tutti abbian luoco,
fatta già mai, d’ir procacciando a cui
scoprirmi il capo e piegar le ginocchie.
Am ausführlichsten entfaltet sich die Autobiographie in der 6. Satire, einem für Ariosts fünfzehnjährigen Sohn Virginio verfaßten Empfehlungsschreiben an Pietro Bembo, in dem der einflußreiche venezianische Freund gebeten wird, dem jungen Studiosus einen tüchtigen Griechen (V.14: „alcun buon greco“) zu vermitteln, der ihn in die griechische Literatur einführt, ohne ihn zugleich zur Homosexualität („quel vizio (...) che fe’ a Dio forza (...) di far Gomorra e i suoi vicini tristi“) zu verführen. Im Anschluß an diese Bitte legt Ariost dar, weshalb er seinem Sohn nicht selber die Werke Homers, Hesiods oder Pindars nahebringen kann, nachdem er ihn bereits mit den römischen Klassikern vertraut gemacht hat (vgl. V.142–144). Dabei entsteht das Resümee einer Lebensgeschichte, die vor allem dazu dient, Ariosts humanistische – oder genauer gesagt: griechische – Bildungslücken zu erklären und zu entschuldigen. Zunächst wurde er nämlich im bildungsfähigsten Alter vom eigenen Vater am Studium der Humaniora gehindert und zur Beschäftigung mit dem Jus gezwungen (V.157–159):
mio padre mi cacciò con spiedi e lancie,
non che con sproni, a volger testi e chiose,
e me occupò cinque anni in quelle ciancie.
Als sich dieser Zwang gelockert hatte, stand in der Gestalt eines gewissen Gregorio da Spoleti später zwar ein fähiger Lehrer zur Verfügung, der „beider Sprachen schöne Geheimnisse“ („d’ambe le lingue i bei secreti“, V.169) beherrschte, doch erschienen dem Studiosus die „heimischen Lateiner“ („li latini miei“, V.180) nun weit attraktiver (und auch relevanter) als die Griechen. Vollends vertan war die Chance zum Griechischstudium dann, wie Ariosts Vater starb und Ludovico sich damit erneut verpflichtet sah, der „vita contemplativa“ zugunsten einer „vita activa“ abzusagen (V.199–201):
Mi more il padre, e da Maria il pensiero
drieto a Marta bisogna ch’io rivolga,
ch’io muti in squarci et in vacchette Omero.
Und so schildert Ariost darauf ein weiteres Mal die Mühen, welche ihm die Vaterrolle gegenüber seinen neun Geschwistern auflädt: die Sorge um die Bewahrung des Familienvermögens, die Suche nach (von den Mitgiftforderungen her) geeigneten Ehemännern für die Schwestern, die Überwachung und Förderung der kleinen Brüder. Und als 1507 auch noch der geliebte Cousin Pandolfo Ariosto stirbt, kann von einer Lektüre des Sophokles oder des Euripides keine Rede mehr sein, weshalb der Sohn jetzt nachholen soll, was der Vater einst versäumte (vgl. V.244ff.).
Nun ist die Frage zu stellen, wie sich eine solche – für die Gepflogenheiten der Renaissance durchaus ungewöhnliche – literarische Selbstdarstellung, welche das Ich gerade in seiner Alltagserfahrung autobiographisch historisiert, im Falle Ariosts erklären mag. [26] Da uns dies Problem auf. ausgesprochen weite Felder literarhistorischer und sozialgeschichtlicher Reflexion führt, kann es hier nur in Ansätzen behandelt werden. Immerhin meine ich, daß Ariosts Satiren zumindest einen Tatbestand einsichtig machen, dem meines Erachtens grundsätzliche Bedeutung zukommt: die Annahme nämlich, daß jede ernsthafte literarische Selbstdarstellung zumal in der klassischen Versdichtung einer eigentümlichen Konjunktur von Motivation und Legitimation bedarf. Das heißt: einerseits muß ein motivierender Druck wirksam werden, der zur Mitteilung von Lebensumständen, -situationen und -entwicklungen in autobiographischem Duktus treibt; zum anderen muß eine legitimierende Form vorhanden sein, welche das autobiographische Mitteilungsinteresse aufzunehmen und zu gestalten vermag. Wie steht es mit der Verbindung beider Momente bei Ariost?
