« zurück
Permalink: http://gams.uni-graz.at/o:usb-063-57 | Druckversion | Metadaten
Quelle: Polyglotte Romania, Homenatge a Tilbert Dídac Stegmann, hgg. B. Schlieben-Lange/A. Schönberger, Frankfurt a. M., Domus Editoria Europaea, 1991, S. 893–904.

Die Metaphysik des „caffettiere“

Komisches und Ernstes bei Giuseppe Gioacchino Belli

In der polyglotten Romania, die Til Stegmann am Herzen liegt, ist Italien vielleicht die interessanteste Region. Jedenfalls hat sich hier eine besonders vielsprachige Literatur entwickelt. Neben der toskanischen Poesie des Canzoniere und der toskanischen Prosa des Decameron gibt es das Latein der Africa und der Genealogia deorum gentilium sowie die Mischformen des makkaronischen Lateins, Teofilo Folengos Baldus,oder des fidenzianischen Volgare, Camillo Scroffas Cantici di Fidenzio. Dazu kommen die Mundarten der Padana im Theater Ruzantes, das Neapolitanische des Pentamerone,das Sizilianische Giovanni Melis, das Venezianische von Goldonis Rusteghi,das Mailändische der Gedichte Carlo Portas und vieles andere mehr.
Aus dieser Fülle polyglotter italienischer Literatur möchte ich meinem Freund und langjährigen Hamburger Kommilitonen Tilbert (damals noch) Diego eines der berühmtesten und eigentümlichsten Werke präsentieren: die römische Sonettdichtung Giuseppe Gioacchino Bellis (1791–1863). Dabei geht es mir nicht um den Versuch einer Übersicht über die circa 2300 Sonette, die Belli – schließlich wie Kafka wider seinen Willen – hinterlassen hat. Thema meiner Skizze soll vielmehr ein einzelnes, für exemplarisch erachtetes Gedicht sein, an dem ich jene Kunst der Interpretation erproben will, welche Til und ich während der sechziger Jahre bei Romanisten, Germanisten und Anglisten gemeinsam mit heißem Bemühen studiert haben.
Das Sonett, das durch gewisse Desengaño-Anklängeauch unvergessene hanseatische Calderoniana evozieren mag, trägt den (halb burlesken) Titel „Er Caffettiere Fisolofo“ und ist in Bellis sonettistischem Tagebuch auf den 22. Januar 1833 datiert:
L’ommini de sto monno sò ll’istesso
Che vvaghi de caffè nner mascinino:
C’uno prima, uno doppo, e un antro appresso,
Tutti cuanti però vvanno a un distino.
Er vago grosso ervago piccinino,
E ss’incarzeno tutti in zu l’ingresso
Der ferro che li sfraggne in porverino.
Misticati pe mmano de la sorte
Che sse li ggira tutti in tonno in tonno;
Senza capillo mai caleno a ffonno
Pe ccascà nne la gola de la morte.
Schon bei der ersten Lektüre wird, falls sie einigermaßen aufmerksam verfährt, der Emblem-Charakter des Gedichts deutlich. Die emblematische Similitudo, die das Sonett entfaltet, lautet, nach dem Satz der ersten beiden Verse formuliert: Die Menschen sind auf dieser Welt wie die Kaffeebohnen in der Kaffeemühle (einem Gerät, an das sich sowohl Autor wie Adressat dieser Zeilen aus ihrer Kindheit erinnern). Bei der Entfaltung des Emblems steht im zweiten Quartett der Aspekt der pictura im Vordergrund: Wir sehen, wie die Bohnen sich in der Mühle drängen, um zermahlen zu werden. Die beiden Terzette verlagern den Akzent dagegen auf das, was im Emblem subscriptio heißt: die Applikation des Bildes, welches nun im Sinne eines allgemeingültigen menschlichen Sachverhalts ausgedeutet wird. Wie die Bohnen von der Mühle erfaßt und verschlungen werden, geht es auch den Menschen, die bei aller Bewegung an der ‚Hand des Schicksals‘ hängen, das sie zum Schluß unterschiedslos („tutti cuanti però vvanno a un distino“) in den ‚Rachen des Todes‘ fallen läßt.