Was die Motivation zur Autobiographie betrifft, ist zu vermuten, daß sie meistens aus einer Suspension von Selbstverständlichkeiten in der Lebenswelt erwächst. Solche Suspension von Selbstverständlichkeiten ergibt sich beispielsweise, wenn das Verhalten des Subjekts in die Problematik eines Konflikts sozialer Normen gerät, welcher ihm neben der schweren Last von Entscheidungen die nicht geringere Last aufbürdet, die jeweils getroffene Entscheidung apologetisch zu rechtfertigen. Auf Rechtfertigungen dieser Art laufen indes fast alle Äußerungen hinaus, die in Ariosts Satiren ein autobiographisches Gepräge besitzen. [27] So hat Ariost zum einen zu begründen, weshalb er sich manchen Forderungen des Hofes entzieht, weshalb er etwa ablehnt, den Kardinal Ippolito nach Ungarn zu begleiten oder als Botschafter nach Rom zu gehen. Dabei führt die Begründung in der siebten und insbesondere in der ersten Satire vorzugsweise die ‚Musen‘ und deren „sacri studi“ an, welche Freiheit und Muße verlangen. Andererseits muß Ariost in der vierten und sechsten Satire begründen, warum es mit dem Musendienst der Dichtung nicht recht vorangeht und warum ihm überhaupt mangels hinlänglicher Griechischkenntnisse nicht alle dafür notwendigen Bildungsvoraussetzungen gegeben sind. Dabei beruft er sich nun umgekehrt gerne auf die Zwänge von Hof- und Amtspflichten unter dem Diktat Ippolitos von Este, von dessen ‚Joch‘ es heißt (VI, V.235–240):
che da la creazione insino al rogo
di Julio, e poi sette anni anco di Leo,
non mi lasciò fermar molto in un luogo,
vedi se per le balze e per le fosse
io poteo imparar greco o caldeo!
Wo immer in Ariosts Satiren die Selbstdarstellung in den Vordergrund rückt, präsentiert sich das Ich also in einer schiefen Lage und mit einer letztlich gespaltenen Identität. Diese Identität soll einerseits mit Entschiedenheit von den subalternen Rollen abgegrenzt werden, welche ihr die realen Machtstrukturen der Hofgesellschaft verschreiben; doch läßt die Realität andererseits auch nicht zu, daß der widerspenstige Höfling sein ideales Selbstkonzept verwirklicht und problemlos in der alternativen Identität eines Humanisten aufgeht. Beiden Normkomplexen, dem höfischen mehr und dem humanistischen weniger, bleibt Ariost am Ende etwas schuldig, und aus diesem Bewußtsein zweifacher Anomalie ist wohl der geradezu obsessive Rekurs auf das Familienthema zu verstehen, das für die italienische Renaissancedichtung in der hier angeschlagenen ernsthaften Intonation ja ebenfalls ziemlich ungewöhnlich wirkt. Offenkundig kehrt es deshalb so insistent wieder, weil es in Ariosts Existenz die Stelle bezeichnet, an der die (zumeist) begehrte humanistische und die (zumeist) erlittene höfische Identität stets aufs neue sowohl zusammenkommen als auch aufeinanderstoßen. Die Familienpflichten sind es nämlich, die dem Dichter in der ersten Satire gegenüber dem Hof als Alibi und Refugium dienen, und gleichzeitig sind es dieselben Familienpflichten, die in der dritten Satire das ökonomische Motiv für die Bereitschaft des Dichters bilden, die Fron des Hoflebens überhaupt auf sich zu nehmen.