Unverkennbar wirkt in der allegorischen Struktur und Aussage des Sonetts eine Tradition barocker Literatur, insbesondere barocker Lyrik, und es wäre nicht schwierig, eine Anthologie von Seicento-Gedichten – etwa von Giambattista Marino bis Ciro di Pers – zusammenzustellen, welche sich durch die gleiche oder eine ähnliche Emblem-Komposition auszeichnen. Wenn gerade der Dichter des sozusagen biedermeierlichen Rom auf diese Tradition zurückgreift, so hat das offenkundig auch mit einem Effekt von ‚couleur locale‘ zu tun; denn das Erbe des Barock ist – was Architektur, Gesellschaft und Mentalität betrifft – in Italien ja nirgendwo kompakter als in Rom bewahrt worden. Trotzdem läßt das Sonett andererseits ebenso auffällige Züge erkennen, die es von einem idealtypischen Gedicht der Epoche Berninis und Borrominis auch wieder unterscheiden. Zu ihnen gehören beispielsweise die plane Schlichtheit der Syntax, der nichts ferner liegt als das elegante Pathos eines Hyperbaton, oder der Verzicht auf Gedankenfiguren, welche die Möglichkeiten der Similitudo in irgendeiner Weise konzeptistisch ausbeuten und zuspitzen könnten. Der barocken Poetik bleibt Bellis Sonett durch seinen Emblem-Charakter nahe; ansonsten befleißigt es sich jedoch, mißtrauisch gegenüber aller Emphase, eines rhetorisch schmucklosen und gewollt unscheinbaren stilus humilis.
Ein solcher stilus humilis zählt im frühen 19. Jahrhundert zu den quasi selbstverständlichen poetologischen Prämissen, welche den Gebrauch des Dialekts in der Dichtung regeln und einschränken. Vorzugsweise wurde der Dialekt ja gebraucht, um ein komisches Register zu ziehen, mit dessen Hilfe das Publikum zum Lachen gebracht werden oder wenigstens in heitere Stimmung versetzt werden sollte. Diese semiotische Konvention, die eine grundsätzliche Affinität von Dialekt und Komik vorsieht, gilt auch noch für Belli, oder genauer gesagt: Sie stellt den literarischen Ausgangspunkt dar, mit dem Belli wie andere Dialektdichter seiner Zeit unvermeidlich konfrontiert ist. So wird das – wenn man so will – metaphysische Thema der irdischen Existenz des Menschen hier eben nicht von der gleichsam nobilitierten Instanz eines lyrischen Ichs behandelt, sondern im Rahmen eines Rollengedichts aus einer Perspektive, welche für metaphysische Themen an sich keinerlei Zuständigkeit besitzt. Es spricht nicht der Dichter in philosophischer, freilich auch nicht in schlechthin burlesker Stilisierung, sondern die Gestalt eines Berufsbürgers, wie ihn Goldoni in einer seiner bedeutendsten Komödien, der Bottega del Caffè,auf die Bühne gebracht hatte. Gewiß war mit der Erhebung Ridolfos, des „caffettiere“, zum (exemplarischen) Protagonisten der Komödie nicht zuletzt auch eine Emanzipation seines sozialen Status verbunden gewesen; doch änderte das nichts daran, daß der Blickwinkel eines Kaffeewirts nach wie vor als ein zugleich partikulärer und inferiorer gelten mußte. An den engen Kreis seiner berufsbürgerlichen Tätigkeiten und Zwecke gebunden, mochte der „caffettiere“ allenfalls zum Experten in den konkreten Dingen der praktischen, zumal der ökonomischen und der ehelichen Moral aufsteigen; in den Fragen der Existenz als solcher hatte er nach allen Übereinkünften der traditionellen Gesellschafts- und Wissensordnung keine ernstzunehmende Stimme, und wie komisch inkongruent seine Meinungsäußerung bei solchen Problemen anmuten konnte, wird ja auch durch die lexikalische Verballhornung seiner Rolle unterstrichen, die ihn zum fisolofo,nicht aber – wie es korrekt wäre – zum filosofo erklärt.
Dieser komischen Inkongruenz, die bereits von dem oxymorischen Gedichttitel „Er caffettiere fisolofo“ impliziert wird, entspricht dann auch die besondere Art des Bildes, welches unser Emblem konstituiert. Es ist komisch, weil es auf pointierte Weise aus der berufsbürgerlich partikulären Erfahrungswelt des Sprechers hervorgeht und weil es demzufolge einen denkbar großen semantischen Abstand zur Dignität der metaphysischen Thematik markiert, die hier seinen Applikationsbereich ausmacht. So ergibt sich zwischen subscriptio und pictura des Emblems ein extremes semiotisches Gefälle, das nach den Konzepten der klassischen Poetik unter den Begriff der Travestie zu fassen wäre. Tatsächlich stellt die Travestie ja auch eine der wesentlichen Verfahrensweisen dar, welche zumal die frühe Phase von Bellis Sonettistik geprägt hat. Charakteristisch sind in ihr vor allem die travestierenden Übertragungen biblischer Geschichten in eine aktuelle prosaische Alltagswelt. Derart ereignet sich der Beginn der Flucht nach Ägypten bei Belli folgendermaßen:
Ner ventisette de discemmre a lletto,
San Giuseppe er padriarca chiotto chiotto
Se ne stava a rronfà ccom’un porchetto
Provanno scerti nummeri dell’otto;
Cor un lunario che ttieneva sotto;
E jje disse accusì: „Gguarda, vecchietto,
Che ffesta viè qui ddrento a li ventotto“.
Oder als ein zweites Beispiel: Auf der Hochzeit von Kana bittet der Gastgeber, der schon für das Wasser, nicht aber für den Wein gesorgt hat, die Gottesmutter Maria, bei ihrem Sohn in seinem Interesse – wie man in Österreich sagen würde – zu intervenieren:
Che ffesce er cantiggnere bbirbo fino!
Cormò d’acqua der pozzo tre ttinozze,
E dda sei serve affumicate e zzozze
La mannò in zala avanti ar padroncino,
A pprennese l’impeggno cor fijjolo
De falla diventà vvin de Ripetta.
Ähnliches geschieht poetologisch auch in unserem Sonett, das zwar keine biblische Geschichte, wohl aber ein philosophisch-theologisches Thema in die Prosa alltäglicher Berufsaktivitäten travestiert.
Nun bestehen der Reiz und das Gewicht des Sonetts vom „Caffettiere Fisolofo“ indessen in dem Umstand, daß es sich dem komischen Register, das ihm nach den Prinzipien der poetologischen Tradition vorgeschrieben ist, keineswegs völlig fügt. Einen Punkt der Abweichung vom traditionellen Stilkanon der Dialektdichtung kann man im übrigen bereits im totalen Rückzug des lyrischen Ichs erblicken. Er bildet hier zwar einerseits – wie wir gesehen haben – die Voraussetzung für den Effekt einer komischen Inkongruenz zwischen Thema und Perspektive. Andererseits widerspricht er jedoch einem Grundprinzip aller Lyrik, das auf mehr oder minder unmittelbarer Selbstaussage beharrt, und er widerspricht ihm um so eklatanter, als die Absenz des lyrischen Ichs in Bellis Gesamtwerk kaum jemals durchbrochen wird, sondern ganz im Gegenteil eine erstaunliche Konstanz gewinnt.
Dabei kommt es an dieser Stelle darauf an, zwischen einer gattungsgerechten Stilisierung und einer im Grunde lyrikfremden, eher dramatischen oder epischen Verkleidung des Ich zu unterscheiden. In Dichtungen, die mit Bellis Sonetten historisch wie generisch einigermaßen vergleichbar erscheinen, spricht sich das Ich des Dichters in der Regel als ein gattungsgerecht stilisiertes aus. So vernehmen wir ein in der Tradition Francesco Bernis burlesk stilisiertes Ich, wenn Giuseppe Giusti auf die Titelfrage eines Sonetto caudato „Ioliberale? [...]“ höhnisch antwortet:
Io liberale? Signor Presidente!
Io che non penso che a Su’ Altezza Reale,
Io che pago e sto zitto, io liberale?
Mi creda, in verità, sono innocente.
Perché il Governo non se n’abbia a male;
[...]