Nichts dergleichen wäre in der ersten Hälfte des Cinquecento freilich mitteilbar, wenn es für selbstbezogene Äußerungen dieser Art keine literarische Legitimation gäbe. Diese Legitimation liegt im Genus der Horazischen Satire begründet, der Horazischen wohlgemerkt und nicht der Juvenalschen „Satura“ [28] . Was macht hier den Unterschied aus? Wie allgemein hervorgehoben wird, sind in den Satiren des Horaz vor allem die epistularen Aspekte für Ariosts Gattungsanschluß von wesentlicher Bedeutung. Sie führen gewissermaßen zu einer Dopplung des lyrischen, oder genereller: des literarischen Ich. Einmal ist es bei Horaz ein speziell „satirisches“ Ich, wie es dann bei Juvenal dominieren wird: ein Ich, das sich durch moralische Vorbildlichkeit – eben das „integer ipse“ des Satirikers – gegenüber den vehement verurteilten „Er“ oder „Sie“ identifiziert. Zum anderen präsentiert es sich aber auch als ein „epistulares“ Ich, und als solches tritt es nicht in ein gleichsam vertikales Verhältnis zu einem „Er“, sondern in ein horizontales DialogVerhältnis zu einem „Du“. [29]
In diesem Phänomen des „epistularen Ich“, wie es die Horazischen Sermones neben einem „satirischen Ich“ vorstellen, ist indessen die entscheidende Legitimation für Ariosts autobiographische Wendung des Genres zu sehen. Nur das auf ein „Du“ bezogene „epistulare Ich“ gewährt nämlich die Möglichkeit einer freieren kommunikativen Selbstdarstellung, während das „satirische Ich“ in seiner Stilisierung stets antithetisch von dem lasterhaften (oder törichten) „Er“ abhängt, welches das Ziel empörter (oder mokanter) Attacken bildet. Dabei erweist sich freilich, daß auch in Ariosts Satiren die Darstellung des Ich häufiger satirisch funktionalisiert wird, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist etwa der Beginn der zweiten Satire. Er vermittelt zunächst den Eindruck, als wolle Ariost spontan und absichtslos über seine gastronomische Genügsamkeit plaudern, und erst später stellt sich heraus, daß damit eine Art Gegenbild entworfen wurde, welches sich – indirekt anklagend – auf die Unmäßigkeit vieler Kleriker bezieht. Auf solche Weise besitzen zahlreiche Züge des Ariostschen Selbstporträts eine oft untergründig funktionale satirische Bedeutung; doch bleibt festzuhalten, daß eben nicht alle Elemente der Selbstdarstellung in dieser Funktion eines „integer ipse“ aufgehen. Legitimiert durch die epistularen Partien der Horazischen Sermones, kann Ariost in die seinen immer wieder ein – satirisch funktionsloses – „liberamente te ‘l confesso“ (III, V.76) einfließen lassen. So gesteht, oder besser: ‚beichtet‘ er dann – gegenüber der Satire gänzlich gattungsdissonant – eine Liebesbeziehung. [30] Oder er ergreift die Gelegenheit, jene höfisch-humanistischen Identitätskonflikte auszusprechen, die in keinem anderen Versgenus der Epoche formulierbar gewesen wären.
1 Die Formel stammt von Bernis florentinischem Landsmann, ‚Schüler‘ und Herausgeber Anton Francesco Grazzini (il Lasca) und steht im Einleitungsgedicht zu Il primo libro dell’opere burlesche (Firenze 1548), hier zitiert nach einer Settecento-Ausgabe: Usecht al Reno (i.e. Roma) 1771, S. XI.
2 Vgl. zu ihm meine detailliertere Interpretation Satire oder Burleske?, in: RF 87 (1975), S. 427–441, sowie die wichtigen Ergänzungen von Bernhard König, Liebe und Infinitiv – Materialien und Kommentare zur Geschichte eines Formtyps petrarkistischer Lyrik (Camões, Quevedo, Lope de Vega, Bembo, Petrarca), in: Italien und die Romania in Humanismus und Renaissance – Festschrift für Erich Loos zum 70. Geburtstag, Wiesbaden 1983, S. 76–101, hier S. 91ff.
3 Vgl. Francesco Berni, Poesie e Prose, criticamente curate da Ezio Chiòrboli, Genève-Firenze 1934, S. 37f.
4 Ebda S. 36.
5 Ebda S. 71.
6 Ebda S. 173.
7 Ebda S. 174.
8 Vgl. Pietro Bembo, Prose e Rime, a cura di Carlo Dionisotti, 2Torino 1966, S. 511. Hinter diesem Sonettschluß steht neben Canzoniere 213 („Gratie ch’a pochi il ciel largo destina”), das explizit zitiert wird, auch noch Canzoniere 224(„S’una fede amorosa, un cor non finto“), ein Gedicht, aus dem Bembo – wie König einleuchtend argumentiert – die Summierungsformel „son (le) cagion che“ bezogen hat (vgl. B. König, Liebe Infinitiv, a.a.O. S.94).
9 Diese Stilisierung setzt sich bis zu dem Selbstporträt fort, das Berni in sein Rifacimento von Boiardos Orlando Innamorato eingefügt hat (vgl. III, vii, 36–56). Dort heißt es unter anderem (Str. 45): „(...) il suo sommo bene era in jacere/ Nudo lungo disteso; e‘l suo diletto/ Era non far mai nulla e starsi in letto“ (zitiert nach F. Berni, Poesie, a.a.O. S. 5).
10 Vgl. zu diesen Heroisierungstendenzen A. Noyer-Weidner, Lyrische Grundform und episch-didaktischer Überbietungsanspruch in: RF 86 (1974), S. 314–358.