Fumo, giuoco a primiera, e sto nel letto
Arcisicuro di non dar sospetto;
Lascio la cresta che mi dicon buona,
Per la sua somiglianza alla corona.
Ein Ich, das weniger burlesk als vielmehr satirisch aufzutrumpfen wagt, begegnet uns bei Carlo Porta, der im Geiste Parinis sein bürgerliches Selbstbewußtsein gegenüber einem Marquis demonstriert, welcher sich das Standesprivileg des Don anmaßt und doch – wie der letzte Sonettvers behauptet – nichts als ein dummer Esel ist:
Sissignor, sur Marches, lu l’è marches,
Marchesazz, marcheson, marchesonon,
E mì sont el sur Carlo Milanes,
E bott lì! senza nanch on strasc d’on Don.
Lu et ven luster e bell e el cress de pes
Grattandes con sò comod i mincion,
E mì, magher e biott, per famm sti spes
Boeugna che menna tutt el dì et fetton.
Lu senza savè scriv né savè legg
E senza, direv squas, savè descor
El god salamelecch, carezz, cortegg;
E mì (destinon porch!), col mè stà sù
Suj palpee tutt el dì, gh’hoo nanch l’onor
Dagegen geht es bei Belli nicht um solche oder ähnliche Stilisierungen, sondern um die Tilgung des Ich, an dessen Stelle dann eine Fülle anderer Personen treten, die mit Bellis Worten ihre kleinen, doch ungemein lebendigen Monologe oder Dialoge sprechen. Wenndie Sammlung der Bellischen Sonette immer wieder als eine Art römischer Comédie humaine bezeichnet worden ist, so hat das in der Tat seine Berechtigung wegen der Vielfalt verschiedenartigster Figuren, Typen und Mentalitäten, in die der implizite Autor dieser Gedichte sich zu verwandeln versteht. Dabei legt er eine Virtuosität des Rollenspiels an den Tag, welche an sich wenig mit dem Temperament eines Lyrikers zu tun hat und stattdessen ausgesprochen dramatische oder epische Kompetenzen unter Beweis stellt. Ist es in unserem Sonett die Rolle des philosophierenden Kaffeewirts, der Belli seine Stimme leiht, so werden die Rollen, die der Sonettist übernimmt, mit wachsender Virtuosität auch zunehmend extravaganter und pittoresker. Bald präsentiert er sich als „La Zitella Ammuffita“, die an ihren Heiratschancen verzweifelt und klagt:
Nun me sò inzin’ adesso maritata,
E ccreperò accusí; perch’io sò nnata
Sott’a cquella stellaccia pidocchiosa.
Bald spielt er den Part der „Mojje Ggelosa“ und ihrer Drohungen an die junge Rivalin:
Tu ariviè a cciovettà oro mmi’ marito,
Si cco vòi avé ggusto: tu ariviecce
Un’antra vorta, gruggnettaccio ardito,
E mme te bbutto sopra quant’è vvero
La Madonna: t’aggranfio pe le trecce,
T’arzo la vesta, e tte fo er culo nero.
Oder er beschreibt die Vorbereitungen zu einer Hinrichtung, indem er – nun ganz und gar suspekt – als „Er Dilettante de Ponte“ spricht, der sich rühmen kann, die beiden – wenn man so will – berühmtesten Römer gleich gut zu kennen: „E er boia lo conosco com’er Papa“.