11 Vgl. dazu vor allem Marco Santagata, Dal sonetto al Canzoniere – Ricerche sulla preistoria e la costituzione di un genere, Padova 1979, sowie neuerdings Sara Sturm-Maddox, Petrarch’s Metamorphoses – Text and Subtext in the „Rime sparse“, University of Missouri Press 1985.
Sturm-Maddox sieht die Geschichte von Petrarcas „poetic persona“ in den Rerum vulgarium fragmenta durch verschiedene „narrative models“ geprägt: die Confessiones des Augustinus, „the story of Apollo and Daphne as recounted in Ovid’s Metamorphoses, and the story of Dante and. Beatrice as elaborated in the Vita Nuova and theCommedia“ (S. 2).
12 Vgl. P. Bembo, Prose e Rime, a.a.O. S. 551 (LV, V.9) und S. 545 (XLVII, V.1f.).
13 Vgl. ebda. S. 587f.
14 Vgl. ebda. S. 642f.
15 Zu ihrem Ursprung in der „story of Petrarch’s .ideal autobiography“ vgl. Dennis Dutschke, The Anniversary Poems in Petrarch’s „Canzoniere“, in: „Italica“ 58 (1981), S. 83–101.
16 Vgl. dazu das charakteristische Einladungsmotiv einer Epistel an „Messer Francesco [Navizzani] Milanese“: „Ecci onestamente da sguazzare, / Secondo il tempo“ (F. Berni, Poesie, a.a.O. S. 95).
17 Vgl. A. Noyer-Weidner, Lyrische Grundform, a.a.O. S. 350.
18 Vgl. F. Berni, Poesie, a.a.O. S. 93ff.
19 Vgl. ebda. S. 108ff.
20 Ebda. S. 70.
21 Ebda. S. 37.
22 Daß seine „medietà“ einen höchst suggestiven „effet de réel“ hinterläßt, belegt eindrucksvoll die Reaktion Lanfranco Carettis, der Ariosts Selbstdarstellung charakterisiert als „tentativo di un misurato e discreto autoritratto morale, contenuto nei limiti di una schietta bonomia, di una fermezza non eccitata e di una sensibilità tanto pronta e vivace, aperta e curiosa, quanto concreta e meditata, solidamente realistica“ (Ariosto e Tasso, 2Torino 1970, S. 25).
23 Die Satiren sind im folgenden mit Angabe der Versnummern zitiert nach der Ausgabe: L. Ariosto, Opere, a cura di A. Seroni, Milano (Mursia) 1961.
24 Vgl. zum „Widerspruch zur Umwelt“ den „das eifersüchtig über die eigeneUnabhängigkeit und volle Entfaltung wachende Ich“ erlebt, J. Grimm, Die Einheit der Ariost’schen Satire, Frankfurt 1969, S. 25.
25 Zur (folgenreichen) Koinzidenz von Satire und Epistel bei Ariost vgl. ebda. S. 15ff., oder P. Schunck, Die Stellung Ariosts in der Tradition der klassischen Satire, in. ZrP 86 (1970), S. 49–82, hier S. 61ff.
26 Daß Tendenzen solcher autobiographischen Historisierung keineswegs einem „überlegenen Kunst- und Stilwillen“, den Grimm (Die Einheit, a.a.O. S. 31–51) oder Peter Wiggins (A Defense of the Satires, in: Ariosto 1974 in America, a cura di A.Scaglione, Ravenna 1976, S. 55–68, hier S. 64) betonen, widersprechen müssen, dürfte sich wohl von selbst verstehen.
27 Vgl. dazu die treffenden Bemerkungen von P. Sohunck, Die Stellung Ariosts, a.a.O.. bes. S. 71, 73 und 76. Nach ihnen überrascht um so mehr, daß Schunck Ariosts „ Zerrissenheit „ später ausschließlich auf einen „ Zwiespalt (...) existentieller Natur „ zurückführen möchte, welcher mit der „sozialen Situation des Dichters“ nichts zu tun habe (vgl. S. 82).
28 Die gleiche Distinktion trifft auch Schunk (vgl. S. 66), um darauf einleuchtend die weitere Subjektivierung des Horazischen Modells bei Ariost nachzuzeichnen.
29 Vgl. dazu den schönen Aufsatz von Cesare Segre, Struttura dialogica delle „Satire“ ariostesche, in: Ariosto 1974, a a.0. S. 41–54, dessen Kategorien ich hier benutze.
30 Zur prinzipiell „liebesfeindlichen Tradition der Satire“ vgl. K. Meyer-Minnemann, Die Tradition der klassischen Satire in Frankreich, Bad Homburg v.d.H: Berlin-Zürich 1969, S. 109f.
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