Sicherlich verfolgen diese Verkleidungen häufig burleske oder satirische Absichten, wie sie in der Geschichte der Dialektdichtung an der Tagesordnung waren; doch erwachsen gerade aus der Vielfalt von Rollen und Perspektiven auch Ausdruckstendenzen, die in der herkömmlichen Komik des umgangssprachlichen niedrigen Tons nicht mehr aufgehen: Neigungen zum Pathetischen wie im Fall der alten Jungfer, zur aggressiven Brutalität wie bei der eifersüchtigen Ehefrau oder zum schlechterdings Makabren wie bei dem Liebhaber blutiger Hinrichtungsszenen. Unter ihnen findet speziell die Beobachtung der Aggressivität des menschlichen Existenzkampfes auch in dem Gleichnis des „caffettiere fisolofo“ ihren Platz. Wie sich die Kaffeebohnen nichtsahnend („senza capillo mai“) zum Eingang ins Verderben drängen, unterstreicht der Sprecher, was er an dem Wirbel, in den sie geraten, als ihre Positionskämpfe und sozusagen als ihren struggle for life wahrnimmt: „Spesso muteno sito, e ccaccia spesso / Er vago grosso er vago piccinino“ – eine Wahrnehmung, die darauf in der Alternative des Partizipialsatzes „E mmovennose oggnuno, o ppiano, o forte“ noch einmal eine Art Reprise erhält. Ich würde sie weniger stark betonen, wenn sie nicht auch jenseits unseres Sonetts eines von Bellis obsessiv wiederkehrenden Hauptthemen bildete: Gewohnheit und Kult der „prepotenza“, die von Belli schon ähnlich wie später in Moravias Racconti Romani dramatisiert wird. Um dazu nur zwei hervorstechende Beispiele zu nennen, sei hier an das Sonett „Ricciotto de la Ritonna“ erinnert, in dem ein Gemüsehändler auf dem Markt vor dem Pantheon einen lästigen Rivalen vertreibt, wobei er dem Opfer seiner präpotenten Rhetorik paradoxerweise selbst vorwirft, sich mit Präpotenz (propotenza) auf einen vorteilhaften Platz zu drängen:
Chi? Vvoi? dove? co quella propotenza?
Voi sete er gruggno de spaccià cqui accosto?
Voi cqua, pper dio, nun ce piantate er posto
Manco si or Papa ve viè a ddà lliscenza.
Oder man denke an „Le Donne a Mmessa“, ein Gedicht, das den Lebenskampf um günstige Positionen sogar unter den frommen Frauen im sakralen Raum der Kirche ausbrechen läßt. „Tutti vonno campà dde propotenza“ heißt es resümierend – und durchs begriffliche Resümee zugleich ein wenig verharmlosend – im letzten Vers dieses Sonetts, das seine eigentliche Schärfe in den giftigen Dialogen des zweiten Quartetts und des ersten Terzetts gewinnt:
Sposa, fàteme sito. – Io me sò ppresa
Sto cantoncello pe la mi perzona. –
Dico fateve in là, ssora minchiona:
Che! ssete la padrona de la cchiesa? –
E in che ddanno ste spinte? – Io vojjo er loco
Pe ssenti mmessa. – Annàtevelo a ttrova. –
Ppresto, o mmommó vve fo vvedé un ber gioco. –
Wo sich der Lebenskampf beim geringsten Anlaß zu solcher Brutalität steigert, sind wir der – hier rätselhaft antizipierten – Welt Darwins oder auch Zolas offensichtlich näher als den Gepflogenheiten der alten Dialektdichtung. Indessen kommt zum Ernst des struggle for life noch ein weiterer Aspekt von Verdüsterung, der dem komischen Ausgangspunkt unseres Sonetts kraß zuwiderläuft. Gemeint ist die Verdüsterung, welche daraus entsteht, daß Belli den Lebenskampf seiner Bohnen-Menschen gleichzeitig dramatisiert und als irrelevant, ja als indifferent deklariert. Die Pointe des Gedichts liegt nämlich nicht allein in der Unerbittlichkeit, mit der die Großen die Kleinen jagen, sondern mehr noch in der Unfreiwilligkeit und der Vergeblichkeit dieser Jagd. Nur vorläufig und scheinbar sind die Bohnen-Menschen in Bellis Emblem Subjekte ihres Drängens, während es sich in Wahrheit doch um ein Gedränge handelt, bei dem die vermeintlichen Subjekte am Ende lediglich Objekte darstellen: Objekte der „mmano de la sorte / Che sse li ggira tutti in tonno in tonno“ und des „ferro che li sfraggne in porverino“.
Wie eingangs erwähnt, läßt sich dieser Triumph der Vernichtung und des Todes, wenn wir zurückblicken, an die Desengaño-Thematikbarocker Lyrik anschließen. Was bei Belli ausfällt, ist jedoch die gewissermaßen propädeutische Funktion einer solchen Thematik, welche die Vergänglichkeit des Irdischen einst in erster Linie anzusprechen pflegte, um durch sie den Blick auf die Ewigkeit des Jenseitigen zu lenken. Von der Ewigkeit aber wissen Bellis Sonette, obwohl sie als römische im frühen Ottocento durchweg von religiösen Vorstellungen handeln, nicht das Geringste; denn sobald sie Biblisches oder Kirchliches zum Gegenstand nehmen, tun sie das in einer Haltung des Travestierens, welche den Gegenstand eben seines heiligen Anspruchs und seiner dogmatischen Substanz entkleidet. So bleibt auch in „Er Caffettiere Fisolofo“ vom Thema des Desengaño allein der unheimliche Sog des Vergehens übrig, dessen Ursprung und bewegende Kraft der Sprecher agnostisch im Dunkeln beläßt: Nur gewollt undeutlich ist einmal von der „mmano de la sorte“ die Rede, und ansonsten vollzieht sich das Fallen und Vergehen der durcheinander gewirbelten Bohnen-Menschen ohne alle Einsicht in Ziel oder Sinn des Geschehens: „Senza capillo mai caleno a ffonno“.
Wie in diesem Gedicht der Blick des Emblematikers wie gebannt auf einem Dasein zum Tode ruht, so verhält es sich indessen auch in vielen anderen Bellischen Sonetten. Was sie fasziniert, ist eine im Kontext ihrer Genrebilder doppelt unbehaglich wirkende Phänomenologie der Auflösung und des Verschwindens, die manchmal geradezu an Flauberts ähnlich geartetes stummes Pathos des „s’en aller“ und des „disparaître“ denken läßt. In dieser ständig erneuerten Evokation der Nacht, des Todes und des Nichts, in dem das Größte wie das Kleinste enden muß, liegt – wie ich finde – Bellis tiefste Eigenart und zugleich seine größte Distanz von den dialektalen Traditionen komischer Satire oder Burleske. Dabei fällt die Faszination durch das Vergehen nicht zuletzt deshalb auf, weil sie sich am Ende der Bellischen Sonette in der Regel ohne jeden Nachdruck äußert, lakonisch unakzentuiert und unpointiert eben wie ein bewußtloses calar a fondo. Derart vergeht der Tag des Jüngsten Gerichts bei Belli nicht viel anders als der (All)Tag einer armseligen römischen Familie. Heißt es von der „Bbona Famijja“ zum Schluß:
E appena visto er fonno ar bucaletto,
Na pissciatina, ’na sarvereggina,
E, in zanta pasce, sce n’annàmo a lletto,
so läuft „Er Giorno der Giudizzio“ gleichfalls auf ein Verlöschen der Lichter und den Abschied der ‚Guten Nacht‘ hinaus:
All’urtimo usscirà ’na sonajjera
D’angioli, e, ccome si ss’annassi a Iletto,
Smorzeranno li lumi, e bbona sera.
Ähnlich wird das menschliche Leben insgesamt zu einem absurden Kreislauf, bei dem das Dunkel des Endes bereits im Dunkel des Anfangs beschlossen ist. So beginnt das Sonett „La Vita dell’Omo“ mit dem Verweis auf jene puzza,welche gewissermaßen die stinkende ‚Hölle‘ des Ausgangs präfiguriert:
Nove mesi a la puzza: poi in fassciola
Tra sbasciucchi, lattime e llagrimoni.
Und es schließt mit Wendungen eines traurigen Lakonismus, wie sie zuvor schon sowohl den römischen Alltag als auch den Tag des Jüngsten Gerichts an ihr Ende gebracht haben:
E pper urtimo, Iddio sce bbenedica,
Viè la morte, e ffinissce co l’inferno.
Wenn der alte Belli sich später scheute, seine Sonette der Nachwelt zu überliefern, wird das demnach nicht nur an dem Skandalon ihrer travestierenden Blasphemien gelegen haben. Das größere Skandalon war (und ist) wohl ihre Zeit- und Todesverfallenheit: ein Nihilismus, der selbst im scheinbar harmlosen Genrebild immer wieder Durchblicke von abgründig heillosem Schrecken eröffnen kann.
« zurück